Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 215 - Fred McMason - Страница 4
1.
ОглавлениеDas Gesicht des Kutschers war ernst, als er zum Achterdeck aufenterte und eine Kanne Tee mit Rum hinaufbrachte.
Ein wenig umständlich füllte er zwei Mucks und reichte eine dem Seewolf und die andere Ben Brighton.
Dann stand der schmalbrüstige Mann, der Feldscher und Koch an Bord der „Isabella“, der sich selbst Kutscher nannte, nervös an der Schmuckbalustrade des Achterkastells und knetete seine Finger.
Sein Blick war besorgt in die Ferne gerichtet, aber da gab es nichts zu sehen als das weite, endlos scheinende Meer und die Sonne, die gleißende Strahlen in die Dünung warf.
Die „Isabella VIII.“ hob und senkte sich im ewigen Rhythmus dieser langgestreckten Wellen. Sie glitt schnell und mit stark geblähten Segeln unter vollem Preß dahin, ließ sich von der Dünung in die Höhe heben, ritt elegant über sie hinweg und ließ sie achteraus als blasigen Streifen zurück.
So ging das jetzt schon tagelang, länger als eine Woche, und es schien, als würde dieses ewige Auf und Ab niemals mehr unterbrochen werden.
Philip Hasard Killigrew, der Seewolf genannt, trank den kalten Tee in kleinen Schlucken, bis die Muck leer war. Dann seufzte er behaglich und gab die Muck dem Kutscher zurück.
Der füllte sie wortlos und reichte sie an den Rudergänger Pete Ballie weiter, der die „Isabella“ auf Kurs hielt.
Immer noch stand der Kutscher herum, aber der Seewolf hatte sein merkwürdiges Gebaren längst registriert.
„Was ist mit dir, Kutscher?“ fragte er. „Dich bedrückt doch wieder mal etwas.“
„Ja, Sir, es ist der alte Seemann, dieser Jonny. Du solltest ihn dir einmal ansehen.“
Hasards Gesicht verdüsterte sich.
„Was ist mit ihm?“
Der Kutscher wirkte ratlos und zuckte mit den Schultern.
„Ich verstehe es nicht, aber hin und wieder fühlt der alte Mann sich ziemlich wohl, dann sieht er aus, als würde er gleich an Deck erscheinen. Dann wieder ist es wie verhext, und ich habe Angst, daß er mir unter den Händen stirbt.“
Hasard blickte ausdruckslos in die Ferne. Seine blauen Augen waren auf die Kimm gerichtet, und er fragte sich, weshalb Jonny, wie der alte Seemann genannt wurde, einen Tag gesund und munter schien und am nächsten Tag schon wieder todkrank in der Koje lag.
Sie hatten Johan Brad auf einer Insel des Chagos-Archipel kennengelernt, in einer üblen Hafenspelunke. Der alte Seemann war schamlos von Iren, Kneipenwirten und anderen Seeleuten ausgenutzt worden, und er hatte nicht die geringsten Aussichten, seine Heimat England je wieder zu erreichen.
Die meisten Schiffe nahmen ihn nicht, weil er zu alt war, eine Passage aber konnte er nicht bezahlen, und als er dann Philip Hasard Killigrew und seinen Seewölfen begegnete, hatte sich sein düsteres Dasein schlagartig geändert.
Er konnte aus der Spelunke ausziehen, wo er in einer winzigen drekkigen Kammer hauste, und sein Domizil mit der „Isabella“ vertauschen.
Aber dann hatte es Streit gegeben, Iren und Seewölfe waren übereinander hergefallen, und ein Ire hatte Jonny mit dem Messer getroffen und ihn schwer verletzt.
Als die Seewölfe die Insel verlassen hatten, wurde in der Seemannskiste des alten Jonny eine rätselhafte Seekarte gefunden. An dieser Karte rätselte man immer noch herum, und nur die Zwillinge waren in der Lage, die Schrift zu entziffern, weil sie aus orientalischen Schriftzeichen bestand.
Diese Karte hatte Jonny von einem sterbenden Seemann erhalten, wie er versicherte, und diese Karte war zweifellos ein Hinweis auf einen versteckten Schatz, der sich auf einer der drei Maskareneninseln befinden sollte.
Jetzt stand es also schon wieder so schlecht um den armen Kerl, dachte Hasard, und es war zweifelhaft, ob sie ihm seinen letzten Wunsch, England noch einmal zu sehen, überhaupt erfüllen konnten.
„Hat er eine Infektion, Wundbrand oder so etwas?“ fragte Hasard, als sein Blick von der Kimm zurückkehrte und sich wieder voll auf den Kutscher konzentrierte.
„Nein“, sagte der Kutscher entschieden. „Weder das eine noch das andere. Er scheint eine komplizierte innere Verletzung zu haben, aber ich kann das nicht feststellen. Dazu müßte ich schon so ausgerüstet sein wie Doktor Freemont, und selbst unter den Umständen wäre es noch schwierig.“
„Nun verliere mal nicht den Mut“, sagte Hasard, der genau wußte, daß der Kutscher darunter litt, wenn es ihm nicht gelang, einem Mann helfen zu können.
„Willst du ihn dir einmal ansehen, Sir?“
„Ja, sofort!“
Hasard wandte sich an seinen Bootsmann und Stellvertreter Ben Brighton, der die letzten Worte ebenso gehört hatte wie der Rudergänger Pete Ballie.
„Ich gehe nach vorn, Ben, und sehe mir den Mann einmal an. Hoffentlich übersteht er es.“
Ben Brighton nickte.
„Ich würde es ihm wünschen, seine Heimat noch einmal zu sehen. Der arme Teufel hat viel hinter sich.“
„Ja, das hat er ganz sicher.“
Der Kutscher hatte immer noch ein bekümmertes Gesicht und wirkte so ratlos wie vorhin.
Zusammen stiegen sie den Niedergang hinunter zur Kuhl und durchquerten sie.
Matt Davies und Ferris Tucker sahen ihnen nach, und der rothaarige Schiffszimmermann schüttelte betrübt den Kopf.
„Es scheint ja immer schlimmer zu werden, wenn jetzt schon Hasard nach vorn geht.“
„Vorgestern war Jonny noch ganz fröhlich und fragte unseren Moses, wann wir denn in England seien. Anscheinend hatte er aber doch leichtes Fieber, denn er glaubt immer noch, daß wir uns schon ziemlich dicht vor der heimatlichen Küste befinden.“
„Hoffen wir, daß er es übersteht“, sagte auch Ferris Tucker und wandte sich schweigend seiner Arbeit zu.
Hasard trat durch das angelehnte Schott in den dämmerigen Mannschaftsraum. Er mußte sich bücken, um nicht mit dem Kopf an den Plafond zu stoßen.
Frische Luft gab es hier unten genug, stellte er fest, denn der große Raum mit den vielen Kojen war gut belüftet, und es war auch so hell, daß man keine Lampe brauchte.
Das Lüften hatte Ferris Tucker schon heute morgen besorgt, damit die Räume nicht feucht wurden, damit frische Luft hineinkam.
Hasard trat, dicht gefolgt von dem besorgten Kutscher, bis dicht an die hintere Bunk.
Ein älterer, grauhaariger und etwas verwittert aussehender Mann lag darin. Seine Gestalt war unter der dünnen Decke schmächtig zu nennen, seine Arme lagen auf der Brust, und er schaute aus trüben, fieberheißen Augen zu den Brettern der oberen Bunk hinauf, in der der Moses sonst schlief.
Man sah Brad den seebefahrenen Mann sofort an, dazu genügte ein einziger Blick, aber jetzt sah er erbarmungswürdig aus, und kleine graue Bartstoppeln bedeckten sein Kinn.
Er versuchte zu lächeln, doch es wollte ihm nicht so recht gelingen, und er verzog die Lippen eher etwas schmerzhaft.
Hasard ergriff die heiße, schmale Hand des Mannes und legte die andere an seine Stirn.
Sie war sehr heiß, aber auf dem Gesicht stand kein einziger Tropfen Schweiß. Auch die Stirn war trokken.
„Wie fühlen Sie sich, Mister Brad?“ fragte der Seewolf leise.
Jonny versuchte leicht den Kopf zu drehen, aber selbst das mußte mit Schmerzen verbunden sein.
„Ah, der Kapitän, Sir Killigrew“, sagte der alte Seemann mit schwacher Stimme. Dann begann er wieder zu flüstern, und dem Seewolf lief es kalt über den Rücken.
„Sir“, hauchte er drängend, „kann man an Deck schon die englische Küste sehen? Ich fürchte, wir müssen uns beeilen, sonst werde ich sie nie mehr sehen.“
„Noch nicht“, sagte Hasard. „Das wird noch ein paar Tage dauern, und so lange müssen Sie schon noch durchhalten, sonst wäre ja alles umsonst gewesen, nicht wahr?“
Heilige Seeschlange, dachte er, sie befanden sich noch mitten im Indischen Ozean und hatten den Atlantik zu überqueren, und selbst dann würden sie immer noch nicht die englische Küste sehen.
„Wie geht es Ihnen, wie fühlen Sie sich?“ wiederholte er seine soeben gestellte Frage.
Der Mann, der sämtliche Meere befahren hatte, und der auf eine ebenso harte Vergangenheit zurückblicken konnte wie der alte Donegal Daniel O’Flynn, winkte schwach mit der Hand ab.
Seine Augen strahlten jetzt in einem fast übernatürlichen Glanz, und er sprach für kurze Zeit klar und deutlich.
„Ich weiß es nicht, Sir, ich fühle mich schlapp, und in meinen Eingeweiden brennt es, als hätte ich Feuer geschluckt. Aber ich kann nicht einmal die Stelle bezeichnen, Sir“, fügte er klagend hinzu. „Lassen Sie einen alten Mann hier unten still krepieren, ich habe Ihnen seit meiner Ankunft nur Schwierigkeiten und Ärger bereitet. Ich möchte keinem zur Last fallen.“
„Sie fallen uns nicht zur Last, ganz im Gegenteil, Mister Brad. Wir werden alles tun, damit Sie bald wieder auf den Beinen stehen. Das ist nicht mehr als unsere Christenpflicht, und die erfüllen wir mit tausend Freuden. Aber Sie müssen den Willen haben, wieder gesund zu werden, und Sie dürfen sich nicht selbst aufgeben. Wenn Sie den Willen aufbringen, dann haben Sie den ersten Schritt zu Ihrer Genesung bereits selbst getan.“
„Glauben Sie, Sir?“
„Das weiß ich ganz sicher“, sagte Hasard. „Haben Sie irgendeinen Wunsch? Möchten Sie kühlen Tee trinken?“
„Nein, Sir, danke, ich habe keinen Wunsch.“
Jonny war sein Leben lang ein bescheidener zurückhaltender Mann gewesen, der hart gearbeitet hatte. Es war ihm peinlich, hilflos in der Bunk zu liegen, und es war ihm noch peinlicher, wenn andere ihn bedienten, und so hatte er nie irgendwelche Wünsche.
England sehen, das war sein großer Wunsch, und gerade den konnte Philip Hasard Killigrew ihm vorerst nicht erfüllen, denn das war in keinem Fall machbar.
„Haben Sie Schmerzen, wenn Sie sich bewegen?“ fragte der Kutscher, der bis dahin stumm im Hintergrund gestanden hatte.
„Nicht mehr als sonst auch, es ist nicht so schlimm.“
Der Blick seiner Augen trübte sich erneut, sein Gesicht wirkte jetzt wieder fahl und eingefallen, und er holte tief Luft.
Der Kutscher ließ ihn nicht aus den Augen. Schon ein paarmal hatte er vermutet, daß die Lunge des Mannes vielleicht durch den Messerstich etwas abgekriegt hatte, aber die Anzeichen sprachen in keiner Weise dafür. Er konnte unbeschwert Luft holen, er hustete auch nicht, und er verkrampfte sich beim Atmen nicht.
Er goß ihm aus der halbleeren Kanne, die er noch bei sich trug, ebenfalls eine Muck voll Tee und setzte sie ihm an die Lippen.
Jonny trank nur einen winzigen Schluck. Danach wirkte er so erschöpft, als hätte er pausenlos gearbeitet.
„Vielleicht würde ihm die Sonnenwärme guttun“, sagte Hasard hilflos, „frische Decksluft, viel Sonne, das ist eine der besten Arzneien, die ich kenne.“
Der Kutscher sah den Seewolf geknickt an.
„Ich weiß nicht einmal, ob wir ihn gefahrlos transportieren können, Sir. Er hat irgendwo eine innere Verletzung, aber ich finde das nicht heraus. Sicher hast du recht, Sir, Sonne und Wind täten ihm gut. Wir können es jedenfalls versuchen.“
Johan Brad schien die beiden Männer nicht zu hören. Sein Blick ging durch die Dielen der oberen Bunk hindurch, als sähe er schon den Himmel.
Hasard blickte bedauernd auf dieses Häufchen Elend. Jeden erwischte es einmal, dachte er, aber ihn hatte es ausgerechnet auf der „Isabella“ erwischt, ausgerechnet dann, als er wieder einigermaßen froh in die Zukunft blicken konnte.
Hasard hätte diesen alten Mann gern an Bord behalten, wenn er gewollt hätte. Leichte Arbeit gab es immer, er hätte dem Koch helfen können oder dem alten Segelmacher Will Thorne, dem dieser Jonny auf irgendeine Art etwas ähnelte.
Aber er wollte nicht, daß dieser alte Haudegen hier an Bord starb. Er mußte es ganz einfach überleben, und vielleicht schaffte er es ja auch.
Er bückte sich nieder, und hob ihn vorsichtig aus der Koje. Er war erstaunt, wie leicht Jonny war, er hatte in den letzten Tagen stark abgenommen.
„Geh voraus, Kutscher“, sagte er leise, „ich bringe ihn an Deck. Besorge eine Unterlage.“
„Aye, Sir, aber vorsichtig!“
„Wem sagst du das!“
Wie eine Puppe trug er den alten Seelord nach oben, und als er an Deck stand, die schlaffe Gestalt im Arm, da erstarrten schlagartig die Gesichter der Männer.
Sie legten ihre Arbeit nieder, und rissen sich das, was sie an Kopfbedeckungen trugen, schnell vom Schädel.
Der alte O’Flynn blickte aus starren Augen auf den Seewolf, dann blieb sein Blick an der Gestalt des alten Jonnys hängen, und er bekreuzigte sich.
Hasard schüttelte den Kopf, und da erst sah er, daß die Männer erleichtert aufatmeten und sich auch Carberrys erschrecktes Gesicht langsam wieder entspannte.
Der Kutscher hatte unter dem Großmarssegel ein schattiges Plätzchen bereitet. Hier war es hell und luftig, und hin und wieder fiel auch mal ein Sonnenstrahl hierher.
Der Wind war warm, und er brachte auch ein wenig Kühlung, wenn er etwas härter blies, wie es seit einer halben Stunde der Fall war. Dann spürte man die Wärme nicht mehr so stark, und es war angenehm erfrischend.
Hasard legte die leichte Last ab und bettete sie vorsichtig auf dem aus Säkken und Decken bereiteten Lager.
Hier lag der alte Seelord bequem, besser als in der Koje, und er hatte Sonne, Schatten und auch Wind.
Aber er lag da wie ein Toter und rührte sich nicht. Nur ab und zu öffneten sich ungläubig seine Augen, und dann starrte er in einen aus blauer Seide gespannten Himmel, und seine Lippen bewegten sich leise, murmelten Worte, die kein Mensch verstand.
Es sah so aus, als würde er sich auf seine letzte große Reise vorbereiten, um sich vom größten aller Master persönlich anheuern zu lassen.