Читать книгу Wie ein Tautropfen - Franz Smagacz-Allramseder - Страница 4

Patricia Santosa

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Als ich Frank zum ersten Mal begegnete, gab es einen anderen Mann in meinem Leben.

Mit diesem Mann wollte ich gemeinsam unsere Zukunft planen und den Rest meines Lebens verbringen.

Auf ihn hatte ich lange gewartet und dann, als alles so schien wie lange von mir geplant, kam er nur noch ein letztes Mal nach Barcelona und verließ mich danach wie ein Fremder.

„Jetzt, da ich in unserer eigenen Firma andere Aufgaben übernehmen muss, werde ich keine Zeit mehr haben, um mehrmals im Jahr nach Spanien zu reisen.

Ich habe es mit einem meiner Partner schon abgesprochen, er wird in Zukunft eure Firma betreuen.

Er ist gut. Fast so gut wie ich, vielleicht. Vielleicht noch besser. Er ist jung, eigenwillig und ihm gehört wohl die Zukunft. Er weiß es nur noch nicht.

Du wirst seine zurückhaltende Art mögen. Du wirst dich vermutlich nicht mehr daran erinnern, aber du bist ihm schon einmal kurz begegnet. Es war nach einem Vertragsabschluss, nur damals noch für meine alte Firma. Wir haben danach in meinem Haus gefeiert. Doch er bleibt nie lange auf solchen Festen, möglich, dass ihr euch an diesem Abend nicht wirklich kennen lernen konntet.“

Dann wurde sein Name aufgerufen und man bat ihn umgehend zur Passkontrolle.

Obwohl ich es zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen konnte sah ich Anasev, diesen Mann mit seiner roten Fliege, den ich liebte und mit dem ich zusammen leben und alt werden wollte, nie wieder.

Nach dem Tod meines Vaters hatte ich gehofft, gemeinsam mit Anasev unsere Firma zu leiten. Auf ihn hatte ich all die Jahre gewartet. Schon am ersten Tag, als ich ihm in Deutschland bei Vertragsverhandlungen gegenübersaß, wusste ich, dass dieser Mann in meinem Leben eine große Rolle spielen würde.

Als Projektleiter einer der renommiertesten Firmen in Deutschland, verbrachte er dann oft viele Monate in Barcelona. Er gab Schulungen in unserer Firma, half beratend beim Aufbau der neuen Anlagen und wohnte irgendwann bei seinen Besuchen, wie selbstverständlich in unserem Haus. Er ging mit meinem Vater zur Jagt, spielte mit ihm Schach und trank seinen Wein.

Und irgendwann, irgendwann bemerkte er auch meine Zuneigung zu ihm. Und nicht viel später verbrachten wir unser erstes gemeinsames Wochenende, in unserem kleinen Landhaus am Meer. Wir wurden gute Freunde, die sich auf irgendeine achtvolle und liebenswürdige Weise vielleicht auch wirklich liebten.

Anfangs dachte ich es wäre der Altersunterschied, der ihn zögern ließ, sich auf diese Beziehung einzulassen. Mit der Zeit spürte ich aber, dass es etwas Anderes war, das zwischen uns stand. Wir sprachen nie darüber. Ich hatte Angst ihn dann vielleicht für immer zu verlieren.

Vor etwa einem Jahr rief er spät abends an und teilte mir freudig und aufgeregt mit, dass er gemeinsam mit zwei anderen jungen Ingenieuren endlich seine eigene Firma gegründet hatte. Es war schon immer sein großer Traum. Es fehlten ihm nur die geeigneten Partner, denen er vertrauen konnte. Nun hatte er sie offensichtlich gefunden.

Einen Fred kannte ich schon von meinen Besuchen in Deutschland, bei denen ich meinen Vater begleiten durfte.

Nun gab es da noch einen Frank, bei dem sich seine Stimme anhob, wenn er von ihm sprach. Das war für einige Zeit dann aber auch das Ende unserer geschäftlichen Beziehungen. Die Abmachungen unserer Firma bestanden mit seinem früheren Arbeitgeber und konnten vor Ablauf des Vertrages nicht gekündigt werden.

In diesen folgenden Monaten brach unser Kontakt fast völlig ab. Er rief mich gelegentlich kurz an, war aber für mich so gut wie nicht mehr zu erreichen. Ich wollte ihm die Zeit geben, sich in sein neues, selbständiges berufliches Leben einzuarbeiten. Als Tochter eines Unternehmers war ich mit der ständig knappen Freizeit meines Vaters ja vertraut. Zu einer Neuauflage unserer Geschäftsbeziehungen kam es so erst dann wieder, als mein Vater sich ein halbes Jahr vor seinem Tod dazu entschloss, einen kleineren Konkurrenten in Cádiz aufzukaufen und Anasev Ingenieur-Büro, ohne jegliche Ausschreibung und Rücksprache mit seinen leitenden Angestellten, den Auftrag gab, diese Firma in seinem Sinne neu zu gestalten.

Vielleicht war es der letzte Versuch meines Vaters, meine damals große Liebe, wenigstens an unsere Firma zu binden. Vielleicht aber, und das ist wahrscheinlicher, wollte er selbst nicht auf Anasevs Freundschaft und ihre weinseligen Abende verzichten.

Seinen letzten Besuch hat er dann allerdings nicht mehr erlebt. An der Beerdigung meines Vaters konnte Anasev nicht teilnehmen. Er war in diesen Tagen in Schweden und für mich unerreichbar.

Er hatte dort irgendwann in seiner Jugend einen Platz an seinem einsamen See entdeckt, an den er sich, nun längst erwachsen geworden, immer wieder zurückzog, wenn er wichtige Entscheidungen treffen musste. Dort legte er dann seinen Anzug und seine Fliege ab, um an einer alten Holzhütte zu angeln und um vermutlich Kraft zu finden für seine neuen Unternehmungen.

Ich war wohl die Einzige, die von seinen Auszeiten in Schweden wusste. Als er mir damals etwas verschämt von seinem kleinen Holzhaus in Schweden erzählte, war er plötzlich wie verändert. Es war, als würde er mir von einer seiner größten Schwächen erzählen. Etwas wovor er sich vor mir schämen müsste. Etwas, was so grundlegend dem Bild widersprach, das er mir und allen anderen Menschen, denen er begegnete so gerne zeigen wollte.

An diesem Abend am Meer hatte ich erstmals wirklich daran geglaubt, aus unserer guten Freundschaft könnte mehr werden. Aber schon am nächsten Tag war Anasev wieder der, der er war, wenn er geschäftlich nach Spanien kam um mit unserer Firma Verträge abzuschließen.

Und zu diesem letzten Besuch kam er auch nur, da unser neuer Vorstand, der nach dem Tod meines Vaters nun die Firma kommissarisch leitete, wenigstens den Anschein gewahrt haben wollte, sie könnten diesen Vertrag mit

Anasevs Firma wieder rückgängig machen, oder zumindest nachträglich zu ihren Gunsten verändern.

Ich wusste von ihren Vorbehalten gegenüber diesen Deutschen. Sie mochten sie nicht und mein Vater hatte auch keine Gelegenheit ausgelassen, ihnen mit Anasev zu drohen, wenn sie sich seinen Vorstellungen widersetzen wollten. Und der geschäftliche Erfolg der letzten Jahre gab ihm letztendlich auch recht.

Mit seiner freundlichen und liebenswerten Art, beantwortete Anasev dann alle Fragen, die ihm gestellt wurden. Er war wie immer sehr gut vorbereitet und es gab niemand in dieser Besprechungsrunde, der es mit ihm hätte aufnehmen können.

Ohne die Anwesenheit meines Vaters, war Anasev bei diesen Verhandlungen auf sich alleine gestellt. Ich konnte ihm nicht zeigen, dass ich auf seiner Seite stand. Erstmals fühlte ich mich aus dieser Männerwelt ausgeschlossen. An der Seite meines Vaters hatte ich immer das Gefühl, ich wäre wichtig, würde in irgendeiner Weise mit entscheiden.

Die Verträge wurden dann mit kleinen Änderungen ein zweites Mal unterzeichnet. Sie waren eigentlich fast identisch mit denen, die mein Vater kurz vor seinem Tod mit Anasevs Firma abgeschlossen hatte.

Ich sah danach nicht den kleinsten Anschein von Genugtuung in Anasevs Gesicht, wie nach seinen früheren erfolgreichen Vertragsverhandlungen, nach denen meist ausgelassen gefeiert wurde.

Nun schien er eher etwas verunsichert und ich spürte seine ablehnende Haltung, wann immer ich versuchte ihm etwas näher zu kommen. Es war offensichtlich, dass er nicht wegen mir nach Spanien gekommen war und wie viel Kraft ihn diese Verhandlungen gekostet hatten, obwohl es für mich als Außenstehende immer so aussah, als würde er mit seinen Partnern spielen.

Anasev hatte sich verändert. Aber vielleicht sah ich auch nur erstmals diesen berechnenden Geschäftsmann, der gekommen war, um im Auftrag seiner Firma Geschäfte abzuschließen, von denen er und seine Mitarbeiter leben mussten.

Er hatte die Abendmaschine gebucht und ich brachte ihn zum Flughafen. Es war eine eigenartige letzte Begegnung und es war ein eigenartiger Abschied.

Er wusste an diesem Abend wohl schon, dass er nie mehr nach Spanien kommen würde. Als er mich kurz in seinen Arm nahm, spürte ich einen fremden Mann.

Er hatte mir nie etwas versprochen, aber unausgesprochen wusste er, dass ich ein gemeinsames Leben mit ihm plante. Ich wollte nicht glauben, dass sein einziges Interesse an mir irgendetwas mit seinen geschäftlichen Interessen mit unserer Firma zu tun haben könnte. Ich wusste, dass es auch für ihn mehr war, vielleicht mehr, als er sich selbst eingestehen wollte. Wir verbrachten Tage und Abende zusammen, an denen wir uns näher waren, als es Freunde jemals sein können. Wenn Anasev von seinen zukünftigen Plänen sprach, bezog er mich wie selbstverständlich mit ein. Wir tranken in unseren Träumen schon den Wein, den wir gemeinsam irgendwann auf einem unserer Güter anbauen wollten. Wir gingen in Gedanken gemeinsam auf Reisen in die Heimat seiner Urgroßeltern und wohnten in einem Landhaus in Georgien von dem ihm sein Vater immer erzählte, wenn ihn das Heimweh nach seiner Kindheit überkam.

An diesen Tagen wäre es für mich nicht vorstellbar gewesen, dass sich dieser Mann eines Tages einfach, ohne jegliche Erklärung, aus meinem Leben verabschieden würde.

Das einzige was mir blieb, war die geschäftliche Verbindung unserer Firmen und die Gewissheit, dass so unser Kontakt noch viele Jahre in irgendeiner Weise weiterbestehen würde.

Und ich wusste, es würde in absehbarer Zeit ein Mitarbeiter seiner Firma kommen und mit ihm vielleicht die Gelegenheit, wieder Kontakt mit Anasev aufzunehmen.

Es war dann ein regnerischer, für den Monat September ungewöhnlich kalter Tag, als ich Frank zum ersten Mal gegenüberstand.

Einer unserer Fahrer hatte ihn am Vortag vom Flughafen abgeholt und ihn in einem kleineren Hotel an der Plaça del Rei untergebracht. Eine Gegend von der ich nur wusste, dass dort einfache Arbeiter und Künstler leben. Es war ein Hotel in dem wir gewöhnlich die nicht all zu wichtigen Geschäftskunden unterbrachten.

Ich wollte diesem Deutschen zeigen, welch geringen Stellenwert ich seinem Besuch beimaß. Was immer ihm Anasev über mich erzählt hatte, für mich war er nur einer von Vielen, mit denen unsere Firma Geschäfte machten.

Er sollte in einer Arbeitswoche den aus Cádiz angereisten Abteilungsleitern und Technikern aufzeigen, was sich nach deren Übernahme durch uns in ihrer Firma verändern würde. Diese Umstrukturierung bedingte einige Entlassungen und den entsprechenden Unmut der dort beschäftigten Mitarbeiter. Deshalb war es notwendig die ersten Schritte zu dieser Übernahme, in Barcelona vorzubereiten. Meine Aufgabe war es, diese verunsicherten Menschen auf diesen Deutschen einzustimmen, der vermutlich nicht nur ihr berufliches Leben grundlegend verändern würde.

Doch dieser Deutsche ließ am ersten Tag lange auf sich warten. Und irgendwann ging die Türe auf und ein großer Kerl in Jens und schwarzem Hemd, in braunen Lederstiefeln und nassem Haar betrat den Raum. Er ging mit großen Schritten an die Wandtafel, schrieb seinen Namen in die obere Ecke, suchte mit wenigen Blicken den Anschluss für seinen Laptop und als das Logo seiner Firma an der Leinwand erschien, gab er mir kurz die Hand und flüsterte ein beiläufiges und leises; „Hallo“, ohne mich dabei auch nur anzusehen. Er wirkte eher schüchtern und er hatte nichts von dem, was ich nach Anasevs Andeutungen erwarten konnte.

Doch dann sprach er zu den Menschen, die sich offensichtlich vor seinen Worten fürchteten, in einem etwas eigenartigen, aber gut verständlichen Spanisch, wie ich es zuvor von einem Deutschen noch nie hörte. Es war eine angenehme Stimme und sie zeigte eine Selbstsicherheit, die nach meinem ersten Eindruck nicht zu erwarten war.

„Ich werde Ihnen in den nächsten fünf oder sechs Tagen zeigen, was wir mit ihrer Firma vorhaben. Ich weiß, jede unfreiwillige Veränderung ruft erst einmal Ablehnung hervor. Doch ich denke, ich kann sie davon überzeugen, dass manche Neuerungen gelegentlich auch zu mehr Lebensqualität führen können. Wenn sie sich auf die neue Technologie einlassen, auf die ich sie nun vorbereiten möchte, werden sie wieder wettbewerbsfähig und sichern damit langfristig ihren und die Arbeitsplätze all der anderen Mitarbeiter in Ihrer Firma. Diese Sätze habe ich mir im Flugzeug aufgeschrieben und habe sie nun gesagt. Vermutlich werden diese sie nicht sofort überzeugen und dennoch muss man sie sagen, weil sie einfach wahr sind. Denke ich. Die nächsten Tage werden wir wohl ohne solche Phrasen auskommen. Und ich denke auch, wir werden morgens frühestens um 9.30 Uhr beginnen und wenn es möglich ist, und es nicht mehr regnet, unsere Gespräche in den Garten verlegen. Sie müssen dann auch keine Krawatten tragen, aber wenn Sie natürlich unbedingt möchten, ich werde mich nicht daran stören. Ich werde Ihnen in aller Ausführlichkeit unser Konzept erläutern. Sie können mich jederzeit mit eigenen Vorschlägen unterbrechen. Ich möchte, dass Sie alle konstruktiv mitarbeiten und danach mit einer zumindest kleinen Hoffnung nach Cadiz zurückkehren. Ich bin nur der aus dieser Firma in Deutschland, der dieses Konzept in vielen Stunden ausgearbeitet hat und nun diese Umstrukturierung gemeinsam mit ihnen umsetzen muss. Beschlossen haben diese Maßnahmen Andere. Wenn sie mich ablehnen, wird sich an ihrer Situation nichts ändern. Dann wird ein Anderer kommen, und danach wieder ein Anderer und alle werden für sie irgendwie ähnlich aussehen wie ich, und sie werden ihnen alle dasselbe sagen Also, lassen sie es uns versuchen. Ich habe für sie an langen Abenden Unterlagen erstellt, in denen ich die Ziele festgeschrieben habe, die wir gemeinsam erreichen müssen. An diesen Zielen wird sich nichts ändern, aber den Weg dorthin können sie weitgehend mitgestalten. Ich werde jeden ihrer Vorschläge ernst nehmen und diese in unseren Planungen berücksichtigen. Mehr kann ich ihnen nicht anbieten. Ich werde diesen Weg, den wir gemeinsam einschlagen, dann die nächsten Monate genauso wie sie gehen müssen. Mit allen Konsequenzen die sich daraus ergeben. In den ersten Monaten werde ich ihr Steuermann sein, dann werde ich das Steuer an sie übergeben und nur noch für eine gewisse Zeit mitrudern. Und dann irgendwann unser bis dahin gemeinsames Boot wieder verlassen. Jeder Einzelne von ihnen ist wichtig. Jeder genau so viel wie der Andere. Der Einzige der dann irgendwann überflüssig sein wird, werde ich sein. Für sie wird heute eine neue berufliche Zukunft beginnen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.“

In nur wenigen Minuten entspannten sich die Gesichter aller Anwesenden und ich bemerkte erst viel später, dass ich mit offenem Mund und völlig überflüssig dastand und ihn wie ein kleines Mädchen anstarrte.

Doch weder ich, noch sonst irgendwer aus unserer Firma schienen ihn zu interessieren. Zu den vorgesehenen abendlichen Meetings, bei denen er über den Verlauf der Unterweisung hätte berichten müssen, kam er nur einmal um uns mitzuteilen, dass er für solche Gespräche nicht zur Verfügung stand. Er sagte uns dies in seiner ihm wohl angeborenen Gelassenheit, aber in einer Bestimmtheit, der wir nichts erwidern konnten. Meine Kollegen erkannten sehr schnell, dass es keinen Sinn machen würde, sich mit ihm anzulegen. Einige von ihnen bereuten es nun vermutlich, dass sie es von nun an nicht mehr mit diesem noblen, höflichen Mann mit roter Fliege zu tun hatten, den sie noch vor wenigen Wochen mit aller Herablassung behandeln konnten, ohne dass dieser sich dagegen wehren wollte, oder konnte. Es wurden noch einmal alle Vorbehalte gegen diesen, mit den Deutschen abgeschlossenen Vertrag vorgebracht, aber darüber sprach man erst, als dieser Deutsche längst wieder gegangen war.

Frank hatte sich ein Auto gemietet und verbrachte die Siestas außerhalb der Firma und er verschwand ebenso schnell am Abend, so, dass wir uns beinahe nicht mehr begegnet wären.

Von meinem Bürofenster aus konnte ich sie täglich im Garten sitzen sehen und schon am zweiten Tag sah ich ein Lächeln in den Gesichtern, der anfangs schweigsamen Männer und Frauen aus Cadiz. Der große, eigenartige Deutsche hatte offensichtlich ihr Vertrauen erworben. Ich hätte gerne an diesen Gesprächen teilgenommen. Doch im Gegensatz zu Frank aus Deutschland fehlte diesen Menschen aus Cadiz jegliches Vertrauen in uns Menschen aus Barcelona, die gegen ihren Willen ihre Firma übernahmen, in der sie alle schon seit vielen Jahren ihr Brot verdienten. Wir jedenfalls konnten ihnen nie die Angst nehmen, alles zu verlieren, obwohl wir akzentfrei ihre Sprache sprachen. Am vorletzten Tag dieser Arbeitswoche wartete ich morgens vor dem Schulungsraum auf ihn, da es die einzige Möglichkeit war, um ihn anzusprechen. Ich war mir mittlerweile sicher, er würde sich auch an diesem Abend in sein Auto setzten und ohne ein Wort an uns einfach wieder zu seinem Hotel fahren, wie die Tage zuvor.

Obwohl ich vorbereitet war und mir alle Mühe gab, klang meine Stimme ungewohnt schwach und leise, als ich Frank dann ansprach:

„Die Geschäftsleitung möchte sie gerne an ihrem vorletzten Abend in Spanien zum Dinner einladen. Ich denke, es gibt noch einiges zu besprechen, bevor Sie zurück nach Deutschland reisen“

Er blieb unmittelbar vor mir stehen, sah mir in die Augen, wie immer, wenn er mit einem sprach und antwortete:

„Das ist sehr nett von der Geschäftsleitung, aber in meinem kleinen Hotel gibt es eine sehr gute Küche und ich habe mich dort schon zum Abendessen angemeldet. Aber wenn sie möchten, können wir auch dort zusammen essen.“

Er sagte dies sehr höflich und mit einem eigenartigen Lächeln. Man spürte, dass es keine Ablehnung war, weil er aus welchem Grund auch immer nicht wollte, sondern weil es eben so war wie es war. Und um ebenfalls nicht unhöflich zu sein, sagte ich ihm, ich würde über sein Angebot nachdenken. Aber ich konnte nicht annehmen, dass er ernsthaft dachte ich würde dies wirklich ernst meinen.

Obwohl ich es mir nicht eingestehen wollte, hatte mich die Absage dieses Deutschen gekränkt. Doch es dauerte dann noch Stunden bis ich bereit war mir das Recht zuzugestehen, diesen von mir bezahlten Mitarbeiter dann zu sprechen, wann immer es mir danach war. Und dieser Abend war die letzte Gelegenheit dazu.

Ich trug meine Haare offen und kam in meinen ältesten Jeans, die ich gelegentlich nur noch zu Gartenarbeiten anzog.

Frank saß in einem hellen Sommeranzug mit passender Krawatte und seinen Lederstiefel in diesem etwas abgewohnten Hinterzimmer, an einem schon gedeckten Tisch und wie es aussah, hatte er auf mich gewartet.

Als er mich sah stand er auf, kam mir einige Schritte entgegen und nahm mir meine Regenjacke ab. Eine ältere Dame in einem ausgebleichten blauen Kleid, aber nettem Gesicht, brachte uns Wein und lächelte Frank freundschaftlich zu. Ich sah in ihrem Blick, dass Frank ihr einen eventuellen Damenbesuch angekündigt hatte und sie mit seiner Auswahl offensichtlich zufrieden war.

„Es ist schön, dass sie gekommen sind.“

Ihre Stimme klang sanft, aber bestimmt und selbstbewusst und es war offensichtlich, dass sich Frank und diese sehr einfach aussehende Frau in den wenigen Tagen, in denen er hier war, vertraut geworden waren. Bestimmt ohne viele Worte, aber vermutlich mit einer Selbstverständlichkeit, die ihm wohl angeboren war.

Wir sprachen beim Essen kein einziges Wort. Ich passte mich dem langsamen Rhythmus meines Gegenübers an und war erstaunt darüber, dass ich mich nicht daran erinnern konnte in letzter Zeit so gut gegessen zu haben. Ich fühlte mich eigenartig wohl und geborgen in seiner Nähe.

Als es aufhörte zu regnen, zeigte mir dieser Fremde einen Teil dieser Stadt, in der ich geboren wurde und die ich so noch nicht kannte. Die kleinen Gassen um sein Hotel füllten sich plötzlich mit Leben. Aus den Bars klang Musik und auf den kleinen Plätzen versammelten sich all die Menschen, die bei Tageslicht noch mit verschlossenen Gesichtern ihren Geschäften nachgingen.

Nun waren sie bereit zu leben. Luftballonverkäufer, Gaukler, versteinerte Pantomimen, Zigeuner mit ihren Gitarren, die ihren traurigen Flamenco nur für sich selbst spielten, aber danach umso eindringlicher die umstehenden Zuhörer dazu drängten, zu ihrem Lebensunterhalt beizutragen. Es war ein großes Theater, das hier vermutlich jeden Abend gespielt wurde.

Ich kannte dies alles nicht. Ich lebte nur wenige Kilometer weit entfernt, in einer völlig anderen Stadt. Frank ging an meiner Seite und alles was um uns herum geschah, war durch ihn so selbstverständlich, als würde es zu meinem täglichen Leben gehören. Ich sah plötzlich diese Stadt, meine Stadt, durch seine Augen. Um ihn in diesem Gedränge nicht zu verlieren, nahm ich seine Hand. Es war ein angenehmes Gefühl ihn zu spüren. Frank führte mich wie ein kleines Mädchen durch diese mir fremden Gassen zu einem alten Haus, aus dem es streng nach asiatischen Gewürzten roch. Vorbei an japanischen Lampenständern, Büchern, indischen Holzelefanten und einer kleinen Teeküche, betraten wir dann einen kleinen grünen Innenhof, in dem sich ein steinerner Buddha in Lebensgröße und ein bronzener, etwas kleinerer, vielarmiger Shiva etwa auf Augenhöhe gegenübersaßen. Eine junge Frau in einem bunten Sari kam an unseren Tisch, lächelte meinem Begleiter vertraut, aber etwas schüchtern zu und nahm seine Bestellung entgegen.

Sie sprachen dabei in einer Sprache, die ich noch nie gehört hatte. Für dieses Mädchen schien es mich nicht zu geben. Mit demselben Lächeln und ihrer Verachtung mir gegenüber, brachte sie uns dann kurze Zeit später eine Kanne Tee und etwas Gebäck an unseren Tisch.

Und wieder sprachen sie wenige, für mich unverständliche Sätze miteinander, in denen aber eine Wärme und zugleich Achtung lag, die mich erstaunte.

Ich erinnerte mich an ein Gespräch mit Anasev, in dem er von einem zukünftigen Partner sprach, der sich schon seit Monaten irgendwo in Indien aufhielt und von dessen Rückkehr er seine angestrebte Selbständigkeit abhängig machte. Damals wunderte ich mich darüber, dass dieser ansonsten so selbstsichere, stolze Mann offen zugab, von einem anderen Menschen beruflich abhängig zu sein. Als ich etwas enttäuscht und spöttisch mehr über diesen Menschen wissen wollte, wechselte er sichtbar nervös einfach das Thema. Er war sich in dieser Zeit seiner Mitarbeit wohl noch nicht sicher.

Frank erzählte mir dann auch, dass er seine Mittagspausen nicht nur in seinem Hotel verbrachte.

„Nur wenige Häuser weiter gibt es einen wirklich guten Araber. Auf den Tischen stehen Wasserpfeifen, an den Wänden hängen wohl alle bekannten Pharaonen, die Kellner kommen aus Ägypten und dem Jemen. Der Koch allerdings ist ein Deutscher aus Köln. Das Essen ist wirklich ausgezeichnet. Er kam vor vielen Jahren wegen seiner großen Liebe nach Barcelona und konnte eigentlich nicht kochen. Diese große Liebe gibt es längst nicht mehr, dafür ist aus ihm ein hervorragender arabischer Koch geworden. Bei ihm habe ich täglich zu Mittag gegessen und anschließend habe ich mich hier bei einer guten Tasse Tee auf meine Arbeit bei euch vorbereitet.“

Der kleine asiatische Garten mitten in Barcelona füllte sich langsam mit Leben. An den Nachbartischen saßen nun die unterschiedlichsten Menschen aus aller Herren Länder. Männer mit langen weißen Bärten, junge Frauen mit Kopftuch, neben Malern die ihre Arbeitsmappen nicht aus den Augen ließen, gegenüber einer Gruppe Musiker, die ihre Instrumente in recht schäbigen Koffern unter ihren Stühlen und Tischen versteckten. Einer von ihnen packte irgendwann ein seltsames Saiteninstrument aus und als er spielte, lehnten sich alle zurück und hörten ihm zu.

Eigentlich war ich gekommen, um mit ihm über Anasev zu sprechen. Ich war mir sicher, dass Anasev ihm von mir erzählt hatte. Er hatte ihn bestimmt auf die Begegnung mit mir vorbereitet. Vielleicht hatte er ihm eine Nachricht für mich mitgegeben. Es konnte nicht sein, dass dieser einfach aus meinem Leben verschwand, ohne mir eine Erklärung dafür zu geben.

Noch auf der Herfahrt zu diesem Hotel dachte ich nur daran, diesem Deutschen durch meinen Hochmut zu zeigen, wer ich war. Ich wollte ihn für Anasevs Verhalten bestrafen Doch mit jeder Stunde die ich mit Frank verbrachte, verblasste dieses fast schon schmerzhafte Verlangen meiner verletzten Eitelkeit gerecht zu werden. Ich saß diesem fremden, großen Mann gegenüber und fühlte mich unsagbar wohl. Ich lehnte mich zurück und genoss diese Augenblicke meiner ungewohnten Sorglosigkeit.

„Kann es sein, dass dieses Mädchen uns etwas in den Tee getan hat, ich habe augenblicklich das Gefühl zu träumen? Alles hier ist so unwirklich. Ich bin in dieser Stadt geboren und aufgewachsen, aber ich erkenne sie nicht wieder. Die letzten Monate, vielleicht Jahre habe ich mich fast ausschließlich um die Belange unserer Firma gekümmert. Ich wurde von einem Mann verlassen, ohne die Gründe dafür zu kennen. Ich habe vor wenigen Monaten meinen Vater verloren und mit ihm eigentlich alles, was mir bis dahin wirklich wichtig war. Ich habe also allen Grund traurig und wütend zu sein. Und ich war traurig und wütend. Bis vor wenigen Stunden. Jetzt sitze ich hier in diesem spanisch-asiatischen Hinterhof unter kitschigen chinesischen Lampions, trinke indischen Tee und fühle mich sorglos und geborgen wie schon lange nicht mehr. Wenn ich dich ansehe, habe ich das Gefühl dich schon immer zu kennen. Aber wir sind uns doch erst vor wenigen Tagen zum ersten Mal begegnet und uns eigentlich vollkommen fremd. Und, wie konntest Du so sicher sein, dass ich heute Abend kommen würde?“

Während ich sprach, lehnte sich Frank zurück in seinen für ihn offensichtlich viel zu kleinen asiatischen Stuhl und ich sah erstmals diese dunklen traurigen Augen, mit denen er an mir und vermutlich auch dem Rest dieser Welt um ihn herum einfach vorbei sah, als würden wir für ihn in seiner Wirklichkeit nicht mehr existieren.

Umso mehr überraschte es mich dann, als er mir auf meine Frage freundlich und wie selbstverständlich antwortete:

„Ich war mir nicht sicher, ob du kommen würdest, und ich habe nicht wirklich auf dich gewartet. Aber ich habe mich gefreut, als du gekommen bist.

Ich kann dir die Trauer und die Wut, von der du mir erzählt hast, nicht abnehmen. Ich denke, sie gehören alleine dir und du wirst mit ihnen zurechtkommen müssen.

Manchmal hilft die Zeit, sagt man. Aber keiner kann einem wirklich sagen, wie lange dann diese Zeit sein wird. Einen Monat, Jahre, oder mehrere Leben, wie es die Hindus behaupten. Doch manchmal kann ein kurzer Augenblich ein ganzes Leben verändern. Vielleicht ein kleiner Moment, in dem du plötzlich die Hand eines Anderen in deiner spürst. Vielleicht ein kleines Lächeln, das dir in einem Spanisch Japanischen Hinterhof Cafe begegnet. Aber ich weiß auch, dass diese Augenblicke keine Wunden heilen, sondern nur den Schmerz ein klein wenig lindern. Aber sie geben einem die Möglichkeit neu anzufangen und wer weiß, vielleicht, eines Tages, beginnt dann ein neues Leben.“

Ich saß nun einem Mann gegenüber von dem eine unglaubliche Anziehung und Vertrautheit ausging und der mir gleichzeitig so fremd war, wie selten ein Mensch zuvor. Hätte er mich gefragt, ich hätte diese Nacht mit ihm verbracht. Aber es war wohl auch mein angeborener Stolz, der es nicht zuließ, ihm die Gelegenheit dazu zu geben.

Er brachte mich noch bis zu meinem Wagen, hielt mir die Türe auf und gab mit zu Abschied nur seine Hand wie einem Fremden, dem man zum ersten Mal begegnet.

Danach begann es wieder zu regnen. Obwohl es mir nicht leichtfiel, rief ich noch am selben Abend Anasev in Deutschland an und erzählte ihm, zuerst von den Fortschritten unseres Projektes, dann aber auch von meiner ganz persönlichen Begegnung mit seinem Mitarbeiter, der an seiner Stelle nach Barcelona kam. Er sagte:

„Pass auf dich auf. Er denkt und fühlt anders als wir. Wenn du dich auf ihn einlässt, wirst du einer völlig anderen Welt begegnen. Beruflich kannst du ihm absolut vertrauen. Ich denke, er ist der beste Analytiker, dem ich jemals begegnet bin. Doch mit dieser Logik, mit der er Computerprogramme schreibt, oder komplexe Projekte plant, lebt er auch sein Leben. Er lebt mit sich, und ist sich selbst genug. Frank stellt niemals Fragen. Und er gibt keine Antworten auf Fragen, die sein Leben, oder Gefühle betreffen. Ich kenne ihn nun schon viele Jahre, aber ich weiß nicht wer er wirklich ist. Wir sind Partner, die sich bedingungslos aufeinander verlassen können, aber wir sind niemals Freunde geworden. Sollten wir uns außerhalb unserer beruflichen Welt einmal zufällig irgendwo begegnen, ich denke, Frank würde wortlos an mir vorüber gehen. Er ist mit

Sicherheit nicht der Mann, mit dem du deine Abende verbringen solltest. Dann wenn du denkst du weißt wer er ist, steht er einfach auf und geht ohne ein Wort. Und Du wirst niemals wissen, wann und ob er jemals wieder zurückkommt.“

Nach diesen letzten Worten legte ich den Telefonhörer einfach auf. Ich hatte viele Tage zuvor nach Gründen gesucht, um Anasev anzurufen und mich nie getraut. Und nun rief ich ihn mitten in der Nacht an und wir sprachen fast ausschließlich über Frank. Irgendetwas war mit mir geschehen und ich wusste nur noch nicht, was es war.

Am nächsten Tag ließ ich mich nicht sehen, als er sich von diesen Männern und Frauen aus Cádiz verabschiedete, für deren Leben er nun ein Stück weit verantwortlich war. Ich sah ihre freundlichen Umarmungen und das hoffnungsfrohe Lächeln in vielen Gesichtern der Spanierinnen, als sie der große Deutsche kurz in seine Arme nahm und sie sich an ihn drückten. Ich sah die Achtung, die ihm die Männer entgegenbrachten, als sie sich die Hand gaben. Es war eine Achtung, scheinbar auf Augenhöhe, obwohl sie fast alle zu ihm aufschauen mussten. Ich sah vom Fenster aus, wie er mit seinen Augen nach mir suchte, bevor er in sein Auto stieg und zurück in die Stadt fuhr. Er ging wie er gekommen war. Er ging ohne große Gesten und ohne sich von einem von uns, die wir seine Auftraggeber waren, zu verabschieden. Seine Arbeit, für die er bezahlt wurde war getan und mehr konnten wir wohl nicht von ihm erwarten.

Mit einer Selbstverständlichkeit, als hätten wir uns verabredet, besuchte ich ihn dann spät abends in seinem Hotel und wir verbrachten diese Nacht mit derselben Selbstverständlichkeit, als würden wir uns schon ein halbes Leben lang kennen. Es war mir nichts fremd an ihm. Ich erlebte mit ihm eine Vertrautheit, wie ich sie nur noch vage aus meiner frühen Kindheit kannte. In seinen Armen vergas ich einfach die Zeit und es war mir plötzlich völlig gleichgültig, wer,

oder wo ich gerade war. Es blieben uns nicht viele Stunden, da er schon sehr früh zum Flughafen musste und da mich Anasev gewarnt hatte, war ich am nächsten Morgen auch nicht überrascht, als das Bett neben mir leer war.

Er war einfach gegangen, ohne sich von mir zu verabschieden und ohne mir auch nur eine kleine Nachricht zu hinterlassen.

Doch an diesem Morgen war ich mir schon ganz sicher, dass wir uns wieder begegnen werden und dies nicht unsere letzte gemeinsame Nacht gewesen war.

Dieser eine Abend mit Frank und diese kurze Nacht in seinen Armen, hatten mein Leben verändert. Ich hörte dieses Mal keine Engel singen und hatte keine Schmetterlinge im Bauch, wie nach der ersten Nacht mit Anasev in unserem Ferienhaus am Meer.

Jetzt war es mehr dieses Gefühl der Hoffnung auf eine bessere Zeit, wie ich sie auch in den Augen der Arbeiter aus Cádiz sehen konnte.

Wir trafen uns dann immer, wenn er beruflich nach Spanien kam. Ich erfand irgendwelche Vorwände, um zu ihm nach Cádiz zu reisen. In dieser Stadt kannte mich keiner und wir konnten uns frei bewegen. Wir wohnten in seinem kleinen Hotel am Meer, verbrachten unsere Abende in mit langen Spaziergängen und gelegentlich fuhren wir zum Baden an die schönsten Strände Andalusiens. Wir sprachen viel, aber er erzählte nur sehr wenig aus seinem eigenen Leben. Er war ein guter Zuhörer und alles was er sagte, erschien mir durchdacht und glaubhaft. Er war noch sehr jung, aber er sprach wie ein Mann, der schon viel Zeit damit verbracht haben musste, über sich und sein Leben nachzudenken. Und es schien so, als wäre er in diesen Tagen ebenso glücklich wie ich.

Eines der immer viel zu kurzen Wochenenden, an denen er nicht arbeiten musste, verbrachten wir in einem einfachen Hotel in der Nähe von Conil. Wir saßen abends in einem der unzähligen kleinen Restaurants in der Altstadt und ich erzählte ihm von meinem Leben bei meiner Mutter in Frankreich und meinen Jahren in Schweizer Internaten. Und ich erzählte ihm auch von den immer jünger werdenden Frauen an der Seite meines Vaters, die mir dann, wenn ich zu Besuch kam, wie einem Touristen die Gaudi Häuser erklärten, mit mir die Kathedrale Expiatori de la Sagrada Família besuchten und mich zum Einkaufen in die Rambla schleppten.

Am Ende der Promenade am alten Hafen, steht die Statue von Christoph Kolumbus und er wartete dort immer auf mich. Unter seinem strengen Blick verstummten dann meine Ersatzmütter meistens und hatten ihre Pflicht erfüllt. Mehr Barcelona kannten sie selbst nicht, oder wollten es mir nicht zeigen. So kannte ich die großen Festsäle und die umliegenden Haziendas von Barcelona, aber ich wusste so gut wie nichts über diese Stadt und die Menschen die in hier leben und die ich immer und überall als meine Heimatstadt ausgab.

Ich war hier geboren und in dieser Stadt lebte und arbeitete mein Vater. Es war immer mein Wunsch in seiner Nähe zu sein.

Doch eines Tages, zumindest für mich, ohne jede Vorwarnung, verließ meine Mutter Barcelona und nahm mich mit in ihr kleines Haus in der Bretagne. Sie war dort aufgewachsen und hatte dieses Haus hinter den Dünen am Atlantik, von einer Tante geerbt, die sie eigentlich nicht einmal kannte.

Die Trennung von meinem Vater tat mir sehr weh. Ich kannte die Gründe meiner Mutter damals noch nicht und ich verachtete sie, wie ein kleines Mädchen ihre eigene Mutter nur verachten konnte.

Nur wenige Monate nach ihrer Scheidung heiratete meine Mutter dann einen gewöhnlichen französischen Maler und Weinbauer und es war ihr nicht unrecht, als mein Vater darauf bestand, dass ich unter diesen Umständen nicht mehr bei ihr leben sollte. Ich erinnerte sie wohl zu sehr an diesen Mann, für den sie nur noch Verachtung empfand und dem sie in ihrem Leben nie mehr begegnen wollte.

Sie kam dann auch nicht zu seiner Beerdigung, obwohl ich sie in einem langen Brief eindringlich darum bat.

Dann studierte ich in Salamanca und wohnte auf einer Hazienda eines Jugendfreundes meines Vaters. Und immer, wenn ich zu Besuch nach Barcelona kam, waren die Frauen an der Seite meines Vaters jünger und zuletzt nicht mal mehr viel älter als ich selbst.

Und erst kurz vor Beendigung meines Studiums, besuchte mich mein Vater in Salamanca und bat mich nach dem Examen mit ihm gemeinsam seine Firma zu leiten. Was keiner wusste, er war damals schon krank und durch diese Krankheit wohl gezwungen sein bisheriges Leben aufzugeben,

oder zumindest grundlegend zu ändern.

Als ich dann endlich nachhause kam, gab es keine Frauen mehr an der Seite meines Vaters. Nun war ich es, der ihn auf seinen Geschäftsreisen oder Veranstaltungen begleitete. Und die Abende verbrachte er meist mit Freunden bei einem Glas Wein oder er ging mit ihnen auf die Jagt, bei diesen sie dann oft tagelang wie kleine Jungen durch die Wälder und Landschaften streiften, ohne jemals wirklich Beute zu machen. Aber vielleicht war das auch nicht unbedingt das Ziel dieser Unternehmungen. Es schien so, als würde er sich plötzlich selbst genügen. Es war, als würde er versuchen seine Zeit anzuhalten. Doch allzu viel Zeit blieb ihm dann nicht mehr. Doch für mich waren die letzten Jahre mehr, als ich jemals erhoffen konnte.

Und dann war da noch Anasev Tschchikwischwili, ein Geschäftsmann aus Deutschland, der mir erzählte, er wäre eigentlich Georgier, und der immer eine passende Fliege zu seinen Anzügen trug. Mein Vater vertraute ihm und er freute sich auf seine Besuche in Barcelona. Und Anasev kam dann irgendwann auch, wenn es dazu keinen geschäftlichen Anlass gab.

Und ich erzählte Frank von unseren gemeinsamen Tagen in unserem kleinen Haus am Meer und meinen Hoffnungen und Träumen mit Anasev den Mann gefunden zu haben, mit dem ich für immer zusammen bleiben wollte. Ich erzählte Frank aus meinem Leben, so als würde ich mir dieses Leben selbst erzählen. Es tat mir gut endlich einmal all das auszusprechen, für das ich in meinen Gedanken in all den Monaten keine Erklärung finden konnte. Zeitweise vergas ich Frank neben mir. Für Augenblicke war ich wieder in jene Welt zurückgekehrt, in der Anasev noch eine wichtige Rolle in meinem Leben spielte. Ich erzählte diesem Mann an meinem Tisch die Träume, die ich mit einem anderen Mann träumte, als ich in seinen Armen lag, guten Rotwein trank und auf ein blaues Meer hinaus schaute und unsagbar glücklich war. An diesen Abenden und in diesen wenigen Nächten planten wir unsere Zukunft, bis ans Ende unserer Tage. Wir wollten gemeinsam die Welt bereisen. Im Alter wollten wir uns darauf beschränkten, in diesem Haus am Meer zu wohnen und uns nur noch um die neuen Rebsorten in unseren Weinbergen kümmern.

Als ein Kellner unser Essen an den Tisch brachte, sah ich in Franks fragende Augen. Er sah mich an, als hätte ich ihm gerade eine schreckliche Nachricht überbracht.

Obwohl ich fest davon überzeugt war, hatte Frank offensichtlich wirklich keinerlei Ahnung von meiner früheren Beziehung zu Anasev.

Es folgte ein langes Schweigen und ich hatte Angst vor dem, was er nun sagen würde.

„Ich kenne Anasev nicht gut genug, um mit dir über ihn zu sprechen. Ich habe nicht gewusst, welche Rolle er in deinem Leben spielt. Aber eigentlich weiß ich nicht einmal so genau, welche Rolle er in meinem Leben spielt. Wir sind Partner in einer Firma mit drei Teilhabern, die sich so fremd geblieben sind, wie man es nur sein kann. Wir arbeiten zusammen, planen gemeinsam Projekte und sind dabei sehr effektiv und recht erfolgreich. Keinen von uns interessiert es, wer der andere ist. Wenn ich in Cádiz arbeite, werde ich gelegentlich von den Arbeitern in ihre Familien zum Essen eingeladen. Ich bringe dann den Kindern kleine Geschenke mit. Schon nach wenigen Minuten fühle ich mich dann nicht mehr fremd, an den Tischen dieser Menschen, mit denen ich tagsüber gemeinsam viel Zeit verbringe. Selbst die Hunde bellen nicht mehr, wenn ich zum zweiten Mal komme, und die Kinder haben dann kleine Geschenke für mich vorbereitet. Doch wenn ich mich in Deutschland auf meine Arbeit hier vorbereite, freue ich mich nicht auf diese Abende. Und wenn ich demnächst meine Aufgabe erfüllt habe, werde ich mir auch um diese Menschen keine Gedanken mehr machen und vermutlich ihre Gesichter sehr schnell wieder vergessen. Doch jeder einzelne dieser Menschen hier in Cádiz steht mir näher, als es Anasev jemals sein könnte. In der Welt in der zu leben mich Anasev überredet hat, gibt es nicht viel was Bestand hat. Es ist alles wie ein Spiel, das ständig neu beginnt, in dem jeder seinen Preis hat und das offensichtlich keiner gewinnen kann. Ich denke, Anasevs Preis ist mir zu hoch geworden. Vielleicht ist es für mich an der Zeit, dieses Spiel endlich zu beenden.“

Ich wusste nicht was er mir mit all dem sagen wollte. Mein Eingeständnis vor ihm mit Anasev zusammen gewesen zu sein, hatte ihn offensichtlich tief verletzt.

Obwohl wir danach beide versuchten so zu tun, als hätte es dieses Gespräch nie gegeben, war zwischen uns nichts mehr wie zuvor.

Ich hätte ihm an diesem Abend gerne gezeigt, dass Anasev in meinem Leben nicht mehr die Rolle spielte, wie er es nach meinen Erzählungen nun annehmen musste. Doch er ließ es einfach nicht mehr zu.

Er brachte mich dann am nächsten Tag zum Flughafen und als wir uns verabschiedeten sah ich in diese schwarzen Augen, die mich nicht mehr wirklich sehen konnten. Aber wie immer, verabredeten wir uns für ein nächstes Mal.

Seine traurigen Augen sah ich dann wieder, als wir uns zum letzten Mal in Cádiz trafen. Ich sah sie schon, als ich in Cádiz ankam und er mich in seine Arme nahm.

Er war an diesen Tagen so freundlich und zärtlich wie immer. Aber er war in Gedanken nicht mehr bei mir.

An unserem letzten Abend am Meer wollte er mir mehrmals etwas sagen, aber ich wollte es nicht hören. Ich ließ ihn für einen Augenblick spüren, mit welchem Hochmut ich ausgestattet war. Ich zeigte ihm die Frau, die Fabriken, Ländereien und Weinberge besaß. Ich fragte ihn nach dem Stand der Arbeit, für die er von unserer Firma fürstlich bezahlt wurde. Ich wollte von ihm im Detail wissen, was in den letzten Wochen seit meiner Abreise von ihm geleistet wurde. Ich spielte dieses eigenartige Spiel, obwohl ich genau wusste, dass ich es nur verlieren konnte. Frank sah mich nur lange schweigend an, stand dann auf und ging.

Als er die Türe hinter sich schloss, wusste ich, dass ich ihn für immer verloren hatte.

Ich blieb dann noch mehrere Tage alleine in dieser mir nun plötzlich fremd gewordenen Stadt. Ich wollte, dass keiner sah, wie verletzt und traurig ich war.

Zurück in Barcelona, verbrachte ich viele Abende allein am Plaça del Rei, trank indischen Tee und aß beim Araber um die Ecke, als wäre es das Selbstverständliche dieser Welt. Ich vermisste Frank mehr als jemals einen anderen Menschen zuvor. Erst jetzt wusste ich, dass Anasev in meinem Leben nie wirklich so wichtig war wie ich lange glaubte. Er war der Traum eines kleinen Mädchens und spätestens in diesen Tagen war ich aus diesem Traum endgültig erwacht und war eine erwachsene Frau.

Und irgendwann ging mein Leben einfach weiter. Nach unzähligen Ablehnungen nahm ich eine Einladung von Philipp an und verbrachte das Wochenende in seinem Haus. Sein Vater war ein bedeutender Politiker und Phillip der geborene Diplomat. Scharmant, immer korrekt gekleidet mit

einem weltoffenen Lächeln und wäre wohl nach Anasev der Lieblingsschwiegersohn meines verstorbenen Vaters gewesen.

Mit Philipp kehrte ich wieder in dieses Barcelona zurück, das mir vertraut war. Wir gingen nun regelmäßig ins Gran Teatre del Liceu und ließen auch sonst keinen Anlass, oder Veranstaltung aus, um Menschen zu begegnen, die einmal für Philipps Kariere wichtig sein könnten.

Das Plaça del Rei und die Menschen die dort wohnten, wurden mir schnell wieder so fremd wie vor meiner Begegnung mit Frank.

Philipp war ein liebenswürdiger Mensch und vor allem, er versprach mir eine Zukunft, die ich mir vorstellen konnte. In der ich wusste, wie der nächste Tag für mich aussehen würde. Ein Leben in dem ich nicht auf irgendwen warten musste, sondern täglich ein Teil dieses Lebens sein konnte. Ich wollte endlich zur Ruhe kommen und einfach nur an der Seite eines Mannes leben von dem ich wusste, er würde mir einen Weg vorgeben, dem ich bedingungslos folgen konnte.

Ich war bereit mich auf ein ganz normales Leben einzulassen. Ein Leben, wie ich es mir erträumte, als ich noch in Salamanca studierte und es kaum noch erwarten

konnte endlich erwachsen zu sein.

Wie ein Tautropfen

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