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Prélude Diese existenzielle Stille

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Ich kann bis heute nicht genau sagen, ob mir bewusst war, dass die Reifen unseres Wagens den Griff auf dem gefrorenen Asphalt auf der Brücke nach Losenstein verloren hatten. Wir sind hilflos über eine Böschung geschlittert und kamen einige Sekunden später nach einigen Überschlägen zum Stillstand. Ich weiß auch nicht mehr, ob ich von der Rückbank aus beobachten konnte, wie der Fahrer versuchte, das Rutschen durch das energische Betätigen der Bremsen auszubügeln, wodurch er unsere Lage nur noch verschlimmerte. Woran ich mich allerdings erinnere, ist, dass ich diese Sekunden als Ewigkeit wahrnahm.

Die Zeit schien aufgelöst, ebenso wie die Schwerkraft. In diesem Augenblick verlor jedes Koordinatensystem, das der Existenz eines Menschen für gewöhnlich Halt gibt, seine Bedeutung. In Filmen wird das subjektive Gefühl bei einem solchen Unfall oft dargestellt, indem der Regisseur das Geschehen in Zeitlupe abbremst und die gleiche schlingernde Bewegung des Kraftfahrzeuges aus unterschiedlichen Perspektiven immer wieder hintereinander abspielt.

Der Film, der sich in diesem Augenblick bei mir abspielte, war eher ein Hörspiel. Oder besser gesagt: ein Stumm-Spiel. Ich erinnere mich nicht, ob in unserem Auto noch Worte gefallen sind, ob jemand „Oh Gott!“ geflüstert oder „Pass auf!“ geschrien hat. Das Gleiten des Autos vor dem Crash nahm ich bewusst wahr, aber alles um mich herum erschien plötzlich irreal. An was ich mich erinnere, ist die unglaubliche Stille, die mich umhüllte.

Eine Stille, die nichts mit jener Ruhe zu tun hatte, die ich von meinen zahlreichen Wanderungen kenne, wenn ich bei Sonnenaufgang in den Bergen unterwegs bin und der voll orchestrierten Natur lausche: Blätter, die sich im Wind wiegen, Tiere, die aus der Dunkelheit erwachen, der Sturm, der auf den Gipfeln bläst, oder – nach innen gerichtet – der Rhythmus des eigenen Herzschlages. Die Stille, die ich in diesem Moment auf der Rückbank unseres Autos wahrnahm, klang anders. Eine Stille, wie ich sie zuvor höchstens in der Musik erlebt hatte: ein Aussetzen von Zeit und Raum. Im Unterschied zur Musik war ich allerdings nicht in der Lage, diese Stille zu gestalten, ihren Aufbau und ihre Dauer zu bestimmen – ich war ihr vollkommen ausgeliefert, unfähig, mich zu bewegen, geschweige denn Einfluss auf das zu nehmen, was in den nächsten Sekunden passieren sollte. Diese Stille schien alle mir bekannten Regeln unserer Welt zu ignorieren. Eine Sekunden-Stille oder eine ewige Stille – ich kann es nicht sagen, da selbst die Zeit ausgehebelt war, sich gleichsam ausdehnte in die Unendlichkeit. Die Stille, die ich in unserem Auto hörte, während es unkontrolliert über den Asphalt rutschte, war eine Stille, die so still war wie nichts, was ich bis dahin nicht gehört hatte.

Seit diesem Tag denke ich immer wieder über das Phänomen der Stille nach. Die Stille als Möglichkeit, sich die allgegenwärtige Lautstärke der Welt zu vergegenwärtigen. Die Stille als Zustand der Abwesenheit des Klanges. Zeichnet sich Stille nicht grundsätzlich dadurch aus, dass an ihrem Anfang und an ihrem Ende Klänge stehen? Ist Stille in Wahrheit nicht das Spannungsfeld zwischen zwei Ton-Polen, der Zustand zwischen dem Hörbaren, das die jeweilige Stille letztlich definiert?

In der Bibel verkünden Engel die Botschaft Gottes. Der Welt zu verkünden, setzt voraus, selbst von Stille umgeben zu sein. Das Hören und das Nicht-Hören sind auch für den Menschen existenzielle Zustände der Weltwahrnehmung. Nicht umsonst sprechen wir von Stillstand. Es ist der Hörsinn, auf den wir vielleicht im Letzten vertrauen. Jener Sinn, der evolutionsbedingt niemals schläft: Während wir die Augen schließen, bleiben unsere Ohren gespitzt und warnen uns vor Tigern oder Wölfen, selbst, wenn der Rest des Körpers sich längst „aufs Ohr“ gelegt hat.

Die Stille, die ich in unserem Auto kurz vor dem Unfall wahrnahm, hatte nichts Negatives. Ich könnte auch nicht sagen, dass sie mir „schön“ vorgekommen ist, vielleicht wäre „erfüllend“ das passendere Adjektiv. Ein erfüllendes Vakuum des Klanges. Das war, was mich umgab, als der erste Aufprall des sich überschlagenden Wagens mir das Bewusstsein nahm und wir auf einem gefrorenen Acker in den österreichischen Voralpen zum Stehen kamen.

Später, als ich im Spital nach einigen Tagen Intensivstation auf die normale Unfallstation verlegt worden war, wurde mir einer der damals in österreichischen Krankenhäusern beliebten, hellblauen Kopfpolster gereicht, in dem ein Lautsprecher eingenäht war. Die erste Musik, die ich hörte, war Schuberts G-Dur-Messe. Sie lief im Radiosender Ö1. Schubert hatte sie mit nur 18 Jahren komponiert.


Am 19. November 1978, dem Tag des Unfalls, war ich ebenfalls 18 Jahre alt. Und ich befand mich auf dem besten Weg, meinen größten Traum zu verwirklichen: Ich wollte professioneller Geiger werden – am liebsten bei den Wiener Philharmonikern. Gemeinsam mit Freunden hatte ich gerade Schuberts G-Dur-Messe beim Festgottesdienst im oberösterreichischen Großraming aufgeführt. Die Aufführung fand in jener Kirche statt, deren älteste Teile aus dem Jahre 1513 stammen und die dem heiligen Jakobus gewidmet ist. Großraming war der Geburtsort meines Lehrers Balduin Sulzer, und es war dessen Bruder, Otto Sulzer, Leiter des örtlichen Kirchenchores, der uns gebeten hatte, die heilige Messe zu spielen.

150 Jahre früher, am 19. November 1828, rang Franz Schubert in der Wiener Wohnung seines Bruders Ferdinand mit dem Typhus. Er verlor den Kampf und verstarb um 15 Uhr mit nur 31 Jahren. Sein Todestag sollte unseren Sonntag bestimmen: Von Großraming aus hatten wir vor, weiter nach Steyr zu fahren. Hier hatte Schubert die Komposition seines Forellenquintetts begonnen – und das wollten wir später noch aufführen. Nach der erfolgreichen G-Dur-Messe beim Hochamt haben wir uns zunächst beim Kirchenwirt gestärkt. Wir, das waren der örtliche Kirchenchor und das Orchester, in dem auch einige Schüler aus dem Musikgymnasium Linz mitspielten. Darunter auch eine Unternehmerfamilie, mit der ich befreundet war – der Vater war begeisterter Hobbycellist. Mit ihm, seiner Frau, seinem Sohn und zwei Schulkolleginnen wollte ich später die knapp 40 Kilometer nach Steyr fahren, entlang der Enns durch das wunderschöne Ennstal.

Als wir den Kirchenwirt verließen, hörte ich, wie der Vater seinen Sohn, während er ihm den Autoschlüssel überreichte, ermahnte: „Sei vorsichtig, die Brücken könnten vereist sein.“ Der Sohn hatte seinen Führerschein erst vor einem halben Jahr gemacht und nickte. Dann stiegen wir in den Mercedes, um durch die österreichischen Voralpen zu fahren. Ich saß rechts hinten im Fond. Seine Mutter hatte neben mir Platz genommen, daneben ihr Gatte. Neben ihrem Sohn am Lenkrad saßen noch die zwei Schulkolleginnen. Wir waren gut zehn Minuten unterwegs, als wir – es war Punkt 15 Uhr – die Brücke bei Losenstein passierten und ins Schlingern gerieten. Der Fahrer wollte, wie bereits erwähnt, das Schlimmste verhindern, indem er auf die Bremse trat, was unser Fahrzeug allerdings vollkommen außer Kontrolle geraten ließ. Alles, was von da an passierte, weiß ich lediglich aus den Erzählungen anderer.

Am Abend wollten auch meine Eltern in das Konzert gehen und schauten noch am späten Nachmittag dieses Tages bei der befreundeten Familie vorbei. Dort eröffnete ihnen eine Verwandte der Familie die traurige Nachricht: „Aber wissen Sie nicht, es gab einen Unfall, die gnädige Frau ist an Ort und Stelle gestorben, alle anderen sind im Spital.“ Das war für meine Eltern ein Schock, und sie machten sich sofort auf ins Krankenhaus.

Später wurde mir erzählt, dass einige Chormitglieder, die direkt hinter unserem Wagen gefahren waren, den Unfall beobachtet hatten. Einer von ihnen war auch Feuerwehrmann und hat uns aus dem Wrack gezogen. Als ich – noch vor Ort – das Bewusstsein wiedererlangte, war mein erster Gedanke: „Hoffentlich kommen wir pünktlich zum Konzert.“ Heute finde ich es tröstlich, wie gnädig die Natur ist, wenn sie uns das fast Unerträgliche zu verdrängen hilft. Gemeinsam mit dem Sohn der Familie wurde ich in einem Krankenwagen ins Spital gefahren.

Als ich nach der Erstversorgung auf die Intensivstation gebracht wurde, spürte ich wahnsinnige Schmerzen im Rücken. „Was habe ich denn?“, fragte ich den Pfleger, der sich um mich kümmerte und mit „Feingefühl“ antwortete: „Drei Wirbeln san hin.“

Als ich versuchte, meine Füße zu bewegen, fiel es mir zunächst schwer, und ich machte mir Gedanken, wie mein Leben im Rollstuhl aussehen würde. Doch mein Körper erholte sich ziemlich rasch, der Unfall sollte aber mein Leben in vielerlei Hinsicht nachhaltig prägen. Es stellte sich heraus, dass die Beweglichkeit von zwei meiner Finger irreversibel eingeschränkt bleiben würde, da die Nerven beschädigt waren. Damit musste ich meinen großen Traum von der Geigenkarriere begraben. Hinzu kamen die Schmerzen – fast 14 Jahre begleiteten sie mich beinahe täglich. Oft so sehr, dass ich am Morgen kaum aus dem Bett kam, weil mein Rücken so krampfartig verspannt war. Und es prägte mich die Erfahrung dieses Unfalls, dieser sich in die Unendlichkeit ausdehnenden Stille. Mir war mit 18 Jahren der Tod begegnet, und das veränderte mein Leben wie keine Erfahrung davor oder danach.

Seither mache ich mir viele Gedanken über die Merkwürdigkeiten dieses 19. Novembers. Dass unser Wagen genau 150 Jahre nach Schuberts Tod von der Straße abkam, um Punkt 15 Uhr zur Todesstunde des Komponisten. Dass der Unfall passierte, ausgerechnet nachdem wir Schuberts G-Dur-Messe gespielt hatten, die er mit 18 Jahren geschrieben hatte, also in dem Alter, in dem ich damals war. Dass wir geplant hatten, sein Forellenquintett aufzuführen, und dass Schuberts Musik das Erste war, was ich im Krankenhaus-Kissen hörte: wieder die G-Dur-Messe! Ist all das Zufall? Grundsätzlich glaube ich nicht an Zufälle. Höchstens, wenn man das Wort im Sinne von „es fällt einem etwas zu“ versteht, dann war dieser 19. November 1978 sicherlich ein Zufalls-Tag, an dem mir so viel zufiel, was mein Leben nachhaltig verändern sollte. Dieser Sonntag war ein Schicksalstag für mich, dem ich viel von dem zu verdanken habe, was ich heute bin.


Ich frage mich noch immer, ob die zu Tode gekommene Mutter der befreundeten Familie ebenfalls jene Stille gehört hat, die ich vor dem Unfall wahrgenommen habe – und ob diese Stille vielleicht ein Vorbote dessen war, was uns nach dem Leben erwartet. Die anderen von uns, die überlebten, begleitete der schreckliche Unfall weiterhin: Mit der Firma des Unternehmers ging es bergab, der Sohn, dessen Mutter neben mir starb, erkrankte schwer. War uns an diesem Novembersonntag dies alles nur „zu-ge-fallen“?

Bei mir hat der Unfall in erster Linie meine Einstellung zum Tod und zum Glauben verändert. Jenen Glauben, den meine Eltern pflegten und der unsere Familie so tief geprägt hat. Ich habe später in unterschiedlichen Religionen nach etwas Anderem gesucht, im Buddhismus und im Hinduismus, bei Ghandi und Laotse. Bei meinen Wanderungen durch verschiedene Religionen bin ich zu Erkenntnissen gelangt, die ich vorwiegend in philosophischen Schriften fand. Am ehesten würde ich mich als Agnostiker beschreiben, der es mit Sokrates hält, also an die Unsterblichkeit dessen glaubt, was wir die Seele nennen. Dieses Wissen ermöglicht mir eine sehr persönliche Spiritualität. Muße und Ruhe gibt mir heute vor allen Dingen die Natur, und das, was Spiritualität bedeutet, erlebe ich vielleicht am ehesten in der Musik.

Ist es nicht bezeichnend, dass Franz Schubert seine G-Dur-Messe in nur einer Woche komponiert hat und im Credo bereits mit 18 Jahren den Satz Et unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam wegließ und der „heiligen katholischen und apostolischen Kirche“ so das Glaubensbekenntnis versagte? Ist es nicht spannend, dass er auch auf den Satz Et expecto resurrectionem mortuorum verzichtete, Ich erwarte die Auferstehung von den Toten? Die G-Dur-Messe war die letzte Musik, die ich vor dem Unfall hörte – und sie war jene Musik, mit der mich die Welt zurück begrüßen sollte. Zufall?

Woran ich glaube, ist vielleicht tatsächlich jene Stille, die ich seither erfahren habe, die von Klang umgebene Stille. Sie ist meine Form der Ewigkeit und der Außerweltlichkeit. In ihr finde ich den Trost, dass sich am Ende eines Lebens das Gefühl der Zufriedenheit einstellen kann. Vielleicht kann man diesen Zustand auch Seelenstille nennen. Ein Zustand, den ich mir immer wieder durch die Musik erhoffe. Dem ich vielleicht sogar hinterhereile. Ein Zustand, der leider nur sehr selten eintritt, aber wenn, dann wird er zu einer Art Offenbarung.

Die existenzielle Größe der Musik habe ich zum Beispiel erlebt, als ich den Pianisten Radu Lupu mit seiner Interpretation von Beethovens Waldsteinsonate in der Zürcher Tonhalle hörte. Ich kann nicht beschreiben, was genau dieser Abend in mir ausgelöst hat, aber ich kann sagen, dass ich drei Nächte lang nicht schlafen konnte – so sehr hat mich aufgewühlt, was ich gehört hatte. Nach dem Konzert habe ich Radu Lupu in seinem Künstlerzimmer besucht und gesagt: „Diese Interpretation werde ich wohl ein Leben lang nicht vergessen.“ Ich hatte das Gefühl, dass er selbst von der Wirkung seines Spiels überrascht war. Aber seine trockene Antwort war: „Ja, so hatte Beethoven es wohl gemeint.“

Es gibt diese Aufführungen, die uns über die Grenzen unserer Existenz hinausführen und bei denen alle Beteiligten zu einer Einheit werden. Das erste Mal, als mir dies widerfuhr, war während der Aufführung von Franz Schmidts Das Buch mit sieben Siegeln in der Stiftskirche Wilhering, die ich mit 24 Jahren dirigierte. Die Offenbarung des Johannes, in der es genau um diese letzten Dinge geht, wurde zu einem klingenden Weltbild. Als ich meine Eltern im Anschluss an die Aufführung traf, brachten weder sie noch ich ein Wort hervor, und mir liefen nur die Tränen über das Gesicht.

Vor allem die Musik Schuberts hat mich sowohl als Zuhörer als auch als Ausführenden immer wieder in diese Gefilde des Grenzüberschreitens geführt. In besonderer Erinnerung ist mir eine Aufführung des Schubert-Quintetts, das ich mit Freunden während meiner Zeit als Chefdirigent im schwedischen Norrköping spielte (ich hatte den Bratschen-Part trotz der zwei beschädigten Finger übernommen). In der Reprise des zweiten Satzes hörte und empfand ich plötzlich diese Musik der Ewigkeit. Klänge, in denen jede Zeit ausgehebelt wird, Musik, in der sich fünf Musiker im Augenblick des Spiels verlieren. Schubert hat diese außerweltliche Musik zwei Monate vor seinem Tod komponiert, und vielleicht kommt dieser zweite Satz jener Stille am nächsten, die ich gehört habe, bevor sich unser Wagen überschlug.

Unvergesslich bleibt mir auch ein Schubert-Liederabend, den Simon Keenlyside bei der Schubertiade in Schwarzenberg 2002 gesungen hat. Ich war auch hier von der existenziellen Größe der Musik so überwältigt, dass ich mir daraufhin die Aufnahme, die der ORF gemacht hatte, besorgt und diese immer wieder angehört habe.

Anlässlich meines 50. Geburtstages habe ich sozusagen als Geschenk an mich selbst ungefähr 120 Freunde und Bekannte zu einer privaten „Schubertiade“ eingeladen. Radu Lupu hat die letzte Klaviersonate von Schubert in B-Dur gespielt. Im Anschluss sang Simon Keenlyside einige Schubert-Lieder, am Klavier von Malcolm Martineau begleitet. Kurz vor seinem Auftritt fragte mich Keenlyside, wie es nach solch intensivem Musizieren dieser B-Dur-Sonate überhaupt noch möglich sei, etwas musikalisch hinzuzufügen und zu singen.

Und dann war da noch die Aufführung der Großen C-Dur-Symphonie von Schubert, gemeinsam mit dem Cleveland Orchestra in Cleveland am Freitag, den 13. März 2020. Zu diesem Zeitpunkt begann die Corona-Krise gerade die ganze Welt zu erfassen. Wir alle erahnten, dass wir uns in einer noch nie dagewesenen Ausnahmesituation befanden. So wurde der Entschluss gefasst, keine öffentlichen Auftritte unseres Orchesters mehr zu machen. Um jedoch das laufende Aufnahmeprojekt (Anm.: CD/Download- und Streaming-Serie A New Century mit Live-Aufnahmen aus der Severance Hall) abschließen zu können, führten wir die Symphonie vor etwa 20 Mitarbeitern unserer Büros auf. Wie ein Damoklesschwert hing die Frage über uns, ob und wann ein gemeinsames Musizieren wieder möglich wäre. Dadurch erreichte diese Aufführung eine Tiefe und gleichzeitig eine Schwerelosigkeit, wie ich sie vorher mit diesem Orchester noch nicht erlebt hatte.

Es sind Augenblicke, nach denen man sich als Musiker sehnt, diese kleinen Ewigkeitsmomente, in denen die Stille mit perfekter Musik angefüllt wird. Momente, die so kostbar sind, weil sie auch so unglaublich selten passieren.

Wenn es ein Leitmotiv meines Lebens gibt, ist es wohl die Erfüllung der Stille, die für mich gerade heute einen Gegenpol zur Schnelllebigkeit unseres Daseins bildet. Das stille Innehalten als Einkehr, als Alternative zur rastlosen Geschwindigkeit unserer Zeit. Die Stille als Ausgleich zur Dezibelisierung unserer Welt.

Übrigens wurde mir nach ziemlich langwierigen Gerichtsverfahren für meine erlittenen Verletzungen durch den Verkehrsunfall ein Schmerzensgeld von 120.000 österreichischen Schilling zugesprochen. So viel Geld hatte ich nie zuvor zur Verfügung gehabt – und ich hatte es auch nicht lange. Einen Großteil habe ich in Langspielplatten investiert, unter anderem in sieben unterschiedliche Aufnahmen der Missa solemnis – und in allerhand Partituren. In viel Musik nach der Stille.

Als ich die Stille fand

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