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General Körner überprüfte die Abendmeldung, die ihm zur Abzeichnung vorlag. Der Ia hatte ihm soeben den Bericht über den ereignislosen Ablauf dieses 15. Dezember 1942 herübergebracht. Am bemerkenswertesten war ohne Zweifel, dass wiederum im Divisionsbereich keine Verluste eingetreten waren und dass keinerlei Munitionsverbrauch zu melden war. Und das tief in Russland, sechzig Kilometer südlich des Don, dort, wo der Strom, ostwärts Kalitwa, in zahlreichen Windungen nach Osten zur großen Schleife ausholte und runde fünfzig Kilometer westlich des Tschir, der, nach Süden und dann ebenfalls nach Osten und Südosten fließend, sich bei Werchnetschirskaja in den Don ergoss. Der Don und der Tschir bildeten in stumpfem Winkel die Front, wie sie im letzten Novemberdrittel, nach dem Erdrutsch bei der 3. rumänischen Armee, entstanden war. Etwa zweihundert Kilometer weiter im Osten war jene andere hufeisenförmige Frontlinie, in der sich die vom Russen eingekesselte 6. deutsche Armee, Teile der in alle Winde zerblasenen rumänischen 3. und Teile der 4. deutschen Panzerarmee festkrallten.

Stalingrad war die Hölle; jeder wusste es. In Schepetowka, dem Sitz des Stabes von General Körners Division, dagegen war es ruhig, so ruhig, wie die Meldung in der Hand des Generals es darlegte. Eine Ruhe freilich, an deren Fortbestand weder der General noch sein Ia, Major von Talvern, glaubte.

Der Meldung, die nichts Kriegsmäßiges berichtete, lag die von Tenente Cornalli, dem frisch eingetroffenen Dolmetscher und Verbindungsoffizier, verfasste Übersetzung ins Italienische bei. Erst vor drei Tagen war der Stab der »Fuchskopf«-Division nach Schepetowka gekommen und hatte sich im Schulhaus des von allen russischen Bewohnern verlassenen Ortes einquartiert.

Am frühen Morgen dieses 15. Dezembers war der Ia von seiner Fahrt zum Oberkommando der 8. italienischen Armee zurückgekehrt. Die italienischen Herren hatten hinsichtlich der weiteren Entwicklung der Lage Optimismus zur Schau getragen. Sie waren der Meinung, der Russe habe seine ganze Kraft zur Vernichtung der in Stalingrad Eingeschlossenen konzentriert und sei außer Stande, gleichzeitig auch am Don ostwärts Kalitwa offensiv zu werden. Ein Colonello allerdings, ein Oberst und Regimentskommandeur in einer der von Talvern besuchten Stellungen, Südtiroler aus der Gegend von Meran, hatte dem Ia unter vier Augen unumwunden seine Bedenken mitgeteilt. Bedenken, die Talvern ganz ähnlich schon vor Antritt seiner Fahrt zu den Italienern geäußert hatte.

Major von Talvern, Anton mit Vornamen, mittelgroß und schlank, zweiunddreißig Jahre alt, von einem Gutshof am Chiemsee in Oberbayern stammend, Monokelträger, Inhaber des Ritterkreuzes, Träger des Infanteriesturmabzeichens und der Nahkampfspange, war nicht nur ein fähiger Generalstäbler, sondern auch ein Mann mit dem Ruf schon fast legendärer Tapferkeit. Das Ritterkreuz war ihm im vergangenen Winter, bei Orel, verliehen worden. General Körner wusste, was damals geschehen war. In jenen Tagen hatte er als Oberst das Infanterieregiment 836 geführt. Der Russe war bis zu seinem Regimentsgefechtsstand durchgebrochen. Mit durchschossener Lunge hatte Körner gemeinsam mit den Resten der Stabskompanie den Gefechtsstand verteidigt. In letzter Stunde war Talvern, damals Hauptmann und Ic, mit einer aus Trossleuten, Nachrichtlern und Baupionieren zusammengewürfelten Eingreifreserve auf der Bildfläche erschienen und hatte die Lage bereinigt, wie es so schön hieß. Seither war Körner eng mit Talvern verbunden, mit Talvern, dem Windhund, der in der Ruhe- und Auffrischungszeit in Frankreich wie kein anderer hinter den Mädchen her war und zudem erstaunliche Mengen von Champagner, Cognac und Calvados konsumierte. Wenn er dann entsprechend in Stimmung war, lästerte er sträflich über alles, was das herrschende Regime und dessen Repräsentanten betraf. Mehrmals hatte der General seinen Ia in heikler Situation gedeckt.

Nun saß man, frisch aus dem milden Spätherbst des südlichen Burgund importiert, wieder in Russland, und niemand konnte sagen, was die nächste Zeit bringen würde. Zwar war im Süden, am Sal, Generaloberst Hoth mit der halbwegs aufgefüllten 4. Panzerarmee zur Entsetzung Stalingrads angetreten. Hoths Anfangserfolge waren beachtlich. Seine Armee näherte sich dem Aksaiabschnitt oder war schon darüber hinaus. Aber es gab Gerüchte, die, falls sie sich bewahrheiten sollten, eine entscheidende Wende bedeuten würden. Generalfeldmarschall von Manstein war von der Leningrad-Front zur Übernahme des Katastrophenabschnittes »Don« herangeholt worden. Es hieß, er habe Generaloberst Paulus, dem Oberbefehlshaber der in Stalingrad eingekesselten Verbände, nahe gelegt, mit der 6. Armee und deren Anhang, entgegen dem Befehl, auszubrechen. Manstein, hieß es, beabsichtige, Hitler an die Front zu rufen und in seinem Hauptquartier zu verhaften.

General Körner schüttelte den schmalen Kopf mit dem schütteren, stark ergrauten Haar. Hitler verhaften! Wenn damals, anno 16, als er als junger Oberleutnant vor Verdun lag, jemand geäußert hätte, S. M. solle verhaftet werden! Aber Hitler war nicht der Kaiser, wenn er auch wie dieser Oberster Befehlshaber aller Streitkräfte war.

General Körner fragte sich, ob an den Gerüchten, die Talvern vom italienischen Oberkommando mitgebracht hatte, etwas Wahres sei. Doch wenn dem auch so sein sollte, gab es immerhin nach wie vor eine unbekannte Größe in der derzeit völlig offenen Rechnung. Die unbekannte Größe waren Stärke und Verhalten des Gegners, dem auch jetzt wieder, wie vor seinem Großangriff gegen die Stellungen der Rumänen, eine undurchdringliche Nebeldecke zugute kam. Im Schutze solchen Nebels konnten unerkannt Armeen aufmarschieren. Die große Frage war nur, ob der Russe noch über derart bedrohliche Verbände verfügte. Im Führerhauptquartier, in Rastenburg, bestritt man es. Aber dort war man weit vom Schuss, viel weiter als in Schepetowka.

»Herr General.«

General Körner drehte den Kopf. Der Obergefreite Warnke, Fahrer und Ordonanz in Personalunion, war eingetreten. In lässiger Haltung stand er unweit der Türschwelle der dürftigen Unterkunft, der eine nackte, vom Aggregat mit Strom gespeiste Glühbirne ihr grelles Licht spendete.

»Herr Leutnant Walter wartet draußen«, sagte Warnke. »Er will die Abendmeldung abholen. Kann er reinkommen?«

»Er kann«, erwiderte Körner belustigt. Warnke war völlig unmilitärisch, aber er war zuverlässig, und das war wichtiger als übertriebenes Männchenbauen.

Leutnant Walter, der Gehilfe des Ia, kam herein und nahm die unterzeichnete Meldung entgegen. Kurz nachdem er sich entfernt hatte, klingelte das Feldtelefon. General Körner hob ab.

»Ja, was gibt es? Ach Sie sind’s, Talvern.«

Am anderen Ende, drüben, im knapp fünfzig Meter entfernten Schulhaus, sagte Major von Talvern: »Eine tolle Neuigkeit, Herr General. Vorn am Don, beim italienischen Bataillon ›Derrutti‹, ist ein russischer Überläufer aufgetaucht. Wenn man dem Überläufer Glauben schenken kann, steht ein Großangriff starker russischer Verbände unmittelbar bevor.«

»Wenn das zutrifft«, fuhr Talvern nach kurzer Pause fort, »kann es fürs Erste nur von Vorteil sein, dass das Artillerieregiment die schwere Batterie nach Lysselkowo vorgezogen hat. Fraglich ist allerdings, ob die Italiener der Batterie im Falle eines Russeneinbruchs oder – durchbruchs ausreichend Infanterieschutz geben können. Aus diesem Grund schlage ich als erste Maßnahme vor, dass wir die Pionierkompanie, die in Jeminowka liegt, sofort nach Lysselkowo in Marsch setzen.«

Der General stimmte zu. »Und was weiter, Talvern?«, fragte er.

»Ich bin in wenigen Minuten bei Herrn General«, gab der Ia zurück.

»Schön.«

General Körner legte auf. Nun war es also doch so weit, sofern man den Überläufer nicht, wie gehabt, von drüben zur Irreführung herübergeschickt hatte.

Der General wandte sich der Tür zum Nebenraum zu.

»Hostege!«

Die Tür ging auf. Major Hostege, untersetzt, mit rundem, rosigem Gesicht, erschien. Er war IIa im Divisionsstab und Adjutant.

»Herr General?«, fragte er mit der ihm eigenen Beflissenheit.

»Wir werden vermutlich einiges zu tun bekommen«, sagte General Körner. »Allem Anschein nach steht bei den Italienern etwas bevor. Wir tappen noch im Dunkeln – buchstäblich, denn es wird ja kaum mehr Tag.«

In diesem Augenblick klopfte es an der Außentür. General Körner drehte sich um.

»Herein!«

Major von Talvern trat ein, straff aufgerichtet, die Schirmmütze unter den linken Arm geklemmt. Den rechten Arm reckte er steil hoch zum vorschriftsmäßigen »deutschen Gruß«. Für General Körner, der Talverns Einstellung zu kennen glaubte, war diese Übertreibung jedes Mal wie offener Hohn. Aber die Gesinnung eines Mannes war nicht zu reglementieren, und Talvern war im Übrigen ein hervorragender Offizier und Generalstäbler. Großen Wert legte er auf militärische Formen. Seine Feldbluse, mit dem Ritterkreuz und allen sonstigen Auszeichnungen dekoriert, war ebenso tadellos gebügelt wie die Breeches mit den breiten karminroten Streifen. Vor dem linken Auge saß das Monokel, jenes nicht mehr ganz zeitgemäße Attribut, das Talverns hagerem Gesicht einen Ausdruck von Arroganz verlieh.

Er ging zu der Karte, die zwischen den beiden kleinen, vollständig vereisten Fenstern an der Wand befestigt war, und begann sofort mit seinem Vortrag. Die Division war in Alarmbereitschaft versetzt worden. Talvern hatte wieder einmal an alles gedacht.

Mit einer Verbeugung zu General Körner hin beendete er seine Ausführungen.

»Ich glaube, mehr können wir für den Augenblick nicht tun, Herr General.«

»Ja, Talvern, das scheint mir auch so. Aber nehmen Sie doch Platz. Wie wär’s mit einem Cognac?«

»Herr General wissen doch«, meinte Talvern mit mokantem Lächeln.

»Ja, ja, ich weiß«, bestätigte General Körner trocken. Major Hostege brachte Gläser und eine Cognac-Flasche aus dem Bestand, den man vor dem Abmarsch aus Frankreich für die triste Zeit in Russland gesichert hatte. Steif schenkte Hostege ein, bevor auch er an dem kleinen Tisch Platz nahm.

Der General bot Zigaretten an. Talvern förderte ein Päckchen englischen »Navy cut« zu Tage. »Von einem der italienischen Herren«, sagte er mit leichtem Grinsen. »Die Herren sind gut versorgt. Sie haben angenehme Quartiere, sogar vorn in den Stellungen habe ich einen gewissen Komfort vorgefunden. Anscheinend hat man sich auf einen längeren Aufenthalt eingerichtet.«

Talvern beugte sich vor.

»Es ist genau so, wie es im November bei den Rumänen gewesen sein soll. Dichter Nebel über dem Don und beiden Ufern. Seit zehn Tagen ist jede Luftaufklärung flach gefallen. Ich habe mir übrigens die vorbereiteten Auffangstellungen angesehen. Alles sehr schön. Aber wenn unsere Freunde überrannt werden wie vor kurzem die Rumänen! Wir kämen zweifellos in Teufels Küche, denn wir müssten nicht nur mit Front nach Norden, sondern auch mit Front nach Osten halten. Wenn der Russe die Italiener am Don angreift, müsste er gleichzeitig auch am Tschir angreifen.«

»Dann«, warf Major Hostege, der bisher geschwiegen hatte, mit gepresster Stimme ein, »dann hätte Generaloberst Hoth keine Chance mehr, die Stalingradarmee zu erreichen.«

»Hat er die überhaupt?«, fragte Talvern in sarkastischem Ton.

Hostege hob den Kopf. Die Röte seines vollen Gesichtes vertiefte sich.

»Ich muss doch bitten, Herr von Talvern. Die sechste Armee in Stalingrad hat das Wort des Führers.«

»Hier geht es nicht um das Wort eines Mannes«, versetzte Talvern gereizt. »Hier geht es nicht um Mythen, Herr Hostege. Rund dreihunderttausend Mann sind an der Wolga eingeschlossen. Der Russe ist im Gegensatz zur offiziellen Auffassung ungeheuer stark geworden. Er hat sich seit dem Sommer in erschreckendem Ausmaß erholt. Das sind die Fragen, um die es jetzt geht.«

»Glauben Sie, der Führer weiß das nicht besser als Sie?«, warf Hostege bissig ein.

Talvern maß den anderen mit spöttischem Lächeln. »Sie machen es sich einfach, Herr Hostege. Der Führer wird’s schon richten, wie?«

Hostege pumpte seine Lungen voll Luft, ehe er mit Pathos erklärte: »Ich glaube an das Wort des Führers.«

Talvern nahm das Monokel ab und betrachtete es aufmerksam, als enthülle es ihm die Geheimnisse der nächsten Zukunft.

»Sie werden sich noch wundern, Herr Hostege«, sagte er schließlich.

General Körner hob beschwichtigend beide Hände. »Aber meine Herren! Jetzt ist doch nicht die Zeit für eine solche Auseinandersetzung!«

Unbemerkt hatte sich die Tür geöffnet. Der Obergefreite Warnke stiefelte gemächlich herein.

»Draußen steht ein italienischer Leutnant«, sagte er, ohne von der Anwesenheit der beiden Majore Notiz zu nehmen. »Er möchte sich bei Ihnen melden, Herr General.«

General Körner erhob sich. Talvern und Hostege folgten seinem Beispiel.

Mit kurzen, flinken Schritten kam Tenente Cornalli durch die Tür. Am Morgen war er mit dem Ia in Schepetowka eingetroffen. Er war schlank und kaum mittelgroß. Seine steingraue Uniform war noch eine Spur eleganter geschnitten als die des Ia. Sein welliges schwarzes Haar schimmerte im Lampenlicht wie gelackt, ebenso wie seine hohen, nach Maß gearbeiteten Stiefel. Er nahm Haltung an, verbeugte sich vor dem General und sagte: »Leutnant Cornalli, Verbindungsoffizier und Dolmetscher, meldet sich zur Stelle.«

General Körner reichte dem Italiener die Hand.

»Bitte, stehen Sie bequem, Herr Leutnant«, sagte er in freundlichem Ton. »Sie wollen also hier in Schepetowka mit uns Weihnachten feiern.«

»Mit großem Vergnügen, Herr General«, erwiderte Cornalli in seinem etwas singenden, aber sonst einwandfreien Deutsch.

Er verbeugte sich nun auch vor Talvern, der mit den Worten »Wir kennen uns ja von der Fahrt her« lässig abwinkte. Major Hostege dagegen sagte gespreizt: »Ich bin sehr erfreut, einem italienischen Kameraden und Achsenpartner die Hand zu drücken.«

Himmel!, dachte Talvern, ein Zweihundertfünfzigprozentiger – dieser Hostege! Der General war nicht darum zu beneiden, den größten Teil seiner Zeit mit diesem Parteihengst zusammen zu sein. Im Übrigen war durchaus nicht klar, wozu dieser Fanatiker gegebenenfalls fähig war.

Tenente Cornalli kippte den Cognac, der ihm angeboten wurde. Dann meldete er sich ab. Talvern schloss sich ihm an. Eine lange Nacht stand ihm bevor. Noch war alles still. Aber Talvern hatte es im Gespür, dass die ohnehin verdächtige Stille nicht mehr lange anhalten würde.

Am Vormittag dieses 15. Dezember war die dritte schwere Batterie der ersten Abteilung des Artillerieregiments 786 in Lysselkowo eingerückt, zweiundzwanzig Kilometer vom Divisionsgefechtsstand entfernt.

Hauptmann Martin, der Batteriechef, war bei seinen Männern beliebt. Aber jetzt hassten sie ihn und wünschten ihm alles Schlechte an den Hals. Vor einer halben Stunde, schon in tiefer Dunkelheit, hatte man sie aus den Quartieren gescheucht. Jetzt waren sie mit Spaten und Pickeln dabei, am Ortsrand von Lysselkowo Deckungslöcher in die verschneite, beinhart gefrorene Erde zu wühlen.

Auf einem Meldekrad fuhr Hauptmann Martin umher und überzeugte sich vom Fortschritt der befohlenen Arbeiten. Zwar herrschte vollkommene Ruhe in der nächtlichen Schneewüste, die in dichten Nebel eingehüllt war, aber der alarmierende Anruf der Abteilung sagte genug.

Als er die Feuerstellung am nördlichen Ortsrand verlassen hatte, fluchten die Kanoniere hinter ihm her. Blödsinn, dieser Zirkus! Als ob der Russe in der nächsten Stunde vor Lysselkowo stünde! Eine Alarmübung, meinten einige, damit die Knochen nicht einrosteten. Aber die Mehrzahl war der Überzeugung, der »Alte« wäre übergeschnappt.

Sogar der Schirrmeister, Wachtmeister Urban, war nahe daran, zu meutern, als der Chef ihm befahl, sämtliche entbehrlichen Fahrzeuge, vor allem die Zugmaschinen, in der Balka in Deckung zu bringen, einer jener schmalen, tief eingeschneiten Schluchten, wie sie überall in den Steppen Russlands zu finden sind.

In der grimmigen Kälte schippten die Fahrer den mehrere Meter hoch angewehten Schnee aus der Schlucht. Erst tief in der Nacht war es möglich, die Fahrzeuge heranzuholen. Zu allem Überfluss begann es auch wieder zu schneien. Oder war es Treibschnee, den der schneidende Wind in Wolken vor sich herjagte?

Unterdessen geisterte Hauptmann Martin durch das Dorf. Die russischen Bewohner von Lysselkowo waren schon im Sommer, bei Beginn der Kämpfe, abgezogen. Eine Zeit lang hatten Rumänen in dem Ort gehaust und später, bis vor kurzem, eine italienische Nachschubeinheit. Viel Brennbares war nicht mehr zu finden, aber so viel war es doch immerhin, dass die Quartiere wenigstens einigermaßen angewärmt waren. Kleine Lehmkaten waren es, dicke Schneehauben saßen auf den Strohdächern, und die mit vergilbtem Zeitungspapier beklebten winzigen Fenster waren mit Eisblumen bedeckt. Auch im Dorf wurde gearbeitet. Vor den Hütten wurde Schnee aufgehäuft und danach mit Wasser übergossen. Mit den so entstehenden Eispanzern hatte man im vergangenen Winter gute Erfahrungen gemacht. Sie schützten gegen Granatsplitter und hielten sogar Gewehr- und MG-Geschosse ab.

Im Haus neben dem Quartier des Chefs, in dem auch Leutnant Holler, der Beobachtungs-Offizier, und die Männer des Batterietrupps untergebracht waren, hatte sich die Nachrichtenstaffel eingerichtet. Die Fernsprecher hatten mehrere Stunden lang Leitungen gelegt; jetzt schippten sie draußen wie alle anderen und murrten über den Irrsinnseinfall des Chefs. Nur die Fernsprechwache war im Haus. Am Funkgerät in dem gesonderten Raum des Funktrupps saß Unteroffizier Kolb, der Nachrichtenstaffelführer. Er hatte die Kopfhörer angelegt; das Gerät befand sich auf Empfang. Wofür dieser ganze Aufwand gut war und weshalb man Wachtmeister Fendt nach Einbruch der Dunkelheit zu den Italienern in Marsch gesetzt hatte, war selbst Kolb, dem »Intelligenzler«, der sonst vieles durchschaute, völlig unverständlich. Doch so viel Umsicht traute er dem Chef zu, dass der nicht aus einer Laune oder gar aus Bosheit die Batterie am Abend hochgescheucht hatte. Und schließlich war ja da auch der Anruf der Abteilung. Vermutlich war doch etwas Besonderes im Gange. Schon mehrmals hatte der Chef nachgefragt, ob Fendt sich gemeldet habe.

Jetzt kam er wieder, schüttelte den Schnee von der verbeulten Feldmütze und knöpfte den Übermantel auf, den er über dem Tarnanzug trug.

»Nichts, Herr Hauptmann«, sagte Kolb, »immer noch nichts.«

Hauptmann Martin nickte und murmelte: »Schlechtes Fahren in der Dunkelheit, dazu dieser Nebel und der Schnee.« Er zündete sich eine Zigarette an, rauchte ein paar Züge und fügte dann hinzu: »Wir sind draußen so weit fertig. Ich gehe ins Quartier. Lassen Sie mich wecken, sobald Fendt Laut gibt.«

Kolb hatte die Kopfhörer abgestreift. Die Miene des Chefs war verschlossen, als trüge er etwas mit sich, was ihm ernste Sorgen bereitete.

Hauptmann Martin merkte, dass der Unteroffizier etwas sagen wollte.

»Ist noch was, Kolb?«, fragte er.

»Ist der Russe vorn bei den Italienern durch?«, brachte Unteroffizier Kolb stockend hervor.

»Unsinn, Menschenskind!«, antwortete Hauptmann Martin mit erzwungener Heiterkeit. Ohne ein weiteres Wort ging er hinaus. »Streng geheim«, hatte der Kommandeur ihm bei seinem Anruf eingeschärft, »wenn es bekannt wird, drehen uns die Hiwis schon vorher durch.«

Die Hiwis waren eines der Probleme der Division. Nach der letzten großen Kesselschlacht, im Mai, südlich von Charkow, hatte man ein paar Hundert von ihnen eingestellt, um die im Winter entstandenen Fehlstellen einigermaßen auszugleichen. Man hatte die Ukrainer, Weißrussen, und was sie immer waren, nach Frankreich mitgenommen. Nun waren sie – offensichtlich zu ihrem Missvergnügen – mit der Division in ihre russische Heimat zurückgekehrt. Auch in der dritten Batterie waren etliche von ihnen. Einige der Zuverlässigsten bei der Munitionsstaffel, alle übrigen beim Tross.

Hauptmann Martin ging die paar Schritte zu seinem Quartier hinüber. Unter seinen Filzstiefeln knirschte der Schnee. Sonst war es still in Lysselkowo. Kein Lichtschein, tiefe Dunkelheit. Johlende Windstöße und stiebender Schnee, der wie tausend Nadeln ins Gesicht stach. Welch ein Gegensatz: Aus dem milden Spätherbst des südlichen Frankreich ins winterliche Russland! Man selbst hatte ja schon einen russischen Winter durchgestanden, aber viele waren als Ersatz neu zur Division gekommen, im Sommer, als man in Frankreich in Ruhe lag. Eilig ausgebildete Rekruten zumeist, die den Osten und den russischen Gegner nur vom Hörensagen, von Zeitungsberichten und von der Wochenschau kannten.

Allem Anschein nach ist da ein verdammt fauler Braten im Rohr, dachte Hauptmann Martin. Doch was auch geschehen mochte, er war entschlossen, es diesmal nicht so weit kommen zu lassen wie im vergangenen Winter, als sie hinten am Donez die Geschütze sprengen und sich bei meterhohem Schnee mit dem Karabiner durch den Feind schlagen mussten.

Durchgefroren betrat er die Kate, die man für ihn als Quartier ausgesucht hatte. In der kleinsten der drei vorhandenen Stuben erwartete ihn Leutnant Holler, auch ein Neuer ohne Osterfahrung.

Martin nahm die Feldmütze ab und zog den Übermantel aus.

»Nun, Herr Holler«, fragte er, »haben Sie noch was auf dem Herzen?«

»Warum das alles, Herr Hauptmann?«, fragte Holler, der befehlsgemäß draußen mit den anderen Spaten und Pickel geschwungen hatte. »Warum diese Schinderei im Dunkeln bei diesem Frost?«

»Ja, warum«, sagte Hauptmann Martin unbewegt. »Vielleicht wird Ihnen schon morgen Früh jemand anders die Antwort geben.«

Rittmeister von Ehrenfeld erwachte aus unruhigem Schlaf. Ehrenfeld war Balte. In seiner Jugend, während der Kämpfe im Baltikum, hatte er als Fähnrich eine Schwadron in einem der Freiwilligenverbände geführt. Dem Divisionsstab gehörte er als Russlandexperte und Dolmetscher für Ostsprachen an. Zudem war er Chef der als Stabswache eingeteilten Ost-Kompanie, die er selbst im vergangenen Frühsommer aufgestellt hatte.

Ehrenfeld bewohnte allein eine der dürftigen Hütten von Schepetowka, die so grau und trostlos aussahen, als hätte die Steppe selbst sie hervorgebracht. Er erwachte, aufgestört durch ein Geräusch, das wie das gepresste Stöhnen eines Sterbenden anzuhören war. Dazu war es, als scharrte jemand an der Tür.

Ehrenfeld schlüpfte in seinen Mantel. Sicherheitshalber griff er zur Maschinenpistole, ging zur Haustür, die mit einem Holzriegel verschlossen war. Die Waffe schussbereit im Arm, schob er vorsichtig den Riegel zurück.

Im Schnee vor der Tür lag, sich krümmend und sich windend, ein Mann. Auf dem Kopf trug er eine pelzbesetzte Mütze, wie Ehrenfeld sie für die Hiwis seiner Ost-Kompanie hatte anfertigen lassen.

Ehrenfeld beugte sich nieder. Im fahlen, schwachen Licht, das vom Schnee ausging, erkannte er den Mann, der sich offensichtlich mit letzter Kraft zu seiner Tür geschleppt hatte. Es war Nikolai Doroschenko. Erst vor kurzem war der Ukrainer zum Unteroffizier befördert worden. Er versuchte zu sprechen, doch nur unartikulierte Laute kamen über seine Lippen.

Ehrenfeld fasste den Mann unter den Armen und schleifte ihn in die Kate. Er schloss die Tür und verriegelte sie. Dann zündete er die Kerosinlampe an, die auf einem kleinen Tisch stand. Im Lichtschein der Lampe sah er: Doroschenkos feldgrauer Mantel war am Rücken mit Blut durchtränkt.

Partisanen, dachte der Rittmeister, während er neben dem Ukrainer niederkniete. Partisanen in Schepetowka! Aber warum hatte Doroschenko, der ja heute Nacht Wachhabender war, nicht seine Landsleute im Kolchos alarmiert, anstatt sich durch den Schnee hierher zu schleppen?

Mühsam hob Ehrenfeld den verwundeten Ukrainer hoch. Wankend trug er ihn zu dem mit schwarzem Wachstuch bezogenen Einheitssofa.

»Doroschenko«, rief er, »ich muss wissen, was geschehen ist!«

Doroschenko blieb stumm. Blicklos starrten seine Augen ins Leere.

Ehrenfeld wandte sich von dem Toten ab. Hastig kleidete er sich an. Mantel, Mütze, das Koppel mit der Pistole. Die MP nahm er mit. Doch vor der Tür seiner Unterkunft, in der eisigen Dunkelheit, verharrte er einen Moment unschlüssig. Wohin zuerst: zum Schulhaus oder zum Kolchos, wo die Ost-Kompanie einquartiert war? Er entschied sich für die Schule. Dort war die Zentrale. Von dort aus konnten, wenn wirklich Partisanen in Schepetowka eingedrungen waren, wirksame Gegenmaßnahmen eingeleitet werden.

Der Posten vor dem Schulhaus, das knapp fünfzig Meter entfernt war, rief Ehrenfeld an.

»Halt! Parole!«

»Mackensen.«

Der Posten gab den Eingang zum Schulhaus frei. Als er den Rittmeister erkannte, nahm er Haltung an. Ehrenfeld jagte die Treppe zum ersten Stockwerk hinauf. Er klopfte an die Tür, an der das Schild mit dem Aufdruck »Ia-Geschäftszimmer« befestigt war.

Ehrenfeld betrat den Raum, an dessen einer Wand einfache Schulbänke aufgetürmt waren. Der Gefreite, der Telefonwache hatte, sprang auf. Im gleichen Augenblick öffnete sich die Verbindungstür zum Nebenraum. Im Türrahmen stand Major von Talvern, und hinter ihm zeigte sich Leutnant Walter, der O I.

»Sie, Herr von Ehrenfeld?«, rief Talvern verwundert. »Und so kriegerisch, mit Maschinenpistole! Was verschafft uns Ihren Besuch zu so später Stunde?«

»Unteroffizier Doroschenko ist tot, Herr Major.«

»Doroschenko – wer ist das? Bitte drücken Sie sich etwas deutlicher aus, Herr Rittmeister!«

Talverns Stimme klang gereizt. Er hatte Dringendes zu tun. Niemand konnte sagen, wie viel für die Division, ja, womöglich für die ganze Front von der Planung dieser Nacht abhing.

Rittmeister von Ehrenfeld verbeugte sich steif.

»Verstehe, Herr Major. Bin etwas konsterniert. Dachte an Partisanen. Doroschenko war einer der zuverlässigsten Gruppenführer unserer Hiwi-Einheit. Ich fand ihn schwer verwundet vor der Tür meines Quartiers. Ehe er sprechen konnte, ist er gestorben. Beim Kolchos muss etwas passiert sein, Herr Major. Dachte, ich sollte als Erstes hier Meldung von dem Vorfall machen.«

Talvern nickte. »Richtig.« Schon war er beim Feldfernsprecher, hob den Handapparat ab, drehte die Kurbel und verlangte »Ringstraße«. Es war der Deckname der Feldgendarmerie.

»Schicken Sie zwei Mann zum Kolchos«, befahl er, als die Verbindung hergestellt war. »Lassen Sie feststellen, was dort anliegt. Einer der Russen, Unteroffizier Doroschenko, ist tödlich verwundet worden.«

Talvern legte auf. Er wandte sich zu Ehrenfeld.

»Partisanen«, sagte er kopfschüttelnd, »nein, ich glaube viel eher an etwas anderes.«

»Herr Major glauben, dass meine Russen gemeutert haben?«, fragte Ehrenfeld betroffen.

Talvern wiegte den Kopf.

»Das wäre auch möglich. Aber ich befürchte, dass es den Brüdern hier zu ungemütlich wurde. Dass sie sich empfohlen haben, Herr Rittmeister. Und das wäre kein gutes Zeichen.«

»Das – das wäre unfassbar, Herr Major«, stammelte Ehrenfeld. »Wenn Herr Major gestatten – ich will mich selbst vergewissern.«

Aufgeregt verließ der Rittmeister die Abteilung Ia. Wenig später klingelte der Fernsprecher. Hauptmann Eyrich, der Chef der Feldgendarmerie, bestätigte Major von Talverns Befürchtung: Die Ost-Kompanie war mit Waffen, Munition und der gesamten sonstigen Ausrüstung aus Schepetowka verschwunden. Eyrich sprach die Vermutung aus, der ukrainische Unteroffizier habe sich dem Ausbruch widersetzt und sei von seinen Landsleuten überwältigt worden.

Talvern rief im Quartier des Divisionskommandeurs an.

»Die Hiwis sind fort«, sagte er, als General Körner sich mit verschlafener Stimme meldete. »Wir wissen ja, der Russe hat den sechsten Sinn für Neuigkeiten. Wir haben jetzt Mitternacht. In sechs oder sieben Stunden werden wir mehr wissen. Aber es wird nichts Gutes sein, Herr General.«

Um fünf Uhr morgens erreichte Wachtmeister Fendt, Hauptmann Martins Beauftragter, den mit Schnee bedeckten Erdbunker, der dem Stab des Bataillons »Derrutti« als Unterkunft und Gefechtsstand diente.

Der Kübelwagen, mit dem Hauptmann Martin den Wachtmeister am vergangenen Abend zu den Italienern in Marsch gesetzt hatte, war in der Dunkelheit von der Rollbahn abgekommen und in einer tiefen Schneewehe stecken geblieben. Stundenlang hatten Fendt und der Fahrer des Chef-Kübels, der Obergefreite Erdmann, sich abgemüht, bis das Fahrzeug wieder flott war. Fendt hatte zunächst erwogen, sogleich zur Batterie nach Lysselkowo zurückzukehren, doch anscheinend lag dem Batteriechef sehr viel daran, zu erfahren, wie es vorn bei den Italienern aussah. Und da kaum zu erwarten war, dass der Nebel sich am Morgen lichten würde, und der Schneefall, der schon vor Stunden eingesetzt hatte, zudem ständig zunahm, war sicher nicht zu befürchten, dass man die Rückfahrt unter Feindeinsicht würde antreten müssen.

In dem Bunker, der in mehrere Räume abgeteilt war, wurde Wachtmeister Fendt, der über der Uniform den weißen Tarnanzug und darüber wie der Fahrer einen Wachmantel aus Schafspelz trug, von einem schwarzhaarigen Korporal empfangen.

Der Korporal sprach kein Wort Deutsch und Fendt kein Italienisch, aber so viel verstand der Italiener doch, dass der Deutsche den Capitano, der den Bataillonskommandeur vertrat, dringend sprechen wollte. Vielleicht hing es mit dem Überläufer zusammen, den man am vergangenen Nachmittag vereinnahmt und nach kurzem Verhör zum Regimentsstab in Marsch gesetzt hatte.

Der Korporal verschwand hinter einer Zeltbahn. »Pronto, pronto«, sagte er, als er wieder auftauchte. Wenig später kam Capitano Berti, ein groß gewachsener, sehr schlanker Offizier mit tiefschwarzem, glatt anliegendem Haar, hinter der Zeltbahn hervor. Er streckte Fendt seine Rechte entgegen.

»Molto bene! Ich habe schon nicht mehr mit Ihrem Kommen gerechnet. Man hat bei meiner Funkstelle angefragt.«

Sein Deutsch war mustergültig. Fendt atmete auf. Man brauchte keinen dieser lästigen Dolmetscher einzuschalten.

Plötzlich jedoch blieb Capitano Berti stehen. Seine Hand fiel herab. Sein scharf geschnittenes, längliches Gesicht, grell von der an einem Deckenbalken hängenden Benzinlampe beleuchtet, wurde maskenhaft starr.

In die Stille der Front, die auch während Fendts Fahrt durch Dunkelheit und Schnee nur zeitweilig durch einen Artillerieschuss unterbrochen worden war, schnitt jäh ein dumpf grollendes Donnergeräusch, gedämpft, wie aus großer Entfernung, aber deshalb nicht weniger drohend.

»Kalitwa«, murmelte der Capitano zwischen den Zähnen, »das muss bei Kalitwa sein.«

Kalitwa, fragte sich Fendt, war das nicht ein Ort westnordwestlich, stromaufwärts am Don, etwa hundert Kilometer entfernt?

»So weit trägt der Schall nicht«, sagte er.

Das Geräusch pflanzte sich fort; es kam näher, rasend schnell immer näher! Der Russe trommelt, dachte Fendt, es geht los! Sekundenlang überlegte er. Sollte er Hauptmann Martin Meldung machen? Aber wichtiger war es, den Fahrer und natürlich auch das Funkgerät, das im Wagen war, in Sicherheit zu bringen.

Schon war Fendt beim Ausgang des Bunkers. Und während er durch den kurzen, von Bohlenwänden eingefassten Laufgraben hastete, warf er den schweren, behindernden Schafspelzmantel ab. Der fahle Schein ununterbrochen zuckender Mündungsblitze erhellte gespenstisch die Mauerstümpfe des zerschossenen Uferdorfes.

Während der Feuerschlag mit brüllendem Getöse den Abschnitt des Bataillons »Derrutti« erfasste und zusehends weiter nach Osten übersprang, dieses tausendschlündige Wummern, Krachen und Bersten, erreichte Wachtmeister Fendt das halbwegs erhaltene Haus, hinter dem sie bei der Ankunft den Kübelwagen abgestellt hatten. Der Wagen stand am Ort, auch das Tornister-Funkgerät war vorhanden. Verschwunden dagegen war der Obergefreite Erdmann.

»Erdmann!«, rief Fendt, obgleich er wusste, wie sinnlos es war, gegen das Höllengebrüll des russischen Trommelfeuers ankommen zu wollen.

Mit Feuerblitzen krepierten die ersten Granaten in der Nähe. Mauerreste stürzten ein, Schneestaub und Erdbrocken wurden hochgeschleudert.

»Erdmann!«, rief Fendt noch einmal. Der Obergefreite antwortete nicht. Sicher hatte er sich mit der Findigkeit des erfahrenen Frontsoldaten irgendwo in Deckung gebracht.

Fendt sprang in den Laufgraben hinunter, das schwere Funkgerät im Arm. Die Luft war durchsetzt mit dem bitteren Geruch von Pulverqualm. Zur Linken schlugen Flammen hoch.

Fendt sah vor sich den Eingang des Bunkers. Die Öffnung schien zu schwanken, die Erde schwankte, es war wie der Weltuntergang, wie das Ende von allem. Fendt fand sich im Dunkeln, die Lampe war erloschen. Dann dröhnte ein Schlag wie von einer Riesenfaust auf die Decke des Bunkers. Splittern, Bersten, etwas traf Fendt am Kopf. Rot kreisendes Licht, dann Schwärze, in die Fendt trudelnd hinabstürzte. Und dann nichts mehr; Wachtmeister Fendt hatte das Bewusstsein verloren. Er hörte nicht das Rumoren und Rasseln der vom Don heraufkriechenden Panzer und nicht das »Urrä« der russischen Angriffswellen.

Front ohne Helden

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