Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 214 - Fred McMason - Страница 5

2.

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Aber auch zwei Tage später waren Smokys Schmerzen nicht vorbei, und alles gute Zureden half nichts. Er ging nicht zum Kutscher.

Die „Isabella“ segelte weiterhin Südsüdwest und näherte sich den Chagos-Inseln, die auf Hasards Karte nur als winzige Punkte eingezeichnet waren.

„Wir werden dort anlegen, Ben“, sagte er zu dem untersetzten Bootsmann Brighton, der die Seekarte studierte. „Dort können wir vielleicht unsere Vorräte ergänzen und frisches Trinkwasser übernehmen. Dann segeln wir weiter mit Kurs auf Südafrika.“

„Bist du sicher, daß es die Inseln wirklich gibt?“ fragte Ben skeptisch. „Diese drei Punkte können auch genausogut Fliegendreck sein.“

„Sicher bin ich mir nicht, ich vermute nur, daß diese Inselgruppe existiert. Ich kenne nicht einmal den Namen.“

„Es können kahle, unbewohnte Inseln sein“, warnte Ben.

„Das ist unser Risiko, auf der Karte sind keine anderen Inseln eingezeichnet. Wir haben eine weite Reise vor uns.“

Hasard hatte seine Männer dahingehend informiert, daß es Richtung Südafrika weiterging, und damit über den Südatlantik zur Schlangen-Insel, dem geheimen Stützpunkt der Seewölfe. Dort mußte inzwischen allerlei geschehen sein, und der Seewolf war neugierig darauf, die Insel und ihre Bewohner wieder einmal zu sehen.

Doch der Weg bis dorthin war noch sehr weit. Noch befanden sie sich im Indischen Ozean, und um zur Schlangen-Insel und damit in die Karibik zu gelangen, mußte noch ein großer Teil der Welt umsegelt werden.

„Verdursten und verhungern werden wir schon nicht“, sagte Ben nach einer Weile. „Notfalls können wir immer noch die afrikanische Küste oder die Insel Madagaskar anlaufen.“

Doch ihre Sorgen waren unbegründet. Am frühen Morgen des nächsten Tages gab es eine Überraschung.

„Land, zwei Strich Backbord voraus!“ schrie Jeff Bowie, der im Großmars Ausguck hatte.

„Also doch kein Fliegendreck“, sagte Hasard lächelnd und deutete mit dem Finger auf eine winzige, verschwommen scheinende Nebelbank, die an der Kimm aufwuchs.

Es grenzte fast an ein Wunder, daß sie diese kleine Inselgruppe gefunden hatten und nicht daran vorbeigesegelt waren.

Hasard ließ den Kurs ein wenig korrigieren, bis die dunstige Bank vor dem Bug der „Isabella“ stand. Dann griff er nach dem Spektiv und blickte lange hindurch. Aber dadurch wurde das Bild kaum deutlicher, denn um die Inseln lag ein feiner Schleier aus Dunst oder Nebelschwaden. Er sah nicht einmal, ob das Land flach oder bergig war.

Er setzte das Spektiv ab und blickte zu den beiden O’Flynns, die in stiller Eintracht nebeneinander standen und sich leise unterhielten. Offensichtlich erklärte Dan seinem Vater etwas, und der alte O’Flynn nickte auch ganz friedlich, ohne rot anzulaufen oder „der Rotznase“ mit dem Holzbein zu drohen. Sie schienen ein Herz und eine Seele zu sein, und als sich die Zwillinge Hasard und Philip dazugesellten, war das schon fast so etwas wie eine Familienidylle, denn auch die beiden heckten ausnahmsweise mal nichts aus.

So war der einzige, der verbiestert herumlief, der Decksälteste Smoky. Seine linke Gesichtshälfte war noch stärker angeschwollen, das Auge kaum noch zu sehen und die Wange aufgeblasen wie ein Ochsenfrosch.

Jeder ging ihm aus dem Weg, denn Smoky war gereizt und sauer, und er hatte es sicher längst bereut, nicht zum Kutscher gegangen zu sein.

Das verstand weder Hasard noch die anderen, aber Smoky war nun mal ein sturer Klotz, und jetzt ging er erst recht nicht zum Kutscher. Er wollte sich doch nicht blamieren. No, Sir! Dann hielt er die Schmerzen eben noch länger aus.

Sollte es schlimmer mit ihm werden, überlegte Hasard, dann würde er sich den Decksältesten noch einmal vorknöpfen. Wenn er dann auch nicht reagierte, nun, dann konnte er was erleben. Ein Schlag an der richtigen Stelle, und bis Smoky wieder zu sich kam, war er seinen Zahn los. Hinterher konnte er sich dann austoben.

Die Insel rückte näher heran, und aus dem Dunst schälten sich die ersten Konturen heraus. Eine lange Bucht war zu erkennen, palmenumsäumt, menschenleer, ein Punkt im Ozean, an dem die Schiffe anscheinend achtlos vorbeigesegelt waren.

„Koralleninseln“, sagte Hasard. „Der Vegetation nach zu urteilen, muß es hier Trinkwasser in Mengen geben.“

Sehr dicht konnten sie an die malerische Bucht allerdings nicht heran, denn weit davor türmte sich Wasser auf, als würde jene Stelle im Meer kochen. Eine langgestreckte Korallenbank verbot jede weitere Annäherung. Dort brachen sich kleine Wellen, wenn sie gegen die Korallen anrannten, und wurden hochgeschleudert. Überall gab es grünliche Schaumwirbel. Die Riffe ragten so weit aus dem Wasser, daß man Mühe hatte, selbst mit einem kleinen Boot ungeschoren daran vorbeizugelangen.

„Schade“, sagte der Seewolf nach einem bedauernden Blick auf die wilden Wirbel, „aber hier ankern bringt uns nichts ein. Wir segeln ein Stück weiter, bis wir die kleinen Felsen erreicht haben. Die Insel wird ja nicht von allen Seiten von Korallen umgeben sein. Irgendwo finden wir sicher einen Platz.“

In respektvollem Abstand umsegelte die „Isabella“ die tödlichen Riffe. Hasard ließ immer wieder Tiefe loten, denn es gab auch tückische Stellen im Meer, wo die Korallen wie scharfgeschliffene Dolche dicht unter der Wasseroberfläche lauerten. Mitunter waren es nur kopfgroße Stellen, aber sie hätten völlig genügt, das Schiff von vorn bis achtern aufzuschlitzen.

Gleich darauf wurde eine weitere Insel gesichtet. Sie lag südwestlich, war aber nur ein kleiner Punkt. Dicht hinter ihr schien eine weitere zu liegen, wie ein aus dem Meer ragender Buckel verriet.

Die große Überraschung folgte etwas später, als die „Isabella“ eine Landzunge gerundet hatte. Ihr folgte ein gerader Strand, üppig bewachsen mit undurchdringlichem Gebüsch, und dahinter, etwa eine Meile entfernt, lag ein Ort.

Hasard brachte im ersten Moment vor Verblüffung keinen Ton heraus. Die Bucht war tief eingeschnitten, und der natürliche Hafen wirkte fast wie ein Umschlagplatz für Güter aus aller Welt. Schon von hier aus waren die Masten von mindestens fünf anderen Schiffen zu erkennen. Dahinter waren Holzhäuser, zwei kleine, in der Sonne glitzernde Moscheen und eine längliche, aus Ziegeln erbaute Baracke. Es war keine Faktorei, eher ein Treffpunkt für Seefahrer verschiedener Nationen. Allem Anschein nach wurde dort auch gehandelt, geschachert und verhökert, wie es in kleinen Häfen dieser Art durchaus üblich war.

„Himmel, wo sind wir denn hier gelandet?“ fragte Ben Brighton erstaunt und kopfschüttelnd. „Dabei sah alles so einsam und verlassen aus!“

„Ja, das wundert mich auch. Ich habe noch nie etwas von diesen Inseln gehört“, erwiderte der Seewolf. „Aber andere sind anscheinend auch schon weit in der Welt herumgekommen.“

„Laufen wir den Hafen an, Sir? Oder willst du darauf verzichten?“ erkundigte sich Ben und warf einen schnellen Blick auf den Profos Carberry, der sich in Vorfreude auf bevorstehende Genüsse bereits die mächtigen Pranken rieb.

„Hier scheint jeder willkommen zu sein“, entgegnete Hasard. „Weshalb nicht auch wir? Natürlich laufen wir den Hafen an, schließlich wollen wir unsere Vorräte ergänzen.“

Er blickte zum Land, dem sie sich jetzt rasch näherten, und erkannte weitere Einzelheiten.

Eine Mole lief ein Stück ins Meer hinaus, die mit Sicherheit künstlich angelegt worden war. Man hatte große Steine transportiert und sie in das flache Wasser geworfen, bis sie einen langen Damm ergaben. Gestützt wurde das alles von einer weit ausladenden Korallenbank, die man als Mole geschickt ausgenutzt hatte.

Ein fleißiges Völkchen war hier offenbar am Werk, ein internationales höchstwahrscheinlich, und die hatten hier eine prächtige Anlage geschaffen.

Und alles ging friedlich zu. Ein Holländer hatte hier vor der Korallenbank geankert, an der Mole lag eine kleine portugiesische Galeone, weiter nach Backbord schien eine Karavelle direkt auf dem Sand zu liegen, und schließlich entdeckten sie einen arabischen Segler, eine Art Riesendau, aber von einer Bauweise, wie sie sie selbst im Mittelmeer noch nicht gesehen hatten.

Neben der Karavelle wurde ein neues Schiff gebaut. Es lag auf dem Trockenen, und eine Unmenge Leute war damit beschäftigt, Holz zu bearbeiten, Planken zu sägen und stabile Träger in die rechte Form zu bringen.

Männer mit weißen Turbanen werkten herum, dunkelgesichtige Männer schleppten Säcke an Bord der portugiesischen Galeone, und auch Europäer wirkten am Bau des Schiffes mit, das allerdings noch aus einem groben Gerippe bestand. Vermutlich handelte es sich um Holländer, die hier einen kleinen Stützpunkt errichtet hatten, um auf dem Weg nach Indien ihre Vorräte zu ergänzen.

Ganz weit hinten, wo sanfte Felsen anstiegen und gerade ein schauerartiger Regenguß niederging, wurde Wald gerodet. Der flackernde Schein eines leicht qualmenden Feuers war gerade noch zu erkennen. Einzelne Baumstämme hatte man bereits bis in die Nähe der Mole transportiert, wo sie neben dem Portugiesen im Wasser trieben. Wahrscheinlich war es kostbares Edelholz, das hier in stiller Eintracht von Holländern und Portugiesen gemeinsam geschlagen wurde.

Der indische Einschlag jedoch war unverkennbar und vorherrschend, denn es gab sehr viele Inder in diesem Hafen.

Die „Isabella“ segelte mit schwacher Fahrt in den Hafen. Die Leute unterbrachen ihre Arbeit und starrten das Schiff an, dessen schlanke Bauweise überall Aufsehen erregte. Auch die Masten zogen durch ihre Überlänge neugierige Blicke auf sich.

„Na, auf das Kaff bin ich schon gespannt“, sagte Ben Brighton.

„Ja, das läßt sich nicht leugnen, zumal ich nicht damit gerechnet habe“, erwiderte Hasard. „Also hinein mit der Tante. Wir legen dort drüben an der Mole an!“

Das Anlegemanöver ging in aller Ruhe vonstatten. Auf der Mole standen bunt gekleidete Leute herum, die das Schiff und die Männer anstarrten, die auf ihm fuhren. Die hier vorherrschenden Inder hatten die hellere Hautfarbe der Tamilen. Sie schienen schon vor langer Zeit hier eingewandert zu sein. Möglich, daß sie von Ceylon oder teilweise von den Malediven stammten oder sogar aus Indien selbst waren. Das ließ sich nicht mehr feststellen, und im Grunde war es unwichtig. Es war jedenfalls ein kunterbuntes Volksgemisch, und viele Seefahrer aus verschiedenen Nationen waren hier vertreten.

Ein paar Burschen mit abgewetzten Turbanen auf den Schädeln umschlichen das Schiff und belauerten die Seewölfe. Sie hatten scharfe durchdringende Blicke, wirkten ein wenig verschlagen und schienen auf irgend etwas zu lauern.

Carberry grinste sie freundlich an, und wenn der Profos freundlich grinste, dann sah er noch gefährlicher aus, als er ohnehin war. Sein narbiges Gesicht verzog sich, und sein Kinn wirkte wie ein gewaltiger Amboß. Seine drei Tage alten Bartstoppeln wirkten ebenfalls furchteinflößend, denn sie standen wie winzige scharfe Nägel in seinem Gesicht.

„Wenn ihr glaubt, hier gäb’s was zu klauen“, sagte er gemütlich, „dann versucht es nur! Aber der alte Carberry wird euch so lange auf den Turban klopfen, bis auch die letzte Laus darunter ausgestorben ist. Habt ihr das verstanden, ihr Rübenschweine?“

Ein paar grinsten ganz infam zurück, Gestalten in zerlumpten Gewändern, die vor Jahren mal weiß gewesen sein mußten. Einer von ihnen, der sich angesprochen fühlte, zog einen Krummdolch aus seinem Gürtel und reinigte sich demonstrativ die Fingernägel damit. Dabei starrte er Ed unverwandt an.

„Damit hättest du schon vor zwei Jahren beginnen sollen“, sagte Carberry. „Den Dreck schaffst du doch gar nicht mehr allein.“

Als die anderen lachten, hob der Inder seinen Dolch und zeigte damit auf seinen Hals. Dann steckte er ihn ein, warf Ed noch einen verschlagenen Blick zu und sah sich die „Isabella“ weiter an.

„Das sind Abstauber“, sagte Matt Davies. „In jedem Hafen lungern solche Kerle herum und klauen alles, was nicht angenagelt ist. Das verscheuern sie dann an die anderen Schiffe.“

Die „Isabella“ war kaum vertäut, da erlosch die allgemeine Aufmerksamkeit schon wieder, und die Arbeit ging weiter. Das war ein Zeichen dafür, daß dieser Hafen von vielen Schiffen angelaufen wurde und ein neues Schiff keine große Sensation mehr darstellte.

Nur die Inder trieben sich noch in der Nähe herum und schienen auf etwas zu warten. Sie hockten sich auf die Mole und dösten vor sich hin, aber immer wieder musterten sie aus ihren kohlschwarzen Augen das Schiff.

Lediglich vor Smoky hatten sie ganz offene Angst, denn der sah jetzt mit seinem aufgequollenen Gesicht direkt zum Fürchten aus. Immer wenn die Inder ihn sahen, wandten sie schnell den Blick ab und sahen auf die Mole hinaus.

Nach einer Weile jedoch verschwanden auch die Inder in auffallender Eile.

Schuld an ihrem rasanten Aufbruch war der Bordschimpanse Arwenack, der in den Wanten hing und gemächlich zum Großtopp hangelte.

Von dort oben in luftiger Höhe ging er einer seiner Lieblingsbeschäftigungen nach, und die bestand darin, fremde Leute, die ihm nicht gefielen, mit Kokosnüssen zu bombardieren. Es waren nur noch leere Nußhälften, aber der Effekt war aus dieser Höhe im wahrsten Sinne des Wortes umwerfend.

Zielen konnte der Affe so gut wie Al Conroy mit seinen Kanonen, und nun holte er aus und feuerte die erste halbe Nuß hinunter. Sie traf den Inder, der dicht vor der „Isabella“ hockte. Der fiel vor Schreck der Länge nach auf die Mole und stieß einen lauten Schrei aus. Zum Glück dämpfte der Turban die Wucht ein wenig, aber der Inder sprang auf wie von der Tarantel gestochen und rannte schreiend davon.

Der zweite, der ihm noch verständnislos nachstarrte, wurde das nächste Opfer von Arwenack. Die Sicherheit, mit der er traf, verblüffte selbst die Seewölfe, die auf der Kuhl standen und sich die Bäuche vor Lachen hielten.

Es klang ein wenig hohl, der Inder zuckte zusammen, griff mit schmerzverzerrtem Gesicht nach seinem Turban und blickte angstvoll in die Höhe, aus der das Geschoß herangeflogen war.

Dort sah er einen zähnefletschenden Affen hocken, der sich mit seinem haarigen Arm im Want festhielt und im Begriff war, den nächsten Schuß abzufeuern.

Jetzt rannten auch die anderen davon, so schnell ihre dürren Beine sie trugen. Sie schimpften und schnatterten. Gleich darauf waren sie in der Menge verschwunden.

Arwenack keckerte laut, hopste erfreut von einer Webleine zur anderen und genoß sichtlich seinen Erfolg. Unterstützt wurde er durch den Arakanga Sir John, der laut kreischend auf der Rahnock hockte und unanständige Flüche an Deck krächzte, wie er sie im Lauf der Jahre von Carberry gelernt hatte.

Etwas später näherte sich ein Mann der Mole. Er war breit gebaut und wirkte wuchtig. Er trug eine abgewetzte Leinenhose und ein ärmelloses Hemd. Sein Haar war dunkelbraun, seine Augen grau. Er trug einen gewaltigen Schnauzbart von rötlicher Farbe, der ihm wie Sauerkraut über die Lippen wucherte.

In Höhe der Kuhl blieb er stehen, musterte das Schiff und nickte schließlich anerkennend.

„Ihr seid Engländer“, sagte er mit hartem Slang, wie ihn die Holländer sprechen, auf englisch. „Ihr seht zwar wie Spanier aus, aber die Dons bauen keine solchen ranken Schiffe. Also seid ihr Engländer.“

Hasard musterte den Mann und fand ihn sympathisch. Ehrliches, offenes Gesicht, klare Augen, ein Kerl, der wußte, was er wollte, und sich nicht aus der Ruhe bringen ließ. Keiner von diesen lausigen Hafenkommandanten, die sich immer so großkotzig aufspielten.

„Wir sind Engländer, ganz richtig“, sagte er und nannte seinen Namen.

Schon oft hatten die Seewölfe erlebt, daß jemand zusammenzuckte, wenn der Name Killigrew fiel. Aber dieser Mann hatte ihn vermutlich noch nie gehört. Außerdem konnte es ja auch nicht jeder wissen, dachte Hasard.

„Ich bin der Baas“, sagte der Mann. „Nennt mich einfach nur Baas, so bin ich es gewöhnt. Ich bin Holländer. Mir unterstehen die Mole und die lange Hütte da drüben.“

Er drehte sich um und zeigte mit dem ausgestreckten Finger auf die Holzbaracke.

„Habt ihr etwas zu verkaufen, wollt ihr tauschen? Oder braucht ihr Proviant, Trinkwasser? Ihr könnt auch neue Taue kriegen, Segel oder Werkzeug, alles, was ihr wollt. Nur müßt ihr bei mir kaufen und dürft euch an keinen anderen wenden. Jeder hat sein abgestecktes Gebiet, das ist hier ungeschriebenes Gesetz. Außerdem seid ihr mir eine kleine Liegegebühr schuldig, denn der Bau der Mole hat mich einiges gekostet.“

„Das sehe ich ein“, sagte Hasard. „Nennt euren Preis, ich will mich vor der Zahlung nicht drücken.“

„Später“, wehrte der Baas lächelnd ab. „Ihr werdet mir schon nicht davonsegeln. Welche Wünsche habt ihr?“

Einer der Inder schlich wieder vorbei. Der Baas sah es, glitt zwei Schritte weiter und trat dem Mann in den Hintern.

„Scher dich zum Teufel!“ brüllte er laut auf holländisch. „Du hast hier auf der Mole nichts zu suchen!“

„Das scheint hier ja sehr lustig zuzugehen“, meinte der Seewolf trokken und lachte leise.

„Hütet euch vor diesen Burschen, Cap“, sagte der Baas. „Die lungern immer in der Nähe der Schiffe herum. Wenn ihr nicht aufpaßt, fehlen euch nachher die Masten oder das ganze Schiff. Das sind Schnapphähne und Gauner. Sie haben auch keine Lust, einer ehrlichen Arbeit nachzugehen.“

Hasard flankte mit einem Satz über das Schanzkleid auf die Mole.

Die „Isabella“ war nur durch zwei Handbreiten von den Steinen getrennt. Damit sich der Schiffskörper nicht daran rieb, hatte der Profos Fender aus Tauwerk dazwischengehängt.

Hasard gab dem Mann die Hand und lächelte. Er überragte den Baas um mindestens zwei Kopflängen. Der Händedruck, den der Mann zurückgab, war fest und kräftig.

„Wir können es auch achtern in meiner Kammer besprechen, Baas. Wir brauchen Proviant und Trinkwasser.“

„Sehr gut, aber gehen wir lieber ins Kontor, dann kann ich gleich alles aufschreiben.“

„Wie Sie wollen.“

Hasard drehte sich um und suchte den Kutscher, den er schließlich auf der Kuhl entdeckte.

„Hast du eine Liste, Kutscher?“

„Aye, aye, Sir, eine lange sogar.“

„Gut, dann gehst du mit. Ed ebenfalls, wir sehen uns gleichzeitig ein bißchen um. Die anderen bleiben so lange an Bord, bis wir wieder zurück sind.“

„Oh, Cap“, sagte der Baas, „Sie können alle Leute von Bord lassen. Ich kann ein paar Mann als Wache von meinen Leuten abstellen. Das gehört mit zur Hafengebühr, und es sind ehrliche, zuverlässige Leute.“

„Vielen Dank, aber wir haben noch Arbeit an Bord. Heute abend vielleicht, falls es hier eine Kneipe gibt.“

„Hier gibt es drei Kneipen“, sagte der Baas grinsend und musterte Carberry, der bei dem Wörtchen Kneipe die Nasenflügel blähte und dankbar zu grinsen begann.

„Hier gibt es fast alles, was Sie wollen. Sogar einen Engländer haben wir hier, der sich schon seit einem Jahr auf der Insel rumtreibt. Er arbeitet am Bau des Schiffes mit.“

„Und wie ist er hier gelandet?“ fragte der Seewolf neugierig.

„Wie das so ist. Er erschien mit einem Schiff und blieb aus irgendeinem Grund hängen. Sie treffen ihn heute abend in der Kneipe, mit Sicherheit sogar.“

„Und er will nicht mehr zurück?“

„Doch, sicher, Mijnheer. Aber er ist schon zu alt, und keiner will ihn haben. Und die Passage für eine Fahrt kriegt er nie zusammen, weil er sie gleich wieder versäuft.“

Hasard beschloß, sich diesen merkwürdigen Engländer später einmal aus der Nähe anzusehen, vorerst ließ er das Thema fallen.

Der Kutscher hatte seine Liste dabei, Carberry stand neben ihm und stemmte die Arme in die Seiten, und vom Schanzkleid glubschte Smoky mit seinem entstellten Gesicht auf die Männer.

„Sagen Sie, Baas“, fragte der Kutscher fast gehässig. „Gibt es bei euch auch herumziehende Knochenbrecher oder Wanderheiler?“

„Klar, wir haben einen. Wo Seeleute sind, gibt es auch Zahnbrecher und Wundärzte. Habt ihr keinen Feldscher an Bord?“

„Der Feldscher bin ich“, sagte der Kutscher. „Aber ich habe mit dem Kerl Krach, und er will sich von mir nicht behandeln lassen, deshalb frage ich.“

„Ich verstehe.“ Der Baas nickte grinsend. „Sowas soll es ja geben. Heute nachmittag dürfte der Kerl da sein. Er hat eine Wanderbühne und zwei Gehilfen. Und er hat tagtäglich Kundschaft.“

Der Kutscher rieb sich die Hände.

„Dann wirst du ja noch deinen Spaß kriegen“, sagte er zu Smoky, der ihn grimmig anblickte.

„Und ob“, fauchte der Decksälteste zurück. „Und an den werde ich mich auch wenden“, versprach er.

Warum die beiden eigentlich Krach hatten, das wußte niemand an Bord der „Isabella“. Selbst Smoky wußte es nicht, aber es mußte wohl an seiner üblen Laune gelegen haben. Schließlich hatte ein Wort das andere gegeben, und jeder hatte auf stur geschaltet.

Während Smoky finster zurückblickte, gingen die Männer fort, die Mole entlang in Richtung der Barakke, die dem Baas als Kontor diente.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 214

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