Читать книгу Rhöner Nebel - Friederike Schmöe - Страница 19
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ОглавлениеAls hätte er nicht genug Sorgen. Kleine Kinder, kleine Sorgen. Große Kinder … Sei’s drum. Eduard Mähling rieb sich die Hände. Wenigstens aus den andauernden Geldproblemen hatte er einen Ausweg gefunden. Zufälle gab es, die hätte sich niemand ausdenken können. Nun allerdings wurde der Boden unter seinen Füßen heiß. Er selbst war der Einzige, dem es auffiel. Horweg sah die Sache naturgemäß anders. Und van Cuun erst! Dieser Spinner mit seinem Mercedes in Goldmetallic.
Nein, es lag nicht an dem Wagen. Van Cuun hatte ihm oft genug erläutert, dass es in seiner Branche ein Vorteil war aufzufallen. Man müsste eben nur richtig auffallen, hatte van Cuun gesagt und sich über diesen vermeintlichen Witz kaputtgelacht.
Mähling fand weder den Wagen noch van Cuun noch den Witz lustig. Aber er hatte sich saniert. Durch Typen wie Horweg und van Cuun.
Mähling zog die Arbeitszimmertür zu. Seine Tochter war nicht mehr im Haus. Das große Kind ging eigene Wege. Und seine Frau hatte sich im Laufe der Ehe daran gewöhnt, dass ihr Mann nicht zu sprechen war, wenn er sich im Arbeitszimmer verschanzte. Störungen waren nicht zu erwarten.
Er goss sich einen Whiskey ein. Das ledrige Aroma stieg ihm angenehm in die Nase. Doch seltsamerweise beruhigte der Duft ihn heute nicht im Geringsten. Er steckte in Schwierigkeiten.
Alles hatte mit einem offiziellen Geschäft mit der DDR begonnen. Er belieferte das Wirtschaftsministerium in Ostberlin mit seinen Papierprodukten. Auf der Leipziger Messe hatte er das eingefädelt. Er wollte eigentlich vorfühlen, ob er in der DDR produzieren lassen könnte. Zu einem Bruchteil der Kosten, die er im Westen decken musste. Letztlich war alles anders gekommen. Er hatte gut verkauft. Vor allem Fotopapier. Hochwertiges. Wofür die da drüben so viel Fotopapier benötigten – Mähling war es gleichgültig. Hauptsache, er ging nicht in Insolvenz. Kurz darauf interessierte sich der Osten außerdem für seine Schreibmaschinen. Die gute alte Brother. Mit Korrekturband und Speicherfunktion, ganze drei Seiten konnte die im Gedächtnis behalten! Nicht alle wollten auf Computer umsteigen, obwohl immer mehr Leute das Maul aufrissen und taten, als wäre so ein Rechner das Ende aller Geheimnisse des Planeten. Mähling glaubte nicht an das neue Zeitalter. Die Handhabung war viel zu kompliziert, es würde lange dauern, bis Otto Normalverbraucher die Technik anwenden konnte. Insofern investierte er lieber in die Schreibmaschine, da lief alles ganz intuitiv. Wie man es kannte. So wollte die Masse der Kunden es haben.
Als Unterhändler hatte Horweg gute Arbeit geleistet. Der Ostberliner hatte Mähling seinerzeit sogar in Fulda besucht. Bei einem Drink in Mählings Arbeitszimmer war ihm die Kohlezeichnung von Degas aufgefallen.
Ich hätte nichts sagen sollen, dachte Mähling. Hätte Horweg doch denken sollen, es wäre wirklich ein Degas.
Stattdessen hatte Mähling aufgekracht. Hatte sich sicher gefühlt, auch ein bisschen geschmeichelt. Horweg war jemand, der einem anderen Honig ums Maul schmieren konnte. Damals, 1985.
Die Zeichnung sehe aus wie ein Degas, hatte Mähling gesagt. In Wirklichkeit handelte es sich um eine außerordentlich gut gemachte Kopie.
Eine Fälschung? Wie Horweg ihn angesehen hatte. Seine spitze Nase, die schwarzen Augen! Richtig gelodert hatten die.
Wenn man so wolle, könnte man es eine Fälschung nennen, hatte Mähling geantwortet, und der folgende Schluck Whiskey hatte ein Brennen in seinem Magen ausgelöst.
Wie der Drink jetzt. Er stellte das Glas weg.
Horweg hatte ihm aus dem Stegreif eine Idee unterbreitet und um Stillschweigen gebeten, bis er sich nach oben abgesichert hätte. Für Mähling wäre mit Sicherheit ein guter Nebenverdienst drin. D-Mark, selbstverständlich. Dabei hatte Horweg Mähling freundlich zugenickt. Mit einem lauernden Ausdruck im Gesicht. Der ließ Mähling heute noch einen kalten Schauer über den Rücken laufen.
Zwei Monate später hatte Horweg erneut in Fulda Station gemacht. Seinen Wartburg parkte er selbstbewusst auf Mählings Auffahrt. Dem war so viel Offenheit unangenehm, er wollte nicht, dass die Nachbarn mitbekamen, dass er Besuch von drüben hatte. Später fragte ihn tatsächlich jemand danach. Mähling redete sich mit einem angeblichen Verwandten seiner Frau heraus.
Er müsse verstehen, erläuterte Horweg. Da gäbe es Leute in der Nomenklatura, die seien weit aufgestiegen, aber eben nicht bis ganz an die Spitze. Trotz Ehrgeiz und Talent. Trotz guter Kontakte. Irgendwie reichte es nicht. Diese Leute suchten sich anderweitig Bestätigung. Ob Mähling das nachvollziehen könne?
Mähling nickte und merkte, dass er in die Falle gegangen war. Er kannte sich mit Verhandlungsstrategien aus. Wer einmal Ja sagte, kam aus der Schleife nur schwer heraus. Zudem saß ihm der Schreck des Beinahe-Bankrotts noch im Nacken, den er allein durch die Extrageschäfte mit Ostberlin abgewendet hatte. Wer weiß, wie lange diese Beziehungen bestehen würden!
Ob Mähling Kontakt zu dem Fälscher herstellen könne?
Mähling reagierte geschickt. Der Künstler sei eine zarte Seele. Nicht fürs raue Geschäftsleben geschaffen.
Horweg verstand. Natürlich, so waren sie halt, diese Künstler. Joviales Lachen. Noch ein Drink.
Worum es Herrn Horweg denn ginge?
Sie kamen ins Geschäft. Fälschungen von Kunstwerken – keine ganz bekannten, aber auch keine No-Names. Solche Kohlezeichnungen wie dieser Degas, die wären etwas für die frustrierten Zwischengrößen drüben im Osten. Geld spiele keine Rolle, versicherte Horweg. Unzufriedene ruhig zu halten, das sei im Interesse von ganz oben.
Mähling trat ans Fenster. Es nieselte leicht. In der Kälte würde die Feuchtigkeit bald auf der Straße gefrieren. Ein früher Winter in diesem Jahr.
1985 – der Herbst mit Horweg lag nur zwei Jahre zurück, und doch schien ihm unendlich viel Zeit vergangen.
Anfangs, nachdem die Firma gerettet war, hatte er den Drang verspürt, seiner Frau eine Freude zu machen. Sie wäre gern weggezogen. Nach Frankfurt vielleicht, da fühlte sie sich wohl, Fulda war ihr zu klein, zu bischöflich, schlicht zu langweilig.
Aber ein Ortswechsel kam nicht in Frage. Die Nähe zur Grenze bedeutete einen Standortvorteil für ihn und Horweg. Er, Mähling, kümmerte sich um die Fälschungen. Maximal vier pro Jahr. So ein Gemälde oder eine Zeichnung war ja keine Massenware. Die Zwischengrößen drüben sollten sich gebauchpinselt fühlen. Es wäre kontraproduktiv, wenn zu viele von ihnen in kurzer Zeit mit Kunst abgespeist würden.
Mähling hatte die zusätzlichen Finanzen behutsam in die Papierfabrik umgeleitet und auch den Nonnen etwas davon abgegeben. Wenn er es recht bedachte, blieb ihm persönlich gar nicht so viel. Immerhin musste er noch van Cuun bezahlen. Er hoffte, in nicht allzu ferner Zukunft den Strom an neuen Bildern versickern lassen zu können. Eine Laune des Künstlers vorschützen – das ginge.
Die DDR 1987 war nicht mehr die von 1985. Die alten Tattergreise an der Regierung wurden immer seniler. Nur eine Frage der Zeit, wann Minister Rauchfuß ins Stolpern geriet. Die hatten drüben einen Minister für Materialwirtschaft nötig. Das musste man sich mal vorstellen! Mähling konnte darüber nur lächeln. Und nicht genug Papier im Land. Was für ein armseliger Staat!
Bei seinem letzten Besuch vor einigen Wochen hatte Horweg ihm zu verstehen gegeben, dass er es nicht für sinnvoll hielte, wenn Mähling ohne Not aus ihrem gemeinsamen Geschäft ausstiege. Mähling war klug genug zu erkennen, dass Horweg in der Klemme steckte. Horweg war jemand, der Probleme unkonventionell löste. Dabei mochte es Kollateralschäden geben.
Sei’s drum, Mähling würde weitermachen. Für eine Weile. Er würde die Intervalle unmerklich verlängern. Nicht mehr vier Bilder im Jahr, höchstens drei. Eines vor Weihnachten und eins im Frühling.
Dann würde man sehen.
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