Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 258 - Fred McMason - Страница 5

2.

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Batuti verhielt sein Kamel und zwang es zu Boden. Er bedeutete Dan, das gleiche zu tun. Die Tiere wurden immer unruhiger, schnappten mit aufgerissenen Mäulern und gelben Zähnen nach den beiden Männern und wollten wieder aufspringen.

„Gut festhalten, Dan“, sagte Batuti. „Gleich Haboob da.“

„Haboob?“ fragte Dan O’Flynn.

„Sandsturm“, erklärte Batuti. „Im Sudan man sagt Haboob, hier in Ägypten Leute sagen Chamsin.“

„Hast du schon mal einen Sandsturm erlebt, Batuti?“

„Zweimal, aber schlecht.“

„Und was tun wir jetzt? Wir hätten doch noch ein Stück weiterreiten können.“

Der Neger schüttelte den Kopf. Seine Nasenflügel waren gebläht, und seine Augen rollten.

„Nicht gut. Wenn Sandsturm erwischen beim Reiten, dann aus. Alle sich verirren, kommen um.“

„Dann laß uns doch hinter die nächste Düne reiten, da sind wir besser geschützt.“

Wieder schüttelte Batuti energisch den Kopf.

„Nix gut. Viel Wind tragen Sandberg ab, dann wir gleich lebendig begraben.“

„Du mußt es ja wissen.“

Dan verließ sich auf seinen Freund und dessen Anordnungen, denn Batuti verfügte in dieser Hinsicht über die besseren Erfahrungen.

Die Kamele taten schon rein instinktiv das, was die Naturgesetze ihnen befahlen. Sie drehten die Schädel aus der Windrichtung, wölbten ihre Rücken und boten dem sich nahenden Unheil die Rückseite.

Ihre Körper zitterten, und wieder stießen sie diese klagenden Laute aus.

„Wir kauern hinter Kamele“, sagte der Neger. „Nimm nachher Tuch vor Gesicht und zeig Haboob Achtersteven. Vorher noch trinken oder essen, denn Haboob kann lange dauern.“

„Hunger habe ich keinen“, sagte Dan, aber er befolgte Batutis Rat und trank noch einmal. Auch eine Ecke des Tuches benetzte er mit Wasser.

Das leise Winseln, Flüstern und Wispern wurde zum Fauchen. Der Himmel verdunkelte sich noch mehr. Die Sonne sah jetzt aus wie eine diesige Scheibe, vor der Staub aufwirbelte.

Der Wind war heiß und brachte die ersten Staubschleier mit. Zuerst war es nur feiner rötlichgelber Staub, der über sie hinwegzog, dann wurde der Wüstensand zu feinem Schmirgelpapier.

Weit links von ihnen tobte eine dichte Wand heran, ein wilder Wirbel entstand, ein unheimlich heulender Sog, der durch die Düne furchte und sie tonnenweise abtrug. An einigen Stellen schien der Sand zu kochen und zu brodeln. Sandhosen stiegen auf und wurden blitzschnell in die Höhe gerissen.

Das Fauchen wurde lauter, wilder, und dann hatte Dan das Gefühl, als würde kübelweise Sand über ihn geschüttet.

Dicht an die Kamele gepreßt, kauerten sie im heißen Sand, vergruben die Gesichter in dem Tuch und schlossen die Augen.

Da fühlte Dan plötzlich einen heftigen Stoß. Etwas knallte ihm vor die Brust, warf ihn herum. Er hörte Batuti brüllen und sah ihn als unförmigen Schemen aufspringen.

„Die Kamele!“ schrie Batuti. Er mußte laut brüllen, um in dem wilden Heulen und Fauchen verstanden zu werden.

Urgewalten brachen auf, gewittergleich brauste es heran. Der wirbelnde heulende Sand nahm Dan den Atem, er fand sich nicht mehr zurecht und sprang ebenfalls auf.

Undeutlich, es war jetzt fast dunkel geworden, sah er die Kamele. Sie spielten verrückt, schnappten nach Batuti, trampelten auf ihn zu. Batuti verlor das Tuch, Sand biß in seine Augen, drang in seine Nase, fauchte ihm in die Augen und nahm ihm den Atem.

Dan versuchte, wenigstens eins der durchgehenden Tiere noch zu halten, aber das erwies sich als unmöglich. Er konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten. Eine bösartige Sandwehe riß ihn von den Beinen, warf ihn um und rollte ihn vor sich her.

Er wollte schreien, hörte durch das wilde Heulen ein Trappeln und Klagen und krallte sich in dem nachgebenden Sand fest.

Die Kamele stoben davon, als wäre der Scheitan hinter ihnen her.

Dan konnte nichts mehr denken, er schnappte nach Luft, hieb um sich wie ein Ertrinkender und erstickte fast.

Ein undeutlicher, kaum erkennbarer Schatten warf sich auf ihn und begrub ihn unter sich. Der Schatten preßte ihm eine riesige Hand vor das Gesicht, und er hörte eine brüllende Stimme, doch die Worte verstand er nicht.

In gewisser Weise war es wie bei einem Orkan auf dem Meer. Da heulte und jaulte es heran, da blies ihn der Sturm fast fort, und man konnte sich kaum noch verständigen. Auf dem Meer war es das Wasser, das gischtend, brausend und orgelnd heranstob. Hier war es der Sand, der ihn wie eine Walze aus heißem Feuer überrollte.

Er blieb liegen, von einer eisenharten Faust dicht in den Sand gepreßt, und glaubte, jeden Moment, elend zu ersticken.

Das Heulen und Kreischen einer entfesselten Natur schwoll mal an, dann ließ es wieder nach, und jedesmal, wenn er glaubte, jetzt endlich wieder Luft zu kriegen, dann bohrten tausend glühende Nadeln in seinem Gesicht, drang ihm brennender Sand in die Nase, in den Mund, in Augen und Ohren.

Es gab keine Zeit mehr, es gab nur noch Sand, heißen Sand, vermischt mit ekelhaftem Staub, der die Poren verklebte und dadurch die Atmung noch mehr erschwerte.

Und es war Nacht und heiß zum Ersticken. Dan O’Flynn merkte nicht, daß er winselte, er spürte nur die Last auf seinem Körper und die gewaltige Hand. Diese Hand hielt ihm den in dichten Schwaden heranwirbelnden Sand fern, und diese Hand bewirkte, daß er nicht erstickte und noch mühsam Luft kriegte. Aber das verspürte er nur irgendwo tief im Unterbewußtsein.

Batuti ging es noch schlechter. Er spuckte Sand, er sah ebenfalls nichts mehr, aber die Sorge um seinen Freund Dan – kleines Dan, wie er ihn früher immer genannt hatte – ließ ihn eisern durchhalten. Ein Mann wie Batuti gab nicht auf, er hatte zwei höllische Sandstürme überlebt, und er war sich sicher, auch noch den dritten zu überleben.

Dieser Haboob oder Chamsin setzte ihm schwer zu, er schmirgelte ihm die Haut vom Körper, er drückte sein Gesicht tief in den Sand, er wehte aus allen Himmelsrichtungen gleichzeitig, und er veranstaltete ein Höllenkonzert, als seien mehr als tausend Teufel aus den schwefligen Schlünden der Hölle gefahren.

Das ging stundenlang so. Mal wurde es ein wenig heller, dann begann sich wieder Finsternis über die Wüste zu senken. Mal sank das wilde Gebrüll des Sandsturmes zu einem Winseln ab, dann schwoll es wieder orkanartig an.

Immer wieder aber wurde ihre Lage lebensbedrohend, und es gab weit und breit keinen Schutz gegen diesen Sturm der Hölle.

Dan O’Flynn war fast bewußtlos, als eine brüllende Stimme dicht an seinem Ohr explodierte. Diesmal übertönte sie das bestialische Fauchen und Kreischen, diese Kakophonie disharmonischer Töne.

„Du noch leben, Dan?“

Ja, wollte Dan schreien, doch die Stimme versagte ihm den Dienst. Er keuchte, begann zu strampeln, spukte Sand aus und inhalierte ihn beim nächsten Atemzug wieder.

„Alles gut!“ brüllte wieder diese Donnerstimme.

Nichts ist gut, zum Teufel, dachte Dan betäubt. Was dieser dunkelhäutige Gigant als gut bezeichnete, war nur die Fortsetzung des höllischen Konzertes, das jetzt wieder orgelnd und brausend anschwoll und über sie hinwegtobte.

Stundenlang ging es weiter. Der Vorhang aus Sand und Staub riß auf, die Sonne schien für Augenblicke heiß und erbarmungslos nieder. Die jaulenden und kreischenen Höllenhunde beruhigten sich, aber anscheinend nur, um ihre giftigen Lungen mit gewaltigen Sandmassen zu füllen und sie dann kreischend auszuspeien.

Mein Gott, dachte Dan O’Flynn. Einmal muß doch auch dieser höllische Sturm vorübergehen, er konnte doch nicht ewig und drei Tage wehen! Das gab es doch gar nicht.

In seinen Lungen brannten Feuerlanzen, sein Schädel drohte zu zerspringen, seine Knochen waren längst abgefallen und lagen irgendwo in der Wüste herum, und sein Gehirn bestand nur noch aus einer trokkenen Masse aus Staub, Sand und Geröll.

Dabei lag er noch relativ gut geschützt im Sand! Batuti hatte er es zu verdanken, daß dieser heiße Sand ihn nicht längst aufgesogen hatte wie ein Schwamm das Wasser. Was mußte der Riese aus Gambia erst alles erdulden. Er wollte sich herumwälzen, um seinerseits den Mandingo zu schützen, doch sobald er es versuchte, war wieder diese große Pranke da mit so dicht zusammengepreßten Fingern, daß kaum noch Sand hindurchdrang.

Irgendwann war auch das einmal vorbei. Es wurde heller, nur noch vereinzelte Sandwehen fauchten über sie weg.

Batuti wälzte sich zur Seite, Dan ebenfalls. Seine Augen waren verklebt, er sah nichts, er hörte kaum etwas, und als er sich den rötlichgelben Puder aus den Augen wischte, konnte er endlich wieder etwas von seiner Umgebung erkennen.

Wirbelnde Fontänen krochen noch durch die Dünen. Die Sonne war tiefer gesunken, wesentlich tiefer. Demnach hatte der Sandsturm wenigstens vier oder fünf Stunden gedauert.

Er blickte Batuti an und nickte erschöpft. Vor seinen Augen hingen immer noch Schleier oder Spinnweben, oder er glaubte durch das falsche Ende eines Spektivs zu blicken. Mitunter schien Batuti sich rasend schnell von ihm zu entfernen und wurde ganz klein, als wäre er in weiter Ferne verschwunden, dann wieder sah er ihn klar und deutlich vor sich im Sand hocken.

Der Neger blutete aus der Nase. Eine Staubschicht bedeckte sein Gesicht, seine Lippen waren aufgeplatzt, und er hustete sich eine ganze Weile die Lungen frei.

Dan O’Flynn starrte ihn an. Wenn Batuti schon so aussah, wie mochte er selbst dann wohl aussehen?

Aber das spielte jetzt keine Rolle. Sie hatten überlebt, auch wenn ihnen alle Knochen wundgescheuert waren und jede Berührung des Körpers ekelhaft schmerzte.

„Mein Gott“, sagte Dan, „wir haben es überstanden, Batuti. Ohne dich wäre ich erledigt gewesen.“

Auch Dan hustete, krächzte, würgte und spuckte sich die Kehle frei, die wie Feuer brannte.

Dann sah er zu seinem grenzenlosen Erstaunen Batuti grinsen. Er grinste zwar wie ein leibhaftiger angemalter Teufel, aber er grinste vor sich hin.

„Kleines Haboob vorbei“, sagte er undeutlich, „ziemlich schnell vorbei. War nicht so schlimm.“

Dan O’Flynn sah ihn fassungslos an. Dann kehrte langsam seine alte Schnoddrigkeit zurück.

„War wirklich nicht schlimm“, sagte er mit einer Stimme wie ein Gokkel beim ersten Krähversuch. „Hat mir direkt Freude bereitet. Ich habe mich fast totgelacht, und wenn ich jetzt sehe, daß die Kamele weg sind, dann könnte ich noch lauter lachen. Das war eine richtig spaßige Angelegenheit, Mann. Was verstehst denn du eigentlich unter einem schlimmen Sandsturm?“

„Schlimmes Haboob dauern drei, vier Tage. Das hier nur lausiges Chamsin, schnell vorbei. Bißchen Dreck in Ohren und Sand in Maul. Bloß schade um Kamele.“

„Bißchen Dreck in Ohren und Sand in Maul“, wiederholte Dan fast andächtig. „Nun, wenn du es so siehst, dann wirst du auch sicher recht haben. Ich dachte, die Welt geht unter.“

„Nicht bei kleines Haboob“, sagte Batuti trocken. Mit den Händen befreite er sich vorsichtig vom Sand. Dan sah, daß seine Haut stark gerötet war, als ständen überall winzige Blutstropfen darauf.

„Was tun wir jetzt?“ fragte Dan und dachte voller Schaudern daran, daß sie die Kamele niemals mehr sehen würden, denn die kehrten sicherlich nicht zu ihnen zurück.

„Jetzt ziemlich schlimm, Dan. Wir haben keinen Kompaß, nix mehr essen, kein Wasser. Alles viel Scheiß. Müssen laufen zu Nil.“

„Laufen“, murmelte Dan. „Dreißig oder vierzig Meilen durch die heiße Wüste. Das schaffen wir nie. Nach spätestens einem Tag und einer Nacht sind wir verdurstet. Weshalb sind diese verdammten Stinktiere davongerannt?“

Batuti zuckte mit den breiten Schultern. Er packte Dan am Genick und massierte seine fast abgestorbenen Halswirbel erst vorsichtig, dann kräftiger.

„Nicht wissen, Dan. Vielleicht haben erschreckt vor Schlange oder Skorpion. Kamele komische Tiere.“

„Danke, Batuti“, sagte Dan, „jetzt kann ich meinen Hals wieder bewegen. Jetzt bin ich an der Reihe.“

„Batuti nix tun weh“, sagte der Neger. „Batuti nur Angst um dich, weil immer soviel Durst.“

„Ja, ich war schon immer ein versoffenes Kerlchen“, gab Dan zu. „Aber wenn wir kein Wasser haben, kann ich auch nichts trinken. Wir geben jedenfalls nicht auf.“

„Niemals geben auf“, bestätigte der Neger, und diesmal grinste er schon wieder, obwohl Dan das Grinsen längst vergangen war, denn er ahnte, was ihnen jetzt bevorstand.

Die Hölle stand ihnen bevor, die Hölle, wie die Dichter sie in Balladen und Gedichten beschrieben. Sie mußten durch einen heißen Backofen hindurch, und wenn sie den hungernd und dürstend durchwandert hatten, lauerten die Kreaturen des Wahnsinns auf sie, um ihren Geist zu verwirren.

Beide sahen sich an, beide sagten noch einmal, daß sie es ganz sicher schaffen würden, und beide wußten, daß sie es ohne Wasser doch nicht schafften.

Dan O’Flynn ließ sich wieder in den Sand zurückfallen, nachdem er sich erhoben und ein paar schlenkernde Bewegungen versucht hatte. Immer noch tat ihm jeder Knochen höllisch weh.

„Ohne Kompaß geht es ja noch“, sagte Dan düster und sah den weit am Horizont tanzenden Sandschleiern nach. „Wir könnten uns nach der Sonne orientieren. Aber wie lange hält ein Mensch wirklich in der Wüste bei dieser verdammten Bullenhitze ohne einen Tropfen Wasser aus?“

Der Neger wiegte den gelblichroten Schädel. Sein Kopf sah aus, als hätte er in einer Kiste mit Maismehl gesteckt.

„Vielleicht zwei Tage, wenn sehr stark. Aber dann Wahnsinn. Und immer spinnen, solange bis tot.“

„Wir haben noch gut vierzig Meilen vor uns“, schätzte Dan, „vielleicht auch ein paar mehr. Wenn wir stramm gehen, dann schaffen wir in der Stunde drei bis vier Meilen. Laufen wir gleich los und gehen die ganze Nacht, dann könnten wir in zehn, zwölf Stunden den Nil erreichen, und damit wären wir gerettet.“

Zu seinem Erstaunen schüttelte Batuti schon wieder den Kopf.

„Rechnung nix gut, Dan. Schaffen nur eine Meile in Stunde. Kleines Haboob haben Sand lose aufgetürmt. Nix schnell laufen auf Sand, immer sacken ein. Du versuchen zu rennen.“

Dan schluckte. Er würgte Sand mit herunter. In seinem Hals brannte es, und seine Kehle fühlte sich so rauh an wie das Reibeisen in des Kutschers Kombüse.

Er stemmte sich hoch, tat ein paar Schritte und wollte dann zügiger ausschreiten. Er sackte sofort ein, mindestens bis zu den Knöcheln, mitunter noch tiefer. Er trat fast auf der Stelle und spürte eine bleierne Müdigkeit in den Knochen. Enttäuscht und resigniert gab er auf.

„Du hast recht“, sagte er hart. „Wir schaffen noch nicht einmal eine Meile pro Stunde. Und Oasen gibt es hier in der Nähe auch keine, auch keine Karawansereien, das heißt, sie waren auf den Karten jedenfalls nicht eingezeichnet.“

Sein Mund wurde schon trocken, er schluckte wieder.

„Dann wir gehen jetzt“, sagte Batuti. „Nicht länger hier warten, sonst alles nur noch schlimmer. Und immer gehen langsam, Dan, sonst bald kaputt, und Geier uns fressen.“

„Ein Scheißladen ist das hier“, sagte Dan inbrünstig. „Jede Menge Durst, und keiner gibt einen aus.“

„Du haben noch immer Humor“, stellte Batuti fest.

„Klar, Galgenhumor nennt man das.“

„Aber hier nix Galgen“, meinte Batuti trocken.

„Leider nicht, sonst könnten wir uns nämlich gleich aufhängen.“

Noch einmal suchten sie die trostlose Einöde nach den Kamelen ab. Doch die blieben verschwunden, und nach Trampelspuren brauchten sie erst gar nicht zu suchen. Die hatte längst der Sand wieder zugeweht.

Langsam gingen sie weiter, zwei Verlorene in einem sandigen Meer. Daß sie noch mal den Nil erreichen würden, daran glaubten sie beide nicht mehr. Sie hüteten sich nur, das dem anderen auch noch zu sagen.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 258

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