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Ritt durch das Feuer

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Thom Rheden erwachte mit einem sonderbaren Singen und Klingen im Ohr. Er fühlte sich plötzlich in seine Kindheit zurückversetzt, an die freundliche, weite Estancia in Mulqueen, halbwegs zwischen Valdivia und Villa Rica im Süden Chiles. Damals hatten manchmal auf der Veranda des Landhauses fünfzig, hundert kleine Singvögel, Kolibris, ihre Stimmen zu einem heiteren Morgenkonzert vereinigt und waren im nächsten Augenblick wieder fortgeflogen, unauffindbar im nahen Urwald am Fuß des mächtigen Vulkans, der ebenfalls Villa Rica hieß . . .

Thom trat an das schmale, vergitterte Fenster und konnte über die niedrige Hofmauer hinweg den einzigen Baum sehen, eine Roble, Eiche, wie aber in Patagonien auch oft die kleinblättrigen Buchen genannt wurden. Er leuchtete über und über voll gelber, roter, blauer Funken, den Kolibris, die den ganzen mächtigen Baum zum Klingen gebracht hatten. Thom lauschte und konnte sich an den Farben und dem Klang nicht satt trinken.

Da trat ein Grenzsoldat aus dem Hoftor – husch, war der Schwarm verschwunden.

Die Sonne mußte bereits über die Pampa heraufgestiegen sein. Als Thom aus der kühlen Nachtstätte in den Morgen hinaustrat, glitzerte die ganze Welt im Tau. Über den See ging nur eine weite, flache Dünung hin; heute rollten die Wogen freundlich klatschend über die Steine. In dieser Senke um den See regte sich kein Windhauch. Im Osten begann auf der Höhe, wie mit einem Lineal gezogen, die Pampa, über die gestern der Pampero gerast war, der dort oben auch heute wieder wehen würde und morgen und bis in alle Ewigkeit.

Heute konnte Thom im Westen über dem fernen Ende des Sees auch die ungeheure Mauer der Kordilleren sehen, die weißen Gipfel verdeckt von einem Wall dunkler, regenschwerer Wolken. Nur über dem Landstrich zwischen Pampa und Gletscherbergen – dreißig, vielleicht auch fünfzig Kilometer breit – wucherte der Wald auf den Höhen, breitete sich um den See ein unberührtes, sonniges Zwischenland.

Thom hatte den Druck des drohend Geheimnisvollen abgeschüttelt, der ihn gestern bei den Erzählungen des Comandore Nunez bedrängt hatte. Seine Augen blickten gleichsam schärfer. Er schätzte in Gedanken die Höhe der Übergänge, die er in Richtung Westen suchen wollte, wenn es unmöglich erscheinen sollte, eine Straße an den tosenden Flüssen entlang durch steile Schluchten zu projektieren.

Und am Ende der großen Reise würde er die schwarzen Gebirge mit ihrer wildzackigen Gipfelflur auch von der anderen, der unbekannten Seite zu sehen bekommen. Ihm kam es in diesem Augenblick vor, als hätte er schon immer gewußt, daß er eines Tages in ein wildes, nie geschautes Land aufbrechen würde . . .

„Hallo, buenos dias, Señor Rheden!“ Der Comandore stand im Fenster seines „Staatszimmers“ und hob einladend die Hand. „Darf ich Sie noch einmal zu mir hereinbitten!“

Thom warf einen Blick in die Pferdeboxen, wo er in der Nacht seinen Rappen eingestellt hatte. Er löste die Halfter und ließ Huemul auf die Weide hinaus, die hier an einem kleinen Bach entlang saftig grünte. Doch die Reitpferde der Grenzwächter ließen dem Rappen keinen Frieden, bissen und stießen ihn, so daß Thom sein Pferd wieder zu sich rief und es auf den Hofplatz führte.

„Eh, mein Huemul, du kannst später grasen – oben im freien Weideland!“ tröstete er sein Pferd.

Als Thom in das Zimmer des Comandore eintrat, traf er den Oberst über eine große Karte gebeugt an, die den ganzen Tisch bedeckte. „Ich nehme an, daß auch Sie mit einer guten Karte ausgestattet sind, Señor Rheden. Wohin wollen Sie sich heute wenden?“ fragte er.

Thom blickte auf die Karte. Doch als er die wenigen Fluß- und Höhenlinien mit der Hand entlangfahren wollte, entdeckte er, daß sie oft andere Bezeichnungen trugen als auf seiner Karte, die er aus Chile mitgebracht hatte. So mußte er im stillen die Namen vorher übersetzen: „Etwa hundert Kilometer nördlich des Lago de la Plata und des Lago Fontana entspringt der Rio Cisnes, den Sie hier als Rio Frias eingetragen finden, auf der argentinischen Meseta. Er beschreibt sogar noch einen großen Bogen hinaus in die Pampa, biegt aber dann plötzlich nach Westen ab, durchbricht die Kordilleren und mündet nach etwa zweihundert Kilometern in den Stillen Ozean. Der größte Teil des Flußlaufes ist noch unbekannt. Zur Kartenaufnahme wurden Flugzeuge eingesetzt – doch die gewundene Talschlucht ist fast das ganze Jahr von Wolken verhüllt. Seit zwei Maschinen hintereinander verunglückten, beschränkt man sich wieder auf die mühevolle Landvermessung.“

„Und an diesem Fluß entlang wollen Sie ans Meer hinab?“ fragte Oberst Nunez zweifelnd.

Aber Thom wußte, daß er hier im fremden Staat nicht alles sagen durfte, was er plante. Er ging darum auf diese Frage gar nicht ein, sondern fuhr fort: „Dieses Land bis hinauf zum Oberlauf des Rio Claro und Rio Ticos, ja noch einmal hundert Kilometer weiter bis zum Palena, wird ein blühender Garten im Regenschatten der Anden, wenn man einen sicheren Durchgang zum Ozean findet. Der Bau der Straße ist dann nur noch eine technische Frage.“

Oberst Nunez schüttelte den Kopf. „Und diesen Weg wollen Sie allein, ohne Mitarbeiter, erkunden?“

Thom spürte, daß er in Gefahr war, zuviel von seinem Auftrag preiszugeben. „Ich werde mich nach Begleitern umsehen – einem oder zwei, die das Land vor den Regenwäldern kennen. Aber je kleiner die Karawane ist, um so mehr Aussicht hat sie, auch durchzukommen. Es geht um ein erstes Profil für die mögliche Trasse.“

Nunez sah nachdenklich vor sich hin. „Wenn irgend jemand Sie führen kann, dann ist es das Mylodon! Kommen Sie lebend durch!“

Während der Comandore das permiso, das Thom an allen argentinischen Grenzposten Unterstützung zusicherte und ihm gestattete, die offene Grenze dazwischen zu überqueren, mit neuen Siegeln und Stempeln versah, ertönte unter den Fenstern Geschrei und Hufegedröhn. Die Grenzpferde kehrten von der Weide zurück, und nun jagten sie rund um den Hof hinter Huemul her, daß der Sand aufstob.

„Höchste Zeit, daß ich wegreite!“ Thom lachte und lief die Treppe hinab, um sein Pferd vor den Bissen der halbwilden Artgenossen zu retten. Bis auch Comandore Nunez unten angelangt war, hatte er seinen Huemul bereits gesattelt. Niemand hatte den Inhalt seiner prallen Satteltaschen untersucht, selbst seine Pistole am Gurt und die Munition waren der Kontrolle entgangen. Er trug keinen schweren Theodolith mit sich, wohl aber einen Höhenmesser und Säuren für einfache Gesteinsproben, unverlöschbare Farbpulver für Markierungen, Apparat und Filme für Aufnahmen. Nur die Verpflegung und dauerhafte Regenkleidung wollte er sich bei den wenigen Kolonisten am Rio Cisnes besorgen, wenn er einmal über die Grenze wäre. Ebenso besaß er Geld, um einen oder zwei Peones zu entlohnen, Knechte, die er als Träger dingen wollte.

„Reisen Sie con Dios, mit Gott, und finden Sie die Straße zum Ozean!“ Comandore Nunez schüttelte Thom zum letztenmal die Hand. „Adios, hasta la vista, Señor Rheden!“

„Hasta luego – bis ich wiederkomme!“ Thom winkte zurück. Huemul hatte bereits schnaubend gewendet und trug seinen Reiter in einem dröhnenden Galopp den Hang im Norden empor.

Kurzes Pampagras umspielte die Hufe. Dem Rappen schien ebenso wohl und leicht zumute zu sein wie seinem Reiter. Er wieherte laut zurück, als vor dem Grenzhaus unten am See eine Herde junger Pferde auftauchte und den gegenüberliegenden Hügel hinaufjagte – frei geboren und unbehindert von Sattel und Zaum.

Die Höhe der ersten Hügelkuppe war erreicht. Thom hielt den Rappen an und blickte sich ein letztes Mal um. Hier oben riß bereits wieder der Sturm an Huemuls Mähne, die breite Krempe von Thoms Sombrero knatterte – aber in der Tiefe unten kräuselte sich der Spiegel des Sees noch kaum. Am Ostufer flimmerte schon weißes Sonnenlicht. Doch je weiter Thoms Blick nach Westen ging, den Kordilleren zu, desto dunkler färbte sich das Gewässer.

Der Lago Fontana ist zusammen mit dem Lago de la Plata, der sich nach einem schmalen Wasserlauf dem Gebirge zu anschloß, über hundert Kilometer lang, aber nur wenige Kilometer breit. In den westlichsten Teil des Sees hingen schmale Gletscher herab. Eine genaue Erforschung wurde noch dadurch erschwert, daß in der fjordartigen Enge der Seen tückische Fallwinde auftraten, die kleinere Boote zum Kentern brachten.

Vor Thom stieg gegen Norden hin die Meseta noch immer sanft an. Was würde er dort oben jenseits der endlos scheinenden Horizonte antreffen – fruchtleuchtende Täler, blaue Flüsse, die in schwarze Schluchten hineinstürzten, und dahinter immerwährenden Regen und Eis? Was erwartete ihn dort vorn?

Müßige Gedanken!

Thom zog am Zügel. „Sch, mein Huemul, vorwärts, vorwärts!“

Rund um ihn gab es nicht mehr Pfad noch Wegweiser. Seit er eine Tranquera, ein Tor im Grenzzaun durchritten hatte, befand er sich auf chilenischem Boden.

Der Comandore hatte Thom abgeraten, durch die ansteigende Meseta, die Hochfläche, nach Norden zu reiten, weil oft jähe senkrechte Grabeneinbrüche, die durch die Wasserstürze im Winter – im Juli und August – entstanden, den Weg verlängerten. Thom aber hatte es gedrängt, so bald als möglich die Grenze hinter sich zu bringen und einen Weg einzuschlagen, der ihm der Karte nach am kürzesten schien.

Die Erwartung stimmte ihn so fröhlich, daß er zu singen anfing. Der Rappe spitzte die Ohren und griff noch schneller aus. Als sich ein flaches, bebuschtes Quertal öffnete, auf dessen Grund dornige Calafatesträucher wuchsen, erinnerte Thom sich an Oberst Nunez‘ Wort: „Wer vom Calafatestrauch ißt, kehrt nie mehr aus Patagonien zurück.“

Er hielt den Rappen an und entdeckte an den Sträuchem kleine blauschwarze Beeren. Er kostete von ihnen und fand den Geschmack angenehm herb. Sein Rappe knabberte an dem Laub. Thom klatschte seinem Pferd lachend auf die Flanke. „Nun hat uns Patagonien an sich gefesselt, mein Huemul! Laß sehen, ob diese Fessel schmerzt!“

Er wich dornigen Sträuchem aus und lenkte den Rappen an einem senkrechten Abbruch, dem ersten, der sich gegen seine Rittrichtung schob, höher gegen Westen. Auf einmal machte Huemul einen Satz zur Seite. Knapp vor seinen Hufen schoß ein Rudel Strauße aus dem Gebüsch – zwei, fünf, zehn. Die Zweige schlugen klatschend aneinander, und der Sand flog unter den breiten, bekrallten Sohlen auf. Thom jagte mitten zwischen den Nandus hindurch, den mächtigen patagonischen Laufvögeln. Er faßte den Rappen straff am Zügel, damit er nicht ausbrechen konnte, und fast Rücken an Rücken neben ihm schnellten die Strauße dahin. Die vorderen hielten die Köpfe um hundertachtzig Grad nach hinten gedreht und ließen den Reiter nicht aus den Augen.

Knapp vor dem Rappen duckte sich ein Riesenvogel nieder und steckte seinen Kopf in das Gebüsch. Thom gelang es gerade noch, seinen Huemul herumzureißen, bevor er über den Strauß gestürzt wäre. Als sei dies das Signal zu einer neuen Taktik, wich das Rudel nach links aus und sprang den abbröckelnden Erdhang hinunter.

Thom zügelte sein Pferd und blickte zu den braunfiedrigen Buckeln der Strauße hinab, bis auch die letzten von Büschen verdeckt wurden. Als er, wieder mit der Einsamkeit allein, weiterritt, hörte er, wie über ihm auf der offenen Meseta der Pampero lauter zu singen begann. Nur hier in der Senke lauschten Strauch, Pampagras und Sand schwermütig unbewegt auf das ferne Johlen.

Die Last der stummen Einöde dämpfte Thoms Übermut. Nahe vor ihm wurde der Erdabbruch flacher. Er durchquerte das Tal und fand drüben einen Aufgang zur Höhe, wo ihn der Pampero empfing, wütend darüber, daß der Reiter sich ihm so lange entzogen hatte. Der nur mit wenigen Büschen bewachsenen Hochfläche entragten kahle, oft senkrecht abfallende Bergkuppen. Dieses Land erschien so recht geeignet, sich darin zu verirren. Die Sicht war beengt, und ein Höcker glich dem andern. Ständig schien sich die Landschaft zu wiederholen, die er eben durchritten hatte.

Nur wenn sich zwischen den niedrigen Kuppen gegen Westen hin einmal ein Ausblick öffnete, entdeckte Thom näher und näher kommende Berge mit dichtem Wald und drohend schwarzen Wolkenbänken darüber. Das Gras der Meseta, über die er ritt, war bereits wieder dürr und braun – eine Regenwolke fand wohl selten einmal von den Bergen bis auf die Pampa heraus.

„Eh, mein Huemul, bleib stehen! Wie lange sind wir eigentlich schon unterwegs?“ Zum Glück traten die gefürchteten Pampanebel erst gegen Abend auf. Thom konnte die Landschaft überschauen, die Entfernungen aber vermochte er nur nach der Zeit abzuschätzen, die er brauchte, um eine bestimmte Strecke zurückzulegen. Auf einer völlig flachen Meseta hoffte er es bis auf achtzig oder mehr Kilometer am Tag zu bringen. Das reichte immer noch nicht aus, um sicher sein zu dürfen, daß er bis zum Abend auf eine menschliche Behausung an einem Zufluß zum Rio Cisnes treffen würde. Darum wollte er seinen Rappen schonen, damit er zwei Tage lang nur bei dürrem Pampagras durchhielte.

„Sieh doch, mein Huemul, den grünen Fleck dort unten!“ Die ungeheure Einsamkeit erschien Thom erträglicher, wenn er mit seinem Rappen redete. „Wollen wir nicht hinabsteigen und über Mittag rasten?“

Er fand in der Einbruchssenke einen anheimelnd quirlenden Quell, dessen Wasser allerdings bald wieder im Sand versickerte. Aber die saftigen Kräuter waren ein unerwartetes Geschenk für Huemul. Die Sonne stach heiß herab, der Pampero fand nicht in diese Tiefe. Thom spürte eine angenehme Müdigkeit; er legte sich zu einer kurzen Ruhepause auf den dicken wollenen Poncho, den er vor einigen Tagen einem Gaucho weit draußen auf der Pampa abgekauft hatte. Der Poncho dunstete scharfen Pferdegeruch aus, die Wärme tat wohl – Thom nickte ein.

Plötzlich hatte er das Gefühl, kurz und jäh gerüttelt zu werden. Er warf sich herum und schnellte empor. Alles um ihn war still und unbewegt. Nur Huemul näherte sich schnaubend und mit gesträubter Mähne, bereit, jeden Augenblick im Sprung davonzugaloppieren.

„He, Huemul, was ist passiert?“

Während Thom die Koppelriemen von den Vorderbeinen des Rappen löste, merkte er, daß ihm die Finger zitterten. In der Stille um ihn lauerte etwas Drohendes.

Er blieb keine Minute länger an diesem unheimlichen Ort und ritt gegen Norden fort, ohne sich noch einmal umzusehen. Daß ihn nicht nur ein Traum aufgeschreckt hatte, bewies die Unruhe seines Pferdes. Thom ertappte sich dabei, daß er immer noch horchte und auf ein neues Zeichen wartete. Aber es geschah nichts.

Als ihn auf der Höhe wieder der Pampero umheulte, löste sich allmählich sein Unbehagen. Er klopfte Huemul auf den Hals und sagte lachend; „Na, da hat auch dich einmal dein Instinkt verlassen – wie mich meine Schulweisheit! Vielleicht ging nur ein Trauco, der Geist eines toten Tehuelchen, dort unten um!“

Höhen hinauf und herunter ging der Galopp. Wo der Pampero nicht allzu wütend gegen Roß und Reiter stieß, glitt die Erde unter ihnen wie wogendes Wasser zurück. Als die Sonne hinter schwarze, niedersinkende Wolkenballen kroch, schnob auch der erste, dünne Pampanebel heran. Thom Rheden mußte Huemul nicht mehr lenken. Nachdem er sich einmal die nördliche Richtung eingeprägt hatte, schlug der Rappe sie nach jedem Umweg von selbst wieder ein.

Unaufhaltsam nahm die Dämmerung zu. Wenn sie auch nicht so rasch wie im tropischen Norden einfiel, wurde es doch Zeit, daß sich Thom nach einem Lagerplatz für die Nacht umsah. Eine menschliche Niederlassung würde er auf der chilenischen Meseta, der trockenen Hochfläche, kaum finden. Wo Wasser auftrat, versickerte es bald wieder, und das Grün, das nach den Winterregen sproßte, verdorrte rasch im trockenen Pampero.

Thom suchte nun auf seinem Ritt die tiefsten Stellen der Einsenkungen auf, doch diese Einöde erschien wie verhext. Wenn er sich ohne einen Tropfen Wasser würde hinlegen müssen, fänden er und sein Pferd wenig Erquickung in dieser Nacht.

Als er endlich eine Gegend mit dichterem Strauchwuchs erreichte, war es bereits fast Nacht. Die Senke, in die er hinabstieg, war schon von dem See der Dunkelheit bis oben angefüllt. Der Huf Huemuls klatschte unten in Wasser – Thom hatte einen guten Platz gefunden.

„Such dir noch Grünes, Huemul!“ Er schlug seinem Rappen auf den glänzenden Schenkel, und das Pferd trabte zwischen den Büschen davon. Thom hatte den ganzen Tag nur Trockenes gekaut. Jetzt sammelte er dürres Gesträuch, und gleich darauf knatterte ein weißes Feuer, über das er sein verrußtes Maximkesselchen hängte. Bald brodelte das Wasser, und er warf getrocknetes Hammelfleisch hinein. Die Feuerhelle würde auf der Meseta oben weithin zu sehen sein, doch hier brauchte er nicht zu fürchten, daß er einen unerwünschten Gast herbeilockte – höchstens einen roten Fuchs, der von den Bergen in die Einöde herausstreifte.

Thom aß gemächlich und streckte sich dann, mit Gott und der Welt zufrieden, auf seinem Poncho aus. Hie und da fiel ein Windstoß von der Höhe herab in die trockenen Büsche. Huemul schabte in der Nähe noch den dichten, grünen Rasen. Später hörte Thom ein kurzes, heiseres Fuchsbellen – beruhigende Laute für den einsamen Pampasreiter . . .

An der Mondsichel, die jetzt bleich im schwarzen Himmel hing, erkannte Thom später, daß er mehrere Stunden geschlafen haben mußte. Er berechnete, daß er bald auf den Rio Cisnes treffen würde, wenn er morgen weiter nach Norden reiten konnte, ohne auf Hindernisse zu stoßen. Er drängte die Zweifel zurück, ob er sich jetzt überhaupt noch auf der chilenischen Seite befand. Natürlich gab es längst keinen Grenzzaun mehr – wie unten an der Polizeistation.

Er döste wieder ein – und sogleich saß er im Sattel und ritt, ritt über eine Pampa ohne Grenzen.

Er erwachte von neuem und vernahm einen sonderbaren Ton in der Luft. Er klang wie das verwehte Rauschen eines fernen Wasserfalls. War er vielleicht dem Rio Cisnes bereits so nahe? Am Abend hatte die Dämmerung das Land vor ihm verhüllt.

Thom lauschte angestrengt – da vermißte er das Scharren und Schnauben Huemuls! Er richtete sich halb auf und pfiff durch die Zähne. „Eh, Huemul, wo steckst du?“ Er horchte wieder, diesmal schon beunruhigt.

Etwas später hörte er Huemuls Galopp über der Mulde. Schwarz und riesengroß in der Dunkelheit, tauchte das Pferd auf und parierte knapp vor ihm. Es schnaubte heftig und warf mit einem kurzen Ruck den Kopf in die Richtung, aus der es herabgekommen war.

Thom fiel jetzt der hellere Himmelsrand im Westen auf. Er sprang empor und lief bis zum Rand der Mulde hinauf, von wo er einen besseren Überblick hatte.

Die Helle stieg jenseits des flach aufgewölbten Horizonts vom Boden auf.

Sie verbreitete sich nach zwei Seiten zu einer brandigen Röte.

Feuer auf der Meseta!

Der Pampero hatte in dieser Nacht keine Ruhe gefunden. Er stürmte genau aus der Richtung der Gegend heran, in der die Flammen zum Himmel stiegen. Der schwarze Rand der Hügelkuppe hob sich schon scharf vom rasch heller werdenden Himmel ab. Thom schaute erregt den westlichen Horizont entlang – dort drüben wütete ein mächtiges Feuer, das einen breiten Landstreifen ergriffen hatte!

Hatten die Hirten einer Estancia vor den Bergen einen Waldbrand entfacht? In Patagonien brannte zu jeder Zeit irgendwo der Wald an der Kordillere, um neuen Schafweiden Raum zu geben. Thom ging eine Zahl durch den Kopf: dreißig Millionen Schafen lebten von den Weiden Patagoniens!

Er schüttelte den Kopf. Er hatte auf seinem gestrigen Ritt keinen einzigen Baum gesehen – wie sollte hinter dieser flachen Kuppe plötzlich ein ganzer Wald wachsen?

Während er noch unschlüssig hin und her überlegte und den Stößen des nächtlichen Pampero standhielt, züngelten unvermittelt die ersten Flammen über den Rand der Himmelslinie. Eine Feuerzunge leckte über die Kuppe, dort wieder – dort wieder! Die Flammen verbanden sich zu hüpfenden, flackernden Streifen, breiteten sieh gegen Süden und Norden aus.

In diesem Augenblick wehte ihm auch der erste scharfe Brandgeruch von der Meseta entgegen!

Thom konnte sich von dem schaurigen, unheilvollen Anblick nicht lösen. Das Flammenspiel bannte ihn auf der Stelle.

Erst als Huemul heraufgaloppierte und schnaubend wieherte, wurde ihm auf einmal bewußt, daß die Pampa den ganzen weiten Horizont entlang brannte. Jetzt glitt das Feuer den Hügel herab wie eine unaufhaltsame, rotlohende Walze.

Die Glut raste im Sturm auf Thom Rheden zu!

Als Thom das merkte, rannte er schon hinab in die Senke, hob Sattel und Taschen auf und wunderte sich nicht, daß ihm das Pferd sogleich gefolgt war. In Sekundenschnelle hatte er den Sattel festgeschnallt, während der Rappe ungeduldig tänzelte, als verstände er dieses zeitfressende Hantieren nicht. Sobald er seinen Fuß in den Steigbügel setzte, jagte das Pferd mit langen Fluchten aus der Mulde empor.

„Eh, Huemul, warte!“ zügelte Thom noch einmal sein Pferd. Die brennende Flut war indessen über die Hügelkuppe herabgerollt. Der Sturm riß lohende Fetzen von Zunder hoch in die Luft und wirbelte sie vor dem Brandstreifen her – immer neue Flammenherde anfachend. Die Meseta war hier dicht mit niedrigen Büschen bewachsen. Das kurze Gras dazwischen hatte der Pampero ausgetrocknet. Glühende Aschenteilchen flogen auf, und die ersten Feuerzweige fielen vor den Hufen des Rappen nieder.

Auf einmal war eine Woge von Glut um sie. Da gab es keine Wahl mehr, wohin sich wenden. Thom riß Huemul herum und drückte ihm die Sporen ein.

„Flieg, mein Rappe, flieg!“

Das Pferd fiel aus dem Stand unmittelbar in einen Galopp und Sprung, daß selbst der Pampero hinter ihm zurückblieb. Jetzt, da Huemul mit dem Wind lief, konnte er seine volle Schnelligkeit entfalten. Seine Hufe berührten kaum mehr den Boden; das Dorngestrüpp rauschte zurück, und über die steinharten, unbewachsenen Flächen dröhnte sein Huf. Hinter Roß und Reiter tobte die Glut – ein unruhiges Flackern zuckte hoch hinauf über den schwarzen Nachthimmel.

Mensch und Tier wußten, daß sie um ihr Leben kämpften.

Gegen Osten hin schien sich der Boden flach abwärts zu senken. Das Mondlicht wurde von den ersten grauen Rauchschwaden verdunkelt, die bereits die Sterne ausgelöscht hatten.

Die Flammenlinie folgte dem Reiter. Längst mußte die Lohe Thoms Lagerplatz überrollt haben, wo sie ihn ohne Huemuls Wachsamkeit vielleicht überrascht hätte. Ließ das heulende Stürmen des Pampero noch immer nicht nach? Wenn Thom kleinere Mulden umreiten mußte, bemerkte er jedesmal, daß die Feuerzone wieder näher gerückt war.

„Jage, Huemul, jage!“ feuerte Thom den Rappen an. Jenseits der Zone der niedrigen Dornbüsche würde der Pampabrand vielleicht erlöschen.

Huemul bäumte sich jäh auf und stemmte sich mit den Hufen gegen den Boden, daß der Sand flog. Thom wurde fast aus dem Sattel geworfen und fand nur noch in einem Steigbügel Halt. Als er sich mit einem Ruck emporriß, erkannte er hart vor sich einen cañonartigen Grabenriß, auf dessen Grund kein fahler Monddämmer hinabreichte.

Der Abbruch lief nach Norden und Süden weiter, soviel Thom in dem Düster sehen konnte. In welcher Richtung sollte er an dem Riß entlangreiten? Wann holte ihn die Feuerwalze ein, die ebenfalls auf diesen Abbruch zuraste?

Thom entschloß sich blindlings, nach Norden zu reiten. Er erkannte schattenhaft, daß dort wieder eine Höhe anstieg. Vielleicht fand er oben auf dem Hügel kahlen Boden, der ihn retten mußte.

„Flieg, Huemul, flieg!“

Der Sturm traf den Reiter jetzt von der Seite. Die Hitze, die vor den Flammen herlohte, schlug ihm in Schwaden entgegen. Der Rappe war schweißnaß.

Aber die Hoffnung trog. Jenseits der Anhöhe flammte der Himmel bereits rot, als Thom den Fuß des Hügels erreichte. Der Sturm überschüttete Roß und Reiter mit einem Schwall von Zunder – und immer noch drohte der tödliche Erosionsabbruch zur Rechten!

Der Flammenring schloß die Fliehenden ein, enger – enger.

Thom hatte bisher verzweifelt nach einem Ausweg gesucht. Jetzt half nur noch kalte Entschlossenheit! Er mußte das Letzte wagen – den Ritt durch die Flammen!

Das Feuer schenkte ihm keine Zeit zum Überlegen mehr. Wo er im Augenblick stand, wuchsen die Domsträucher besonders dicht – draußen auf der freien Meseta mußte der Boden weniger bewachsen sein. Thom riß den Poncho von der Schulter und warf ihn über den Kopf seines Rappen. Nur die Augen des Pferdes ließ er frei und band den Poncho um den Hals zu, damit er nicht fortflog. Er selber wußte sich in seiner Lederkleidung halbwegs geschützt.

Das Pferd ließ mit einem instinkthaften Verstehen alles geschehen. Thom neigte sich auf den Hals des Rappen vor, daß sein Gesicht fast dessen Ohren berührte.

„Huemul, du mußt mich jetzt durchs Feuer tragen!“ raunte er ihm zu. „Spring, Huemul, spring über die Flammen!“

In diesem Augenblick, da sich Mensch und Tier so nahe wie nie gekommen waren, schien der Rappe jedes Wort zu verstehen. In seinen Augen funkelte der Widerschein der Glut, sein ganzer Körper klebte vor Schweiß. Vielleicht war gerade das jetzt günstig.

Thoms Sombrero hing tief über die Augen herab, als sie den Platz unter dem Hügel verließen. Der Rappe stieg zuerst aufbäumend hoch, als er die Richtung erkannte, in die ihn sein Reiter zwang. Er wieherte kurz und wie wimmernd auf, dann schoß er nach vom. Es gab keinen anderen Ausweg mehr. Thom blitzte die Erkenntnis durch den Kopf, daß die Feuerzone nicht tief sein konnte. Wenn es ihm gelang, die Flammen zu überspringen, ohne daß das Roß stürzte, würden sie auch das noch glühende Land dahinter überwinden können. Eine flache Mulde lag vor ihnen, einen niedrigen Hang hinauf – da stand die Feuerwand vor ihnen!

„Sch, Huemul, sch!“ zischte ihm Thom ins Ohr.

Urplötzlich schlug weiße Lohe um sie zusammen. Die Hitze benahm den Atem, die Luft war von einem hohen, tödlichen Sirren erfüllt. Thom hatte die Augen geschlossen und den Arm übers Gesicht gepreßt. Er fühlte unter sich die Bewegung des Pferdes. Es stampfte weiter -weiter.

Blind fuhr Thom mit der Hand über den Poncho. Brannte er, oder glühte er nur so sehr von der Hitze? An seinen Beinen biß die Glut – durch, nur hindurch!

Da Heß die Helle vor den geschlossenen Augen nach.

Thom hob den Kopf von dem schützenden Pferdehals – sie waren hindurch!

Unvermittelt spürten sie wieder den Sturm. Er drückte die Flämmchen des noch immer rot schwelenden Bodens nieder und fachte die Glut der Rasenkrume an, daß die Erde weithin leuchtete.

Doch das hohe, weiße Flammenband lag hinter ihnen!

Sie durften auch hier nicht anhalten. Thom stieg der beißende Geruch verbrannter Haare in die Nase. Er fuhr mit seinen Händen an den Flanken des Rappen auf und ab, um das Glimmen zu ersticken. Er drückte noch immer dem Roß die Sporen kurz und scharf ein, damit es im Galopp blieb. Wenn sie stehenblieben, würde wieder die Glut heraufzischen.

Erst als der Boden sich schwarz verkrustete, ließ er sein Pferd in Trab und Schritt fallen, hielt es schließlich an und sprang aus dem Sattel. Das Fell des Rappen war angesengt, die Flammen hatten die Augenbrauen weggeglüht; nur gegen die harten Hufe hatte das Feuer nichts vermocht.

Sie waren durch das Feuer geritten!

Jetzt lag die Meseta schwarz und leblos vor ihnen. Wo die Flammen erloschen waren, rauchte verbrannter Boden – ein verwunschenes Land.

Es war nicht möglich, in dieser heißen, trostlosen Einöde zu rasten und zu lagern. Als Thom wieder anritt, stäubte bei jedem Huftritt die Asche vom Boden auf, die der Pampero sofort mit sich fortwirbelte.

Nach der Anspannung der letzten Stunde überfiel Thom eine unüberwindliche Müdigkeit. Die Flammenlinie verschwand hinter dem Horizont im Osten, nur den Himmel überzuckte noch lange eine flackernde Röte. Vielleicht erlosch weit draußen jenseits des Abbruchs allmählich die Kraft des Pampafeuers – im Winter würde der Regen die Asche in den Boden waschen und später neues Grün über das tote Land sprossen.

Thom erkannte aus der Stellung des Mondes, daß er immer noch nach Westen ritt. Er fand nicht die Kraft zu einem andern Entschluß – nur fort von der toten, verbrannten Erde! Tief und tiefer sank sein Kopf auf den Hals des Rappen nieder; allmählich glitt er in ein waches Träumen hinüber.

Er schrak auf, als Huemul plötzlich ohne Aufforderung stand. Er hörte vor sich den Trab eines anderen Pferdes – ein einzelner Reiter kam ihm über einen niedrigen, mondblassen Hügel herauf entgegen. Thom war hellwach, als der Reiter nahe vor ihm auf einmal stutzte. Er sah, wie der Unbekannte an der Satteltasche nestelte, etwas Dunkles glitt in seine Hand – eine Waffe!

Auch Thom hatte mit einem Ruck an den Gürtel gegriffen – als er auch schon sah, wie sein Gegenüber den Arm streckte.

Da schoß Thom, fast aus der Hüfte, auf den ausgestreckten Arm. Der Schuß des andern zischte in den Boden und verschlang einen jähen Schmerzensruf. Sein Arm fiel herab. Er schwankte und sank aus dem Sattel.

Thom kniete im nächsten Augenblick bei dem Fremden. Das Pferd war ausgebrochen – es würde in der Dämmerung nicht weit laufen. Rheden hatte die Waffe des Fremden fortgestoßen; jetzt befühlte er den blutenden Arm.

„Das haben Sie sich selbst zuzuschreiben – Sie hoben die Pistole gegen mich!“ sagte er rauh und erregt.

„Scheren Sie sich fort!“ knirschte der Verletzte. „Ich kann mir selber helfen!“

„Sonderbar!“ Thom schüttelte verwundert den Kopf. Wie ein Blitz durchfuhr ihn die Erkenntnis:

„Sie haben das Feuer auf der Meseta gelegt!“

Der Fremde schwieg. Thom rüttelte ihn. „Warum haben Sie das getan – warum?“

Aus den wenigen geknurrten Worten des Fremden hatte Thom erkannt, daß der Mann kaum der spanischen Sprache mächtig war. War es ein neuer Einwanderer aus Europa oder – oder einer der verdammten Turkos?

Türken – es konnten auch Iraker oder Perser sein – schmuggelten seit langem immer wieder gefährliches Rauschgift in die südamerikanischen Länder ein. Sie tarnten sich oft als arme Hausierer, die mit einem Bauchladen von Estancia zu Estancia ritten.

Thom riß einen losen Halfterriemen vom Sattel und fesselte den Mann, der ihn wortlos abgeschossen hätte, wenn ihm Thom nicht zuvorgekommen wäre. Der Fremde mit seiner schmerzenden Armwunde konnte sich nur schwach wehren. Er fluchte in einer fremden Sprache, dann schwieg er wieder.

Jetzt fand Thom Zeit, das Reitpferd des Turko einzufangen. Es ließ sich leicht an der Halfter fassen, und Thom band es an Huemul. Dann durchsuchte er die Sattelpacken des wandernden Hausierers. In dem Sattel mit doppeltem Bezug aus hartem Leder fand Thom sorgfältig versteckte Päckchen mit dem gefährlichen weißen Pulver – Marihuana!

Rheden begriff den Zusammenhang zwischen dem Feuer auf der Meseta und seiner neuen Entdeckung:

„Deshalb also das Feuer in dem stürmischen Pampero! Sie legten es, um ungehindert über die Grenze zu kommen!“

Er klatschte seinem Huemul auf das versengte Fell.

„Aber wie Sie sehen – wir sind durch das Feuer geritten!“

Er befahl dem Turko, auf sein Pferd zu steigen. Anfangs lehnte der Mann das mürrisch ab, aber dann sah er ein, daß er mit seiner Verletzung und ohne Reittier nicht weit kommen würde. Sobald Thom ihn angezeigt hätte, würde man ihn hier jagen – zu Pferd, mit Autos und sogar mit Flugzeugen.

„Sie brauchen einen Wundverband – zeigen Sie mir die Richtung zur letzten Estancia, von der Sie kamen!“ befahl Thom.

Der Turko hob stumm den Kopf und wies wortlos nach Westen, zum Fuß der ersten Waldberge. Thom sah ein, daß er weiter von seiner Richtung nach Norden abweichen mußte. Vielleicht war es auch gut so: der Rio Cisnes beschrieb viele Krümmungen, ehe er die Schluchten der Kordilleren erreichte.

Sie ritten, ritten, ritten. Der Morgen stieg herauf, und die ersten Waldhänge rückten heran. Grüne Weiden, ein Tranquero durch einen hohen Zaun und von jenseits eines niedrigen Hügels wütendes Hundegebell.

Als zwei große schwarze Köter heranstürmten, gab Thom einen Pistolenschuß in die Luft ab, um die wilden Hunde zu warnen und auf der Estancia seine Ankunft zu melden.

Kurz darauf konnte er in ein schmales Tal hinabsehen; die Luft trug schon den kühleren Atem der nahen Wälder und fließenden Wassers. Auf der Talsohle sah er weidende Rinder und, schon wieder halb eingesunken, einige graue Steinhütten.

Unten hatte man die Reiter bemerkt. Jemand pfiff die Hunde fort, die Thom mit fletschenden Zähnen umkreisten. Ein Mann ritt aus dem Gehege, ein zweiter, vielleicht nur ein Junge, lief hinterher. Der Reiter schwenkte ein Gewehr. „Halt, Señores, sitzen Sie ab!“

Thom lachte. „Ein sonderbarer Gruß im eigenen Vaterland! Aber sehen Sie sich meinen Begleiter näher an – vielleicht erkennen Sie ihn wieder!“

Der bärtige, abgerissene Estanciero kniff die Augen zusammen. „Der Turko – er war doch gestern noch bei uns!“

„Ihr werdet ihn noch eine Weile behalten dürfen, Señor – ein seltener Vogel für unsere Grenzer! Es schaut sicher eine gute Prämie heraus, wenn Sie ihn wohlbehalten abliefern.“

Der Hinterwäldler erfaßte den Zusammenhang nicht so rasch, doch er ließ seine Flinte sinken. „So kommt Ihr von der Regierung, Señor?“ fragte er.

„Nicht ganz – aber die Regierung wird es Ihnen vielleicht einmal danken, wenn Sie mich in Ihrer Ranch ein paar Stunden schlafen lassen – ich bin zum Umfallen müde!“ Thom stieg vom Pferd.

Das brach die mißtrauische Zurückhaltung. „Seien Sie mein Gast, Señor–mein Haus ist das Ihre!“

Während Thom den Chilenen über seinen Fang aufklärte, erreichten sie die Ranch am Rio Estero. In der Hütte war festgestampfte Erde dicht mit Reisig belegt, um die Füße warm zu halten, Bänke und Tisch hatte man aus Holzgestellen und roh behauenen Brettern gefertigt. Auf der Wandbank lag ein Bündel Schaffelle. Von der Decke hingen die zwei Hälften eines geräucherten Hammels. Der Estanciero nahm eine Hälfte und warf sie auf den Tisch. „Greifen Sie zu, Señor!“

Der Gast ist auch dem Mann im abgelegensten Patagonien heilig. Mit ihm teilt er alles, was er besitzt. Thom griff zu und schnitt einen Streifen von dem harten Fleisch.

An dem Steinherd hantierte eine alte Frau. Sie reinigte die Wunde des Turkos, dessen Arm, von einem Streifschuß verletzt, gelähmt herabhing. Sie legte fieberstillende Kräuter auf und umwickelte den Arm mit Verbandzeug aus Thoms Reiseapotheke. Mit der Linken konnte der Mann unbeholfen essen.

„Martino soll morgen zu dem Alkalden nach San Pedro reiten – dort gibt es auch ein Gefängnis im Amtshaus!“ Damit schien die Sache vorläufig geregelt zu sein. Thom nahm sich vor, den Jungen zu begleiten und die Schmuggelware persönlich zu übergeben.

Jetzt aber fielen ihm die Augen zu. Er bekam ein Lager in einer Ecke, die vom Qualm des Herdfeuers verschont blieb. Huemul graste draußen im Gehege . . .

Thom erwachte erst am späten Mittag. Der Junge saß in der Tür und bewachte wohl den Schlummer des Gastes. Jetzt verschwand er und kam mit dem Estanciero zurück.

„Was führt Sie an den Rio Estero?“ fragte der Mann ohne Umschweife.

„Eigentlich nur der Brand auf der Meseta. Ich wäre sonst sicherlich oben vorbeigeritten!“ sagte Thom wahrheitsgemäß.

Der Alte schien nicht verwundert. „Sie sind wohl reich und reisen zu Ihrem Vergnügen, um die Welt anzusehen?“

Thom schüttelte belustigt den Kopf. „Beides stimmt nicht. Ich reise, um mir einen Arbeitslohn zu verdienen – und ich reise mit einer bestimmten Absicht an den Rio Cisnes!“

„So wollen Sie vielleicht eine Estancia für Schafzucht kaufen?“ Er überlegte kurz. „Ich verkaufe Ihnen meine – sie könnte leicht zehntausend Schafe nähren.“

Aber Thom schüttelte auch jetzt den Kopf. „Vielen Dank für Ihr Angebot, Señor Manuelo. Aber ich suche etwas anderes – eine Straße!“

Der Sohn des Estancieros hatte gespannt zugehört. Jetzt sprang er auf. „Vater, eine Straße ans Meer! Dann kommen viele Menschen hierher, sogar mit Autos, und alle müssen Schaffleisch essen. Eine Straße, und wir sind reich!“

Der Alte ließ sich nicht so schnell begeistern. „Wollen Sie die Berge fortsprengen, Señor, oder den Rio Cisnes umleiten, wenn er Hochwasser führt? Und an die Mazamorra denken Sie überhaupt nicht, an die Bergrutsche, wie sie jeden Winter kommen?“

„Vielleicht gibt es einen Bergübergang für die Straße?“ warf Thom vorsichtig ein. „Man müßte die unbefahrbaren Schluchten umgehen.“

Der Estanciero schüttelte enttäuscht den Kopf. „Eine Straße in den Wolken, meinen Sie, Señor? So hoch oben war ich noch nie. Dort gibt es nur Wald und Regen.“

„Man müßte es versuchen, Vater!“ Der Sohn wollte die Hoffnung nicht aufgeben. „Du bist immer nur unten hinausgewandert – wo die Erde rutscht und der Rio immer wieder die Ufer fortträgt!“

Thom hatte stumm zugehört. Jetzt blickte er den Jungen prüfend an. Er schätzte ihn auf fünfzehn Jahre, vielleicht auch ein Jahr älter.

„Willst du mich begleiten, wenn ich die Straße suche,

Martino?“ fragte er geradeheraus. „Ich zahle dir festen Lohn für jeden Tag!“

Geld – das konnte man hier im Hinterwald von Patagonien fast nie verdienen! Vater und Sohn blickten sich an, und Thom wußte, daß er gewonnen hatte . . .

Wer vom Calafatestrauch isst

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