Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 228 - Fred McMason - Страница 4

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Das Deck der „Isabella VIII.“ sah grauenhaft aus. Ebenso grauenhaft verzerrt waren auch die Gesichter der Männer, die fassungslos auf ihre Kameraden blickten.

Was war geschehen?

Seit sie die Insel Tortuga verlassen hatten, befand sich ein neuer Mann an Bord. Pablo, so hieß der Neue, den sie aus den Klauen der karibischen Piraten befreit hatten, hatte ein ehrliches, offenes Gesicht und fügte sich schnell in die Mannschaft ein. Während er den meisten Seewölfen sympathisch war, lehnten ihn jedoch Batuti und der alte O’Flynn rigoros ab.

Alle beide konnten nicht begründen, was sie gegen Pablo hatten, aber sie mochten ihn nicht, und Old O’Flynn hatte sich zu der Bemerkung verstiegen, er würde dem Neuen am liebsten so lange in den Hintern treten, bis er hinter der Kimm verschwände.

Daß sie sich da den Teufel persönlich an Bord geholt hatten, ahnte zu diesem Zeitpunkt niemand, denn Pablo war von dem unumschränkten Herrscher von Tortuga mit allen Raffinessen an Bord der „Isabella“ eingeschleust worden.

Seine Aufgabe war denkbar einfach: Er sollte das Trinkwasser vergiften, die Seewölfe hilflos werden lassen, damit Don Bosco, wie der Herrscher von Tortuga hieß, das Schiff unbeschädigt übernehmen konnte.

In der letzten Nacht war es Pablo gelungen, das Wasser in dem Faß an Deck zu vergiften, und der erste Erfolg war eingetreten. Fünf Seewölfe und die Zwillinge hatte es bereits erwischt. Mit blauverfärbten Gesichtern lagen sie auf den Planken der Kuhl.

Pablo war der einzige, der nur markierte und so tat, als litte auch er unter heftigen Krämpfen und Schmerzen. Ab und zu blinzelte er aus halbgeschlossenen Augen zu den Männern, die das Unheimliche immer noch nicht begriffen.

Der Seewolf stand starr vor Schreck auf der Kuhl und sah dem Kutscher zu, der sich vergeblich bemühte, in die wie hingemähten Gestalten wieder Leben zu bringen.

Immer wieder flößte er ihnen Essig ein, aber es trat kein Erfolg ein, und so hob er entsagungsvoll und mit ratlosem Gesicht die schmalen Schultern.

„Ich weiß keinen Rat mehr, Sir“, sagte er müde, „es muß an den Lebensmitteln gelegen haben. Am Mehl, oder am Speck, oder auch an den Hühnereiern, die wir heute morgen gegessen haben.“

Philip Hasard Killigrew beugte sich wortlos zu seinen Söhnen hinunter, die stöhnend und mit blau verfärbten schwitzenden Gesichtern auf den Planken lagen.

Er konnte nicht helfen, niemand konnte es, denn wenn der Kutscher, der ein hervorragender Feldscher war, nichts tun konnte, dann vermochte es erst recht kein anderer.

Er stieß einen erbitterten Fluch aus.

„Wir alle haben von dem Zeug heute morgen gegessen“, sagte er, „und uns ist nichts passiert.“

„Bisher noch nicht, Sir“, sagte der Kutscher verbessernd. „Ich weiß nicht, woran das liegt, aber bei dem einen geht es schnell, und bei dem anderen dauert es länger. Essig hilft jedenfalls nicht“, setzte er resignierend hinzu.

Matt Davies, den Mann mit der Hakenprothese am rechten Arm hatte es als einen der ersten gefällt. Nicht weit von ihm lag der hünenhafte Schiffszimmermann Ferris Tucker hilflos wie ein Kind auf den Planken. Dann war der alte Segelmacher Will Thorne umgekippt, und als letzten hatte es den jungen Bill buchstäblich umgehauen.

Hasards Theorie hatten auch die anderen alle übernommen.

In Tortuga waren sie nur von einer Piratenmeute belauert worden, und keiner hatte sie angegriffen, selbst dann nicht, als sie aus dem Hafen segelten.

Aber ein Fühlungshalter, der stur auf ihrem Kurs blieb, war aufgetaucht, und er war immer noch zu sehen. Demnach hatten die Piraten etwas in die Lebensmittel geschmuggelt, das diese bestialischen Krämpfe erzeugte, einzig und allein aus dem Grund, um die „Isabella“ auf See in aller Ruhe ausplündern zu können.

„Al“, sagte der Seewolf zu dem Waffen- und Stückmeister Conroy, „sieh zu, daß wir gefechtsklar bleiben und alle Kanonen in einwandfreiem Zustand sind. Laß die Messingbecken aufstellen, die Kerle werden nicht mehr lange auf sich warten lassen.“

„Aye, Sir, alles veranlaßt, ich habe vorgesorgt. Ich fürchte nur, daß wir die Culverinen bald nicht mehr abfeuern können, wenn einer nach dem anderen umfällt.“

„Das befürchte ich allerdings auch.“

Hasard beugte sich über Ferris Tucker, dessen Gesicht schrecklich verzerrt war. Er betastete sein Gesicht, das sich kalt und heiß zugleich anfühlte. Dann zog er ihm das Augenlid hoch, aber er sah nur das Weiße darin. Der Augapfel hatte sich verschoben.

„Kannst du mich hören, Ferris?“ fragte er. „Verstehst du eins meiner Worte? Dann gib irgendein Zeichen!“

Ferris konnte ihn hören, das stand fest, vermutlich hörte und verstand er alles, was um ihn herum vorging, aber er war zu keiner Reaktion fähig. Er öffnete verzweifelt die Lippen, um etwas zu sagen, aber er brachte keinen Ton hervor. Sein Körper war gelähmt, verkrampft und teilweise bläulich angelaufen.

„Er versteht uns, Sir“, sagte der Kutscher erregt.

Hasard sah dem schmalbrüstigen Feldscher starr in die Augen. Dann fragte er leise: „Glaubst du, es ist ein tödliches Gift, Kutscher?“

Der Kutscher zuckte zusammen, als hätte ihn der Hieb einer Peitsche getroffen.

„Ich – ich will es nicht hoffen“, sagte er ebenso leise. „Es scheint sich um ein Gift zu handeln, das die Atemwege vorübergehend lähmt. Das kann ein paar Stunden anhalten, es kann aber natürlich auch sein, daß …“

Er sprach nicht weiter, und er brauchte auch nicht weiterzureden, denn der Seewolf kannte seine Gedanken. Hasards Magen krampfte sich zusammen, wenn er an seine beiden Söhne und die anderen Männer dachte.

Er schwor in diesen Minuten niemandem Rache, er dachte einfach nicht daran, vorerst hoffte er nur, daß es alle unbeschadet überlebten.

Dann ging er zu Will Thorne, dessen Körper die gleichen Symptome aufwies, und schließlich zu Bill, der verkrümmt auf den Planken lag.

„Sollen wir sie nach unten bringen, Kutscher?“

„Nein“, sagte der Feldscher entschieden. „Ich würde sie an Deck lassen, Sir. Hier ist frische Luft, und gerade die haben sie bitter nötig. Unten ist es zu stickig bei dieser Hitze.“

Der Seewolf ging auch zu Pablo und betastete ihn. Dabei traf er auf ein eigenartiges Phänomen.

Pablo zuckte zwar auch und hatte sich verkrampft, aber bei ihm war die Blauverfärbung nicht eingetreten, und als er sein Augenlid anhob, war auch teilweise die Pupille zu sehen. Und noch etwas erstaunte ihn: Pablos Körper fühlte sich eigentlich ganz normal an. Da gab es keinen Wechsel von heiß auf kalt.

„Sieh dir das mal an, Kutscher“, sagte er. „Und dann erkläre mir, was du davon hältst!“

Der Kutscher war zunächst ratlos. Dann aber nickte er.

„Du selbst, Sir, hast ihm gleich literweise Essig eingeflößt, noch bevor das Gift richtig zu wirken begann. Daran scheint es zu liegen. Ich habe jedenfalls keine andere Erklärung.“

Hasard versuchte Pablo auf die Beine zu helfen, doch das gelang ihm nicht. Der Neue fiel immer wieder um, aber er öffnete ein paarmal den Mund und setzte zum Sprechen an.

„Merkwürdig bleibt es doch“, sagte der Seewolf und kriegte ganz schmale Augen. „Ausgerechnet er“, setzte er leise und nachdenklich hinzu.

Dann drehte er sich um und blickte achteraus.

Am hellblauen Himmel stand keine einzige Wolke. Der weiße Fetzen, der wie ein kleines Wölkchen aussah, war nichts anderes als die Segel des Fühlungshalters, der wie Pech in ihrem Kielwasser hing und sich nicht abschütteln ließ. Immer noch verschwand er hin und wieder hinter der Kimm, aber nach kurzer Zeit tauchte er beharrlich wieder auf.

Hasard glaubte, daß hinter dem schnellen Fühlungshalter noch ein weiterer lauerte, um über die „Isabella“ herfallen zu können, wenn es soweit war.

Aber wie sollten die Kerle das eigentlich feststellen, überlegte er. Dazu mußten sie schon aufsegeln, oder aber die „Isabella“ würde früher oder später aus dem Kurs laufen, wenn es niemanden gab, der das Ruder bediente.

Eine verteufelte Situation, eine absolut hilflose Lage, in der sie nichts, aber auch gar nichts tun konnten, denn das Gift hatte anscheinend schon jeder im Körper.

Als er sich wieder abwandte, sah er gerade noch, wie sich der Decksälteste Smoky zusammenkrümmte und auf die Knie fiel. Noch bevor er sich der Länge nach ausstreckte, war schon der Kutscher bei ihm und goß ihm Essig in den Hals.

Wenn es bei Pablo geholfen hatte, dachte er, oder seine Lage wenigstens gebessert hatte, dann mußte es auch bei Smoky helfen, gerade in dem Augenblick, als er zusammenbrach.

Aber es half bei Smoky nicht, und das stimmte auch den Kutscher sehr nachdenklich.

Auf der Karavelle, die weit hinter der „Isabella“ segelte, war der Teufel los.

Rum wurde getrunken, ein paar Weiber kreischten, die schon leicht angetrunken waren, und nur sehr wenige waren noch nüchtern.

Der schwarzhaarige Pirat, von seinen Kumpanen auch der Wilde Saufbold genannt, war in den Fockmast aufgeentert und hatte lange Zeit durch das Spektiv geblickt.

Erfahren hatte er aber so gut wie nichts, und als er wieder an Deck stand, ließ er sich seine Enttäuschung nicht anmerken.

Er ging nach achtern, wo der glatzköpfige Nuno am Ruder stand. Der Schlagmann, der sonst immer auf der Galeere Dienst tat, sah immer noch mitgenommen aus. Dort, wo ihn Carberrys schwere Fäuste getroffen hatten, schillerten farbige Beulen, und um seinen dicken Hals lief eine dunkelrote Linie, als sei er stranguliert worden.

Er trug wieder seine kurzen, bis knapp an die Knie reichenden Leinenhosen und hatte seine mächtigen Säulenbeine auf die Planken gestemmt. Seine Schweinsäuglein waren fast zugeschwollen, und selbst Don Bosco fand ihn zum Fürchten. Diese schweren Treffer von dem Profos der „Isabella“ hatte er mittlerweile wieder verdaut, und nur die Beulen und Blutergüsse kündeten noch davon.

Der Herrscher von Tortuga hatte es Nuno immer noch nicht ganz verziehen, daß er so fürchterliche Prügel bezogen hatte. Er selbst war bei der Schlägerei in der Hafenkneipe nicht dabei gewesen, aber seine Kumpane hatten ihm von dem harten Kampf berichtet.

„Tut sich schon was?“ fragte Nuno lauernd.

Don Bosco schob die schwarzhaarige, glutäugige Conchita unwillig beiseite, die sich im näherte und ungeniert ihre schlanken Arme um seinen Hals legte.

„Das geht nicht von einer Stunde zur anderen“, sagte Don Bosco. „Noch segelt der Kahn ganz normal, und von einem Signal ist bisher nichts zu sehen.“

„Ob Pablo es überhaupt geschafft hat, das Wasser zu vergiften?“

„Selbstverständlich“, erwiderte der schwarzhaarige Pirat überzeugt. „Ich bin auch sicher, daß die ersten Kerle bereits besinnungslos herumliegen. Aber es braucht eben seine Zeit.“

Sein Blick ging zur Kimm, wo die Beute als feiner Strich zu erkennen war. Er nickte grinsend, dann begann er plötzlich schallend zu lachen, bis Nuno ihn verständnislos anblickte.

„Die haben eine harte Nuß zu knacken“, sagte er laut, „und sie werden lange herumrätseln, was da wohl passiert ist. Wenn sie es merken, ist es zu spät.“

Er wartete Nunos Antwort nicht ab, sondern drehte sich wieder um und blickte achteraus, wo die Galeere heransegelte. Von der „Isabella“ aus konnte man sie nicht sehen.

Don Bosco lehnte sich aus Schanzkleid, ließ sich von der sanften Dünung wiegen und dachte, über seinen Plan nach, den er in Gedanken noch verfeinern wollte. Er war nicht der Mann, der das Fell des Bären verkaufte, wenn er diesen Bären noch gar nicht gesehen hatte. Er rechnete sich nur kühl und präzise seine Chancen aus.

Rein kämpferisch, das war seine erste Chance gewesen, gelangt er an die Seewölfe nicht heran, obwohl er zahlenmäßig weit überlegen war. Die „Isabella“ zu entern, das schied also aus. Die Seewölfe würden ihr Schiff mit dem letzten Lebensfunken verteidigen, und es niemals aufgeben, solange einer von ihnen lebte.

Folglich würden Mannschaft und Schiff zum Teufel gehen, und damit waren die vermuteten Schätze an Bord ebenfalls weg. Don Bosco wollte aber noch weitaus mehr. Auf der Schlangen-Insel sollten, den Gerüchten nach, unermeßliche Schätze lagern, die die Seewölfe im Lauf ihrer zahlreichen Kaperfahrten zusammengetragen hatten. Dazu brauchte er die Mannschaft lebend, sonst war dieser Traum ausgeträumt.

Verlief die Sache mit dem eingeschmuggelten Pablo gut, und daran zweifelte er nicht, dann hatte er alles das, was er wollte: die „Isabella“ selbst, die Bordschätze und die sagenhafte Beute von der Schlangen-Insel.

Sogar ein allerletzter Triumph blieb ihm noch: Er würde es sein, der diese harten Kerle besiegt hatte, der mit der Legende der Unsterblichen aufräumte, der den Seewolf und seine Crew an die Ketten der Galeere gebracht hatte und sie nun bis in alle Ewigkeit rudern lassen würde.

Diese Tatsache mußten sämtliche karibischen Piraten dann anerkennen, und damit wuchs seine Macht.

Anfälle von Größenwahn waren ihm fremd, vielleicht hatte er deshalb so lange überlebt und sich behaupten können.

Er gab einem seiner Kerle einen schnellen Wink. Obwohl der Mann leicht angetrunken war, blieb er sofort achtungsvoll stehen.

„Laß ein Segel wegnehmen, damit wir etwas achteraus bleiben, und bring mir das Spektiv.“

„Sofort, Don Bosco.“

Der schwarzhaarige, überaus stark tätowierte Pirat hatte die Hände lässig auf den Handlauf des Schanzkleides gestützt und sah zu, wie eins der Segel geborgen wurde. Das setzte die Fahrt der Karavelle nur unmerklich herab, aber es gab doch weniger Vortrieb, und schon bald würde die voraussegelnde „Isabella“ wieder unter der Kim verschwunden sein.

Don Bosco blickte ihr nach und zog das Spektiv so weit auseinander, daß er gerade noch die Segel seiner Beute undeutlich erkennen konnte.

Noch ist sie nicht sturmreif, überlegte er, aber Pablo würde das schon schaffen. Auf den Mann konnte er sich grundsätzlich verlassen. Sehr lange würde es nicht mehr dauern.

Er versuchte, sich in die Lage des Seewolfs zu versetzen, aber das gelang ihm nur sehr schlecht, denn der Mann paßte in keine Schablone und handelte mitunter völlig anders, als man von ihm erwartete.

Logisch mußte aber folgendes sein, dachte Don Bosco: Fielen immer mehr der Seewölfe dem Gift zum Opfer, dann bestand die Mannschaft schließlich nur noch aus drei oder vier Leuten. Die ahnten mit Sicherheit, daß ihnen jemand auf den Fersen war. Segeln ließ sich das Schiff aber mit ein oder zwei Mann nicht mehr, folglich würde man schon vorher die Segelfläche verkleinern und darauf warten, daß man dem Gegner die Zähne zeigen konnte. Dann würden auch die letzten umfallen, weil jeder von ihnen schließlich einmal zum Wasserfaß mußte, um zu trinken, und damit war die Festung sturmreif.

Was aber, wenn sie merkten, daß mit dem Wasser etwas nicht stimmte?

Nun, das mußte er der Initiative Pablos überlassen, und darüber wollte Don Bosco im Augenblick noch nicht nachdenken.

Er blickte weiter dem Schiff nach, das jetzt schnell kleiner wurde und nach einer Weile unter der Kimm verschwand.

„Warte, Seewolf“, murmelte er leise vor sich hin. „Du entgehst mir nicht, noch keiner hat das bis jetzt geschafft. Und ich wette, daß auf deinem Schiff schon jetzt das Grauen umgeht.“

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 228

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