Читать книгу Narzissen und Chilipralinen - Franziska Dalinger - Страница 14

3.

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An diesem Donnerstagabend ist es mal wieder rappelvoll. Michael, den ich wegen seiner annähernd zwei Meter Körpergröße heimlich Goliath nenne, schleppt noch ein paar Stühle herbei. Im Gegensatz zu Bastians Leibwächtern sieht Michael allerdings nicht nach einem riesenhaften Krieger aus, sondern eher etwas schwächlich – lang und dünn, und sein witziges Ziegenbärtchen macht ihn sympathisch statt furchteinflößend. Daniel hilft ihm mit den Stühlen, dann bemerkt er mich und begrüßt mich freudestrahlend, als sei nichts gewesen. Als wäre er nicht schuld daran, dass ich ohne ihn auf eine Party gegangen und im Schnee gelandet bin, dass ich um ein Haar Tom geküsst hätte und fast von Kim verprügelt worden wäre. Nein, Daniel hat absolut keine Ahnung, warum ich nicht zurücklächle.

»Hey«, sagt er leise.

Wir haben uns die ganze Woche über nicht gesehen. Er hat gebüffelt, ich auch, und irgendwie habe ich es nicht über mich gebracht, ihn anzurufen. Hoffentlich fragt er mich nicht, wie es mir geht. Da stürmt Basti dazu und legt jedem von uns einen Arm um die Schulter.

»Jetzt geht’s los!«, ruft er. »Ich hab mir heute das Thema gewünscht.«

Unglaublich, wie dieser Junge sich über eine Bibelarbeit freuen kann. Und dann auch noch die Hochzeit zu Kana. Ich stöhne innerlich. Die Geschichte gehört zu den langweiligsten überhaupt, einfach, weil ich sie schon gefühlte tausend Mal gehört hab. Vielleicht bloß noch getoppt vom Barmherzigen Samariter. Jesus kommt auf eine Hochzeit, seine Mutter erzählt ihm, dass es keinen Wein mehr gibt, und – oh Wunder! – Jesus macht aus Wasser Wein.

Kenne ich schon alles. Schade eigentlich, dass es die Bibel nicht als Fortsetzungsroman gibt. Jede Woche eine neue Folge, die noch nie jemand gelesen hat. Das wär spannend!

Aber Bastian sieht das anders. Seine Augen leuchten. »Mann, das ist so krass«, findet er. »Wein! Das hätte ich nicht gedacht von Jesus. Er macht nicht aus Wein Wasser, damit die alle nicht so viel trinken und sich die Kante geben. Sondern aus Wasser Wein!«

»Nun, es gibt ja auch Christen, die sich ebenfalls gern die Kante geben«, sagt Tine und richtet ihren missbilligenden Blick auf mich. Bei ihr klingt es, als würde sie die Wörter unterstreichen. Oder in Anführungszeichen setzen oder mit Großbuchstaben. »Was man so hört.«

Ich erschrecke, als alle mich plötzlich anstarren. Was soll das denn jetzt?

»Wie meinst du das?«, erkundigt sich Michael.

»Ich glaube nicht, dass Jesus wollte, dass wir uns betrinken, wo wir doch als Christen Vorbilder sein müssen«, sagt sie.

Ich versteh nur Bahnhof. Warum guckt sie mich so an? Was habe ich denn schon wieder verbrochen? Ich hatte ja eigentlich gedacht, dass wir uns etwas näher gekommen wären, die fromme Tine und ich. Schließlich hatte ich sie sogar zu meiner Party eingeladen. Aber das hat ihre Meinung über mich wohl nur bestätigt. Eine Party, auf der es normale unchristliche Musik zu hören gibt, ist für Tine eine unchristliche Party.

»Wie meint sie das?«, flüstert Daniel, der neben mir sitzt und meine Hand hält.

»Keine Ahnung«, gebe ich zurück.

»Ach, tu doch nicht so«, sagt Tine. »Die ganze Stadt weiß, dass du am Samstag sturzbetrunken warst und ...« Sie schaut von mir zu Daniel und zieht die Schultern hoch.

»Und was?«, fragt Daniel.

»Nichts«, sage ich. »Übrigens war ich überhaupt nicht betrunken.«

»Umso schlimmer«, meint Tine selbstgefällig.

Zum Glück greift Michael an dieser Stelle ein und lenkt die Aufmerksamkeit wieder auf den Bibeltext. Aber ich spüre, dass mich von allen Seiten Blicke streifen, und mir wird immer unbehaglicher. Ich ziehe meine Hand zurück, die zu schwitzen beginnt.

Hilfe, was geschieht hier? Ich hab doch gar nichts gemacht! Das ist auf Kims Mist gewachsen. Ich weiß es. Das ist die Art, wie sie sich rächt, schlimmer als jeder Boxhieb. Sie hat es weitererzählt. Schön anschaulich. Bis jeder eine Szene vor sich sieht: Wie ich volltrunken flirte und Tom küsse. Wetten, dass alle es wissen? Dass alle es glauben? Alle, bis auf Daniel und vielleicht noch Sonja.

Sonja ist noch ziemlich neu bei den Hopis, sie kommt erst seit letztem Sommer. Ist zu uns gestoßen, weil sie Verwandte in unserer Gemeinde hat. Vielleicht versteh ich mich so gut mit ihr, weil sie mich halt nicht schon mein ganzes Leben lang kennt.

Tine wispert ihr was ins Ohr. Sonja schaut mich so entsetzt an, dass ich mir sicher bin: Jetzt weiß sie es auch.

»Aber ... und Daniel?« Sie flüstert, doch laut genug, dass alle es mitkriegen. Auch Daniel. Der neben mir unruhig wird und mir demonstrativ den Arm um die Schulter legt. Ich bin ihm dankbar dafür, dass er keine Fragen stellt. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um etwas zu erklären, was nie stattgefunden hat.

Auf Tines schmalen Lippen liegt ein noch dünneres Lächeln. Sonja macht ein verwirrtes Gesicht. Victoria, Nele, Kati, Angelika – die sehen aus, als wüssten sie mehr. Die sind alle eingeweiht, in was auch immer. Die Jungs wirken neugierig, anscheinend ist das bislang noch eine Mädchensache. Finn pustet in seine sowieso schon hochgeföhnten Ponyhaare und blättert in seiner Bibel, die mit lauter kleinen Zetteln gespickt ist. Er ist einer der Älteren in unserer Runde, schon unglaubliche dreiundzwanzig Jahre alt. Sein bester Freund Willi könnte sich ruhig wie ein reifer Erwachsener benehmen, immerhin ist er einundzwanzig, doch stattdessen ist er mit seinem Handy beschäftigt – ob er wohl von irgendwo Nachrichten an Land zieht? Über mich? Vielleicht fragt er gerade Victoria, was los ist. Die zwei sind seit Weihnachten zusammen. Es scheint, dass Daniels und mein Beispiel ansteckend ist. Als hätten wir eine Lawine losgetreten, finden sich auf einmal überall Pärchen zusammen. Maren sitzt neben Lukas und tuschelt mit ihm. Auch über mich? Ich seh wohl schon Gespenster. Von Michaels Ausführungen über das Wunder der Weinverwandlung bekomme ich heute leider nichts mit.

»Hat jemand Vorschläge?«, fragt er gerade.

»Worum geht es?«, wispere ich in Daniels Ohr.

»Ums Feiern«, flüstert er zurück. »Wie wir feiern wollen.«

Alle schauen zu uns herüber. Bin ich jetzt die Expertin fürs Spaß haben? Was soll ich sagen – wir betrinken uns und küssen, wen wir wollen, egal, ob wir einen Freund haben oder nicht? Ich brauche dringend einen Vorschlag. Etwas, das nichts mit einer Party zu tun hat, mit Trinken, mit irgendetwas, was den bösen Gerüchten Nahrung geben kann.

Ich schicke ein Stoßgebet gen Himmel und sage das Erste, was mir einfällt. »Schlittenfahren.«

Die anderen prusten los.

»Warum nicht?«, verteidige ich meine Idee. »Wann haben wir schon genug Schnee? Und nachher können wir ja Raclette machen oder so was.«

»Feuerzangenbowle«, sagt Tine. »Glühwein.«

Als wenn ich eine Trinkerin wäre! Frechheit.

»Super Idee!«, ruft Basti. »Das machen wir!« Er strahlt Tine an und sie zuckt zurück, plötzlich verlegen.

»Schlittenfahren ja«, sagt Michael. »Glühwein nein, sorry, Leute. Raclette und alkoholfreien Punsch zum Aufwärmen.«

»Das ist wieder typisch christlich«, flüstere ich Daniel zu. »Gerade haben wir darüber gestaunt, dass Jesus so locker drauf ist und den Hochzeitsgästen erstklassigen Wein verschafft. Und dann machen wir es doch wieder ohne Wein, weil’s irgendwie unchristlich ist. Das ist schizo, findest du nicht?«

Daniels Haare streifen meine Wangen, während er zurückflüstert. »Zwei Drittel der Leute hier sind minderjährig.«

»Aber wenn Michael glaubt, die würden sonst auch nichts trinken, irrt er sich, der Gute.«

»Umso wichtiger, wenn sie erleben, dass man auch anders feiern kann.«

Ich will ihm widersprechen, aber mir fällt ausnahmsweise nichts ein. Zumal ich an die Party denke, auf der ich mich nicht wohlgefühlt habe. Mandy war so aufgedreht, Tom ... na ja. Wie wäre der Abend verlaufen, wenn alle dort einfach nur Musik gehört und sich nett unterhalten hätten? Dann wäre auch nichts beinahe Peinliches vorgefallen und ich müsste mich jetzt nicht schämen wegen etwas, das nur in Kims Fantasie passiert ist. Gar nicht vorstellbar, eine Party ohne Alkohol. Hm. Warum eigentlich nicht? Warum ist das eigentlich so ungewöhnlich, dass es nahezu revolutionär klingt?

»Raclette ist öde«, murmelt jemand.

»Dann müssen wir das aber gleich dieses Wochenende machen«, meinen ein paar andere. »Bevor der Schnee wieder weg ist.«

»Und nachher eine Glüh-Party ohne glüh«, werfe ich in den Raum.

»Hä?«, rufen einige.

Ich fühle mich gerade angenehm revolutionär, als sich Daniels Finger mit meinen verschränken.

»Wie geht es deiner Schwester?«, frage ich leise. Nicht, um das Thema zu wechseln, wie man glauben könnte, sondern damit er weiß, dass ich ihn und seine Probleme nicht vergessen habe.

Daniel schüttelt den Kopf. »Keine Veränderung«, flüstert er.

Natürlich. Wenn es anders wäre, hätte er es mir längst erzählt. Dabei haben wir doch so intensiv gebetet! Ich auch. Nur weiß er nichts davon. Er glaubt, dass ich ohne ihn sehr viel Spaß hatte. Es ist nicht fair, dass er sich jetzt auch noch mit dieser Sache beschäftigen muss, mit Kims Lüge, die Kreise zieht. Ganz und gar nicht fair.

Schlimmer kann es nicht mehr kommen, doch es wird noch schlimmer. Denn nachher hält Tine auf mich zu und stellt eine einzige Frage, die eigentlich die schlimmste Frage von allen ist.

»Hast du es ihm gesagt?«

Sie schaut dabei nicht mich an, sondern Daniel, der neben mir steht. Ich steh im Moment auch irgendwie neben mir.

»Daniel weiß alles, ich hab keine Geheimnisse vor ihm«, sage ich und packe seine Hand, um ihn schleunigst von hier wegzuziehen. Leider kann ich nicht verhindern, dass sie mir nachruft: »Das hat er echt nicht verdient, und du weißt das!«

Der Himmel draußen ist sternenklar. Die Luft ist so kalt, dass unser Atem feine Wölkchen bildet. Bis zu unserem Haus sind es nur ein paar Schritte, deshalb gehen wir nicht auf unsere Haustür zu, sondern über den Parkplatz.

»Ich war nicht betrunken«, sage ich, doch noch während ich es sage, kommen mir plötzlich Zweifel. Ich hab schon was getrunken, am letzten Samstag, nur dachte ich, es wäre ohne Alkohol. Was, wenn doch was drin war? Bin ich deshalb mit Tom zusammen umgefallen? Reichte ein kleiner Anstoßer von Kim, um mich in den Schnee zu werfen, weil ich wackelig auf den Beinen war? Bin ich am Ende doch beschwipst gewesen und deshalb kam es mir verlockend vor, Tom zu küssen?

»Es hat überhaupt nichts zu bedeuten, dass ich Tom getroffen habe. Wir haben uns bloß unterhalten. Kim war da und meinte, sie hätte gesehen, dass da zwischen uns was läuft, aber du weißt, dass das Quatsch ist.«

»Ja«, sagt Daniel leise. »Natürlich weiß ich das.«

Ich spüre seinen Körper durch die dicken Jacken, als er mich an sich drückt. Sein Gesicht ist warm, sein Atem streift meine Haut. Plötzlich fühle ich mich so verliebt, dass mir schwindlig wird. Ich klammere mich an ihn und küsse ihn. Küsse ihn und küsse ihn und küsse ihn. Ich kann gar nicht mehr damit aufhören. Ich merke nicht, dass ich atme. Dass mein Herz schlägt. Dass die Stimmen der anderen laut werden, als sie auf den Parkplatz kommen. Dass sich Wolken über die glitzernden Sterne schieben. Ich weiß nur, dass ich Angst hatte und dass diese Angst sich langsam, während wir uns küssen, auflöst wie Schneeflocken auf brennender Haut.

»Oh nein«, stöhnte Finn. »Hat der Typ Nerven, seine Gang mitzubringen.«

Daniel stimmte ihm innerlich zu. Hatte Bastian doch tatsächlich seine Jungs zum Rodelhügel mitgeschleppt. Kein Wunder, dass ein paar Hopis irritiert reagierten und tuschelten. Eins der Mädchen sagte recht laut: »Oh nein, seht euch die an.«

Bastian alleine, so wie am Donnerstag, das war etwas anderes, denn in der Jugendgruppe war er in der Unterzahl. Doch mit seinem bedrohlich dreinblickenden Gefolge ... Sie wirkten wie ein ganzes Rudel, dabei waren sie nur zu sechst.

Es kostete Daniel einiges, freundlich zu lächeln. »Hey, Kumpel.«

»Na, Alter!« Bastian klopfte ihm gut gelaunt auf die Schulter, und Daniel biss sich auf die Zunge, um nicht mit der Frage herauszuplatzen, warum sein Freund diese grimmig dreinblickenden Typen alle zum Rodeln verdonnert hatte. Natürlich waren Gäste bei einem Hopi-Treffen willkommen, auch solche von zweifelhaftem Charakter. Diese ja eigentlich besonders. Daniel war sich bewusst, dass Jesus auch Schläger liebte und er sie mit offenen Armen willkommen heißen sollte. Doch das Problem war nicht so sehr, dass Bastians Freunde brutal aussahen, sondern dass Daniel am eigenen Leib hatte erfahren müssen, wie es war, gnadenlos zusammengeschlagen zu werden. So lange war es noch gar nicht her. Es war schwer genug gewesen, Bastian zu verzeihen – und der war aufrichtig zerknirscht gewesen. Diese Jungs jedoch, die mit den Füßen im Schnee scharrten wie ungeduldige Rennpferde, wirkten alles andere als zerknirscht.

Michael begrüßte jeden gleichermaßen freudestrahlend. »Wir haben gar nicht genügend Schlitten für alle, aber zur Not rutscht es sich auch auf Plastiktüten«, meinte er fröhlich. »Toll, dass ihr gekommen seid. Ich bin der Michael.«

»Alf«, stellte Bastian vor. »Jackson. Das da sind unsere beiden Nicks. Philipp, gib Michael die Hand.«

Es ist von Vorteil, dass unser Jugendleiter so groß ist, dachte Daniel. Das macht ihn in den Augen dieser Jungs hoffentlich zu einer Respektsperson. Vielleicht schätzen sie ihn aber auch nur ab, um festzustellen, wie schnell er im Schnee landen würde, wenn sie sich auf ihn stürzen.

Miriam zog ihn am Arm zur Seite. »Wollen wir nicht fahren? Die Bahn ist gerade frei.«

Unter ihrer dicken Wollmütze lugten ihre Haare hervor und rahmten ihr Gesicht ein. Ihre Augen glänzten. Er küsste sie auf die rote Nasenspitze. Bei solchen Gästen war es bestimmt besser, wenn man gleich deutlich machte, zu wem dieses hübsche Mädchen gehörte.

»Möchtest du lieber gehen, wenn die hier sind?« Natürlich merkte sie, wie er die Fremden beobachtete, wie angespannt er war.

»Nein«, sagte er. »Bastian ist mein Freund. Das setze ich nicht aufs Spiel. Ich hab keine Angst vor diesen Typen.« Er blickte zu den Jungen hinüber. »Trotzdem hätte ich jetzt gerne Wunderkräfte, um sie alle zusammen zu verprügeln. Aber sag das bloß keinem. Ich versuche gerade, meine ganze Nächstenliebe zusammenzukratzen. Ich hoffe, sie reicht.«

»Klar tut sie das«, meinte Miriam zuversichtlich. Sie lachte ihn an. Da war so ein wunderbares Strahlen in ihrem Gesicht, und die Schatten der vergangenen Tage schienen verflogen. Doch obwohl sie offenbar keine Zweifel daran hatte, dass er es fertigbringen würde, seine Feinde zu lieben, wollte er ihnen lieber davonfahren. Er schob den Schlitten in die richtige Position. Die Bahn sah gut aus. Der Schnee, auf der Wiese noch dick und weich, war hier bereits festgefahren und spiegelglatt.

»Schnell, bevor sie uns sehen«, sagte er.

Doch zu spät. Die Jungs hatten ihn trotz der winterlichen Vermummung erkannt. Einer der Nicks pirschte sich heran und schlug ihm kameradschaftlich auf die Schulter. Jackson grinste. Daniel grinste zähnefletschend zurück; das musste genügen.

»Ey, Mann, leihst du uns mal den Schlitten?«

»Klar«, sagte er, »aber zuerst fahre ich mit meiner Freundin.«

Er stieß sich ab, und der Schlitten gewann rasch an Fahrt.

Miriam schlang die Arme um ihn, während sie den Hügel hinabsausten. Aber es gab Erinnerungen, die auch der schönste Kuss am perfektesten Wintertag nicht auslöschen konnte, und die ganze Zeit über, während er den Schlitten wieder den Hang hinaufzog, kämpfte er mit seinem Groll. Jackson streckte verlangend die Hand nach dem Schlitten aus, als hätte er ein Recht darauf, der Mistkerl. »Fährst du mit mir, Messie?«, fragte er und setzte dabei ein Grinsen auf, das er wohl für unwiderstehlich hielt.

»Nein danke.« Miriam blieb äußerst liebenswürdig.

Daniel dachte darüber nach, den Typen einzuseifen, aber da sprang Michael zu Jackson auf den Schlitten, und gemeinsam rasten sie bergab.

»Wartet auf uns!«, schrie Sonja und fuhr mit Angelika hinterher.

»Ich brauch noch einen Mitfahrer!«, rief Bastian, packte schließlich Tine und zog sie zu seinem Gefährt.

»Ich hätte nicht gedacht, dass sie jemanden wie ihn auch nur mit den Fingerspitzen anfassen würde«, staunte Miriam. Tine kreischte, während sie an den anderen Schlitten vorbeibrausten und in einer Schneewehe landeten, in der schon die beiden Nicks steckten. Mit rotem Gesicht stiefelte sie den Hang wieder hoch, hinter ihm her, und dann fuhren sie noch mal. Ihre Augen leuchteten, sie lachte.

»Die ist ja wie ausgewechselt. Keine gehässigen Blicke heute?«

»Was hast du eigentlich für ein Problem mit Tine?«, wollte Daniel wissen, während er den Schlitten aus dem Loch herauszog, in dem sie beide gelandet waren. »Ich finde sie nett.«

»Nett? Die?« Miriam schüttelte fassungslos den Kopf. »Die tut ständig so von oben herab.«

Gut, Tine gehörte nicht zu den Leuten mit einem Dauergrinsen, aber das fand Daniel nicht schlimm. Sie kritisierte gerne, aber darin stand Miriam ihr in nichts nach. Im Grunde fand er, dass die beiden recht viel gemeinsam hatten, aber er hütete sich natürlich, das laut auszusprechen. Manchmal nervte es ihn ziemlich, dass Miriam an allen Hopis etwas auszusetzen hatte, aber an diesem schönen Nachmittag wollte er nicht streiten.

Die kalte Luft und die Anstrengung färbten die Gesichter rot. Sogar die Gangster, die am Anfang so cool gewesen waren, wurden merklich lockerer. Dominik, der größere der beiden Nicks, lachte sogar, während er vom Schlitten in den Schnee rollte.

»Tine ist heute so ungewöhnlich glücklich«, überlegte Miriam, die das andere Mädchen immer noch beobachtete.

»Vielleicht ist das ja die echte Tine«, meinte Daniel. Er hatte das Gefühl, dass hier im Schnee alle lockerer wurden. Man konnte sich buchstäblich fallen lassen, in die dicke, weiche Schneeschicht. Bastian und Michael rollten im Spaß raufend die Anhöhe hinunter. Ein paar der Mädchen wagten sich vorsichtig an Philipp heran, der von allen vermutlich am besten aussah – Daniel war sich nicht sicher, ob er das als Junge überhaupt beurteilen konnte. Doch leider war Philipp auch der Schweigsamste, und erst als Jackson erschien, erklang das Gekicher eines ganzen Trupps Mädchen bis oben auf die Hügelkuppe.

Daniel küsste Miriam ein paar Schneespuren aus dem Gesicht, als ihn ein Schneeball traf.

»Attacke!«, schrie Alf. »Auf sie!«

Im Handumdrehen hatte sich die Strecke in ein Schlachtfeld verwandelt.

»Wehrt euch!«, riefen Willi und Finn, die Anführer der Hopis.

Michael schlug sich unverzüglich auf die Seite der Gäste, was Daniel klug fand. Fremde gegen Hopis – nein, das hätte der Gemeinschaft gar nicht gut getan. Er atmete tief durch, dann traf er seine Entscheidung.

»Komm!«, rief er Miriam zu. »Dorthin, nach links!«

Sie rannten geduckt durch den Schneehagel zu Bastian und den anderen, die sie johlend begrüßten. Immer mehr Bälle flogen durch die Luft. Während Daniel hastig eine Schneekugel nach der anderen formte, war er sich der Gegenwart der beiden Nicks, die rechts und links von ihm Stellung bezogen, nur zu sehr bewusst.

»Treffer!«, schrie Niklas, während Dominik ein wortloses Geheul anstimmte.

»Wir gewinnen!«, rief Michael.

»Gar nicht!«, schrie Tine von der anderen Seite und erwischte Bastian voll ins Gesicht. Die Gruppe der Kichermädchen konzentrierte sich auf Philipp und Jackson, die plötzlich aufsprangen und hinüberrannten, um ein allgemeines Einseifen zu beginnen. Eine Weile herrschte das reine Chaos, und Daniel fand sich im Gerangel mit Alf wieder.

»Du hast ne hübsche Freundin«, sagte Alf.

»Von der du gefälligst die Finger lässt.«

»Klar doch. Ich mein ja nur. Sie ist gerade dabei, die beiden Nicks fertig zu machen.«

Daniel riskierte einen Blick zur Seite, um diese unwahrscheinliche Behauptung zu überprüfen, und bekam prompt eine neue Ladung Schnee ins Gesicht.

»Eins zu Null!«, schrie Alf.

»Na warte!«

Während er ihm mit Vergnügen Schnee ins Gesicht schmierte und es mit gleicher Münze heimgezahlt bekam, merkte er zu seiner eigenen Überraschung, dass sein Lachen echt war.

»Ich glaub, jetzt reicht es«, sagte Michael, während sie alle ermattet im Schnee lagen. »Wir fahren noch einmal runter, und dann ab in die Autos und ins Warme. Bald ist es so dunkel, dass man nichts mehr sieht.«

Die ersten Schlitten brachen auf. Es gab keine Trennung mehr in Gäste und Hopis, alles war wie durchgemischt. Dann ein Schrei und lautes Schimpfen.

»Mann, willst du, dass ich mir den Hals breche?«, fauchte Tine.

Auf einmal war unten am Hügel ein Gewühl aus Schnee und Schlitten, Armen und Beinen. Prustend und immer noch lachend arbeitete sich Bastian aus einem Gebüsch heraus, in das mehrere ineinander verkeilte Schlitten gerast waren. Mit ausdruckslosem Gesicht trennte Alf eine einzelne Kufe von einem knorrigen Ast. Die beiden Nicks betrachteten betrübt die Überreste ihres Gefährts.

»Ich hoffe, das war nicht unser Schlitten?«, fragte Miriam erschrocken. »Meine Geschwister machen Hackfleisch aus mir.«

»Nein, ich glaube nicht«, beruhigte Daniel sie, während er zur Unfallstelle hastete.

Bastian streckte Tine die Hand entgegen, aber trotzig befreite sie sich selbst. Noch einige über und über mit Schnee bedeckte Gestalten wurden sichtbar. Kevin, ein schlaksiger Fünfzehnjähriger, riss an seinem Schlitten, unter dem Lukas und Kati zum Vorschein kamen. Finn humpelte an die Seite und kämpfte mit den schneeverkrusteten Schnürsenkeln seines Schuhs.

»Alles in Ordnung?«, fragte Michael besorgt.

»Ja, geht schon«, meinte Finn mit schmerzverzerrtem Gesicht. Alle standen um ihn herum und gaben gute Ratschläge oder erfreuten die Anwesenden mit Geschichten ihrer eigenen Bänderrisse, Verstauchungen und Knöchelbrüche.

»Hey, alles klar bei dir?« Bastian reichte Finn die Hand und zog ihn hoch, doch sobald er aufrecht stand, stieß Finn ihn mit beiden Händen vor die Brust.

»Du Idiot! Das warst du!«

Bastian taumelte nach hinten. Im nächsten Moment stand Philipp vor seinem Anführer und zückte ein Messer.

»Das gibt’s doch nicht!«, schrie Finn. »Er hat ein Messer!«

Alle wichen erschrocken zurück. Nur Michael blieb stehen.

»Steck es weg«, sagte er streng. »Keine Waffen.«

Mittlerweile hatte Bastian sich aufgerappelt. »Er hat recht«, sagte er zu Philipp. »Tu es weg. Das war nichts.«

Daniel hatte die Luft angehalten. Zu deutlich erinnerte er sich daran, wie empfindlich sein Freund früher gewesen war, wenn jemand seine Ehre verletzte.

»Weg damit! Wird’s bald! – Keine Panik.« Bastian lächelte beschwichtigend in die Runde. »Alles unter Kontrolle.«

»Das war’s dann jetzt wohl endgültig.« Der Obergoliath, wie Miriam ihn so gerne nannte, gab das Zeichen zum Aufbruch. »Raclette und Punsch zum Aufwärmen, wisst ihr noch? – Kannst du gehen, Finn? Es ist doch hoffentlich nichts gebrochen?«

Finn warf Bastian einen bösen Blick zu. »Ich glaub nicht«, presste er zwischen den Zähnen hervor.

»Das war keine Absicht.« Michael versuchte wie immer alle zu besänftigen. »Und das nächste Mal«, sagte er zu Philipp, »kannst du ruhig unbewaffnet kommen. Wir beißen nicht.«

»Nächstes Mal?«, knurrte Finn. »Ich fass es nicht. Die sollten alle Hausverbot bei uns kriegen.«

Daniel reichte Finn die Hand. »Komm, bis zum Parkplatz schaffst du’s. Setz dich auf unseren Schlitten. Ich schätze, das ist der einzige, der noch einigermaßen heile ist.« Zum Glück war ihr Gefährt nicht an der Massenkarambolage beteiligt gewesen.

»Ich helfe dir.« Bastian tauchte neben ihm auf und griff nach dem Strick.

»Wir können ihn auch tragen«, bot Jackson an.

»Nein danke!« Finn war immer noch sauer, er lehnte das Friedensangebot ab.

Bastian ließ sich nicht beirren. Er zog sein Opfer zum Parkplatz und stellte die Ohren auf Durchzug.

»Und dann hat der Schlitten sich mitten auf der Bahn quergestellt und wir konnten nicht bremsen ...«, erklärte Tine, die hinter ihnen ging, allen, die es hören wollten. »So etwas musste ja passieren.«

»Du hältst auch alles und jedes für ein göttliches Strafgericht, was?«, meinte Miriam.

»He, Mädels, vertragt euch«, sagte Daniel. Er legte den Arm um Miriams Schultern, und sie versenkte ihre eiskalte Hand in seiner Jackentasche. »Nicht streiten«, bat er leise. »Was sollen denn unsere neuen Freunde von uns denken?«

Ihre Wangen färbten sich glühend rot. Wenn Miriam sich mit Tine vertrug, dann würde das ein ebenso großes Wunder sein wie seine Freundschaft mit Bastian.

Narzissen und Chilipralinen

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