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1.

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Der alte Donegal Daniel O’Flynn stand neben seinem Sohn Dan auf dem Achterdeck und blickte mit gerunzelter Stirn auf das Durcheinander von Karten, die der Seewolf und Dan ausgebreitet hatten. Beschwert waren die Seekarten mit einem Jakobsstab und einem kleinen Handkompaß.

Hasard und Dan rechneten, verglichen und trugen die Distanzen ein, die sie zurückgelegt hatten.

Für Donegal war die äußerst schwierige Navigation immer noch ein Buch mit sieben Siegeln und würde es auch bleiben.

„Wieso, zum Teufel, könnt ihr behaupten, wir befinden uns genau da und dort, wo es doch, verdammt noch mal, keine Linien im Wasser gibt, an denen man sich orientieren könnte. Das grenzt immer wieder an Hexenwerk und Zauberei“, sagte er grollend.

„So schwer ist das gar nicht, Dad“, erwiderte sein Sohn, der die Geheimnisse der Navigation vom Seewolf gelernt hatte.

„Wir haben von überall Karten angefertigt, nach denen wir uns richten können. Wir messen die zurückgelegte Strecke, peilen die Sonne über dem Horizont an und schon haben wir …“

„Schon haben wir gar nichts“, sagte O’Flynn rechthaberisch und stampfte mit dem Holzbein nachdrücklich auf die Planken. „Ihr faselt von Längenkreisen, Breitenkreisen, nördlicher und südlicher Breite, und genaugenommen seht ihr nur Wasser wie die anderen auch, und nicht mehr. Wie, zum Beispiel, wollt ihr wissen, ob wir jetzt über dem lausigen Äquator oder schon darunter sind, he?“

„Da stehen doch die Schilder mit dem großen Buchstaben Ä drauf“ sagte Dan todernst. „Sieht man sie von Norden, steht außerdem noch Süden drauf, und sieht man sie vom Süden steht Norden drauf. Schon gut, Dad“, meinte Dan beschwichtigend, als er sah wie der Alte krebsrot anlief. „Mit den Längenkreisen haben wir tatsächlich immer noch Schwierigkeiten, aber unsere Position können wir trotzdem ziemlich genau bestimmen. Sogar der Profos kann dir auf Anhieb sagen, wo wir jetzt sind.“

Carberrys Narbengesicht verdunkelte sich leicht, als er den grinsenden Dan von der Seite ansah. Wollte der ihn etwa auf den Arm nehmen?

„So“, sagte der alte O’Flynn. „Und wo sind wir jetzt, Ed?“

„Äh – mitten auf dem Meer“, sagte Carberry. „Und wenn du es ganz genau wissen willst, mitten im Atlantischen Ozean, Donegal.“

Die Männer auf dem Achterkastell lachten, bis auf O’Flynn, der den Profos ärgerlich ansah.

Hasard nahm den Alten beiseite und lächelte.

„Sieh mal nach vorn, Donegal“, sagte er. „Wir laufen, seit wir die Azoren hinter uns gelassen haben, auf Südwestkurs mit Wind aus Nord, also mit Steuerbordhalsen auf Backbordbug.“

„Das hätte ich nie erraten“, sagte O’Flynn grimmig. „Und an den Masten hängen Segel, die uns vorwärtstreiben, was? Wenn ihr einen alten Mann zum Idioten erklären wollt, dann könnt ihr was erleben, ihr – ihr triefäugigen Seegurken.“

„Nun gut“, lenkte Hasard ein. „Dann sage ich dir unsere Position, wenn es dir so lieber ist. Wenn wir richtig gerechnet haben, befinden wir uns jetzt auf dreiundreißig Grad und zwanzig Minuten nördlicher Breite und etwa achtundfünfzig Grad und fünfundvierzig Minuten westlicher Länge. In ein paar Tagen überschreiten wir den nördlichen Wendekreis, und liegen damit also schon heute mit Kurs auf die Schlangen-Insel. Korrigieren müssen wir natürlich, denn da gibt es Abdriften, Meeresströmungen und die merkwürdige Tatsache, daß der Kompaß unterhalb des Wendekreises oft verrückt spielt.“

„Trotzdem könnt ihr euch verrechnet haben.“

„Natürlich, das streitet ja auch keiner ab.“

„Also stimmt die Position nicht genau“, beharrte O’Flynn. „Das wollte ich nur wissen. Ihr gebt damit also zu, daß die Navigation nicht ganz genau ist, und daß wir auch woanders als auf der Schlangen-Insel herauskommen können.“

„Das passiert leider viel zu oft.“

O’Flynn grinste zufrieden. Zum Teufel, er ließ sich doch nicht einreden, man wäre mitten im Atlantik haargenau an diesem oder jenem Punkt.

„Also ist das keine Hexerei, sonst wäre es genauer“, stellte er noch einmal fest.

„Es sind mühsame Berechnungen und Irrtümer auf keinen Fall dabei ausgeschlossen. Du hast doch schon oft dabei zugesehen.“

„Ich will mit dem Kram nichts zu tun haben.“

„Ich zeige und erkläre es dir aber gern noch genau, Donegal.“

„Später mal“, wehrte der Alte ab, „jetzt muß ich mich um die Lausebengels kümmern, die haben bestimmt wieder was angestellt. Der Kutscher brüllt schon seit einer ganzen Weile herum.“

Hasard war der Kutscher auch schon aufgefallen, der ab und zu händeringend und fluchend aus seiner Kombüse rannte, mit den Händen fuchtelte und brüllte. Aber seine beiden Söhne, Hasard und Philip, hatten damit anscheinend nichts zu tun, denn des Kutschers Gebrüll galt merkwürdigerweise dem karmesinroten Papagei Sir John, der auffällig oft in der Kuhl und in der Nähe des Vordecks herumflatterte.

Hasard war das erst aufgefallen, seit sie die Azoren passiert hatten und sich auf dem Weg nach Süden befanden. Sollten die beiden Bengels wirklich etwas ausgeheckt haben?

Na egal, Donegal würde sich schon darum kümmern. Er kannte auch die Schliche und Tricks der beiden oder glaubte jedenfalls sie zu kennen, so ganz sicher konnte man da nicht sein.

O’Flynn humpelte nach vorn, blieb in der Kuhl einmal stehen und sah sich um.

Über ihm wölbte sich strahlend blauer Himmel. Es war angenehm warm. Der Wind blies aus Nord und jagte die „Isabella VIII.“ über das Meer. Es war eine Lust auf diesem Schiff zu fahren, dachte der Alte immer wieder, überhaupt wenn er sich um die lausige Navigation nicht zu kümmern brauchte. Dafür gab es Jüngere, wie seinen Sohn Dan, den die ganze Rechnerei geradezu berauschte und der sich mit wahrer Hingabe dem Schreibkram widmete.

Der ranke Dreimaster segelte unter vollem Zeug, die Segel waren prall gefüllt, und der Wind sang in der Takelage.

O’Flynn hatte also allen Grund, zufrieden zu sein, und doch war er es nicht ganz, denn tief in seinem Innern gab es wieder eine mahnende Stimme, die ihm etwas einflüsterte. Es war nur ein Wort. Das hieß „Sargassomeer“, und davor graute es ihn schon heute. Dort war es nicht geheuer, und er hätte wer weiß was darum gegeben, diesen Alptraum von Meer schon hinter sich zu haben. Das Sargassomeer war die bittere Pille auf dem Weg zur Schlangen-Insel, und an dieser Pille pflegte O’Flynn einige Tage lang zu schlukken.

Er dachte an die teuflischen Braunalgen, an Meermänner, Seespuk und Geisterschiffe, aber er nahm sich vor, diesmal mit keinem darüber zu reden. Alter Spökenkieker, sagten dann die meisten, obwohl sie sich hinterher meist lahm entschuldigten, denn ab und zu hatte Old O’Flynn tatsächlich das sogenannte Zweite Gesicht, auch wenn die Kerle das vorher nicht wahrhaben wollten.

Hasard und Philip grinsten ihn an, als er sich näherte und dicht vor dem angelehnten Kombüsenschott stehenblieb. Sie grinsten so harmlos wie immer, wenn sie etwas ausgefressen hatten – oder wenn sie dabei waren, etwas auszuhecken.

„Jubelt ihr dem Kutscher wieder Ratten unter?“ fragte O’Flynn. Das üble Spielchen kannten mittlerweile die meisten, aber der treuherzige Kutscher fiel immer noch darauf herein. Er hatte ihnen unlängst versprochen, jede tote, von den Zwillingen erlegte Ratte an Bord der „Isabella“ mit Kandiszucker oder einem anderen Leckerbissen zu honorieren, und von da an hatte es auf dem Rahsegler plötzlich von Ratten nur so gewimmelt. Ganze Heerscharen schienen sich in der Vorpiek und den Laderäumen aufzuhalten.

Die Zwillinge brachten dem Kutscher die erlegten Ratten, erhielten ihre versprochene Leckerei, bedankten sich artig und nahmen die toten Ratten dann gleich mit an Deck, um sie vor den Augen des Kutschers über Bord zu werfen.

Der Kutscher sah auch jedesmal etwas ins Wasser fliegen und zeigte sich hocherfreut. Nur waren das keine Ratten, sondern Holzstücke, und so erschienen die beiden etwas später wieder in der Kombüse und jubelten dem Kutscher die alten Ratten als neuerlegte unter.

Die beiden gaben sich entrüstet.

„Das tun wir nicht mehr, ganz bestimmt nicht“, versicherte Hasard ernstlich. „Wir spielen nur mit dem Papagei. Wir lernen ihm zu fliegen.“

Das Englisch, das die beiden sprachen, war noch etwas miserabel, und daher verbesserte O’Flynn: „Wir lehren ihn zu fliegen, heißt das.“

„Ja, wir lehren ihm, daß er fliegen kann.“

O’Flynn gab es auf, das mußte die Zeit mit sich bringen. Die beiden Kerlchen waren ohnehin Sprachtalente, und sie würden die Feinheiten schon noch lernen.

Er drehte sich um, stellte sich ans Schanzkleid, und es dauerte auch nicht lange, bis sein Mißtrauen erwachte. Verblüfft kratzte er sich mit dem Finger das Kinn.

Verdammt, dachte er. Wollten die gewitzten Rübenschweinchen, wie Carberry sie immer nannte, ihn foppen? Der Papagei konnte längst fliegen, dem brauchte man das nicht mehr beizubringen. Der flog sogar lange Runden um das gesamte Schiff, kurvte auch ab und zu ein Stück auf See hinaus und kehrte wieder zurück. Und da wollten die beiden ihm das Fliegen beibringen? Da stimmte doch etwas nicht!

Er musterte sie scharf, aber in den jungen Gesichtern lag alle Ehrlichkeit dieser Welt. Sie standen da, ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten, hatten die Hände hinter den Rücken verschränkt und starrten aus eisblauen unschuldsvollen Augen in die Welt.

„Wenn ihr dem Affen das Fliegen beibringen wollt“, knurrte Old O’Flynn, „dann hätte ich das ja noch geglaubt. Aber dem Papagei – da müßt ihr euch schon etwas anderes einfallen lassen.“

Er sah sich nach dem Papagei um und zuckte zusammen, als der Aracanga plötzlich mit gesträubtem Gefieder kreischend, schimpfend und laut krächzend aus der Kombüse herausflatterte, verfolgt von dem grimmig dreinblikkenden Kutscher, der ihn mit lauthals gebrüllten Flüchen und Händegewedel zum Fockmast hochscheuchte.

Da blieb das „Mistvieh“, wie Donegal es nannte, aufgeplustert hocken und hackte mit seinem starken Schnabel voller Bosheit Löcher in die Luft. Wie ein bis aufs Blut gereizter Hahn sah er jetzt aus.

„Was ist los, Kutscher?“ fragte O’Flynn.

Der Kutscher, seinen wirklichen Namen hatte er den Männern an Bord nie verraten, blickte verstört drein und warf dem krächzenden Papagei wilde Blicke zu.

„Ich weiß nicht, was, zum Teufel, in diesen lausigen Federbalg gefahren ist, Donegal“, sagte er. „Dauernd kreuzt das Vieh in der Kombüse auf, fliegt mir über den Schädel, jagt über die Kessel und den Herd und krächzt in der Kombüse herum. Das geht jetzt schon einige Tage so. Wenn ich das Vieh erwische, dann gibt’s eine schmackhafte Brühe, das verspreche ich dir.“

Donegal drehte sich um und warf den Zwillingen einen fragenden Blick zu, aber die hoben nur die Schultern. Ihre Gesichter waren ratlos, und sie grinsten auch nicht.

„Ihr bringt ihm doch angeblich das Fliegen bei“, sagte Donegal mißtrauisch. „Weshalb dann ausgerechnet in der Kombüse?“

Die beiden spielten wieder Unschuldslämmer.

„Vielleicht Sir John lieben Kutscher“, vermutete Hasard ernsthaft. „Oder hat vielleicht Hunger.“

„Ich kriege das schon noch heraus“, versprach der Alte grimmig. „Da steckt etwas dahinter, eine Lausbuberei, das weiß ich. Außerdem ist Sir John auffallend oft in eurer Nähe, und ich habe gesehen, daß ihr ihn füttert.“

„Sir John hat auch Hunger“, sagte Philip.

Der Alte blieb mißtrauisch. Was die Zwillinge mit dem Papagei taten, sah fast nach einer Dressur aus, aber Donegal blickte da noch nicht durch.

Der Aracanga hatte sein Krächzen aufgegeben und segelte aus luftiger Höhe wieder auf Klein-Hasards Schulter.

Der Kutscher donnerte das Schott zu und ließ sich nicht mehr blicken.

„Keine Lumperei“, warnte O’Flynn noch einmal nachdrücklich.

Dann ging er zurück aufs Achterdeck, wo Hasard, Dan und Ben Brighton immer noch damit beschäftigt waren, den Kurs abzustekken und die Position zu bestimmen.

„Alles in Ordnung?“ fragte der Seewolf.

„Ich weiß nicht, was die Burschen wieder aushecken, aber der Papagei fliegt ständig durch die Kombüse, und der Kutscher hat ziemlich üble Laune.“

„Vielleicht necken sie ihn nur. Ich sehe da jedenfalls nichts Schlimmes.“

„Ich auch nicht“, sagte Donegal, „wenigstens noch nicht.“

Damit war das Thema vorerst erledigt, und man schrieb es dem Spieltrieb der Zwillinge zu, die sich ja mit irgend etwas beschäftigen mußten.

Etliche der Seewölfe waren damit beschäftigt, die Kammern und Aufenthaltsräume des Schiffes auszuwaschen und zu durchlüften. Das wurde jede Woche einmal praktiziert, damit an Bord immer Sauberkeit herrschte.

Old O’Flynn zuckte plötzlich zusammen, als das berüchtigte Stichwort fiel. Ausgerechnet sein Sohn sagte es.

„In ein paar Tagen segeln wir wieder durch das Sargassomeer. Das erinnert mich immer daran, als wir durch Zufall die Schlangen-Insel fanden und dort auf die Rote Korsarin stießen. Hoffentlich bleiben wir diesmal nicht wieder in den verdammten Algen hängen.“

Hasard schüttelte den Kopf. „Diese Algenfelder gibt es nicht das ganze Jahr, soviel ich gehört habe. Sie treten periodisch auf, ballen sich dann zusammen und lösen sich auch wieder auf.“

O’Flynn wurde ganz kribbelig zumute. Er lehnte mit verkniffenem Gesicht an der Schmuckbalustrade des Achterdecks und trommelte mit den Fingern ungeduldig auf dem Handlauf herum. Mißmutig blickte er in das quirlige Wasser, das blasenreich an der Bordwand der „Isabella“ vorbeizog und sich achteraus zu einer schaumigen langen Bahn vereinigte.

Ein Fisch sprang aus dem Wasser, schnalzte hoch, breitete seine Flossen aus und flog neben dem Schiff über dem Wasser her.

„Ein fliegender Hering!“ schrie O’Flynn. „Mann, der ist ja bald schneller als wir.“

Zwei weitere fliegende Fische sausten aus dem Wasser, und das brachte die Crew auf die Beine.

„Los, bewaffnet euch mit Haken!“ rief Hasard. „Das gibt eine köstliche Abwechslung.“

Die Seewölfe kannten das Phänomen der fliegenden Fische durch ihre zahlreichen Fahrten. Es war beileibe kein Spiel, wenn die Fische, aufgescheucht durch den Bug der „Isabella“, seitwärts aus dem Wasser sprangen und durch die Luft segelten. Nicht selten legten sie dabei mehr als hundert Yards fliegend zurück.

Wo immer die Fische flogen, gab es die großen Bonitos oder Makrelen, die sich auf ihre Beute stürzten und sie gierig verschlangen, sobald sie ins Meer zurückglitten.

Hasard blickte nach achtern ins Wasser und sah seine Vermutung augenblicklich bestätigt. Ein riesiger, wie ein Komet dahinziehender Schwarm Bonitos begleitete das Schiff. Tausende von glitzernden Fischleibern zogen in einem riesigen Schwarm dahin und stürzten sich auf die fliegenden Fische. Hatte sich einer in einen der Flugfische verbissen, so geschah es nicht selten, daß ein Bonito sofort den anderen angriff und aus seinem Leib handtellergroße Stücke Fleisch herausfetzte. Bonitos waren grausame Kannibalen, und sie wiederum zogen Haie an, die sich an dem Mahl beteiligten.

Ferris Tucker hatte sich von Will Thorne weiße Leinenfetzen geben lassen. Das weiße Tuch war ein guter und billiger Köder, den die Bonitos gierig angingen.

In aller Eile wurden die weißen Lappen um dreizöllige Eisenhaken gewunden und mit langen dünnen Leinen versehen.

Die ersten flogen bereits über Bord, als der Kutscher schon aufgeregt erschien und sich die Hände rieb.

„Denkt an die Haie!“ schrie er. „Mit dem ersten Bonito als Köder fangen wir einen Hai, und dann gibt’s die nächsten Tage immer frischen Fisch. Wir haben jede Menge Tomaten an Bord von den Azoren. Ich werde euch ein Essen zaubern – ah – da werdet ihr ewig dran denken.“

„Los, drauf auf die Burschen!“ rief der Profos. „Wir werden den Kutscher beim Wort nehmen.“

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 165

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