Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 125 - Fred McMason - Страница 4
1.
ОглавлениеBlake spürte, wie die Hitze in ihm fraß, diese Hitze, die von einem erbarmungslosen Glutball herabfiel wie heißes Feuer, das sich in seine Lungen brannte und das Atmen zu einer einzigen Qual werden ließ.
Schweiß verklebte seine Haare, Schweiß rann ihm in Bächen über den Körper und saugte ihm den letzten Widerstand aus den Knochen.
Bei Gott, dachte er, wenn dieser fürchterliche Glutball dort oben nicht bald erlosch, wenn nicht bald Wind wehte, kräftiger Wind, der sie weiterblies, dann würden sie in ein paar Tagen alle tot sein.
Mit trüben Blicken starrte er auf die Segel. Schlaff und ausgebleicht hingen sie an den Rahen. Große, in sich zusammengefallene Leichentücher, oftmals geflickt, ausgebessert, gezeichnet von einer Zeit, als der Wind sie gebeutelt hatte, dieser lebensnotwendige Wind, von dem sie schon gar nicht mehr wußten, wie es war, wenn er wehte.
Wasser, dachte er in einem plötzlichen Anfall von Panik. Wohin man sah, gab es nichts als Wasser, salzig, lebensfeindlich, ohne Land. Keine Inseln, nicht einmal eine Wolke, von einem anderen Schiff ganz zu schweigen.
Er hieß Blake, Young Blake, wie sie ihn nannten, und er war der zweite Bootsmann der „Black Pearl“, dem Totenschiff, dem Seelenverkäufer, dem schwimmenden Sarg.
Verdammt, dreimal verdammt, dachte er. Ich habe eine Ader dafür, wenn Land in der Nähe ist. Land, eine lausige Insel nur, aber ich spüre nichts, und ich werde nie wieder etwas spüren. Nicht mehr lange, und ich werde krepieren wie Walters, diese treue Seele von einem Kerl. Skorbut, oder wie sie es nannten, wenn einem die Zähne ausfielen, wenn der Darm blutete, und wenn man keinen Hunger mehr hatte, obwohl der Magen seit Tagen nichts mehr zu verarbeiten hatte.
Ja, Walters, Segelmacher war er gewesen, ein guter Mann, einer, der immer half, der immer tröstete, der immer aufmunternde Worte fand. Schillernden Schleim und Blut hatte er gespuckt, bis er zusammengebrochen war.
Wann das war? Vor einer Woche vielleicht, oder vor einem Monat, vielleicht auch schon vor einem Jahr. Oder noch länger?
Egal, wie lange es her war. Wem half das?
Die brütende Hitze setzte dem Schweifen seiner Gedanken ein Ende. Vor seinen Augen flirrte heißer Sonnenglast, der sich über das ganze Schiff erstreckte.
Blake stand auf aus seiner kauernden Stellung und lehnte sich ans Schanzkleid.
Sekundenlang hatte er das Gefühl, als wäre er der einzige Mann an Bord der „Black Pearl“.
Das Ruder war festgelascht, auf dem Achterdeck war kein Mensch zu sehen. Er stieß sich schwerfällig ab, um einen Schluck aus dem Wasserfaß zu trinken.
Doch, einer war an Deck, und der stand mit dem Rücken zu ihm, einem fleischigen massigen Rücken und einem fetten Genick.
Reverend Thornton! Der Mann mit den frommen Sprüchen, Bordgeistlicher, dem anscheinend nichts fehlte, der immer kerngesund aussah.
Ob das von den frommen Sprüchen herrührte oder nur einfach davon, daß sie alle Reverend Thornton schon oft dabei ertappt hatten, wenn er heimlich das streng rationierte Wasser trank oder ebenso heimlich Proviant klaute?
Blake empfand Haß für den Mann, jäh ausbrechenden Haß auf das feiste Genick, den massigen Körper und auf Thorntons strotzende Gesundheit.
Kein Wunder, daß dem Kerl nichts fehlte, überlegte er. Das, was der Mannschaft abging, verleibte er sich heimlich ein und kaschierte seine Handlungsweise mit biblischen Sprüchen.
Blake wußte, daß er jetzt nicht ans Wasserfaß gehen und trinken durfte. Erst am Abend, hatte der Kapitän gesagt.
Bis dahin waren es noch lange, endlose Stunden in sengender Hitze, Stunden, die nicht vergingen und ihn ausdörrten.
Dicht neben dem Reverend blieb er stehen und sah verlangend auf das Wasserfaß. Er wußte, daß es von langen grünen Fäden durchzogen war, daß es ekelhaft schmeckte und faulig roch. Es war vielleicht noch zu einem Viertel gefüllt und mehr als lauwarm.
„Möge die Versuchung nicht über dich kommen, mein Sohn“, sagte der Reverend halblaut, ohne sich umzudrehen. „Denn wer der Versuchung erliegt, ist des Teufels.“
„Dich ehrwürdigen Hurenbock soll der Teufel holen“, sagte Blake grimmig mit zusammengebissenen Zähnen. „Über dich ist doch vorhin auch die Versuchung gekommen, ich habe es gesehen, obwohl du dachtest, du wärest allein an Deck.“
„Lüge“, keuchte der Reverend. „Lüge! Das ist nicht wahr!“
„Dann stimmt es wohl auch nicht, daß du vorhin von dem Roggenbrot geklaut hast, eh?“ fragte Blake höhnisch.
Thornton wurde knallrot. Mit einer überhasteten Bewegung rieb er sich den Schweiß aus dem Gesicht.
„Ich bin ein bescheidener Diener des Herrn“, sagte er kläglich. „Ich bin nur ein Mensch …“
„Ein scheinheiliger, hinterhältiger“, fügte Blake hart hinzu. „Dich würden selbst die Haie wieder auskotzen, Reverend, weil sie sich an deiner schwarzen Seele die Zähne ausbeißen.“
Er verzichtete auf den Schluck Wasser, ließ Thornton stehen und ging mit schlurfenden Schritten nach achtern.
„Scheiß auf den verdammten Tag, an dem ich England verlassen habe“, murmelte er vor sich hin. „Und das schwöre ich mir selbst: An dem Tag, da wir Land erreichen, werde ich verschwinden und dieses Land nie wieder verlassen, bei Gott nicht. Scheiß auf die verdammte Seefahrt!“
Im Schatten des Segels ließ er sich nieder, ausgelaugt, total erschöpft, fertig und kaputt.
Etwas später döste er ein.
Blake träumte von einer grünen saftigen Insel. Ein Bach klaren Wassers, erfrischend kühl, grummelte durch üppige Vegetation, und auf der Insel wuchsen Früchte, in die er gierig hineinbiß.
Das Bild wechselte jäh. Zwei Männer gingen träge durch die üppige Vegetation und schleppten einen dritten mit sich.
„… schon eine Weile tot sein“, hörte er ein undeutliches Geflüster, „der dritte jetzt. Mein Gott, wie soll das weitergehen?“
Kein Traum, dachte Blake entsetzt, bittere Wahrheit.
Der Schweiß verklebte ihm die Augen, und so sah er alles wie durch einen Nebelschleier.
Auf den Planken der Kuhl standen der Kapitän, der Seemann Fisher und Reverend Thornton, der leise murmelte. Dann hoben sie zu dritt eine Gestalt auf, schoben sie über das Schanzkleid und ließen sie ins Meer gleiten.
Beim Aufklatschen des Körpers war Blake hellwach.
„Wer – wer war das?“ stammelte er.
Der Kapitän, bärtig, hohlwangig, sah ihn aus tief in den Höhlen liegenden Augen lange an.
„Endicot“, sagte er schwer. „Endicot war es.“
„Aber Endicot war doch gestern noch – noch gesund.“
„Gesund? Gestern? Wann war gestern, Mann? Er lag sicher schon zwei Tage tot in seiner Koje. Gehen Sie nach unten, Blake, legen Sie sich hin!“
Blake schüttelte eigensinnig den Kopf.
„Ich will nicht nach unten, Sir, da unten verreckt man nur. Ich will lieber an Deck krepieren. Darf ich einen Schluck Wasser haben, Sir?“
Endicots Tod hatte ihn aufgewühlt, er spürte, wie er am ganzen Körper zitterte. Himmel, was war bloß mit ihm los? Er hatte Endicot doch noch gesund gesehen, oder war er selber schon verrückt?
„Heute abend“, sagte der Kapitän, „heute abend gibt es einen Schluck Wasser, jetzt nicht.“
Blake starrte auf die Stelle im Wasser, wo die Leiche verschwunden war. Ab und zu perlte es dort, winzige kleine Bläschen stiegen auf und zerplatzten, wenn sie die Oberfläche erreichten.
Er wollte sich abwenden, doch in seinem Magen krampfte sich etwas zusammen, ihm wurde speiübel, und mit einem leisen Schrei erbrach er sich, bis es seinen Magen umkrempelte. Er zuckte und bebte, und sein Hals brannte wie Feuer.
Danach ließ er sich erschöpft an Deck sinken. Ihn wunderte nicht einmal die Gleichgültigkeit des Kapitäns, der ihn nur stumm ansah, die Schultern hob und davonging.
Alle waren sie gleichgültig und apathisch geworden, gleichgültig gegenüber den Kameraden, apathisch gegen alles, was um sie herum passierte.
Nur der Haß gegen Thornton war noch da. Sie alle haßten ihn, sie vertrugen seine scheinheiligen Sprüche nicht mehr, aber niemand brachte die Kraft auf, ihn zu verprügeln oder ihn einfach über Bord zu schmeißen, wie es ihnen in Gedanken vorschwebte.
Dabei hatte alles so verheißungsvoll begonnen.
Im Juli 1584 waren sie im Verband mit zwei anderen Schiffen von England ausgelaufen. Drei Kauffahrer mit dem inoffiziellen Auftrag, spanische Goldschiffe aufzubringen, dem brutalen Geschäft der Spanier etwas Einhalt zu gebieten, Handelsniederlassungen zu gründen und neue Inseln zu entdecken, diesmal auf dem Seeweg um Afrika herum.
Das erste Schiff hatten sie bei der Rundung um den großen Kontinent in einem Sturm verloren. Die See hatte das Schiff voller Wut zertrümmert und nur zwei Leute am Leben gelassen.
Einen Seemann und Reverend Thornton, den sie selbst an Bord genommen hatten, der jetzt dick, fett und behäbig herumstand und allen ein Dorn im Auge war.
Das zweite Schiff war schon vor Monaten spurlos verschwunden. Sie hatten nie wieder etwas von ihm gehört, es blieb verschollen.
Die „Black Pearl“ war noch übrig, mit einer Mannschaft, die vom Tod gezeichnet war, die dahinsiechte und starb, seit sie sich in diesem verdammten Meer ohne Ende befanden.
Es hatte Aufstände an Bord gegeben, Schlägereien. Die Männer waren mit den Messern aufeinander losgegangen, als der Proviant und das Wasser rigoros gekürzt wurden. Kapitän Stan Ellen hatte sich nur mit Mühe und Not durchsetzen können.
Die meisten Männer lagen apathisch in den Kojen. Diejenigen, die sich noch einigermaßen bei Kräften befanden, verfluchten und beleidigten den Kapitän, schimpften auf die Steuerleute und verdammten sie, weil sie den Kurs nicht fanden, weil kein Land mehr gesichtet wurde, weil niemand wußte, wo sie sich befanden.
Blake schlief wieder ein, träumte wirres Zeug und schwitzte.
Als er zum zweiten Male die Augen aufschlug, schloß er sie schnell wieder und blinzelte. Er tat so, als schlafe er.
Reverend Thornton lungerte am Wasserfaß herum. blickte immer wieder aus seinen schmalen Augen über das ausgestorbene Deck und musterte Blake ausgiebig.
Thornton rief ihm leise etwas zu, doch Blake reagierte nicht. Will doch mal sehen, ob dieser scheinheilige Kerl nicht wieder heimlich Wasser zapft, dachte er. Aus halbgeschlossenen Lidern beobachtete er den Reverend, der auf und ab ging.
Dann bückte er sich, blickte noch einmal nach allen Seiten, öffnete den hölzernen Hahn und ließ sich grünliche, von Fäden durchzogene Brühe in die hohle Hand laufen, die er gierig trank.
Mit einem Wutschrei sprang Blake auf die Beine, stürzte auf Thornton zu und hieb ihm die Fäuste in den fetten Bauch.
Der Reverend taumelte zurück, hob matt die Hand und erhielt einen Schlag ins Gesicht, der ihn über Deck schlittern ließ.
In diesem Augenblick, gerade als Thornton am Schanzkleid ächzend zusammenbrach, erschien der Kapitän.
Sein Gesicht war maskenhaft starr, seine grauen Augen funkelten voll verhaltener Wut.
„Was geht hier vor?“ rief er scharf. Er blickte zu Blake und dann zu Thornton, der sich gerade erhob.
Zwei andere Männer erschienen gleichfalls an Deck. Der erste Offizier Wintham und der Rudergänger Hentrop. „Er klaut Wasser, Sir“, sagte Blake mit erstickter Stimme, bereit, sich sofort wieder auf Thornton zu stürzen.
„Stimmt das, Reverend?“ fragte Ellen kalt.
Thornton massierte seinen fetten Hals, hob die Augen anklagend gegen den Himmel und sah den Kapitän nicht an.
„Der Herr möge ihm seine Unbesonnenheit vergeben“, salbaderte er, „schlägt er dich auf die eine Wange, so halte die andere auch noch hin.“
„Das kannst du haben!“ brüllte Blake voller Zorn und stürzte sich von neuem auf Thornton. Bevor Ellen ihn zurückreißen konnte, prasselten harte Schläge auf Thorntons Körper.
„Genug jetzt!“ fluchte Ellen und riß Blake zurück. „Ich will wissen, ob das stimmt.“
„Natürlich nicht“, sagte Thornton weinerlich. „Der Hahn tropfte. Ich sah es zufällig und wollte ihn zudrehen.“
Wintham und Hentrop nahmen eine drohende Haltung ein. Blake wurde immer noch festgehalten, er schäumte vor Wut.
„Er lügt, der verdammte Hund!“ brüllte Blake und riß sich los. „Er säuft dauernd Wasser, wenn er glaubt, daß niemand an Deck ist. Und der Hahn hat nicht getropft, ich beschwöre es.“
„Das wird sich gleich herausstellen“, sagte Ellen.
Mit hölzernen Schritten ging er auf das Faß zu, bückte sich und sah auf die Planken.
Der Hahn hatte getropft, jedenfalls konnte man das annehmen, wenn man nur einen Blick auf die Planken warf. Ellen war da aber gründlicher und so entging ihm nicht, daß sich die Tropfen an einer anderen Stelle befanden, als hätte jemand die Hand unter den Hahn gehalten und sie dann weggezogen. Die Wasserspuren wiesen von dem Faß fort.
Ausdruckslos sah er den Reverend an.
„Seit Sie an Bord sind, Reverend“, sagte er sehr ruhig, „wird es hier immer schlimmer. Sie kaschieren Ihre Diebstähle mit frommen Worten, stehlen Brot und Wasser, ohne sich den Teufel darum zu scheren, daß Sie dadurch den anderen etwas wegnehmen. Dieses Schiff ist ein halbes Wrack, die Mannschaft ein undisziplinierter zerlumpter Sauhaufen, der langsam krepiert, weil es an allem mangelt. Und Sie schüren den Haß, säen Zwietracht und klauen. Ich werde heute abend ein Bordgericht einberufen, Reverend. Das Urteil kann ich schon vorwegnehmen. Die Männer werden dafür plädieren, daß Sie einen Ehrenplatz erhalten.“
Ellens Daumen stach nach oben, wo die schlaffen Segel hingen.
„Dort oben an der Rah!“ sagte er. „Lassen Sie ihn in die Piek bringen, Mister Wintham!“ befahl er knapp. „Und zwar sofort.“
In Thorntons Augen trat Furcht, seine Lippen öffneten sich, und man sah seine gesunden kräftigen Zähne.
Er schielte nach oben und schüttelte sich.
„Ihr Ottern und Schlangengezücht!“ schrie er bleich. „In der finstersten Hölle sollt ihr schmoren und verflucht sein ein Leben lang, dazu verdammt, ruhelos über die Weltmeere zu segeln, bis daß der …“
„Aber, aber, Reverend“, höhnte Wintham. „Steht das etwa alles in der Heiligen Schrift?“
Sie packten ihn und schleppten ihn nach vorn in die Piek.
„Erzähl deine Sprüche den Ratten“, sagte Blake, nachdem sich das schwere Schott hinter Thornton geschlossen hatte und er von innen wütend dagegenhämmerte.
„Dieser Halunke!“ schimpfte der Erste. „Der hat uns von morgens bis abends beklaut, um sich einen dicken Bauch anzufressen. Aber dafür wird er bezahlen.“
Als sie an Deck zurückkehrten, merkten sie wieder überdeutlich, wie trostlos und verzweifelt ihre Lage war.
Kein Windhauch rührte sich, das Meer lag da wie ein riesiges Tuch, ohne Bewegung, ohne Leben, scheinbar tot und ausgestorben. Und hoch über ihnen brannte ein greller Ofen so heiß und niederträchtig, daß er die Konturen des Schiffes verzerrte und alles verschwimmen ließ. Mitunter sah es so aus, als befinde sich das Schiff unter Wasser und nicht darüber.
„Verfluchte Seefahrt“, stöhnte der Erste, „verfluchte Sonne, verfluchtes Meer. Wo, zum Teufel, sind wir bloß?“
„Im Vorhof der Hölle“, antwortete Blake dumpf. Irgendein Fremdkörper im Mund störte ihn, und er griff mit Daumen und Zeigefinger danach. Ein leichter Ruck, und er hielt einen Zahn in der Hand und spuckte Blut.
„Skorbut nennen sie das“, sagte er. „Eine Krankheit, von der man behauptet, sie rotte ganze Schiffsbesatzungen aus. Man müßte Obst essen, viel Obst, dann wird es wieder.“
Der Erste, ein hartgesichtiger dürrer Mann, schlug ihm auf die Schulter.
„Eine gute Idee“, sagte er. „Ich hole ein silbernes Tablett und werde euch Früchte bringen, herrliche, kalte, saftige Früchte, soviel ihr wollt. Und hinterher gibts einen feinen Brandy, um das alles runterzuspülen. Einverstanden?“
Blake quälte sich ein verzagtes Lächeln ab.
„Fahr zur Hölle mit deinem Obst und den Früchten, Erster. Und laß dich schön knusprig braten!“
Am Abend, als die Sonne lange Schatten warf und die Hitze kaum spürbar zurückging, wurde Reverend Thornton an Deck gebracht.
Er lächelte, als wäre nichts geschehen und nickte hoheitsvoll. Vor dem Wasserfaß an Deck blieb er stehen, dann blickte er nach oben zu den Rahen.
„Da soll ich hängen“, sagte er salbungsvoll, „ich, ein Mann Gottes! Der Herr möge euch verzeihen.“
Er grinste wieder und sprach weiter: „Aber wie steht es geschrieben? Auge um Auge, Zahn um Zahn.“
Blitzschnell hob er den rechten Fuß und trat zu. Unter dem Hieb flog der Zapfen aus dem Faß, und grünliches Wasser ergoß sich in einem dünnlichen Strahl über Deck.
Dabei lächelte Thornton immer noch.
Den Männern fuhr es siedendheiß durch die Knochen. Hentrop sprang mit einem Schrei des Entsetzens auf, stieß Thornton zur Seite und stürzte sich auf das Faß. Mit dem Finger dichtete er es ab, damit nicht noch mehr der kostbaren Flüssigkeit verlorenging.
Jemand lief mit einem Gefäß herbei und fing die Tropfen auf, bis der Zimmermann einen neuen Hahn brachte und ihn vorsichtig an die Stelle des alten hineintrieb. Der Rest des Wassers wurde äußerst vorsichtig wieder in das Spundloch gegossen.
Harte Fäuste stießen Thornton nach vorn. Er sah in steinerne Gesichter, aber er sah auch unauslöschlichen Haß in den Augen der abgezehrten Männer lodern, einen Haß, der ihn frösteln ließ und der ihm sagte, daß von nun an keiner mehr das geringste Mitleid mit ihm haben würde.
Fast alle hatten sich an Deck versammelt, wie er sah.
Harte, eiskalte Kerle, die ihn innerhalb kürzester Zeit erbarmungslos an die Rah hängen würden. Vielleicht hätten sie Nachsicht mit ihm gehabt, aber nach dem, was er sich gerade geleistet hatte, war das vorbei.
Er mußte seinen letzten Weg antreten.
Das Grinsen verging ihm, er spürte Hitzewellen durch seinen Körper jagen, entsetzliche Angst kroch in ihm hoch, als sie ihn in den Kreis der schweigenden Männer trieben.
Stan Ellen sah ihn kalt an, aus seinen grauen Augen loderte verhaltene Wut.
„Fassen wir uns kurz“, sagte er knapp. „Thorntons Verfehlungen sind jedem bekannt. Sie haben die Kameraden bestohlen, Thornton, Sie klauen Wasser und Proviant, sie haben durch Ihre Anwesenheit die Atmosphäre dieses Schiffes tödlich vergiftet. Wir können nicht mehr auf engem Raum mit Ihnen zusammenleben.“
„Sie können einen Gottesmann nicht hängen lassen“, ächzte der Reverend, „das wird Sie Ihr Leben lang begleiten.“
„Fast bezweifle ich, daß Sie Reverend sind, Thornton.“
„Aber – meine Soutane!“ rief Thornton. „Sie ist gerettet worden, sie trieb auf dem Wasser, und – und sie paßt mir.“
„Das beweist gar nichts. Ihr Name war weder mir noch einem meiner Leute bekannt. Ihren Händen nach zu urteilen, sind Sie Decksmann.“
„Weil ich immer geholfen habe“, verteidigte sich Thornton. „Ich konnte nicht mitansehen, wenn andere arbeiten und ich nur so herumstand.“
„Aber hier konnten Sie das. Hier haben Sie nie einen Finger gerührt, wenn die anderen schufteten. Genug jetzt, das tut nichts zur Sache, verhandeln wir weiter, und stimmen wir ab.“
Thornton sah sich gehetzt nach allen Seiten um. Der einzige Fluchtweg, der ihm blieb, war das Wasser. Darin jedoch schwammen dunkle Schatten, große Leiber.
Haie, die sich den Teufel darum scherten, ob er nun Reverend war oder nicht.
„Er soll hängen!“ riefen die meisten.
Ein paar andere enthielten sich der Stimme. Einen Reverend hängt man nicht, meinten sie, das war ihnen suggeriert worden, sie würden damit ein Tabu verletzen.
Es ging hin und her. Ein Teil der Crew wollte ihn an der Rah baumeln sehen, ein anderer Teil war dagegen, und zwei oder drei Männer hatten keine Meinung. Sie plädierten dafür, daß man ihn auspeitschen oder kielholen solle.
Für Stan Ellen, der ohne weiteres als Kapitän seinen Tod beschließen konnte, war es nicht einfach, sich zu entscheiden.
Ein Mann, der an der Rah baumelte, trug nicht gerade zur Verzierung des Schiffes bei. Seit hier unsichtbar Skorbut und Fieber an Bord wüteten, wollte er die Gemüter nicht noch mehr mit einer Leiche im Großmast belasten. Sie hatten so schon genug Tote zu beklagen.
„Thornton wird ausgesetzt“, entschied er nach einer Weile. „Seine Chancen, irgendwo Land zu erreichen, sind so groß wie unsere Aussichten, zu überleben.“
Fast alle stimmten ihm augenblicklich zu und wirkten sichtlich erleichtert.
„Zehn Hiebe und dann ab mit ihm!“ schrie einer.
„Aussetzung ist eine harte Strafe“, belehrte Ellen den Sprecher. „Da braucht es der Schläge nicht mehr. Er ist gesund und kräftig, und er hat eine Chance. Zehn Hiebe können ihn schwer verwunden, und ich will ihn nicht unnötig quälen. Mit der Aussetzung ist er genug bestraft. Ende der Diskussion!“
Der Kapitän rief den Schiffszimmermann und erteilte ihm genaue Anweisungen.
Thornton, der sich bisher mit keiner Silbe geäußert hatte, wurde für den Rest der Nacht zurück in die Piek gebracht, wo sie ihn anketteten.