Читать книгу Wie ein Tautropfen - Franz Smagacz-Allramseder - Страница 5

Bille Lampenhorst

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Als es dann kam wie es kommen musste, waren wir Anderen darauf vorbereitet. Wir wussten, dass es eines Tages passieren würde und dass es nur eine Frage der Zeit war.

Susana stürzte sich an einem verregneten Novermbertag von einem Frankfurter Bankgebäude und noch am selben Abend besuchte ich die Party bei Anasev, so als wäre nichts geschehen.

Susannes Bruder kam erst sehr spät und war offensichtlich betrunken. Ich hatte nur wenige Minuten zuvor mit einem Spanier getanzt, den mir Anasev als Geschäftspartner aus Barcelona vorstellte.

Der dicke Bernd, der bei diesen Partys wie immer den unterwürfigen Kellner spielte, obwohl jeder in der Stadt wusste, welch ein genialer Ingenieur er war, kümmerte sich an diesem Abend um diesen kleinen Bruder von Susana. Die Beiden waren so grundverschieden, dass sie sich eigentlich gar nicht mögen konnten. Doch an diesem Abend legte er seinen Arm freundschaftlich auf seine Schulter und versuchte ihn zu trösten.

An diesem Abend wartete ich auf Frank. Immer wenn neue Gäste kamen, hielt ich nach ihm Ausschau.

Es war so, als hätte ich als Susannes beste Freundin, nun irgendetwas mit ihm zu tun.

Dieser Gedanke beängstigte mich ein wenig, da ich Susanas Freund selbst als ihre beste Freundin, so gut wie überhaupt nicht kannte. Diese Gedanken verhinderten dann allerdings auch, dass ich mich auf die offensichtlichen Angebote eines dieser Spanier einließ, die mehrmals im Jahr geschäftlich nach Deutschland kamen und dann von Anasev zu seinen Partys in sein Privathaus eingeladen wurden.

Wenige Tage später, auf Susannes Beerdigung, sah ich dann Frank für Augenblicke an ihrem Grab.

Frank kam etwas später. Ich spürte ihn schon, als er noch weit hinter uns diesen Friedhof betrat. Als er dann an ihrem Grab stand, wurde mir kalt. Er hob kurz seine gefalteten Hände auf Brusthöhe, verbeugte sich tief, warf eine Hand voll Erde auf ihren Sarg, sah nur einen kurzen Augenblick zu uns und Susanas Familie herüber und ging dann wieder, wie er gekommen war.

Seine Augen waren dunkel und fremd wie Steine am Wegesrand an verregneten Novembertagen.

Susanna hatte Recht, als sie mir Frank einmal so beschrieb, längt bevor ich ihm zum ersten Mal begegnete.

Eine Musikgruppe in schwarzen Anzügen spielte zum Abschied ihre damaligen Lieblingslieder

„Niemals geht man so ganz und Knockin On Heavean s Door“

und ich sah, wie der dicke Bernd weinte und ihr Bruder fast in sich zusammen brach und ich sah Anasev wie er Frank sehr lange nachsah.

Doch unsere Partys bei Anasev oder sonst wo, gingen weiter. Wir hatten uns an dieses leichte Leben gewöhnt. Vielleicht, vielleicht weil mir Susanne nun in meinem Leben fehlte, ließ ich mich auf ihren kleinen Bruder ein. Vielleicht aber auch nur, weil ich mich nach meiner letzten Beziehung zu einem in unserer Stadt bekannten Architekten, mehr als gedemütigt fühlte und Heinrich, als zukünftiger Erbe einer kleineren Schuhdynastie, mir die Stellung in dieser young urban professional Gesellschaft erhalten konnte. Heinrich hasste Frank, den Mann seiner Schwester und gab ihm die Mitschuld an ihrem Tod. Immer wenn er betrunken war drohte er damit, es diesem Kerl heimzuzahlen. Nüchtern litt er unter seinen Minderwertigkeitsgefühlen.

Er hatte es fast immer erreicht Susannes Beziehungen, meist schon vor ihrer Entstehung zu verhindern. Nicht selten spielte Geld dabei eine Rolle. Doch oft reichte schon seine permanente Anwesenheit, seine guten geschäftlichen Beziehungen oder seine ständigen Wutanfälle, wenn er betrunken war.

Dann, irgendwann, stand dann an einem verregneten Novembertag dieser groß gewachsene junge Mann neben ihr und man spürte förmlich, wie das Leben mit jedem Tag mehr in Susanne zurückkehrte. Dieser war dann plötzlich nicht mehr bereit auf Nebensächlichkeiten wie ihre Freundinnen, oder kleine Brüder Rücksicht zu nehmen.

Sie folgte seinen großen Schritten und er gehörte sichtbar zu ihr, wenn er alles überragend dann irgendwo neben ihr stehen blieb.

Mit der Sicherheit dieser Beziehung veränderte sie ihr und damit auch das Leben ihrer Freunde und Freundinnen grundlegend. Neben unseren Treffen bei Partys beim Sushi Japaner oder im Blauen Café zum Sektfrühstück, fuhren wir nun auch zu Demonstrationen gegen den Golfkrieg, gegen das Waldsterben und verbrachten viele, oft bitterkalte Nachmittage, bei Veranstaltungen gegen Frauendiskriminierung oder für die Befreiung der Hunde und Katzen aus einem nahe gelegenen Tierversuchslabor.

Unsere erfolgloseste Aktion in dieser Zeit war wohl die geplante Befreiung von gut 10 000 Hühnern aus ihren Legebatterien.

Als wir mit Parka und alten Jeans verkleidet mit unseren Porsche und anderen Cabrios an diesem Hühnerhof vorfuhren, wurden wir von den dort schon anwesenden wirklichen Tierschützern aufgefordert, das Gelände schnellstmöglich wieder zu verlassen. Sie hatten Angst wir würden durch unsere Anwesenheit den Ernst ihrer Aktion in Frage stellen. Sie wollten keine Party feiern. Sie meinten es wirklich ernst. Und am nächsten Tag konnten wir in der Zeitung lesen, dass es bei dieser Aktion einige Verletzte gab, als die Polizei kam und das Gelände mit Knüppel und Faustschlägen recht unfriedlich räumte.

Wenige Tage später brannte der gesamte Geflügelhof ab und alle 10 000 Hühner kamen qualvoll und elendlich zu Tode.

Die Ursache für den Brand war ein defektes Stromkabel das wohl einer der Demonstranten heruntergerissen hatte, als er über das Dach in diesen Hof einsteigen wollte um diesen Hühnern ihre Freiheit zu schenken.

Damals waren dies unsere Themen, wenn wir uns trafen und Susana nahm dies alles bitter ernst. Wenn sie bei Konzerten auf seinen Schultern saß, war sie zweifellos für Augenblicke die Allergrößte.

Obwohl ich etwas Angst davor hatte sie als meine Freundin zu verlieren, freute ich mich ehrlich für Susan. Sie spürte es wohl und kümmerte sich noch mehr um mich, als jemals zuvor. Aber sie sprach so gut wie nie über Frank. Er gehörte allein ihr und sie wollte ihn selbst mit Worten nicht mit mir teilen.

Etwa ein halbes Jahr nach Susanas Beerdigung traf ich Klaus spät abends in einer verrauchten Bahnhofskneipe. Ich war auf dem Nachhauseweg und entdeckte ihn zufällig durchs Fenster. Er war der Sohn des Bürgermeisters und jahrelang Susanas große Liebe. Während ihres Studiums wohnten er und Frank zusammen mit wechselnden anderen Mitbewohnern einer Wohngemeinschaft, in einer alten Villa am Stadtpark. Dort hatte Susanna wohl auch Frank kennen gelernt. Lange sah es auch so aus, als würden Klaus und Susana zusammen bleiben. Aber er war wohl mit ihrer Krankheit und ihrem ständig nervenden Bruder irgendwann überfordert. Als er nicht mehr konnte, oder wollte, hat ihn Susana regelrecht bedrängt. Sie hat ihm überall wo sie ihn vermutete aufgelauert und ihn ständig mit Anrufen belästigt.

Im Gegensatz zu Frank hatte Klaus sein Studium kurz vor dem Examen abgebrochen. Er ließ sich irgendwann die Haare wachsen, trug verwaschene Parkas und es war in der Stadt ein offenes Geheimnis, dass er mit Drogen handelte.

Diese Art von Kneipen gehörte damals absolut nicht in meine Welt. Es kostete mich einige Überwindung, aber ich hatte nichts Besseres vor und ich wollte die Gelegenheit nützen Klaus die Fragen zu stellen, auf die ich keine Antwort wusste. Als ich mich an seinen Tisch setzte, sah er mich mit leeren glasigen Augen an.

„Du warst nicht auf Susanas Beerdigung, jedenfalls habe ich dich nicht gesehen. Du hast eine wichtige Rolle in ihrem Leben gespielt. Ich denke, du hättest dich von ihr verabschieden müssen. Hat Susana dir in all den Jahren eigentlich jemals irgendetwas bedeutet? Ihr kanntet euch schon seit Kindertagen. Ihr ward lange ein Paar von dem die ganze Stadt sprach. Und dann kommst du nicht einmal zu ihrer Beerdigung. Ich kann es einfach nicht glauben, dass du dich nicht von ihr verabschieden wolltest. Du warst einer der wichtigsten Menschen in Susannas Leben“

Klaus sah mich an, als hätte er meine Frage nicht verstanden und meine Anwesenheit war ihm sichtlich unangenehm. Er schwieg lange, bevor er doch noch antwortete.


„Mein Gott Bille, als ich dich das letzte Mal sah, hast du auf einer Party bei Anasev auf dem Dachgarten getanzt und dein langes blondes Haar wehte im Sommerwind und du hast der ganzen Welt den größten Teil deiner Brüste gezeigt. Ich habe den Tänzer beneidet. Mein Gott, das ist schon so lange her. Denke, es war nicht in diesem Leben. Und vielleicht auch nicht im Vorhergehenden.

Überall auf dieser Erde hätte ich mit dir gerechnet, aber nicht in dieser elenden Kneipe. Hier war eigentlich der Ort, an dem ich mich vor dir und Deinesgleichen sicher fühlte.“

Klaus war betrunken und einige dieser eigenartigen Gestalten die sich um diese Uhrzeit hier aufhielten, begannen anzügliche Sprüche zu machen. Es stank nach kaltem Zigarettenrauch und Bier. Es gab wohl keinen Ort, an dem ich mich unwohler hätte fühlen können, als an diesem.

Als ich aufstehen und gehen wollte, hielt mich Klaus mit einem traurigen Lächeln zurück.

„Ich bin vor Tagen Frank begegnet. Er saß spät nachts auf einer Parkbank in der Nähe seiner Penthouse Wohnung, oder was immer das sein soll. Er sah fürchterlich heruntergekommen aus. Zuerst hielt ich ihn für einen dieser Penner, die sich dort gelegentlich herumtreiben.

Wir haben einige Jahre zusammen gewohnt und ich dachte immer, wir würden uns dennoch auf alle Ewigkeit fremd bleiben. Wir sprachen in dieser Nacht mehr, als in den Jahren in denen wir unter einem Dach lebten, aber kein einziges Wort über Susana. Frank ist der geborene Einzelgänger. Ich dachte immer, er würde uns alle nicht brauchen. Ich konnte mir nie vorstellen, dass er einmal wegen einem anderen Menschen leiden könnte. Doch in dieser Nacht spürte ich seine Traurigkeit. Und es war diese Traurigkeit um Susannas Tod, die uns beide erstmals in unserem Leben wirklich verband.

Ich habe ihn damals in meine Wohngemeinschaft geholt, da er mir leid tat, aber vielleicht auch nur, weil ich von seinem Wissen profitieren wollte. Schon bei unserer ersten Begegnung wusste ich, er würde uns einmal alle in den Schatten stellen. Eigentlich hätte er Susana hassen müssen. Wenn sie an Wochenenden bei mir übernachten wollte, durfte kein anderer in der Wohnung sein. Frank verbrachte diese Nächte dann irgendwo, vermutlich auf irgendwelchen Parkbänken, oder in Kneipen wie diesen, die die ganze Nacht geöffnet haben.

An den folgenden Montagen schlief er dann meist noch während der ersten Vorlesungen im Hörsaal ein. Dabei kam es nicht selten zu den eigenartigsten Auseinandersetzungen mit unsren Professoren:

„Wenn sie meine Vorlesung so langweilt, dass sie dabei einschlafen, wäre es wohl besser sie würden zuhause bleiben.“ Franks Antworten waren dann meist sehr einsilbig: „Das mag so aussehen, als würde ich schlafen, aber ich höre ihnen zu.“ Da keiner zurückstecken wollte, ging es dann elend lange so weiter: „Jeder hier im Hörsaal kann bestätigen, dass sie nach jedem Wochenende völlig übermüdet zur Vorlesung erscheinen und schon nach wenigen Minuten einschlafen “ „Denke nicht, dass ich irgendwen in diesem Hörsaal bei seinen Studien störe. Ich habe ein Recht hier zu sitzen bin aber nicht verpflichtet ihnen mit geöffneten Augen zuzuhören Und so ging es dann oft noch Ewigkeiten weiter.

An einem anderen Montag legte er sich mit einem der autoritärsten Professoren an unserer Hochschule an. Dieser drohte Frank damit, ihn mit Polizeigewalt aus dem Hörsaal entfernen zu lassen.

Bei dieser Vorlesung ging es um Komplexe Ableitungen in der Regelungstechnik. Der Hörsaal war nur zur Hälfte belegt und keiner der Anwesenden wäre hier gewesen, wenn er nicht den Nachweis für sein Studium gebraucht hätte.

Als er Frank einfach nicht schlafen lassen wollte und keine Ruhe gab, stand Frank auf und machte sich mit seinen aufrechten fast zwei Metern Körpergroße, auf den weiten Weg hinab zu diesem halb buckeligen hocherregten alten Mann, nahm ihm seine Kreide aus der Hand und wir sahnen den Beiden nun erstaunt zu, wie sie sich gegenseitig mit irgendwelchen Formeln abwechselnd widerlegten.

Irgendwann gingen wir Anderen dann geschlossen zu einem zweiten Frühstück in die Mensa und ließen die Beiden alleine weiterrechnen. Der Prof musste letztendlich zugeben, dass er schon seit Jahren mit einem Skript arbeitete, in der mehrere mathematische Ableitungen falsch waren. Da er diese Aufgaben auch in Klausuren abfragte, kam er dadurch in große Bedrängnis. Theoretisch hätte nun jeder, der bei diesen Prüfungen nicht die notwendigen Punkte erreichte, eine Wiederholung einklagen können. Dies sprach sich sehr schnell herum und wir haben diesen Prof. dann auch nie wieder ertragen müssen. Er war offensichtlich noch klug und mittlerweile alt genug um einzusehen, dass seine Zeit nun abgelaufen war. Spätestens nach diesem Vorfall ließ man Frank schlafen, wo und wann er wollte. Aber die meisten Professoren wussten auch, dass er das Geld für sein Studium oft in harter Nachtarbeit verdienen musste. Nach dem Praktikumssemester, in dem er mit

Anasev und Bernd, an deren Projekten arbeitete, ließen ihn die Beiden nicht wieder aus ihren Fängen.

Oft war nicht wirklich ersichtlich, ob er neben dem Studium arbeitet, oder neben der Arbeit studiert. Für Frank war dies alles selbstverständlich. Jedenfalls hörte man ihn nie über seine Situation klagen. Er hatte schon eine Zusage von dieser Hightech Vorzeigefirma in der Tasche, als wir Anderen noch davon träumten, unser Studium erfolgreich abzuschließen. Er verdiente ab dem vierten Semester schon mehr Geld, als die meisten Professoren und diese wussten dies auch sehr genau. Doch er hatte keine Zeit es auszugeben und am allerwenigsten für Mädchen, die ihn wohl nur beim Arbeiten gestört hätten.

Bis, bis er dann Susana begegnete. Woran ich nicht ganz unschuldig war. Was mir erst sehr viel später auffiel, Frank stellt niemals Fragen. Aber wenn du ihn ansprichst, etwas fragst, oder was auch immer von ihm möchtest, gibt er sich alle erdenkliche Mühe dir gerecht zu werden. Er behandelt dich stets so, als wärst du der wichtigste Mensch in seinem Leben.

Vielleicht haben Anasev und Bernd diese Eigenschaft für sich ausgenützt. Ich habe ihm zweifellos nie die Beachtung geschenkt, die er verdient gehabt hätte. Ich dachte, ich würde ihm einen Gefallen tun, wenn ich ihn an meinem Leben teilhaben lassen würde. Doch letztendlich habe auch ich ihn nur für meine Interessen benützt. Zuletzt war er es, der die Miete für unser Haus allein bezahlte, in dem ich mit meinen Freunden Partys feierte. Und zuallerletzt, als ich nicht mehr konnte, habe ich ihm auch noch Susana übergeben.

Wären wir uns in dieser Nacht, auf dieser elenden Parkbank zum ersten Mal begegnet, ich denke, wir wären vielleicht Freunde geworden. Aber es war neben ihm in dieser lauen Sommernacht gelegentlich so kalt, dass es mich gefroren hat. Susanna ist nicht an diesem verregneten Novembertag gestorben. Auf dieser Beerdigung hätte ich sie nicht mehr angetroffen. Da war sie dieser Welt längst entschwunden. Sie hat mein Leben zeitweise zur Hölle werden lassen. Irgendwie war ich erleichtert, als ich von ihrem Ableben hörte. Und dennoch war ich traurig und fühlte mich schuldig. Diese Schuld war es wohl auch die mich mit Frank in dieser Nacht verband. Wir liebten sie wohl beide. Jeder auf seine Art. Und zum Dank, hat sie unser Leben zerstört. Aber ich denke, das verstehst du nicht. Frank hätte die Kraft gehabt auch Susannas Leben mit zu leben. Ich habe ihn dafür beneidet. Wenn ich die beiden zusammen sah, tat es mir fürchterlich weh. Irgendwann fehlte mir einfach diese Kraft für zwei zu Leben. Und letztendlich konnte auch Frank nicht verhindern, was nicht zu verhindern war. Was uns bleibt und vermutlich für immer verbindet, sind unsere fürchterlichen Schuldgefühle. Sie hat es sich verdammt einfach gemacht.

Sie hat mit Frank niemals über ihre Krankheit gesprochen. Hätte sie es getan, sie würde heute noch leben, da bin ich mir ganz sicher. Susanna hat sich von mir verabschiedet, bevor sie sich aus dem Leben stürzte. Ich habe es, wie schon so viele Male zuvor, nicht mehr ernst genommen. Aber ich hätte es an diesem Tag auch nicht mehr verhindern können. Auf diesem Friedhof gab es für mich nichts mehr zu tun. Mein Gott, Frank hätte sie mit seinen starken Armen durchs Leben getragen, Was ist dies nur für eine schreckliche Krankheit, wo die Sehnsucht nach dem Tod stärker ist, als die Sehnsucht nach dem Leben?“

Obwohl es schon weit nach Mitternacht war, kamen immer mehr Gäste in diese merkwürdige Bahnhofskneipe, in der es immer noch stärker nach kaltem Rauch stank und in der dann fast schon unwirklich, ein völlig heruntergekommener Penner plötzlich Seemannslieder an einem alten Piano spielte und eine, wie eine Chefsekretärin aussehende ältere Dame aufstand und alleine dazu tanzte.

Klaus bestellte sich noch ein Glas Rotwein und lehnte sich zurück in seinen abgenützten Kneipenstuhl, so als hätte er für diese Nacht genug und alles gesagt. Als der heruntergekommene Pianospieler inmitten eines seiner Seemannslieder einfach aufstand und das Lokal grußlos verließ, setzte sich zu meiner Überraschung Klaus an dieses von unzähligen Biergläsern verunstaltete Instrument und spielte und sang von irgendwelchen weißen Tauben die längst müde waren. Und die Chefsekretärin tanzte einfach weiter, wie zuvor.

Wie dieser Penner zuvor, verschwand dann irgendwann auch Klaus. Er ließ mich allein und mit seiner Rechnung zurück. Ich bestellte mir ein drittes Glas Wein und als ich mich dann irgendwann auf den Heimweg machte, war es fast schon hell. Beim kleinen Bäcker um die Ecke brannte schon Licht. Ich klopfte vorsichtig ans Fenster und der Bäcker lächelte mir zu und zeigte mit seinem mehligen Finger auf die schon fertigen Backwaren, die vor ihm auf dem Tisch auslagen. Ich nickte und er gab mir eine frische Brezel, für die er dann unter keinen Umständen Geld annehmen wollte. Ihm war es offensichtlich eine Ehre, dass ein langhaariges, blondes Mädchen mit Stöckelschuhen, auf allen Partys zuhause, für ihn unerreichbar, überraschend noch vor Sonnenaufgang an sein schmutziges Fenster klopfte. Ich kannte diese Gegebenheiten nicht. Alles was in dieser Nacht um mich herum geschah, war mir absolut fremd. Eigentlich war ich ein fester Bestandteil dieser jungen neureichen Yuppiegesellschaft dieser Stadt. Bis vor wenigen Monaten war ich noch die beste Freundin von der Schuhfabriksbesitzerstochter Susanna und die Geliebte des bekanntesten Architekten mit Geliebtinnenapartement und gut bezahlter Anstellung. Ich war die geborene Nebensitzerin in allen Alfas und offenen Ferraris und Maseratis dieser Stadt. Als ich mich im Vorbeigehen in einer Schaufensterscheibe eines kleinen Möbelhauses wieder erkannte, blieb ich stehen. Was ich sah, gefiel mir und die wohl ersten Autofahrer auf ihrem Weg zur Arbeit unterstützten mich durch ihr Hupen oder anzüglichen Kommentaren durchs offene Fenster, in meiner Ansicht. Ich war noch lange nicht soweit, dieses mir angewöhnte Leben so einfach aufzugeben. Notfalls war ich bereit, mich für eine Übergangszeit auf Susannas keinen Bruder einzulassen. Ich summte die weißen Tauben sind längst müde auf meinem langen Nachhauseweg und noch bevor ich ankam wurde mir bewusst, dass sich mein Leben, nicht erst seit dieser Nacht, grundlegend verändert hatte.

Wenige Tage später kam Heinrich, Susannas kleiner Bruder in Begleitung eines ihm fast bis zur Schulter reichenden schwarzen Hundes, spät abends bei mir vorbei.

„Du musst mich begleiten. Ich denke ich bin gerade in der Stimmung um Frank aus meinem Haus zu jagen. Jetzt nach Susanas Tod hat dieser Penner kein Recht mehr dort zu wohnen.“

Und wie immer, wenn er sich groß und stark wähnte, war er betrunken. Woher er diesen Hund hatte, wollte er mir nicht sagen. Nach Klaus Kneipenerzählungen war ich dann eigentlich auf alles gefasst. Doch zu meinem Erstaunen öffnete uns ein völlig normal aussehender junger Mann, der uns mit einer kleinen Handbewegung hereinbat und sich in Erwartung, was da jetzt wohl kommen mag, wortlos setzte und uns schweigend ansah.

Heinrich ließ den Hund von der Leine und sah ihm nach wie dieser, in seiner wohl angeborenen gemütlichen Art, hinüber zu Frank ging und sich friedlich neben ihn setzte. Vermutlich weil wir nicht aufgefordert wurden uns zu setzten, standen wir nun wortlos den beiden gegenüber. Die Sekunden in denen absolut nichts passierte vergingen und sie kamen mir irgendwann vor wie Stunden. Heinrich brachte nicht den Mut auf auch nur ein einziges Wort zu sagen. Es war mir als würde er leise weinen, bis er dann einfach verschwand und mich mit diesem großen Mann alleine zurück ließ.

„Dieser eigenartige Mensch hat doch tatsächlich seinen Hund vergessen. Wenn du nichts Besseres vorhast kannst Du Dich setzten. Du kennst Dich ja sicher aus in diesem Haus. Ich habe eben eine Flasche Rotwein geöffnet, in der Küche stehen noch saubere Gläser.“

Ich hörte draußen Heinrichs Sportwagen ohne mich davonfahren und hatte so wirklich nichts Besseres vor, als mich von Frank zu einem Glas Wein einladen zu lassen. Entgegen seiner Annahme, kannte ich dieses Haus nicht. Susanna hatte es gekauft als für sie feststand, dass sie mit Frank eine Zukunft haben würde. Es entsprach ihren Vorstellungen von einem Haus, in dem Frank sich wohlfühlen könnte. Ich wunderte mich damals, als Susana sich plötzlich für ein Immobilien-Projekt interessierte, für das unser Architektenbüro trotz sehr vieler Mitbewerber den Zuschlag bekam. Auf dem Gelände einer ehemaligen Textilfabrik sollten inmitten einer schon vorhandenen alten Parklandschafs neue Penthäuser erstehen. Ein kleiner Fluss, der wohl schon vor dem letzten Weltkrieg in irgendwelchen Röhren verschwand, wurde wieder ausgegraben und machte dieses neue kleine Dorf inmitten der Altstadt, zu einer Art exotischer Insellandschaft mit verrückten kleinen bunten Häusern mit grünen Vorgärten.

Für die Beziehung zu diesem Mann war sie zu allem bereit. Und das Letzte was sie wollte war, ihn mit uns zu teilen. Nun saß ich diesem Mann gegenüber, ein Rotweinglas in der Hand und fühlte mich so unwirklich und verlassen, wie selten zuvor in meinem Leben. Er sah mich an und ich wusste nicht, was er da sah. Ich kannte meine Wirkung auf Männer und war es gewohnt intuitiv die richtige Rolle zu spielen. Ihm gegenüber fühlte ich mich aber hilflos ausgeliefert. Er sah wohl durch mich hindurch. Ich dagegen sah in ein Gesicht das mich mit jeder Sekunde mehr faszinierte. In seinen dunklen Augen lag ein mattes Leuchten, seine Gesichtszüge wirkten wie gezeichnet und sein Mund mit diesen wohlgeformten Lippen, erweckte ein unbeschreibliches Vertrauen in mir. Die unendliche Ruhe die von ihm ausging, gab mir plötzlich eine Sicherheit, in der ich mich wohl fühlte. Ich lehnte mich zurück und wusste nun weshalb sich Susanna sich diesen Menschen für ihre noch kurze Zeit zu Leben und zum Sterben ausgesucht hatte.

Als ich am nächsten Morgen die Augen öffnete, sah ich direkt in die beiden braunen Augen von Heinrichs Riesenschnauzer, den er am Vortag einfach zurückgelassen hatte. Er hatte offensichtlich Hunger und wir suchten gemeinsam in dem uns fremden Haus nach der Küche. Ich gab ihm ein Stück Wurst aus dem Kühlschrank und gewohnt in fremden Männerwohnungen aufzuwachen, deckte ich den Esstisch und setzte Kaffee auf. Noch bevor er fertig war kam Frank vom Laufen zurück und es sah zumindest nicht so aus, als wäre er von unseren Frühstücksvorbereitungen in irgendeiner Weise überrascht.

Doch irgendwann blieb mir nichts Anderes übrig, als dieses Haus wieder zu verlassen. Ich weiß nicht was ich erwartet hatte, doch dieser Mann bat mich weder zu bleiben, noch gab er mir irgendein Zeichen, dass ich gehen sollte. In den folgenden Tagen veränderte sich mein Leben. Irgendwie ging es mit mir und meinem Gefühlsleben immer weiter bergab. Mit meinem letzten Liebhaber hatte ich auch meinen Arbeitsplatz verloren und was für mich noch viel schlimmer war, auch meine von meinem Liebhaber und Arbeitgeber finanziertes Apartment. Die Neue, noch blonder als ich und wohl auch jünger, saß schon an meinem Schreibtisch, als ich dann meine Arbeitspapiere abholen kam.

Susanas kleiner Bruder, mit dem ich in diesen Wochen mehrere, zugegeben nichtgerade aufregende Nächte verbrachte, war nach unserem gemeinsamen Besuch bei Frank für mich nicht mehr zu erreichen. Er ließ sich einfach verleugnen und spätestens nach dem zehnten vergeblichen Anruf war ich bereit dazu mir einzugestehen, dass ich mit meinem bisherigen Leben auf der ganzen Linie gescheitert war. Nach Susannas Tod gehörte ich plötzlich irgendwie nirgendwo mehr dazu. Es war vorbei mit den Partys und Einladungen bei diesen Alt- oder Neureichen dieser Stadt. Da ich kaum Erspartes besaß, begann ich meine Designerklamotten an Secondhand Shops zu verkaufen und meldete mich zum ersten Mal in meinem Leben arbeitslos. Es war nicht einfach eine für mich bezahlbare Wohnung zu finden und mein Ex-Liebhaber kam irgendwann fast täglich, um mich mit Beleidigungen und Drohungen aus seinem Apartment zu jagen. Er wollte, oder konnte nicht mehr viel länger auf die Dienste meiner Nachfolgerin verzichten. An diesen Tagen gab es Augenblicke, in denen ich Susanna um ihren Mut beneidete sich einfach von einem Hochhaus zu stürzen. Als ich dann irgendwann nachhause kam, waren die Schlösser an meinem Apartment ausgewechselt und ich saß im wahrsten Sinne des Wortes im Regen. Erst nach einigen Stunden fand ich dem Mut mich auf den Weg zu Anasev zu machen, um dort den Menschen zur Rede zu stellen, der mein Leben vernichten wollte. Es war der Wochentag an dem Anasev und Bernd gewöhnlich ihre Partys feierten. Hier bei diesen Partys wurden Verbindungen geknüpft und Netzwerke aufgebaut, die irgendwann zu lohnenden Geschäften wurden. Man kannte sich in dieser Stadt. Zumindest diejenigen, die sich eine Geliebte und einen Sportwagen leisten konnten. Als ich durchs Haus hinauf zum Dachgarten schlich, verließ mich mein Mut in diese Gesellschaft unaufgefordert einzudringen. Doch ich hatte keine andere Wahl.

Alle die ich einmal gut kannte waren anwesend und konnten mithören, als ich diesen schon älteren graumelierten Mann in grauem Armani Anzug fast auf Knien um den Schlüssel zu meiner Wohnung bat.

„Jetzt verfolgt mich diese blöde Kuh auch noch bis hierher. Kann jemand dafür sorgen, dass diese Schlampe von hier entfernt wird?“

Es ist nicht einfach zu beschreiben, was ich in diesen Augenblicken fühlte. Jedenfalls war es keine Wut. Es war eine plötzliche Stille in der sich die Welt ganz langsam vor meinen Augen zu drehen begann. Dann spürte ich einen Schmerz in meiner Brust für den es eigentlich keinen realen Grund gab. Und dann wollte ich nur noch fort von diesem eigenartigen Ort.

Doch dann spürte ich eine Hand an meiner Schulter, die mich sachte zur Seite schob. Neben mir stand nun Frank und neben ihm sein vom Regen stinkender schwarzer Hund. Die beiden Männer sahen sich dann einige Sekunden schweigend an, und der eine übergab dann wortlos den Schlüssel an den Anderen.

Ich sah in das hasserfüllte Gesicht einer jungen blonden Frau, die an der Bar saß und hörte wie aus weiter Ferne die Stimme von Anasev, der die Beiden aufforderte sein Haus zu verlassen. Der dicke Bernd brachte mir ein Glas Sekt und wir sahen einen kurzen Augenblick einem alten Mann und einem jungen langbeinigen blonden Mädchen in kurzem Röckchen nach, als sie über den Wintergarten verschwanden.

Danach war wieder alles so, wie es schon immer war. Zumindest für die meisten anderen. Es war dann auch keine Überraschung, als sich der ebenfalls anwesende Heinrich plötzlich wieder für mich zu interessieren schien. Er winkte mir freundlich lächelnd zu, aber ich winkte nicht zurück. Frank nahm mir das volle Sektglas aus der Hand und bat mich an einen kleinen Tisch im Garten. Er hatte verschiedene Speisen vom Büffet geholt und eine Flasche Rotwein geöffnet.

„Ich wusste von deinen Problemen mit diesem Architekten. Wir alle wussten es. Ich denke, es ist gut, dass du heute Abend gekommen bist.“ „Und wenn ich nicht gekommen wäre?“, fragte ich ganz leise zurück. Frank antwortete nicht auf diese Frage.

„Ich habe diesen Heinrich darum gebeten, seinen stinkenden schwarzen Hund wieder an sich zu nehmen, aber er behauptet diesen Hund noch nie zuvor in seinem Leben gesehen zu haben.“

Darauf konnte dann ich nicht antworten. Ich lehnte mich zurück, betrachtete den Nachthimmel und hätte erstmals seit Wochen wieder einmal lachen können. Doch wenn man erst einmal so tief unten ist, ist dies nicht so ohne weiteres möglich. Etwa eine halbe Stunde später kamen weitere Gäste. Ein Mann, der fast noch spanischer aussah als sein König Carlos und seine Tochter mit langen schwarzen Haaren und fast ebenso großen schwarzen Augen betraten den Garten, wie es eben nur königliche Hoheiten, oder stinkreiche spanische Wirtschaftsbarone tun.

Anasev begrüßte beide freundschaftlich, aber mit einer gewissen Distanz und führte sie an seinen Tisch im Garten. Ich sah wie der dicke Bernd in seinem neuen Anzug seine Krawatte zurecht rückte, sich mit einem Glas Sekt wohl Mut antrank und dann die beiden ebenfalls mit Handschlag begrüßte und bei der Tochter so etwas ähnliches wie einen Handkuss andeutete. Als im hinteren Garten die ersten zu tanzen begannen, spürte ich die Blicke vom Sohn des Bauunternehmers, den ich zuvor noch nie auf irgendwelchen Partys gesehen hatte. Er saß mir mit Blickkontakt gegenüber an der kleinen Bar und war wohl nun der Meinung, dass jetzt seine Stunde gekommen war.

Wie es für ihn wohl üblich war, fragte er meinen vermeintlichen Begleiter Frank, ob er mit mir tanzen dürfte. Als dieser natürlich nichts dagegen hatte nahm er mich an der Hand und führte mich zur Tanzfläche. Über seine Schulter hinweg sah ich dann wie zwei mir fremde Männer in teuren Anzügen ebenso höflich wie die Spanier zuvor von Anasev begrüßt wurden und ich sah, wie der eine, der wie ein amerikanischer Manager aussah zuerst an Franks Tisch ging, ihm freundschaftlich gegen die Schulter boxte, bevor er sich dann wie der Andere neben die spanischen Gäste setzte.

„Das ist Mr. Jhonnson und der Dicke Dr. Dr. Wenezelsberger, die beiden oberen Chefs von Anasev, Bernd und deinem Frank und eigentlich auch von mir, aber um mich geht es heute Abend nicht. Und die Spanier sind die Familie Santosa aus Barcelona. Textilbarone aus Spanien, mit Baumwoll- und Weingütern so weit das Auge reicht. Sie sind extra wegen der Projektübergabe aus Barcelona angereist. Jhonnson kam deswegen gestern aus den Staaten. Aber das weiß du ja sicher alles viel besser als ich. Wir haben die drei Jungs in der Firma bewundert und heute Nachmittag gebührend gefeiert. Sie haben sich gegen alle anderen Projektgruppen durchgesetzt. Sie standen in Konkurrenz zu Entwicklungsabteilungen in Schweden, Singapur und in den USA. Sie haben das Ding durchgezogen und an unserem Standort viele Arbeitsplätze gesichert. Zu der Feier heute Nachmittag in der Firma kamen wir alle mit einer roten Fliege, wie sie Anasev immer trägt. Selbst die Frauen und Mr. Jhonnson hatten sich welche umgebunden. Ich habe mich sehr gefreut, als mich Anasev dann persönlich, neben all den wichtigen Leuten, zu dieser Abschlussfeier eingeladen hat. Anasev ist der Leiter dieses Projekts und wird wohl in nächster Zeit sehr oft nach Barcelona reisen müssen. Doch alle in der Firma halten den dicken Bernd für das eigentliche Genie. Dein Frank hat nur sehr wenige private Kontakte zu seinen Kollegen. Doch die, die mit ihm geschäftlich zu tun haben, sprechen in den höchsten Tönen von ihm. Ich denke wie viele, dass ohne Frank das Ganze heute nicht stattfinden würde. Wenn es Probleme gab und wir Fragen hatten, gingen wir zu ihm. Wir wussten er würde sich die Zeit nehmen und er ließ uns nie spüren, dass er unser Vorgesetzter war. Er behandelte uns immer auf Augenhöhe und gab uns das Gefühl, wichtig zu sein.“

Doch Anasev hatte offensichtlich nicht nur den Sohn des Bauunternehmers zu dieser Feier eingeladen. Es kam dann nach und nach die halbe Firma in seinen Dachgarten. Sie kamen in kleinen Gruppen, sahen alle irgendwie ähnlich aus, mit ihren nach hinten gebundenen kleinen Zöpfen, ausgebeulten Designerhosen und offenen weißen Hemden. Und sie blieben unter sich, so wie sie gekommen waren. Erst auf den zweiten Blick konnte man unter ihnen auch das weibliche Geschlecht entdecken. Sie trugen meist halbhohe, schwarze Stöckelschuhe unter ihren zu kurzen Jeans und fühlten sich somit wohl auf Augenhöhe mit ihren männlichen Arbeitskollegen.

Irgendwann hatte ich plötzlich keine Lust mehr mit dem Sohn des Bauunternehmers zu tanzen. Plötzlich fühlte ich mich völlig verloren unter all diesen fremden Menschen, die einen Anlass feierten, zu dem ich absolut nichts beigetragen hatte. Ein klein wenig erschrak ich über dieses mir fremde Gefühl. Bis vor wenigen Wochen, bis zu Susannas Tod, war genau dies meine Welt und es war eigentlich genau der Ort und die Stunde am Abend in der mein eigentliches, wirkliches Leben begann. Erst jetzt war mir wieder bewusst, weshalb ich eigentlich in dieses Haus gekommen war.

An Franks Tisch saßen nun seine Arbeitskollegen und es gab dort keinen Platz mehr für mich. Für eine für mich lange Zeit stand ich dann orientierungslos und verlassen in Anasevs Garten und wusste nicht, was ich nun tun sollte. Bis, bis der dicke Bernd neben mir stand und mir ein Sektglas in die Hand drückte und mich an seinen, den der Spanier und den Tisch von Dr. Dr. Wenezelsberger führte. Und ich wusste, welche Rolle ich nun zu spielen hatte und war irgendwie schon bereit den in mich gesetzten Erwartungen zu entsprechen.

Und wie erwartet spürte ich dann auch irgendwann Dr. Dr. Wenezelsberger Hand, vor den Anderen verborgen, auf meinem Knie. Doch dann setzte sich Frank überraschend auf die andere Seite des Tisches und ich spürte die Unsicherheit dieses Wenezelsberger, der schnell seine Hände wieder zu sich nahm.

Ich sah, wie der scheinbar Mächtige neben mir immer unsicherer wurde. Ich sah, wie Anasev versuchte diese Angelegenheit zu retten und dennoch eigentlich nichts Wesentliches dazu beitragen konnte. Und ich sah für einen Augenblick die Blicke der Tochter des Spaniers, die Frank mit großen funkelnden Augen ansah.

Doch es war ich, die an diesem Abend an der Hand dieses großen, mir in seiner Art völlig fremden Mannes, diese Party verließ.

Am Auto stand dann auch wieder dieser große schwarze Hund neben Frank. Er ließ uns beide einsteigen und wir fuhren lange durch eine Nacht, die mir anfangs schwärzer und für eine Sommernacht kälter vorkam, als in den Tagen zuvor. Wir fuhren in Susannas Daimler, in dem sie normalerweise nur geschäftlich unterwegs gewesen war.

Auf der Ablage sah ich Susannas Lieblings CDs. Ich schob eine davon in den Player, lehnte mich zurück in diese weichen Ledersitze, schloss die Augen und versuchte mir irgendetwas Schönes vorzustellen. Aber es gab in dieser Nacht nichts, was ich als träumenswert in meiner Vergangenheit oder Zukunft finden konnte. Frank war ohne mich zu fragen hinaus aufs Land gefahren. Da es für mich nicht beunruhigend war, nachts neben diesem Mann ins Nirgendwo zu fahren, begann ich mich ganz allmählich etwas wohler zu fühlen. Ich sah die Sterne am schwarzen Himmel, die wie kleine Diamanten leuchten, bevor wir dann vor dem Haus in dem ich wohnte stehen blieben.

Bevor Frank dann weiterfuhr meinte er noch:

„Wenn du möchtest, kannst du in Susannas Haus wohnen. Ich werde ohnehin nicht mehr allzu lange hier sein.“

Wenige Tage später wohnte ich dann im Haus meiner verstorbenen Freundin, zusammen mit einem großen schwarzen Hund und einem Mann, der mir lange so fremd blieb wie am ersten Nachmittag, als ich ihm mehr zufällig zusammen mit Susanna in einem Straßencafé begegnete. Doch irgendwann wurde er mir vertraut. Irgendwann begann ich mich zu freuen, wenn ich wusste, dass er zum Abendessen rechtzeitig von der Arbeit kam. Ich sah ihm nach, wenn er morgens das Haus verließ, um durch den Park zu rennen und wenn er danach frische Brötchen brachte, hatte ich den Frühstückstisch schon vorbereitet. Wenn wir gelegentlich über die Sommerwiesen spazierten, nahm er mich auf seine Schultern und wenn ich dann im hohen Gras ein Buch las, sah ich gelegentlich stolz zu ihm hinüber, wenn er dann auf seinem kleinen Hügel saß und meditierte. Doch er ließ mich nie im Unklaren darüber, dass er am Ende dieses Sommers gehen würde. Anasev und Bernd versuchten ihn mehrmals an langen Abenden umzustimmen. Sie hatte vor ein eigenes Ingenieurbüro zu gründen und machten dieses Vorhaben von seinem Bleiben abhängig.

Mit den ersten Herbstregen, die in diesem Jahr schon Ende August kamen, wurde Frank dann immer verschlossener. Er reagierte oft nicht mehr, wenn man ihn ansprach und man konnte seine Traurigkeit in seinen Augen sehen. Und irgendwann packte er seine Sachen, sah mich mit diesen traurigen Augen noch einmal an und verschwand, ohne mich nochmals in den Arm zu nehmen, aus meinem Leben. Er hinterließ mir alles, von dem ich früher glaubte, es würde zu einem angemessenen, meinem Leben, gehören. Doch als er fort war, fehlte er mir mehr, als ich mir hätte jemals vorstellen können.

Wie ein Tautropfen

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