Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 633 - Fred McMason - Страница 6

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Der Mann auf dem Totenbett sah aus, als sei sein Gesicht mit Wachs überzogen. Sein Körper war erschlafft, die Muskeln hatten sich entspannt, und mit dem Eintritt des Todes ging eine sichtbare Veränderung mit ihm vor.

Das Gesicht verfiel, die Nase trat schärfer hervor, und die geschlossenen Augenlider nahmen eine dunklere Farbe an. Auch seine Hände wurden fast durchsichtig.

Die Ärzte senkten die Köpfe, verneigten sich und traten schweigend zurück.

Das Gesicht des Toten war jetzt wie eine Maske.

Ein fast vorwurfsvoller Blick der Geistlichkeit ließ die Ärzte ebenso schweigend hinausgehen. Einer nach dem anderen verließ den Raum und verneigte sich noch ein letztes Mal an der Eichentür.

Für ein paar Sekunden lang schien die Welt den Atem anzuhalten.

Seine Allerkatholischste Majestät, Philipp II., seit 1556 König von Spanien und absolutistischer Führer der Gegenreformation, war aus dem Leben geschieden.

Er war der einzige Sohn Karls V. gewesen, der die spanische Weltherrschaft und das Alleinbestehen des Katholizismus erstrebte.

Weder das eine noch das andere war ihm gelungen. Selbst die geplante Eroberung Englands hatte er mit dem unrühmlichen Untergang der stolzen Armada bezahlen müssen.

Die Unterwerfung der aufständischen Niederlande war letztlich ebenso mißlungen, und er hatte die Niederlage bei Cadiz einstecken müssen.

Auch die Finanzlage sah nicht rosig aus. Der Staatshaushalt belief sich auf rund einhundert Millionen Golddukaten Schulden.

Mit dem Tode Philipps II. begann gleichzeitig – infolge Überspannung der Finanz- und Wirtschaftskräfte – der Niedergang der spanischen Weltmacht.

Sein Nachfolger wurde Philipp III.

Nach dem Motto: „Der König ist tot, es lebe der König!“ wurden Kuriere ausgeschickt und in Marsch gesetzt, um die Unglücksbotschaft aller Welt zu verkünden.

Der Tod seiner Allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien, sprach sich in Windeseile herum, auch in der Neuen Welt.

Seit Don Antonio de Quintanilla Havanna auf sehr mysteriöse Weise verlassen hatte, übernahm der Hafen- und Stadtkommandant Señor Alonzo de Escobedo die Amtsgeschäfte.

Don Antonio sollte von seiner Allerkatholischsten Majestät in seiner Eigenschaft als Gouverneur von Cuba zum Vize-König von Neu-Spanien und Neu-Granada ernannt werden.

Das hatte aber zu Don Antonios Leidwesen nicht mehr geklappt, denn Philip Hasard Killigrew hatte die Galeone auf der Reise nach Spanien abgefangen und den korrupten Dicken kurzerhand vereinnahmt.

Der übrigen Welt war über sein weiteres Schicksal nichts mehr bekannt. Er galt offiziell als verschollen. Philipp II. hatte daher vergeblich auf seinen Günstling gewartet.

Der Verschollene aber befand sich auf dem Stützpunkt der Seewölfe auf der Insel Great Abaco. Anfangs hatte man mit dem Gedanken gespielt, den korrupten Halunken einfach aufzuhängen, um die Welt von dem Übel zu befreien, doch dann wurde er durch den Bund der Korsaren „begnadigt“.

Er durfte auf Great Abaco bleiben, allerdings mit der Auflage, von nun an ein arbeitsreiches Leben zu führen, was ihm nach langen, schweren Zeiten der Eingewöhnung auch nach und nach gelang. Damit war der ehrenwerte Ex-Gouverneur, der jetzt ein mönchisches und gottgefälliges Leben führte, von der Öffentlichkeit vergessen worden.

An seine Stelle war – wie erwähnt – der noch ehrenwertere Alonzo de Escobedo getreten. Der Escobedo war nur ein mieser kleiner Gauner, ein Bastard, der die Macht mißbrauchte, der Günstlingswirtschaft betrieb und die Korruption weiterhin in Schwung hielt. Aber er hatte nicht die Gerissenheit seines Vorgängers, dazu war er zu klein und erbärmlich. Er hatte sich nicht behaupten können und war ebenfalls sang- und klanglos verschwunden.

Den verantwortungsvollen Posten übernahm anschließend Jorge Martinez, der seitdem im Gouverneurspalast residierte.

Die Bevölkerung von Havanna hatte mit tränenden Augen zusehen müssen, daß auch dieser Mann ein Bastard war, dem es nur darum ging, sich aufgrund seines einflußreichen Postens so schnell wie möglich die eigenen Taschen zu füllen.

Darin stand Martinez den beiden anderen Gaunern in nichts nach. In gewisser Hinsicht übertraf er die beiden sogar noch.

Martinez hatte seine gehorteten Reichtümer nicht in Kellern oder Felsenhöhlen versteckt. Schon gleich bei seinem Amtsantritt hatte er sich ein eigenes Schiff ausbedungen. Genauer gesagt: er hatte es einfach im Namen der spanischen Krone requiriert. Das gab der Sache zusätzlich noch einen amtlichen Anstrich.

Auf dieser kleinen Karavelle befanden sich seine persönlichen Reichtümer in Form von Gold- und Silberbarren, Perlen und anderen Kostbarkeiten, die eigentlich dem spanischen Hofe zugedacht waren. Martinez hatte sie, kraft seines Amtes, abgezweigt. Der spanische Hof hatte seiner Ansicht nach Gold und Silber im Überfluß. Da fiel es nicht weiter auf, wenn mal ein paar kleinere Brocken spurlos verschwanden.

Auf die Mannschaft, die er an Bord hatte, konnte er sich verlassen, denn sie entsprach genau seinem eigenen Kaliber. Es waren durchweg Kerle, die um seine Gunst buhlten und ebenfalls in dunkle Machenschaften verstrickt waren.

Jorge Martinez lag also auf der Lauer, bereit mit seinem Schatzschiff jederzeit das Weite suchen zu können. Das Volk von Havanna war ihm nicht gerade wohlgesonnen und suchte nur nach einer Gelegenheit, es ihm kräftig heimzuzahlen, wenn sich die Gelegenheit bot. Doch noch hatte Martinez die Stadtgarde und die Miliz hinter sich, und so konnten die braven Bürger von Havanna nicht aufbegehren. Martinez setzte die Stadtgarde hart und kompromißlos ein, wenn es Ärger gab.

In der Frühe dieses Morgens lümmelte der „Gouverneur“ ziemlich lustlos in einem weichen Sessel der Residenz herum. Er wußte nichts mit sich anzufangen und langweilte sich. Er griff in die große Kristallschale mit den kandierten Früchten und betrachtete die Dinger angewidert.

Don Antonio hatte dieses klebrige Zeug von morgens bis abends gemampft, und der Lakai füllte die Schale rein gewohnheitsmäßig immer wieder auf, wie er das stets getan hatte.

Martinez hatte ein paar Datteln mit einer klebrigen Glasur in den Fingern. Als er sie wieder in die Schale zurückwarf, pappten seine Finger, als hätte er in einen Kleistertopf gelangt.

„Widerliches Zeug!“ fluchte er. Seine Hände waren so klebrig, daß Daumen und Zeigefinger kaum noch auseinanderzukriegen waren.

Seine Lustlosigkeit wich einem immer größer werdenden Ärger. Er hatte es diesem Bastard von Lakai schon zigmal gesagt, daß er keine kandierten Früchte in seiner Umgebung sehen wollte, aber der sture Kerl wechselte das Zeug immer dann aus, wenn es matschig wurde.

Martinez nahm den Tischgong und benutzte ihn als Wurfgeschoß. Es dröhnte laut, als das Messingbecken gegen die Wand knallte. Der Gong war in der ganzen Residenz zu hören.

Der Lakai, ein hagerer, bleichsüchtiger Mensch, streckte seinen Kopf durch die geöffnete Eichentür.

„Der Señor Gouverneur haben geläutet?“ fragte er außer Atem.

„Wasser und ein Handtuch!“ brüllte Martinez. „Und zwar sofort!“

„Sehr wohl, Señor Gouverneur.“

Der Kopf des Lakaien verschwand, nachdem die großen Augen noch einmal furchtsam in den Raum geblickt hatten.

In unglaublich schneller Zeit kehrte der Lakai mit dem Gewünschten zurück.

„Hände waschen!“ schnauzte Martinez. Sein dicker Schnauzbart zitterte, seine Augen schleuderten Blitze.

Als der Lakai vorsichtig die eigenen Hände in die Wasserschüssel tauchte, erhielt er von Martinez einen derben Tritt in die Kehrseite.

„Meine, du Idiot, nicht deine!“

„Verzeihung, Señor Gouverneur.“

Der Titel stand Martinez nun keineswegs zu, denn er war nicht zum Statthalter ernannt worden. Er war eher eine Verlegenheitslösung, aber kaum jemand redete ihn anders an. Die meisten hatten Angst vor ihm, auch der Lakai, der heftig zu zittern begann und ahnte, daß er jetzt wieder einmal schikaniert werden würde.

Martinez ließ sich vom Lakaien sehr sorgfältig die Hände waschen, wobei er ihn tückisch musterte.

„Abtrocknen!“ befahl er danach.

Als auch diese Prozedur vorbei war, lehnte sich Martinez in seinem Sessel zurück und musterte den zitternden Mann scharf. Eine volle Minute lang schwieg er, was den Bediensteten völlig verunsicherte.

„Da steht wieder dieses matschige und widerliche Klebezeug herum“, sagte er. „Habe ich dir nicht schon hundertmal und noch öfter gesagt, daß ich das nicht mehr sehen will?“

„Ich werde das sofort wegbringen, Señor Gouverneur. Es ist nur so, daß der ehrenwerte Gouverneur Don Antonio de …“

„Don Antonio ist nicht mehr da, verdammt! Schon lange nicht mehr, hast du das endlich kapiert? Ich will diesen Matsch nicht mehr sehen und nicht mehr riechen. Kandierte Früchte, glasiertes Obst, pfui Teufel! Das kriegt ja kein Mensch runter. Außerdem klebt es entsetzlich, und man verdirbt sich damit nur den Magen.“

„Sie sollen sehr gesund sein, Señor Gouverneur“, wagte der Lakai zu widersprechen.

Martinez lehnte sich mißmutig noch weiter zurück.

„Dann friß sie“, sagte er kurz, „wenn sie so bekömmlich sind.“

Der Lakai schluckte und kriegte einen roten Kopf. Seine Lippen zuckten wie die eines Karnickels.

„Ich warte.“ Martinez trommelte ungeduldig mit den Fingern der rechten Hand auf der Tischplatte herum.

Nach einer kurzen Verbeugung und einer gemurmelten Entschuldigung griff der Lakai in die Schale und hielt eine kandierte Dattel zwischen den Fingern. Er sah sehr unschlüssig aus und zögerte. Aber der drohende und hinterhältige Blick zwang ihn, sich das klebrige Ding in den Mund zu schieben. Mit langen Zähnen kaute er darauf herum, bis er es endlich herunterschluckte.

„Scheint wirklich sehr bekömmlich und gesund zu sein“, höhnte Martinez. „Nur weiter so, mein Freund. In der Schale sind noch mindestens zwei Dutzend von den Dingern. Aber beeile dich. Meine Zeit ist schließlich nicht dazu da, den Lakaien beim Essen zuzusehen. Ich habe wichtigere Dinge zu tun, Amtsgeschäfte.“

Die Amtsgeschäfte des ehrenwerten Gouverneurs bestanden meist darin, daß er sich im Hafen sein Schiff ansah und sich dort an den angehäuften Schätzen berauschte. Er pflegte auch alles sehr sorgfältig zu kontrollieren, obwohl er wußte, daß auf die Kerle an Bord Verlaß war.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Das war sein Motto.

Er betrachtete den Lakaien, der sich eine der kandierten Früchte nach der anderen einverleibte. Steif wie ein Ladestock stand der Kerl da und mampfte das pappige Zeug in sich hinein. Sein Gesicht war angewidert verzogen, was den ehrenwerten Gouverneur boshaft freute. Jedesmal, wenn der Lakai zögerte, traf ihn dieser drohende Blick, der ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ.

„Schneller“, drängte Martinez. „Meine Zeit ist zu kostbar, um vertrödelt zu werden.“

Dem Bediensteten wurde schlecht. Er rülpste einmal laut und verdrehte die Augen. Aber unter den unerbittlichen Blicken aß er weiter, bis endlich die letzte kandierte Frucht vertilgt war. Danach stand er mit grünlichem Gesicht schwankend vor Martinez und verbeugte sich, was wiederum von einem lauten Rülpsen begleitet wurde.

„Keine Manieren, der Pöbel“, tadelte Martinez. „Erst behauptest du Bastard, das Zeug sei gut und bekömmlich, und jetzt kotzt du mir gleich die kostbaren Teppiche voll. Hinaus mit dir! Wenn ich noch einmal kandierte Früchte in meiner Umgebung sehe, dann kriegst du sie so lange zu fressen, bis du daran erstickst.“

Der Lakai flüchtete. Ihm war speiübel. Als er gerade an der schweren Eichentür war, flog ihm die große Kristallschale nach, die er vergessen hatte, mitzunehmen. Blitzschnell schloß er die Tür.

Die Kristallschale flog dagegen und zerplatzte in einem Regen aus Glasscherben.

Martinez fühlte sich jetzt viel wohler. Seinen „Unmut“ hatte er abreagiert.

Da Martinez von Natur aus ein ausgesprochen fauler Hund war, der mit Amtsgeschäften genausowenig im Sinn hatte wie alle seine Vorgänger, beschloß er, nach seinem Schiffchen zu sehen.

Zwei Kerle der Stadtwache begleiteten ihn, weil das dann immer nach einer Amtshandlung aussah. Er ließ sich heute nicht kutschieren, sondern ging zu Fuß. Bis zum Hafen war es ohnehin nur ein Katzensprung.

Seine Karavelle, die er von der Residenz aus nicht sehen konnte, lag an einer Nebenpier vertäut. Drei Kerle standen faul und träge in der morgendlichen Sonne herum. Von den anderen war nichts zu sehen.

Im Hafen lagen an diesem Morgen viele Schiffe. Spanische Galeonen, die be- oder entladen wurden, die Hafenschaluppen, eine große Karavelle, ein alter, morscher Portugiese und unzählige kleine Fischerboote. Auf der Reede, hinter dem Castillo del Morro, lagen nochmals vier spanische, dickbäuchige Galeonen.

Martinez’ Blick fiel auf eine Karavelle, die unter vollem Preß in den Hafen segelte. Sie war leer, wendig und schnell, und den Kapitän schien es nicht zu kümmern, daß drohend die Rohre der Geschütze auf ihn gerichtet waren. Unbeirrbar segelte er weiter unter Vollzeug in den Hafen.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 633

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