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2.

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„Was hat das zu bedeuten?“ fragte Martinez scharf, auf die Karavelle deutend, die so schnell in den Hafen segelte, als wollte sie die Piers rammen und zu Kleinholz verarbeiten. „Ist der Kerl verrückt?“

„Unerhört“, sagte einer seiner Begleiter. „Wirklich unerhört, Señor Gouverneur. Vermutlich ist es das spanische Kurierschiff, das vor einem halben Jahr bereits einmal hier war. Es ist die ‚Veleta‘, wenn ich das richtig erkenne.“

„Nie gehört“, sagte Martinez. Es hatte ihn auch gar nicht interessiert. „Äh, natürlich kenne ich sie“, verbesserte er sich rasch. „‚Die Veleta‘, die vor einem halben Jahr schon einmal hier war.“

„Sehr richtig, Señor Gouverneur.“

Martinez tat so, als freue ihn die Ankunft dieses Schiffes, weil die anderen Kerle schon ganz zappelig waren.

„Was wollen die denn hier?“ fragte er stirnrunzelnd. „Etwa den Geleitzug bewachen, der demnächst in See geht?“

Der andere wußte besser Bescheid als Martinez, ließ sich das aber nicht anmerken. Man fiel hier schnell in Ungnade, und dann war man einen feinen Posten los.

„Sieht so aus, als hätten sie eine Order, Señor Gouverneur. Natürlich kann es auch sein, daß sie für den Geleitzug abkommandiert worden ist. Die Ladung ist ja sehr beträchtlich.“

„Ja, die Ladung.“ Martinez seufzte und grinste still vor sich hin.

Von der Ladung hatte er erst einmal eine „Probe“ nehmen lassen, um die Stempel auf den Gold- und Silberbarren angeblich zu prüfen. Diese Prüfung der mehr als hundert Goldbarren hatte natürlich aus Geheimhaltungsgründen auf seinem Schiff stattgefunden, und diese Prüfung war immer noch nicht abgeschlossen. Sie würde auch nie abgeschlossen werden, und niemand würde mehr danach fragen, sonst hieße es ja, dem ehrenwerten Gouverneur zu unterstellen, daß etwas nicht in Ordnung sei.

Außerdem bestand die Ladung ja nicht aus hundert lausigen Goldbarren, denn immerhin wurden elf spanische Galeonen mit Gold und Silber beladen, die damit nach Spanien segeln sollten. Das alles ging mit allergrößter Geheimhaltung vor sich. Das Volk von Havanna hatte von diesem Transport nicht die geringste Ahnung.

„Sie legen drüben an der alten Pier an“, sagte der stellvertretende Stadtkommandant wichtigtuerisch, obwohl kein Zweifel daran bestand, daß die Karavelle jetzt anlegen würde.

Martinez kniff die Augen zusammen und hatte das Gefühl, als bringe dieser Besuch aus Spanien nichts Gutes. Er beschloß daher spontan, seine Visite auf dem eigenen Schiff zu verschieben.

Erst mal abwarten, was diese Burschen wollen, dachte er.

Ziemlich brüsk drehte er sich auf dem Absatz um.

„Der Kapitän des Schiffes soll sich sofort bei mir melden“, befahl er. „Ich bin in der Residenz.“

„Sehr wohl, Señor Gouverneur.“ Zwei erstaunte Kerle sahen ihm nach, als er umkehrte und ziemlich eilig zurückging.

„Was hat er denn so plötzlich?“ fragte der stellvertretende Hafenkommandant.

„Wahrscheinlich hat er Bauchschmerzen“, sagte der andere respektlos. „Viele Gouverneure kriegen Bauchschmerzen, wenn ganz unerwartet Besuch erscheint, zumal es sich noch um einen Kurier seiner Allerkatholischsten Majestät handelt.“

„Bin wirklich gespannt, was die wohl wollen. Es scheint jedenfalls sehr wichtig zu sein.“

Sie sahen Martinez noch einmal nach, der jetzt fast rannte, so eilig hatte er es.

In seiner Residenz fand er einen stämmigen Mann vor, der scheinbar unterwürfig die Scherben zusammenfegte, die die Kristallschale hinterlassen hatte. Der Mann hatte einen sichelförmigen Schnauzbart und schwarze Augen, die wie poliert aussahen.

Der Mann verneigte sich tief, aber Martinez warf ihm nur einen ungnädigen Blick zu.

„Was tust du hier?“ herrschte er ihn an.

Der Schnauzbärtige verneigte sich noch tiefer und gab sich sehr demütig, eine Geste, die Martinez sehr schätzte.

„Der ehrenwerte Señor Gouverneur möge seinem untertänigen Diener allergnädigst verzeihen. José ist etwas unpäßlich, und da bat er mich, die Scherben zusammenzufegen.“

„So, José ist unpäßlich“, sagte Martinez hämisch. „Das kommt davon, wenn man zu viele kandierte Früchte frißt. Beeil dich jetzt mit dem Zeug und verschwinde dann. Du kannst nachher noch das Schlafgemach in Ordnung bringen. Ich erwarte hohen Besuch.“

„Sehr wohl, Señor Gouverneur“, sagte der Mann.

„Wer bist du überhaupt?“ wollte Martinez wissen. „Ich habe dich hier noch nie gesehen.“

„Ich bin nur zur Aushilfe hier, Señor Gouverneur. Ein untertäniger Diener. Der Kommandant hat mich hergeschickt.“

„Beeil dich, Kerl. Du siehst wie ein Türke aus, aber nicht wie ein Spanier. Wie heißt du?“

„Fernando, Señor Gouverneur. Meine Mutter war Türkin, mein Vater Spanier.“

„Hurenstall“, brummte Martinez. „Sei froh, daß es nicht umgekehrt der Fall war, sonst wärest du ein Bastard.“

Der Mann nickte eingeschüchtert und beeilte sich. Als er die Scherben zusammengekehrt hatte, verschwand er so still wie ein Geist. Dann begab er sich ins Schlafgemach des hohen Herren, um dort aufzuräumen. Von dort aus konnte er alles mithören, was in dem getäfelten Raum gesprochen wurde. Die Wände waren sehr dünn.

Eine gute Viertelstunde später meldete eine Ordonnanz den Besuch eines spanischen Kapitäns.

Der ehrenwerte Gouverneur ließ gnädigst und gelangweilt bitten.

Ein Mann in Uniform mit einem fliehenden Kinn und pechschwarzem Bart trat ein. Seine Augen glänzten fiebrig, der Mund war nur ein zusammengepreßter dünner Strich.

„Capitán de Mérida“, stellte er sich vor. „Ich habe Ihnen eine wichtige Nachricht zu überbringen, Señor.“

„Señor Gouverneur“, verbesserte Martinez überheblich und mit hochgezogenen Brauen. „Das ist die hier übliche Anredeform.“

Der Kerl wußte offenbar gut Bescheid, denn er wischte lässig mit der Hand durch die Luft.

„Das mag dahingestellt bleiben, Señor. Sie sind nicht der offizielle Gouverneur von Cuba, wie Sie selbst wissen. Sie haben keine Bestallung vom spanischen Hof. Dennoch muß ich Sie hier als höchste Instanz anerkennen.“

Zuerst stieg Martinez die Galle hoch, und er wollte aufbrausen. Dann überlegte er sich die Sache anders. Dieser Kerl trat so selbstsicher auf, daß er schon fast beleidigend wirkte. Das konnte nichts Gutes bedeuten und war meist ein schlechtes Omen. Vielleicht war es jetzt sehr schnell mit seiner eigenen Herrlichkeit vorbei, wenn der Kerl die entsprechenden Papiere vorlegte.

„Nun, nehmen Sie erst einmal Platz, Capitán“, sagte er etwas freundlicher. „Darf ich Ihnen vielleicht ein Glas Rotwein anbieten?“

„Nur einen kleinen Schluck, bitte.“

Martinez haute auf den Gong. Der Kerl mit dem sichelförmigen Schnauzbart erschien zu schnell, als habe er darauf gewartet.

„Rotwein!“ befahl Martinez und sah ungeduldig zu, wie der Mann den Wein in zwei kostbare Gläser einschenkte. Ein Blick aus Martinez’ Augen ließ ihn erneut wie ein Flaschengeist verschwinden.

De Mérida nahm nur einen winzigen Schluck, dann legte er die Fingerspitzen aneinander und sah den Gouverneur durchdringend an.

„Ich bedaure zutiefst, Ihnen das Ableben Seiner Allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien, mitteilen zu müssen. Gott, der Herr, sei seiner Seele gnädig.“

Martinez blieb der Rotwein vor Schreck im Hals stecken. Ein riesiger Felsen lastete plötzlich auf seiner Seele. Die Eröffnung ging ihm durch und durch. Er war keinesfalls über den Tod des Königs von Spanien bestürzt, er dachte nur an die Konsequenzen, die sich daraus für ihn ergaben. Vermutlich wurde jetzt alles anders. Vielleicht setzte die neue Regierung einen neuen Gouverneur ein und schickte ihn zum Teufel.

„Das – das ist unfaßbar“, murmelte er bestürzt. „Ich kann meine Trauer kaum in Worte kleiden. Seine Majestät war mir immer ein großes vaterländisches Vorbild, und jetzt – nein, ich kann es wirklich nicht fassen. Das ist der größte Schicksalsschlag, der mich jemals getroffen hat, Capitán.“

Martinez schniefte und wischte sich verstohlen über die Augen. Hoffentlich weiß der Kerl nichts über mich, dachte er angsterfüllt. Der Capitán schien mit einigen sehr unangenehmen Vollmachten ausgestattet zu sein, die seinen Hals kosten konnten. Aber noch war nicht alles verloren.

„Ganz Havanna wird in Schmerz und Trauer versinken“, prophezeite er, obwohl eher das Gegenteil zu erwarten war. Vermutlich würde hier alles eskalieren, wie das schon ein paarmal der Fall gewesen war, wenn Umbesetzungen bevorstanden.

De Mérida sah den heuchelnden Gouverneur durchdringend an. Er erkannte auf Anhieb, daß diese Trauer nur gespielt und keinesfalls echt war. Der ehrenwerte Gouverneur scherte sich den Teufel um Seine Majestät und dachte offensichtlich nur an seine eigenen Pfründe. Der Kerl war ein verdammter Heuchler.

Martinez murmelte etwas von „ewigem Verlust für Spanien und tiefer Betroffenheit in der Neuen Welt“, doch der Capitán nahm ihm schnell den Wind aus den Segeln und blieb kühl und gelassen.

„Die Betroffenheit in der Neuen Welt dürfte sich in bescheidenen Grenzen halten“, sagte er. „Man sollte das Kind ruhig beim Namen nennen, Señor. Spanien hat einen neuen König, und damit werden Spekulationen hervorgerufen. Jeder fragt sich, wie es jetzt weitergehen wird, und darin bilden auch Sie keine Ausnahme.“

„Nun, das ist zweitrangig“, entgegnete Martinez. „Wenn man mich offiziell ernennen sollte, werde ich natürlich aus rein vaterländischen Motiven nicht ablehnen und meinem Volk weiterhin ein treuer Diener sein. Vielleicht wissen Sie mehr darüber, Capitán?“

Der Capitán legte wieder die Fingerspitzen gegeneinander.

„Ich bin bevollmächtigt, in Havanna genaue Untersuchungen anzustellen“, sagte er freundlich. „Vorrangig ist dabei der aus elf Galeonen bestehende Geleitzug, den das Land dringend braucht. Spanien ist mit hundert Millionen Golddukaten verschuldet.“

„Hundert Millionen“, staunte Martinez.

Ein paar davon gingen auch auf sein Konto, wenn er an die gehorteten Schätze auf seinem Schiff dachte. Außerdem hatten die anderen „Gouverneure“ ebenfalls kräftig abgesahnt.

„Ja, hundert Millionen. Das sind nüchterne Fakten, eine traurige Hinterlassenschaft. Spanien braucht daher jeden Gold- und Silberbarren. Natürlich setzt das eine peinliche Kontrolle voraus. Die Beamten an Bord meines Schiffes werden die Bestände, die demnächst in See gehen, einer genauen Kontrolle unterziehen, damit alles seine Richtigkeit hat. Ist Ihnen nicht gut, Señor?“

Martinez war ziemlich bleich geworden. Er faßte sich jedoch schnell wieder.

„Diese Nachricht, diese entsetzliche Nachricht“, stöhnte er, „sie hat mich zutiefst aufgewühlt.“

„Ja, das sehe ich. Es hat Sie sehr mitgenommen, aber viele andere ebenfalls. In etwa einer Stunde werden wir damit beginnen, alles aufzulisten. Ich setze voraus, daß Sie mir dabei behilflich sind. Sie wissen ja, daß es immer wieder korrupte Beamte gibt, die keine Skrupel haben, sich an den Schätzen des Königs zu vergreifen.“

„Ja, das soll es geben“, sagte Martinez tonlos, der sehr schnell merkte, daß jetzt ein anderer Wind in Havanna zu wehen begann. Mit den linden Lüften war es vorbei. „Was geschieht dann mit denjenigen? Ich – äh – ich meine, falls es hier auch solche Halunken geben sollte, von denen ich natürlich nichts weiß.“

„Kraft meiner Vollmachten lasse ich die Kerle aufknüpfen, öffentlich natürlich. Das ist doch selbstverständlich“, entgegnete der Capitán freundlich. „Aber Sie möchten sicherlich die neuen königlichen Vollmachten sehen, Señor.“

Martinez wollte am liebsten gar nichts mehr sehen. Er schluckte hart und wäre am liebsten getürmt, aber so schnell ging das nicht.

Aufknüpfen, öffentlich! dachte er. Das waren ja feine Aussichten. Ganz sicher kriegten diese Beamten und dieser kühle Capitán sehr schnell heraus, was er bisher getrieben hatte und daß er außerdem über ein eigenes Schiff verfügte. Sie würden dann auch noch schneller herausfinden, daß dieses Schiff vollgestopft war mit Gold- und Silberbarren, Kleinodien und Perlen. Daß man diesen gewaltigen Reichtum dem „Gouverneur“ nicht geschenkt oder geopfert hatte, würde den Kerlen auch bald klar sein.

Zudem störte ihn ganz entsetzlich, daß ihn dieser Capitán offenbar nicht für voll nahm oder anerkannte. Noch kein einziges Mal hatte er ihn mit seinem Titel angeredet. Für ihn war er nur ein einfacher Señor, sonst gar nichts.

„Ja, richtig, die Vollmachten“, murmelte er geistesabwesend. „Aber ich glaube Ihnen auch so.“

„Hier muß alles seine Richtigkeit haben“, unterbrach ihn die kühle Stimme des Capitáns. „Hier sind die Papiere, Señor.“

Er breitete amtliche und versiegelte Schreiben auf dem Tisch aus, bis Martinez’ Augen immer größer wurden.

„Ich – äh – hoffe doch, daß ich weiterhin Gouverneur von Cuba bleibe“, sagte er etwas lahm. „Ich meine, äh, bestallter, sozusagen, denn ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen.“

„Vorerst bleiben Sie provisorisch im Amt, zumindest solange, bis der Geleitzug zusammengestellt ist. Ich brauche wohl nicht zu betonen, daß dieser Schatz-Konvoi als streng geheim einzustufen ist. Wer darüber auch nur ein Sterbenswörtchen verliert, landet im Kerker, aber nicht nur für ein paar Wochen. Um diese Ladung geht es jetzt, denn sie ist außerordentlich wichtig. Sie erhalten hier alle Unterlagen, die Sie dem General-Kapitän des Geleitzuges übergeben werden. Es ist Don Ricardo de Mauro y Avila. Der Konvoi wird auf Ost-Nord-Ost-Kurs nach Teneriffa segeln. Treffpunkt dort ist der Haupthafen Santa Cruz de Tenerife.“

Martinez sah den Capitán ungläubig an.

„Die Konvois segeln meist über die Azoren“, wandte er schüchtern ein. „Das hat es bisher noch nie gegeben. Darf ich den Grund erfahren?“

„Der Grund ist allerstrengste Geheimhaltung. Unsere Konvois werden immer wieder überfallen und ausgeplündert. Die Krone hat das lange genug fast ohnmächtig hinnehmen müssen. Wenn irgendwo ein Verräter sitzt, dann …“

Der Capitán sprach nicht weiter, doch an seinem Blick erkannte Martinez, was er sagen wollte. Er schluckte schwer.

„Ich verstehe. Streng geheim also.“

„Sogar der Zielhafen ist noch geheim“, fuhr der Capitán fort. „Ihn kennt nur der Kommandant der spanischen Kriegsgaleone ‚Casco de la Cruz‘. Das ist Don Julio de Vilches, der den Konvoi ab Santa Cruz weitergeleiten wird. In groben Zügen ist das eigentlich alles, Señor.“

„Sie werden den Konvoi nicht begleiten, Capitán?“

„Nein. Unsere Aufgabe ist eine andere. Wenn wir die Untersuchungen in Havanna abgeschlossen haben, segeln wir weiter, um unsere traurige Pflicht zu erfüllen und die Neue Welt zu unterrichten. Verschließen Sie diese Unterlagen gut. Ich werde später noch mit dem Capitán persönlich eine Unterredung führen.“

„Natürlich, natürlich“, dienerte Martinez.

„Ich brauche jetzt die genaue Auflistung, damit meine Beamten alles kontrollieren und verbuchen können. Sie werden die Freundlichkeit haben, mir diese Listen nunmehr vorzulegen.“

Martinez hatte eine Qualle im Hals, die sich immer mehr aufblähte und gewaltige Dimensionen annahm. Er kriegte kaum noch Luft, und ganz übergangslos erschienen auf seiner Stirn feine Schweißperlen.

„Die Listen, ach ja! Ich – ich werde sie gleich holen, damit Sie alles durchgehen können.“

Der Capitán würde sehr schnell herausfinden, daß die meisten dieser Listen gefälscht oder nachträglich „verbessert“ worden waren, und dann ging es ihm, Martinez, an den Kragen. Er wischte sich mit einer fahrigen Bewegung über die Stirn.

Himmel, was sollte er nur tun? Er steckte bis zum Hals im Sumpf, der bald über ihm zusammenschwappen würde. Für den routinierten Capitán und seine Beamten würde ein schneller Blick genügen, um die Fälschungen zu erkennen.

Da hatte ihm Seine Allerkatholischste Majestät nach seinem Ableben noch eine feine Suppe eingebrockt!

Martinez suchte die Schuld an der Pleite nicht bei sich selbst, denn er sagte sich, wenn der König nicht gestorben wäre, hätte auch niemand etwas herausgefunden. Also war der König schuld an seinem Dilemma.

Natürlich hatte er den weiteren Ärger auch diesem de Mérida zu verdanken.

„Was – was sagten Sie?“ hörte er sich wie aus weiter Ferne murmeln.

„Ich fragte, wir hoch Ihr persönliches Vermögen ist, Señor. Aber Sie hören offenbar gar nicht zu.“

„Mein – mein persönliches Vermögen?“ stammelte Martinez. „Ach, das ist nicht der Rede wert. Ich habe nicht mal ein eigenes Haus wie meine anderen Vorgänger, und ich benutzte auch kaum die Karosse, die mir eigentlich zusteht. Mein Gehalt als Staatsdiener hat mir immer gereicht. Man ist ja bescheiden.“

„Leider kann das nicht jeder von sich behaupten“, meinte de Mérida. In seiner Stimme klang unverkennbar Ironie mit, die Martinez genau heraushörte.

Seine Knie waren jetzt wie Pudding, als er sich erhob, und die Schweißperlen auf seiner Stirn wurden größer.

„Ihnen ist anscheinend nicht gut“, hörte er die Stimme wie aus dichtem Nebel sagen. Das Gesicht des Mannes verschwamm vor seinen Augen, wurde mal größer und mal kleiner, bis es schließlich gegenstandslos verwischte und nur eine schimmernde Fläche war.

Martinez ging schwankend in den Nebenraum, dessen Fenster mit schweren Eisengittern versehen waren. Hier lagerten die Papiere, und hier befand sich auch die Kriegskasse, aus welcher der Sold an die Soldaten und Bediensteten gezahlt wurde.

An der Wand hingen in Kopfhöhe zwei gekreuzte Degen, die noch von Don Antonio oder de Escobedo stammten. So genau wußte Martinez das nicht mehr.

Sein Blick blieb wie festgenagelt an den Degen hängen. Er starrte sie mit brennenden Augen an. Seine Lippen verzogen sich zu einem diabolischen Grinsen, und dann schossen ihm krause Gedanken durch den Kopf.

Er hatte keine Chance mehr, wenn die Untersuchungen begannen, nicht die kleinste Chance, ungeschoren davonzukommen. Der Capitán würde ihn am Galgen zappeln lassen.

Martinez wußte genau, wo dieser Galgen stand, nämlich am Beginn der Paseo de Prado, wo der alte Marktplatz war. Schon viele hatten dort am Galgen ihr Leben ausgezappelt.

Er zwang sich zur Ruhe, während er auf die Degen starrte. Ja, einer der Degen war seine letzte Rettung.

Wenn er de Mérida umbrachte, konnte er ungehindert verschwinden. Tat er es nicht, dann war er erledigt. De Mérida würde herausfinden, daß er ein Schiff besaß, wenn er es nicht überhaupt schon wüßte, und dann half ihm keine Ausrede mehr.

Mechanisch und mit starren Blicken nahm er einen der Degen aus der Wandhalterung und wog ihn kurz in der Hand.

Dann trat ein höhnisches Grinsen auf seine Züge.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 633

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