Читать книгу Indianerkinder - Frans Diether - Страница 5
Оглавление2. Kapitel
"Hast du nicht geschworen, dass Francis und die Göhren in den ewigen Jagdgründen weilen? Mein alter Freund Colonel Jackson erzählt die Geschichte ganz anders. Die beiden Rothäute sind längst zu ihrem Stamm zurückgekehrt. Nur Francis hat das Zeitliche gesegnet und auch das ist nicht dein Verdienst. Ironie der Geschichte, er wurde bei einem Indianerüberfall getötet."
Sancho fiel in sich zusammen. Er hatte die Sache lange verdrängt. Jetzt holte sie ihn ein. Wie ein ängstlicher Junge stand er vor seinem Boss. "Aber."
"Nichts aber, du hast vielleicht geträumt, dass sie am Wasserfall starben, taten sie aber nicht. Du hast versagt und du weißt, wie ich mit Versagern umgehe."
"Gnade Boss, Gnade, gib mir noch eine Chance. Ich will dir das Gesindel herschaffen, selbst wenn ich sie direkt aus ihrem Wigwam holen muss."
"Vergiss es. Es genügt zwei Zeugen zu haben, die unsere Identität kennen. Ich lass es nicht darauf ankommen, dass Lauter Donner auf uns aufmerksam wird. Bisher ist unsere Tarnung noch in Ordnung. Ich werde Colonel Jackson bitten, die Bastarde in ein Umerziehungslager im Norden zu schicken. Es gab letztens erst wieder Probleme mit den Navajos. Eine kleine Strafaktion steht daher ohnehin an. Der Diebstahl unserer Pferde war nur eine der Schurkereien, die man den rothäutigen Banditen zuschreibt. Inzwischen bin ich mir zwar sicher, dass Francis, Gott sei seiner verdorbenen Seele gnädig, verantwortlich war, aber das sage ich nur dir. Auch nach dem Überfall auf die Poststation von Amarill fanden sich einige Pfeile, die man eindeutig als von Navajo gemacht identifizieren konnte. Überlebende Zeugen fanden sich leider", der Boss grinste breit, "nicht."
"Aber das waren doch wir?"
"Wie kommst du darauf? Warst du dabei? Vielleicht sollte ich dich beim Distrikt-Sheriff anzeigen. Das wäre eine schöne Schlagzeile, Mexikaner überfällt gemeinsam mit Indianern die Poststation von Amarill. So wäre ich dich auf legale Art und Weise los."
"Boss das kannst du doch nicht tun. Ich habe dir immer treu gedient. Du kannst von mir alles verlangen, aber schick mich nicht fort. Und", Sancho wurde ganz leise, "lass mich meinen Status in der Gruppe nicht verlieren."
"Lieber Sancho, du weißt, ich bin kein Unmensch. Die Sache bleibt unser Geheimnis. Aber du weißt jetzt auch, dass du in meiner Schuld stehst. Irgendwann wirst du sie begleichen müssen."
"Sei sicher, dass ich meine Schulden bezahle. Du hast heute einen noch treueren Diener erworben, als ich es dir ohnehin schon war. Ich erwarte deine Befehle."
Der Boss legte seine rechte Hand auf Sanchos Schulter. "Ich vertraue dir und bin mir sicher, du wirst mich nicht erneut enttäuschen. Wenn die Zeit reif ist, komme ich auf dein Angebot zurück."
Im Fort von Bullet Nose klopfte ein Soldat vorsichtig an die Tür des Kommandanten.
"Herein!"
"Mr. Jonathan Meyers bittet eingelassen zu werden."
"Ich lasse bitten." Colonel Jackson richtete sich in seinem mächtigen Eichensessel auf. "Pünktlich wie immer, was kann ich für sie tun, mein Lieber?"
"Sie erzählten mir letztens die Geschichte von den zwei Indianerkindern, die sie um des lieben Friedens willen zu ihrem Stamm zurückgaben. Ich verfüge über verlässliche Informationen, dass die beiden an dem Überfall auf Little Rock beteiligt waren. Man sah eines meiner Pferde bei ihnen."
"Woher haben sie die Information? War jemand im Reservat? Man sollte sich von den Navajos fern halten. Es gibt nur Ärger, wenn man ihnen zu nah auf den Pelz rückt."
"Lieber Colonel, nicht wir rücken ihnen auf den Pelz sondern sie uns. Sie können ja auf einer der vorgeschriebenen Inspektionen einen Blick auf die Pferde werfen. Mein Brandzeichen ist ihnen sicher bekannt."
"Entschuldigen sie mein Aufbrausen. Eigentlich kommt mir die Sache sogar gelegen. Seit dem Überfall auf Amarill setzt mich der Oberbefehlshaber unter Druck. Es sei Zeit die Ordnung wieder herzustellen. Ich kann den Rothäuten nichts beweisen. Einen Pfeil kann jeder verschießen. Aber wenn ich gestohlene Pferde finde, sieht es anders aus. Man muss ja nicht gleich jemanden hängen. Schon wenn ich die Kinder auf ein Internat schicke, wird das ein warnendes Beispiel abgeben."
Vollauf zufrieden ritt Mr. Meyers nach Hause. Auf seine Freunde war noch immer Verlass. Die großzügigen Spenden an die örtliche Militärmission hatten sich mal wieder bezahlt gemacht. Wenn die Göhren weit weg sind, wäre es leichter sie um die Ecke zu bringen. Dann würde seine Tarnung wieder perfekt sein. Schließlich wollten sie noch ein paar Jahre verdienen, ehe er an Ruhestand dachte.
"Soldaten, Soldaten!" Im Reservat der Söhne der weiten Steppe, Lauter Donners Stamm, herrscht Aufregung.
Der Häuptling trat auf den Platz vor seinem Hogan. "Was ist da los."
"Soldaten sind in unser Land eingedrungen. Sie kommen direkt hierher."
"Gab es eine Auseinandersetzung?"
"Nein, alles blieb friedlich. Sie sagten, sie seinen auf einer Inspektion."
"Hier gibt es keine Inspektionen. Dies ist Diné-Land. Aber wenn sie in friedlicher Absicht kommen, sollen sie uns willkommen sein."
Lauter Donner ging zurück in sein Hogan. Er wollte seinen Federschmuck anlegen und die Weißen in aller Form empfangen. Die Last der Verantwortung lag schwer auf seinen Schultern. Seit die Diné aus Fort Sumner zurückkehrten, gab es immer wieder Konflikte. Lauter Donner wusste, dass sein Volk die weißen Eindringlinge nicht besiegen konnte. Er hoffte daher, in Frieden mit ihnen leben zu können, auch wenn sein Volk sich von einem Teil des angestammten Siedlungsraums hatte trennen müssen.
"Ich grüße dich großer Häuptling Lauter Donner und überbringe dir gute Wünsche meines Kommandanten Colonel Jackson", sagte der Anführer der Gruppe, ein Sergeant.
Lauter Donner zeigte den Soldaten mit einer Handbewegung an Platz zu nehmen. Er setzte sich ihnen gegenüber.
"Du weißt, dass Colonel Jackson ein großer Freund der Indianer ist und nichts mehr erhofft als in Frieden mit euch zu leben. Leider habt ihr gegen die Regeln des guten Zusammenlebens verstoßen. In euren Herden finden sich Pferde, die Weißen gehören und beim Überfall auf Amarill kamen Pfeile zum Einsatz, wie sie dein Volk herstellt."
"Was sagen schon Pfeile?" Lauter Donner sprach in fast akzentfreiem Englisch. "Aber wenn es euch beruhigt, so können wir gemeinsam die Pferde ansehen. Sollten sich Tiere mit einem fremden Zeichen finden, so werde ich die Diebe eigenhändig bestrafen."
"Colonel Jackson möchte keine Gewalt. Soweit wir wissen, waren die beiden Kinder beteiligt, die wir vor einigen Wochen zurückbrachten. Vermutlich standen sie unter dem schlechten Einfluss des Verbrechers, den wir verbannt haben. Es wäre daher ein gutes Zeichen, die Kinder in ein Internat zu geben, wo sie die Regeln des zivilisierten Lebens erlernen können. Sie hätten es dort gut. Es würde kein Blut vergossen und deinen Stammesbrüdern wäre es eine Lehre."
"Ich weiß, wie gut man es in einem Internat hat. Viele meiner Brüder und Schwestern würden den Tod einer solchen Schmach vorziehen. Und es sind die Kinder meines getöteten Bruders."
"War es nicht dein Bruder, der eine Ute zur Frau nahm und damit die Diné", der Sergeant nutzte bewusst den Namen, mit dem sich die Indianer selbst bezeichneten, "beleidigte?"
Das hatte gesessen. Die Kinder seines Bruders gehörten nicht wirklich zum Stamm. "Du verlangst ein großes Opfer, aber ich will es bringen. Ich muss den Frieden zwischen unseren Völkern bewahren. Daher sage ich, sollte es euch gelingen, an den Pferden von Kleiner Wolf oder Weiße Feder ein fremdes Brandzeichen zu finden, werde ich euch die Kinder übergeben. Colonel Jackson muss jedoch persönlich für ihre Sicherheit bürgen."
"Du kannst ihm vertrauen." Der Sergeant lachte in sich hinein. "Wann können wir mit der Inspektion beginnen?"
"Wir brauchen einen Tag die Pferde zusammenzutreiben. Seid bis dahin meine Gäste."
Lauter Donner persönlich brachte die vier Soldaten zu einer besonders schön hergerichteten Hütte. Er wies zwei junge Frauen an, die Gäste mit aller Hochachtung zu behandeln.
"So lässt es sich leben. Die Roten sind einfach zum Dienen geboren." Einer der Soldaten sprach mit vollem Mund. Fett tropfte auf seine Uniform.
"Ich finde, dafür haben wir genug Nigger. Indianer sind gut, wenn sie tot sind." Sein Kamerad schlug sich vor Lachen auf die Schenkel.
"Der weiße Häuptling behauptet, wir hätten Pferde gestohlen. Ich weiß, dass es nicht so ist. Sollte sich das Gegenteil herausstellen, werden die Verantwortlichen bestraft. Treibt die Pferde zusammen, morgen wird die Inspektion stattfinden." Lauter Donner wusste, seine Männer würden verstehen und man würde morgen keine Pferde mit fremden Brandzeichen finden. "Und jetzt bringt Kleiner Wolf und Weiße Feder zu mir."
Der Häuptling fand es von Anfang an wenig angenehm die Kinder aufnehmen zu müssen. Sicher, sie gehörten zur Familie, doch ihre Mutter war eine Ute. Außerdem lebten sie einige Zeit mit einem weißen Mann zusammen. Kleiner Wolf hatte Lauter Donners ausgestoßene Halbschwester Weißer Schatten getroffen und seine Haare geschnitten, gleichbedeutend mit dem Verlust seiner Seele. Weiße Feder erzählte ständig von den Heldentaten ihres neuen Vaters, dass er zurückkommen würde sie zu holen. So kam es Lauter Donner durchaus gelegen die Kinder in ein Internat der Weißen zu geben. Er wusste, dort würde man ihren Willen brechen. Nur wenige konnten sich anschließend wieder in der Gemeinschaft ihres Stammes zurechtfinden. Er selbst hatte es erlebt und war nur durch Zufall entkommen, nachdem er Sprache und Sitten der Weißen erlernen konnte, aber bevor sie seinen freien Geist verbogen, damals in Fort Sumner. Aber die Zeiten hatten sich geändert. Heute war die Umerziehung straff organisiert. Die beiden Kinder würden zu roten Weißen werden und nicht in sein Volk zurückkehren. Der Makel, den sein Bruders über sie brachte, wäre getilgt.
"Wir müssen fliehen, jetzt gleich."Blauer Vogel zog die beiden Kinder eng an sich. "Weiße Männer sind im Lager und sie wollen euch holen. Es geht um eure Pferde, sie tragen Brandzeichen der Weißen."
"Dann müssen wir schnell aufbrechen." Kleiner Wolf erhob sich und suchte ein paar für die Flucht wichtige Dinge zusammen.
"Wohin gehen wir?"
"In die Shadow Lands."
Weiße Feder zuckte zusammen. "Dort gibt es Geister."
"Ja, aber es sind gute Geister und sicher findet ihr dort auch die Geister eurer Eltern."
"Und von Francis?", fragt Weiße Feder.
"Ja, auch den von Francis."
"Dann wollen wir aufbrechen. Wir nehmen auch Husky mit, damit er wieder bei Francis sein kann."
"Wir müssen vorsichtig sein, damit uns keiner entdeckt. Ich hole die Pferde und ihr kommt an den Whapiti Felsen, dort treffen wir uns. Sollte euch jemand ansprechen, so sagt, ihr geht noch Holz für die Nacht sammeln. Und verbergt eure Ausrüstung unter der Kleidung."
Jeder stopfte sich etwas Trockenfleisch und einen leeren Wasserschlauch unter die Kleidung, dann liefen sie davon, die Kinder direkt zum Felsen, Blauer Vogel einen Bogen beschreibend zur Weide.
"Was tut ihr hier?"
"Wir sammeln Holz für die Nacht."
"Das fällt euch aber spät ein, kommt mal her. Was habt ihr denn da unter eurer Kleidung? Ich bringe euch besser zu Lauter Donner, da stimmt doch etwas nicht."
"Nein, nein, es ist alles in Ordnung. Lass uns bitte gehen." Weiße Feder wand sich, aber sie konnte dem starken Griff des jungen Jägers nicht entkommen. Unter Schreien zog und schob er sie zum Hogan ihres Onkels. Kleiner Wolf blieb nichts anderes übrig als zu folgen. Er konnte seine Schwester doch jetzt nicht im Stich lassen. Lautlos verschwand eine junge Frau in Männerkleidung hinter dem Whapiti Felsen. Sie führte drei Pferde mit sich. Hier konnte sie nicht mehr helfen. Sie musste allein in die Shadow Lands aufbrechen. Nur von dort war noch Hilfe zu erwarten.
"Wohin wolltet ihr?" Lauter Donner sah die Kinder seines Bruders streng an.
"Holz sammeln für die Nacht."
"Mit Proviant eine ganze Woche?"
"Tauender Schnee ist weg."Ein junger Diné stand vor der Hütte des Häuptlings.
Lauter Donner wusste, dass das Pferd seiner Nichte ein weißes Brandzeichen trug.
"Die Kinder brachten noch zwei andere Pferde mit. Auch die sollen verschwinden, falls das nicht schon geschah."
Der junge Indianer verstand seinen Häuptling. Es durfte keine Pferde mit Brandzeichen der Weißen im Reservat geben. Doch Lauter Donner dachte weiter. Sie wollten die Kinder. Die Pferde waren nur ein Vorwand. Ich muss ihnen die Kinder bringen, dann wird Frieden bleiben. "Wo wolltet ihr denn nach Holz suchen?", fragte der Häuptling seine ängstlich blickende Nichte.
"Am Whapiti Felsen."
Weiße Feder erkannte nicht die List ihres Onkels.
"Und habt ihr genug Holz gesammelt?"
"Nein."
"Worauf wartet ihr dann noch. Auf zum Whapiti Felsen. Und kommt mir nicht ohne ausreichend Holz zurück."
Die Kinder frohlockten. Lauter Donner war doch ihr gütiger Onkel. Er wusste sicher von ihren Fluchtplänen. In seinen Anweisungen sahen sie eine Bestätigung ihres Vorhabens. Hoffentlich konnten sie Blauer Vogel noch einholen.
Schlaftrunken kamen die Soldaten aus dem Zelt. Lauter Donner gebot ihnen zu schweigen.
"Ihr hattet recht mit den Kindern. Sie sind geflohen. Sie wurden zuletzt am Whapiti-Felsen gesehen. Ich zeige euch die Stelle."
Die Soldaten waren hellwach. Hatte man sie betrogen? Sie mussten die Gören finden, sonst würde ihnen der Colonel die Hölle heiß machen.
"Man sieht noch ihre Spuren." Lauter Donner deutet auf den Boden.
"Da sind auch Abdrücke von Pferdehufen. Trotz Dunkelheit müssen wir ihnen nach. Ich danke dir für deine Kooperation."
Lauter Donner entfernte sich schnell und ohne bemerkt zu werden. Er opferte ein Stück seiner Seele, um sein Volk zu retten. Schwer wog die Last der Verantwortung auf seinen Schultern.
"Wo ist nur Blauer Vogel?"
Weiße Feder war den Tränen nah. Ihre Beine wollten sie kaum mehr tragen.
"Sie ist wohl geritten. Da holen wir sie nie ein."
Auch Kleiner Wolf spürte Verzweiflung in sich aufsteigen.
"Ich kann nicht mehr. Lass uns den Großen Geist anrufen, damit er Blauer Vogel zurückschickt, oder Vater."
"Meinstdu Francis? Wie soll ein Weißer den Großen Geist hören."Kleiner Wolf spuckte auf den Boden. Sie waren einfach davongelaufen. Zurück konnten sie nicht. Er hatte auch nur eine vage Vorstellung, wo die Shadow Lands lagen. "Lass uns hier ein Versteck suchen. Wir schlafen etwas und gehen morgen weiter. Wir finden die Shadow Lands." Er sprach mit solcher Überzeugung, dass seine Schwester keinerlei Zweifel an seinen Worten hegte. Ihr großer Bruder würde den Weg finden. Und ihr Vater? Natürlich kann er den Großen Geist hören. Bald werden sie wieder zusammen sein. In einem Gebüsch gut verborgen schliefen sie, wie junge Hunde aneinandergekuschelt.
"Die Spur der Pferde läuft weiter, aber die Fußabdrücke gehen nach rechts." Der Soldat war ein ausgezeichneter Fährtenleser. Nicht umsonst hatten ihn seine Kameraden vorausgeschickt. Während einer von ihnen bei den Pferden blieb, folgten die drei anderen den Fußspuren.
"Da sind sie."
Der Kampf war von kurzer Dauer, die körperliche Überlegenheit der Soldaten einfach zu groß. Bald fixierten feste Stricke die Arme der Kinder auf deren Rücken. Verzweifelt stolperten sie, von den Soldaten angetrieben, aus dem Gebüsch.
"Sam und Jim, ihr nehmt je eines der Kinder vor euch aufs Pferd. Wen sie davonlaufen, seid ihr verantwortlich." Dann baute sich der Soldat vor seinen kleinen Gefangenen auf. "Hey ihr beiden, versteht ihr mich?"
Kleiner Wolf nickte.
"Wenn ihr versucht zu fliehen, müssen wir euch erschießen. Sag das auch deiner Schwester."
"Wir sollten sie einfach an die Pferde binden."
"Sam, das sind doch Kinder und wir sind Soldaten. Hast du kein Ehrgefühl?"
Doch auch den anderen Soldaten war Sicherheit wichtiger als Ehre. So fanden sich Kleiner Wolf und Weiße Feder ein zweites Mal in ihrem Leben auf ein Pferd gebunden. Gäbe es je eine Gelegenheit, sie würden diese Weißen umbringen. Kochend vor Wut aber letztlich hilflos ritten sie ohne Chance zu entkommen in die Nacht.
"Eine Frau mit 3 Pferden nähert sich unserem Dorf."
Schneller Hase hatte seinen Beobachtungsposten verlassen, um Meldung zu machen.
"Wir scheinen in letzter Zeit vermehrt Besuch zu bekommen. Was hast du genau gesehen?"
Weißer Schatten trat auf den Platz vor ihrem Zelt.
"Sie sieht aus wie eine Indianerin. Sie reitet ein schönes braunes Pferd und führt ein braunes Pony mit weißen Flecken und einen Schimmel mit sich."
Die Tiere kenne ich, aber dazu gehörten zwei Kinder. Weißer Schattens Neugier war geweckt. "Lass uns nachsehen. Wie lange brauchen sie bis zu den Shadow Lands?"
"In 20 Minuten sind sie da, wenn sie nicht plötzlich schneller wurden. Kleiner Falke beobachtet sie. Er kann uns berichten."
"Dann lass uns gleich aufbrechen. Wir wollen sehen, was wir heute für eine Überraschung erleben, auch wenn es keine gute sein sollte."
Mit raschem Schritt gingen Weißer Schatten und Schneller Hase Richtung Norden. Bald erreichten sie den Beobachtungsposten.
"Sie ist nicht viel näher gekommen. Sieht aus, als will sie rasten."
Weißer Schatten sah angespannt in die Tiefe. Die junge Frau war ihr bekannt. Aber kann das sein? Wie sollte Blauer Vogel hierher kommen? Sie hat doch niemals freiwillig die Reservation verlassen. Aber sie muss es sein. Wer sollte sonst Husky und Große Wolke hierher bringen? Und das Pony ist Tauender Schnee, das stand außer Frage. Aber Vorsicht blieb geboten. Es konnte sich um eine Falle handeln. Die Grauen Wölfe waren nicht nur den Weißen ein Dorn im Auge.
"Ich muss hinunter. Sollte es sich um eine Falle handeln, warnt die anderen und flieht in die Höhlen. Kümmert euch dann nicht um mich."Langsam schob sich Weißer Schatten von der Felsenkante zurück, erst dann erhob sie sich und schlich geschmeidig wie eine Katze gen Tal. Ihre beiden Begleiter hatten den Eindringling stets im Blick.
Es dauerte gut eine halbe Stunde, bis Weißer Schatten am Grund der Schlucht auftauchte. Die Fremde schien das nicht zu bemerken. Schneller Hase gab ein Handzeichen. Keine Gefahr, bedeutete es. Mit wenigen Sätzen erreichte Weißer Schatten ihr Opfer und warf es zu Boden. "Blauer Vogel?"
"Weißer Schatten?"
"Meine Schwester!"
"Wie froh ich bin, dich gefunden zu haben. Ich ritt den ganzen Weg ohne Pause."
"Kommst du allein? Bist du sicher, dass dir niemand gefolgt ist?"
"Ich habe niemanden bemerkt. Lauter Donner war viel zu sehr mit sich beschäftigt. Er wird mich nicht so schnell vermissen und wer soll sonst schon nach mir suchen?"
"Wir müssen dennoch sicher gehen, nicht gesehen zu werden. Hier ist kein guter Platz zum rasten. Hinter dem Felsvorsprung findet sich eine Höhle, groß genug für drei Pferde. Und zwei dicke Frauen passen auch noch hinein. Von dort aus haben wir einen guten Überblick. Wenn die Luft rein ist, nehme ich dich morgen mit ins Dorf."
Weißer Schatten gab ihren beiden Begleitern Signale. Alles in Ordnung sagten die Handzeichen. Blauer Vogel wollte gleich weitersprechen, aber Weiße Feder legte ihr die Hand auf den Mund. "Lass uns erst in Sicherheit sein. Ich ahne schon, was du mir zu sagen hast."
Wortlos folgte Blauer Vogel ihrer Halbschwester. Erst jetzt, wo sie zur Ruhe kam, ergriff die Angst Besitz von ihr. Die bisherigen Ereignisse hatten sie mehr instinktiv denn rational handeln lassen. Jetzt aber durchströmten Schauer ihren Körper. Dennoch zwang sie sich den Schritt der Schwester zu halten. Der Weg zu Rosenbergs Hole kam ihr endlos vor. Als sie schließlich in der Höhle ankamen, fühlte sie sich geborgener aber nicht sicher. In so einem Labyrinth wohnten bestimmt Geister. Na gut, Weißer Schatten war eine große Zauberin. Aber würde sie ausreichenden Schutz bieten können? Blauer Vogel schwankte zwischen Hoffen und Bangen.
"Du zitterst ja am ganzen Körper. Hier sind wir in Sicherheit. Beruhige dich erst einmal, dann kannst du erzählen."
Blauer Vogel atmete mehrfach langsam und tief. Sie fühlte die Kraft des Geistes der Höhle. Er nahm von ihr Besitz und stärkte sie. Hab keine Angst kleines Kind, schien er zu sagen. Ich kenne deine Geschichte. Du hast großen Mut gezeigt. Deine Mutter wäre sehr stolz auf dich.
"Soldaten kamen ins Reservat. Sie sagten, Kleiner Wolf und Weiße Feder seien Pferdediebe und müssten deshalb in ein Internat. Ich wollte mit ihnen fliehen, aber sie wurden entdeckt. So konnte ich nur mit den Tieren entkommen."
"Du hast großen Mut bewiesen. Du bist wahrhaft eine Tochter unserer Mutter. Hast du gesehen, was mit den Kindern geschah?"
"Ich weiß es nicht. Als sie entdeckt wurden, bin ich geflohen. Ich hatte solche Angst."
"Du hast alles richtig gemacht. Es hätte keinem genützt, wärest auch du entdeckt worden. Ruh dich erst einmal aus. Wenn sich bis morgen kein Verfolger blicken lässt, nehme ich dich mit in mein Dorf. Trink einen Schluck, dann leg dich schlafen. Um die Tiere will ich mich schon kümmern."
Beim ersten Sonnenstrahl weckt Weißer Schatten ihre Schwester sanft. "Na du kleiner Langschläfer, Zeit fürs Frühstück."
Blauer Vogel war alles andere als hungrig. Mit Mühe schlang sie ein paar Brocken Fladenbrot hinunter, dann stand sie auf und machte sich daran ihr Pferd zu satteln.
"Du hast es ja sehr eilig, aber wir können beruhigt aufbrechen. Es ist dir niemand gefolgt. In deinen Adern fließt wahrlich das Blut unserer Vorfahren. Was hätte aus dir alles werden können. Aber was bis jetzt nicht ist, kann ja später immer noch sein."Weißer Schatten war glücklich. Ein Mitglied ihrer Familie kam zu ihr. Sie rechnete längst nicht mehr damit, sie, die Ausgestoßene, der Bastard. Francis wird staunen, wenn Husky zurückkommt, dachte sie. Einem Mann das Pferd wegzunehmen ist ja fast so, als nimmt man seinen, sie sprach das Wort auch in Gedanken nicht aus sondern lächelt nur, weg. Weißer Schatten fühlte ein Kribbeln im ganzen Körper, Vögel sangen und ein angenehmer Schauer kroch über ihren Rücken. Das Schicksal der Kinder, es wird sich schon finden. Jetzt ist Blauer Vogel hier. Das war nicht im Traum zu erhoffen.
"Hast du Amadahy gesehen?"Weißer Schatten freute sich so sehr über das Wiedersehen, dass sie ganz vergaß Blauer Vogel vorzustellen.
Schneller Adler schüttelt den Kopf. "Er ging schon früh aus dem Lager. Ich glaube, er will sich noch mal die Stelle für unsere erste Fluchtbrücke ansehen. Es war eine hervorragende Idee ihn in die Planung einzubeziehen. Seine Auffassungsgabe ist für einen Weißen sehr gut, und vom Brückenbau versteht er was. Aber du hast einen Gast mitgebracht."
"Verzeih mir, ich bin vor Glück ein bisschen durcheinander. Das ist meine Schwester Blauer Vogel, die tapferste Frau der ich in letzter Zeit begegnet bin."
Dann drehte sie sich zu ihrer Schwester."Und das ist Schneller Adler, der größte Krieger in weitem Umkreis."
Schneller Adler machte eine verlegene Geste, aber noch verlegener wurde er, als ihn der Blick der unbekannten jungen Frau traf. Es gibt sie doch, die Liebe auf den ersten Blick, dachte Weißer Schatten. Nur langsam gewann Schneller Adler die Fassung zurück. Seine Worte klangen recht unbeholfen. "Ich heiße dich in unserer Gemeinschaft willkommen. Was mein ist, sei auch dein."
"Ich danke dir großer Krieger Schneller Adler."
"Da wir auf Amadahy noch warten müssen, sollten wir uns die Geschehnisse im Reservat ganz genau erzählen lassen. Kümmer’ dich bitte um die Pferde."Weißer Schatten winkt einen Jungen heran. "Gehen wir in mein Zelt, wir müssen nicht das ganze Dorf in Aufruhr versetzen."
Auf weichen Fellen nahmen alle drei Platz. Mit einer einladenden Handbewegung forderte Weißer Schatten die Schwester auf zu sprechen. "Du hast das Wort."
Blauer Vogel begann zunächst stockend, dann aber immer engagierter zu reden, so als erlebte sie alles noch einmal. Sie berichtete von den Vorwürfen der fremden Männer, davon, dass Lauter Donner in großer Sorge um sein Volk war, dass die Kinder ins Internat kommen sollten, dass sie selbst mit den gebranntmarkten Pferden und den Kindern fliehen wollte, dass die Kinder entdeckt wurden und sie schließlich allein gehen musste. Hastig kamen ihr die Worte. Weißer Schatten versuchte zu beruhigen. "Ja, mein Bruder trägt eine große Verantwortung. Ich bin nur eine dumme Frau und verstehe nichts von Politik. Aber ich werde nicht zulassen, dass zwei vielversprechende Mitglieder meiner Familie der weißen Gehirnwäsche unterzogen werden. Und ich kenne noch jemanden, der in die beiden total vernarrt ist und sein Leben einsetzen wird sie zu befreien."
Würdevoll drehte sie sich zu Schneller Adler. "Heute wird ein Tag großer Entscheidungen sein. Versuche Amadahy zu finden. Mit Sonnenuntergang soll der Ältestenrat zusammentreten. Nimm bitte Blauer Vogel mit, damit sie ihr neues zu Hause kennen lernen kann."
Weißer Schatten lächelte vielsagend. Ihr waren die Gefühle des langjährigen Freundes nicht verborgen geblieben. So leicht kann man einem Mann den Kopf verdrehen, dachte sie, aber mir wird eine schwere Entscheidung abgenommen. Ich werde mit Amadahy ausziehen und seine, vielleicht unsere Kinder retten.
Den ganzen Tag sann Weißer Schatten nach, wie man die Kinder finden und ihren Entführern entreisen könne. Es gab nur einen, der helfen konnte, Nevada Johns. Lange hatte sie sich diesem Mann verweigert. Er war ihr Vater, aber er stürzte ihre Mutter ins Unglück. Er hatte die Ehre ihres Stammes befleckt. Aber sie war das Ergebnis seiner Tat. Ohne ihn wäre auch sie nicht. Ihre Mutter liebte ihn. Nachdem er aus dem Reservat verstoßen wurde, blieb sie ihrem Mann Springender Elch körperlich treu, Blauer Vogel war das späte Ergebnis, aber ihr Herz gehörte einem anderen. Sie starb als Blauer Vogel sieben Jahre alt war, gab dem Mädchen aber alle Liebe, die sie ihrer anderen Tochter nicht zukommen lassen durfte.
Ein milder und windstiller Abend brach an. Der Ältestenrat saß um den großen Versammlungsstein. Obwohl noch immer ein Fremdling, durfte auch Amadahy teilnehmen. Wie groß war seine Freude, den treuen Freund - Husky - wieder umarmen zu dürfen. Auch das Tier wich nicht von seiner Seite. Erst der abendliche Hunger und die Nähe seiner Artgenossen lenkten es schließlich ab. Jetzt stand es friedlich auf der Weide.
"Ihr habt gehört, was Blauer Vogel zu berichten hatte. Wir sind das freie Volk der Grauen Wölfe. Wir haben unsere angestammten Gemeinschaften verlassen, um in Einklang mit dem großen Geist und in der Tradition unserer Vorfahren zu leben. Vielen von uns ist Unrecht geschehen und viele verdanken ihre Freiheit anderen Menschen. Jetzt sind zwei Kinder in Gefahr. Es sind die Adoptivkinder unseres Freundes Amadahy. Wir können nicht erlauben, dass die weißen Bestien ihre Seele rauben. Es ist unsere Pflicht Kleiner Wolf und Weiße Feder zu retten."
"Das ist unsere Pflicht."
"Wir werden ihre Entführer finden und ihnen die Beute entreisen."
"Wir sollten gleich losziehen."
"Lauter Donner muss uns sagen, wohin die Kinder gebracht wurden."
"Lauter Donner ist ein Verräter. Er muss bestraft werden."
Die Ältesten waren sich einig. Am liebsten wären sie sogleich aufgebrochen, um das Unrecht zu beseitigen. Doch Weißer Schatten bat um Geduld. "Liebe Brüder, ihr nahmt mich vor Jahren in eure Gemeinschaft auf. Damals waren wir noch wenige, aber unsere Zahl wuchs schnell. Ihr habt das Unmögliche möglich werden und euch von einer Frau führen lassen. Ich glaube, ich war euch immer eine gerechte Anführerin und habe die Kraft, die mir der große Geist gab, stets für das Wohl unserer Gemeinschaft eingesetzt. Ich danke euch, dass ihr Amadahy und mir beistehen und unsere Kinder befreien wollt. Aber wir dürfen unser Werk nicht gefährden. Wir müssen auch zukünftig Heimat der Ausgestoßenen sein. Wir müssen unser Tal sichern. Die Fluchtbrücken in die unzugänglichen Felsen und zur Oase des Friedens sind geplant und müssen jetzt gebaut werden. Wir können auch nicht mit mehreren duzend Kämpfern losziehen und Krieg gegen die Weißen führen. Wir sind keine Selbstmörder. Nein, Amadahy und ich gehen allein. Nur mit List können wir die Kinder finden und befreien. Wir brechen in drei Tagen auf. Und seid versichert, unsere eigenen Eltern würden uns nicht erkennen. Aber rüstet euch für den Tag, an dem wir zurückkommen. Und passt gut auf Tauender Schnee auf, denn ich bin mir sicher, Weiße Feder wird das Pony wohlbehalten von euch fordern."
Alle lachten.
"Du hast weise gesprochen große Schwester. Wir werden dein Werk bewahren und fortsetzen. Und du wirst stolz auf uns sein, wenn du zurückkehrst. Aber wer soll dich vertreten? Wer soll unserer Anführer sein in deiner Abwesenheit." Der Älteste sah fragend in die Runde.
"Es ist an euch dies zu bestimmen. Jeder von euch wäre geeignet. Aber bedenkt, dass ein Anführer die Last aller tragen und seine eigenen Wünsche zurückstellen muss. Jeder von euch soll mir bis morgen einen Namen nennen. Ich werde eure Wahl respektieren."
"Liebe Schwester", hob der Älteste erneut an. "Wir müssen nicht bis morgen warten. Wir sind uns seit langem einig. Während deiner zahlreichen Alleingänge ins Land der Weißen war er stets unser guter Führer. Wir schlagen Schneller Adler vor."
"Eure Wahl zeugt von Weisheit und Verstand. So trete den vor Schneller Adler."
Würdevoll trat der Aufgerufene in den Kreis der versammelten Wölfe.
"Mit der Macht, die mir der Große Geist gegeben hat, berufe ich dich zum Führer der Grauen Wölfe. Alle Geister die mir zu Diensten waren, will ich auf dich verpflichten. Da ich aber weiß, dass sie im Gespräch mit Männern sehr zurückhaltend sind, stelle ich dir Blauer Vogel an die Seite. Sie wird ergründen, was uns die Ahnen raten. Behandle diese Frau mit größtem Respekt. Sie sei dir gleichgestellt, denn nur gemeinsam werdet ihr die große Aufgabe lösen."
Schneller Adler blieb äußerlich ruhig, aber sein Herz überschlug sich und das Gefühl größten Glücks durchströmte seinen Körper. "Meine Schwester, große Führerin Weißer Schatten, liebe Brüder, ich bin mir der großen Ehre bewusst und ich will euch stets umsichtig und mutig vorangehen. Ich will euren Rat hören und beherzigen und die Freiheit verteidigen. Wir sind die Grauen Wölfe, frei im Geist und frei im Herzen, lieber tot als versklavt."
"Lieber tot als versklavt", antwortete es wie aus einem Munde.
Die Versammlung löste sich auf. Weißer Schatten bedeutete nur Francis zu bleiben. "Lieber Francis, Der vom Hund gerettete, mein liebster Amadahy, ich habe dich in unseren Kreis aufgenommen. Ich habe versucht, deinen Übermut zu zähmen und dich gelehrt, die Dinge zu nehmen wie sie sind. Ich weiß, du hast uns nur eine begrenzte Zeit gegeben. Ich weiß, du hättest irgendwann deinerinneren Stimme folgen und deine Kinder heimholen müssen. Jetzt hast du ihnen ein zu Hause aufgebaut. Jetzt bist du Teil unseres Stammes. Und jetzt hat der Große Geist die Zeit bereitet deinen Schwur zu erfüllen. Wir beide werden losziehen und nicht zurückkommen, bis wir Kleiner Wolf und Weiße Feder ihren Peinigern entrissen haben."
Sie lagen sich in den Armen, ein weißer Exverbrecher, bis vor einigen Monaten mit Indianern vertraut wie mit Stubenfliegen und der Bastard, Tochter einer verbotenen Beziehung zwischen einem Weißen und einer Diné, ehemalige Führerin einer Gruppe Vogelfreier. Diese Nacht war ihre Nacht. Geschlafen, nein geschlafen haben sie nicht, aber sie waren am nächsten Morgen so frisch und munter wie selten.
Der nächste Tag verging mit Reisevorbereitungen.
"Du musst dich erneut von Husky trennen. Das Tier ist zu bekannt. Wir wollen nicht riskieren, dass deine Wiederauferstehung von den Arrow Boys bemerkt wird."
Weißer Schatten hatte recht. So schwer es Francis fiel, er musste seinen gerade wiedergefundenen Freund erneut verlassen. Das Pferd würde es gut haben bei den Grauen Wölfen. Und wir sehen uns wieder, mit Sicherheit. Davon war zumindest Francis überzeugt. Für das bevorstehende Abenteuer wählten sie zwei schöne dunkle Stuten. Shenandoah und Amitola waren ihre Namen. Francis und Weißer Schatten wussten, dass sich Indianer nicht frei bewegen konnten. Sie einigten sich darauf, als Mönche verkleidet zu reisen.
Bruder Jakob sah absolut echt aus, nachdem das Brusttuch straff gebunden und das lange Haar unter der Kutte verborgen waren. Für Francis fand sich der Name Ismail. Dies alles entstand aus einem Zufall heraus. Vor Jahren verirrten sich vier Missionare in die Shadow Lands. Die Grauen Wölfen entdeckten sie erst in der unumkehrbaren Phase des Verhungerns. Ihr Geleitbrief, das Datum wurde mit einfachen Mitteln unleserlich gemacht, zwei ihrer Namen und die entsprechende Kleidung sollten jetzt eine gute Tarnung sein. So würden die ehrwürdigen Brüder noch ein wahres Werk der Menschlichkeit bewirken. Etwas unpassend versteckten sowohl Francis als auch Weißer Schatten einen Revolver unter der Kutte. Wenn nötig, wären sie bereit zum Erreichen ihrer Ziele in alte, wenig fromme Verhaltensmuster zurückzufallen.
"Blauer Vogel, meine Schwester, du trägst jetzt die Verantwortung der Seherin. Unsere Mutter hat auch dich gelehrt, die unhörbaren Worte der Vorfahren zu vernehmen. Sei klug, wenn du davon Gebrauch machst. Falls du konkrete Dinge voraussagst, sei absolut sicher, dass sie geschehen werden. Sonst bleibe in deinen Andeutungen vage und lass verschiedene Möglichkeiten offen. Lenke die Männer mit Klugheit und Liebe. Sie sind stark aber einfach im Geist. Sie wollen oft Gutes aber es fehlt ihnen an Geduld. Und sie lieben das Risiko ohne sicheren Gewinn. Es hängt viel von dir ab. Schneller Adler ist ein guter Mann. Sein Geist ist durchaus weise. Es wird dir möglich sein ihn zu lenken. Erhebt euch nicht über die anderen. Seid wie ein Wolfsrudel, in dem jeder seinen Platz kennt und jeder mit seinen Fähigkeiten zum Erfolg aller beiträgt. Sollten wir nicht zurückkommen, so bewahrt uns in euren Herzen. In den Augen unserer Pferde werdet ihr das Feuer unserer Sehnsucht nach euch sehen. Aber ich bin sicher, wir werden uns wiedersehen."
Die beiden Schwestern umarmten sich lange. Blauer Vogel befand sich in einem Zustand der Irrealität. Die letzten Tage enthielten mehr Leben als ihre gesamte bisherige Zeit. Und doch hatte sie alle Schwierigkeiten gemeistert. Sie war daran nicht zerbrochen. Weißer Schatten wusste um die Kraft ihrer Mutter, die offensichtlich beide Töchter geerbt hatten.
Am nächsten Morgen ritten zwei ehrwürdige Mönche aus den Shadow Lands in die Wüste. Einer hatte etwas Weibliches an sich. Man konnte ihn exotisch schön nennen. Es war nicht auszuschließen, dass in seinen Adern spanisches Blut floss. Aber unter der weiten Kapuze erkannte man sein Gesicht nur schwer. Sein Begleiter hatte eine deutlich kräftigere Statur. Man hätte annehmen können, dass er durchaus in weltlichen Dingen erfahren war und die Kutte erst spät überzog, vielleicht um Buße zu tun und seinem bisherigen Leben abzuschwören. Aber was sind schon Äußerlichkeiten. Manche Menschen orientieren sich daran, aber die Wahrheit können sie daraus nicht ablesen. Doch Menschen waren ohnehin selten in der Wüste. Nur nahe Little Rock trafen die beiden Mönche auf eine Familie mit Kindern, die sie ehrerbietig grüßten. Francis erkannte Jason, den Schmied und seine Frau. Dies war gleich eine Probe ihrer Tarnung.
Nevada Johns spannte die Esel von seinem Karren. Da erblickte er in der Ferne zwei Reiter. Man hat schon lange keine Ruhe mehr. Ich will mich besser sputen und in meine Rolle zurückschlüpfen, dachte er und zog sich die gut gepflegte Reisekleidung vom Körper. Das Ergebnis seiner Handelsgeschäfte war auf mehrere schwere Beutel verteilt, die in seinem Stollen ein sicheres Versteck fanden. Die Leute meinen ja, ich hole das Gold aus dem Stollen. Zum Glück ahnt keiner, dass ich es hineintrage. Eines Tages ist mein Werk vollbracht. Dann werde ich weit in den Norden ziehen und ein gutes Leben führen. Vielleicht schreibe ich meine Geschichte auf. Man wird sie für erfunden halten. Die Spiele des Lebens erscheinen denen, die sie nicht selbst erfahren, oft als reine Fantasieprodukte. Er wollte gerade an die Höhepunkte der letzten Wochen denken, als es an der Stollentür klopfte.
"Hey, ist jemand zu Hause und gewährt zwei müden Dienern des Herrn Unterkunft für eine kurze Rast?"
"Die Stimme kenn ich." Nevada öffnete die Tür, aber er traute seinen Augen nicht. "Verzeiht mir, ehrwürdige Brüder, ich hätte euch um ein Haar mit sehr weltlichen Bekannten verwechselt, aber ihr habt nur die Stimme gemeinsam. Ich kann nicht viel bieten, doch das Wenige sei eures."
Francis zog die Kapuze vom Kopf.
"Hol mich doch der Teufel. Francis du alter Höllenhund, du hast deinen armen Freund aber wahrlich hinters Licht geführt. Wie kommst du denn zu diesem Aufzug. Hast du endlich deine Missetaten bereut und willst fortan Buße tun? Es wäre ein Verlust für diese Welt."
"Sei ganz beruhigt, nichts ist, wie es scheint, aber alles ist gut. Zuerst möchte ich dir jedoch meinen Begleiter vorstellen oder besser meine Begleiterin."
Auch Jakob nahm die Kapuze ab.
"Ich glaube, hier hat die Metamorphose noch besser gewirkt als bei mir." Francis lächelte.
"Kind, Weißer Schatten, meine Tochter, du bist zu mir gekommen." Nevadas Stimme versagte. Mit Tränen in den Augen lagen sich Vater und Tochter in den Armen.
"Wie sehr habe ich diesen Augenblick ersehnt, und wie sehr habe ich ihn gefürchtet."
"Vater", mehr konnte Weißer Schatten nicht sagen.
Nur langsam lockerten Vater und Tochter ihre Umarmung.
"Bitte Amadahy, versorge du die Pferde. Hier fangen Wunden an zu bluten, die über Jahre nur dürftig verschlossen waren."
In ihrem Herzen gebraucht sie meinen Indianernamen, dachte Francis und überließ Vater und Tochter ihrer Freude und ihrem Schmerz. Die Pferde bedurften seiner ganzen Aufmerksamkeit. Shenandoah und Amitola waren hungrig und durstig. Francis rieb beide mit Stroh trocken, dann legte er sich neben sie. In diesem Moment kamen Vater und Tochter Hand in Hand aus der Hütte.
"Der Besuch ehrwürdiger Brüder wird mir zur Ehre gereichen. Ihre Pferde dürfen natürlich auf meiner Weide übernachten. Falls sie gesehen werden, kann ich mit Stolz berichten, dass die Franziskaner auf ihrem Weg der Missionierung gerade bei mir Rast machten und den heiligen Geist über meine Hütte kommen ließen."
Nevada lachte. Er und seine Tochter sahen sich wirklich ähnlich. Nie hätte man in der stolzen Frau, genannt Weißer Schatten, das kleine Mädchen gesehen, das jetzt neben dem um Jahre verjüngten drahtigen Mann ging.
"Leider müsst ihr eure Tarnung selbst hier aufrechterhalten. Man weiß nie, wer kommt. So bleibe auch ich der alte Einsiedler."
Nevada fiel demonstrativ in sich zusammen. So sah er aus wie immer.
"Aber es wird die Zeit kommen, wo wir uns nicht mehr verstecken müssen. Dann darf ich euch überall meine Kinder nennen."
"Bis dahin müssen wir sehr vorsichtig sein." Bei diesen Worten setzte Weißer Schatten erneut die Kapuze auf und wurde zu Jakob. Sie hatte sich bereits wieder komplett unter Kontrolle. Was für eine gute Schauspielerin an ihr verlorengegangen ist, dachte Francis, während sie gemeinsam in Nevadas Hütte gingen. Auch Francis spielte seine Rolle als Bruder Ismail weiter.
"Ihr habt da eine gewagte Mission vor euch. Colonel Jackson sah sich gezwungen, ein Exempel zu statuieren, zu groß wurden die Spannungen zwischen Rot und Weiß. Er ist ein fähiger und dem Frieden verpflichteter Mann, aber er muss seine Rolle spielen. Dies gilt auch für Lauter Donner. So waren die Kinder das Bauernopfer in einem viel größeren Spiel. Sie werden es wohl nie verstehen, aber sie haben den fragilen Frieden in dieser Region ein Stück sicherer gemacht. Soweit ich weiß und ich weiß es aus bestens informierten Kreisen, wurden bisher alle Indianerkinder aus dem Canyonland in das Internat, Umerziehungslager wäre passender, von New Luton gebracht. Die Reise dahin ist beschwerlich. Ihr müsst schon eine sehr gute Geschichte aufbieten, um Kontakt zu den Internatsinsassen zu bekommen. Aber ich sehe in euch eine große Liebe und einen wachen Geist. Deshalb ist mir nicht bange, dass euer Plan gelingen wird. Ich rüste euch für die Reise angemessen aus. Mir stehen einige finanzielle Mittel zur Verfügung. Natürlich sollt ihr den Menschen Gottes Segen bringen, aber ihr wisst wie ich, dass auch andere Segnungen mitunter hilfreich sind."
Kein Wort fiel über Francis Gefangenschaft und waghalsige Rettung. Nevada war froh darüber. Gern hätte er so vielen Menschen Leid erspart, aber das Leben folgte nicht seinen Wünschen. Oft hieß es die Wünsche dem Leben anzupassen.
Die frommen Brüder blieben eine Woche bei Nevada. Vater und Tochter mussten sich viel erzählen. Es gab Zwänge in der Vergangenheit, die ein gemeinsames Leben unmöglich machten. Inzwischen hatten beide ihre Nische gefunden, aber der Geist der Familie blieb lebendig. Francis wusste sehr wenig von Nevada, nur dass er lange bei den Diné lebte. Sein jetziges Tun war mehr Schein als Realität. Er besaß offenbar beste Verbindungen zur militärischen Führung dieser Region, aber auch bei den Indianern schien er nicht mehr in Ungnade zu liegen. Egal, er ist uns ein wahrer Freund, dachte Francis. Er hat, wenn auch auf abenteuerlichem Wege, meine Freiheit gerettet. Es kam vieles anders, als er hoffte und plante, aber er stellt sich weiterhin in den Dienst der Menschlichkeit und er hat auf diesem Wege auch ein neues Glück für sich gewonnen. Ein Teil seiner Familie kam zurück sich von ihm helfen zu lassen. Wen interessierte es da, dass er in einer ärmlichen Hütte lebte und sich anscheinend wenig Gedanken um sein Äußeres machte. Francis fühlte sich dem Einsiedler tief verbunden.
New Luton lag bei komplikationslosem Reiseverlauf fünfzehn Tagesritte entfernt. Francis und Weißer Schatten oder besser Ismail und Jakob waren gut ausgerüstet. Neben ihren Mönchskutten führten sie für alle Fälle einen Pack weltlicher Kleidung mit sich. Sie wollten ihre Tarnung nur im Notfall opfern, hofften doch beide als Franziskanermönche einen besseren Weg in das Internat zu finden.
Der Abschied fiel kurz aus. Selbst eine so starke Frau wie Weißer Schatten kämpfte mit den Tränen. Nach Jahren traf sie ihren Vater wieder, doch es blieb nur eine kurze gemeinsame Zeit.
"Jakob sei nicht traurig, wenn wir die behütenden Mauern unseres Klosters hinter uns lassen und uns der verdorbenen Welt stellen. Es ist unsere Aufgabe, möglichst viele verirrte Kreaturen auf den Weg des Heils zu führen und sie den bösen Machenschaften des Teufels zu entreisen."
Weißer Schatten lachte schon wieder. "Na du kleiner Teufel, wen sollen wir denn als erstes vor dir schützen? Ein Blick unter deine Kutte würde jedem verraten, welch heidnischer Geist in dir lebt."
"Nun, dann werde ich wohl zunächst mit mir selbst ringen müssen." Francis verstand schon, dass sie nicht nur den Revolver unter seiner Kutte meinte.
Den ersten Tag ritten sie nur durch die Wüste. Die Sonne brannte. Zum Schutz ihrer Pferde wählten sie während der größten Mittagshitze eine kleine Felsengruppe als Rastplatz. Sie ritten lieber bis in die Nacht hinein.
"Bist du glücklich, dass dein Vater uns hilft und du ihm so wieder näher kommst?"
"Ja, sehr glücklich. Ich habe meinen Vater immer geliebt, aber er durfte natürlich nicht öffentlich zu seiner Frau und damit auch nicht zu mir stehen. Mein Stiefvater mied uns, aber nicht er wies uns aus seinem Stamm. Der Regierungsbeschluss über die Rückkehr von Geiseln zwang meinen Vater in die Welt der Weißen zurück. Er wäre sonst bestimmt Diné geblieben. So wurde er von Soldaten abgeholt, arbeitete zunächst auf einer Farm und lebte später als Einsiedler. Da ist aber vieles auch nur Schein. Er soll inzwischen ein hochgeachteter Vermittler zwischen Rot und Weiß sein. Und sein Einkommen entstand weniger aus dem Goldabbau denn aus dem nicht immer legalen Handel zwischen beiden Seiten. So war er auch für mich erreichbar und so konnte er mir Nachrichten überbringen lassen, zum Beispiel den Auftrag, einen kleinen Amadahy zu retten, auch wenn der diesen Namen noch gar nicht trug."
"Dein Vater ist sicher ein unterschätzter Mensch. Meine Rettung blieb aber doch ein ziemliches Vabanquespiel. Es hätte auch gut passieren können, dass dein Hund die Sache überlebt hätte und ich jetzt friedlich im Wüstensand schliefe."
"Amadahy bleibt Amadahy, ihr seid eins und dein Geist hätte in meinem Hund einen würdigen Platz gefunden. Aber es war vorherbestimmt, dass du vom Hunde gerettet wurdest."
"Und natürlich von dir", entgegnete Francis mit verschmitztem Lachen.
"Schau nicht so lüstern auf deinen Glaubensbruder", entgegnet sein Gegenüber ernst.
"Du hast recht. Wir müssen uns unserer heiligen Mission würdig erweisen. Deshalb werde ich dich mit allem Respekt als meinen Bruder behandeln. Aber sei sicher, es kommt die Zeit das Versäumte nachzuholen."
"Ich hoffe das sehr, denn dann wird unsere Mission wahrlich erfüllt sein."
Als die Schatten wieder länger wurden, brachen sie auf. Schweigsam ritten sie hintereinander, sich in der Führung abwechselnd. Francis kannte den Weg nach New Luton gut, hatte er ihn doch als Arrow Boy regelmäßig benutzt.
Weit nach Anbruch der Nacht kamen sie ins Steppenland. An der umgebenden dichteren Vegetation gut erkennbar, sprudelte hier auch in trockenen Jahren stets eine kleine Quelle. Diese war ihr heutiges Ziel. Wie immer wurden als erstes die Pferde versorgt, dann bereiteten die Menschen ihr Lager. Sie waren sicher, dass die Tiere beim geringsten Geräusch warnen würden. Man musste sich im Geist mit ihnen vereinen, dann konnte man sie auch verstehen. So wären weder Francis und schon gar nicht Weißer Schatten auf die Idee gekommen die Pferde durch Fesseln der Beine am Weglaufen zu hindern. Mensch und Tier konnten sich aufeinander verlassen. Eins sein mit allen Lebewesen war ein wesentliches Element im Glauben der Grauen Wölfe. Auch aus diesem Grund brachen sie ehemals aus ihren Stämmen auf. Sie wollten in das natürliche Leben ihrer Vorfahren zurückzufinden.
Früh weckte Jakob seinen Begleiter. "Bruder Ismail es ist Zeit aufzubrechen. Wir wollen die Kühle des Morgens nutzen und den Iliaci-Forst erreichen."
"Bruder Jakob woher hast du ein so gutes Ortswissen?"
"Oh, ich habe mich auf unsere Missionsreise gut vorbereitet, und während ich bei den Wilden auf Genesung wartete, blieb mir nicht verborgen, dass ihre Anführerin oft wochenlang wegblieb und dann immer reich bepackt zurückkam. Sie nannte es Herstellung der Verteilungsgerechtigkeit. Ich würde es aber einfach als Raubzug bezeichnen. Dabei blieb offensichtlich auch das Gebiet um New Luton nicht verschont."
"Bruder Jakob, du hast die Führerin der Wilden zu lange angeschaut. Du siehst ihr schon ähnlich. Ich hoffe nur, diese Meinung wird nicht von ihren ehemaligen Opfern geteilt."
"Keine Angst Bruder Ismail die Opfer oder besser die edlen Spender sahen die Spendensammlerin allenfalls von hinten und in weiter Ferne. Die wenigen anderen können derzeit überhaupt nichts sehen. Unter der Erde ist das Licht zu knapp."
"Mir scheint, wir waren Gast einer fürsorglichen Dame. Da muss ich ja sogar hoffen, dass sie ein bisschen auf dich abgefärbt hat."
Mit diesem scherzhaften Wortwechsel brachen sie auf. Auch der neue Tag führte sie durch selten besuchtes und nicht dauerhaft bewohntes Land. Darauf hatten sie bei der Wahl ihrer Reiseroute geachtet. Dennoch ritten sie still und machten ihre Scherze nur, wenn sie absolut sicher waren ohne Zuhörer zu sein.
Langsam verdichtete sich die Vegetation. Bald tauchten erste Bäume auf. Außer einem sich gemächlich trollenden Coyoten und einigen hakenschlagend davon springenden Kaninchen, von denen eines zu langsam war, begegneten ihnen niemand. So ritten Francis und Weißer Schatten bis zum Abend. Am Ufer eines Baches lagerten sie schließlich. Das zu langsame Kaninchen röstete über einem kleinen Feuer. Gut gesättigt und in froher Stimmung ob des bisherigen problemlosen Verlaufs ihrer Reise zogen die beiden falschen Mönche ihre Kapuzen tief in die Stirn und schmiegten sich eng an die Pferde. Shenandoah und Amitola genossen sichtlich die Liebkosungen, die es zwischen Jakob und Ismail natürlich nicht geben durfte.
"Bist du sicher, dass wir die Kinder im Internat finden?"
"Wenn es so sein soll, wird es geschehen. Sie wurden zumindest dorthin gebracht, da können wir Nevada absolut vertrauen. Sollten sie aus eigener Kraft entkommen sein, werden sie uns finden. Aber ich weiß, es ist sehr schwer der Fürsorge eines Indianer-Internats zu entkommen. Mein Stiefvater genoss ja selbst noch das Vergnügen einer Erziehung in Fort Sumner. Er versuchte dreimal zu entkommen, was lediglich zu mehr Narben an seinem Körper und leider auch an seiner Seele führte. Wir sollten auf alles vorbereitet sein. Unser Geleitbrief wird uns einige Türen öffnen, doch letztlich liegt es an uns glückliche Umstände zu nutzen, sobald sie sich bieten. Wir werden keine Zeit für lange Planungen haben, sondern in der konkreten Situation rasch reagieren müssen."
"No Risk, no Fun. Kennst du ja schon. Alter Wahlspruch der Arrow Boys", sage Francis. Doch sein Lachen klang recht gequält. Auch er wusste, dass es um mehr als Spaß ging. Dennoch überwog die Freude. Sein Leben hatte wieder einen Sinn bekommen. Er war dankbar für diese Chance und wollte sie unbedingt nutzen, auch wenn der Einsatz hoch sein sollte.
Ein kurzes Zucken, ein leises Wiehern, die Unruhe der Pferde riss die beiden Reisenden aus ihrem Schlaf. Aus der Ferne waren Geräusche von Reitern zu vernehmen. Jakob und Ismail machten sich keine Mühe nicht gesehen zu werden. Irgendwann mussten sie ihre Tarnung prüfen und das konnte genauso gut jetzt geschehen.
"Gott zum Gruß ihr heiligen Männer, was hat euch denn in diese Einöde verschlagen?"
Ohne die Antwort auf seine erste Frage abzuwarten, fuhr der Fremde fort. "Habt ihr keine Angst vor wilden Tieren oder schlimmer noch vor den blutrünstigen Rothäuten, mit denen die Regierung ja zunehmend auf Kuschelkurs geht, so dass es immer schwieriger wird, diese Plage auszurotten."
"Der Herr ist mit uns, was soll uns geschehen. Wir reisen in heiliger Mission, um die Wilden auf den rechten Weg zu bringen. Vielleicht müsst ihr sie dann nicht mehr ausrotten."
Francis stellte sich mit leicht gespreizten Beinen vor den Neuankömmling, der mit Gewehr und Revolver bewaffnet abgesessen war. Dessen vier Begleiter blieben auf ihren Pferden. Sie waren bei weitem überlegen, so dass Francis keine Konfrontation aufbauen wollte.
"Du bist offensichtlich nicht von hier", sprach der in einen braunen Ledermantel gehüllte Mann weiter. "Der Wolf bleibt immer ein Raubtier, und wenn du deine Herde schützen willst, musst du ihn erlegen."
"Nun lieber Bruder ich sehe, du bist fest in deiner Meinung. Mögest auch du ein gutes Werkzeug in der Hand des Herrn sein. Seine Wege sind unergründlich, und wir können seinem Tun nur staunend zusehen."
"Staunt lieber nicht zu sehr, sonst staunt ihr noch über die Pfeilspitze, die sich aus eurer Brust herausschiebt. Wo wollt ihr den hin? Wir könnten euch vielleicht Schutz bieten und euren geistlichen Beistand dafür ernten."
"Unsere Mission führt uns nach New Luton. Wir sind vom Orden der Franziskaner auserwählt, dort das heilige Wort zu verkünden."
"Da habt ihr euch ein passendes Ziel ausgesucht. Vergesst die Peitsche nicht, die werdet ihr brauchen. Aber es gibt dort auch gottesfürchtige Frauen und Männer. Ich glaube, man erwartet euch bereits. Seit der alte Pfarrer verstarb, hat sich niemand mehr um das Heil der armen Seelen bemüht." Mit Daumen und Zeigefinger schob der Fremde den Hut aus seinem Gesicht. Seine Haut war von Wind und Wetter gegerbt und lag in tiefen Furchen. "Wir können euch leider auf diesem Wege nicht begleiten. Wir kommen gerade von dort, haben so einen störrischen Indianerbengel wieder abgeliefert, der uns geradewegs in die Hände lief. Jetzt rufen dringende Geschäfte. Alles Gute für eure Mission."
"Alles Gute auch für euch. Der Herr sei mit euch und bewahre euch vor allem Bösen."
Francis Gegenüber lacht dreckig. "Vielleicht sollte er sich erst mal an was Leichterem versuchen." Mit einem "nichts für ungut", saß er auf. Dann verschwand die wilde Truppe gen Westen.
"Hast du das gehört Bruder Jakob? Hier bietet sich vielleicht die erhoffte Chance freien Eintritt in New Luton zu finden. Es ist nicht ungewöhnlich, dass beim Ableben eines Würdenträgers verschiedene Glaubensgemeinschaften versuchen das frei werdende Feld zu bestellen."
"Das Beste wäre, es würde nur einen Bewerber geben."
"Was hast du schon wieder für hässliche Gedanken. Aber auch ich könnte daran durchaus Gefallen finden."
An diesem Abend erreichten die beiden Mönche eine Farm und baten, ermuntert durch die auf dem Weg geprüfte Tarnung, um Nachtlager.
"Wenn ihr euch mit dem Stall begnügt, habe ich nichts dagegen." Der Herr des Hofes führte sie zu einem aus groben Brettern gezimmerten Gebäude. Auf dem Weg brummte er, "es wird meine Seele nicht retten, aber schaden wird es auch nicht."
Knarrend öffnete sich die Stalltür.
"Ihr findet Futter für die Pferde. Für euch bereitet meine Frau etwas. Ihr könnt mir ja noch bei den Schafen helfen. Sie müssen über Nacht auf den Hof. Es treiben sich schon wieder Viehdiebe in der Gegend herum."
Der Bauer war ein stämmiger Mann mit leichtem Bauchansatz und Knollennase. Die Verkleidung seiner Gäste schien ein weiteres Mal zu funktionieren.
"Wir wollen nichts geschenkt haben und helfen dir daher gern auf dem Hof."
"Dann reitet gen Westen. Dort sind unsere Schafe eingepfercht. Ihr findet sie rasch. Es gibt weit und breit keine andere Herde. Wenn ihr das Tor öffnet, laufen die Tiere von allein auf den Hof. Ihr müsst nur ein wenig auf sie achten."
Es kam wie er sagte. Problemlos gingen die Schafe zum Hof. Nach einer Stunde hatten Weißer Schatten und Francis oder besser Jacob und Ismail die gestellte Aufgabe erledigt.
"Ich dachte immer, ihr Heiligen seid faule Schweine, aber es gibt wohl Ausnahmen."
Die Frau des Hofes stützte empört die Hände in ihre Flanken. "Nehmt es einem alten Mann nicht übel, wenn er so gotteslästerlich spricht. Das Leben hat es nicht immer gut mit ihm gemeint."
Der Bauer zog ein säuerliches Gesicht. "Zum Glück habe ich ja dich, Weib. Du redest für mich und biegst alles gerade. Vor allem aber kannst du hervorragend kochen."
Sein Blick wurde überaus milde und man sah, wie ihm das Wasser im Munde zusammenlief.
"So viel können unsere Gäste gar nicht arbeiten, um dich für diese Kunst zu bezahlen. So werden sie hoffentlich ihren Segen auf diesem Haus ruhen lassen und uns in Zukunft vor allem Bösen bewahren."
Das Mahl verlief weitgehend schweigend, und die ehrwürdigen Brüder zogen sich zeitig in den Stall zurück. Am nächsten Morgen stärkten sie sich nochmals beim gemeinsamen Frühstück mit den Farmersleuten. Mochte das Leben auch nicht immer gnädig mit ihnen umgesprungen sein, sie hatten sich in der rauen Schale einen anständigen Kern erhalten und die alten Regeln der Gastfreundschaft nicht ganz vergessen.
Auf dem weiteren Weg kam es noch zu verschiedenen Begegnungen. Die Geschichte der beiden Mönche wurde nie angezweifelt. Weißer Schatten blieb in allem was sie tat sehr zurückhaltend. Wenn sie mit Fremden sprach, dann mit betont tiefer Stimme. Nie nahm sie die Kapuze ab. So war ihr Gesicht stets nur angedeutet zu sehen. Dennoch, die weichen weiblichen Züge des Bruder Jakob wirkten vor allem auf Frauen interessant. So ein schöner Jüngling, zu schade, dass er den weltlichen Freuden entsagte, dachte nicht nur eine. Die Mönche wurden manchmal mürrisch, öfter jedoch zuvorkommend und niemals aggressiv behandelt. So konnten sie schließlich sicher sein eine adäquate Tarnung gewählt zu haben. Schließlich waren sie nur noch zwei Tagesritte von ihrem Ziel entfernt, als sie in einem Gasthof um Unterkunft nachfragten.
"Ich kann euch nur ein gemeinsames Zimmer bieten, aber das dürfte wohl für zwei Diener Gottes kein Problem darstellen. Ein Kollege", der Wirt grinste breit, offensichtlich war sein Glaube wenig gefestigt, "von euch hat bereits Quartier bezogen. Es wird euch sicher freuen ihn zu treffen. Schaut doch einfach an die Bar, inzwischen bereiten wir eure Unterkunft."
Ein Priester in der Bar, das kam Francis doch komisch vor. So musste er alsbald seine Neugier stillen, während Bruder Jakob die Pferde versorgte.
Die Bar war gut gefüllt. Erstaunte Blicke ruhten auf Francis, noch ein Mann Gottes in einem solchen Etablissement, das war schon ungewöhnlich.
"Alkohol und Klosterbrüder, das gehörte schon immer zusammen", rief einer der Gäste und schlug dem neben ihm sitzenden schwarz gekleideten Mann auf die Schulter. "Nicht wahr Herr Pfarrer."
Der so Angesprochene hatte offenbar schon eine schwere Zunge. "Nur ein kleines Schlückchen", gurgelte er.
Francis wusste sofort, dort saß der sogenannte Kollege. Er hatte offensichtlich genug Alkohol in Blut und Hirn, um für jede Hilfe dankbar zu sein.
"Lieber Bruder, sicher hattest du einen schweren Tag und bedarfst jetzt der Ruhe. Lass mich dich auf dein Zimmer bringen. Für morgen soll ja auch noch etwas übrig bleiben."
"Morgen kann uns alle der Teufel holen."
Von den anderen unbemerkt stieß Francis ihm heftig den Ellbogen in den Magen. "Du solltest auf dein Wort achten lieber Bruder, aber du siehst jetzt wohl auch, dass es heute reicht."
Verwundert schaut der als "Herr Pfarrer" Angesprochene auf Francis, ließ sich aber doch zum Gehen bewegen. Offenbar hatte der Stoß sein Denkvermögen wieder angeregt. So schleppte er sich mit Francis tatkräftiger Unterstützung in sein Zimmer.
"Du darfst mich nicht so behandeln. Ich bin der neue Seelsorger für New Luton. Schau, da steht es geschrieben."
Der betrunkene Priester holte ein verknülltes Stück Papier aus seiner Tasche. Darauf standen ein guter Gruß des Bischoffs und die Mitteilung, dass der ehrenwerte Joseph M. Smith zum neuen Seelsorger der Gemeinde von New Luton und geistigen Führer des Indianerinternats bestellt sei.
"Lieber Bruder, hast du dir wirklich überlegt, auf welches Abenteuer du dich einlässt? Hast du schon mal in solch einer Wildnis gelebt? Hast du Erfahrung im Umgang mit Indianern, die dir jeden Moment nach dem Leben trachten können?"
"Mir bleibt keine andere Wahl. Ich stehe leider geistigen Getränken sehr nahe, und so musste ich meine Schäfchen verlassen. Hier kennt mich niemand. Ich will ein neues Leben beginnen. Ich wurde nicht wirklich für den Rock des Pfaffen geboren, aber so war ich wenigstens versorgt. Hätte ich eine kleine Summe verfügbar, würde ich lieber Schafe züchten und eine Familie gründen."
Er wirkte plötzlich erstaunlich nüchtern.
"Ich wusste jedoch nicht, dass New Luton ein solch trostloser Ort in der Wildnis ist, und mit Indianern hatte ich noch nie zu tun. Wie soll ich nur aus dieser Situation herauskommen?"
"Lieber Bruder Joseph, es war offensichtlich der Wille des Herrn, dass wir uns treffen. Er schickt mich wohl dich vor einem großen Unglück zu bewahren. Vor zwei Jahren wählte mich mein Kloster aus den Heiden das Evangelium zu verkünden. Zusammen mit drei Brüdern zogen wir von Mexiko kommend nach Norden. Leider erkrankten wir auf der Reise schwer und mussten uns lange Zeit pflegen lassen. Zwei Brüder starben, wir anderen beiden kamen aber so eben mit dem Leben davon."
Der Franziskaner Ismail half dem Baptisten Joseph die Kleidung abzulegen. Nur in Unterwäsche ließ dieser sich auf sein Bett fallen. Ismail setzte sich neben ihn. "Wir wollen nun nach New Luton ziehen unser Gelübde zu erfüllen. Wir könnten dich entlasten, indem du dich auf die Schafe in der Gemeinde konzentrierst und wir uns mit den Indianern befassen. Wir haben aus Mexiko große Erfahrungen auf diesem Gebiet. Solltest du unserem Orden die Möglichkeit geben in deinem zukünftigen Betätigungsfeld den Heiden das Evangelium zu predigen, so würde dir natürlich auch die großzügig bemessene Spende zustehen, die unser Kloster für die zu betreuende Region gesammelt hat."
Der Mönch holte einen Beutel mit Münzen aus der Kutte. Gieriges Leuchten trat in die Augen des Priesters. "Die Wege des Herrn sind schwer zu ergründen, aber für mich ist das Zeichen eindeutig. Ihr seid gesandt meiner harten Aufgabe zum Erfolg zu verhelfen. Ich nehme euer Angebot sehr gern an. Lasst uns morgen gemeinsam reisen."
Mit traurigem Blick verfolgt er, wie der Beutel wieder verschwand.
"Keine Sorge, du kannst über die Summe frei verfügen. Ich möchte nur nicht, dass du ein Opfer von Räubern wirst. Daher bewahre ich den Beutel noch bis zum Erreichen von New Luton für dich auf. Und jetzt schlaf erst mal. Wir treffen uns morgen beim Frühstück. Und dann ziehen wir gemeinsam einer erfreulichen Zukunft entgegen. Gute Nacht."
"Gute Nacht."
Die Reise verlief bisher überaus erfolgreich. Francis ließ sich von der Umgebung wenig ablenken. Die ganze Zeit schmiedete er Pläne für das weitere Vorgehen. Und was tun wir, wenn die Kinder entführt sind? Wohin gehen wir? Direkt in die Shadow Lands? Bringen wir damit nicht große Gefahr über die Grauen Wölfe?Gedanken über Gedanken wälzte das Gehirn des zum Indianer gewordenen Weißen, der sich in der Welt, aus der er stammte, zunehmend fremd in seiner neuen Welt jedoch immer noch nicht heimisch fühlte. Weißer Schatten hingegen prägte sich die Details des Weges ein. Stumm nahm sie jede Kleinigkeit wahr. Auch sie malte sich aus, wie alles ablaufen könnte. Aber sie war sich sicher, der Große Geist leitet sie. Wenn sie sich seiner Weisheit öffneten, würden sie ihr Ziel erreichen. Bisher ging doch alles gut. Die Zufälle, die ihnen halfen, waren nicht planbar. Man konnte auch nicht von Glück sprechen. Es geschah, was geschah und Vorteil zog jeder daraus, der seine Augen offen hielt und ohne Vorbehalt die Gelegenheiten nutzte, die sich ergaben.