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3GOTTLOSES KIND
ОглавлениеVerbleiben wir doch noch ein wenig in Ihrer Kindheit. Als Historiker versuche ich Menschen immer auch aus ihrem Gewordensein zu verstehen. Wenn Sie nun über Ihr Elternhaus, über Ihre Verwandtschaft ein wenig hinausschauen: Welche weiteren wichtigen Erfahrungen gab es für Sie, vielleicht auch solche, wo Sie mehr Freiräume erfahren haben als zu Hause?
Da fällt mir sofort die Natur ein. Mit der Natur habe ich ja noch heute eine unverbrüchliche Zusammengehörigkeit. Sie hat mich getröstet und beschützt, ich habe sie verteidigt und bewundert. Unsere Großeltern hatten dieses gemütliche Holzhaus am Waldrand von Reichenberg, das wir die Alm nannten. Als wir in Linz und Wien lebten, haben wir dort immer die Ferien verbracht. Meine Zuflucht auf der Alm war zwischen zwei Felsen, darüber beugten sich eine Esche und eine Trauerweide. Dorthin flüchtete ich, wenn ich unglücklich war. Dann habe ich mir, was viele Kinder tun, ausgedacht, dass ich andere Eltern habe, dass meine Eltern eigentlich ein König und eine Königin sind und ich bei meinen Eltern nur als Findelkind bin. Und dann, wenn’s ganz schlimm war, habe ich mir vorgestellt, dass ich sterbe und wie sie weinend hinter meinem Sarg hergehen. Dort in meiner Zuflucht habe ich mir auch die verschiedensten Märchen ausgedacht. Ich würde noch heute blind den Weg zu diesen Felsen finden, wenn’s die Wege noch gibt. In dem Moment, wo ich dort gesessen bin, bin ich ruhig gewesen, da konnte mir nichts passieren, es roch so gut, und ich hörte das Summen der Insekten und den Wind, und alles war gut.
Noch heute gehe ich, wenn ich zornig oder traurig bin, in die Natur, und der Zorn und die Trauer verrauchen. Ich bin ja wirklich keine Esoterikerin, das muss ich betonen, aber wenn ich die Hände auf den Stamm einer Eiche oder einer Birke lege, dann pulsiert es, da spüre ich, das ist Kraft, das sind Energien. Ich liebe das so sehr. Ich bewundere die Bäume, und mir tut’s weh um jeden, der geschlägert wird. Das ist eine ganz viszerale Beziehung, die ich mit der Natur habe. Ich spürte schon damals intuitiv, was unser Freund und Mitstreiter gegen Zwentendorf und für die Au, Friedensreich Hundertwasser, fünfzig Jahre später sagte: »Die freie Natur ist unsere Freiheit.« Und heute sage ich mir: Freda, auch wenn du nicht mehr ordentlich gehen kannst, du kannst dich immer noch dort hinsetzen und das anschauen. Die Liebe zur Natur war auch wichtig für mein Engagement in der Ökobewegung, und deshalb haben die Leute leicht sagen können: »Na, Ihnen hat man geglaubt, man spürt bei Ihnen die volle Überzeugung.« Na ja, Kunststück, klar war’s so, denn ich musste ja nicht spielen. »Weißt du, was ein Wald ist?«, hat Bertolt Brecht gefragt. »Ist ein Wald etwa nur 10 000 Klafter Holz? Oder ist er eine grüne Menschenfreude?«
Ich habe außerdem in meiner Kindheit sehr gerne Sport betrieben, zum Beispiel war ich eine gute Skiläuferin: Und: Ich muss gestehen, ich habe die Geschwindigkeit geliebt. Das hatte für mich etwas von Freiheit. Ich bin immer über meine Verhältnisse gefahren, gerade immer an der Grenze. Das hat mich wahnsinnig gereizt. Einmal waren wir zu Weihnachten auf der Plannerhütte in den Tauern. Ich muss fünf oder sechs Jahre alt gewesen sein. Es war saukalt, und eigentlich habe ich nur gefroren und nasse Füße gehabt. Aber wie hat mich die Natur fasziniert! Ich entdeckte einen Bach mit vielen glänzenden Eiszapfen. Wenn ein Lichtstrahl auf sie fiel, haben sie wundervoll gefunkelt. Da konnte ich stundenlang hocken, mir das anschauen und mich freuen. Und dann eben meine Liebe zum schnellen Skifahren: Ich bin immer Schuss-Bumm gefahren, dann hat’s mich natürlich hingehaut, und das haben meine Eltern nicht goutiert. So haben sie mich in einen Skikurs für Kinder gegeben, und da sagt doch mein Vater zum Skilehrer: »Wenn sie nicht pariert, dann hauen Sie sie mit’m Skistock.« Ist doch sehr demütigend, oder? Und ich hab mich auch noch geschämt dafür! So musste ich Schneepflug und Stemmbogen fahren und nicht einfach Schuss. Aber mir hat’s dann eh gefallen, und ich habe eine tolle Standfestigkeit dabei bekommen.
Später bin ich auch noch geritten, das war schon in der NS-Zeit, dann wurde das aber als vormilitärische Ausbildung deklariert und wir Mädchen durften ab 1943 nicht mehr. Und, stellen Sie sich vor, ich habe Segelfliegen angefangen, das war wirklich mein großer Traum. Ich habe sogar noch die A-Prüfung machen können. Das hätte ich geliebt! Aber dann hieß es wieder: Das dürfen Mädchen nicht. Also ich spürte damals schon Freiheiten in mir, aber das meiste kam erst in der Pubertät, als mein Vater uns schon verlassen hatte.
Welche Bedeutung hatte in dem bildungsbürgerlichen Umfeld, in dem Sie aufgewachsen sind, das Lesen, hatten für Sie bestimmte Bücher?
Beim Lesen war ich immer in einer anderen Welt, und das war nicht die Welt der anderen. Sehr viele Tierbücher habe ich damals gelesen; auch den Hermann Löns, den man heute sehr kritisch sehen kann, liebte ich sehr. Die Biene Maja und diese ganzen Sachen habe ich verschlungen. Mädchenbücher konnte ich zu Hause gar nicht lesen. Da haben sie mich verhöhnt, auch mein Bruder hat mich ausgelacht, wenn ich Trotzkopf und Nesthäkchen las, die ich so geliebt habe. Und lange, lange Jahre waren Märchen und Sagen eine Hauptlektüre von mir. Sie sind mir geblieben, auch der Robinson Crusoe, die Riesen und die Zwerge. Das war ganz wichtig für mich, diese Vorstellung der Verschiedenheit der Menschen, und die Mystik in den Märchen. Da lernt man noch, wenn man selbst älter wird und Kinder hat, von den Kindern so viel.
In Wien, ca. 1937
Zum Beispiel?
Ted, meinem ältesten Sohn, musste ich immer wieder die Hänsel-und-Gretel-Geschichte erzählen oder vorlesen. Er war fünf oder sechs Jahre alt, als er plötzlich zu weinen anfing. »Was ist los, Ted?«, fragte ich. Da sagt er: »Mir tut die arme Hexe so leid. Hänsel und Gretel lügen sie immer an und stecken da ein Hölzchen hin und zeigen gar nicht ihre Finger.« Gerade das ist ja das Interessante an Kindern, dass sie Dinge sehen, an denen man selbst immer vorbeigegangen ist. Kinder können querdenken, wenn man sie lässt. Und festhalten an einer Welt, die sie haben wollen, und da glauben sie eben noch ans Christkind oder an den Weihnachtsmann, auch wenn sie eigentlich wissen, dass es die gar nicht gibt. Darauf kommt’s auch nicht an. Es muss ein Phantasiebild sein. Ich halte das für so wichtig. Wir lernen beispielsweise über Märchen, mit Schmerzen oder Ängsten fertigzuwerden. Ich selbst habe mich als Kind geängstigt für diese zwei Kinder, die sich verirrt haben. Ich habe das damals nicht verstanden, ich hatte immer einen ausgeprägten Orientierungssinn in der Natur, und habe mich gefragt: Wie können Hänsel und Gretel sich verirren, die müssen doch die Wege gekannt haben, diese Kinder, was ist denn los mit denen?
Dann fällt mir noch eine Geschichte ein, wo ich mir einen verwunschenen Prinzen phantasiert habe. Ich wollte wahnsinnig gerne Rad fahren. Der Einzige von uns, der ein Fahrrad – und zwar ein Steyr-Waffenrad – bekommen hat, war natürlich mein Herr Bruder. Er war damals fünfzehn und ich war sieben. Einmal durfte ich nachmittags zu Hause bleiben, denn ich hatte angeblich Halsweh. Der Peter war in der Schule, so habe ich mir sein Waffenrad geschnappt. Über die Stange konnte ich natürlich nicht drüber, bin also unten durch und losgefahren. Wir haben in Linz auf dem Bauernberg gewohnt, und am Römerberg war damals die einzige wirklich gut asphaltierte Straße, eine Serpentine. Ich bin diese Serpentine, die ziemlich steil war, jeden Tag von der Schule hinaufgegangen. Nun bin ich dort mit dem Fahrrad runtergesaust. Und dann, ich konnte ja noch nicht anständig Rad fahren, bin ich am Trottoir angestreift und geflogen, über das Rad drüber. Ich hatte ziemliches Weh, lag zuerst ganz benommen da und dann vor allem der Schreck – das Rad! Ich hab gesehen, es ist verbogen. Damals gab’s dort einen alten Mann, der immer mit einem Leiterwagen unterwegs war und die Pferdeäpfel und das Laub gekehrt hat. Er hatte, ich erinnere mich noch genau, nur einen Zahn oben. Er kam gerade in dem Moment, wo ich daliege. Er wusste natürlich genau, wo ich wohne, schmeißt mich auf seine Pferdeäpfel und sein Laub drauf, wirft das Rad über mich und führt mich, blutend, nach Hause. Und wie der mich so rettet, denke ich mir: Das ist gar kein Straßenkehrer, das ist ein verwunschener Prinz. Ich fand seinen einzelnen Zahn hochinteressant, er hat mich fasziniert. Ich siebenjähriges Mädchen habe mich hemmungslos in diesen verwunschenen Prinzen verliebt. Aber nachdem ich auch den Froschkönig gelesen hatte, dachte ich mir: Na hoffentlich muss ich dem keinen Kuss geben.
Wissen Sie, wenn ich jetzt von all dem erzähle, was ich in meiner eher zerrissenen Kindheit erlebt habe, fällt mir auf, was ich damals womöglich Positives daraus gezogen habe. Ich glaube, ich habe damals gelernt, allein sein zu können. Damals war ich oft froh, wenn ich nicht von irgendwas oder irgendjemandem bedrängt wurde.
Stichwort »bedrängt werden«: Sie erlebten Ihre Kindheit in Linz zu einer Zeit, in der das damalige politische System, der Austrofaschismus der 1930er Jahre, etwas Bedrängendes haben konnte. Wie haben Sie das erlebt?
Sie dürfen nicht vergessen, damals ist Linz das Schwärzeste und Provinziellste gewesen, was man sich vorstellen kann. »Linz an der Tramway«, hieß es, denn das Einzige, was Linz hatte, war eine Tramway. Wie hat man damals noch gesagt? Linz ist ein Mostschädelnest. Das hatte schon etwas Verächtliches.
Es gab eine starke Dominanz der katholischen Kirche. Was heißt Dominanz? Österreich war damals klerikal-faschistisch, die Kirche und die Regierung haben regiert, vor allem die Kirche. Das war spätestens seit den Februarkämpfen 1934 so. Als die in Linz losgingen, bekam ich die Schießereien mit. Gerade in Linz war es dramatisch. Ich – noch nicht einmal sieben Jahre alt – habe aber natürlich nicht verstanden, wer da gegen wen kämpft, das hat mir kein Mensch erklärt. Mir wurde nur gesagt, ich dürfe nicht aus dem Garten raus und nicht auf die Straße. Aber mein Bruder lehrte mich, wenn Heimwehrler mit dem Hahnenschwanz am Hut vorbeikommen, mich hinter einem Busch zu verstecken und laut »kikeriki« zu rufen – meine erste politische Aktion!
Ich selbst bin ja in einer Familie aufgewachsen, die nicht anti-religiös, sondern die areligiös war. Das heißt: Religion hat bei uns keine Rolle gespielt, man hat nicht gebetet, man hat nicht darüber gesprochen. Aber dann machte ich meine eigenen Erfahrungen in diesem stockkatholischen Linz, als ich in die Schule kam. Da kommen jetzt Bilder, Bilder, Bilder, ich kann gar nicht so viel reden, wie die Bilder jetzt auf mich einstürmen.
In der Volksschule hatte ich sofort Religionsunterricht, und Religion war für mich etwas völlig Neues. Wie jedes Kind habe ich zugehört, habe aber vieles nicht verstanden. Das fing schon in der zweiten Klasse an, als von der Unbefleckten Empfängnis geredet wurde. Ich hatte keine Ahnung, wovon der Religionslehrer, der auch Pfarrer war, spricht, denn ich kannte nur Flecken und wusste, dass man dafür Fleckenwasser braucht. Wir hatten immer welches zu Hause, weil wir uns als Kinder ja gerne angepatzt haben. So habe ich den Religionslehrer gefragt: »Wie war denn das mit der Unbefleckten Empfängnis? Wo waren denn die Flecken?« Ich war ja durchaus ein neugieriges und aufgewecktes Kind. Da sagt er mir, wie unartig ich sei, schickt mich in die letzte Bank, und ich hätte keine Fragen mehr zu stellen. Ich setzte mich in die letzte Bank und war dort eigentlich sehr zufrieden, weil ich unter der Bank lesen konnte, das hat niemand gesehen. Ich habe meinen Dr. Dolittle gelesen und auch die Mädchenbücher, die ich zu Hause verstecken musste.
Ein Jahr darauf kam die Erstkommunion. Es ist merkwürdig, wie wach diese Erinnerung in mir noch ist, wie sehr mich das geprägt hat, diese scheinbaren Äußerlichkeiten, die aber etwas Gewalttätiges haben. Da passierte Folgendes: In der Schule wurde gesagt, die Mädchen müssten für die erste heilige Kommunion weiße Kleider haben und die Buben Matrosenanzüge, aber vorher müssten wir noch beichten gehen und ein Sündenbekenntnis schreiben. Ich sehe mich noch zu Hause an dem abgeschabten, kleinen, weißen Pult sitzen, das im Kinderzimmer stand, an dem wir immer herumgekratzt haben, wenn wir arbeiteten. Dort habe ich nachgedacht: Was ist ein Sündenbekenntnis, was mache ich da? Ich hatte keine Ahnung. Geht mein Bruder durchs Zimmer und fragt: »Was machst denn du da? Was spielst du herum?« – »Ich muss ein Sündenbekenntnis schreiben, und ich weiß nicht, was ich schreiben soll.« – »Ist doch leicht, schreib einfach hin: ›Ich habe gelogen, ich habe betrogen, ich habe die Katz am Schwanz gezogen.‹ « Ist ein altes Sprücherl. Ich frag noch: »Meinst?« – »Ja.« Na, wenn mein älterer Bruder das sagt. Ich war erleichtert und schrieb das Sprücherl auf.
Am nächsten Tag mussten wir in den Neuen Dom in Linz, wo alles so unheimlich war, recht düster. Und in den ganz düsteren Ecken waren diese kleinen Häuschen, die Beichtstühle, in denen man niederknien musste; ich kniete auch. Plötzlich geht bei dem Gitter das Türl auf – ist da mein Religionslehrer. Ich erschrecke, denn der mag mich ja nicht. Er fragt: »Was sind deine Sünden? Bekenne!« Ich sage mein blödes Sprücherl auf. Na, mehr hat er nicht gebraucht. Er war außer sich und sagte: »Du gehst jetzt zum Marienaltar und sagst fünfzig Vaterunser und zwanzig Ave-Maria, und den Rosenkranz betest du zehn Mal.« Ich habe nicht gewusst, warum, aber ich ging dorthin, kniete nieder und hab’s schnell runtergeradelt: »Vater unser, der du bist im Himmel …« Ich hab’s brav gemacht und bin rausgegangen.
Dann hieß es, am nächsten Tag müssten wir nüchtern in die Schule kommen, denn da sei der große Tag, die heilige Kommunion. Ich hatte noch zu meiner Mutter gesagt: »Mami, ich brauch ein weißes Kleid.« Worauf meine sehr vernünftige Mutter, die zwar Taufscheinkatholikin war, aber der die katholischen Rituale fremd waren, meinte: »Ich denke nicht daran, dass ich dir ein Kleid für ein Mal kaufe. Zieh ruhig dein rotes Samtkleid, dein Sonntagskleid an.« So zog ich das rote Sonntagskleid an und ging in die Schule. Dort fiel mir das Herz in die Hose. Waren doch die ärmsten Kinder aus der Altstadt in Organdykleidern, die bis zum Boden reichten, mit beneidenswerten Kerzen mit Silber- und Goldschrift und Kreuzen. Ich war geblendet. Ich stand da in meinem roten Kleidchen und war voller Neid und Sehnsucht. Alle hatten große Maschen in den Haaren, und ich hatte nichts. Als die Lehrerin und der Pfarrer – es war immer derselbe Pfarrer, der mich verfolgt hat – kamen, sagt dieser Pfarrer: »Meissner, du gehst zwischen der Frau Lehrerin und mir, du störst das ganze Bild.« Ich durfte nicht mit den Kindern, die in Weiß waren, gehen!
Das hat mich tief gekränkt. Dann bekamen wir die Oblate. Ich hatte Angst, dass ich in sie reinbeiße, denn es war uns gesagt worden: »Wenn ihr hineinbeißt, dann beißt ihr in den Leib des Herrn Jesus Christus.« In den wollte ich ja nicht beißen. Die Oblate blieb mir – ich spüre das heute noch – am Gaumen kleben. Jetzt muss ich ja darüber lachen, aber damals war ich verzweifelt. Ich versuchte, die Oblate mit der Zunge runterzudrücken. Nachher gab’s dann im Pfarrhof Kakao mit Guglhupf. Und stellen Sie sich vor, ich durfte wieder nicht bei den anderen Kindern sitzen, musste wieder die ganze Zeit zwischen diesem schrecklichen Priester und der Lehrerin sein.
Ich habe es meiner Mutter sehr übel genommen, dass sie in dieser Situation aus mir eine Außenseiterin gemacht hatte. Lange Zeit wagte ich nicht, es ihr zu sagen. Erst, als ich erwachsen war, fragte ich: »Du sag einmal, Mami, warum hast du mir damals nicht …?« Da antwortete sie: »Ja, warum hast du nicht gesagt, dass das sein muss, dann hättest du es auch bekommen.« Na ja … Aber damals bei der heiligen Kommunion hat meine Abkehr von der Kirche endgültig begonnen. Es war für mich eine Pein, dass wir Volksschulkinder – das war ein derartig strenges Regime – jeden Sonntag in der Schule antreten mussten; von dort wurden wir von einem Priester in den Neuen Dom geschafft. Jeden Sonntag mussten wir der Messe zuhören. Da war der Sonntag verpfuscht.
Da gingen Sie schon lieber in den Kürnberger Wald?
Das ist wahr, da war’s mir noch lieber, sonntags keltische Scherben zu suchen. Eigentlich war ich froh, wenn mir meine Eltern eine Entschuldigung schrieben.
Haben Sie noch weitere Erinnerungen an Ihre Linzer Schulzeit?
Ich besuchte eine Volksschule, in die vor allem die armen Kinder gingen, die in der Nähe der Altstadt und in der Altstadt selbst wohnten. Aus der »schönen« Schule, der Figuly-Schule, war ich rausgeflogen. Das kam so: Als ich noch in die Figuly-Schule ging, mussten wir Mädchen natürlich auch sticken, ich konnte aber nicht sticken. Bei mir wurde das immer sehr braun und mal zugezogen, dann habe ich wieder ganz locker gelassen und es wurde zu weit, eine Ziehharmonika. Ich wurde von der Handarbeitslehrerin immer geschimpft. Zu Hause bin ich gesessen und habe geflennt. Unser Stubenmädchen Resi hat mich gefragt, warum ich weine. »Ich kann das nicht«, habe ich gesagt. »Komm, ich mach dir das.« So machte sie mir tadellos die verschiedenen Stiche, die ich hätte lernen sollen. Na, ich komme stolz mit dem Ding in die Schule, und die Lehrerin behauptet: »Das hast du nicht gemacht.« Sag ich: »Nein, das hat die Resi gemacht.« Daraufhin haben sie meinen Vater in die Schule bestellt – meinen Vater, der sich nie um uns gekümmert hat, der nicht einmal wusste, in welche Schule wir gingen. Das war auch das einzige Mal, dass er dort war. Er kommt in die Schule, reißt die Tür des Klassenzimmers auf und fragt die Handarbeitslehrerin: »Sie wollten mich sprechen?« – »Ja, Herr Doktor, wir gehen hinaus.« Sie gehen ins Lehrerzimmer, und ich wie ein Pfitschipfeil hinterher und lausche an der Tür. Da höre ich, wie er sie anbrüllt: »Sie dumme Kuh!« Das war das Ende meiner ersten Klasse Volksschule. Ich flog raus und ging dann in die einfache Baumbachschule.
Um noch einmal auf diesen staubigen und engen Katholizismus zurückzukommen: Gerade in der Schule habe ich damals schon gemerkt, dass die Kinder, deren Eltern mit der Kirche oder mit der damaligen Clique zu tun hatten, viel besser gestellt waren als die anderen. Im Rückblick glaube ich, dass meine Abkehr von der katholischen Kirche meine erste wirkliche Rebellion war. Ich muss Ihnen gestehen, dass mir letztlich die Nazis dabei behilflich waren. Mit vierzehn, am Tag genau, als ich vierzehn Jahre alt wurde, das war am 11. März 1941, bin ich aus der Kirche ausgetreten. Ich habe niemanden gefragt, man durfte das damals nämlich mit vierzehn. Damit war für mich das Kapitel Kirche – vorläufig – geschlossen.