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III

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„Wer nix lernt und auch nix kann, der geht zur Post und auch zur Bahn!“ Das sagt aber jetzt nicht die Gucki, sondern der Prandegger Mandi. Und auch nicht im Gasthaus Otter in Trilling, sondern im Gasthaus Weiß in St. Anton. Praktisch ein Schauplatzwechsel. Von einem Wirtshaus ins andere.

Drum trinkt die Gucki jetzt lieber doch einmal einen Kaffee. Hat eh schon zwei Bier intus. Hat aber wirklich geholfen: wie weggeflogen, das Schädelweh! Und den Mandi hat sie auch auf Anhieb gefunden. Ganz im Gegensatz zu den anderen Journalisten! Sie hat nämlich die Autos gesehen. Vor dem Mandi seinem Haus. Lauter Linzer Kennzeichen. Da können sie warten, bis sie schwarz werden! Das ist aber nur so eine Redensart. Das hängt nicht damit zusammen, dass der Mandi Rauchfangkehrermeister ist. Dass er am Vormittag gern im Wirtshaus sitzt, schon. Weil als Rauchfangkehrermeister kann er sich das leisten. Und heute erst recht! Weil ihm dieses Reportergesindel die Tür einrennt. Hat er sich einfach ins Auto gesetzt – und auf und davon! Die Reporter natürlich hinten nach. Die hat er aber abgehängt! Weil ja die Linzer alle miteinander nicht Autofahren können. Und weil er sie auf die ärgsten Schleichwegerl gelockt hat. Und dann gemütlich nach St. Anton zurück und das Auto hinter dem Weiß abgestellt. Dass man die Autonummer nicht sieht: FR – MANDI 1.

Bei der Gelegenheit muss aber wirklich einmal was über diese Autonummern gesagt werden. Wunschkennzeichen heißen sie. Weil man sich wünschen darf, was draufsteht. Es dürfen halt nicht mehr als wie fünf Buchstaben sein – und dann noch eine Zahl. Meistens steht eh nur der Name vom Auto­besitzer oben. Eben FR – MANDI 1. Die, die Franz oder Fritz heißen, haben es bei uns noch schöner: Da heißt es dann FR – ANZ 1 oder FR – ITZ 1. Weil ja Bezirk Freistadt mit FR abgekürzt wird. Oder es steht ein Kosename oben. Wie zum Beispiel FR – HASI 1. Oder es hängt mit der Firma zusammen. Wie beim Tischler von St. Anton. Bei dem heißt es: FR – HOLZ 1. Oder es hat was mit dem Hobby zu tun. FR – JAGA 1 – das ist natürlich der Otter Sepp. Und dann gibt es auch noch ein paar, die sich mit den Buchstaben eine Gaudi machen. Sagen wir einmal: FR – UST 1. Weil UST ist ja die Abkürzung von Umsatzsteuer. Und bei der hat ein jeder einen Frust – außer er zahlt keine. Weil es schwarz geht. Oder im Pfusch. Aber von dem fang ich jetzt gar nicht an! Das tät zu weit führen. Weil: Was bei uns Steuer hinterzogen wird – da könnte man ja ganze Romane schreiben! Und außerdem wird man sich sowieso schon längst fragen, wa­rum ich das mit den Wunschkennzeichen gar so aufbausche. Wa­rum ich nicht endlich erkläre, was der Prandegger Mandi mit der ganzen Geschichte zu tun hat. Nicht vielleicht wegen dem Geld, das die Leute für so ein Wunschkennzeichen hinausschmeißen! Immerhin 2.000 Schilling. Aber das Geld ist mir völlig wurscht! Geld schmeißen die Leute auch für einen anderen Blödsinn hi­naus. Mir geht es um was ganz was anderes: dass nämlich ein jeder die Nummer 1 sein will! Das gibt mir schon ein bisserl zu denken: Wo kommen wir da noch hin, wenn ein jeder nur mehr die Nummer 1 sein will?

Normalerweise ist der Prandegger Mandi auch gern die Nummer 1. Sonst wäre er nicht Bezirksrauchfangkehrermeister, Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr St. Anton und Obmann der Jagdhornbläser. Aber eben nur normalerweise. Im Moment ganz und gar nicht. Da wäre er viel lieber eine ganz eine unscheinbare Nummer. Weil er nämlich im Gasthaus Weiß sitzt, dass er seine Ruhe hat – und nicht, dass er sich vom Schipany anstänkern lasst! Drum hat er ja auch gesagt: „Wer nix lernt und auch nix kann, der geht zur Post und auch zur Bahn!“ Damit ist nämlich der Schipany Bertl gemeint. Weil er Briefträger ist. Weil er wirklich nicht recht viel gelernt hat. Genauer gesagt: Ein paar Mal ist er sitzen geblieben in der Volksschule – und dann Hilfsarbeiter – und dann zur Post. Drum fühlt sich der Bertl auch angesprochen. Drum kriegt er auch einen roten Schädel. Drum sagt er auch: „Mit einem Mörder mag ich sowieso nicht an einem Tisch sitzen!“ Und trinkt aus und geht.

Auf das hat aber die Gucki nur gewartet: dass sie endlich allein ist mit dem Mandi! Aber nicht, weil er der Mörder vom Harry ist. Dann tät es ja auch gar nicht gehen. Weil dann hätten sie den Mandi ja gar nicht mehr ausgelassen. Weil festgenommen haben sie ihn eh. Und verhört. Die halbe Nacht! Bis dann das Gutachten gekommen ist. Vom Gerichtsmediziner. Weil da ist dann schwarz auf weiß drinnengestanden, dass der Mandi gar nicht der Mörder sein kann. Weil man eine Leiche nämlich nicht ermorden kann. Weil: Wie ihn die Kugel vom Mandi mitten in die Stirn getroffen hat, da war der Harry nämlich schon mausetot.

Trotzdem ist der Mandi natürlich fertig mit den Nerven. Und heilfroh, dass dieser lästige Schipany endlich weg ist. Dass sie endlich allein sind. Er und das Mädel. Weil: Wie sie ihn jetzt anschaut – so warmherzig und verständnisvoll – da vergisst er doch glatt, dass sie eigentlich auch eine Reporterin ist. Und lässt sich einfach hineinfallen in diese bernsteinfarbenen Augen – ein Braun, so unergründlich und tief wie das Wasser der Aist! Und schon hat er seine Hand auf ihren Oberschenkel gelegt – und schon kommt, was ganz einfach kommen muss. Aber nicht das, was jetzt vielleicht einer denkt! Der Mandi belästigt die Gucki nicht – der Mandi weint. Richtig herausbrechen tut es aus ihm: wie bei einem Wolkenbruch! Dass er jetzt seit 35 Jahren auf die Jagd geht. Dass er noch nie wen angeschossen hat – nicht einmal einen Treiber! Dass er sein Gewehr gar nicht mehr anschauen kann. Geschweige denn angreifen! Dass er das Jagen aufgibt. Dass er überhaupt alles aufgibt: den Kommandanten, den Obmann und den Bezirk! Dass er in Pension geht. Oder soll er sich lieber gleich erschießen?

Gott sei Dank war dem Mandi sein Katzenjammer aber auch genauso schnell wieder vorbei wie ein Wolkenbruch. Die Gucki hat ihm nur ein bisserl gut zureden müssen – dann hat er sich auch schon ordentlich geschnäuzt, der Wirtin geschrien und die Gucki auf ein Bier eingeladen. Und ihr alles feinsäuberlich erzählt. Wie ihn fast der Schlag getroffen hätte: wie da auf einmal keine Wildsau liegt, sondern ein Mensch. Wie er sich noch gewundert hat, dass der Mann mitten im Winter ein Sommergewand anhat. Wie er auf einmal den Harry erkannt hat. Wie er dann das Loch in der Stirn gesehen hat. Wie ihm schlecht geworden ist. Wie dann der Doktor gekommen ist. Und die Gendarmen. Wie der Pointner Hans schließlich gesagt hat: „Herr Prandegger, ich muss Sie leider vorläufig festnehmen!“ Wie ihm da schlagartig klar geworden ist, dass er ein Mörder ist. Weil der Hans Sie gesagt hat. Obwohl sie normal per Du sind. Weil bei uns sind eigentlich alle per Du. Wie ihm schwarz vor den Augen geworden ist. Und so weiter und so fort. Bis zum gerichtsmedizinischen Gutachten. Fraktur der Wirbelsäule. Was nichts anderes heißt, als dass sich der Harry das Kreuz gebrochen hat. Trotzdem hat sich der Mandi das mit der Fraktur gemerkt. Weil das der Beweis für seine Unschuld war. Zumindest für die Kriminalbeamten. Für die Jäger sicher nicht. Da wird die Geschichte noch ein Nachspiel haben. Von wegen Fahrlässigkeit. Das Mindeste, aber auch schon das Allermindeste, was ihm blüht, ist eine strenge Verwarnung. Wenn sie ihm den Jagdschein nicht gleich zupfen. Bevor aber der Mandi noch so richtig ins Sudern kommen kann, ist die Gucki auch schon weg. Weil sie jetzt auf einmal ganz dringend zum Doktor muss. Ist ihr am Ende schlecht geworden beim Mandi seiner Geschichte? Wunder wär es ja keines: zwei Bier, ein Kaffee, wieder ein Bier, Zigaretten auch eine nach der anderen – und noch dazu filterlose – und das alles auf nüchternen Magen! Und am Vortag um drei in der Früh ins Bett. Aber kein bisserl nüchtern!

Mit ihrem Magen ist aber anscheinend alles in Ordnung. Sonst tät ihr der Doktor Munz jetzt nicht die Lunge abhorchen. Wird ihm eh lieber sein. Weil ja die Gucki unter dem Rollkragenpullover keinen BH anhat und weil ihr Busen wirklich sehenswert ist. Der springt einem ja schon ins Auge, wenn sie was anhat. Weil Beruf hin, Beruf her – auch einem Doktor wird ein schöner Busen besser gefallen als wie ein schiacher. Sonst wär er ja kein Mann. Nur: Anmerken lassen darf er sich halt nichts. Drum tut er gleich auch recht streng und redet der Gucki ins Gewissen. Wegen dem Rauchen. Weil sie eine ordentliche Bronchitis hat. Aber die hat sie eigentlich immer im Winter. Und wegen dem ist sie eigentlich auch gar nicht gekommen. Gekommen ist sie nur, weil der Doktor Munz gestern den Harry untersucht hat. Besser gesagt: dem Harry seine Leiche. Also fragt die Gucki zum Spaß, ob der Harald Baum leicht gar an einer Bronchitis gestorben ist. Ist jetzt der Doktor natürlich in einer Zwickmühle: einerseits ärztliche Schweigepflicht – andererseits ausgesprochen charmante Patientin. Weil die hat es mit dem Rollkragenpullover-Anziehen überhaupt nicht eilig.

Aber ganz umsonst hat so ein Doktor auch nicht studiert. Drum zieht er sich elegant aus der Affäre und sagt zuerst, dass er ihr nichts, aber auch schon absolut gar nichts gesagt hat – und dann sagt er ihr, was sie wissen will. Beziehungsweise: Er sagt ihr, was er weiß. Die Todesursache weiß er nämlich auch nicht. Genauso wenig wie den Zeitpunkt des Todes. Das Einzige, was er mit Sicherheit sagen kann, ist, dass der Harry schon länger tot sein muss. Mindestens zwei, drei Monate. Dass aber die Leiche rein äußerlich trotzdem so gut erhalten ist, wie wenn er erst gestern gestorben wäre. Wie wenn man den Harry konserviert hätte. Jetzt hätte die Gucki nicht fragen dürfen, wie denn der Doktor das so genau sagen kann. Denn kaum hat er ihr erklärt, wie er da dahintergekommen ist, hat sie auch schon ruck-zuck ihren Rollkragenpullover anziehen müssen und rennen. Mit Ach und Krach hat sie es noch geschafft bis zur Haustür. Dann hat sie aber auch schon gespieben, dass es nicht mehr feierlich war. Direkt auf dem Doktor Munz seine Rosensträucher. Das hat er jetzt davon, dass er ihr das auch so anschaulich schildern muss! Dass sich nämlich bei einer Leiche nach einiger Zeit das Hirn zersetzt und dass dem Harry sein Hirn praktisch bei den Ohren herausgeronnen ist.

Bei der Gucki ist es sogar herausgespritzt: wie bei einem Odelfassl*! Eh klar – nichts Festes im Magen! Der Doktor Munz hat gerade seine Diagnose auf Gastritis erweitern wollen – da war die Gucki aber auch schon weg. Nicht einmal Hustentropfen hat er ihr verschreiben können. Geschweige denn, dass er sie ins Kino oder Theater einladen hat können. Weil er nämlich eine Frau gebraucht hätte. Aber nicht nur eine fürs Bett. Auch so. Zum Heiraten halt. Weil er keine Frau gehabt hat. Obwohl: Bei einem Doktor sagt man nicht Frau, sondern Gattin. Weil ein Doktor ja was Besseres ist. Da heißt dann auch die Frau Frau Doktor. Auch wenn sie eine Universität noch nie von innen gesehen hat. Müsste man meinen, dass sich die Frauen nur so darum reißen, Frau Doktor zu werden. Warum hat dann der Munz noch immer keine? Weil: So um die fünfundvierzig wird er jetzt sein – und jünger wird er auch nimmer. Ist er leicht so schiach? Nein, überhaupt nicht! Ein bisserl grau an den Schläfen, aber sonst eine stattliche Erscheinung – wie man so sagt. Warum findet dann so einer keine Frau?

* Odelfass, auch Adelfass: bes. bayr. und österr. für Jauchenfass.

Das ist jetzt gar nicht so leicht zum Erklären. Am besten, ich fang damit an, dass St. Anton 50 Kilometer von Linz weg ist. Eine Stunde mit dem Auto. Praktisch lauter Kurven. Ein Traum für jeden Motorradfahrer! Nur: Leider hat die Frau Magister Moll kein Motorradl gehabt. Und ist daher auch nicht so gern nach St. Anton gefahren. Das war die Verlobte vom Doktor Munz. Mit der Betonung auf war. Ist nämlich auch schon wieder zehn Jahre her. Da hat der Munz gerade die Praxis übernommen. Und sich eigentlich recht schnell eingelebt. Die Frau Magister weniger. Die hat nicht so recht gewusst, was sie in St. Anton anfangen soll. Weil Schwammerlsuchen hat sie nicht wollen – und Tarockieren hat sie nicht können. Und sonst schaut es halt bei uns eher schlecht aus, was die sogenannten Freizeitangebote betrifft. Höchstens noch Zeltfeste. Da gibt es genug. Und Hüttenfeste auch. Aber genau so ein Hüttenfest ist dann dem Doktor Munz zum Verhängnis geworden. In Trilling war es, hoch hergegangen ist es – da hat der Fuzzi auf einmal eine saublöde Idee. Schnappt er sich seinen Fotoapparat – das war eigentlich nur ein blöder Zufall, dass er den mitgehabt hat, weil: Wer nimmt denn schon auf ein Hüttenfest einen Fotoapparat mit? Aber der Fuzzi war ausgerechnet an dem Tag auf Betriebsausflug in der Wachau und hat fleißig Weinkeller fotografiert. Schnappt er also seinen Fotoapparat und kriecht unter den Tisch. Und kriecht weiter und kriecht und kriecht, bis dass er in der Schnapsbar landet. Direkt unter dem Rock von der Frau Magister. Und drückt ab. Gleich ein paar Mal! Dass es unter dem Rock nur so blitzt! Angeblich sind die Fotos sogar was geworden. Dafür ist es mit der Hochzeit vom Doktor Munz nichts geworden. Weil nämlich die Frau Magister keinen Spaß verstanden hat. Und nicht nur das Trillinger Hüttenfest auf der Stelle, sondern auch St. Anton für immer verlassen hat. Seither geht der Fuzzi vorsichtshalber zum Blumenfelder Doktor, wenn ihm was fehlt.

Jetzt könnte man sagen: Das mit den Fotos gehört eigentlich gar nicht hierher. Weil das ja eine ganz eine andere Geschichte ist. Will ich auch gar nicht abstreiten. Aber: Was soll ich denn machen? Ich kann ja auch nichts dafür, dass dem Doktor Munz die Geschichte mit den Fotos gerade jetzt wieder eingefallen ist. Aber nicht, weil die Gucki der Frau Magister Moll so ähnlich schaut: Weil sie so ganz anders ist! Und dass er für das Hobby Rosenzüchten eigentlich noch zu jung ist, denkt er sich auch. Und weil er gar so viel denkt, denkt er überhaupt nicht dran, was sich die Leute denken werden, wenn ihr Doktor mit einem dünnen Manterl und mit Schlapfen im Schneesturm vor dem Haus herumsteht. Man sieht ihn aber eh fast nicht. Praktisch getarnt: weißes Manterl, weißes Hemd, weißes Hoserl, weiße Schlapfen und sogar weiße Socken. Die Haare werden auch schön langsam weiß. Und kalt ist ihm sowieso kein bisserl. Weil ihm vor lauter An-die-Gucki-Denken ganz warm ist.

* entrisch: gruselig, unheimlich

Der Gucki ist dafür saukalt. Richtig reißen tut es sie, wie sie jetzt durch den Schnee stapft. Warum muss sie aber auch blöd in der Gegend herumrennen, anstatt endlich ihren Aufmacher zu schreiben? Wird schon ihre Gründe haben. Erstens muss der Turrini sowieso schon längst Gassi, wobei Gassi natürlich der falsche Ausdruck ist, weil es bei uns ja keine Gassen gibt. Zweitens muss sich die Gucki den Tatort anschauen. Und auch bei Tatort bin ich mir nicht so sicher. Weil: Wer sagt denn, dass der Fundort der Leiche gleichzeitig der Tatort ist? Eigentlich kann er es gar nicht sein. Hundertpro! Weil gestern ist der Harry nicht umgebracht worden – und vorgestern hätte die Gucki die Leiche gefunden. Also: die Gucki wahrscheinlich nicht. Wegen dem vielen Schnee. Der Turrini aber bestimmt. Für was ist er denn sonst ein Hund? Die Gucki und der Turrini sind nämlich vor zwei Tagen am Fundort vorbeigekommen. Weil sie da praktisch jeden Tag vorbeikommen. Beim Gassigehen, das – wie gesagt – kein Gassi-, sondern ein Feldwegigehen ist. Weil der Fundort ja ganz in der Nähe von der Gucki ihrem Haus ist. In Steining. Das ist ein Dorf, das aber kein richtiges Dorf ist, sondern lauter alleinstehende Häuser. Ein paar Bauernhäuser und der Gucki ihr Wochenendhaus, das jetzt kein Wochenendhaus mehr ist. Eher umgekehrt – ein Wochentagshaus. Weil die Gucki am Wochenende öfter nach Wien fährt.

Gestern war sie aber nicht in Wien. Da war sie mit dem Turrini beim Fundort. Und ist sogar stehen geblieben. Und hat sogar noch ein Foto gemacht. Weil es so ein entrisches* Bild war. Ist da auf einmal so eine Art Galgen aufgestellt. Einfach zwei Latten im rechten Winkel zusammengenagelt, und dann noch eine dritte in einem Winkel von 45 Grad. Damit es auch hält. Und an dem Galgen baumelt eine tote Krähe. Mit dem Kopf nach unten. Trotzdem schaut es aus wie eine öffentliche Hinrichtung. Sozusagen abschreckendes Beispiel. Nur: warum? Ich mein: Für was braucht man im Winter eine Vogelscheuche? Gibt ja nichts, was die Krähen fressen könnten. Nur Schnee. Die Siloballen, die für die Gucki normalerweise ein vertrauter Anblick sind, weil sie schon seit dem Sommer dort liegen, sind so verschneit und so verweht, dass sie auf einmal wie ein Lindwurm ausschauen. Den hat die Gucki auch fotografiert. Gleich ein paar Mal. Die Siloballen hat die Gucki sowieso schon öfter fotografiert. Auch schon im Sommer. Weil sie so was Unwirkliches haben. Praktisch Fremdkörper in der Landschaft. Die Form ist es aber nicht, dass sie nicht herpassen. Weil da gibt es Steine auch, die so ausschauen: so ein Zylinder, bei dem die Kanten abgerundet sind. Eher das Material: das Plastik, das da herumgewickelt ist. Weil es ausschaut, wie wenn es so spannen tät, wie wenn es den Siloballen jeden Moment zerreißen tät. Und dann natürlich die Farbe: So ein komisches Grün, dass man es gar nicht beschreiben kann. Am ehesten noch: gespieben. So blassgrün wie einer im Gesicht ist, der kurz vor dem Speiben steht. Irgendwie eine Leichenfarbe. Ich mein: Ich will ja nichts sagen gegen die Siloballen, weil sie ja schon recht was Praktisches sind. Nur: Jetzt gibt es sie schon seit mehr als zehn Jahren – und ich kann mich noch immer nicht an die Silobinkel gewöhnen! Weil bei uns heißt es Silobinkel. Weil natürlich kein Mensch Ballen sagt. Binkel klingt ja auch irgendwie freundlicher. Trotzdem kann ich mich nicht damit anfreunden.

Der Turrini anscheinend auch nicht. Der bellt wie ein Wilder und ackert im Schnee herum, als wären die Silobinkel wirklich ein Lindwurm – und er der Heilige Ritter Georg, der die Gucki vor diesem Monster beschützen muss. Muss die Gucki natürlich lachen. Weil sie manchmal wirklich ein bisserl von einem Ritter träumt. Halt von einem, der sie aus ihrem ganzen Schlamassel herausreißt: dass sie für diese depperten Mühlviertler Nachrichten schreiben muss, dass sie sich ununterbrochen von dieser depperten Chefin sekkieren lassen muss, dass sie mit dieser depperten Diplomarbeit über den Turrini nicht fertig wird, dass sie nicht weiß, wie sie diesen depperten Altbausanierungskredit zurückzahlen soll, dass dieser depperte Hund nicht folgt, dass überhaupt alles aussichtslos ist. Da ist es dann wirklich kein Wunder, dass sie hie und da ein bisserl ins Träumen kommt. So – von wegen eine starke Schulter, an die man sich anlehnen kann. Nur war halt weit und breit kein Ritter in Sicht. Weil ins Gasthaus Otter verirrt sich keiner – und auf ein Zeltfest oder Hüttenfest auch nicht. Und in die Meierhansl-Hütte, in der sie jeden Sonntag und jeden Dienstag tarockiert, schon gar nicht. Dort gab es zwar Männer zum Saufüttern – und alle nicht verheiratet – und alle auf der Suche nach einer Frau – nur: Was die suchen, ist keine lustige Journalistin, die Kartenspielen kann, sondern eine tüchtige Bäuerin, die einen Nebenerwerbshof bewirtschaften kann. Und außerdem: Bei der Gucki traut sich sowieso keiner so recht. Weil die Gucki halt doch anders ist. Nicht nur, weil sie eine Studierte ist. Auch weil es einem das Beuschel herausreißt, wenn man einmal bei der Gauloises filterlos anzieht, die die Gucki immer raucht. Da muss einer schon recht einen Rausch haben, dass er zudringlich wird. So wie gestern der Joe. Hat ihr ein bisserl auf den Busen gegriffen. Ist aber dann eh gleich eingeschlafen. Im Sitzen. Die Watschen, die ihm die Gucki vorher noch gegeben hat, hat er wahrscheinlich nicht einmal recht gespürt. Obwohl: Die Gucki kann ordentlich zuhauen! Weil geklescht hat es ärger, wie wenn der Fuzzi „Schuss!“ sagt. Und der drischt dabei so auf den Tisch, dass die Gläser wackeln. Aber das hab ich eh schon erzählt.

Und dann hat die Gucki jetzt auch wirklich was Besseres zu tun, als an Männer zu denken. Weil es ihr schon wieder den Magen hebt. Weil es auf einmal so stinkt. So ein eigenartig süßlicher Geruch. Ein bisserl wie Zuckerwatte. Nur: Wo soll denn da mitten am Arsch der Welt eine Zuckerwatte herkommen? Wahrscheinlich bildet sie sich das nur ein. Außerdem wird es jetzt wirklich höchste Zeit, dass sie in die Redaktion kommt. Also hoppauf! Die Gucki pfeift – der Turrini kommt nicht. Das allein wäre noch nichts Besonderes. Weil der Turrini grundsätzlich nur kommt, wenn es ihm passt. Weil ihn die Gucki halt verzogen hat. Vermodelt heißt das bei uns. Nur: Normalerweise schaut ihr Turrini-Burli wenigstens her, wenn sie pfeift: Ob sich das Folgen auszahlt. Ob das Frauli vielleicht ein Fressi in der Hand hat. Weil das Frauli immer ein Fressi eingesteckt hat. Heute – zum Beispiel – eine getrocknete Rindslunge. In der Außentasche von ihrer Fliegerjacke. Das ist so eine kurzgeschnittene schwarze Lederjacke mit einem Kragen aus weißem Lammfell. Die ist auch vom Opa. Der war nämlich Jagdflieger. Und die Fliegerjacke war neben einem Bauchschuss das Einzige, was ihm vom Krieg geblieben ist. Dementsprechend stolz war er auch auf seine zwei Erinnerungen. Wenn der wüsste, wie seine Jacke jetzt riecht! Weil sie nämlich gotterbärmlich stinkt. Nach Hundefutter. Vielleicht kriegt die Gucki nur deswegen keinen Mann?

Aber lassen wir die Spekulationen! Beim Turrini waren wir. Der nicht nur nicht folgt, sondern auch nicht einmal herschaut. Weil er wie ein Narrischer im Schnee herumbuddelt. Bleibt der Gucki gar nichts anderes über, als dass sie hingeht. Wie sie aber näher kommt, wird ihr klar, dass sie sich das mit der Zuckerwatte nicht nur eingebildet hat. Ich mein: Zuckerwatte ist es natürlich keine, aber stinken tut das Silofutter genauso. Und der Turrini muss sich jetzt auch noch in diesem stinkenden Zeug herumwuzeln! Das macht er grundsätzlich. Je mehr was stinkt, umso lieber ist es ihm! Am liebsten rennt er daher hinter einem Miststreuer her oder hinter einem Odelfassl. Und dann wuzelt er sich auch schon im ärgsten Dreck – und die Gucki kann ihn wieder baden! Nur: Das macht er ja nicht zufleiß – das machen die meisten Hunde. Die Gucki hat sogar beim Otter groß angekündigt, dass sie Odel in Hundeparfüm-Flascherl abfüllen und sauteuer verkaufen wird. Das war aber natürlich nicht ernst gemeint. Weil die Produktbezeichnung Eau de toilette wäre dann doch zu doppeldeutig. Trotzdem erzählt das Fräulein Ehrenmüller bis zum heutigen Tag herum, dass die Gucki angehende Parfumfabrikantin ist. Das tut die Gucki überhaupt gern: so ein bisserl die Leute pflanzen. Für das ist ihr nichts zu blöd! Hat sie doch tatsächlich knapp unter dem Dach an die Mauer von ihrem Haus einen alten Holzkorb montiert. Und mitten in den Korb einen Schneebesen hineingesteckt. Hat auch nicht lang gedauert, bis man sie darauf angeredet hat. Und ein paar hat es wirklich gegeben, die die Geschichte vom biologischen Fernsehprogramm aus Schweden sogar geglaubt haben. Weil so ein Holzkorb wirklich eine gewisse Ähnlichkeit mit den Satellitenschüsseln hat, die heutzutage auch bei uns ein jedes Haus verschandeln. Von den Hirnen, die damit verschandelt werden, will ich jetzt gar nicht reden!

Weil nämlich der Turrini jetzt was gefunden hat. Hat auf einmal mit dem Herumwuzeln aufgehört und mit dem Graben angefangen. Aber nicht in der Erde, weil das tät ja gar nicht gehen, weil gefroren, sondern im Silofutter. Und tatsächlich was gefunden. Nämlich dem Harry sein Geld­taschl. Hat die Gucki natürlich gesagt: „Braves Hundi!“ Und dann: „Such!“ Vielleicht findet er noch was? Und wirklich! Weil so ein Hund hat ja eine extreme Spürnase. Weil aber die Gucki auch eine extreme Spürnase hat, heißt der nächste Aufmacher der Mühlviertler Nachrichten: Indiz für Todeskampf – Die Uhr des Mörders! Und drunter ein Foto von der Uhr, die der Turrini gefunden hat: eine Herren-Armbanduhr mit einem abgerissenen Lederbandl.

Turrinis Nase

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