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2.

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Einige Augenblicke sahen sich alle erstaunt an. Schweigen herrschte. Die ganze Insel schien plötzlich den Atem anzuhalten. Dann kam wieder Leben in die wie erstarrt dastehenden Gestalten.

Hasard gab den Kieker kommentarlos an Dan weiter, weil der nun einmal die schärfsten Augen von allen hatte.

„Kannst du erkennen, was es für eine Flagge ist?“ fragte der Seewolf.

„Offenbar eine spanische. Die Farben sind verblaßt, das Tuch ist ausgebleicht und verwittert. Ich halte es für eine spanische Flagge.“

„Also gibt es doch Überlebende“, sagte Hasard. „Wie sonst sollte sie hier wohl im Sand stecken?“

Er blickte Al Conroy an, den Waffen- und Stückmeister, der mit aufgestützten Armen auf dem Handlauf des Schanzkleids auf dem Quarterdeck lehnte und den Anblick des Strandes genoß.

Al Conroy nickte beruhigend.

„Wir sind für alle Fälle feuerbereit, Sir. Aber es sind keine Boote zu sehen – und auch keine Menschen. Eine Hütte kann ich ebenfalls nirgends entdecken.“

„Schon gut. Vorsicht ist immer angebracht. Haltet die Augen offen.“

Kurz darauf stand fest, daß es sich tatsächlich um eine spanische Flagge handelte. Ausgefranst und zerschlissen wehte sie an dem eingerammten Flaggenstock im Sand. Sie befand sich vor einer Gruppe von Kokospalmen. Wie lange sie dort schon wehte, ließ sich nicht einmal erahnen.

Sehr sorgfältig suchte Dan O’Flynn die Umgebung ab. Nach einer Weile schüttelte er den Kopf.

„Kein Mensch, keine Behausung zu sehen. Vielleicht haben die Dons bei ihrer unfreiwilligen Landung die Flagge aufgestellt und sind dann nach und nach umgekommen.“

„So weit von dem Wrack entfernt?“ entgegnete Hasard.

Darauf wußte Dan O’Flynn auch keine Antwort.

„Gut, nehmen wir an, es gibt ein paar Überlebende“, sagte Hasard. „Dann haben sie das Schiff ausgeräumt und sich irgendwo an Land häuslich eingerichtet. Das Wrack kann früher auch hier gelegen haben. Wind und Wellen haben es wieder mitgenommen und an anderer Stelle abgesetzt. Das ist ganz natürlich. Diese paar Überlebenden haben aber allerdings keine Kanonen, keine Drehbassen, denn die befanden sich noch auf dem Wrack, wie wir sahen.“

„Was also heißt, daß sie uns auch nicht gefährlich werden können“, meinte Dan. „Und woraus weiter folgert, daß wir dort in der Nähe bei dem Flaggenstock vor Anker gehen.“

„Du bist schon fast so ein Hellseher wie dein Vater.“

Dan O’Flynn schüttelte grinsend den Kopf.

„Ich überlege nur logisch, während Väterchen ja wohl richtig hinter die Kimm blicken kann.“

„Auf dieser Reise hat er es noch nicht bewiesen. Aber lassen wir das. Wir gehen dort wirklich vor Anker und sehen uns einmal um. Mit der gebotenen Vorsicht natürlich.“

Die ersten Segel wurden lose ins Gei gehängt. Die „Santa Barbara“ driftete auf ihrem Kurs parallel zur Küste dahin und folgte dem Verlauf des Strandes. Das Wasser war kristallklar. Bunte Fische schwammen ungeniert und furchtlos neben dem Schiff her. Eine Schildkröte war zu sehen, die neugierig den Kopf hob und das vorbeitreibende Ungeheuer musterte.

Als der Anker gesetzt war, stieg Hasard mit ein paar Männern in die Jolle und pullte zum Strand.

Hier gab es kein Riff und keine Brandung. Daher war es hier auch noch stiller als am anderen Liegeplatz. Die Ruhe wirkte fast beängstigend. Es war nur das leise Murmeln des Wassers zu vernehmen sowie die Geräusche, die sie selbst verursachten.

Wie gebannt starrte Hasard zu dem Flaggenstock. Es war ein von jeglicher Farbe längst abgeblätterter Holzpfahl, die Farben der Flagge waren aus der Nähe unverkennbar. Die Flagge mußte zu dem Wrack gehören.

Wo aber waren die Überlebenden?

Die Jolle lief auf den Sand und wurde hochgezogen. Sechs Mann standen da und blickten in die Büsche, das Dickicht, den Verhau, der hinter den Palmen begann.

Als Hasard näher an den Flaggenstock herantrat, stutzte er. Er hielt den Radschloßdrehling locker in der Hand und musterte die Umgebung aus schmalen Augen. Er hatte das untrügliche Gefühl, als befänden sich in unmittelbarer Nähe Menschen, die jede ihrer Bewegungen belauerten.

In der Nähe des Flaggenstockes befanden sich Fußspuren. Sie rührten zweifellos von spanischen Stiefeln, her.

„Sie können noch nicht sehr alt sein“, sagte Don Juan in die lastende Stille hinein. „Beim Wrack gab es keine, hier sind sie ganz deutlich zu erkennen. Offenbar tauchen hier regelmäßig Leute auf, die nach der Flagge sehen.“

„Sie sind wirklich nicht alt“, gab Hasard zu, „sonst hätten Zeit und Wetter sie längst verwischt. Aber die Überlebenden legen besonderen Wert auf diese Flagge. Warum wohl?“

Don Juans Grinsen wirkte ein bißchen schief.

„Das hier ist spanisches Territorium, Sir. Die Überlebenden haben es annektiert und zum Zeichen der Besitznahme die spanische Flagge gehißt. Wir befinden uns also auf spanischem Boden.“

„Hm, das hat ganz den Anschein. Sehen wir uns doch einmal ein wenig in der näheren Umgebung um. Irgendwo werden die Spanier ja stecken und uns Eindringlinge bemerken.“

„Kaum stranden diese Kerle auf einer Insel, schon gehört sie ihnen“, empörte sich der Profos. „Statt froh zu sein, überlebt zu haben, hissen sie gleich ihren Lappen und halten das Land für spanisches Territorium. Die Rübenschweine sollen mir nur mal über den Weg laufen, denen werde ich schon verklaren, was hier los ist.“

„Reg dich wieder ab, Ed“, riet Hasard. „Noch wissen wir überhaupt nichts.“

In unmittelbarer Nähe der Kokospalmen waren ebenfalls Fußspuren zu sehen.

Als Hasard ihnen ein Stück folgte, hörten sie abrupt auf, als seien sie absichtlich verwischt worden.

Er blickte in das Gebüsch. Es war nur ein kurzer Verhau. Dahinter begann eine Grasfläche, die zu kleinen Hügeln führte. Bunte, leuchtende Blumen hatten ihre Blüten geöffnet und säumten die Hügel.

„Weiter links hinüber“, sagte Hasard. „Dort scheint es ebenfalls Wasser zu geben.“

Er zeigte auf den feuchten Boden und das Gras. Aus den Hügel lief irgendwo Wasser hinunter.

Als sie die Hügel von links umgingen, befanden sie sich übergangslos in einem schmalen fruchtbaren Tal. Der Eingang zu diesem Tal war links und rechts von Büschen und Wald umgeben. Ein silbriges Rinnsal schlängelte sich durch das Tal und versickerte irgendwo.

Wie vom Blitz getroffen blieben sie stehen.

„Ich habe es geahnt“, sagte Hasard. „Hierhin haben sich die Überlebenden also verzogen. Sehr viel können es aber nicht sein.“

„Sicher nicht mehr als ein Dutzend“, raunte Don Juan.

In dem stillen Seitental stand neben dem silbrigen Bach eine Hütte. Sie war aus Holzresten eines Schiffes erbaut worden und mit Palmenwedeln gedeckt.

Dicht dahinter stand eine weitere Hütte, aber die war so klein, daß Carberry sie als Hundehütte bezeichnete, obwohl weit und breit auch von einem Hund nichts zu sehen oder zu hören war.

Sie blickten sich nach allen Seiten um, aber so aufmerksam sie auch alles absuchten, sie konnten niemanden entdecken.

„Sehr merkwürdig“, sagte Don Juan.

Die Stille lastete wieder über der Insel. Der hohe Berg verhüllte erneut sein Haupt in einem riesigen Dunstschleier von Nebel.

Dann wurden sie trotz aller Vorsicht überrumpelt, und zwar so schnell, wie sie das nur selten erlebt hatten.

Aus den Büschen rechts und links sprangen zwei Männer hervor. Sie trugen die Uniform der spanischen Soldaten, aber keine Helme.

Sie trugen Stiefel, Kürbishosen und Rüschenhemden, die in dieser Umgebung völlig deplaciert wirkten. Und sie hielten langläufige Tromblons in den Fäusten. Die trichterförmigen Mündungen waren auf die Seewölfe gerichtet.

„Hände hoch!“ brüllte der eine auf Spanisch.

Hasard wußte, daß die Bleiladung in den Tromblons für mehrere Männer gleichzeitig tödlich war. Die Waffen hatten eine breite Streuung. Er musterte die beiden so überraschend aufgetauchten Kerle.

Der eine hatte einen langen schwarzen und reichlich verwilderten Bart. Daran zerrte er nervös mit einer Hand, während die andere die Waffe hielt.

„Ah!“ tönte Carberry. „Der hat sein eigenes Gestrüpp mitgebracht, um sich dahinter zu verstecken. Kein Wunder, daß wir das eine Rübenschwein nicht gesehen haben.“

„Ruhe, Hände hoch!“ brüllte der andere. Er hatte ein etwas eingefallenes Gesicht mit scharfen, unruhig blickenden Augen. Sein Bart war zwar gestutzt, aber die nächste Schur war bald fällig.

Hasard unterzog die beiden Kerle einer noch genaueren Musterung. Dabei fiel ihm auf, daß sie ihre Nervosität nur sehr mühsam verbargen und ziemlich verunsichert waren. Sie schienen auch Angst zu haben.

„Ihr befindet euch auf spanischem Gebiet!“ brüllte der Kerl mit dem eingefallenen Gesicht. „Ihr geht jetzt dort hinüber und wagt keine Bewegung, sonst schießen wir!“

Hasard hatte seine Musterung beendet und lächelte spöttisch.

„Womit wollt ihr armseligen Helden denn schießen?“ fragte er. „Etwa mit den Tromblons? Na, dann versucht es doch mal. Die verrosteten Dinger werden euch um die eigenen Ohren fliegen.“

„Ruhe!“ kreischte der andere. „Soll ich feuern, Señor Generalkapitän?“

Hasard stutzte wieder. Ein Generalkapitän befand sich hier auf dieser Insel? Das war wirklich bemerkenswert.

„Noch nicht, Corporal“, sagte der Generalkapitän hochnäsig und arrogant. „Dieser Pöbel ist uns erst noch eine Erklärung schuldig, bevor ich mich zur Vollstreckung entschließe.“

Der mit Corporal angesprochene Kerl nickte devot, verbeugte sich sogar noch und hatte wieder dieses Zucken in den Augen.

„Die beiden scheinen mir ein bißchen bescheuert zu sein“, meinte der Profos. „Jedenfalls haben sie was am Scheitel. Ganz sauber sind die Burschen nicht.“

Hasard und Don Juan wurden noch nicht so ganz schlau aus diesen beiden eigenartigen Helden, die hier in voller Montur standen und Tromblons in den Händen hielten, die so alt wie die Welt waren.

„Welche Erklärung sind wir euch denn schuldig?“ fragte Hasard ironisch.

Der Generalkapitän lief rot an und schnappte fast über.

„Maul halten, Engländer! Ihr seid Spione, die man aus England hier eingeschleust hat, um uns zu überrumpeln. Aber diese Inselgruppe ist bereits im Besitz der spanischen Krone. Ihr habt kein Recht, hier einzudringen, und ihr habt das Hoheitszeichen dieser Insel, die spanische Flagge, mißachtet. Ich bin Generalkapitän Don Ricardo de la Marcarena. Das dort drüben ist Corporal Virgil Aldegonde. Englisches Pack, verdammtes! Ich werde euch alle hinrichten lassen und das Schiff vor dem Hafen requirieren.“

„Ah ja“, sagte Hasard. „Vor dem Hafen, was? Euch hat wohl die Sonne ein bißchen das Gehirn ausgetrocknet. Generalkapitän und Corporal – daß ich nicht lache! Und nun steckt eure Bleispritzen wieder ein, sonst steht es schlecht für euch.“

„Falls ihr das nicht tut“, fügte der Profos grollend hinzu, „dann werde ich euch die Haut von euren edlen Affenärschen abziehen und zum Trocknen vor eure Hütten hängen, ihr Rübenschweinzüchter.“

„Corporal“, sagte Don Ricardo fassungslos. „Lassen Sie augenblicklich diesen schwarzhaarigen Teufel festnehmen. Und füsilieren Sie endlich diesen narbigen Bastard, der mich beleidigt hat.“

Der Corporal war ebenfalls mächtig verunsichert und schwitzte Blut und Wasser. Mal sah er hilflos auf seine vergammelte Waffe, dann wieder starrte er seinen „Vorgesetzten“ an, und dabei zuckten ständig seine Augen.

„Sehr wohl, Señor Generalkapitän“, brüllte er. Dann nahm er Haltung an, grüßte zackig und richtete das Tromblon auf Carberry.

Der Profos hatte einen Blick drauf, wie Hasard ihn lange nicht mehr an ihm gesehen hatte. Da war Belustigung drin, Unglauben und alles mögliche. Jedenfalls schien Ed sich sehr zu amüsieren. Er stand nur da und starrte in den trichterförmigen Lauf. Sein Grinsen wurde immer breiter.

Hasard taten die beiden Spanier fast leid. Er hatte auf Anhieb erkannt, was mit den beiden los war. Es waren zwei dümmliche Dons, die offenbar an ihrer Einsamkeit verzweifelt und dabei wunderlich geworden waren. Sie hatten eine Rangordnung eingeführt und spielten Chef und Untergebener. In diese Rolle waren sie im Laufe der Jahre regelrecht hineingewachsen und kamen nicht mehr von ihr los. Sie waren tatsächlich überspannt, um nicht zu sagen, bescheuert.

Kein Wunder, dachte Hasard. Wenn die beiden nur sich selbst hatten, ging das auf die Dauer nicht gut.

Als er aus den Augenwinkeln zu den Hütten sah, wurde ihm auch der Standesunterschied klar. Der „Generalkapitän“ bewohnte die große Hütte, und der „Corporal“ mußte mit der kleinen vorlieb nehmen, damit der Standesunterschied auch genügend zur Geltung kam.

Die anderen sahen in aller Ruhe und sehr gelassen zu, wie der Profos auf den „Corporal“ zuging, ihm ein Grinsen schenkte, das ihn bis in die Seele erschauern ließ, und ihm dann die Waffe abnahm.

„Die schießt doch nicht mehr, Kleiner“, sagte er. „Vielleicht ist sie nicht mal geladen.“

Hasard nahm sich inzwischen den Don Ricardo vor, der mit hochrotem Gesicht vor ihm zurückwich und die Waffe immer höher hielt.

„Ich schieße!“ kreischte er. „Ich werde die Miliz rufen! Oder die Kriegsschiffe! Man wird euch versenken!“

„Jaja, suchen Sie sich was aus“, sagte Hasard. „Aber fuchteln Sie nicht dauernd mit dem Ding herum. Vielleicht können wir uns auch mal vernünftig unterhalten.“

„Es lebe Seine Allerkatholischste Majestät, der König von Spanien!“ rief Don Ricardo. „Ich werde bis zum letzten Blutstropfen kämpfen, und wenn ich sterbe“, setzte er pathetisch hinzu.

„Hat noch keine Eile“, sagte Hasard gelassen, „auch wenn es sich sehr heroisch anhört. Aber der König von Spanien ist weit und wird Ihnen das kaum danken.“

Aldegonde zerrte aufgeregt an seinem Bart, den Carberry als Gestrüpp bezeichnet hatte. Er sah Don Ricardo erwartungsvoll und aufgeregt an und hatte auch keine Einwände, als Hasard ihm die Waffe abnahm und ins Gras warf. Jetzt war auch der Generalkapitän sozusagen entblößt in Feindeshand gefallen, was ihn mächtig aufregte.

Ein paarmal noch rief er nach der Miliz, und als die partout nicht anrückte, befahl er dem Corporal, sofort ein Schreiben aufzusetzen, um den König von Spanien um Entsendung weiterer Kriegsschiffe zu bitten, am besten gleich eine ganze Armada.

Die anderen hörten dem Stuß grinsend zu. Der Geist der beiden Dons war reichlich in Verwirrung geraten. Sobald jemand hustete oder sich auch nur räusperte, zuckte Aldegonde jedesmal heftig zusammen.

Der Kutscher beruhigte die beiden Männer, klopfte ihnen auf die Schultern und erklärte, daß sie keinesfalls die Absicht hätten, den ehrenwerten Dons auch nur ein Haar zu krümmen.

Seine Worte wirkten beruhigend, so daß sich der Generalkapitän schließlich zu der Frage entschloß, warum denn ausgerechnet die Engländer auf dieser Insel gelandet seien. Das könne wirklich kein Zufall sein, dahinter stecke doch Verrat.

„Wir durchsegeln den Pazifik“, erklärte der Kutscher geduldig. „Und da wir kaum noch Trinkwasser und Proviant hatten, suchten wir nach einer Insel, bis wir schließlich auch eine fanden. Jetzt wollten wir weitersegeln, aber da sahen wir die Flagge und wurden neugierig. Das ist doch verständlich.“

Alle beide nickten vorsichtig, waren aber noch immer von leichtem Mißtrauen erfüllt.

Schließlich nickte Don Ricardo.

„Gehen wir ins Arsenal“, sagte er würdevoll. „Dort ist Schatten, da ist es besser. Corporal, Sie folgen mir mit den anderen Gefangenen. Lassen Sie alle zum Befehlsstand bringen.“

„Sehr wohl, Señor Generalkapitän!“ brüllte der Bärtige. „Alle Gefangenen zum Befehlsstand! Soll ich sie fesseln?“

Don Ricardo überlegte lange. Dann entschloß er sich, darauf zu verzichten, die Gefangenen fesseln zu lassen.

„Mein Gott“, sagte Hasard entsagungsvoll. „Bis die beiden wieder im Lot sind, wird noch eine Weile vergehen.“

Dann marschierten sie grinsend hinter den beiden Dons her.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 522

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