Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 247 - Fred McMason - Страница 4
1.
ОглавлениеDen Ärger gab es eigentlich nur aufgrund eines Mißverständnisses, eines kleinen navigatorischen Fehlers wegen. Aber dieser Fehler im verwirrenden Vorfeld Ägyptens konnte jedem unterlaufen, auch einem Philip Hasard Killigrew, der Seewolf genannt.
Von dem Feluken-Händler Ibrahim, der mit richtigem Namen Ali Abdel Rasul hieß, wußte Hasard, daß der mächtige Nil im Delta viele Arme hatte. Man konnte in Rashid hineinsegeln oder in El Iskandariya, aber es gab auf ihrem Kurs noch einen kürzeren Weg, und das war Damietta, Dumyat genannt, in der Nähe der ägyptischen Stadt Bûr Sa’id gelegen.
Für den Seewolf stand damit die Route zu den geheimnisvollen Gräbern und riesigen Bauwerken fest: die „Isabella VIII.“ würde bei Damietta in das Nildelta segeln.
An jenem kühlen Januarmorgen im Jahre 1592 inspizierte der Waffen- und Stückmeister Al Conroy die Pulverkammer der „Isabella“.
Es war eine reine Pflichtübung, eine Sache, die zur Routine geworden war. Pulver wurde kontrolliert, ob es nicht feucht geworden war. Die Flaschenbomben wurden überprüft, und was der Dinge mehr waren.
Brach hier einmal durch eine Verkettung unglückseliger Umstände ein Feuer aus, dann würde sich der stolze ranke Rahsegler in des Teufels Höllenbombe verwandeln, und alle Seewölfe würden den gemischten Chor der Englein singen hören – oder das Schwefelgebrüll des Teufels, je nachdem, wie sie in ihrem Leben gesündigt hatten. Der Profos Edwin Carberry behauptete zwar, daß keins der Rübenschweine in den Genuß der himmlischen Chöre gelangen würde, aber so sicher war das auch nicht, denn im Grunde genommen hielten sich die meisten für fromme Pilger.
Der stämmige, schwarzhaarige Stückmeister mit den braunen Augen hatte seine Kontrolle fast abgeschlossen, als sein Blick auf die kleinen Fäßchen fiel, die Ibrahim, dessen wahren Namen an Bord niemand kannte, ihnen verkauft hatte.
In den Fäßchen befand sich „Griechisches Feuer“, eine Mixtur, die ein gewisser Kallinikus aus Heliopolis in Syrien erfunden hatte.
Conroy und der Schiffszimmermann Ferris Tucker, der sich ebenfalls in der Pulverkammer aufhielt, wußten, aus was das Zeug bestand, nämlich aus Pech, Schwefel, Naphta, Holzkohle und etwas ungebranntem Kalk. Das alles zusammen gab zwar noch kein Griechisches Feuer, dazu bedurfte es einer weiteren Ingredienz. Aber diese Zusammensetzung war geheim, und sie befand sich in einem anderen Fäßchen. Erst das alles zusammengemixt ergab die Höllenmischung, die schon durch die Berührung mit Wasser aufloderte.
Conroy kontrollierte auch diese Fässer sorgfältig, während Ferris Tucker am Schott lehnte und laut gähnte.
Dann sah er es in Als dunkelbraunen Augen plötzlich aufleuchten, und die Lippen des Stückmeisters verkniffen sich leicht.
„Ist was?“ fragte Ferris.
Al starrte nochmals in die Fäßchen. Dann sah er Ferris an und hob die Schultern.
„Von dem Zeug fehlt was, Ferris. Mindestens ein paar Hände voll.“
„Weiß ich“, sagte Ferris gelangweilt. „Und du solltest es auch wissen. Wir haben doch versucht, aus dem Zeug neue Brandsätze herzustellen.“
„Das weiß ich ja alles“, brummte Al gereizt. „Aber nach unseren Versuchen fehlt noch mal was. Ich weiß ganz genau, wieviel in den Fässern drin war.“
„Glaubst du etwa, einer von uns klaut das Zeug?“
„Glaubst du denn an den Weihnachtsmann?“ fragte Al zurück.
„Seit er mir letzten Monat nichts gebracht hat, glaube ich an den Kerl sowieso nicht mehr. Vielleicht hast du dich geirrt, Al.“
„Nein, da fehlen ein paar Hände voll“, beharrte Al Conroy.
Etwas später glaubte es auch Ferris Tucker, denn der Stückmeister war gewissenhaft und genau, was die Pulverkammer, Kanonen, Musketen und Munition betraf. Da verließ er sich nie auf andere, sondern immer auf sich selbst.
Alle beide rätselten herum, aber es gab an Bord niemanden, der aus der Pulverkammer oder dem danebenliegenden Magazin Pulver oder Griechisches Feuer klaute.
Wer sollte damit schon etwas anfangen?
Schließlich, nach langer Diskussion, waren sich Ferris Tucker und Al Conroy darüber einig, daß das Zeug durch die Stampf- und Schlingerbewegungen des Schiffes etwas gesackt sei. Eine Art Schwund sozusagen, wie Ferris sich ausdrückte.
An Bord war es allgemein üblich, daß der Kutscher morgens mühsam und in aller Herrgottsfrühe das Holzkohlenfeuer entzündete. Bis es im Kombüsenherd dann richtig brannte, dauerte es eine Weile, und bis genügend Glut da war, dauerte es noch länger.
Dann stand der Kutscher müde, verpennt und fluchend vor dem Herd und blies mit dem Blasebalg hinein.
Aber seit einiger Zeit hatten diese Arbeit Hasards Söhne übernommen, und so konnte der geplagte Kutscher eine halbe Stunde länger schlafen.
Aber etwas war ihm bei der ganzen Sache nicht geheuer. Die beiden Kerle zauberten das Feuer fast aus dem Ärmel. Womit er sich elend lange plagte, das schafften die Burschen in einem atemberaubenden Tempo. Verdammt, er kannte doch alle Tricks und Raffinessen, aber gegen Philip und Hasard war er direkt lahm.
Einerseits freute er sich darüber, andererseits wurmte es ihn, daß sie ihn dabei mühelos ausstachen, denn wenn er in der Kombüse erschien, dann glühten schon die Herdplatten, das Wasser kochte, und die Glut schien bereits stundenlang zu lohen.
„Wie kriegt ihr das bloß immer so verdammt schnell hin?“ fragte er.
Die cleveren Bürschchen, jetzt ins zwölfte Lebensjahr gehend, grinsten überlegen.
„Kleine Holzspäne, etwas Zündkraut, ganz wenig zerriebene Holzkohle und ein paar Funken. Dann pusten wir alle beide in die Glut. Das ist eigentlich schon alles“, erklärte Hasard junior.
„Ja, und wir lassen die Feuertür auf, damit es Durchzug gibt“, setzte Philip hinzu.
„Aha“, sagte der Kutscher und kratzte sich nachdenklich das Kinn. Und dieses „Aha“ zog er ziemlich lang.
So ähnlich verfuhr der Kutscher auch, aber trotzdem dauerte es bei ihm wesentlich länger. Und als er den beiden Lümmeln in die Augen sah, entdeckte er wieder mal alle Harmlosigkeit dieser Welt darin, was ein untrügliches Zeichen dafür war, daß sie ihn beschummelten. Denn auch mit den Holzspänen war das so eine Sache, denn die waren zur Mangelware geworden und lagen nicht ständig überall herum.
Der Kutscher, ein Mann, der gern allen Geheimnissen gründlich nachging, sprach etwas später mit Ferris Tucker darüber, als die „Isabella“ auf Westkurs ging und bei nördlichem Wind über Backbordbug segelte.
„Hast du Holzspäne für die Kombüse übrig?“ fragte er.
Der breitschultrige Zimmermann schüttelte den Kopf.
„Nee, Kutscher. Benutz mal schön eine Lunte und blase damit die Glut an. Das dauert zwar ein bißchen, aber du kannst ja noch ein wenig Zündkraut dazu nehmen. Ich kann doch wegen dir nicht ständig die ‚Isabella‘ abholzen oder dauernd Reserveplanken zersägen. Oder soll ich dir vielleicht die Großrah zerkleinern?“
„War nur ’ne Frage“, sagte der Kutscher. „Ich dachte nur, denn die Zwillinge holen bei dir immer Holzabfall, weil sie das Feuer so schnell in Gang kriegen.“
„Haben sie dir das gesagt?“
„Allerdings.“
„Dann haben sie dich angeflunkert.“
„Und aus welchem Grund?“
„Frag sie doch!“ riet Ferris.
„Deine Logik ist wieder mal bestechend“, murmelte der Kutscher, ehe er verschwand.
Ferris Tucker war nun ebenfalls ein gründlicher Mann, der gern tüftelte, nachdachte und Überlegungen anstellte, und so sah er dem Kutscher gedankenvoll nach, als der in der Kombüse verschwand.
Feuer so schnell in Gang kriegen? überlegte Ferris. Angeblich Holzspäne holen? Von wegen, da steckte etwas anderes dahinter, und das wollte er gern herausfinden, denn schon jetzt beschlich ihn so eine leise Ahnung.
Er ließ sich jedoch nichts anmerken und ging weiter seiner Arbeit nach.
Die „Isabella“ befand sich jetzt vor einer Küste, die riesige bergige Buchten aufwies. Kahle Berge waren zu sehen, und genau in Westrichtung erschien wieder Land.
„Das sieht nach einer Halbinsel oder einer sehr langen Landzunge aus“, sagte Hasard, durch das Spektiv blickend. „Aber in diesem Einschnitt kann auch einer der Nilarme liegen.“
„Bleiben wir auf Kurs, Sir?“ fragte der blonde Schwede Stenmark, der jetzt am Ruder stand.
Hasard gab noch keine Antwort. Er blickte zu Batuti hoch. Der riesige Gambianeger stand im Großmars als Ausguck, hatte seine mächtigen Arme auf die Segeltuchverspannung gelegt und blickte starr geradeaus in Kursrichtung.
„Was siehst du, Batuti?“ rief Hasard.
„Langes Zunge, Sir. Totbucht, fast zehn Meilen lang.“
„Keinen Fluß in der Bucht?“
„Nix Fluß sehen, Sir. Wasser zu Ende. Müssen großes Zunge runden. Aber Batuti auch sehen kluges Delphin wieder, Sir!“
„Kurs Nordwest vorerst!“ befahl Hasard. Und zu Ben Brighton gewandt: „Sag dem Profos, er soll anbrassen. Batuti sieht das viel deutlicher als wir.“
Aber Ben brauchte dem Profos nichts zu sagen. Carberry hatte längst begriffen. Er spürte so etwas, und außerdem sah er es meist an Hasards Daumen, ob der nach Backbord oder Steuerbord zeigte.
Während Carberry die Seewölfe gleich wieder durch laute Motzereien auf Trab brachte und das Deck mit Rübenschweinen und lahmarschigen Kanalratten geradezu überschwemmt wurde, kümmerten sich Hasard und Dan um „kluges Delphin“, wie Batuti gesagt hatte.
Kluges Delphin war ein Fühlungshalter, der raffinierteste, den die „Isabella“ jemals im Kielwasser hängen hatte. Dieses Tier war von dem Händler Ibrahim abgerichtet worden, und es erwies sich als sehr klug und geschickt.
Aber Dan O’Flynn hatte den tierischen Fühlungshalter anhand von Berechnungen überlistet und ausgetrickst, und so wußten sie immer genau, wo die Feluke des gerissenen Händlers stand.
Daß Ibrahim etwas mit der „Isabella“ vorhatte, war ihnen allen klar. Sie wußten nur noch nicht, wie das ablaufen sollte. Aber dem geriebenen Schlitzohr war alles zuzutrauen, der hatte irgendwo in weiter Ferne einen Braten gerochen, der Duftspur folgte er nun getreulich, und der abgerichtete Delphin wies ihm den Weg.
In den letzten Tagen hatten sie den Delphin allerdings nicht mehr gesehen, denn die Ereignisse mit dem etwas reichlich merkwürdigen Kreuzritter und Pilger Hubertus Leone hatten sie den Delphin fast vergessen lassen.
Jetzt war er wieder da, als zöge die „Isabella“ eine Duftspur durch das Wasser, und als er an dem Rumpf vorbeiglitt, sprang er aus dem Wasser und stieß wieder seine merkwürdigen, keckernden Töne aus, als wolle er die Seewölfe begrüßen.
Dieses Keckern, Keffern und Schnattern löste auf der „Isabella“ jedesmal Heiterkeit und brüllendes Gelächter aus.
Genaugenommen war das Tier ihr Feind, denn es verriet ständig ihre Position, aber niemand konnte ihm böse sein, denn es wurde von dem listigen Händler eingesetzt und hatte nicht die geringste Ahnung, welchem unheiligen Zweck es diente.
Jetzt klang das Keckem wieder laut aus dem Wasser, als der Delphin übermütige Sprünge vollführte, und schon war an Bord der Teufel los.
Auf den Schimpansen Arwenack wirkte das wie ein rotes Tuch, und auch der Aracanga Sir John regte sich jedesmal mächtig auf.
Sir John flatterte kreischend von einer Rah zur anderen und plusterte sein Gefieder auf.
„Affenarsch!“ krächzte er laut und gellend. Dann folgte ein entnervendes Gezeter, er schlug mit den Flügeln, segelte in langgestrecktem Bogen aufs Meer hinaus, ließ vor Aufregung etwas fallen und gab die netten Wörter alle von sich, die er dem Profos abgelauscht hatte.
Der fröhliche Delphin wurde mit „lausiger Hurenbock“, „Mistkrücke“, und „Stinkfisch“ tituliert, und er keckerte fröhlich zurück, als auch Sir John noch wesentlich unanständiger wurde. Keifend und zeternd flog er dem immer wieder hoch aus dem Wasser schnellenden Delphin nach, und als er Wasserspritzer abkriegte, hätte das fast seinen Absturz ins Meer bedeutet.
Dazu erfolgte das Kreischen von Arwenack, der von vorn nach achtern über den Handlauf des Schanzkleides raste, sein Gebiß bleckte, in die Wanten flitzte und sich wie verrückt benahm.
„Ogottogott“, sagte Smoky auf dem Vordeck, und hielt sich den Bauch vor Lachen. „Das ist ja schlimmer als in einem dieser Wanderzirkusse. Ist denn hier alles verrückt geworden?“
Auch der Seewolf lachte, er konnte sich diesem merkwürdigen Schauspiel nicht entziehen. Da flitzten, flogen und schwammen anscheinend drei total verrückte Tiere um die Wette und benahmen sich wie eine Horde Irrer.
Länger als sonst umkreiste der Delphin das Schiff, schien die Seewölfe anzugrinsen und zog dann wieder ins Meer hinaus.
„Offenbar hat ihn unser neuer Kurs verwirrt“, meinte Dan. „Ich bin sicher, daß er bald wieder erscheint.“
Mit dem Spektiv verfolgte er seine Bahn, aber das währte nur ein paar Minuten, dann ging das Tier auf Tiefe und wurde vorerst nicht mehr gesehen.
„Er hat fast Nordostkurs drauf“, sagte Dan. „Das bedeutet also, daß die Feluke unserem Kurs beharrlich gefolgt ist. Und dem alten Gauner ist auch unser Ziel bekannt. Ich halte jede Wette, daß er Kurs auf Dumyat nimmt, denn ganz sicher wird er sich sagen, daß wir dort den Fluß hinaufsegeln. Nur schade, daß man nicht weiß, ob der Delphin auf dem Kurs bleibt.“
„Dumyat müssen wir bald erreichen“, sagte Hasard. „Das Delta dieses Flusses kann nicht mehr weit entfernt sein.“
Es war aber doch noch ein wenig weiter entfernt, als Hasard annahm, und dieser kleine Irrtum brachte schließlich den Ärger.