Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 656 - Fred McMason - Страница 7
2.
ОглавлениеAls die Sonne aufging, war die Kimm dunstig und in feine neblige Schleier gehüllt. Der Sonnenball tauchte scheinbar aus der See und war erst orangerot. Dann wurde er zusehends fahler und verblaßte.
Mit dem Farbenspiel nahm auch gleichzeitig der Wind ab. Er wehte nur noch schwach.
„Das Vieh war ein Unglücksbringer, sage ich euch“, erklärte Old Donegal sinnend. „Oder er hat uns etwas verkünden wollen. Wenn ein Vogel an Bord erscheint und dann auch noch nachts, bedeutet das nichts Gutes. Ich weiß diese Zeichen zu deuten.“
„Sturm?“ fragte Philip sachlich.
Old Donegal schüttelte bedächtig den Kopf. „Nein, diesmal ist es was anderes, kein Sturm.“
„Dann bliebe noch ein Seebeben oder ganz einfach ein Unwetter“, meinte Philip. „Oder der Holzbohrwurm frißt unser Schiff auf.“
Der Admiral starrte auf die rostfarbenen Segeln der Karavelle. Sie blähten sich noch, aber nicht mehr so stark wie zuvor. Auch die Bugwelle war merklich kleiner geworden. Es war ein schmaler Bart, der an beiden Seiten des Rumpfes vorbeigluckerte und achteraus ein schmales Kielwasser bildete.
„Grinst euch nur eins“, sagte er mit einem kurzen Auflachen. „Ich bin sicher, daß es euch noch vergehen wird. Wir sollten darüber aber das Frühstück nicht vergessen.“
Hasard und Philip warfen sich einen Blick zu. Philip nickte schließlich und ging in die kleine Pantry.
Um sie her war es auf eine merkwürdige Art still. Die täglichen Geräusche, die sie seit Jahren gewöhnt waren, hörten sie kaum noch, wie das Knarren von Blöcken oder das Flüstern in den Segeln. Auch das leise Raunen und Gurgeln von vorbeiströmendem Wasser gehörte dazu.
Jetzt waren diese Geräusche überdeutlich zu hören.
„So wie heute ist mir das noch nie aufgefallen“, sagte Old Donegal. „Geht dir das auch so?“
„Meinst du die Geräusche?“
„Ja, sie erscheinen mir überlaut.“
„Stimmt“, sagte Hasard. „Die ganze Welt scheint nur aus diesen Geräuschen zu bestehen.“
Old Donegal legte den Kopf schief und schien in sich hineinzuhorchen. Er hatte ein unglaubliches scharfes Gehör.
„Da ist noch etwas – ein – ein Summen oder so ähnlich. Aber es muß sehr weit entfernt sein.“
Hasard hörte kein Summen, so sehr er sich auch anstrengte.
Old Donegal definierte es ein bißchen genauer. „Klingt wie eine riesige Säge mit stumpfen Zähnen. Ich habe das Geräusch deutlich in den Ohren.“
„Dann muß es aber sehr weit weg sein, Granddad. Wie weit schätzt du, sind wir vom Land entfernt?“
„Das ist schwer zu sagen. Wir haben nur sehr bescheidenes und ungenaues Kartenmaterial. Aber ein paar hundert Meilen dürften es zum Norden hin schon sein. Auf unserem jetzigen Kurs werden wir voraussichtlich in den nördlichen Teil der indischen Westküste gelangen. Mit etwas Glück könnten wir sogar Surat anliegen. Verfehlen wir es, dann erkundigen wir uns einfach. Ist doch keine Schande, wenn man sich mal um ein paar Meilen verhaut. An uns liegt es nicht, nur an den fehlenden Unterlagen.“
„Dieses Summen kann aber kaum vom Land stammen“, begann Hasard wieder. „Ich höre es immer noch nicht. Vielleicht bildest du dir das nur ein?“
„Keine Einbildung. Das Geräusch verändert sich manchmal und ähnelt einem dumpfen Brausen.“
Ihr Gespräch wurde unterbrochen, als Philip aus der Pantry an Deck erschien. Er brachte ein paar Kummen mit, die bis an den Rand gefüllt waren.
Der Admiral begann neugierig zu schnuppern. Die Geräusche waren damit fürs erste vergessen.
„Was ist in den Kummen?“
„Tomaten, Knoblauch, Zwiebeln, geröstetes Fladenbrot“, zählte Philip auf. „Und natürlich scharf gewürzt.“
„Hörst du was?“ fragte Hasard seinen Bruder. „Der Admiral, äh – ich wollte sagen, Granddad, hört so ’n Summen oder dumpfes Brausen.“
„Das ist Ohrensauen“, sagte Philip nach kurzem Überlegen. „Hat Paddy öfter mal gehabt. Der Kutscher sagte, das würde nach einer Weile wieder von selbst vergehen.“
„Von wegen Ohrensausen!“ brauste Old Donegal auf. „Ohrensausen ist was für alte Knacker, aber nicht für mich. Wenn ihr nicht so laut schmatzen würdet, könntet ihr das Geräusch ebenfalls hören. Ihr müßt nur eure Horchlöffel richtig in den Wind drehen.“
Die Zwillinge behielten ihre Bissen im Mund und lauschten andächtig dem Geräusch, das Old Donegal angeblich hörte. Schließlich schluckte Hasard seinen Bissen überrascht herunter.
„Tatsächlich, da ist etwas. Scheint aus nördlicher Richtung zu stammen, ist aber kaum wahrnehmbar.“
Philip hörte es schließlich auch. Sein Gesicht drückte Verwunderung aus. Aufmerksam blickte er zur nördlichen Kimm, aber außer einem etwas dunklen Dunststreifen war da nichts zu sehen.
Es war ein Summen, ein Sirren oder auch ein Brausen, je nachdem, wie man es auslegen wollte. Sie hatten aber keinen Bezug zu dem Geräusch und konnten es sich nicht erklären.
„Das muß Wind sein, der sich nähert“, sagte Old Donegal in die Stille hinein. „Leicht brausender Wind aus Norden.“
Normalerweise hätte seine seltsame Ausdrucksweise ein Gelächter ausgelöst. Diesmal blieb jeder ernst, denn genauso hörte sich das eigentümliche Geräusch an.
„Ähnlich wie bei einer heranfegenden Bö“, sagte Hasard nachdenklich. „Man hört sie, kurz bevor sie einfällt. Jedenfalls bilde ich mir das immer ein.“
Sie aßen weiter, ließen die nördliche Kimm dabei aber nicht aus den Augen.
Da war jetzt ein dünner Strich zu sehen, eine feine dunkle Linie, die am Horizont stand und Himmel und Kimm verwischte. Der immer dunkler werdende Strich schob sich langsam an der Kimm höher, bis er auf eine Handbreite angeschwollen war.
Fasziniert und befremdet zugleich starrten sie zu dem seltsamen Phänomen. Niemand konnte es sich erklären.
Philip tippte auf ein heranziehendes Unwetter, zumal der Wind jetzt ganz schwach erneut die Richtung geändert hatte und aus nördlicher Richtung wehte.
Old O’Flynn verneinte ganz entschieden.
„Kein Sturm, kein Wind, auch wenn ich das eben noch gesagt habe. Es hörte sich nur danach an, ist aber doch etwas ganz anderes. Ich glaube, es kommt etwas auf uns zu, was wir noch nie erlebt haben. Achtet noch einmal auf das Geräusch. Es hat sich wieder verändert. Was hört ihr jetzt, wenn ihr die Ohren anlegt?“
„Ein Säuseln“, sagte Hasard.
„Und du?“
„Klingt eher nach einem Summen.“
„Ein Summen, das ist es“, sagte Old Donegal. „Die Luft ist weit voraus von einem kräftigen Summen erfüllt.“
Jung Hasard schluckte plötzlich. Sein Adamsapfel zuckte hoch und wieder runter. Seine eisblauen Augen wurden dunkel.
„Eine Tsunami“, flüsterte er. „Irgendwo gab es ein Seebeben, von dem wir nichts bemerkt haben, und jetzt erhebt sich am Horizont eine gigantische Welle, die durch das Arabische Meer rast. Das haben wir mal bei Hawaii erlebt, den Inseln der sieben Augen.“
„Ich weiß“, sagte Old Donegal gallig. „Aber das sah doch noch ein wenig anders aus.“
Sie rätselten weiter herum und gelangten doch zu keinem vernünftigen Ergebnis. Ein Naturereignis stand unmittelbar bevor, aber was das für eins war, vermochte keiner zu sagen.
Philip schloß mit der Feststellung: „Wir werden es bald wissen, und dann sind wir etwas schlauer.“ Aber diese Feststellung besagte auch nicht viel.
Das Frühstück wurde hinuntergewürgt. Was eben noch herzhaft geduftet hatte, schmeckte ihnen nicht mehr sonderlich. Die immer höher aufziehende und schnell dunkler werdende Wand schlug ihnen auf den Magen.
Eine Tsunami, eine gigantische Wasserfront, konnte es trotz aller Verneinungen von Old Donegal doch sein. Es ließ sich nur nicht erkennen, weil alles im Norden zu riesigen Schlieren verwischte.
In der Luft war das Brausen, Summen und Säuseln deutlicher geworden. Es war eine Geräuschkulisse, die alle möglichen Töne hervorbrachte. Die Wand breitete sich nach den Seiten aus und wurde dichter. Was anfangs noch braun gewirkt hatte, wurde jetzt schwarz. Der Himmel verfinsterte sich zusehends.
Sie hatten Sandstürme, Tsunamis, ausbrechende Fumarolen und wild heranrasende Taifune über sich ergehen lassen müssen, und doch war das, was da auf sie zurückte, immer noch mit nichts von allem vergleichbar.
Old Donegal griff bedrückt nach dem Spektiv, das sie auf der Karavelle gefunden hatten. Aber es war kein guter Kieker, und er sah damit auch nicht viel mehr als mit dem bloßen Auge. Ziemlich unwirsch legte er es auf die Planken.
„Mistding! Nichts zu erkennen! Aber die Front nähert sich jetzt immer rascher.“
Ungläubig blickten sie zum verschwundenen Firmament, das jetzt aus einer geschlossenen, fast schwarzen Decke bestand. Ein unheimlicher, riesiger Vorhang flatterte auf sie zu. Er mochte etwa drei Meilen breit sein, wie sie grob schätzen. Wie lang er war, ließ sich nicht erahnen, denn er zog eine gigantische Schleppe hinter sich her, die weit entfernt vom Land stammen mußte.
Das Geräusch ging jetzt an die Nerven. Es war ein pausenloses Sägen, Schwirren, Brausen und Dröhnen. Und es erfüllte See und Himmel mit diesem entnervenden Geräusch.
„Fiert die Segel ab“, sagte Old Donegal. „Ich habe so ein unheimliches Gefühl. Nehmt die Lappen weg, aber rasch. Wir lassen uns treiben, sonst fetzen uns die Plünnen noch davon, und wir haben keinerlei Reserve an Bord.“
Hasard und Philip gingen an die Arbeit. Die beiden Segel waren schnell abgefiert und aufgetucht.
Zu diesem Zeitpunkt herrschte bereits Dämmerlicht. Von der aufgehenden Sonne war nichts mehr zu sehen als ein trüber, verwaschener Schein aus milchigem Dunst.
„Um Gottes willen“, stöhnte Hasard plötzlich, als die Luft von einem häßlichen Kreischen erfüllt war. „Ich weiß, was das ist. Der Himmel möge uns beschützen.“
„Was ist es denn?“ fragte Old Donegal, dem das Entsetzen auf Hasards Gesicht nicht entgangen war. Der Sohn des Seewolfs war übergangslos blaß geworden. „Nun – was ist es?“
„Es sind die Zähne des Windes“, erwiderte Hasard tonlos.
Old O’Flynn starrte ihn an, als hätte er den Verstand verloren.
„Die Zähne des Windes?“ fragte er ungläubig. „Ich hab mich wohl verhört, wie? Was, zum Teufel, sind die Zähne des Windes. Diesen Ausdruck habe ich noch nie gehört.“
Hasard erklärte es ihm und sah, wie der Unterkiefer des Admirals wegsackte und er ihn entgeistert anstarrte.