Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 165 - Fred McMason - Страница 5

2.

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Der erste Bonito biß an dem Fetzen an, den Smoky in der Hand an langer Leine hielt. In wilder Gier stürzte sich der Bonito auf den umwickelten Haken und hing fest.

Der Decksälteste holte Hand über Hand die Leine ein und mußte sich mächtig anstrengen, seinen Fang an Bord zu hieven, denn jetzt begann der Bonito zu toben und zu zappeln.

Smoky schleuderte ihn in die Kuhl, wo der Kutscher schon gierig auf ihn lauerte.

„Himmel“, sagte er, „der Bursche dürfte gut und gern seine zwanzig Pfund haben.“

Ein neuer Haken wurde gebracht, fast so stark wie ein Männerarm, auf den der Kutscher den Bonito als Köder spießte. Er wartete aber noch damit, ihn über Bord zu werfen.

Inzwischen bissen auch an die anderen Leinenfetzen die großen Hochseefische in unbeschreiblicher Gier an. Kaum war der umwickelte Haken im Wasser, stürzten sich von allen Seiten die Bonitos darauf, bissen sich fest, schluckten den Haken und wurden von ihren eigenen Artgenossen noch am Köder hängend angegriffen.

Hinter der „Isabella“ kochte und brodelte das Meer. Breite silberne Streifen wälzten sich durchs Wasser, dann erschienen die ersten dreieckigen Flossen in dem Rudel.

Stenmark hievte seine Beute an Bord, Tucker zog den nächsten heraus, Shane holte seine Beute ein, und innerhalb kürzester Zeit lagen auf den Planken mehr als zwei Dutzend große Bonitos.

Dann stob der Riesenschwarm blitzartig auseinander, als die Haie dazwischenfuhren. Das Gewühl wurde größer, in der See tummelten sich Riesenleiber, doch dann war es schlagartig vorbei.

Die Haie hatten das Nachsehen, als der Schwarm aus blinkenden Leibern nach allen Seiten davonstob.

Sechs oder sieben Haie bewegten sich flink im Kielwasser des Rahseglers, aber sie fanden keine Beute mehr.

Der Kutscher warf seinen Köder über Bord und hielt die starke Leine in der Hand.

„Du willst wohl über Bord gehen, was?“ sagte Carberry. „Glaubst du etwa, du kannst den Burschen lässig mit einer Hand halten, wenn er anbeißt! Mann, belege das sofort am Poller, oder gib mir die Leine! Du gehst garantiert nach achtern ab, wenn der Köder sitzt.“

Carberry, Tucker und Shane befanden sich jetzt in der Kuhl.

Die Leine war belegt worden. Der Bonito tobte an seinem Haken und sprang immer wieder aus dem Wasser.

Ein Schatten schoß auf ihn zu und beschrieb eine halbe Drehung im Wasser. Sekundenlang klaffte ein entsetzlich großes, mit scharfen Doppelreihen Zähnen bewehrtes Maul auf. Der zwanzig Pfund schwere Fisch verschwand in dem Rachen und wurde verschluckt, einschließlich des schweren Hakens.

„Aufpassen!“ schrie Carberry. „Jetzt geht’s rund!“

Als der Hai merkte, daß er mit dem Fisch zusammen auch noch etwas geschluckt hatte, das er eigentlich nicht wollte, begann er wie rasend auf Tiefe zu gehen.

Carberry fierte Leine nach, bis der Holzpoller zu qualmen anfing und kleine Rauchwölkchen emporstiegen.

Tief unter ihnen begann das Tiefsee-Ungeheuer zu toben, kehrte wieder an die Oberfläche zurück und schoß halb aus dem Wasser.

Carberry und Shane holten die Leine wieder ein, fierten nach, und begannen zu schwitzen.

Immer öfter sprang der große Hai aus dem Wasser, riß den Rachen auf, um den Haken loszuwerden, schlug mit dem Schwanz wild um sich und krachte einmal gegen die Bordwand, daß die Erschütterung die Planken ächzen ließ.

„So kriegen wir ihn nicht“, meinte der ehemalige Schmied von Arwenack, Big Old Shane. „Wir müssen ihn weiter achteraus toben lassen, bis er die Kräfte verliert und ermattet. Wir stecken noch eine Leine an die andere und lassen ihn hinterherschwimmen.“

Das Tau wurde verlängert und Lose gegeben. Der Hai drehte ab und zog die Leine hinter sich her.

Mehr als sechzig Faden liefen nach und immer mußte noch weitergefiert werden, denn der gefräßige Bursche fand sich noch lange nicht mit seinem Schicksal ab.

Länger als eine Stunde tobte er im Kielwasser der „Isabella“ herum, sprang aus dem Wasser, wälzte sich herum, bis man seine helle Unterfläche sah, und versank dann wieder.

Ab und zu tauchte er ganz überraschend neben der Bordwand auf, knallte gegen die Planken und schlug wild mit dem Schwanz.

Die „Isabella“ segelte weiter, aber der Bursche brachte es fertig, die Fahrt des Schiffes merklich zu verzögern.

Das ging nochmals eine Stunde so, dann war der Gigant der Tiefsee erschöpft und ließ sich ziehen.

Der Kutscher sprang aufgeregt an Deck hin und her. Er konnte es nicht erwarten, bis der Riesenfisch an Bord war. Aber das dauerte noch eine ganze Weile und war nur mit der Hilfe von etlichen Männern zu bewältigen.

Hasard ließ die Segel bergen, bis die „Isabella“ nur noch langsam in der See dümpelte.

„Vorsicht, wenn ihr ihn an Bord holt“, warnte er. „Auch wenn er entkräftet ist, ist er immer noch gefährlich genug! Paßt also auf und geht nicht so dicht ran!“

Die Jagd auf den Riesenfisch hatte die Gemüter erhitzt. Endlich gab es wieder Abwechslung und dazu die Aussicht auf frischen Fisch. Hai war ein Lekkerbissen, das wußten die Seewölfe zu schätzen, obwohl sein Fleisch von vielen anderen verschmäht wurde. Aber die waren auch noch nicht so weit herumgekommen wie die Crew des Seewolfs.

Eine Talje wurde am Mast befestigt, dann eine weitere.

Carberry ließ eine Tauschlinge ins Wasser, und nach vielen Versuchen gelang es ihm, sie dem Hai über die Schwanzflosse zu streifen und mit einem Block zu verbinden.

„Hiev auf!“ rief der Profos. „Und denkt daran, was der Kapitän gesagt hat!“

Mit vereinten Kräften wurde gehievt, bis der Hai mit dem gewaltigen Schwanz voran aus dem Wasser tauchte. Als er frei in der Luft hing, begann er noch einmal zu zappeln, und die Männer hatten alle Mühe, ihn in die Kuhl zu hieven.

Er lag kaum auf den Planken, als Hasard wieder Segel setzen ließ und die „Isabella“ Fahrt aufnahm.

Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann, griff zu seiner angsteinflößenden Riesenaxt und tötete den Hai mit drei blitzartig geführten Hieben.

Dann wurde er zum Ausschlachten wieder hochgehievt.

Da geschah das, wovor der Seewolf gewarnt hatte.

Obwohl alle sicher waren, daß die drei Axtschläge den Hai getötet hatten, steckte noch Leben in ihm, und das äußerte sich in einem wilden Sprung, bei dem sich der Riesenkörper wild durchbog.

Die Belastung für das Tau wurde zu stark, und es brach mit einem hellen Knall.

Der große Hai fiel polternd und unter lautem Getöse auf die Planken der Kuhl und ließ das ganze Deck heftig erzittern.

Der Gambia-Neger Batuti, der schwarze Herkules aus Afrika, sprang mit einem wilden Fluch zur Seite, als der Körper dicht neben ihm aufschlug, aber Batuti war nicht mehr schnell genug.

Der Schwanz peitschte ein letztes Mal über Deck und erwischte den Herkules. Der schwere riesengroße Mann wurde weggefegt, als wäre er eine Feder. Der Schlag warf ihn quer durch die Kuhl, über die Gräting weg bis zur anderen Seite des Schanzkleides, wo er hart dagegenkrachte.

„Himmel!“ rief der Kutscher. „Der hat sich jeden Knochen einzeln gebrochen, der arme Kerl.“

Er rannte zu Batuti hinüber, doch der dunkle Riese erhob sich und schüttelte seine mächtige Faust.

„Mistfisch!“ schrie er, „Trittarsch, Krummhund! Verdammich, hat viel Kraft, das elende Hai. Batuti fressen auf, ganz allein.“

Der Neger wurde ungläubig angeblickt, als wäre ein Wunder geschehen. Er aber trug nicht die geringste Verletzung davon. Dafür fluchte er lauthals auf den hinterhältigen Fisch.

„Und dir fehlt wirklich nichts?“ fragte der Kutscher staunend.

„Batuti nix fehlen“, wehrte der Neger unwirsch ab. „Aber verdammichtes Hai gleich alles fehlen, was hat.“

Die Spannung löste sich in einem befreienden Gelächter, als Batuti haarklein schilderte, was er dem nun endgültig toten Fisch noch alles antun würde.

„Das waren die letzten Reflexe“, sagte der Kutscher. „Ich bin sicher, daß Ferris ihn getötet hat, aber in Zukunft wißt ihr etwas besser Bescheid.“

„Damit konnte niemand rechnen, du Kombüsenquietscher“, sagte der Profos. „Er hing schon oben zum Ausschlachten, und nur weil das verdammte Tau brach …“

Er winkte ab, und dann gingen sie wieder daran, den Riesenfisch zum Ausschlachten hochzuhieven. Diesmal rührte er sich nicht mehr.

Der Hai wurde zerlegt, zerteilt, und die eßbaren Teile in große Stücke geschnitten. Einige davon wollte der Kutscher als Freßreserve, wie er sagte, zum Trocknen an Deck hängen, für schlechte Zeiten, der Rest sollte für ein paar Tage schmackhaftes Essen abgeben.

Am Mittag, als die Sonne ihren höchsten Stand überschritten hatte, war es dann soweit. Der Kutscher hatte Wort gehalten.

Aus dem Tomatenvorrat hatte er eine dicke Brühe gekocht, und dazu gab es dickgeschnittene, in der Pfanne gegarte Fischstücke.

Darüber goß der Kutscher eine dicke Schicht Tomatensoße.

„Und da behauptet man immer, die Haie seien Mistviecher“, sagte Carberry verzückt. „Mir hat selten ein Hai so gut gefallen wie dieser.“

„Ja, das merkt man“, sagte Luke Morgan sarkastisch. „Du frißt ihn ja auch fast allein.“

„Was?“ rief Ed. „Ich habe erst drei oder vier Stücke gegessen.“

„Und jedes Stück wiegt zwei Pfund. Außerdem war es dein fünftes Stück Fisch“, warf der Kutscher ein.

Aber dafür hatte Carberry nur ein verächtliches Lachen übrig.

„Normalerweise steht einem Profos der ganze Hai zu“, sagte er laut. „Aber so bin ich nun mal zu euch Rübenschweinen, jeder kriegt trotzdem seinen Teil.“

Da konnten die Seewölfe nicht umhin, gerührten Herzens Carberrys Großmut und seine Freigebigkeit zu loben, bis dem Profos tatsächlich der Appetit auf weiteren Fisch verging. Aber das lag wohl hauptsächlich daran, daß er jetzt schon das sechste Stück verdrückt hatte.

Vier Tage noch blies der Wind genau aus Norden, dann, am Morgen des fünften Tages, als sie sich dem nördlichen Wendekreis näherten, begann der unberechenbare Geselle zu drehen und wehte aus Nordost.

Das bedeutete, daß die „Isabella“ jetzt platt vor dem Wind laufen konnte und so gut wie keine Segelmanöver mehr ausgeführt werden mußten.

Das war das, was man als ideales Segelwetter bezeichnen konnte. Nur dem Seewolf gefiel es nicht, und ein paar anderen erging es ähnlich.

„Zu dieser Jahreszeit und in dieser Ecke der Welt“, sagte der Seewolf, „folgt dem Drehen des Windes meist eine Flaute. Ich halte meinen Kopf dafür hin, daß wir spätestens morgen in einer prächtigen Kalme liegen.“

Ben Brighton und Dan pflichteten ihrem Kapitän bei. Der Atlantik in dieser Ecke war schon immer unberechenbar gewesen. Sie hatten diese Erfahrung mehr als einmal am eigenen Leib kennengelernt. Etwas später briste es jedoch auf, und Old O’Flynn rieb sich die Hände.

„Der Wind steht“, behauptete er. „und er bleibt stehen, sonst hätte ich längst mein Holzbein gespürt. Aber es klopft nicht, und es zieht auch nicht. Wir kriegen vielleicht sogar einen kleinen Sturm, der uns über das Wasser jagt.“

„Ich hätte nichts dagegen“, sagte Dan. „Lieber einen kräftigen Sturm, als in den Kalmen zu hängen. Denn wenn wir drinhängen, befinden wir uns genau in deinem Lieblingsgewässer, Dad, im Sargassomeer nämlich.“

„Willst du wohl deinen vorlauten Schnabel halten“, fuhr der Alte auf. „Du beschwörst das Unglück ja geradezu mit deinen lästerlichen Worten herauf! Ich habe absichtlich vermieden, darüber zu sprechen, und jetzt fängst du damit an!“

„Ich spreche nur von Tatsachen“, erwiderte Dan.

Der Wind, der jetzt achterlich stark einfiel, briste auch in der nächsten Stunde noch härter auf, so daß der Papagei Mühe hatte, sich auf der Rah zu halten. Aber er blieb oben und flog nicht herab. Im Gegensatz zu ihm hockte der Schimpanse Arwenack an Deck und tollte mit den Zwillingen herum.

Noch etwas später wurde der Nordost böig, und da wußten alle, was es an Bord der „Isabella“ geschlagen hatte.

Außerdem gab es zwei weitere untrügliche Anzeichen für eine Wetteränderung. Sir John hatte sich aufgeplustert und war durch keinen Leckerbissen dazu zu bewegen, seine luftige Höhe zu verlassen. Er hörte auch nicht auf den Profos, seinen Liebling, obwohl der ihn öfter rief. Auch Arwenack hockte lustlos herum und bleckte die Zähne, wenn ihn jemand streicheln wollte.

„Die Tiere spüren das viel eher als wir“, sagte Ben Brighton, dem die Haare wirr vom Kopf abstanden. „Immer wenn das Wetter umschlägt, haben sie schlechte Laune und sind reizbar.“

Bis zum Nachmittag blieben die Böen, dann wurden sie schwächer, der Wind schralte und über die See fuhren Schleier, die wie ein großes Waschbrett aussahen.

In den Augen der Seewölfe lag Besorgnis. Nicht, daß sie es besonders eilig hatten, aber das Gefühl, sich bald in einer Kalme zu befinden, war für jeden Seemann unbehaglich. Unter Umständen konnte das den sicheren Tod bedeuten. So manche Mannschaft war schon verhungert oder verdurstet, weil der Wind das Schiff nicht mehr weiterbewegte und die Vorräte zur Neige gingen.

O’Flynn murmelte leise Beschwörungen vor sich hin und verfluchte sein Holzbein, das diesmal keinen Wetterumschwung angezeigt hatte.

Auch die See wurde zusehends ruhiger. Aus der prachtvoll rollenden Dünung wurden lange flache Wellen, die merklich an Kraft verloren.

Weiter flaute der Wind ab, und zum erstenmal sah man jetzt, wie am Horizont bleigraues Wasser direkt in der Luft zu schweben schien. Es war eine lange graue Bank, die sich nicht bewegte, eine Bank aus ruhigem Wasser, das die Wärme scheinbar in den Himmel hob und dort festhielt.

Der Profos stieß einen ellenlangen Fluch aus, als das Großsegel zu schlagen begann, sich aber noch einmal mit Wind füllte. Er stand an Deck, blickte zu den Flögeln hinauf und sah so grimmig aus, als würde er gleich ins Wasser springen, um das Schiff zu schieben.

„Ja, da hilft alles nichts, Ed“, sagte sein Freund Ferris Tucker mißmutig. „Der Windgott läßt uns im Stich, und das ging noch schneller, als ich erwartet habe. Mist verdammter!“

„Eine halbe Stunde noch, dann ist er weg und legt sich endgültig schlafen. Sieh dir nur die See an, wie sie ständig die Farbe wechselt. Das ist nicht gut.“

„Ja, von flaschengrün bis fast schwarz, und weiter hinten ist sie sogar rötlich.“

Der Profos rülpste laut.

„Das ist von der Tomatensoße“, behauptete er trocken. „Gary hat nämlich vorhin gekotzt, er verträgt keinen Haifisch, und schon gar keinen mit Tomatensoße. Aber gut war es trotzdem, oder findest du das nicht?“

Tucker grinste. Der Profos vollführte mitunter Gedankensprünge, über die man nur lachen konnte.

„Ja, natürlich.“

Bis zum Abend flaute der Wind noch mehr ab und schob den Segler nur noch langsam durch das Wasser. Dann, als die Nacht hereinbrach, herrschte geisterhafte Stille. Die Segel hingen schlaff von den Rahen, sie bewegten sich nicht mehr, und damit lag die „Isabella“ bewegungslos in der spiegelglatten See.

„Auf dein Holzbein ist auch kein Verlaß mehr“, sagte der Seewolf zu O’Flynn. „Jetzt sitzen wir vorerst fest.“

„Sind wir jetzt schon in diesem, hm, verdammten Meer?“ fragte der Alte beklommen.

Hasard schüttelte den Kopf.

„Das Sargassomeer ist auf keiner Karte genau abgegrenzt, niemand weiß so richtig, wo es beginnt und wo es endet. Ich weiß nur, daß es schon hier Abdriften und Strömungen gibt und wir langsam aus dem Kurs laufen, trotz des Segeltuchankers. Wir driften nach Steuerbord ab, wenn mich nicht alles täuscht.“

„Das bedeutet, daß wir unser Ziel verfehlen“, murmelte O’Flynn.

„Das bedeutet noch gar nichts. Wenn die Kalme vorbei ist, werden wir unseren Kurs neu berechnen, und dann geht es weiter.“

Am fernen, unsichtbaren Horizont ging der Mond auf. Dunkelgelb und blaßrötlich strahlte er auf das geheimnisvolle Meer, das in allen Farben zu leuchten begann.

Still wie gegossenes Blei lag das Meer da. Jeder der Seewölfe hatte das Gefühl, sich auf festem Land zu befinden und nicht über einer Tiefe von etlichen tausend Faden zu liegen.

An Schlaf dachte niemand, die Szenerie dieser eigenartigen Nacht schlug sie alle in ihren Bann, und so wurde vorerst kaum ein Wort gesprochen.

Lediglich der alte O’Flynn räusperte sich hin und wieder und krächzte sich die Kehle frei. Ihn traf es wieder einmal am meisten, denn in Gedanken sah er sich von spukenden Seegeistern umgeben, die unsichtbar um das Schiff herumschwammen.

Die „Isabella“ schien allein auf der Welt zu sein, es gab nirgendwo Anzeichen weiteren Lebens, kein Schiff, kein Land, nichts, außer dieser bunten erstarrten Wüste aus Wasser.

Auch die graue Bank am Horizont war jetzt verschwunden, als hätte sie nie existiert.

„Die richtige Zeit für einen Schluck Rum“, sagte der Profos und unterbrach damit die gespenstische Ruhe.

„Keine Einwände“, erwiderte der Seewolf. „Wer etwas trinken möchte, kann es sich holen.“

Merkwürdig, dachte er, niemand rührte sich. Wenn von Rum die Rede war, leckten sich die Kerle bereits im voraus genüßlich die Lippen, aber diesmal waren sie anscheinend taub.

Der Profos schickte den Jüngsten los, Bill, den Moses, der auch gleich mit einer Flasche zurückkehrte.

Ed entkorkte sie, setzte sie an und trank einen Schluck, dann reichte er die Buddel weiter an Ferris Tucker.

Der Schiffszimmermann trank nur einen winzigen Schluck. Er hielt die Flasche abschätzend in der Hand und grinste.

„Wenn ich sie jetzt in die See werfen würde“, sagte er leise, „dann habe ich das Gefühl, als würde sie auf der Oberfläche aufprallen und in tausend Stükke zerspringen.“

„Beschwöre das bloß nicht herauf“, sagte Donegal. „Das Meer sieht tatsächlich so aus, als wäre es fest. Ich traue mich nicht mal, über Bord zu spucken.“

„Das darfst du hier auch nicht“, sagte Luke Morgan, der neben dem Alten stand und ihn ansah. „Wenn du jetzt über Bord spuckst und triffst einen Meermann auf den algenumwachsenen Schädel, dann ist es aus mit uns.“

„Wenn du mit dem Gefasel nicht aufhörst, Luke“, sagte der Profos ruhig, „dann wringe ich dich aus und hänge dich zum Trocknen in die Wanten. Verstanden, Mister?“

„War nur ein Spaß“, schwächte Luke Morgan ab.

An Schlaf dachte niemand, sie konnten einfach nicht schlafen, obwohl die meisten sich betont gleichgültig gaben, als wäre die scheinbar erstarrte See um sie herum etwas ganz Alltägliches. Aber bei einigen kreisten doch die Gedanken um unheimliche und unerklärliche Dinge, denn es war vor allem die absolute Stille, die ihnen auf die Nerven ging.

Nicht der geringste Lufthauch war zu spüren, das vertraute Knarren der Blöcke fehlte ebenso wie das Ächzen und Knacken des Holzes. Alles schien tot, abgestorben und wirklichkeitsfremd.

Es war eine Welt für sich, in der nur der Mond unmerklich über den Himmel wanderte.

Die ersten gingen gegen Mitternacht in ihre Kojen, bis auf Batuti und ein paar andere, die es vorzogen, in diesen Breiten an Deck zu schlafen. Zwei Wachen genügten für die Nacht, in der ohnehin nichts passierte.

Daher wurden Matt Davies und Dan O’Flynn eingeteilt, die eine unruhige Runde nach der anderen über das Deck marschierten, sich wieder trafen und ab und zu flüsternd unterhielten.

„Ich weiß nicht, Matt“, sagte Dan nach einem Rundgang, „ich habe ein mulmiges Gefühl im Bauch. Diese verdammte Stille regt mich auf, sie ist unnatürlich.“

„Ja, alles ist wie tot“, sagte der grauhaarige Matt Davies, der an Stelle der rechten Hand eine stählerne Hakenprothese trug. „Du bist doch sonst immer so ruhig. Hat dich dein Alter mit seinen Worten angesteckt?“

„Nein, das ist es nicht, du weißt, daß ich nicht an Geister und diesen ganzen Unsinn glaube. Es hängt einfach irgend etwas in der Luft, das spüre ich überdeutlich.“

Davies sah sich um, er wurde das Gefühl nicht los, als würden sie von tausend unsichtbaren Augen belauert. Aber natürlich war das Unsinn, weit und breit gab es kein anderes Lebewesen auf dem Wasser. Von den berüchtigten Tanginseln war ebenfalls nichts zu entdecken. Was, zum Teufel, sollte also passieren? fragte er sich immer wieder.

„Ich spüre, wie wir driften“, sagte Dan nach einer Weile. „Eine Strömung zieht uns fort. Als ich eben auf den Kompaß sah, entdeckte ich, daß wir uns ganz langsam im Kreis drehen. Man kann es gut an der Stellung des Mondes erkennen.“

„Verdammt“, sagte Matt unruhig. „Fällt dir am Himmel eigentlich nichts auf, Dan?“

„Es ist mir schon lange aufgefallen. Es gibt keine Wolken, und trotzdem sieht man keinen einzigen Stern, nirgendwo auch nur das kleinste Blinken.“

In der Kuhl entstand ein schabendes Geräusch. Die beiden Männer zuckten unwillkürlich zusammen, als sich eine Gestalt erhob und langsam nach achtern zum Niedergang des Decks humpelte.

„Dein Vater“, raunte Matt dem jungen O’Flynn zu. „Sicher kann er nicht schlafen.“

Der alte O’Flynn, eine leicht gebeugte Gestalt, ein drohender, irgendwie verunstalteter Schatten, rückte näher. Obwohl er sich bemühte, kein Geräusch zu verursachen, war doch das dumpfe Klack seines Holzbeins überdeutlich und fast schmerzhaft in dieser geisterhaften Stille zu hören.

Das Geräusch schien immer lauter zu werden. Nervtötend hallte das eigentümliche Klopfen durch das ganze Schiff. Dan glaubte, das Deck erzittern zu sehen, und aus dem Klacken wurde ein wildes dröhnendes Hämmern, so als schlüge jetzt jemand mit einem gewaltigen Hammer auf die Planken.

Dann erstarb das Geräusch. Der Alte blieb dicht neben dem hölzernen Niedergang stehen und sah die beiden Männer an.

Im rötlichgelben Mondlicht sah sein Gesicht noch zerknitterter und faltenreicher aus als sonst. Er stand da wie ein Dämon aus der Finsternis und lehnte sich an das Geländer.

„Lausige Gegend“, sagte er, als spräche er zu sich selbst. „Wenn sich doch nur einmal eine kleine Welle erheben würde! Aber es rührt sich nichts. Das Wetter schlägt einem aufs Gemüt.“

„Uns auch, Dad, aber wir können es nicht ändern. Bei Tageslicht sieht alles anders aus, selbst wenn wir ein paar Tage in den Kalmen hängen, kratzt uns das nicht. Wir haben genug Proviant und Wasser, um es eine Weile auszuhalten.“

„Darum geht es gar nicht“, murmelte der Alte. Er sagte aber auch nicht, um was es ging, sondern behielt es für sich. Sie lachten ihn ja doch immer aus oder machten sich über ihn lustig, bezichtigten ihn der Spökenkiekerei, und doch fühlte er, daß in ganz kurzer Zeit schon etwas passieren würde. Er konnte es nur noch nicht erklären, es war zu undeutlich und verschwommen.

Die an Deck schlafenden Männer bewegten sich unruhig hin und her, erwachten ab und zu und versuchten, weiterzuschlafen. Jeder spürte die Unruhe des anderen und wurde davon angesteckt.

Die Stille blieb bis zum Morgen. Und sie sollte auch noch weiterhin anhalten.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 165

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