Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 125 - Fred McMason - Страница 5

2.

Оглавление

Am anderen Morgen hatte sich immer noch nichts geändert. Es war wie in den vergangenen Tagen auch. Die Sonne stieg aus dem Meer und begann alles zu versengen.

Der Zimmermann und zwei Seeleute hatten ein kleines Floß gezimmert und es über Bord gehievt. Ellen hatte darauf bestanden, daß das Floß ein kleines Segel erhielt. Als Ruder befand sich eine kleine Pinne auf dem Floß.

„Man sollte dem Kerl nichts zu saufen geben“, sagte einer der Seeleute, die fürs Hängen plädiert hatten. „Der Kerl hat doch genug auf Vorrat gesoffen und gefressen.“

„Er kriegt das, was ihm zusteht, also auch Wasser und Proviant“, sagte der Kapitän. „Wir sind Christen und keine Mörder, verstanden?“

Sie holten Thornton aus der Piek. Als er in der Kuhl stand, sah er schluckend auf das kleine Floß, das winzige Wasserfäßchen und den Beutel mit Proviant.

Er nahm es ziemlich gelassen hin. Lieber wollte er auf dem Floß hokken, als oben an der Rah hängen.

Jemand brachte seine Klamotten und warf ihm das Bündel vor die Füße.

„Das ist alles, was wir von dem Schiff gerettet haben“, sagte er verächtlich. „Deine Dienstkleidung, deine angebliche, und einen Stiefel. Den kannst du dir einmal links und einmal rechts anziehen, ganz wie du willst.“

Der Kapitän trat auf ihn zu und sah ihn ruhig an.

„Sie werden jetzt aus unserem Gesichtskreis verschwinden“, sagte er kalt. „Mit der Pinne bewegen Sie sich so schnell wie möglich von uns fort. Sollten Sie in einer Stunde nicht aus unserer Nähe verschwunden sein, werde ich mit Musketen auf Sie feuern lassen, Thornton.“

Der Reverend gab keine Antwort. Verbissen starrte er auf das winzige Ding im Wasser.

„Das Wasser reicht nicht einmal drei Tage“, murmelte er nach einer Weile.

„Unser Wasser reicht auch nicht länger. Verschwinden Sie jetzt, die Leute werden schon ungeduldig.“

Ellen zog ein Messer aus seinem Gürtel und schleuderte es auf das Floß. Im Holz blieb es stecken.

Thorntons Haß auf die Crew und ihren Kapitän wuchs ins Unermeßliche. Er hatte hektische rote Flecken im Gesicht, als er über das Schanzkleid kletterte und auf das bedrohlich schwankende Floß stieg. Vorsichtig balancierte er es aus, dann griff er nach der kleinen Pinne und wandte den Männern das Gesicht zu.

„Fluch über euch, ihr Kanalratten!“ schrie er. „Der Teufel persönlich soll euch in die Tiefe ziehen!“

Er schrie und geiferte in ohnmächtiger Wut, drohte mit der Pinne und spie ins Wasser. Seine Flüche hallten über das totenstille Meer. Er paddelte davon, obszöne Verwünschungen ausstoßend, fluchend wie ein Kutscher. Und immer wieder hob er die Pinne und drohte herüber.

Da krachte ein Musketenschuß.

Der Erste hatte ihn abgefeuert, und man sah deutlich die kleine Fontäne aus dem Wasser steigen, knapp einen Yard vom Floß entfernt.

Von da an schwieg der Reverend verängstigt, zog das Genick ein und paddelte das leichte Floß wie ein Wilder voran.

„Wenn das ein Reverend ist“, sagte der Erste, „dann bin ich die Königin von England.“

Sie standen am Schanzkleid und starrten dem Mann nach, den sie alle haßten, und doch fragte sich fast jeder insgeheim beklommen, wie Thornton wohl zumute sein mochte – allein auf einem winzigen Floß, inmitten eines schier unermeßlichen Meeres, in totaler Kalme. Nein, er hatte keine Chance, Land zu erreichen, sie selbst hatten wahrscheinlich auch keine mehr.

Noch am Mittag sahen sie ihn als winzigen Punkt, der sich nicht mehr bewegte und auf dem Meer wie festgenagelt schien.

Auch Thornton starrte zu dem Schiff hinüber. Das lächerlich kleine Segel hing schlaff an dem kleinen Mast. Um ihn herum herrschte eine Hitze wie in einem Backofen. Er stierte auf das Wasserfaß, verkniff es sich aber, davon zu trinken. Er wollte so lange warten, bis er es vor Durst nicht mehr aushielt. Das hier war sein eigenes Wasser, und damit mußte er sparen. Hier konnte er nicht heimlich trinken und es auf andere schieben oder jede Schuld entrüstet von sich weisen.

Verflucht, ich habe keinen Kompaß, dachte er, ich muß mich also am Stand der Sonne orientieren und die Himmelsrichtungen bestimmen.

Wenn wirklich wieder einmal der Wind blies, mußte er sich mit dem Wind treiben lassen, entweder immer weiter aufs Meer hinaus oder vielleicht einer Insel entgegen.

Er sah in dem Proviantbeutel nach. Darin befand sich ein knochenhartes Stück Schiffszwieback, in dem die Maden bohrten, dann zwei Händevoll harter Bohnen und ein Stück Salzfleisch. Das war alles, was der Beutel enthielt.

Thornton streckte sich auf dem Floß aus und legte seinen Kopf unter das kleine Segel. Er lag auf dem Trockenen, aber bei der kleinsten Bewegung des Wassers würde ihn die Salzbrühe von allen Seiten umspülen, wenn das Wasser durch die Ritzen quoll.

Ein paarmal schlief er ein und stöhnte laut im Schlaf. Wenn er aufschrak und trübe übers Meer blinzelte, sah er die „Black Pearl“ nur noch als verschwommenen Schatten auf dem Wasser.

Mit einem Ruck richtete er sich auf. Hatte sich die Luft bewegt, oder war das eine Täuschung?

Ein heißer Lufthauch streifte ihn von neuem, und wilde Hoffnung keimte in ihm auf.

Er konnte sich das nicht erklären, aber er war deutlich von der Galeone abgetrieben worden, ohne daß er sich mit der Pinne vorwärtsbewegt hätte.

Gab es hier eine leichte Strömung, die das kleine Floß langsam forttrug?

Er rieb sich die Hände und lachte leise. Sollten die da drüben vor die Hunde gehen. Bald schon hatte er sie aus den Augen verloren, wenn die Strömung ihn weitertrug.

Oder war es umgekehrt? Bewegte eine Strömung die Galeone fort, und er selbst blieb immer an derselben Stelle?

Er wußte es nicht, döste wieder und wachte auf, als es feucht in seinem Kreuz wurde.

Die Schatten waren länger geworden, und er befand sich allein auf dem Meer. Von dem Schiff war nichts mehr zu sehen, keine Spur, selbst am dunstigen Horizont war das Schiff nicht mehr zu erkennen.

Jetzt erfüllte ihn wilde Freude, denn er sah, daß das Segel nicht mehr wie ein trockener Lappen am Mast hing, sondern sich ganz leicht bewegte. Und das Wasser, das ihm ins Kreuz gedrungen war, stammte von winzigen kleinen Wellen, die der schwache Luftstrom erzeugte.

Er nahm einen Schluck Wasser, denn seine Kehle war ausgedörrt, und die Zunge hing ihm wie ein trokkener Schwamm im Mund. Er nahm nur soviel, um sich den Mund zu spülen, die Lippen zu benetzen und sich ein wenig zu erfrischen.

Danach suchte er sehr aufmerksam die Umgebung ab und hielt Ausschau nach weiteren Anzeichen von Wind oder Wolken.

Es dauerte nochmals bis zum späten Nachmittag, bis sich das Segel leicht bauschte und sein plumpes Fahrzeug vorantrieb.

Zwei Tage und zwei Nächte trieb der Reverend Thornton auf dem Meer, vegetierte auf seinem kleinen Floß dahin, trank ab und zu einen Schluck Wasser, das ihm Übelkeit bescherte, und aß von dem knochenharten Zwieback. Das Salzfleisch rührte er nicht an, sein Genuß würde nur noch mehr Durst hervorrufen.

Am dritten Tag flog ihm ein handlanger Fisch aufs Floß. Er schnellte aus dem Wasser, fiel auf das Floß, zappelte und blieb liegen.

Thornton packte ihn gierig, zerriß ihn mit zitternden Fingern und aß ihn roh auf.

Etwas später fühlte er sich hundeelend und glaubte, seinen eigenen Augen nicht mehr zu trauen.

Nixen stiegen aus dem Wasser, mit Seetang behangene Gestalten tauchten auf und grinsten ihn an.

Mitunter stand das Wasser kopf, dann war der Himmel tief unter ihm, und das Meer befand sich in unerreichbaren Höhen. Er glaubte, sich dort hoch oben entlangsegeln zu sehen.

Den Anfall wurde er erst gegen Mittag los, da klärten sich seine Gedanken, und die Welt schien wieder in Ordnung zu sein.

Doch etwas später begann es von neuem. Thornton sah ein Schiff, einen spanischen Zweidecker, der den Kurs änderte und auf ihn zulief.

Das ist die Rettung, dachte er, oder es ist wieder ein Trugbild, das sich auflösen wird.

Doch das Schiff löste sich nicht auf. Es segelte ihm beharrlich entgegen, ging etwas später in den Wind und braßte vierkant.

Thorntons Herz klopfte vor Erwartung. Gleich würde er Wasser kriegen, Verpflegung, vielleicht in einer Koje schlafen können.

Und die Leute von der „Black Pearl“ konnte er auch noch in die Pfanne hauen, wenn er den Spaniern eine rührselige Geschichte erzählte.

Sie warfen ihm einen Tampen hinunter, banden das Floß fest und ließen ihn über die Jakobsleiter aufentern.

Thornton sprach schlecht spanisch, aber zur Verständigung reichte es.

„Meine Retter“, murmelte er erschöpft und ließ sich auf die Planken sinken.

Der Kapitän, ein kleiner dicklicher Mann mit wäßrigen Augen, sah ihn verächtlich an.

„Ein Engländer“, sagte er abfällig. „Hat man dich ausgesetzt, Amigo?“

Teufel, dachte Thornton, vor dem Burschen muß ich mich in acht nehmen, der hat mich anscheinend gleich durchschaut, dem kann ich nicht allzuviel vorflunkern. Auf das gespielte Theater vom total erschöpften Mann schien der auch nicht hereinzufallen.

Blitzschnell erfand er eine haarsträubende Geschichte.

„Ich bin Priester“, sagte er schwach. „Gott segne euch, er soll auch die nicht verdammen, die mich ausgesetzt haben. Ja, man hat mich ausgesetzt“, sagte er klagend. „Ausgesetzt, weil ich das Morden und Töten nicht länger mit ansehen konnte. Ich schäme mich für meine Landsleute, Capitan.“

„Wer hat wen getötet und warum?“ fragte der dickliche Mann kühl.

„Ich war auf der ‚Black Pearl‘, einem englischen Schiff. Sie hatte den Auftrag, spanische Schatzschiffe zu überfallen, doch das erfuhr ich erst, als wir unterwegs waren. Nie hätte ich die Planken dieses Schiffes betreten, ich schwöre es.“

Daß er Priester war, hinterließ bei diesen Leuten nicht den geringsten Eindruck.

„Kann ich einen Schluck Wasser haben?“ fragte er schnell.

„Bringt ihm Wasser!“ befahl der Capitan. „Erzählen Sie weiter, Amigo!“

Eine Muck Wasser wurde ihm gereicht, die er gierig an die Lippen setzte und austrank. Dann berichtete er weiter.

„Unser Kapitän brachte zwei Spanier auf und kaperte sie. Die Mannschaft ließ er elendiglich ersaufen, als das Schiff sank. Zuvor stahl er noch den größten Teil der Ladung.“

Der Capitan verzog nicht einmal das Gesicht.

„Wie hieß das Schiff?“ fragte er schnell.

„‚Black Pearl‘, Capitan.“

„Ich meine den Spanier!“

„Ah, ich habe mir das furchtbare Gemetzel nicht mit ansehen können, ich bin gleich unter Deck gegangen und habe gebetet für die armen Seelen.“

„So, so, Sie haben gebetet, und den Namen kennen Sie nicht?“

„Er fing, glaube ich, mit Nuestra an oder so ähnlich.“

Wieder zeigte sich keine Regung im Gesicht des Spaniers.

„Und wie war das mit dem anderen Schiff?“

„Unser Kapitän ließ es entern, nachdem die Seeleute es zusammengeschossen hatten. Sie luden Gold- und Silberbarren auf die ‚Black Pearl‘ und segelten davon, ohne sich um das sinkende Schiff und die Männer zu kümmern. Daraufhin sprach ich mit dem Kapitän und bin wohl etwas ausfallend geworden in meinem gerechten Zorn. Ich sagte, daß er zumindest die Verantwortung für die spanischen Leute hätte und sie nicht umkommen lassen dürfe. Er lachte nur, er lachte mich aus“, sagte Thornton bitter mit gesenktem Kopf.

„Welchen Kurs lief das englische Schiff?“

„Auf Ostkurs, aber wir waren in einer Kalme.“

„Wie viele Kanonen?“

„Sechs auf jeder Seite und vorn und achtern eine.“

„Was geschah weiter?“

„Der Kapitän ließ mich aussetzen, er könne meine Vorwürfe nicht mehr mitanhören, denn die anderen seien doch nur dreckige Spanier, so sagte er wörtlich.“

„Sie, einen Priester, hat man also ausgesetzt“, sagte der Capitan kopfschüttelnd. „Das ist eine harte Strafe, Mann Gottes, eine sehr harte sogar. Das muß ich unbedingt einmal meinen Leuten demonstrieren, denn einige werden aufsässig. Würden Sie mir dabei helfen, Amigo?“

„Sehr gern, Capitan.“

Der Spanier ließ seine Leute zusammenrufen. Fünfundzwanzig Mann nahmen am Schanzkleid Aufstellung.

„So hat ein englischer Kapitän einen Priester ausgesetzt“, sagte der Capitan laut. „Zeigen Sie es den Kerlen einmal, steigen Sie über die Jakobsleiter auf Ihr Floß!“

Thornton grinste sich eins. Jetzt bedauerten sie ihn alle sehr, das las er in ihren Gesichtern, und er freute sich, daß er es demonstrieren durfte.

So schnitt er ein unsagbar wehleidiges Gesicht, winkte noch einmal abschiednehmend und stieg mit traurigen Augen auf sein Floß.

„Könnt ihr euch jetzt vorstellen, wie dem Mann zumute ist?“ fragte der Capitan laut.

„Si, Senor!“ tönte es im Chor zurück.

Thornton wollte nach der Leiter greifen, um wieder aufzuentern, doch die hing nicht mehr da.

Der spanische Capitan sah ihn ausdruckslos an, griff nach einem Messer und durchtrennte blitzschnell das Tau, das das Floß mit der Galeone verband.

Im ersten Augenblick begriff Thornton gar nichts. Sprachlos stand er auf seiner wackligen Unterlage und starrte nach oben.

„Ihr Besuch war mir eine Ehre, Amigo“, sagte der Spanier feierlich ernst und verbeugte sich. „Segeln Sie in Gottes Namen weiter, Amigo, wir haben Sie schon viel zu lange aufgehalten!“

Er verbeugte sich noch einmal, lüftete seine Kopfbedeckung wie ein spanischer Grande und wandte sich ab.

Reverend Thornton stand da, als hätte ihn der Blitz getroffen. So richtig kapierte er es immer noch nicht.

Ist das alles etwa immer noch auf den Genuß des Fisches zurückzuführen, dachte er betäubt. Ist das alles nur ein Spuk?

Nein, es war kein Spuk. Schon standen auf der Galeone wieder die Segel, wurden Kommandos gebrüllt, das Schiff nahm langsam Fahrt auf und ging auf Westkurs.

Als es an Reverend Thornton vorüberzog, winkte der Spanier noch einmal lässig mit der Hand, gnädig, herablassend, und die lausigen Kerle, die am Schanzkleid standen, grinsten und spien ins Wasser.

„Bastarde!“ kreischte Thornton, den es innerlich vor Zorn, Wut und Enttäuschung fast zerriß. „Spanische Dreckfresser, Kakerlaken, Hurenböcke!“ brüllte er. Seine Stimme ging in ein Schluchzen über, unterbrochen von pausenlosen Flüchen.

„Ihr verlausten Rattenpisser, puta madre santissimo, absaufen sollt ihr mit eurem Mistkahn, ihr Schneckenfresser!“

Thornton tobte selbst dann noch, als das Schiff bereits am Horizont verschwand.

Gebrochen an Leib und Seele legte er sich nieder. Sie haben mir kein Wort geglaubt, keine einzige Silbe, dachte er.

Die Kerle würden sich totlachen, und diese schmähliche Niederlage stachelte seinen Zorn nur noch mehr an. Um ein Haar wäre er bei seinem Tobsuchtsanfall ins Wasser gekippt.

Nein, das gab es einfach nicht, sagte er sich immer wieder. Sie konnten keinen Schiffbrüchigen einsam ohne Wasser und Verpflegung seinem Schicksal überlassen. Ganz sicher hatten sie sich nur einen Scherz mit ihm erlaubt und würden wieder umkehren, um ihn an Bord zu nehmen.

Doch sie dachten nicht daran, umzukehren, sie waren auch nicht mehr zu sehen. Er mußte versuchen, die übelste Niederlage seines Lebens zu überwinden, ohne an seinem eigenen Haß zu ersticken.

Und diesen verfluchten Bastarden hatte er auch noch den Kurs der „Black Pearl“ verraten! Nun, schade war es um die Kerle nicht, sollten sie sich gegenseitig die Schädel einschlagen, wenn sie sich begegneten.

Der Wind blies jetzt etwas stärker, und er ließ sich mit dem Floß in die Richtung treiben, in die er blies. Viel mehr konnte er nicht tun.

Irgendwann wurde es dunkel, und er schlief wieder ein. Winzige Wellen überspülten sein Floß, aber er merkte es nicht. Das Wasser war warm und angenehm, und so schlief er weiter.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 125

Подняться наверх