Читать книгу Toni der Hüttenwirt Staffel 14 – Heimatroman - Friederike von Buchner - Страница 9
Оглавление»Grüß Gott, Toni! Bist auf dem Friedhof gewesen?«
»Grüß Gott, Bürgermeister! Ja, meine Großmutter hätte heute Geburtstag. Da hab’ ich ihr einen schönen Blumenstrauß gebracht.«
»Des ist lieb von dir, Toni. Des gehört sich auch so. Die alte Baumbergerin war eine liebe gütige Frau, mit einem großen Herzen.«
»Pfüat di, Fellbacher! Ich will noch in die Kirch’ und eine Kerze anzünden.«
»Da bin ich auch gerade gewesen und hab’ eine große Kerze gestiftet. Ich hoffe, die Heiligen lassen sich ein bissel bestechen und erweichen die verhärteten Beamtenherzen in Kirchwalden. Die stellen sich immer noch stur.«
»Geht es immer noch um den Kuhritt? Ist des noch net entschieden?«
»Genau, darum geht es. Ich habe alles getan, um die Genehmigung für die öffentliche Veranstaltung zu bekommen. Aber nix is! Toni, da steckt bestimmt wieder der Ruppert Schwarzer dahinter. Himmel, ich bete darum, dass bei der nächsten Gemeindewahl sein Bazi keine einzige Stimme bekommt. Es wäre wirklich eine Erleichterung, wenn der Franz Huber nimmer im Gemeinderat sitzen würde. Jedes Wort, jede Idee, einfach alles hinterbringt er sofort dem Schwarzer.«
Bürgermeister Fellbacher war sehr aufgebracht. Toni legte ihm kurz die Hand auf die Schulter.
»Beruhig dich, Fellbacher! Des wird schon.«
Sie verabschiedeten sich. Toni ging in die Kirche und zündete eine Kerze vor der Marienstatue an. Er verharrte kurz im Gebet. Dabei kam ihm ein Gedanke. Toni lächelte und blinzelte der Mutter Gottes zu.
»Des ist wirklich eine gute Idee, heilige Maria! Darüber rede ich sofort mit unserem Herrn Pfarrer. Mit deiner Hilfe wird des schon werden«, flüsterte Toni und lächelte dabei.
Augenblicke später saß Toni in Pfarrer Zandlers Studierstube. Der Geistliche bot Toni einen Kaffee an.
»Was führt dich zu mir?«, fragte Pfarrer Zandler.
»Ich habe gerade den Fellbacher getroffen. Der ist ziemlich geknickt, will ich mal sagen. Die Beamtenheinis in Kirchwalden stellen sich quer. Sie wollen net, dass wir hier in Waldkogel den Kuhritt veranstalten. Ich denke, des hat politische Gründe. Da will einer dem Fellbacher den Ruhm net gönnen. Aber des ist ein anderes Thema. Jedenfalls kam mir, als ich in der Kirche war, ein Gedanke. Könnte der traditionelle Kuhritt nicht unter der Leitung der Kirche stattfinden? Wenn der Herr Bischof der Schirmherr wäre, dann können sich die Beamten nimmer querstellen. Sich mit der Kirche anzulegen, des wagen sie bestimmt nicht.«
Pfarrer Zandler schmunzelte. Er trank einen Schluck Kaffee.
»Toni, der Gedanke ist mir auch schon gekommen. Ich habe sogar schon mit der Kirchenverwaltung gesprochen. Die Sache ist am Laufen.«
»Mei, des ist schön! Aber davon hat der Fellbacher mir nix erzählt, als ich ihn eben getroffen habe.«
»Dem Fritz habe ich noch nix gesagt. Das Bischöfliche Ordinariat will noch heute zurückrufen. Unser lieber Herr Bischof ist von der Idee begeistert. Er hat mich angerufen und mir von seinen Erlebnissen als kleiner Bub erzählt. Die Erinnerungen an die damaligen Kuhritte, die rufen noch heute bei ihm ein warmes Heimatgefühl hervor. Du siehst, Toni, die Idee ist in den besten Händen.«
Noch während Toni und Pfarrer Zandler gemütlich plauderten, kamen der Anruf von der Kirchenverwaltung und gleich danach die schriftliche Genehmigung der Kreisbehörde in Kirchwalden.
»Siehst, Toni, es geht also doch«, lachte Pfarrer Zandler. »Mit dem Segen der Kirche kann jetzt nix mehr schief gehen.«
Pfarrer Zandler rief sofort im Rathaus an und bestellte seinen Freund, den Bürgermeister, sofort ein.
»Nun mach es net so spannend, Heiner! Red’ schon«, begrüßte der Bürgermeister den Geistlichen.
»Himmel, Fritz! Erst mal ein herzliches ›Grüß Gott‹. Dafür muss Zeit sein.«
»Ja schon, hast recht! Grüß Gott, Heiner! Grüß Gott, Toni!«
Pfarrer Zandler bat den Bürgermeister, sich zu setzen. Er schenkte ihm Kaffee ein. Dann reichte er ihm die Faxe. Der Bürgermeister las. Er strahlte und schlug vor Begeisterung auf den Tisch.
»Es geht also doch! Du bist ja ein ganz großer Geheimnistuer, Heiner. Da danke ich dir schön! Ein herzliches ›Vergelt’s Gott‹«, sagte Fritz Fellbacher gerührt.
»Gern geschehen, Fritz! Aber mit einem herzlichen ›Vergelt’s Gott‹ ist es net getan. Da muss schon etwas herausspringen. Ich hab’ mir gedacht, dass eine kleine Teilnahmegebühr erhoben wird, und die geht dann an mich. Natürlich net an mich persönlich, des muss ich ja net extra sagen. Ich werde des Geld einem guten Zweck zuführen.«
»Davon steht hier nix«, warf Fellbacher ein.
»Sicher steht da nix davon drin. Des ist eine mündliche Zusicherung, die ich dem Herrn Bischof gegeben habe.«
»Hast ihn damit geködert?«, lachte der Bürgermeister.
»Naa, aber des Waisenhaus kann immer Unterstützung gebrauchen. Du kannst die Idee gern als ein soziales Anliegen von Waldkogel verkünden, Fritz. Dagegen hab’ ich nix. ›Der Zweck heiligt die Mittel‹, sagt man.«
Die beiden Freunde schauten sich an und grinsten. Pfarrer Zandler holte den Obstler und schenkte ein. Die drei Männer prosteten sich zu. Der Geistliche erzählte, dass der Bischof sein Erscheinen angekündigt hatte. Er würde Vieh und Reitern seinen Segen geben.
»Er wird auch am Kuhritt teilnehmen, aber außer Konkurrenz«, lachte Pfarrer Zandler. »Wir müssen ein besonders ruhiges Tier für ihn aussuchen.«
»Der Wenzel kann uns sagen, welche Kuh dafür geeignet ist«, sagte Toni.
Er stand auf und trank seinen Kaffee aus. Er wollte sofort hinauf auf die Oberländer Alm und Wenzel Oberländer die gute Nachricht überbringen und mit ihm alles Weitere bereden. Bürgermeister Fellbach blieb auch nicht mehr lange im Pfarrhaus. Es gab jetzt viel zu tun.
*
Es war früher Abend. Gaby Färber saß im Büro der Rettungsleitstelle. Sie tippte ihren letzten Tagesbericht in den PC. Ihr Kollege kam ins Zimmer. Er hatte sich schon umgezogen.
»Du bist noch hier? Ich dachte, du wärest längst auf dem Weg in die Berge.«
»›Vor das Vergnügen hat der Herrgott die Arbeit gesetzt‹, sagt man. Aber ich bin fertig.«
Gaby speicherte die Datei ab. Sie lehnte sich auf dem Drehstuhl zurück und steckte die Arme nach oben.
»Das war es. Vier Wochen Urlaub!«
»Hältst du das aus? Kommst du wirklich einen ganzen Monat ohne deine Arbeit aus?«, schmunzelte der Kollege.
»Ja! Und wagt es nicht, mich aus dem Urlaub zurückzuordern, es sei denn, es passiert ein Vulkanausbruch oder Ähnliches. Ich habe mir meinen Urlaub verdient. Außerdem habe ich ihn dringend nötig. Unsere Arbeit ist nicht leicht, das weißt du. Ich muss unbedingt Kraft schöpfen. Meine Akkus müssen aufgeladen werden.«
»Ich verstehe dich, Gaby! Wir werden alles tun, damit du ungestört die Berge genießen kannst. Wo fährst du hin?«
»Plumpe Fangfrage! Das verrate ich nicht. Ich will meine Ruhe. Mein Handy ist ausgeschaltet. Versucht nicht anzurufen, es wäre zwecklos.«
Der Kollege grinste.
»Na, was du nicht sagst. Das glaube ich dir nicht ganz, Gaby. Gelegentlich wirst du die Nachrichten schon abhören und die SMSs lesen.«
Gaby machte eine abwinkende Handbewegung. Sie stand auf und ging in den Personalraum, um die weiße Dienstkleidung gegen Jeans und eine Bluse zu tauschen. Ihr Handy läutete. Gaby warf einen Blick auf das Display. Ihre Freundin Wiebke versuchte sie zu erreichen. Gaby nahm das Gespräch an.
»Grüß dich, Wiebke, was gibt es?«
»Ich muss sofort mit dir reden – sofort!«
Gaby hörte, wie Wiebkes Stimme bebte.
»Ist etwas passiert?«
»Ja! Bist du daheim? Kann ich bei dir vorbeikommen?«
»Ich bin noch in der Rettungsleitstation, wollte aber gerade gehen. Wenn du willst, kannst du kommen. Sagen wir, in einer halben Stunde?«
»Okay!«, schallte es durchs Handy. Danach wurde ohne Gruß aufgelegt.
Verwundert schaltete Gaby ebenfalls ab. Es bestand für sie kein Zweifel, dass Wiebke mit den Tränen gekämpft hatte – Wiebke, die Starke, die Unerschütterliche. Was konnte geschehen sein?
Gaby warf ihre Arbeitskleidung in die Wäschetonne, schloss ihren Spind ab und rannte fast zu ihrem Auto.
Kaum daheim angekommen, klingelte Wiebke. Gaby drückte auf den Knopf der Sprechanlage. Wiebke meldete sich.
»Komm rauf! Ich lehne die Wohnungstür an. Will noch schnell unter die Dusche.«
Dann brummte der Türsummer.
Etwas später kam Gaby im Hausanzug aus der Dusche. Ihr kurzes blondes Haar war noch feucht. Sie umarmte die Freundin. Wiebke schossen die Tränen in die Augen. Gaby drückte Wiebke an sich und streichelte ihr wie bei einem Säugling über den Rücken.
»Was ist los?«
»Detlev!«, stieß Wiebke hervor, der Rest des Satzes ging in einem tränenreichen Schluchzen unter.
Wiebke weinte, wie Gaby sie noch nie erlebt hatte. Die beiden jungen Frauen kannten sich seit dem Kindergarten. Sie waren gemeinsam zur Schule gegangen und hatten anschließend zusammen die Berufsausbildung zur Fachkrankenschwester durchlaufen. Danach war Wiebke am Krankenhaus geblieben, während sich Gaby zur Rettungssanitäterin ausbilden ließ.
»Was ist mit Detlev? Hat er dich betrogen?«
Ruckartig hob Wiebke den Kopf von Gabys Schulter.
»Wie kannst du das nur denken? Detlev liebt mich. Ganz im Gegenteil. Er hat mir gestern Abend einen Antrag gemacht.«
»He, wenn das kein Grund zur Freude ist. Meinen allerherzlichsten Glückwunsch! Das ist sicherlich kein Grund zum Heulen, oder?«
Wiebke wischte sich die Tränen ab.
»Nein, eigentlich nicht. Aber …«
»Du bist dir nicht sicher? Du hast seinen Antrag hoffentlich nicht abgelehnt?«
»Nein, das habe ich nicht. Aber jetzt überlege ich, ob ich mein Wort zurücknehmen sollte oder könnte.«
»Deine Panikattacke vor der Hochzeit kommt reichlich früh«, bemerkte Gaby.
»Das hat nichts mit Panik zu tun. Es ist nur so, dass er mir erst nach dem Heiratsantrag von den Plänen erzählt hat. ›Und der Teufel steckt doch immer im Detail‹, sagt man doch.«
Gaby reichte Wiebke die Box mit den Papiertüchern.
»Also, ich verstehe bisher rein gar nichts! Jetzt machen wir das mal so. Wir machen uns etwas zu essen, dann setzen wir uns gemütlich hin und reden. Während ich schnell zwei Tiefkühlpizzas in den Ofen schiebe, deckst du schon mal im Wohnzimmer den Tisch. Wo ist eigentlich Peggy? Hast du sie nicht mitgebracht?«
Peggy war eine cremefarbene Cairnterrierhündin. Sie war fünf Jahre alt und Wiebkes ganzer Stolz. Dass Gaby sich nach Peggy erkundigte, löste bei Wiebke weitere Tränen aus.
»Peggy …, sie ist im Wohnzimmer!«
Gaby holte einen Hundekeks aus dem Schrank, sie hatte immer welche vorrätig, und ging ins Wohnzimmer. Dort saß die Hündin auf ihrer Lieblingsdecke auf einem Sessel. Sie freute sich, als sie Gaby sah. Sie wedelte und ließ sich mit dem Hundekeks füttern. Dann legte sie sich hin, den Kopf zwischen den Vorderpfoten. Wiebke kam dazu. Sie kniete sich vor den Sessel und streichelte ihren Hund.
»Detlev erwartet – nein, verlangt, – dass ich mich von Peggy trenne«, stieß Wiebke unter Schluchzen hervor.
»Machst du Witze? Spinnt der?«, schrie Gaby. Dabei war ihr schon klar, dass Wiebke damit keinesfalls scherzen würde. »Wie kommt er dazu?«
In der Küche klingelte die Zeituhr.
»Warte! Setz dich! Ich hole die Pizzas. Dann kannst du mir alles erklären.«
Dann saßen die beiden Freundinnen zusammen im Wohnzimmer. Nach und nach erfuhr Gaby, welcher Kummer Wiebke so schwer auf dem Herzen lag, vielmehr, wie es dazu gekommen war. Doktor Detlev Harbeck, Facharzt für Kardiologie und Innere Medizin, hatte Wiebke einen Heiratsantrag gemacht. Sie kannten sich schon viele Jahre und wohnten mittlerweile schon drei Jahre zusammen. Wiebke kramte ihren Verlobungsring aus der Handtasche und gab ihn Gaby.
»Hier, den hat er mir geschenkt!«
»Wow, du, der war nicht billig! Er scheint dich wirklich zu lieben.«
»Daran habe ich meinen Zweifel. Okay, es ist ein lupenreiner Einkaräter, aber mit Liebe hat das wenig zu tun. Es kommt mir jetzt im Nachhinein eher wie ein Bestechungsversuch vor«, stieß Wiebke wütend hervor. »Deshalb habe ich den Ring auch wieder abgenommen. Ich werde ihn nicht tragen, bis die Sache geregelt ist. Oder ich werde ihn ihm zurückgeben, wenn ich mich von ihm trenne.«
Dann erzählte sie weiter. Nachdem sie Detlevs Antrag angenommen hatte, redeten sie über die gemeinsame Zukunft. Detlev erzählte, dass er die gutgehende Praxis seines Onkels übernehmen würde. Die renommierte Praxis lag im Anbau einer sehr großen Villa, die für seinen Onkel und dessen Frau viel zu groß war. Da die beiden keine eigenen Kinder hatten, wollten sie, dass Detlev mit Wiebke zu ihnen ziehen würde. Detlev war nicht fähig gewesen, ihren Wunsch abzulehnen. Sie hatten ihn immer wie einen Sohn unterstützt, da er nach dem frühen Tod seines Vaters Halbwaise war. Es waren die Verbindungen seines Onkels, die Detlev die Türen zu seiner Karriere geöffnet hatten. Es war also nicht nur sein Können, dass ihn so weit gebracht hatte, sondern auch das berühmte Vitamin »B«, Beziehungen eben. So fühlte sich Detlev verpflichtet, dem Wunsch nachzukommen und seine Dankbarkeit zu bekunden. Allerdings hatte seine Tante erklärt, dass sie in der Villa keine Haustiere duldete. Sie wusste, dass Wiebke einen Hund hatte, aber sie könne ihn ja abgeben, meinte sie. Bemühungen, mit seiner Tante zu sprechen und einen Kompromiss auszuhandeln, sparte Detlev sich. Er fügte sich einfach.
»Sie ist eine Hundehasserin«, schimpfte Wiebke. »Dabei kennt sie Peggy nicht.«
Gaby schüttelte den Kopf. »So hat dich Detlev gebeten, auf den Hund zu verzichten?«
»Ja, so war es! Ich muss mich also entscheiden, Hund oder Mann!«
»Hat Detlev dir ein Ultimatum gestellt?«
»Nein, das hat er nicht. Er tat so als wäre er total überrascht, dass ich deswegen solch ein Theater machen würde. Dabei weiß er, was mir Peggy bedeutet. Außerdem ist sie so ein kleiner lieber Hund. Sie bellt kaum. Du kennst sie, Gaby.«
Gaby nickte. O ja, sie kannte Peggy. Peggy war schon eine besondere Hündin. Sie war das Geschenk eines Züchters gewesen, der einige Tage auf der Station gelegen hatte, auf der Wiebke Nachtdienst hatte. Mit Peggy war Wiebke nicht mehr so alleine, wenn Detlev mal wieder zu viele Dienste schob. Sie ging mit Peggy in die Hundeschule und fuhr mit ihr zu Ausstellungen. Peggy hatte schon als junge Hündin Preise abgeräumt. Inzwischen war sie mehrfache Weltmeisterin ihrer Klasse und hatte schon Nachwuchs bekommen.
Peggy war sich ihrer Schönheit bewusst. Sie saß am liebsten in einem Sessel oder auf einem Stuhl und ließ sich bewundern. Sie legte den Kopf etwas schief und hielt ganz still, sobald sie einen Fotoapparat sah. Sie war eben ein richtiger Star.
»Was willst du jetzt tun?«, fragte Gaby.
Wiebke zuckte mit den Schultern. »Kann ich heute Nacht hierbleiben?«, fragte sie leise.
»Habt ihr euch so gestritten?«
»Ja, wir haben uns die ganze Nacht gefetzt. Gaby, wie kann er das von mir verlangen? Er sagt, er liebt mich. Pah! Was kann das für eine Liebe sein? Er weiß, wie sehr ich an Peggy hänge, und jetzt will er, dass ich sie fortgebe. Das kann keine wahre Liebe sein, oder? Er will sich doch nur Liebkind machen bei seiner Tante und seinem Onkel. Dafür soll ich Opfer bringen, ich und Peggy. Niemals habe ich auch nur angenommen, dass er so etwas von mir verlangen könnte. Er war mit Peggy immer einverstanden. Schließlich wohnen wir schon eine Weile zusammen und er weiß, dass sie sauber ist und keine Probleme macht. Sie ist der ruhigste und folgsamste Hund, den ich kenne.«
»Mir brauchst du das nicht zu erzählen, Wiebke. Meinst du nicht, du solltest noch einmal versuchen, mit Detlev zu reden?«
»Das ist sinnlos. Er will die Praxis seines Onkels, die er quasi auf dem Silbertablett serviert bekommt, und später wird er wohl die Villa erben. Bis dorthin tanzt er nach deren Pfeife. Die ganze Nacht hat er mir die Vorteile aufgezählt. Wir haben uns immer mehr zerstritten. Als die Sonne aufging, ging ich mit Peggy Gassi. Als ich zurückkam, schlief er schon. Ich konnte mich nicht zu ihm ins Schlafzimmer legen. Ich schlief im Wohnzimmer auf der Couch, mit Peggy. Dann war ich in der Stadt und besuchte den Züchter. Er kann Peggy nicht nehmen. Er hat alle seine Hunde gerade selbst verteilt, weil er für einige Zeit ins Ausland zu seinen Kindern geht.«
»Da ist guter Rat teuer«, seufzte Gaby. »Was willst du jetzt machen?«
»Ich werde mich wohl von Detlev trennen«, sagte Wiebke leise.
»Das kann nicht dein Ernst sein? Du liebst ihn doch!«
»Ich habe ihn geliebt. Detlev war meine große Liebe. Aber jetzt liegt alles in Scherben. Es tut so weh, Gaby, so unendlich weh.«
»Vielleicht wird alles wieder gut?«
Wiebke schüttelte den Kopf.
»Kannst du Peggy nicht nehmen? Dir würde ich sie anvertrauen. Zu dir könnte ich jederzeit kommen, wenn ich Sehnsucht habe. Bei dir war Peggy schon, wenn ich mit Detlev im Urlaub war. Ich will beide, Detlev und Peggy. Vielleicht gibt seine Tante irgendwann nach? Das kann sich Detlev zwar nicht vorstellen. Aber sie kann mir nicht verbieten, dass du mich mit Peggy besuchst. Wenn sie sie erst einmal kennt, dann wird sie eines Tages vielleicht nachgeben. Eine andere Lösung habe ich nicht, Gaby. Ich weiß, dass es eine Zumutung ist. Aber es ist die einzige Eselsbrücke, die mir eingefallen ist. Es zerreißt mich innerlich, das musst du mir glauben. Am liebsten würde ich Detlev den Ring vor die Füße werfen und Adieu sagen. Aber ich liebe ihn.«
Gaby seufzte.
»Lasse mir einen Augenblick Zeit, Wiebke. Ich muss erst mal nachdenken. Du bist meine beste Freundin, und ich fühle mit dir. Es ist auf jeden Fall eine Gemeinheit von Detlev, von seiner Tante und seinem Onkel ebenfalls. Das sind Unmenschen, Egoisten, Tierverächter.«
Gaby stand auf und ging im Wohnzimmer auf und ab. Sie trat hinaus auf den Balkon und schaute über die Lichter der Stadt, die man vom Hochhaus so gut sehen konnte. Gabys Herz war voller Mitleid für die Freundin. Sie kannte Wiebke gut und wusste aber auch, dass sie sehr temperamentvoll sein konnte. Sicherlich war sie nicht sehr diplomatisch vorgegangen im Streit mit Detlev. Aber es war auch ein Schock für Wiebke gewesen. Da machte ihr Detlev einen Antrag, und dann verlangte er von ihr solch ein Opfer.
Gaby kam wieder herein.
»Ich habe eine Idee, Wiebke. Ich habe vier Wochen Urlaub. Du lässt Peggy erst einmal bei mir.«
Wiebke wollte etwas sagen, aber Gaby ließ sie nicht zu Wort kommen.
»Hör mir zu, Wiebke! Meine Idee ist folgende. Ich nehme dir Peggy erst einmal ab. Du kannst sie gleich hier lassen. Hast du ihre Sachen dabei?«
Wiebke hatte alle Hundesachen in ihrem Auto, Körbchen, Decken, Napf, Bürste, Papiere und andere Sachen.
»Gut«, sagte Gaby leise. »Aber ich stelle eine Bedingung. Das heißt, eigentlich ist es keine Bedingung. Es ist ein Plan.«
»Ich höre!«
»Wiebke, du lässt Peggy bei mir. Ich nehme sie mit in Urlaub. Wie du weißt, fahre ich zu Toni auf die Berghütte. Du bist ja auch oft dort gewesen. Bello wird sich freuen, dass er eine Spielgefährtin hat. Toni, Anna und vor allem die Kinder werden sich freuen. Du sagst zu Detlev kein Wort davon, dass Peggy bei mir ist. Du hüllst dich in Schweigen. Er wollte, dass du Peggy fortgibst. So muss es ihn auch nicht kümmern, wo sie ist. Du sagst ihm, es gehe ihn nichts an. Schließlich sei Peggy dein Hund. Du redest möglich wenig mit ihm über Peggy. Lässt ihn aber deutlich spüren, wie traurig du über den Verlust bist.«
»Das muss ich nicht einmal spielen. Dessen kannst du sicher sein, Gaby. Was ist nach deinem Urlaub?«
»Dann sehen wir weiter. Vielleicht gibt Detlev nach, wenn er sieht, wie traurig du bist. Du kennst doch Männer. Sie können stur sein, erst einmal. Doch dann nach einer Weile geben sie nach. Sicherlich wird er haben wollen, dass du glücklich bist. Doch im Gegenzug machst du keine weiteren Kompromisse. Wiebke, ich weiß, wie sehr vernarrt du in Detlev bist, wie sehr du ihn liebst. Aber als Außenstehende sehe ich vielleicht etwas klarer. Du willst ihn heiraten.«
»Ob ich wirklich seine Frau werde, muss ich mir noch einmal überlegen«, warf Wiebke ein. »Denn seien wir mal ehrlich, Gaby. Ich will nicht ein Anhängsel sein. Ich will wichtig in seinem Leben sein. Er tut wohl im Augenblick alles, was seine Tante und sein Onkel wollen. Ich frage mich, zu was das führt? Bestimmen die beiden über unsere Hochzeit? Legen sie fest, wie viele Kinder wir bekommen? Verstehst du? Was mich am meisten stört ist, dass er Tatsachen geschaffen hat, bevor er mit mir redete. Er sagt, er liebt mich. Hätte er nicht zuerst mit mir reden müssen?«
»Das hätte er, da stimme ich dir zu, Wiebke. Außerdem, was wäre passiert, wenn er gesagt hätte, er übernimmt die Praxis, aber ihr bleibt zuerst mal in der gemeinsamen Wohnung?«
»Richtig!«, sagte Wiebke.
»Weißt du, Detlev ist im Grunde kein übler Mann. Er ist nur manchmal zu ehrgeizig und sieht nur den augenblicklichen Vorteil.«
Gaby lachte laut.
»Männer sind in manchen Dingen eben nicht die Schnellsten. Ich meine damit, dass sie sich nicht so schnell umstellen können wie wir Frauen, wenn sie sich einmal für etwas entschieden haben. Dann kleben sie daran wie Fliegen an den gelben Fliegenfallen. Sie brauchen Zeit, sich selbst eine Hintertür zu öffnen.«
Gaby erinnerte Wiebke an die Sache mit dem gemeinsamen Urlaub in den Bergen. Wiebke schlug damals vor, auf dem Weg in die Toskana einige Tage in den Bergen bei Toni auf der Berghütte zu verbringen. Detlev hatte zuerst vehement abgelehnt. Doch dann fing er an, die Vorteile eines Bergaufenthaltes aufzuzählen. Am Schluss tat er so, als stamme die Idee von ihm.
»So, jetzt haben wir genug geredet, Wiebke. Wir machen jetzt noch einen schönen Spaziergang mit Peggy. Dann bringen wir ihre Sachen herauf. Danach fährst du heim!«
Wiebke wollte abwehren.
»Nein, du fährst, Wiebke! Du hast die Sache erledigt. Schließlich ist es nach Mitternacht. Detlev hat sicherlich jetzt lange genug gewartet.«
Wiebke schaute auf ihr Handy. Es waren keine Nachrichten darauf.
»Es kümmert ihn nicht, wo ich bin«, sagte sie traurig. »Er hätte anrufen können. Er hätte mich suchen können!«
»Himmel, Wiebke! Er ist ein Mann! Sein Stolz steht ihm im Weg.«
Sie standen auf. Gaby zog einen leichten Sommermantel über und nahm Peggy an die Leine. Im Flur blinkte der Anrufbeantworter des Telefons. Gaby drehte die Lautstärke auf, und sie hörten gemeinsam das Band ab. Detlev hatte oft angerufen. Er war offensichtlich in Sorgen und bat um einen dringenden Rückruf, falls Wiebke vorbeischauen würde. Er wäre im Krankenhaus zu erreichen. Die Kollegen hätten ihn angerufen.
»Siehst du, er schmilzt schon dahin«, sagte Gaby. »Du kannst also unbesorgt in eure Wohnung gehen. Wir beeilen uns. Ich will noch einige Stunden schlafen. Denn ich wollte eigentlich früh in den Urlaub aufbrechen. Na gut, dann fahre ich etwas später. Also komm jetzt.«
Wiebke und Gaby machten einen nächtlichen Spaziergang mit Peggy. Dann half Wiebke Gaby die Hundeausstattung in die Wohnung zu bringen. Es war schon nach zwei Uhr nachts, als sich die Freundinnen verabschiedeten. Gaby brachte Wiebke zu ihrem Auto. Als sie wieder heraufkam, saß Peggy im Körbchen und legte sich gleich zum Schlafen hin. Gaby stellte den Hundekorb neben ihr Bett und ging auch schlafen.
Was für ein Glück, dass ich Single bin, dachte sie zufrieden vor dem Einschlafen. Ich kann tun und lassen, was ich möchte. Ich muss keine Rücksicht auf einen Mann nehmen. Damit tröstete sich Gaby. Dabei belog sie sich selbst, denn sie sehnte sich nach Liebe und Geborgenheit in den Armen eines liebenden Mannes. Aber bisher war Gaby dieses Glück nicht vergönnt gewesen. Vielleicht lag es auch an ihr, weil sie ihren Beruf immer über jede Beziehung gestellt hatte. Ein weiterer Grund war, dass sie jeden Mann, der ihr schöne Augen machte, kritisch unter die Lupe nahm.
Mit Sehnsucht im Herzen glitt Gaby hinüber in die Welt der Träume.
*
Es war spät am Abend in den Bergen. Die Sonne war nur noch als schwacher Lichtschein am westlichen Horizont zu erahnen. Toni, Anna und der alte Alois saßen mit einigen Hüttengästen am Kamin, denn draußen wehte ein sehr frischer Wind. Bello lag groß und breit auf seinem Lieblingsplatz vor dem Kamin. Franziskas Kater Max hatte es sich zwischen Bellos Pfoten gemütlich gemacht. Plötzlich und unerwartet sprang der junge Neufundländer auf und stürmte durch die offene Tür. Kater Max bekam vor lauter Schreck einen dicken Schwanz, zog einen Buckel und fauchte laut.
»Was hat er? Anna, hast du das gesehen? So kenne ich Bello nicht.«
»Er wird draußen etwas gehört haben.«
»Ich hole mal die Stablampe und schaue nach«, sagte Toni und ging in die Küche.
Als er zurückkam, trat Gaby mit dem Rucksack auf dem Rücken und einem kleinen cremefarbenen Hund durch die Tür. Bello umkreiste Gaby. Es war ihm deutlich anzumerken, wie sehr er sich freute.
»Grüß Gott, Gaby«, rief Toni. »Wen bringst du denn mit?«
»Grüß dich, Toni! Hallo, Anna! Grüß Gott, Alois! Das ist Peggy! Ich habe sie seit gestern. Aber das ist eine komplizierte Geschichte, die ich euch später erzähle. Erst muss ich mal verschnaufen. Peggy musste den ganzen Weg heraufgetragen werden.«
»Warte, ich nehme dir den Hund ab!«, sagte Anna.
Gaby quittierte Annas Hilfsbereitschaft mit einem dankbaren Lächeln. Dann ließ Gaby ihren schweren Rucksack von den Schultern gleiten. Es gab ein dumpfes Geräusch, als der Rucksack auf dem Boden aufschlug.
»Mei, was hast da drin? Schleppst du Steine mit dir herum?«, fragte Toni lachend.
»Der Rucksack ist halbvoll mit Hundefutter. Peggy frisst nur die eine Sorte. Ich war mir nicht sicher, ob ich diese Marke hier kaufen kann.«
Toni nahm den Rucksack und trug ihn in eine Kammer. Gaby folgte ihm. Sie zog die Wanderjacke aus und fing sofort an, den Rucksack auszupacken. Toni blieb dabei stehen und schaute zu.
»Himmel, Gaby, was betreibst du einen Aufwand! Wenn ein Hund Hunger hat, frisst er alles. Sicherlich wird der kleine Wuschel mit Bello aus einer Schüssel fressen.«
Gaby wandte sich um und schaute Peggy an, die auf das schmale Bett gesprungen war und dort ganz ruhig saß, fast wie ein Stofftier.
»Ich wollte nur auf Nummer Sicher gehen, Toni.«
Gaby packte drei Fressnäpfe aus. Sie öffnete eine der Dosen und füllte einen Napf damit. In den zweiten Futternapf gab sie Trockenfutter und in den dritten Wasser. Sie legte ein kleines Tuch auf den Boden und stellte die Fressnäpfe darauf.
»Des ist ja fast wie in einem Sternerestaurant, Gaby!«
»Ja, Peggy ist es so gewohnt. Deshalb habe ich alles mitgenommen, damit es keine Probleme gibt.«
Gaby setzte den Hund vor die Näpfe. Peggy verspeiste ihre Mahlzeit. Dann machte sie einen Satz und nahm wieder auf dem Bett Platz.
»Willst auch etwas essen?«, fragte Toni.
»Ja, bitte, mache mir eine herzhafte Brotzeit, Toni, und süßen Tee dazu. Anschließend trinke ich ein Bier. Ich ziehe mich nur um, dann komme ich.«
Toni ging hinaus und schloss die Tür. Dabei musste er Bello zur Seite schieben, der neben ihm stand und wedelte. Es war offensichtlich, wie froh Bello über den vierbeinigen Gast war.
Es dauerte nicht lange, dann kam Gaby aus der Kammer. Sie trug einen bequemen Jogginganzug und hatte Peggy auf dem Arm. Toni hatte bereits den Tisch gedeckt. Gaby setzte sich. Auf den Stuhl neben sich legte sie eine Decke und setzte Peggy darauf. Die Cairnterrierhündin blieb sitzen und schaute Gaby beim Essen zu. Für Bello, der neben dem Stuhl saß und eine seiner Pfoten auf die Sitzfläche neben Peggy legte, interessierte sie sich nicht.
Toni beobachtete die Hündin. Er rieb sich das Kinn.
»Des ist wirklich eine sonderbare Hündin«, raunte Toni leise.
»Das kannst du laut sagen, Toni. Aber lasse sie es nicht hören. Peggy könnte beleidigt sein. Sie ist ein Star!«
»Ein Star ist sie? So kommt sie mir auch vor«, lachte Toni.
»Sie ist ein Weltstar. Sie ist viermal hintereinander als die schönste Hündin ihrer Rasse gekürt worden. Und als Welpe war sie bereits schon Weltchampion. Einer ihrer Söhne ist der amtierende schönste Zuchtrüde der Welt.«
»Der Himmel stehe mir bei, da muss sie ja etwas Besonderes sein. Da müssen wir uns geehrt fühlen, dass sie überhaupt unsere Berghütte betritt und nicht im Sternehotel ›Zum Ochsen‹ absteigt. Wie kommst du zu ihr? So ein Hund läuft einem doch nicht zu.«
Toni holte sich ein Bier und setzte sich zu Gaby an den Tisch.
»Erinnerst du dich an Wiebke und Detlev?«, fragte Gaby.
»O ja! Wie geht es ihnen?«
»Das ist eine gute Frage, Toni. Ich könnte sie auf zweierleise Weise beantworten. Beide Antworten wären richtig, auch wenn sie von völlig gegensätzlicher Art sind. Also, erstens, Detlev hat Wiebke einen Heiratsantrag gemacht.«
»Des freut mich. Die beiden waren damals schon so verliebt.«
»Langsam, Toni, das war die gute Antwort. Jetzt kommt die weniger gute Antwort. Detlev übernimmt die Facharztpraxis seines Onkels. Nach der Hochzeit will er mit Wiebke zu seinem Onkel und seiner Tante in die Villa ziehen. Die Sache hat aber einen Haken. Detlevs Tante mag keine Hunde. Peggy ist Wiebkes Hündin. Deshalb muss die Hündin weg. Hündin oder Mann, du verstehst? Also nahm ich erst einmal die Hündin. Jedenfalls kam Wiebke gestern Abend zu mir. Sie weinte stundenlang. Die ganze vorhergehende Nacht hatte sie sich mit Detlev gestritten. Die beiden wohnen schon eine Weile in einer schönen Stadtwohnung zusammen, zusammen mit Peggy. Er hatte nie etwas gegen die Hündin. Jetzt ist das alles anders, Schnee von gestern. Erst machte Detlev Wiebke einen Heiratsantrag, schenkte ihr einen Platinverlobungsring mit einem lupenreinen Diamanten und dann verlangte er von ihr, dass sie Peggy fortgibt. Erst hat er sich ihr Jawort erschlichen, dann ließ er die Katze aus dem Sack. Da habe ich ihr erst einmal angeboten, mich um Peggy zu kümmern. Vielleicht lenkt Detlev ein und kann seine Tante überreden, Peggy zu akzeptieren oder sie bleiben in der Wohnung oder mieten sich ein eigenes Haus. So, das war die ganze Geschichte im Telegrammstil. Die stundenlangen, verzweifelten Weinkrämpfe von Wiebke könnt ihr euch sicherlich vorstellen, die muss ich euch wohl nicht beschreiben, oder?«
Anna und der alte Alois kamen zum Tisch. Sie setzten sich dazu. Der alte Alois schlug mit der Hand auf die hölzerne Tischplatte, dass es laut knallte.
»Des Madl soll den Burschen zum Teufel jagen«, sagte Alois. »Der Bursche liebt des Madl net. Wie kann er verlangen, dass die Wiebke ihren Hund fortgibt? Der Detlev, ich erinnere mich noch gut an ihn, der scheint ja von allen guten Geistern verlassen zu sein. So ein Heini! Warum hat sie sich das bieten lassen? Sie hätte sofort die Verlobung lösen sollen.«
»Alois, Wiebke liebt Detlev. Sie liebt aber auch ihren Hund. Außerdem ist sie am meisten empört, dass Detlev sich mit seinem Onkel und seiner Tante einig wurde, ohne mit ihr zu reden. Das kann sie nicht verstehen.«
»Das verstehe auch, wer will«, sagte Toni leise. »Des war ein ganz fieses Spiel, das der Detlev da abgezogen hat. Des arme Madl!«
Toni war voller Mitleid.
Toni streichelte Peggy.
»Vermisst du dein Frauchen? Bist ein armer Hund. Wirst herumgeschoben wie ein Möbelstück. Du passt nimmer zur vornehmen Villeneinrichtung, und deshalb musst du fort. Dabei scheinst du eine ganz liebe und brave Hündin zu sein.«
»Ja, das ist sie. Sie ist keine Kläfferin und wirklich sehr vornehm. Sie wird ihrem Ruf mehr als gerecht«, sagte Gaby.
Bello lief in die Küche der Berghütte und holte einen kleinen Ball. Er warf ihn mitten im Wirtsraum der Berghütte auf den Boden und gab ein kurzes dunkles Bellen von sich. Das bedeutet so viel, wie »Komm, spiele mit mir«. Doch Peggy blieb artig neben Gaby auf dem Stuhl sitzen und schaute Bello nur an. Dieser verstand die Welt, besser gesagt, die Hundewelt, nicht mehr. Er holte den Ball und legte ihn neben den Stuhl auf den Boden.
»Weiß Peggy nicht, dass Bello mit ihr spielen will?«, fragte Anna.
Gaby zog die Schultern hoch.
»Ich hatte Peggy schon einige Male als Gast über das Wochenende. Wenn ich mit ihr im Park war, spielte sie nie mit anderen Hunden. Sie lief nur artig an meiner Seite oder saß neben mir auf der Bank. Sie ist eben ein Ausstellungshund und wurde von Wiebke und dem Züchter, mit dem Wiebke gut bekannt ist, für Ausstellungen trainiert.«
Toni schüttelte entsetzt den Kopf. Er konnte es kaum fassen.
»Des ist ja fast ein Verbrechen, einem Hund so etwas anzutun. Ihn so abzurichten, das entspricht nicht seinem Wesen. Denkst du nicht auch so, Anna? Du verstehst noch mehr von Hunden als ich. Deine Großeltern mütterlicherseits haben Hunde gezüchtet.«
»Ich stimme dir völlig zu, Toni. Ich kenne mich zwar besser mit Neufundländern aus, weil meine Großeltern diese Rasse gezüchtet hatten und weniger mit Terriern. Aber so ein Verhalten scheint mir sehr sonderbar, so will ich es einmal ausdrücken. Dabei scheint die Hündin aber nicht unglücklich zu sein. Sie macht auf mich keinen unglücklichen Eindruck. Sie scheint auf ihre Art ganz zufrieden zu sein.«
»Ja, so ist sie eben«, sagte Gaby. »Sie ist wie ein Star aus dem Showgeschäft. Sie ist völlig zufrieden, wenn sie irgendwo sitzt und bewundert wird.«
»Na ja, dann wird Peggy der Aufenthalt auf der Berghütte guttun. Sie wird hier eine ganz andere Seite eines glücklichen Hundelebens kennenlernen, die Freiheit Hund sein zu dürfen. Bello wird ihr das Spielen schon beibringen«, meinte Toni.
»Das wird ein schöner Aufenthalt für Peggy werden«, grinste Alois. »Hier darfst du Hund sein. Warte mal, Peggy, bis Franzi und Basti morgen kommen. Die Kinder sind bei ihren Freunden im Forsthaus. Sie werden mit dir spielen. Du wirst sicherlich sehr schnell lernen, was es für eine Freude macht, hinter einem Ball herzujagen.«
»Alois, Peggy geht draußen nur an der Leine. Sie hört auf keine Kommandos. Sie ist nur drinnen so friedlich. Ich will nicht, dass sie verlorengeht. Ich habe sie während eines Spazierganges mal von der Leine gelassen. Sie raste davon, und ich rannte mindestens einen Kilometer hinter ihr durch das Feld. Ich schrie mir die Seele aus dem Leib. Sie kam nicht. Doch dann entdeckte sie zwischen den Rübenpflanzen auf dem Acker ein Loch, den Eingang zu dem Nest einer Feldmaus. Da konnte ich sie einholen. Ich werde sie draußen nicht ohne Leine lassen. Ich habe Angst, dass sie verlorengehen könnte. Sie kennt auch keine Autos, damit meine ich, keinen Verkehr. Sie würde blind darauf los über eine Straße rennen. Peggy kennt nur Autos von innen. Sie wurde immer gefahren. Sie ist eben eine Diva, die das wirkliche Leben nicht so kennt.«
Toni musste lachen. Er kraulte Peggy unterm Kinn.
»Du scheinst mir eine wahre kleine ›Paris Hilton‹ der Terrier zu sein. Aber du bist doch ein kluger Hund. Du wirst sehen, es gibt ein wunderbares Hundeleben jenseits von Ausstellungen und Preisrichtern.«
Toni drehte sich zu Anna um.
»Anna, Peggy tut mir leid. Das ist doch kein Hundeleben. Kannst du dich ihrer ein bissel annehmen? Du hast doch Talent, mit Vierbeinern umzugehen.«
»Sicherlich kann ich probieren, ihr einige Kommandos beizubringen. Aber ist das auch gewünscht? Das muss Gaby entscheiden. Peggy scheint der perfekte Ausstellungshund zu sein. Darf sie auch Hund sein? Geht Wiebke noch mit ihr auf Ausstellungen?«
Gaby schüttelte den Kopf. Sie erzählte, dass Wiebke nicht mehr vorhatte, mit Peggy weitere Ausstellungen zu besuchen. Die Cairnterrierhündin wurde jetzt bald sechs Jahre alt. Sie hatte in Abständen zweimal geworfen und durfte jetzt für den Rest ihres Lebens nur Hund sein. Anna hatte allerdings ihre Zweifel, dass Peggy es noch lernen würde. Sie war eben nur eine Showhündin.
Toni, Anna, Gaby und der alte Alois redeten noch eine Weile über Peggy. Sie sprachen auch über Wiebke und Detlev.
»Ich verstehe nicht, dass Wiebke so einen Zirkus mitgemacht hat. Das mit den ganzen Hundeschauen, ist das nicht Schwachsinn?«, sagte Toni.
Anna lächelte.
»Toni, das gehört zur Hundezucht dazu. Außerdem kennst du die Sache von der Pferdezucht. Ein Pferd muss Erfolge nachweisen und auch Ausstellungen gewonnen haben, dann sind seine Nachkommen wertvoll. Erst dann lohnt sich die Zucht. Selbst die Bauern gehen mit ihren Kühen zu Ausstellungen. Außerdem ist es doch so, dass Tiere, die zu Ausstellungen gehen, auch besonders gepflegt werden. Also ist es auch gut für die Tiere.«
»Anna, das mag ja alles stimmen. Trotzdem geht es mir irgendwie gegen den Strich. Ich erinnere mich, wie begeistert Bello als Welpe gespielt hat. Das muss Peggy doch auch getan haben. Jetzt tut sie nichts mehr, als nett und hübsch und als Edelhund auf einem Stuhl zu sitzen. Darüber kann ich nur den Kopf schütteln. Wie hat Wiebke es fertig gebracht, sie zu so einem Hund zu machen?«
Gaby konnte dazu etwas sagen. Sie wusste, dass Peggy charakterlich, von Anfang an, eine Hündin war, die gern im Mittelpunkt stand. Durch Belohnungen hatte Wiebke sie abgerichtet. Sie wollte den Erfolg mit ihr. Wiebke sah sich immer etwas im Schatten von Detlev, der als erfolgreicher Arzt die Karriereleiter erstürmte. Deshalb ging Wiebke gern mit Peggy auf Ausstellungen. Dort bekam Wiebke Anerkennung. Es war mehr Zufall gewesen, dass Wiebke zugestimmt hatte, mit Peggy zu einer Welpenausstellung zu fahren. Eigentlich war eine andere Hündin dafür vorgesehen. Aber die war krank geworden. So bat der Züchter Wiebke mit Peggy mitzukommen. Gaby erinnerte sich, wie begeistert Wiebke heimgekommen war. Sie fand die anderen Hundebesitzer so freundlich und hatte sich gut mit ihnen verstanden. Sie konnte mitreden. Das gefiel ihr. Wenn sie mit Detlev unterwegs war, dann trafen sie sich meistens mit seinen Arztkollegen. Da schwieg Wiebke größtenteils. Was hätte sie als kleine Krankenschwester auch schon groß mitreden können? Auf den Hundeausstellungen war es anders. Da ging es nur um Hunde, und die Hundefreunde waren unter sich. Alle ermutigten Wiebke, mit Peggy weiterhin Ausstellungen zu besuchen. Sie gaben ihr Tipps, die sie gewissenhaft umsetzte. So gewann Peggy Preis um Preis. Daheim reihte sich Pokal an Pokal. Auch in Detlevs Bekanntenkreis fand Wiebke jetzt Anerkennung.
»Ja, so war es«, sagte Gaby leise. »Am Anfang stand nur die Hundeliebe. Gaby ist eine Hundenärrin, wie sie im Buch steht. Schon als wir noch zusammen zur Schule gingen, träumte sie von einem Hund. Ihre Eltern erlaubten es nicht. Später, als sie volljährig war, waren wir in der Ausbildung und sie konnte keinen Hund haben. Dann lag ein Züchter auf ihrer Station. Er schenkte ihr einen Welpen. Das war Peggy, und alles nahm seinen Lauf. Und jetzt muss sie sich entscheiden, Mann oder Hund, eine Frau sein, an der Seite eines erfolgreichen Facharztes, mit einer schönen Villa und der Gewissheit, dass sie später einmal ihren Kindern alles geben könnte, was sie wollten und brauchten, gleich wie teuer es auch sein würde oder weiterhin nur eine Hundebesitzerin. Das ist keine leichte Entscheidung, besonders, da sie Detlev wirklich liebt.«
Die alte Wanduhr im Wirtsraum der Berghütte schlug Mitternacht. Die Hüttengäste hatten sich schon auf den Hüttenboden oder in die Kammern zurückgezogen. Das Feuer im Kamin war heruntergebrannt. So gingen sie alle schlafen.
Peggy kuschelte sich an das Fußende von Gabys Bett und schlief gleich ein. Gaby lag noch eine Weile wach und dachte an Wiebke. Sie überlegte, wie sie an ihrer Stelle entscheiden würde. Dabei wuchs die Sehnsucht, einen Mann kennenzulernen, den sie lieben würde wie Wiebke ihren Detlev, auch wenn er seine Fehler hatte. Lieber einen Mann mit Fehlern als kein Mann, dachte Gaby. Außerdem, welcher Mensch war schon perfekt? Wiebke war es auch nicht. Es ist einfach nur schlecht gelaufen mit den beiden, dachte Gaby. Sie hoffte, dass Detlev ein Einsehen haben würde und die beiden eine Lösung finden würden. Wenn nicht, dann würde sie Peggy behalten. Sie würde es wie Wiebke machen und Peggy tagsüber zum Züchter in den Vorort bringen, wenn sie Dienst hatte.
Außerdem war sich Gaby sicher, dass Wiebke nach ihrer Heirat im Krankenhaus kündigen würde. Die Freundin könnte dann gelegentlich zu ihr in die Wohnung kommen und bei Peggy sein.
*
Toni fuhr am nächsten Vormittag ins Forsthaus, die Kinder abholen, die eine Nacht bei ihren Freunden Paul und Ulla im Forsthaus verbracht hatten. Auf dem Weg dorthin hielt Toni kurz vor der Tierarztpraxis von Doktor Beate Brand an. Die junge gutaussehende Tierärztin belud im Hof ihr großes Auto. Toni parkte dahinter und stieg aus seinem Geländewagen.
»Grüß Gott, Beate! Ich freue mich, dich zu sehen. Hast einen Augenblick Zeit für mich?«
»Für dich doch immer, Toni! Grüß Gott! Gibt es etwas mit Bello?«
Toni rieb sich das Kinn.
»Eigentlich nicht, wenn ich davon absehe, dass Bello etwas verwirrt sein muss, aber das bin ich auch.«
Beate zog die Augenbrauen hoch.
»Wie soll ich das verstehen?«
Toni lehnte sich an das Auto und schob seine Hände in die Taschen seiner ledernen Kniebundhosen. Beate hörte ihm anfangs zu und belud dabei weiter ihren großen Geländewagen. Doch dann stellte sie sich neben ihn und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Toni schilderte ihr eindringlich, wie sich Bello bemüht hatte, Peggy zum Spielen anzuregen.
»Aber die Cairnterrierhündin sitzt nur auf dem Stuhl und schaut ihn verständnislos an. Des musst erleben, Beate. Des ist kaum zu glauben. Der Bello lockt sie, bellt sie an, bringt ihr Bällchen und seinen Lieblingsknochen. Aber nix da, sie spielt die Diva und schaut ihn nur an. Normal ist des doch net, oder? Was sagst du dazu?«
Beate verschränkte die Arme vor dem Körper und dachte einen Augenblick nach.
»Sie ist eben wirklich ein Star, ein Ausstellungshund. Sie kennt das nicht, dass sie mit einem Ball spielen kann. Außerdem hat man ihr vielleicht beigebracht, dass sie andere Hunde, besonders wenn es größere Hunde sind, links liegen lässt. Um mehr zu sagen, müsste ich ausführlich mit der Besitzerin sprechen.«
»Mei, Beate, des ist doch unnormal. Denkst net auch?«
Die Tierärztin lächelte.
»Vielleicht ist ihr Bello einfach nur zu groß. Möglich, dass Peggy sich von einem kleineren Hund zum Spiel verführen ließe. Du sagst, sie hat zweimal geworfen?«
Toni nickte.
»Gut, dann wird sie Kontakt zu Rüden ihrer Rasse gehabt haben. Es kann sein, dass sie mit einem Terrierrüden eher spielen würde.«
»Damit kann ich ihr auf der Berghütte nicht dienen. Ich kenne auch niemanden in Waldkogel, der einen Terrierrüden hat und den ich auf die Berghütte einladen könnte.«
»Du bist nicht nur um das Wohl deiner zweibeinigen Hüttengäste besorgt, jetzt kümmerst du dich auch um die Vierbeiner«, lachte Beate.
»Wenn du es so sehen willst, na gut. Aber es geht mir in erster Linie um Bello. Du müsstest ihn sehen, wie er sich um Peggy bemüht. Zwischendrin schaut er mich verwundert an.«
»Bello ist ja auch beeindruckend groß. Peggy ist vorsichtig. Ich kenne jemanden, einen Kollegen. Er hat einen Cairnterrierrüden. Max heißt er, Max Wallner. Er hat eine Tierarztpraxis in Kirchwalden.«
»Rufe ihn an, Beate, bitte. Lade ihn mit seinem Hund, in meinem Namen, auf die Berghütte ein. Er kann ein Wochenende bei uns verbringen. Er kann heute noch kommen, wenn er es einrichten kann. Dann hat Bello jemanden zum Spielen und wer weiß, vielleicht steigt die Diva dann auch von ihrem Stuhl herunter. Meinst, du kannst deinen Kollegen dazu überreden? Er kann auch gern seine Familie mitbringen.«
»Er hat keine Familie, er ist Junggeselle. Er wird bestimmt kommen. Ich werde ihn nach meinen Hausbesuchen anrufen. Es ist noch früh am Samstagvormittag.« Beate schaute auf ihre Armbanduhr. »Jetzt ist er auf dem Markt zum Einkaufen. Ich rufe dich an, sobald ich ihn erreicht habe.«
»Danke, Beate! Komme doch mit ihm zur Berghütte. Du weißt, du bist uns jederzeit willkommen.«
»Das weiß ich, Toni, aber im Augenblick kann ich an eine Bergtour nicht denken. Auf dem Gestüt gibt es einige Stuten, die kurz vor der Niederkunft stehen, da bleibe ich besser hier. Meistens geht alles seinen natürlichen Gang, aber es kann auch sein, dass ich angerufen werde.«
Beate packte die restlichen Sachen in ihr Auto.
»Toni, ich muss los. Ich werde auf einigen Höfen sehnsüchtig erwartet.«
»Dann will ich dich nicht länger aufhalten. Ich muss auch fahren. Franziska und Sebastian sind im Forsthaus. Ich hole sie ab. Pfüat di, Beate.«
»Pfüat di, Toni!«
Toni stieg in seinen Geländewagen und fuhr davon. Beate ließ es keine Ruhe. Sie ging noch einmal kurz in die Praxis und rief ihren Kollegen Doktor Max Wallner auf dem Handy an. Danach fuhr sie zu ihren Hausbesuchen. Es war Samstag, und nur am Samstag hatten die Nebenerwerbsbauern Zeit. Sie waren froh, dass Beate nach ihrem Vieh sah.
*
Am späten Samstagnachmittag spielten Franziska und Sebastian mit Bello auf dem Geröllfeld. Sie warfen Bälle, die Bello apportierte. Dabei schaute er immer wieder nach Peggy, die auf der Terrasse der Berghütte neben Gaby auf einem Stuhl saß und das Geschehen zwar neugierig verfolgt, aber ruhig sitzen blieb.
Toni trat zu Gaby.
»Deine Freundin Wiebke hat dir da etwas Schönes zugemutet. Willst jetzt deinen ganzen Urlaub auf der Terrasse der Berghütte verbringen, wie eine alte Gouvernante, die ein Kind hütet? Peggy scheint ganz brav zu sein. Du kannst sie ruhig hierlassen, wenn du eine Wanderung machen willst. Ich denke, die bleibt hier auf einem Stuhl sitzen, als sei sie festgeklebt.«
»Ach, es ist nicht so schlimm, Toni. Außerdem kann ich Peggy mitnehmen, wenn ich einfache Wandertouren wähle. Sie dürfen nicht so weit sein und steil. Ich muss damit rechnen, dass ich Peggy ein Stück tragen muss.«
»Du kannst dir einen Trageschal umbinden, weißt, so ein Tuch, in dem die Mütter sich ihre Säuglinge vor die Brust binden. Dann hast die Hände frei.«
Sie lachten.
»Gute Idee, Toni. Oder ich nehme einen kleinen Rucksack, den ich mir zusätzlich vorne umbinde. Aber vielleicht gewinnt Peggy doch Freude an längeren Spaziergängen durch die Berge. Was meinst du? Können die Berge ihren Zauber auch in ein Hundeherz senken?«
»Ganz bestimmt können sie das. Fange doch mit kurzen Strecken an. Nimm Peggy und laufe rüber zum ›Erkerchen‹. Das ist nicht weit.«
»Das ist eine gute Idee, Toni. Außerdem liebe ich das ›Erkerchen‹. Es ist ein wunderbarer Ort mit einer herrlichen Aussicht.«
»Ja, und ein Ort für Liebespaare«, schmunzelte Toni.
»Damit kann ich dir nicht dienen. Du weißt, dass mein Herz noch frei ist«, seufzte Gaby. »Deshalb habe ich nichts dagegen, auf den Hund gekommen zu sein.«
Sie lachten. Toni bot Gaby an, einen kleinen Rucksack mit Proviant zu richten. Sie könnte dann den Sonnenuntergang beim ›Erkerchen« genießen.
»Gute Idee, falls sich dort nicht gerade ein Liebespaar herumtreibt«, lachte Gaby.
Während Toni den Proviant richtete und einen zweiten, kleinen leeren Rucksack für Gaby bereitlegte, zog sie in ihrer Kammer die Wanderschuhe und ihre Jacke an. Sie nahm Peggy an die Leine.
Toni und Anna standen auf der Terrasse der Berghütte und sahen Gaby nach, wie sie mit Peggy langsam über das Geröllfeld ging. Peggy wollte nicht schnell laufen.
»So ein verwöhntes Vieh«, bemerkte Toni. »Die kennt wohl nur Teppichböden und Parkwege. Das Geröllfeld ist ihr nicht geheuer. Des ist doch sonderbar. Sie macht ihrer Rasse keine Ehre. Das Wort Cairn ist gälisch und bedeutet Stein. Also könnte man Cairnterrier mit Steinterrier übersetzen. Es sollen kleine temperamentvolle, robuste Jagdhunde sein, dafür sind sie einmal gezüchtet worden. Peggy fällt ganz aus der Art. Schau, jetzt nimmt sie Gaby wieder auf den Arm. Das sollte sie nicht tun.«
Anna legte Toni beruhigend die Hand auf die Schulter.
»Ich rede später mal mit Gaby. Es ist wie bei Kindern. Die muss man auch manchmal zu ihrem Glück zwingen.«
Toni nickte.
»Eigentlich sollte man Wiebke den Kopf waschen. Das ist schlimm, so wie sie den Hund verzogen hat.«
»Jeder Hund hat einen eigenen Charakter, genau wie jeder Mensch. Peggy eignet sich zum Ausstellungshund, das tut nicht jeder Hund. Aus Bello hätte man nie einen Ausstellungshund machen können, das wäre selbst meinen Großeltern nicht gelungen. Bello ist viel zu temperamentvoll und will sich austoben, bis an die Grenze seiner Belastbarkeit. Er liebt es, die Sachen von der Oberländer Alm in den Packtaschen heraufzutragen oder das Aluminiumwägelchen zu ziehen. Er will seine Kräfte beweisen. Nur schön zu sein und zu repräsentieren, das würde ihm nicht gefallen. Aber wie ich sagte, es gibt auch bei Hunden ganz unterschiedliche Veranlagungen. Du darfst Wiebke nicht verurteilen. Peggy ist auf ihre Art und Weise ein glücklicher Hund, und Wiebke war glücklich mit ihr.«
»Hoffentlich lenkt Detlev ein. Die beiden haben da eine echt schwere Nuss zu knacken.«
»Ja. Toni, das haben sie. Aber im Leben gibt es immer wieder Nüsse zu knacken, wenn ich im Bild bleiben darf. Jedes Jahr gibt es neue Nüsse. Je öfter die Nüsse geknackt werden, desto mehr Übung haben die Nussknacker«, schmunzelte Anna. »Sie müssen sich eben zusammenraufen, Wiebke und Detlev.«
»Ja, das müssen sie. Detlev ist ein Narr und dumm dazu. Sonst würde er sehen, wie schlimm seine Forderung für Wiebke ist.«
»Toni, es ist immer schwer. Man sollte nicht über eine Paarbeziehung urteilen, in der man nicht selbst steckt. Beziehungskrisen und Entscheidungen sind immer nur Angelegenheiten der beiden Liebenden, die davon betroffen sind. Vielleicht einigen sie sich und Wiebke nimmt Peggy zurück? Warten wir es ab.«
Gaby war jetzt oben am Hang und bog auf den kleinen Pfad ab, der am Steilhang entlang zum »Erkerchen« führte.
Toni und Anna sahen, dass sie Peggy wieder auf den Boden stellte und die Hündin brav an der Leine lief.
»Na ja, das ist ja schon mal ein kleiner Fortschritt«, sagte Toni.
In diesem Augenblick rannte ein anderer cremefarbener Hund über das Geröllfeld. Er stürmte auf Bello zu. Sie beschnupperten sich kurz, dann rannten sie bellend umher und jagten sich gegenseitig einen kleinen roten Ball ab.
Ein Mann kam den Pfad von der Oberländer Alm herauf. Er ging auf die Berghütte zu.
»Hallo und ein herzliches ›Grüß Gott‹. Du musst der Max sein, der Kollege von der Beate. Das rate ich mal so«, begrüßte ihn Toni.
»Ja, ich bin der Viehdoktor aus Kirchwalden. Und das kleine cremefarbene, temperamentvolle Bündel dort, das ist mein Hund. Bobby heißt er.«
Toni stellte Anna, den alten Alois und die Kinder vor.
»Eigentlich bin ich wegen einer jungen Frau heraufgekommen, Gaby heißt sie, und ihrer Cairnterrierhündin Peggy. Wo sind die beiden?«
»Sie sind drüben beim ›Erkerchen‹, Max. Das ist nicht weit. Ich zeige dir jetzt deine Kammer. Dann gebe ich dir Proviant. Wenn du willst, kannst du auch rüber zum ›Erkerchen‹ gehen.«
»Das ist doch ein guter Vorschlag. Ich bin auf Peggy gespannt. Beate hat mir da so einiges erzählt. Außerdem habe ich schon von Peggy gehört. Ihr Ruf ist in Züchterkreisen und auch bei Cairnterrier-Liebhabern legendär. Ich habe bisher nur Fotos von ihr gesehen. Ich hätte nie gedacht, dass ich sie einmal in natura sehen könnte.«
»Scheinst ja ein echter Hundenarr zu sein«, bemerkte Toni.
Max lachte.
»Das hast du richtig erkannt. Ich war vier Jahre alt, als mir meine Eltern zum Geburtstag einen Cairnterrierwelpen schenkten. Mein Vater war auch Tierarzt. Er ist es noch, auch wenn er seine Praxis jetzt nicht mehr alleine betreibt. Ich bin mit Cairnterriern aufgewachsen. Bobby ist mein dritter Cairnterrier. Schau mal, wie er sich freut, so toben zu können. Er kann auch ganz ruhig sein. Er ist ständig bei mir in der Praxis und fährt auch mit zu Hausbesuchen. Er wird Peggy schon aus der Reserve locken. Gib mir den Rucksack mit Proviant. Ich mache mich gleich auf den Weg.«
So geschah es auch. Augenblicke später war Doktor Max Wallner auf dem Weg zum »Erkerchen«. Sein Hund Bobby lief mal voraus, mal hinter ihm her.
Toni und Anna waren gespannt, was geschehen würde, wenn sich die beiden Hunde begegneten.
*
Der Cairnterrierrüde witterte die Hündin schon von weitem und spurtete los. Max schmunzelte. Er ließ seinen Hund rennen und rief ihn nicht zurück.
Peggy saß artig neben Gaby auf der Bank, als Bobby angerannt kam. Bobby bellte freudig. Sein Gebell schallte weit über das Tal und kam als Echo zurück. Mit einem Satz sprang er neben Peggy auf die Bank. Er schnüffelte an ihr und bellte sie weiterhin freudig an. Er sprang herunter und hoffte wohl, dass Peggy ihm folgen würde. Doch Peggy gab nur kurz einen Laut von sich und blieb sitzen. Bobby stellte sich vor die Bank und stützte die Vorderpfoten auf. Er wedelte. Gaby sah, wie beglückt er über seine Entdeckung war. Peggy gefiel ihm offensichtlich.
»Wo kommst du denn her? Das ist ja eine Überraschung«, murmelte Gaby und streichelte den Hund. »Wie heißt du? Hast du dich verlaufen?«
»Grüß Gott!«, drang eine männliche Stimme an Gabys Ohr.
Gaby sah auf, und vor ihr stand ein gutaussehender Mann. Sein Anblick brachte Gaby fast aus der Fassung. Schnell schob sie ihre Sonnenbrille über die Augen. Sie spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Was für ein Bursche, schoss es ihr durch den Kopf. Der könnte direkt aus einem Männermagazin gefallen sein.
»Das ist mein Hund. Er heißt Bobby. Es ist ein Rüde. Ich bin Max. Darf ich mich setzen?«
»Gern! Hundebesitzer sind mir immer besonders willkommen. Ich bin Gaby«, antwortete sie.
Max reichte ihr die Hand. Er streifte seinen Rucksack von den Schultern und setzte sich.
»Das ist ja ein glücklicher Zufall. Da bin ich mit Peggy in den Bergen und treffe zufällig jemanden, der einen Cairnterrierrüden hat.«
Max schloss aus Gabys Bemerkung, dass Toni Gaby seinen Besuch nicht angekündigt hatte. Er räusperte sich.
»Ganz so war es nicht. Ich bin nicht zufällig hier. Es hat sich in der ganzen Gegend herumgesprochen, dass die berühmte, preisgekrönte Peggy auf der Berghütte ist. Das konnte ich mir doch nicht entgehen lassen.«
»Dann bist du… Ich nehme an, dass das Du okay ist?«
»Unter Bergliebhabern und Hundefreunden ist das Du immer okay. Sprich ruhig weiter.«
»Dann bist du extra wegen Peggy hier?«
»Ja, ja, in gewisser Weise, kann man das so sagen. Ich kenne Peggy von Bildern aus der Fachzeitschrift des Terrierclubs. Ich muss wohl etwas ausholen. Toni hat mit Beate über Peggy gesprochen. Beate hat mich heute Morgen angerufen.«
»Wer ist Beate?«
»Oh, das kannst du nicht wissen. Doktor Beate Brandt ist die Tierärztin in Waldkogel. Sie ist eine Kollegin. Wir haben einige Semester zusammen studiert und hatten denselben Doktorvater. Ich habe eine Tierarztpraxis in Kirchwalden. Beate und ich, wir vertreten uns gelegentlich gegenseitig. Sie weiß um meine Terrierverrücktheit.«
Max streichelte Peggy.
»Sie ist wirklich eine schöne Hündin«, sagte er. »Jetzt, da ich sie sehe, kann ich verstehen, dass sie in den vergangenen Jahren alle Preise abräumte. Dir gefällt sie auch, Bobby. Das kann ich dir an der Nasenspitze ansehen. Bist ja ganz verrückt nach ihr.«
Bobby sprang auf Max’ Schoß, um näher an Peggy zu sein.
»Sie ist sehr ruhig«, bemerkte Max.
»Ja, das ist sie. Sie sitzt am liebsten neben jemandem und ist auch völlig damit zufrieden. Sie ist eben ein Star.«
»Ihr Verhalten ist nicht Terrier typisch«, sagte Max.
»Nein, das ist es nicht.«
»War sie schon immer so?«
»Soweit ich es weiß. Ich muss erklären, dass die Hündin eigentlich meiner Freundin Wiebke gehört oder gehört hatte. Es ist etwas kompliziert mit den Besitzverhältnissen im Augenblick.«
»Ja, jetzt erinnere ich mich auch den Namen der Besitzerin, Wiebke Lichti. Es war ein Interview mit ihr in der Zeitung. Warum kann sie Peggy nicht mehr halten? Von so einem Hund trennt man sich doch nicht.«
»Das ist eine schlimme Geschichte.«
»Ich bin ein guter Zuhörer. Mich interessiert die Geschichte wirklich, als Mensch und auch als Tierarzt.«
»Das ist kurz gesagt. Wiebke ist meine beste Freundin. Ihr langjähriger Partner hat ihr einen Heiratsantrag gemacht. Doch die Zukunft der beiden lässt keinen Raum für Peggy. Das war es im Telegrammstil.«
Doktor Max Wallner sah Gaby erstaunt an.
»Ja, so etwas kommt vor. Mann oder Hund? Frau oder Hund? Ich hatte schon einige Male solche Fälle in meiner Praxis. Ich kann es nicht verstehen, dass jemand so handeln kann. Wenn jemand sich einen Hund oder irgendein Tier nimmt, dann übernimmt er damit eine Verantwortung, solange das Tier lebt. Tiere sind keine Gegenstände. Ich kann nicht nachvollziehen, wie sich jemand, der selbst tierlieb ist, in jemanden verlieben kann, der Tiere ablehnt. Das geht nicht zusammen. Nicht wahr, Bobby? Wir haben da auch schon unsere Erfahrungen gemacht.«
Max kraulte Bobby das Fell.
Gaby erzählte von Wiebke und Detlev und nannte Einzelheiten.
»Den Kerl sollte sie in die Wüste schicken«, empörte sich Max.
»Sie liebt ihn«, wiederholte Gaby.
»Das sagt sie, aber ich frage dich allen Ernstes, Gaby. Was kann das für eine Liebe sein? Liebt sie ihn? Liebt sie seine Karriere? Liebt sie das schöne Leben, das er ihr bieten kann?«
Er schüttelte den Kopf.
»Wie heißt das beliebteste Sprichwort unter Hundebesitzern?«
»Ein Hund bleibt dir im Sturme treu, ein Mensch nicht einmal im Winde!«, sagten Max und Gaby wie aus einem Mund.
»Richtig, und daran sollte Wiebke denken«, betonte Max.
»Ja, jetzt hat Wiebke erst einmal Zeit zum Nachdenken. Ich habe vier Wochen Urlaub und verbringe sie auf der Berghütte. Vielleicht einigen sie sich in dieser Zeit.«
Gaby nahm Peggy auf den Schoss und drückte sie an sich.
»Bist eine arme Hündin, wirst herumgeschoben wie ein Möbelstück, das niemand mehr will, weil es plötzlich im Weg steht. Aber das lasse ich nicht zu. Peggy, wir finden eine Lösung. Da kannst du ganz sicher sein.«
»Kannst du Peggy nicht behalten?«
»Darauf wird es wahrscheinlich hinauslaufen. Aber ich bin Rettungsassistentin und habe unregelmäßige Arbeitszeiten, Noteinsätze sind fast an der Tagesordnung. Vielleicht finden wir im Wohnblock eine nette ältere Dame oder einen Herrn, der sich deiner annimmt, wenn mein Dienstplan mal wieder durcheinander gerät.«
»Wo wohnst du?«, fragte Max.
»Ich wohne in Wiesbaden.«
»Schade, das ist etwas weit. Sonst hättest du Peggy jederzeit zu mir bringen können.«
»Das ist lieb gemeint. Aber zwischen Wiesbaden und Kirchwalden liegen doch einige hundert Kilometer.«
»Dann ziehe doch nach Kirchwalden«, sagte Max.
Gaby wandte den Kopf, nahm die Sonnenbrille ab und schaute ihn an. Sie war überrascht.
»Ja, warum nicht? Du findest hier auch Arbeit. Ich höre mich gern mal um, wenn du willst. Die Bergwacht sucht immer Fachkräfte, auch in Festanstellung. Bobby wäre bestimmt begeistert, wenn Peggy ihn oft besuchen würde.«
Gaby sah, dass eine leichte Röte in Max’ Wangen stieg.
»Soso, Bobby wäre begeistert? Das hört sich gut an«, sagte Gaby leise.
Mit einem verlegenen Unterton in der Stimme ergänzte Max leise:
»Nicht nur Bobby würde sich freuen. Auch ich wäre erfreut, wenn wir uns sehen könnten. Oder spricht etwas dagegen?«
»Was sollte dagegen sprechen? Ich meine, rein theoretisch?«
»Verzeihe, wenn ich mit der Tür ins Haus falle, ich bin nun mal ein zupackender Typ. Damit will ich sagen, ich weiß gerne, woran ich bin. Also, frage ich dich am besten direkt. Gibt es jemanden? Damit meine ich einen Mann, der dich in Wiesbaden hält?«
»Du bist wirklich sehr direkt«, entfuhr es Gaby.
»Das habe ich dir doch gesagt. Ist es nicht besser, von Anfang an alles zu klären? Denke mal an Wiebke und Detlev. Hätten die beiden vorher über die Gestaltung der gemeinsamen Zukunft gesprochen, dann wäre es nicht zu einem Streit über Peggy gekommen. Weißt du, es ist sonderbar. Wenn sich jemand für eine Sache, einen Gegenstand, interessiert, dann holt er jede Information ein, die es gibt. Er will Klarheit, er will absolute Transparenz. Nur wenn es um Kontakte und mögliche Beziehungen zwischen Menschen geht, dann wird einfach so drauf los gestolpert. Ich bin da anders. Ich kläre auch mit Menschen gern alles ab.« Max lächelte. »Das liegt vielleicht an meinem Beruf. Tiere kann man nicht befragen, wie es ein Humanmediziner tut. Also löchere ich die Besitzer mit Fragen, während der Anamnese.«
»Das verstehe ich gut. Als Rettungsassistentin weiß ich, wie hilfreich es sein kann, wenn jemand zur Stelle ist, der etwas sagen kann. Das kann viel Arbeit ersparen.«
»Genauso ist es. Also, bist du Single oder in festen Händen?«
Gaby errötete tief. Sie schaute auf die Uhr.
»Wir sitzen noch nicht einmal eine Stunde hier zusammen und du stellst eine solche Frage? Was soll ich daraus schließen? Da kann man einiges vermuten«, fügte sie leise hinzu.
Max lächelte sie freundlich, fast zärtlich an. Er legte den Arm hinter sie auf die Lehne.
»Nun, daraus kannst du ganz unterschiedliche Schlüsse ziehen. Aber ich denke, du weißt genau, warum ich es gerne wüsste. Du bist mir sehr sympathisch, wirklich sehr.«
»Und ich mag Hunde, speziell Terrier …«
»Richtig! Also?«
Gaby seufzte leise.
»Okay, dann werde ich dir am besten meinen Lebenslauf vortragen.«
»Ich höre! Danach bin ich dran! Ladies first.«
Gaby sah ihn nicht an, als sie von sich erzählte. Sie nannte die Fakten, Schule, Berufsausbildung als Krankenschwester, Berufstätigkeit auf Station, Weiterbildung zur Rettungsassistentin, Dienst in der Rettungsstaffel. Sie seufzte.
»Dabei blieben einige Beziehungen auf der Strecke. Es war immer schwer, Beruf, Dienstpläne und Privates unter einen Hut zu bekommen. Ich liebe meinen Beruf. Er macht mich glücklich, auch wenn es gelegentlich ganz schön stressig ist.«
»Das kann ich nachvollziehen. Ich habe einige Jahre in der großen Tierklinik einer Universität gearbeitet. Dabei blieben auch Beziehungen und Freundschaften auf der Strecke. Ich weiß genau, wovon du redest.«
Sie sahen sich an.
»Bei aller Liebe zum Beruf kann das Leben auch einsam sein«, sagte Max.
Er streichelte Bobby.
»Ein Hund ist wunderbar. Aber einen Menschen zu haben, der auf einen wartet, ist doch etwas anderes.«
»Stimmt! Ich komme manchmal in Panik, wenn ich daran denke, wie es weitergeht. Ich will keine alte Jungfer werden.«
Max sah sie liebevoll an.
»Das wirst du nicht, Gaby. Da bin ich mir sicher. Du hast eine wunderbare Ausstrahlung. Das spürt ein Mann sofort.«
»Ah, deshalb deine aufdringliche Frage!«
»Ja, ich konnte mir nicht vorstellen, dass du alleine bist. Haben die Männer in Wiesbaden Tomaten auf den Augen oder laufen sie mit Scheuklappen herum?«
Gaby lachte laut.
»Das haben sie nicht. Aber ich nehme nicht jeden«, sagte Gaby leise und warf Max einen Seitenblick zu.
Er lächelte.
Verlegen strich sich Gaby eine blonde Locke hinter das Ohr.
Sie wusste auch nicht so genau, wie es gekommen war, dass sie ihre innersten Gedanken Max anvertraute.
Aber seine Ausstrahlung hatte sie in seinen Bann gezogen, ebenso seine offene und direkte Art.
»Weißt du, Max, seit ich miterlebe, wie es in der Beziehung zwischen meiner Freundin Wiebke und ihrem Typen läuft, da bin ich noch vorsichtiger geworden. Sie kennen sich seit Jahren, und sie wohnen schon eine Weile zusammen. Mir kam es immer so vor, als seien die beiden das perfekte Paar. Jetzt fetzen sie sich wegen eines Hundes. Das heißt, der Hund ist nur der Anlass. In Wirklichkeit ist es so, dass sie doch kein perfektes Paar sind, das die gleichen Zukunftsvorstellungen hat. Kann es einem da nicht Angst und Bange werden?«
»Sicher kann es das. Es muss ein Schock für dich sein. Aber du solltest dich davon nicht beeindrucken lassen. Außerdem gibt es immer verschiedene Einstellungen und Sichtweisen zu den Fakten, auch zum Faktor Liebe. Lasse dich durch die Lebensumstände und Liebesverwicklungen deiner Freundin Wiebke nicht verunsichern.«
»Ich bemühe mich darum. Aber es kommt mir so vor, als würde es mit der Liebe komplizierter, mit jedem Jahr, das ich älter werde. Verstehst du?«
»O ja, ich verstehe dich gut. Diese Erfahrung mache ich auch. Man verliebt sich nicht mehr so spontan. Man wird vorsichtiger. Auch hat man nicht mehr so viel Zeit.«
»Bei den Männern ist es einfacher, da tickt keine biologische Uhr!«
»Das stimmt. Aber ein alter Vater, der von den Freunden seiner Kinder für den Großvater gehalten wird, will ich auch nicht sein.«
»Das verstehe ich!«
Sie schwiegen und schauten sich an.
»Glaubst du an die Liebe auf den ersten Blick?«, fragte Max.
Gaby stieg eine leichte Röte in die Wangen, und sie schaute weg. Sie blickte über das Tal, das golden in den Strahlen der Abendsonne lag, die langsam im Westen hinter den Bergen versank. Die Berggipfel leuchteten, als würden sie glühen. Die Eisfelder und Gletscher glitzerten, als hätte jemand Säcke mit roten Rubinsplittern oder funkelnden Granatsteinen ausgeschüttet.
»Schwierige Frage«, flüsterte Gaby leise.
Sie scheute sich, ihn dabei anzusehen. Sie spürte, wie ihr Herz klopfte. Gaby drückte Peggy an sich und vergrub das Gesicht einen Augenblick in ihrem Fell.
»Wenn ich sage, ja, ich glaube an die Liebe auf den ersten Blick, was dann? Außerdem müsste man erst einmal genau definieren, was damit gemeint ist. Ist es ein Erstaunen, ist es ein Aufmerken, ist es eine besondere Wahrnehmung, wenn man jemanden zum ersten Mal sieht?«
»Gute Frage! Ich würde sagen, es ist der Gedanke. Es ist ein warmes Gefühl, das sich blitzartig im Herzen ausbreitet und Sehnsucht verbreitet, den Rest des Lebens mit diesem Menschen verbringen zu können. Es ist das Gefühl der unvoreingenommenen Akzeptanz des anderen, was er auch ist, wie er auch ist, wo er auch lebt. Alle Fakten, die in unserer Gesellschaft so wichtig sind, sind in diesem Augenblick unwesentlich. Es ist da nur das Gefühl, dass es ein anderes Herz gibt, das im selben Takt schlägt, poetisch ausgedrückt. Naturwissenschaftlich gesagt, stimmt die Chemie einfach.«
Max schmunzelte.
»Dabei sind die Naturwissenschaftler noch immer auf der Suche nach dem großen Geheimnis der Liebe. Warum verlieben sich zwei? Warum sind es gerade diese zwei?«
»Vielleicht, weil jeder Mensch unsichtbare Signale aussendet, die nur ein bestimmter anderer Mensch empfangen kann?«
»Das hast du gut gesagt, Gaby. Das ist bei Tieren auch oft so. Ich kann dir da eine Geschichte erzählen. Es geht dabei um Liebe zwischen zwei Hunden. Willst du sie hören?«
»Gern! Ich höre dir gerne zu. Du hast eine angenehme Stimme und kannst so schön formulieren.«
»Danke! Also! Ich habe Bobby von einem Züchterehepaar. Sie werden mit ihrer Zucht von meinem Vater betreut. Es sind wirklich verantwortungsvolle Züchter und behandeln ihre Hunde sehr gut. Sie hatten eine temperamentvolle, dunkle Cairnterrierhündin, die sie zur Zucht einsetzen wollten. Die Hündin und der Rüde schienen Gefallen aneinander gefunden zu haben. Sie tobten über die Wiese, sprangen in den Bach und plantschten. Natürlich wollte der Rüde die Hündin decken. Das gefiel ihr aber nicht. Sie wollte nur mit ihm spielen. Kam er ihr in einer anderen Weise näher, setzte sie sich und knurrte ihn an. Sie schnappte sogar nach ihm. Schließlich trennte man die beiden nach einigen Stunden vergeblichen Wartens. Sandy, so hieß die Zuchthündin, bekam Besuche von anderen Rüden. Es wiederholte sich mehrmals das gleiche Spiel.
Sie lehnte jeden Rüden ab, der ihr zugeführt wurde. Das Züchterehepaar besprach sich mit meinem Vater. Er hatte auch keine Antwort. Sandy wurde aus der Zucht genommen und war in der Folge nur noch der Hund der Kinder des Züchterehepaares. Dann geschah es. Die Familie war bei einer anderen Familie zum sonntäglichen Kaffee eingeladen. Sie nahmen Sandy mit, kaum waren sie aus dem Auto ausgestiegen, stürmten Sandy und der Hund der Gastfamilie davon. Was sage ich dir? Es war ein Überraschungserfolg. Sie warf später drei prachtvolle Welpen. Die beiden hatten sich eben gefunden. Sie waren sich sympathisch. Sie konnten sich gut riechen. Es war Hundeliebe, wenn man so sagen kann. Auch Tiere wissen, wer zu ihnen passt.«
»Das ist eine schöne Geschichte«, sagte Gaby.
Sie streichelte Peggy.
»Wie ist es mit dir? Bello ist vielleicht etwas zu groß, um mit dir zu spielen. Gefällt dir Bobby? Er ist so ein toller Bursche. Schau mal, wie er neben dir auf der Bank sitzt und sich um dich bemüht.«
Gaby setzte Peggy auf den Boden. Bobby sprang von der Sitzfläche herunter und umkreiste Peggy.
Er wollte mit ihr spielen. Peggy würdigte ihn keines Blickes. Sie machte einen Sprung und setzte sich wieder auf die Bank neben Gaby.
»Sie spielt nicht, Max. Sie tut nichts außer Fressen und dekorativ herumsitzen.«
»War sie schon immer so?«
»Sie war schon immer etwas Besonderes, will ich einmal sagen. Aber so wie in letzter Zeit benahm sie sich noch nicht. Ich frage mich, ob sie trauert. Schließlich ist sie von Wiebke getrennt. Vielleicht hat sie mitbekommen, dass sich die beiden wegen ihr gestritten haben?«
»Was im Kopf eines Hundes vor sich geht, das kann man nur erraten. Ich denke, dass Tiere viel mehr erfassen und begreifen, als wir Menschen annehmen.«
»Das heißt im Klartext, sie lässt die Finger, das heißt, die Pfoten von jedem Wesen, das männlich ist. Sie schmollt, will mit Bello nichts zu tun haben, er ist ein Rüde, und das gilt auch für Bobby.«
Die Sonne war untergegangen. Nur noch ein heller Schein war über den Berggipfeln am westlichen Horizont zu sehen. Es war kühl geworden. Gaby machte ihre Jacke zu und schüttelte sich.
»Du frierst?«
»Danke, es geht schon!«
Max ließ das nicht so stehen. Er zog seine Jacke aus und hängte sie ihr um.
»Jetzt frierst du. Am Ende bekommst du eine Erkältung und ich bin die Ursache.«
»Du weißt, dass eine Erkältung nur durch eine Tröpfcheninfektion übertragen wird.«
»Das weiß ich, ich meinte nur.«
»Dann müssen wir etwas dagegen tun.«
»Ja, nimm deine Jacke zurück.«
Sie schauten sich im Mondlicht in die Augen. Max lächelte sie an.
»Gut, aber ich habe dann einen besseren, vielmehr einen ergänzenden Vorschlag. Ich rutsche ein Stück zu dir und setze mich ganz dicht neben dich und lege meinen Arm um dich. Wir kuscheln uns eng aneinander und halten uns gegenseitig warm. Was hältst du davon?«
Gaby schaute ihn nur an. Sie spürte, wie ihr Herz klopfte. Max räusperte sich und wertete es als Zustimmung. Er nahm seine Jacke wieder an sich, rutschte dicht neben Gaby und legte die Jacke von vorne über sie und sich. Peggy kuschelte sich auch darunter. Das sah Bobby wohl mit etwas Eifersucht. Er sprang auf die Bank und schlüpfte unter der Jacke auf den Schoss von Max. Gaby und Max mussten beide lachen. Max legte seinen Arm um Gaby und zog sie eng an sich.
»Dein Haar riecht gut!«, sagte er leise. »Du riechst gut!«
»Soso, dann kannst du mich also gut riechen?«
»Ja, das kann ich. Tu nicht so, als hättest du das nicht längst bemerkt! Hast du es bemerkt?«
»Es war nicht zu übersehen«, sagte Gaby leise.
Max’ Herz klopfte schneller. Er blieb ganz ruhig sitzen. Er war glücklich. Gemeinsam schauten sie hinauf in die Sterne, die am wolkenlosen Nachthimmel standen. Der Vollmond wanderte langsam über den Himmel. Sie schwiegen und sahen, wie nach und nach unten in Waldkogel die Lichter hinter den Fenstern erloschen.
»Es ist schon spät. Fährst du heute Abend noch zurück nach Waldkogel?«, fragte Gaby leise.
»Nein, ich bleibe über das Wochenende auf der Berghütte, bis Montagmorgen. Toni hat eine Kammer für mich frei gemacht.«
Gaby sah ihm in die Augen.
»Das ist schön.«
»Wenn du willst, dann können wir morgen zusammen eine Wanderung machen. Magst du?«
»Das würde ich gerne tun, Max. Aber mit Peggy ist das schwierig. Sie ist es nicht gewohnt, große Strecken zu laufen. Außerdem mag sie keine steinigen und steilen Wege. Ich werde sie tragen müssen. Ich wage es nicht, sie alleine auf der Berghütte zu lassen. Sie müsste die ganze Zeit angebunden sein. Sie bleibt nur ohne Leine neben mir sitzen. Sie kennt keine Kommandos, außer denen, die ihr für die Hundeausstellungen beigebracht wurden. Sie würde wahrscheinlich davonrennen und ginge verloren.«
»Ich verstehe.«
Max schwieg, und Gaby nahm an, dass er nachdachte.
»Dann machen wir eine kleine Wanderung hierher zum ›Erkerchen‹. Das ist besser, als unter den vielen Hüttengästen auf der Berghütte. Ich bin gern mit dir zusammen.«
»Ich bin auch gern mit dir zusammen«, flüsterte Gaby leise.
Sie spürte, wie ihr Max über das Haar strich.
»Wenn du willst, kannst du mit mir nach Kirchwalden kommen. Zu meinem Haus gehört ein großer Garten mit einer Wiese. Das gesamte Grundstück ist eingezäunt. Da kommt nicht einmal eine Maus hinein oder heraus. Ich könnte versuchen, Peggy etwas zu schulen. Wenn Bobby ihr es vormacht, dann lernt sie es vielleicht schneller. Sicher darf man sie dabei nicht überfordern. Sie ist keine junge Hündin mehr, der man spielerisch etwas beibringen kann. Sie sollte zunächst einmal lernen, bei Fuß zu gehen und auf Kommando zurückzukommen.«
»Du willst dir so viel Arbeit machen?«
»Sicher, warum nicht? Ich hoffe, wir sehen uns öfter, ganz oft. Dann wäre es schon gut, wenn Peggy besser erzogen wäre. Dabei darf man ihr keinen Vorwurf machen.«
Gaby griff Peggy unter das Kinn und hob ihren Kopf zu sich auf.
»Was sagst du dazu? Wie findest du Bobby und Max? Wollen wir die beiden in Kirchwalden besuchen?«
Peggy sprang aus der Sitzhaltung auf. Sie stellte sich auf, lehnte ihre Vorderpfoten gegen Gabys Brust und versuchte, ihr das Gesicht abzuschlecken. Gaby hielt sie zurück.
»Das bedeutet wohl Zustimmung, Gaby. Peggy ist begeistert. Wir fahren zusammen morgen Abend nach Kirchwalden. Dann wird es nicht so hektisch. Am Montagvormittag hätte ich gleich Sprechstunde. So ist es besser. Ich habe dann Zeit, dir in Ruhe das Haus zu zeigen und die Praxis. Ein Gästezimmer habe ich auch, auch wenn es lange nicht mehr benutzt wurde. Wie klingt das für dich?«
Gaby streichelte Peggy. Es dauerte eine Weile, bis sie antwortete.
»Danke für die Einladung«, sagte sie leise. »Das klingt gut.«
Sie spürte, wie der Druck von Max’ Arm sich für einen Augenblick verstärkte. Er freut sich, dachte sie. Es wird schön werden, freute sie sich ebenfalls, und ihr Herz klopfte schneller.
Stunden waren inzwischen vergangen. Die Uhr der schönen Barockkirche schlug Mitternacht. Zwölf Glockenschläge schallten über Berg und Tal, gefolgt von vier dunkleren Glockentönen, die die volle Stunde anzeigten.
»Ob Toni und Anna noch wach sind? Vielleicht warten sie.«
»Das denke ich nicht, Gaby. Sie haben die Tür zur Berghütte bestimmt offen gelassen. Gehen wir zurück?«
»Ja, das tun wir!«
Sie standen auf und schulterten die Rucksäcke. Zur Sicherheit band Gaby den kleinen Rucksack um. Max hob Peggy hinein.
»Majestät, Sie werden getragen, wie sich das für eine Königin gehört«, lachte er.
Max nahm Bobby an die Leine. Er holte eine Stablampe aus seiner Jackentasche und ging mit seinem Hund voraus.
Im Wirtsraum der Berghütte brannte noch eine Lampe. Wie Max vermutet hatte, waren Toni und Anna schon schlafen gegangen. Auf dem Tresen lag ein Zettel.
Max las laut:
Liebe Gaby! Lieber Max!
Wir nehmen an, Ihr seid ins Plaudern gekommen. Wir sind schlafen gegangen. In der Küche haben wir Euch den Tisch gedeckt. In der Kanne ist Kräutertee. Auf dem Herd steht ein Topf mit einem von Alois berühmten Eintöpfen. Lasst es Euch schmecken.
Gute Nacht wünschen Euch Anna und Toni.
»Hast du Lust auf Eintopf?«, fragte Gaby.
Max schüttelte den Kopf.
»Wir haben noch unseren Proviant in den Rucksäcken. Eine herzhafte Brotzeit wäre mir lieber.«
»Ist mir auch lieber!«
Sie gingen in die Küche und ließen sich Brot, Wurst, Käse und Äpfel schmecken, die Toni eingepackt hatte. Zum Schluss aßen sie die Schokolade. Sie tranken Kräutertee dazu. Sie redeten und redeten. Max erzählte aus seiner Praxis und von seinem Elternhaus. Gaby hörte aufmerksam zu.
»Du musst aus einer wunderbaren Familie stammen.«
»Ja, das tue ich. Meine Eltern verstanden es großartig, mir und meinen Geschwistern eine schöne Kindheit zu geben. Mit schön meine ich keine Äußerlichkeiten, sondern Liebe und Geborgenheit und Harmonie, ein richtiges Heim eben, wie es jedes Kind haben sollte. So will ich es später auch einmal machen.«
»Du willst eine große Familie?«
»Wenn es sich so ergibt, würde ich mich freuen. Aber die Frau muss die Kinder bekommen.«
»Dann wünsche ich dir, dass dir die passende Frau begegnet.«
Max sah Gaby in die Augen. Er lächelte sie an, und sie lächelte zurück. Sie las in seinen Augen seine Gedanken. Habe ich die Frau nicht schon gefunden? Bin ich ihr heute nicht begegnet? Es knisterte zwischen ihnen. Aber jeder wollte mit weiteren Äußerungen vorsichtig sein. Weder Max noch Gaby wagten es, ihre Gedanken in Worte zu fassen. Trotzdem verstanden sie sich. Es bedarf keiner Worte zwischen Liebenden, dachte Gaby. Das wird wohl Liebe sein. Unsere Herzen reden miteinander, und wir verstehen uns.
Nachdem sie mit dem Essen fertig waren, räumten sie ab und machten das Geschirr sauber. Max spülte und Gaby trocknete ab. Peggy saß auf einem Küchenhocker, legte den Kopf schief und schaute die beiden an. Bobby saß auf dem Boden und sah Peggy an.
Dann löschten sie das Licht in der Küche und gingen zu ihren Kammern. Sie blieben einen Augenblick vor Gabys Kammertür stehen. Max griff zärtlich nach ihrer Hand. Er hielt sie fest. Sie spürte, wie sie ein warmes, sich so glücklich anfühlendes Gefühl durchströmte. Eine Sehnsucht nach mehr, nach viel mehr, ergriff ihr Herz.
»Gute Nacht, Gaby! Schlafe gut und träume schön. Es war für mich ein unvergesslicher Abend. Ich werde mich bis an mein Lebensende daran erinnern.«
»Ich mich auch! Gute Nacht, Max! Gute Nacht, Bobby!«
Dann beugte sich Max zu ihr und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Sie sah ihm in die Augen und gab ihm auch einen Gutenachtkuss auf die Wange. Fast war Gaby etwas enttäuscht. Aber sie verstand ihn. Im Grunde war es ihr recht, auch wenn die Sehnsucht sie fast zerriss. Es war gut, sich langsam anzunähern, sich erst noch näher kennenzulernen.
»Bis morgen, Max!«
»Ja, bis später, wir haben schon Sonntag! Wie die Stunden vergingen?«
Gaby lächelte. Dann ging sie in ihre Kammer und schloss die Tür. Sie drückte innen ihr Ohr gegen die Tür und lauschte. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie Max’ Schritte hörte, wie er sich entfernte und in seine Kammer ging.
*
Gaby legte sich schlafen. Durch das kleine Fenster schien der Vollmond. Gaby war müde, fand aber keinen Schlaf. Unruhig wälzte sie sich hin und her. Peggy, die am Fußende des Bettes lag, stand auf und wanderte ans andere Ende. Sie kuschelte sich in Gabys Arm.
»Kannst du auch nicht schlafen, Peggy?«, fragte Gaby leise. »Ich muss immer an Max denken. Er ist nett. Findest du nicht auch?«
Gaby musste über sich selbst schmunzeln. Ich rede mit einem Hund über einen Mann, dachte sie. Aber mit wem soll ich sonst reden?
»Peggy, ich sage dir etwas. Max gefällt mir. Er sieht gut aus, mit seinem braunen Haar und seinen großen braunen Augen. Dass so ein Mann noch frei herumläuft, ist für mich ein Wunder. Also irgendeinen Haken muss er haben, sonst wäre er längst in festen Händen und hätte eine Frau und Kinder. Vielleicht hat er ein dunkles Geheimnis? Vielleicht ist es so einer wie Detlev? Einer, der erst nach der Verlobung die Katze aus dem Sack lässt? Ach, Peggy, was rede ich da für einen Unsinn? Aber ich kann es einfach nicht fassen. Er ist einfach großartig. Er ist außergewöhnlich. Er ist ernsthaft und klug. Er scheint großen Wert auf eine ehrliche Beziehung zu legen. Er ist wohl rundherum ein richtiger Volltreffer, so wie ein Sechser mit Zusatzzahl im Lotto. Ich sehe zwar, dass mein Name auf der Gewinnerliste prangt, aber ich kann es irgendwie nicht fassen. Hast du dir Bobby angesehen? Er ist ein besonders lieber und gut erzogener Hund, ein wunderbarer kleiner Rüde, ohne Falsch und Hinterlist. Wenn man vom Hund auf den Herrn schließt, dann muss Max in Ordnung sein. Falsche Hunde gehören bösartigen und schlimmen Menschen. Hunde nehmen das Verhalten ihrer Besitzer an, habe ich irgendwo einmal gelesen. Wo war das nur? Ich habe es vergessen, ist auch gleich. Oh, Peggy, wie geht das weiter? Kannst du mir dabei nicht ein wenig helfen? Es wäre nett von dir, wenn du dich für Bobby interessieren würdest. Du könntest wirklich mit ihm spielen. Schau doch, er ist nicht so groß wie Bello. Er ist sehr an dir interessiert. Ich träume davon, dass es weiterhin einen guten Weg nimmt – mit mir und Max. Es fängt doch gut an. Hör mal, Peggy, ich habe Wiebke versprochen, dass ich dich behalte, falls sie diesen Detlev heiratet. Das war Punkt Nummer Eins. Zweitens kann es durchaus sein, dass ich jetzt öfter mit Max zusammen bin. Also, ich hätte nichts dagegen. Aber dann musst du dich auch schon etwas mit Bobby anfreunden. Überlege es dir. Denk mal darüber nach.«
Peggy lag ganz ruhig in Gabys Arm und lauschte ihrem leisen Flüstern. Gaby spürte, wie sie langsam ruhiger wurde. Ihr aufgewühltes Herz beruhigte sich. Sie konnte wieder klarer denken und überdachte ihr Zusammensein mit Max. Ja, sie war zufrieden. Es war gut
gelaufen, mehr als gut. Es war genauso gelaufen, wie sie es sich immer gewünscht hatte. Da war ein Mann, der von Anfang an keinen Zweifel daran ließ, dass er Interesse an ihr hatte. Er hatte es an Deutlichkeit nicht fehlen lassen, trotz seiner wohldosierten Zurückhaltung. Gaby schätzte das an ihm. Er hatte die Situation auf der Bank beim »Erkerchen«, als sie etwas fröstelte, nicht ausgenutzt. Er hatte ihr einen Gutenachtkuss auf die Wange gegeben. Er wusste, was sich gehörte und man eine Frau, in die man verliebt war, nicht am ersten Abend bedrängte. Trotzdem waren die Bekundungen seiner Zuneigung sehr deutlich gewesen, ganz eindeutig.
Glücklich schloss Gaby die Augen und seufzte tief. Peggy blieb ruhig in ihrem Arm liegen. Bald schlief Gaby ein und träumte von Max und Bobby.
Max legte sich noch nicht gleich schlafen. Er stand noch eine Weile am Fenster seiner Kammer und schaute hinauf in den nächtlichen Sternenhimmel. Sein Handy vibrierte in seiner Jackentasche. Max schaute auf das Display.
»Bobby, das ist Beate. Ein Anruf um diese Uhrzeit?«
Es war immerhin schon fast drei Uhr nachts. Max nahm das Gespräch an.
»Max hier! Was gibt es, Beate?«
»Entschuldige die Störung! Tut mir leid, dass ich dich aus dem Schlaf gerissen habe.«
»Hast du nicht! Was ist los?«
»Max, ich bin auf dem ehemaligen Grasser Gestüt. Es gehört jetzt Luise. Sie betreibt es mit ihrem Mann aus Südamerika. Du kennst das Gestüt und den Reiterhof. Es liegt hinter dem Bergsee, weiter hinten nach dem Waldschlösschen des Grafen. Hier gibt es vier Stuten, die alle gleichzeitig fohlen. Bei dreien gibt es Komplikationen, eine Steißlage, einmal eine Querlage und bei der dritten Stute sind es mit Sicherheit zwei Fohlen. Kannst du kommen? Wir sind zwar zu fünft hier, aber ich könnte fachliche Hilfe gebrauchen.«
»Ich bin auf der Berghütte. Aber ich mache mich sofort auf den Weg. Ich beeile mich!«
Sie legten auf.
»Bobby, es gibt Arbeit!«
Max setzte sich auf das Bett. Er zog schnell seine Wanderschuhe an und schlüpfte in seine Jacke. Er überprüfte die Taschenlampe, dann schulterte er seinen Rucksack.
»Auf, Bobby! Sei aber leise, wir wollen niemanden wecken. Wir gehen zu Beate, sie braucht Hilfe!«
Max schlich aus der Kammer, durchquerte den Wirtsraum der Berghütte und zog hinter sich die Außentür leise zu. Dann eilte er mit schnellen Schritten über das Geröllfeld in Richtung Bergpfad, der hinunter zur Oberländer Alm führte. Es war eine helle Mondnacht. Im Schein der starken Taschenlampe rannte Max den Bergpfad hinunter. Bobby hetzte voraus, bis sie den Parkplatz hinter der Almhütte der Oberländer Alm erreichten. Mit Vollgas und vollen Scheinwerfern ging es erst den Milchpfad hinunter nach Waldkogel, dann die schmale Straße entlang, die auf den Weg mündete, der am Bergsee entlangführte. Der Geländewagen des Tierarztes zog eine Staubwolke hinter sich her, bis er mit quietschenden Reifen vor den Stallungen des Gestüts hielt.
»Dem Himmel sei Dank, dass da bist, Viehdoktor! Wir können zwei weitere Hände gut gebrauchen«, nahm ihn die alte Maria, die Ria gerufen wurde, in Empfang.
Sie war weit über achtzig Jahre und lebte seit ihrer Jugendzeit auf dem Gestüt. Sie war die gute Seele, der ruhende Pol. Sie eilte vor Max in den Pferdestall. Dort bemühten sich alle um die Stuten, Beate, Luise, ihr Mann Johannes, der Juan gerufen wurde, Vater Alfred, Ria und Gustav, der alte Hufschmied.
Beate seufzte erleichtert, als sie Max kommen sah. Bobby hatte er im Auto gelassen.
»Wo kann ich anpacken? Was ist am dringlichsten?«
Beate gab Max einen kurzen Überblick. Eine Stute hatte schon gefohlt ohne Probleme. Also waren es nur noch drei Pferde. Es war so, dass die Stute mit den Zwillingsfohlen wohl soweit war. Es dauerte auch nicht mehr lange, dann lagen zwei braune, nasse Fohlen im Stroh. Luise und ihr Mann Juan trockneten sie mit Stroh ab. Als die beiden Jungfohlen danach aufstanden und gleich am Bauch der Mutter die Zitzen suchten, atmeten sie erleichtert auf und verließen die Box. Das war geschafft. Die Stute hatte ihre Sache gut gemacht und nahm ihre Fohlen an.
Beate kümmerte sich um die Stute mit der Steißlage. Max betreute die Stute mit der Querlage. Es dauerte bis zum Sonntagmorgen. Pünktlich zum ersten Geläut der Glocken der schönen Barockkirche von Waldkogel, die zur Messe riefen, lagen zwei weitere Fohlen im Stroh. Es war geschafft.
Ria brachte eine Flasche mit Obstler und Gläser. Sie tranken alle auf den fünffachen Nachwuchs des Gestüts. Luise stand vor der Box mit der Stute und den Zwillingsfohlen.
»Was haben wir für ein Glück, Juan! Zwillingsfohlen sind sehr selten. Die beiden sind gesund und sehr kräftig. Das hast du gut gemacht!«, lobte Luisa die Stute. »Ganz toll hast du das gemacht.«
Juan legte den Arm um seine Frau.
»Sie wollte dir in nichts nachstehen. Schließlich haben wir auch Zwillinge, Ria und Jan.«
In diesem Augenblick kamen die beiden Vierjährigen in den Stall gestürmt. Ihre Eltern nahmen sie auf den Arm. Die Kinder waren von den jungen Fohlen begeistert. Luisa und Juan sagten ihnen, dass sie die Namen aussuchen dürften. Die Kinder waren begeistert.
»Aber erst nachdem ihr euch gewaschen, angezogen und gefrühstückt habt, ihr kleinen Racker. Im Schlafanzug im Pferdestall! Los, kommt mit mir!«, sagte die alte Ria.
Nur widerwillig ließen sich die beiden Kleinen von der Alten ins Haus mitnehmen.
»In einer halben Stunde gibt es Frühstück für alle in der großen Küche. Aber nur wer sauber ist,
darf sich setzen. Schließlich haben wir Sonntag«, rief die alte Ria.
Alle lachten herzlich. Luise und ihr Mann, ihr Vater und der alte Hufschmied gingen ins Haus. Beate und Max sahen noch einmal nach den Stuten und den Fohlen.
»Danke, Max!«, sagte Beate. »Das war knapp. Ich hätte mich zerteilen können.«
»Nun, es ging ja ganz gut. Außerdem hat es mir Freude gemacht, mal wieder richtig zupacken zu können. So ein Pferd ist doch etwas anderes als die vielen Kleintiere in meiner Praxis in Kirchwalden.«
Beate und Max wuschen sich die Hände am Brunnen auf dem Hof. Die alte Ria hatte ihnen saubere Handtücher und Seife hingelegt.
»Wie war es auf der Berghütte? Was sagst du zu Peggy?«
»Sie ist ein Traumhund, so wie sie aussieht. Sie hat wirklich etwas Besonderes an sich. Ich wundere mich nicht mehr, dass sie mehrmals als schönste Hündin prämiert wurde. Aber spielen tut sie nicht. Selbst Bobby konnte sie nicht dazu verführen. Man muss sicher noch Geduld haben. Sie muss erst einmal lernen, dass es noch ein Leben jenseits von Hundeshows gibt. Ich werde ihr einige Lektionen geben. Das wird schon! Und mit Bobby als Vorbild klappt es bestimmt.«
»Das heißt, du kommst jetzt öfter nach Waldkogel?«
»Nein, ich nehme Peggy mit nach Kirchwalden«, schmunzelte Max, »zusammen mit ihrem derzeitigen Frauchen, muss man wohl sagen.«
»Sehe ich da ein gewisses Funkeln in deinen Augen?«, grinste Beate.
»Pst! Nicht so laut. Ja, ich leugne es nicht. Nicht nur Peggy ist besonders, auch Gaby hat es mir durchaus angetan.«
»Oh, du scheinst ja richtig verliebt zu sein, Max. Habe ich recht?«
»Ja, sie hat es mir angetan. Gaby ist schon besonders, sehr besonders. Aber es gibt einen Wermutstropfen. Sie kommt aus Wiesbaden, das ist nicht eben mal um die Ecke.«
»Überbrückt die Liebe nicht jede Entfernung?«
»Sicher, aber es ist für das Gedeihen einer Beziehung doch einfacher, wenn die Entfernung nicht so groß ist.«
»Bei wirklicher Liebe spielt die Entfernung keine Rolle. Anna stammt aus Hamburg und verliebte sich in Toni. Heute führt sie zusammen mit ihm die Berghütte. Die Liebe führte zusammen, was zusammen gehörte. Außerdem hast du hier auf dem Gestüt ein weiteres Beispiel, dass die Liebe Brücken baut. Juan kommt aus Südamerika. Er war nur auf Urlaub im Land seiner Vorväter und blieb hier in Waldkogel hängen. Luise und Juan sind sehr glücklich.«
»Ja, das sagt man, dass Liebe jede Entfernung überwindet. Bis jetzt habe ich diese Erfahrung nicht gemacht.«
»Es waren auch die falschen Frauen. Vielleicht waren sie einfach nicht für dich vorgesehen? Es stand im großen Schicksalsbuch nicht geschrieben, dass du mit einer von ihnen zusammenkommen sollst. Vielleicht ist es diese Gaby?«
»Das wäre schön! Weißt, ich habe mich auf der Stelle in sie verliebt. Es machte einfach Peng! Sie hat eine Ausstrahlung, die mich einfach gepackt hat. Sie hat eine wunderbare Stimme. Sie hat mich einfach verzaubert.«
»Sonst redest du in dieser Tonlage nur von Cairnterriern«, lachte Beate.
»Höre auf zu spotten, Beate! Dein Humor ist schon seltsam.«
»Ich muss mir dieses Exemplar von Madl ansehen. Sie scheint etwas ganz Besonderes zu sein. Du schmilzt ja förmlich dahin, wenn ich dich ansehe. Max, ich wusste nicht, dass du so verklärt schauen kannst.«
»Es ist eben Liebe.«
»Bei ihr auch?«
»Ja, ich denke schon. Aber ich konnte doch nicht mit der Tür ins Haus fallen, Beate. Immerhin habe ich es geschafft, herauszufinden, dass sie nicht liiert ist. Wir haben auch über die Liebe gesprochen, ganz allgemein.«
»Hast du sie geküsst?«
»Nicht so richtig.«
»Was heißt, nicht so richtig?«
»Na, was es eben heißt. Es war ein sanfter, aber sehr hingebungsvoller Gutenachtkuss auf die Wange. Ich kann doch nicht gleich, du verstehst schon, oder? Wie hätte das ausgesehen! Sie soll nicht denken, ich sei ein Hallodri.«
Beate schmunzelte. Sie kannte Max gut, war eigentlich seine Vertraute. Es bestand eine echte Freundschaft zwischen ihnen, wie sie sehr selten, fast unmöglich, zwischen einer Frau und einem Mann ist. Sie hätten ein schönes Paar abgegeben. Aber es war immer nur Freundschaft gewesen zwischen ihnen.
»Es ist eben bei uns Menschen sehr kompliziert. Bei dem Viehzeug ist es einfacher. Entweder sie können sich gut riechen oder nicht. Da gibt es keine Zwischentöne, Beate. Ja, ich habe mich in Gaby verliebt. Aber ich denke, im Augenblick knabbert sie noch etwas an dem Schock, den ihre beste Freundin Wiebke mit diesem Detlev erlebt hat.«
»Diese Angelegenheit ist mehr als unschön. Das hat kein Madl verdient. Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Hat Gaby inzwischen etwas von Wiebke gehört? Sie muss sich doch nach ihrem Hund erkundigt haben.«
»Gaby hat nichts erzählt.«
»Mm, sonderbar! Dann hat sie sich wohl gegen den Hund und für den reichen Typen entschieden«, sagte Beate leise.
»Ich werde sie fragen, wenn ich wieder auf der Berghütte bin.«
Max schaute auf die Uhr.
»Jetzt wird sie noch schlafen. Ich muss sie anrufen und ihr sagen, dass ich heute Nacht bei dir war.«
Beate lachte herzlich.
»Max, tu das, aber nicht so! Wie sich das anhört? Das ist sehr missverständlich.«
Beate zückte ihr Handy und rief Toni an. Er nahm das Gespräch sofort an.
»Beate hier! Grüß dich, Toni!«
»Grüß dich, Beate. Willst dich nach der Peggy erkundigen? Aber die scheinen alle noch zu schlafen, Gaby und Peggy, genauso wie Max und Bobby. Es war wohl sehr spät gestern Abend. Als wir ins Bett gingen, waren die beiden noch beim ›Erkerchen‹. Musst später noch mal anrufen, Beate.«
»Stopp, Toni! Du hast es offensichtlich nicht gehört, dass ich Max heute Nacht angerufen habe. Ich war auf dem Gestüt. Vier der Gasser Stuten sind niedergekommen, einmal Steißlage, einmal Querlage und ein Fohlenpärchen. Nur bei einem Fohlen gab es keine Komplikationen. Aber es ging alles gut. Ich war froh, dass Max gekommen ist. Er ist noch hier. Wir frühstücken jetzt erst mal auf dem Gestüt, dann fahren wir zu mir in die Praxis. Dort muss ich meine Patienten versorgen, die zurzeit in Pflege sind. Anschließend kommen wir beide hinauf zur Berghütte, wenn es dir recht ist, Toni.«
»Was ist das für eine dumme Frage?«
»Nur rein rhetorisch, Toni. Ich nehme an, dass Gaby von Max’ Verschwinden auch nichts weiß. Sage es ihr bitte, falls sie aufwacht, bevor wir oben auf der Berghütte sind.«
»Mache ich! Hat Max Bobby mitgenommen oder ist er in der Kammer?«
»Max hat Bobby dabei. Bis später, Toni. Pfüat di!«
»Pfüat di, Beate!«
Sie legte auf.
»So, das wäre erst einmal geregelt. Jedenfalls kann Gaby jetzt nicht denken, du hättest dich aus dem Staub gemacht, Max. Jetzt lasse uns frühstücken gehen. Die alte Ria macht ein gutes Frühstück. Ich freue mich immer, wenn ich in den Genuss komme.«
Sie gingen ins Haus.
*
Peggy weckte Gaby. Die Hündin wollte Gassi gehen. Gaby blinzelte.
»Das ist das Los einer Hundebesitzerin«, seufzte Gaby. »Ein Hund hat eben seinen Rhythmus.«
Gaby setzte sich auf und gähnte. Sie schlüpft in ihren Jogginganzug, zog Schuhe an, fuhr sich kurz mit den Händen durch das Haar und griff nach der Sonnenbrille. Sie nahm Peggy an die Leine und ging hinaus in den Wirtsraum.
»Guten Morgen, Toni! Hallo, Anna! Hallo, Alois! Ich gehe mit Peggy kurz Gassi. Danach brauche ich einen extrastarken, einen rabenschwarzen Kaffee, so einen, in dem der Löffel steckenbleibt«, gähnte Gaby.
»War wohl eine kurze Nacht, wie?«, fragte Toni.
»Ja, sie war kurz, sehr kurz!«
Toni lief hinaus auf die Terrasse der Berghütte und rief nach Franziska und Sebastian, die mit Bello auf dem Geröllfeld herumtobten.
»Kommt her! Nehmt Gaby die Hündin ab und geht mit ihr Gassi. Aber sie darf nicht frei laufen. Ihr wisst, ich habe es euch gesagt, dass Peggy nicht so wie Bello ist. Ihr müsst aufpassen und die Leine richtig festhalten.«
»Wir passen gut auf!«, betonte die kleine Franziska und ließ sich von Gaby die Leine aushändigen.
Dankbar, dass sich Franzi und Basti Peggy annahmen, torkelte Gaby mehr vor Müdigkeit, als dass sie ging, hinaus auf die Terrasse der Berghütte und sank auf einen Stuhl. Anna brachte ihr eine ganze Kanne mit starkem Kaffee und einen Becher.
»Du willst wirklich nichts essen?«, fragte Anna.
»Nein danke, mein Magen liegt noch im Tiefschlaf. Schlafen Max und Bobby noch?«
Anna schüttelte den Kopf.
»Max ist fort. Bobby hat er mitgenommen.«
Anna sah, dass Gaby enttäuscht war. Sie sprach schnell weiter:
»Beate hat ihn heute Nacht angerufen. Beate ist unsere Tierärztin hier in Waldkogel. Wir sagen alle Viehdoktorin zu ihr. Sie brauchte Max’ Unterstützung als Kollege auf dem Gestüt. Dort gab es heute Nacht Nachwuchs, es sind fünf Fohlen, einmal sogar Zwillinge. Beate will später mit Max heraufkommen. Sie werden bestimmt viel zu erzählen haben.«
Anna hatte viel zu tun. Sie ließ Gaby alleine. Diese schlürfte den Kaffee und dachte dabei an Max. Hundegebell riss sie aus ihren Gedanken. Es war Peggy, die laut bellte und Franziska hinter sich herzog. Dann sah Gaby ihre Freundin Wiebke, die über das Geröllfeld kam. Sie ging Peggy entgegen und nahm sie auf den Arm. Peggy freute sich. Gaby winkte Wiebke zu sich auf die Terrasse der Berghütte.
Die Freundinnen umarmten sich. Gaby stellte Wiebke vor.
»Dann hast du es doch nicht lange ohne Peggy ausgehalten, wie?«, fragte Toni.
Wiebke lächelte verlegen. Toni ließ sie mit Gaby allein. Anna brachte eine zweite Tasse.
»Nun rede schon!«, bedrängte sie Gaby. »Du trägst den Verlobungsring. Also heiratest du Detlev, schließe ich daraus. Richtig?«
»Ja, ich heirate ihn. Es hat sich alles geändert. Detlev hat selbst eingesehen, dass er einen großen Fehler gemacht hatte. Er war hinter meinem Rücken zu seinem Onkel und seiner Tante gefahren und hatte mit ihnen geredet.«
Wiebke lächelte glücklich.
»Es muss ein hartes Gespräch gewesen sein. Genaues habe ich nicht erfahren. Was zählt, ist das Resultat. Das stimmt. Doch jetzt von Anfang an.«
Wiebke trank einen Schluck Kaffee. Sie sprach weiter.
»Jedenfalls habe ich es so gemacht, wie du es mir geraten hattest. Ich habe Peggy nicht erwähnt und war sehr still und einsilbig. Es dauerte eine Zeit, dann stand Detlev plötzlich auf und verließ wortlos die Wohnung. Es war schon Mitternacht, als er mit seinem Onkel und seiner Tante zurückkam. Seine Tante entschuldigte sich bei mir. Es tue ihr leid, dass es zu diesem Missverständnis gekommen sei, sagte sie.«
Gaby brach in schallendes Gelächter aus.
»Das ist wohl ein Ding der Unverschämtheit. Das ist eine totale Verdrehung der Tatsachen. Was denkt die Alte sich?«
»Egal, Gaby! Ich ließ es so stehen. Detlevs Tante sagte, dass sie nur gemeint hätte, dass Peggy nicht in ihre Wohnung dürfe, weil sie nun mal allergisch gegen Hunde sei. Aber sicherlich könnte man das regeln. Detlev hätte sie missverstanden.«
»Ist sie wirklich allergisch gegen Hunde? Cairnterrier verlieren doch keine Haare. Sie sind gerade für Menschen geeignet, die empfindlich auf Hundehaare reagieren. Das hast du mir einmal gesagt.«
»Ich weiß es nicht, ob es so ist, Gaby, ob sie wirklich allergisch ist oder es sich nur einbildet. Es ist mir auch egal. Wir haben uns ausgesprochen und sind uns jetzt einig. Detlevs Onkel und seine Tante sind eigentlich recht nette Leute. Sie freuen sich jedenfalls, dass Detlev mich heiratet. Ich wäre schon die Richtige für ihn, sagen sie. Detlev übernimmt baldmöglichst die Praxis seines Onkels. Ich kündige nächste Woche im Krankenhaus. Wir richten die Wohnung in der Villa ein, dann heiraten wir. Es wird ein riesiges Fest werden. Jedenfalls ist alles in Ordnung. Sie heißen mich herzlich willkommen in der Familie. Sie scheuen keine Kosten. Detlevs Onkel hat mich mit einem Privatflugzeug nach München fliegen lassen. Vom Flughafen aus habe ich bis zur Oberländer Alm ein Taxi genommen. Das Taxi wartet und das Flugzeug in München auch. Ich bin gekommen, um meine Peggy zu holen. Ich bin ja so glücklich, Gaby! Ich soll dich schön von Detlev grüßen.«
Gaby verzog keine Miene.
»Was ist los, Gaby? Du siehst aus, als würdest du dich nicht über mein Glück freuen?«
»Doch, doch, das tue ich schon. Meine Glückwünsche!«
Gaby rieb sich die Stirn.
»Aber? Nun sage schon, was los ist? Du, Gaby, ich kenne dich lange genug, um zu wissen, wann dir eine Laus über die Leber gelaufen ist. Ich habe nicht endlos Zeit. Mein Taxi wartet auf der Oberländer Alm, das Flugzeug wartet und daheim wartet Detlev auf mich.«
Wiebke drückte Peggy an sich.
»Peggy, Darling, wir fliegen heim. Detlev lässt dich grüßen. Bald hast du einen großen Garten, in dem du herumrennen kannst.«
Gaby räusperte sich. Es kostete sie viel Überwindung. Doch dann sagte sie leise und langsam:
»Ich gebe dir Peggy nicht mit. Peggy bleibt bei mir, Gaby!«
»Wie bitte? Was soll das? Ich kann mich nur verhört haben.«
»Nein, du hast ganz richtig gehört. Ich gebe sie dir nicht mit. Ich kann sie dir nicht mitgeben. Peggy muss bei mir bleiben.«
Wiebke sah Gaby verwundert an.
»Was soll das heißen?«
»Ich habe mich an sie gewöhnt und will sie dir nicht mehr zurückgeben.«
Gaby errötete. Wiebke starrte sie an. Sie atmete hörbar ein.
»Du bist verrückt! Du weißt, was mir die Hündin bedeutet, oder? Wir waren uns doch einig, dass sie nur erst einmal bei dir bleiben soll, bis ich mein Leben irgendwie geregelt habe. Das habe ich. Jetzt bin ich gekommen, um mir meinen Hund zurückzuholen. Oder willst du vielleicht behaupten, dass es anders war?«
Wiebke, die sehr zornig und temperamentvoll sein konnte, stand die Wut im Gesicht.
»Egal, was geschehen ist, es ist mein Hund, nicht dein Hund. Du bist mir vielleicht eine schöne Freundin! Pah, wie konnte ich mich nur so in dir irren. Ich habe dir vertraut.«
Gaby, die wusste, wie schnell sich Wiebke aufregen konnte, versuchte ruhig zu bleiben.
»Ruhig, ruhig, Wiebke! Ganz ruhig! Es war so! Und es kann auch sein, dass du Peggy bald wiederhaben kannst, nach meinem Urlaub. Aber jetzt brauche ich sie. Ich kann unmöglich hier alleine in den Bergen bleiben, ich meine, ohne Peggy.«
Wiebke brach in Gelächter aus.
»Was redest du da für einen Schwachsinn? Du bist schon oft hier gewesen. Niemals hattest du einen Hund dabei.«
»Wiebke, ist es aber so. Ich will nicht ohne Peggy hierbleiben. Der Urlaub würde nicht so laufen, wie ich ihn mir erträumt habe.«
Gabys Wangen waren jetzt dunkelrot. Sie wollte Wiebke nichts erzählen und suchte nach Worten, um es ihr verständlich zu machen, ohne etwas preiszugeben. Aber das war schwer. Je mehr Gaby versuchte, Wiebke zu sagen, dass es einfach nur schön wäre, mit Peggy stundenlang auf der Terrasse der Berghütte zu sitzen, desto unverständlicher wurde Gabys Verhalten für Wiebke.
»Dann komme mit mir zurück! Es ist eine große Maschine. Du kannst gerne mitfliegen, Gaby.«
Gaby trank einen Schluck Kaffee. Sie seufzte und stand auf.
»Komm mit, Wiebke! Ich muss mit dir reden! Aber nicht hier! Lasse uns ein Stück den Hang hinaufgehen, an den Gebirgsbach.«
Wiebke schüttelte den Kopf, aber sie folgte Gaby.
Sie setzten sich auf zwei größere Felsbrocken.
»Nun sag schon, was hat das alles zu bedeuten? Du hattest doch noch nie Freude daran, nur auf der Terrasse zu sitzen. Willst du keine Bergtouren machen? Ich verstehe nicht, dass du dich nicht freust, dass ich Peggy hole. Du musst dann keine Rücksicht mehr nehmen.«
Gaby seufzte erneut.
»Wiebke, es ist etwas geschehen. Ich …, ich …« stotterte sie. »Also, es ist so. Toni hat Beate von Peggy erzählt. Beate ist die Tierärztin hier in Waldkogel. Sie hat einem Kollegen davon erzählt. Max heißt er. Er hat eine Tierarztpraxis in Kirchwalden. Er ist Besitzer eines Cairnterrierrüden, der Bobby heißt. Jedenfalls hatte Max in der Terrierzeitung über Peggy gelesen und wollte die Hündin sehen. So kam er gestern auf die Berghütte. Wir waren bis tief in die Nacht beim ›Erkerchen‹.«
»Stopp! Langsam! Was sehe ich da? Sag mal, hast du dich in diesen Tierarzt verliebt?«
»Ja, so ähnlich ist es wohl.«
Wiebke brach in Lachen aus.
»Das ist wohl ein Witz, Liebe kann nicht ähnlich sein, entweder man ist verliebt oder nicht. Du bist es offensichtlich.«
Gaby seufzte tief.
»Ja, das bin ich wohl. Wiebke, er ist ein toller Mann. Er ist einfach ein toller Mann. Ich dachte, ich falle in Ohnmacht, als er plötzlich dastand. Er kommt mir vor, als sei er nicht von dieser Welt. Natürlich weiß ich, dass das Unsinn ist. Ich will damit nur sagen, dass …, dass … Ach, Wiebke, er ist wirklich so wunderbar.
Es stimmt alles. Es ist, als wären meine geheimsten Träume Wirklichkeit geworden. Ich weiß, dass das alles klingt, als wäre ich ein total verliebter Teenager und keine erwachsene Frau. Aber ich schwebe auf rosaroten und himmelblauen Wolken. Ich fühle Schmetterlinge im Bauch, habe Herzklopfen. Ich habe gestern Abend im Bett Peggy in den Arm genommen und stundenlang über Max geredet. Du weißt, wie ich das meine. Ich habe geredet und geredet. Am liebsten hätte ich dich angerufen und dir alles erzählt. Aber ich dachte, du bist unglücklich und es wäre sehr unpassend, dir jetzt die Ohren vollzuflöten, dass ich mich verliebt habe.«
»So blieb dir nur Peggy.«
»Genau! Blöd. Nicht wahr?«
»Nein, ich erzähle Peggy auch Sachen, die ich nie zu einem Menschen sagen würde. Danach geht es mir gut. Das machen alle Hundebesitzer so, denke ich. Da ist auch nichts dabei.«
»Das beruhigt mich, ich dachte schon, ich sei verrückt.«
»Nein, das bist du nicht. Und jetzt? Lasse mich raten. Jetzt willst du Peggy noch etwas behalten, weil es mit ihr für dich einfacher ist, an ihn heranzukommen?«
»Ja, so kannst du es sagen.«
»Ich verstehe. Du willst ihn in der Praxis besuchen. Dazu brauchst du Peggy.«
»Schlimmer!«, raunte Gaby.
»Schlimmer? Himmel, Gaby, nun erzähle schon! Lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.«
»Also gut! Peggy benimmt sich eben wie eine typische Ausstellungshündin. Das weißt du selbst. Sie kann nicht ohne Leine gehen, hört auf nur wenige Kommandos und spielt nicht mit anderen Hunden.«
»Sie war schon immer so«, warf Wiebke ein. »Ich gebe zu, dass ein solches Verhalten es einfach macht, wenn man eine Hündin ausstellen will. Sie ist eben von Natur aus ein Star. Nicht wahr, meine liebe Peggy, das bist du.«
Wiebke streichelte Peggy.
»Max hat mich und Peggy zu sich eingeladen. Wir können eine Weile bei ihm in Kirchwalden sein, auch bei ihm wohnen. Er hat ein Haus mit einem eingezäunten Grundstück. Dort will er Peggy etwas trainieren. Er meint, dass Bobby ihr Vorbild sein könnte. Er ist sich sicher, dass sie noch viel lernen kann.«
Wiebke lachte.
»Aha, daher weht der Wind. Du willst zu diesem Max. Ohne Peggy ist das nicht möglich.«
»Genau, oder ich müsste mir noch heute eine andere Hündin zulegen. Aber wo bekomme ich so schnell eine Cairnterrierhündin her? Verstehst du, Wiebke?«
»Kannst du ihm nicht einfach sagen, dass ich hier war, Peggy mitgenommen habe, aber du gern seine Praxis sehen würdest?«
»Klar könnte ich das tun. Aber wie würde sich das anhören? Er müsste doch denken, ich laufe ihm nach.«
»Na und? Was ist dabei? Hast du nie gehört, dass ein Mann Signale braucht, damit er weiß, dass die Frau Interesse an ihm hat? Hast du noch nie etwas von Flirten gehört? Ist das Wort Verführung für dich ein unbekannter Begriff oder ein Wort mit sieben Siegeln?«
Nervös stand Gaby auf und ging einige Schritte auf und ab.
»Du machst mich ganz nervös. Setz dich hin, sofort, Gaby Färber. Ich habe schon kapiert, was mit dir los ist. Dich hat es erwischt.«
Wiebke schaute Gaby in die Augen.
»Hat er etwas für dich übrig? So etwas musst du als Frau doch bemerkt haben. Also, sag schon! Wie verhält er sich dir gegenüber?«
Gaby errötete tief.
»Ja, ich denke schon, dass er mich mag. Es liegt eine Spannung in der Luft, verstehst du. Aber … Himmel, Wiebke, ich weiß auch nicht, warum ich so unsicher bin dieses Mal. Er ist nicht der erste Mann, der mir gefällt, aber er ist der erste, der mir absolut gefällt. Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll. Mit Peggy als Vermittlerin ist es einfacher. Das musst du verstehen.«
Wiebke schwieg. Gaby sprach weiter.
»Wiebke, ich will keine Rechnung aufmachen, das gehört sich nicht zwischen Freundinnen. Trotzdem ist es so, dass ich für dich da war, als du verzweifelt warst. Jetzt brauche ich deine Hilfe. Kannst du nicht wenigstens noch eine kleine Weile auf Peggy verzichten? Du hast doch jetzt auch viel zu tun, Umzug, die Einrichtung planen und so weiter.«
Wiebke seufzte.
»Peggy, dann können wir wohl nicht so sein, meinst du nicht auch? Du musst noch ein wenig Urlaub mit Gaby machen.«
Wiebke stand auf und setzte die Hündin auf Gabys Schoß.
»Danke, Wiebke! Das vergesse ich dir nie!«
»Schon gut! Eine Hand wäscht die andere. Ich hoffe, es hilft dir, dass ich dir Peggy lasse. Eigentlich müsste es dir doch möglich sein, den Typen auch ohne Peggy an dich zu fesseln. Aber wenn du meinst, du brauchst sie, dann meinetwegen.«
»So ist es bestimmt leichter, mit Peggy als Vermittlerin. Jedenfalls, wenn es Peggy nicht gäbe, dann hätte er mich nicht zu sich eingeladen. Wir wollen heute Abend zusammen nach Kirchwalden fahren. Sieh mal, es ist doch so. Wie würde das aussehen, rein theoretisch, verstehst du? Da lernen sich ein Bursche und ein Madl, wie man hier in den Bergen sagt, beim ›Erkerchen‹ kennen. Sie ist eine Touristin, er ist aus Kirchwalden. Sie unterhalten sich gut und er lädt sie ein, Urlaubstage bei ihm zu verbringen. Er sagt das gleich am ersten Abend, in den ersten Stunden zu ihr. Das klingt doch unmöglich. Aber sie einzuladen, ihr das Gästezimmer anzubieten und die Hündin zu trainieren, das ist …, das ist anders …, locker eben …, es ist unverfänglicher.«
»Er hat dir ganz schön den Kopf verdreht, Gaby.«
»Ja, das hat er! Oh, Wiebke, er ist mein Traummann! Ich weiß es und habe Angst, dass ich etwas falsch machen könnte. Mit Peggy fühle ich mich stärker.«
»Wo ist er jetzt, dein Traummann?«
»Unten im Dorf bei der Tierärztin. Sie hatte heute Nacht angerufen. Es gab einen Notfall.«
Wiebke zog die Stirn in Falten.
»So, es gab einen Notfall? Bist du dir sicher?«
»Willst du Eifersucht säen?«
»Nein, aber ich will dich warnen. Man kann nicht vorsichtig genug sein. Also, ich an deiner Stelle würde mir diese Beate einmal genauer ansehen. Nur so, meine ich, schaden kann es nichts.«
Gaby überlegte. Diese Beate wusste, dass er auf der Berghütte ist. Es war spät in der Nacht. Da hat sie angerufen und einen Notfall vorgetäuscht. Sie wollte vielleicht, dass er schnell zu ihr kommt. Das wäre doch denkbar, oder? Gabys Herz raste plötzlich. Sie dachte kurz nach. Dann stand sie auf.
»Wer sagt denn, dass ich hier auf der Berghütte herumsitzen und auf ihn warten muss. Ich mache mich auf den Weg ins Dorf. Ich ziehe mir nur schnell etwas anderes an. Hier, nimm Peggy! Es dauert nicht lange. Geh schon mal mit Peggy vor, ich komme nach. Ich hole euch locker ein. Spätestens treffen wir uns auf dem Parkplatz hinter der Oberländer Almhütte.«
Gaby drückte Wiebke Peggy in den Arm und rannte los. Es dauerte nicht lange, bis sie umgezogen war. Sie verabschiedete sich schnell von Toni und Anna.
»Was sollen wir Max sagen, wenn er kommt?«, fragte Toni.
»Nichts sollt ihr sagen. Das wird nicht nötig sein. Ich treffe ihn sicher im Dorf. Er soll doch Wiebke kennenlernen, die eigentliche Besitzerin von Peggy.«
Dann eilte Gaby in großen Schritten über das Geröllfeld und den Bergpfad hinunter, der zur Oberländer Alm führte. Unterwegs holte sie Wiebke ein, die Peggy trug, denn die Hündin weigerte sich mal wieder, zu laufen. Gaby nahm ihr die Cairnterrierhündin ab.
»Na, komm zu mir, du kleine Diva. Hier in dem Rucksack hast du es bequem. Wir besuchen jetzt Bobby und sein Herrchen. Freust du dich?«
Gaby und Wiebke erreichten die Oberländer Alm. Die Freundinnen umarmten sich.
»Gaby, ich wünsche dir viel Glück.«
»Danke, das kann ich gebrauchen. Aber mit Peggy als meine Glücksbringerin kann nichts schief gehen. Grüße Detlev von mir.«
Gaby stand bei ihrem Auto und sah Wiebke nach, wie sie im Taxi davonfuhr. Sie stieg in ihr Auto, setzte Peggy auf den Beifahrersitz und fuhr den Milchpfad hinunter nach Waldkogel.
*
Gaby steuerte in Waldkogel zunächst den Marktplatz an. Dort hing in einem großen Glaskasten eine Karte von Waldkogel und Umgebung. Sie hatte vergessen, Toni nach der Adresse der Tierarztpraxis zu fragen. Sie hoffte, auf der Karte einen Hinweis zu bekommen. Wenn nicht, frage ich Passanten, dachte sie. Auf dem Marktplatz standen viele Autos. Es war schönes Wetter, und Tagestouristen bevölkerten Waldkogel. Gaby wollte gerade aus dem Wagen steigen, da sah sie Max mit einer jungen Frau aus dem Trachten- und Andenkenladen Boller kommen, der auch sonntags einige Stunden geöffnet hatte, damit die vielen Bergbegeisterten Andenken kaufen konnten. Max strahlte. Die junge Frau lächelte ihn an. Sie gingen zu einem großen Geländewagen auf dem »Tierarztpraxis Dr. Beate Brandt« stand. Sie standen beim Auto und redeten. Gabys Herz klopfte, als würde es jeden Augenblick zerspringen. Es wurde noch schlimmer, als die junge Frau Max zuerst die Hand auf die Schulter legte und ihm dann sanft über die Wange streichelte. Sie umarmten sich. Gaby spürte einen Schmerz, der ihr wie ein Messerstich durch das Herz fuhr. Wiebkes Bedenken waren berechtigt, schoss es ihr durch den Kopf. Sie spürte, wie die Enttäuschung ihr Tränen in die Augen trieb.
»Jetzt sei keine dumme Kuh, Gaby Färber!«, ermahnte sie sich selbst laut. »Es ist nichts geschehen. Er hat nicht gesagt, dass er dich liebt. Es war lediglich ein schöner Abend und ein harmloser Gutenachtkuss. Bilde dir nichts ein! Du hast dich da in etwas hineingesteigert. Du wolltest ein Liebesmärchen erleben. Komm zurück auf den Boden der Tatsachen!«
Energisch schnäuzte Gaby in ihr Taschentuch. Sie sah, wie die Tierärztin ins Auto stieg und davonfuhr. Max ging die Hauptstraße entlang. Gaby wartete, bis er einige Meter gegangen war, dann fuhr sie ihm nach. Sie hielt Abstand, fuhr öfters rechts heran und ließ sich von anderen Autos überholen. Max ging zur Tierarztpraxis. Dort stand ein großes Auto im Hof, ein Geländewagen mit einer einheimischen Nummer. Max ging ins Haus.
»Er hat sogar einen Schlüssel«, sagte Gaby vor sich hin und kämpfte erneut mit den Tränen.
»Peggy, das war nichts! ›Der Wunsch war wohl der Vater des Gedankens‹, wie man sagt. Ich wünschte mir, dass aus uns ein Paar wird, aber das kann ich vergessen. Ich werde darüber hinwegkommen. ›Besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende‹, lautet der Spruch. Da steckt viel Lebensweisheit darin, Peggy. Na ja, so eine Tierärztin passt auch besser zu ihm als ich. Sie können zusammen arbeiten, sie haben zusammen studiert und der Himmel alleine weiß, was sie vielleicht noch zusammen gemacht haben. Peggy, vielleicht sind auf dem Gestüt keine Fohlen geboren worden, vielleicht war das nur eine Ente, wie eine Zeitungsente. Damit meine ich, die kleinen Pferdchen müssen ja nicht heute Nacht geboren worden sein.«
Da schoss Gaby ein Gedanke durch den Kopf.
»Peggy, wir überprüfen das!«
Eine alte Frau ging die Straße entlang. Gaby sprach sie aus dem offenen Wagenfenster an.
»Grüß Gott! Können Sie mir sagen, wo hier das Gestüt ist?«
»Mei, da müsste ich schon wissen, welches du meinst, Madl, wir haben zwei Pferdezüchter in Waldkogel, des Geizinger Gestüt, aber des ist net so gut. Oder meinst des Grasser Gestüt, des der Luise gehört, deren Mann aus Südamerika kommt und die die Zwillinge hat. Dort soll es fünf Fohlen an einem Tag gegeben haben, das erzählt man sich. Mei, was für ein Glück für die Luise und den Juan!«
»Ja, das Gestüt suche ich!«
»Des ist net weit«, erklärte die alte Bäuerin und beschrieb den Weg.
Gaby bedankte sich und fuhr los.
Auf dem Gestüt war viel Betrieb. Gaby suchte sich einen Parkplatz und schlenderte an den Gebäuden vorbei. Sie besah sich die Koppeln und suchte nach jemand, den sie fragen konnte. Da rollte ihr ein Ball vor die Füße. Gaby hob ihn auf. Zwei Kinder kamen auf sie zugelaufen.
»Das ist unser Ball«, sagte der Junge.
»Stimmt net, das ist mein Ball«, widersprach das Mädchen.
»Wem gehört der Ball jetzt?«, fragte Gaby und lächelte die beiden Kinder an, die nach ihrer Einschätzung im Kindergartenalter waren.
Eine alte Dame im fast bodenlangen dunklen Dirndl kam herbei.
»Das seid ihr ja«, rief sie. »Kommt mit, es ist Zeit zum Mittagessen!«
»Erst wollen wir den Ball!«
»Habt ihr auch schön Bitte gesagt?«
»Naa, Ria, und des sage ich auch net. Sie hat den Ball einfach genommen. Da muss ich net Bitte sagen«, erklärte der kleine Junge. »Außerdem ist des der Ball von der Ria.«
»Jan, darauf kommt es net an. Jetzt nehme ich den Ball. Ihr geht jetzt rein, wascht euch die Hände und setzt euch an den Tisch.«
Die alte Frau wandte sich an Gaby.
»Musst entschuldigen, Madl, der Jan, der hat ein bissel zu viel südamerikanisches Temperament. Der kann ganz schön stur sein.«
Gaby reichte ihr den Ball.
»Die beiden sind niedlich. Sie müssen sehr stolz auf Ihre Enkel sein.«
»Bewahre, des sind net meine Enkel, und vom Alter her wären’s dann Urenkel. Die gehören der Luise und dem Juan. Ich bin nur die alte Haushälterin und gehöre zum Inventar«, lachte sie. »Viele halten sie für meine Enkel, besonders, weil die Kleine Ria heißen tut, genauso wie ich gerufen werde.«
»Ich bin fremd hier in Waldkogel. Ich habe nur gehört, dass es hier junge Fohlen gibt.«
»Ja, wir haben heute Nacht fünf Fohlen bekommen. Mei, was für ein Glück! Des war auch ein hartes Stück Arbeit. Na ja, die Beate und der Max sind auch tüchtige Viehdoktoren, die beiden.«
»Ja, das sind sie. Sie sollen ein schönes Paar sein, habe ich gehört«, fügte Gaby hinzu, obwohl dieser Satz ihr fast das Herz zerriss.
»Ja, das sind die beiden wirklich. Sie verstehen sich so gut. Die arbeiten Hand in Hand. Die beiden kennen sich schon, seit sie zusammen studiert haben. Aber sie lassen sich Zeit, zu viel Zeit, wenn du mich fragst, Madl. Aber vielleicht wollen sie keine Kinder. Du hättest mal sehen sollen, wie die beiden heute den Jan und die kleine Ria angesehen haben. Ich dachte so für mich, die sind vielleicht doch auf den Geschmack gekommen. Aber ich hab’ meine Gedanken für mich behalten. Das Privatleben der beiden geht mich auch nix an. Aber sie wären wirklich ein schönes Paar. Beide sind auch gute Reiter. Ach, was rede ich dir da die Ohren voll, Madl. Du kennst die Beate und den Max net so gut und bist auch net von Waldkogel.«
»Ria, wo bleibst du?«, schrie Jan, der an der Haustür stand.
»Da hörst du es? Ich muss gehen. Wenn du reiten willst, dann gehst zur letzten Koppel. Dort kannst dir ein Pferd ausleihen.«
»Die Fohlen kann man noch nicht sehen?«
»Naa, die bleiben bis nächste Woche bei ihren Müttern in der Box.«
Gaby nickte und verabschiedete sich.
Sie ging zurück zu ihrem Auto, in dem Peggy wartete.
»Peggy, ich habe mich da in etwas verrannt. Ich glaube, es ist besser für uns, wenn wir hier die Zelte abbrechen. Wir fahren heim. Wiebke wird sich auch freuen, wenn du wieder bei ihr bist. Sie kann dir daheim einen Hundetrainer suchen.«
Gaby wendete und fuhr zurück.
Peggy lief zum Schluss des Weges ein großes Stück von der Oberländer Alm den Pfad hinauf auf die Berghütte.
»Das hast du brav gemacht, Peggy«, lobte sie die Hündin und trug sie über das Geröllfeld bis zur Terrasse der Berghütte.
Die kleine Cairnterrierhündin würdigte Bello keines Blickes, der Gaby und Peggy freudig und laut bellend umkreiste. Toni stand hinter dem Tresen, als Gaby die Wirtsstube der Berghütte betraf.
»Mei, bist aber schnell zurück! Hat Max noch zu tun?«, fragte er.
»Ja, ja! Er ist noch in Beates Praxis«, sagte Gaby leise.
Sie ging an Toni vorbei in ihre Kammer.
»Peggy, wir packen! Es geht nach Hause.«
Gaby stopfte ihre Sachen in den Rucksack. Den größten Teil des Hundefutters ließ sie stehen. Bello wird sich darüber freuen. Sie nahm ihren Rucksack und ging in den Wirtsraum.
»Toni, mach mir die Rechnung fertig. Ich reise ab«, sagte sie leise und stellte den Rucksack neben den Tresen. »In der Kammer sind noch viele Dosen mit Hundefutter und auch Trockenfutter und Leckerlis. Die sind für Bello.«
Toni musterte Gaby.
»Des überrascht mich doch. Warum willst schon fort? Gefällt es dir bei uns nicht mehr? Der Max hat angerufen und gesagt, dass ihr heute Abend zusammen nach Kirchwalden fahrt, aber ich soll euch die Kammer frei halten. Er will einige Tage Urlaub machen, hier auf der Berghütte.«
»Die Pläne haben sich geändert«, sagte Gaby mit verschlossener Miene.
»Hat das etwas mit dem Besuch von deiner Freundin Wiebke zu tun?«
»Was bist so neugierig, Toni«, rief der alte Alois. »Siehst net, dass des Madl nix sagen will.«
Gaby rang sich ein Lächeln ab.
»Ja, es hängt mit Wiebke zusammen. Sie will Peggy zurück. Sie heiratet Detlev. Es hat sich alles geklärt.«
»Oh, des ist schön. Wieder ein glückliches Paar mehr unter dem Himmel«, sagte Toni.
Er blinzelte Gaby zu und sagte leise:
»Du und Max, ihr gebt auch ein schönes Paar ab. Der Max hat am Telefon so eine Andeutung gemacht. Du gefällst ihm sehr. Und es war wohl auch sehr spät gestern Abend. Ihr wart sehr lange drüben beim ›Erkerchen‹ gewesen, dem magischen Ort für Verliebte.«
Gaby räusperte sich.
»Toni, da hast du sicherlich etwas missverstanden. Zwischen Max und mir, da ist nichts.«
»Des kannst erzählen, wem du willst, Gaby. Des nehme ich dir net ab. Ich kenne den Max zwar net so gut, aber ich weiß viel über ihn von der Beate. Dass er dich zu sich heim einladen tut, des hat schon etwas zu bedeuten.«
Gaby schob ihre Sonnenbrille auf die Nase.
»Toni, das hat nichts zu bedeuten. Es ging dabei um Peggy. Er wollte sie trainieren, in seinem Garten. Das war der einzige Grund für die Einladung, und die fällt jetzt flach. Höre auf, etwas hinein zu interpretieren, das jeder Grundlage entbehrt. Wenn du mir jetzt nicht die Rechnung gibst, dann gehe ich so. Du kannst sie mir zuschicken. Meine Adresse hast du ja!«
Gaby schulterte ihren Rucksack.
»Komm, Peggy, wir gehen!«
»Sei doch net so empfindlich, Gaby!«, rief Toni ihr nach, als sie hinausging.
Toni war es peinlich. Das Madl hat einen Kummer, dachte er. Er drückte Alois ein Bierseidl in die Hand.
»Mach bitte hier weiter!«, sagte Toni. »Ich bin wohl etwas zu weit gegangen. Ich will net, dass die Gaby mit einem bitteren Geschmack geht.«
Toni trat auf die Terrasse der Berghütte. Er sah, wie Gaby mit Peggy auf dem Arm davonrannte. Sie eilte auf die Rückseite der Berghütte, denn über das Geröllfeld stürmte Bobby. Und wo Bobby war, war Max nicht weit.
Toni blieb auf der Terrasse stehen und rieb sich das Kinn. Da muss etwas schiefgelaufen sein, dachte er. Schaut so aus, als würde Gaby vor Max davonlaufen und sich verstecken. Da muss etwas passiert sein zwischen den beiden.
Toni wartete, bis Max bei ihm war.
»Grüß dich, Max, da bist du ja wieder. Wie geht es?«
»Grüß Gott, Toni! Alles in Ordnung! Aber gib mir erst mal einen Schluck Bier!«, sagte Max.
Er schaute sich um.
»Wo ist Gaby? Ist sie wandern?«
Toni runzelte die Stirn.
»Naa, des ist des Madl net. Hast du net mit ihr gesprochen?«
»Naa, wie denn? Wo denn? Ich habe sie seit gestern Abend, vielmehr heute Nacht, nimmer gesehen. Hast ihr gesagt, dass ich auf dem Gestüt war?«
»Ja, das weiß sie!«
Toni schüttelte den Kopf. Er ging zum Tresen. Max folgte ihm. Toni reichte Max ein Bier. Er trank.
»Toni, was schaust mich so verwundert an?«
»Mei, ich bin ein bissel verwirrt. Einer von euch muss mir ein Märchen erzählt haben oder mein Hirn funktioniert nimmer. Gaby war unten in Waldkogel. Ich dachte, sie sei bei dir in Beates Praxis gewesen. Sie sagte, du hättest noch zu tun.«
»Naa, Toni, naa! Sie war net bei mir. Warum sagt sie so etwas?«
»Die Frage kann ich dir net beantworten, Max.«
Max trank wieder einen Schluck Bier und wischte sich den Bierschaum von der Oberlippe.
»Toni, ich war bis zum Vormittag auf dem Gestüt, zusammen mit Beate. Es ging alles gut. Es sind prächtige Fohlen. Dann fuhr ich mit Beate ins Dorf zurück. Zuerst waren wir in ihrer Praxis. Ich habe geduscht und mich frischgemacht. Dann bin ich bei Beate im Sessel etwas eingeschlafen, aber nur für ein halbe Stunde. Anschließend waren Beate und ich im Trachten- und Andenkenladen am Marktplatz einkaufen. Die Bollers haben zum Glück auch am Sonntag einige Stunden offen. Anschließend ist
Beate zum Huberbauern gefahren. Dort gab es Probleme. Beate fuhr vor. Ich habe noch weitere Medikamente aus der Praxis geholt. Nach der Nacht auf dem Gestüt waren unsere Arzttaschen ziemlich leer. Die brachte ich dann zum Huber Hof. Aber es ging alles gut. Ich trank bei der Beate in der Praxis noch einen Kaffee und machte mich danach sofort auf den Weg hierher. Ich habe Gaby nicht zu Gesicht bekommen. Das musst du mir glauben. Wo ist sie?«
»Abgereist! Sie bringt Peggy zu Wiebke. Gabys Freundin war heute Morgen hier. Ich verstehe net, warum sie die Hündin nicht gleich mitgenommen hat, wenn sie die Hündin zurückhaben will.«
»Oh, Wiebke war hier? Wie steht es mit ihr und Detlev? Weißt du etwas?«
»Sie heiraten!«
»Das freut mich. Ist Gaby schon lange fort? Hast du ihre Handynummer? Ich muss unbedingt mit ihr reden. Oder kannst du mir ihre Adresse geben? Dann fahre ich ihr nach. Wiesbaden ist nicht gerade um die Ecke, aber …« Max lächelte. »Wie sagen die Chinesen? ›Der Weg ist das Ziel‹. Ja, so ist es!«
Toni grinste.
»Scheinst an dem Madl interessiert zu sein, wie?«
»Mmm, des hast richtig erkannt! Also, willst mir nicht sagen, wie ich sie erreichen kann? Sie muss schon länger fort sein, denn auf dem Weg von der Oberländer Alm hier herauf ist sie mir nicht begegnet.«
Toni wich der Frage aus und stellte eine Gegenfrage.
»Denkst, sie ist auch an dir interessiert?«
Max strahlte Toni an.
»Das denke ich doch!«
»So, des denkst du. Bist du dir sicher?«
»Toni, tu net so unschuldig. Du weißt doch, wie des ist, wenn ein Madl dich verliebt anschaut. Des spürt ein Bursche im Herzen. Du hast den Zustand doch mit deiner Anna erlebt, oder? Mei, Toni, die Gaby, die ist es. Der Peggy sollte man noch einen Preis geben, eine Auszeichnung als Herzenszusammenführerin.«
Toni seufzte. Er warf dem alten Alois einen Blick zu. Dieser schüttelte den Kopf. Es war eher ein Bekunden darüber, dass sich Toni wieder einmal in etwas einmischte, was ihn nichts anging.
Toni rieb sich kurz das Ohrläppchen, ein Zeichen der Verlegenheit und dass er sich nicht ganz wohl fühlte.
»Also gut, sie hat sich versteckt. Sie ist noch hier oben. Sie wollte dich net sehen«, sagte Toni leise.
»Wo?«, brach es aus Max hervor.
Helles Hundebellen war zu hören.
»Ich denke mir, dass dein Bobby sie schon gefunden hat«, lachte Toni.
Max rannte hinaus und folgte dem Gebell, das ihn auf die Rückseite der Berghütte führte. Dort saß Gaby auf einem Holzklotz. Auf einem zweiten daneben thronte Peggy. Bobby raste wild bellend auf dem Holzplatz hinter der Berghütte hin und her und versuchte, Peggy zu locken. Er schleppte kleine Holzstücke herbei und legte sie vor ihr ab.
Max ging auf Gaby zu.
»Hallo, Gaby! Warum versteckst du dich hier?«
Sie grüßte ihn nicht.
»Ich verstecke mich nicht. Ist das vielleicht ein Versteck? Genauso gut könnte ich fragen, was du hier suchst? Willst vielleicht Holz hacken?«
»Ich suche dich! Ich habe nur dich gesucht. Du willst abreisen, sagte Toni?«
»Himmel, was mischt sich Toni da ein? Der hat wohl nicht genug zu tun, dass er noch Zeit hat, seine Nase in Angelegenheiten zu stecken, die ihn nichts angehen. Mit dem muss ich wohl mal ein ernstes Wort reden«, schimpfte Gaby lautstark.
»Du hast meine Frage nicht beantwortet, Gaby.«
»Ja, ich reise ab. Ich muss Peggy zu Wiebke bringen. Mit ihr und Detlev ist alles wieder in Ordnung. Sie heiraten. Peggy zieht mit ihnen in die Villa.«
»Das freut mich für Wiebke, für mich weniger.«
»Was hat das mit dir zu tun?«, sagte Gaby mit spitzem Unterton.
Max überhörte es.
»Nun, ich dachte, du bleibst eine Weile bei mir in Kirchwalden. Ich wollte Peggy ein bissel erziehen.«
»Das ist jetzt unnötig. Wiebke wird nicht mehr im Krankenhaus arbeiten und mehr Zeit für Peggy haben. Sie wird sicherlich mit ihr in eine Hundeschule gehen. Ich werde mit ihr reden.«
»Ja, tue das. Und was ist mit uns? Dass Wiebke Peggy zurücknimmt, hat nichts mit meiner Einladung an dich zu tun. Ich erhalte sie weiter aufrecht.«
»Es gibt keinen Grund mehr für eine Einladung«, sagte Gaby leise.
»So, meinst du? Ich dachte, dass es noch einen anderen Grund gibt und hoffte, nein, war fest davon überzeugt, dass das ganz klar ist.«
»Das war ein sehr komplizierter Satz! Wir sollten die Unterredung an dieser Stelle beenden. Ich muss auch fahren. Es ist noch eine weite Strecke bis Wiesbaden.«
»Du gehst mir aus dem Weg, Gaby. Warum weichst du mir aus?«
»So, denkst du?«
»Ja, das denke ich. Ich kann mir im Augenblick keinen richtigen Reim darauf machen. Du kannst mich doch jetzt nicht so im Regen stehen lassen, Gaby.«
»Es regnet nicht. Wir haben strahlendes Sommerwetter, und über dem Gipfel des ›Höllentors‹ steht auch keine Wolke. Also wird es auch kein Unwetter geben.«
»Du weißt, dass ich es nicht so gemeint habe. Das weißt du genau. Gaby, wir haben doch so einen wunderbaren Abend zusammen verbracht. Er kann dir nicht einerlei gewesen sein. Sonst wärst du nicht nach Waldkogel hinuntergefahren und hättest mich gesucht.
Das weiß ich von Toni. Schade, dass wir uns verfehlt haben.«
»Warum hat Toni nicht den Mund gehalten?«, stöhnte Gaby.
»Wo bist du gewesen? Vielleicht haben wir uns nur knapp verfehlt. Ich war auf dem Gestüt, bei Beate in der Praxis und dann noch später mit ihr auf dem Huber Hof, um nach der trächtigen Muttersau zu sehen. Wo hast du mich gesucht?«
»Oh, an verschiedenen Stellen. Zuerst war ich im Ort, dann bei der Praxis und dann auf dem Gestüt.«
»Hast du dir die Fohlen angesehen?«
»Nein, die bekam ich nicht zu sehen. Du bist auch nicht mehr dort gewesen. Ich habe eine alte Frau nach dir gefragt.«
»Oh, des war bestimmt die Ria. Sie heißt eigentlich Maria, wird aber Ria gerufen. Sie ist die gute Seele des Grasser Gestüts. Eine Seele von Mensch. Sie ist eine so ehrliche und herzensgute Frau, wie es sie nur selten gibt. Sie ist sehr bescheiden. Sie stellt das Lebensglück anderer über ihr eigenes. Das macht sie schon ein Leben lang. Ich mag die alte Ria sehr. Ich freue mich immer, wenn ich für Beate Vertretung mache und zum Gestüt gerufen werde. Ab und zu fahre ich auch einfach so vorbei und gehe ein bissel reiten.«
»Ja, sie scheint dich gut zu kennen«, sagte Gaby leise. »Sie hat über dich geredet.«
Max lachte.
»Das sieht Ria ähnlich. Weißt du, sie hat nie geheiratet und kümmert sich um jeden. Sie weiß alles von jedem und über jeden hier in Waldkogel.«
»Ja, den Eindruck habe ich auch«, sagte Gaby. Eine tiefe Bitternis schwang in ihrer Stimme mit.
»Warum sagst du das so?«
»Ach nichts, ich muss jetzt wirklich gehen, Max.«
»Kannst du nicht noch einen Augenblick bleiben? Ich will dir noch etwas sagen und dir etwas zeigen. Ich war mit Beate einkaufen. Da ist mir eine Idee kommen. Zugegeben, im Laden gab es so etwas nicht, jedenfalls nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe, wie es sich eigentlich gehört. Also musste ich mich mit einem Ersatz zufrieden geben. Aber ich denke, was zählt, ist die Absicht.«
Max griff in die Hosentasche und zog eine kleine weiße Tüte heraus. Er schüttete den Inhalt in die Innenfläche seiner Hand und schloss die Finger darüber.
Er sah Gaby an.
»Gaby, ich fand, dass es ein wunderbarer Abend war. Ich würde ihn gern wiederholen. Ich bin ein wenig ungeschickt in solchen Dingen. Das musst du mir bitte nachsehen. Vielleicht kannst du mich darin etwas kultivieren.«
Max öffnete die Hand und hielt sie Gaby entgegen.
»Das waren die einzigen Ringe, die es gab. Sie sind vielleicht etwas zu bunt mit der Emailverzierung. Wie gefallen sie dir?«
»Müssen sie mir gefallen?«
»Müssen nicht, aber ich dachte …«
»Was sagt Beate dazu? Sie müssen ihr gefallen, wenn ich vermute, dass eine Absicht dahintersteht.«
»Sicher steht dahinter eine Absicht. Aber was hat das mit Beate zu tun?«
»Ich war auf dem Marktplatz und habe dich und Beate gesehen.«
»Warum hast du nicht gerufen? Warum bist du nicht hergekommen?«
»Blöde Frage!«, zischte Gaby.
Jetzt verstand Max nichts mehr. Er hob Peggy vom Holzklotz und setzte sich hin.
»Kannst du mir das erklären? Habe ich mich verhört, vorhin? Du hast doch gesagt, du hättest mich nicht gesehen?«
»Richtig!«
»Dann hast mich angelogen!«
»Nein! Ich habe dich gesehen, aber das war nicht der Max, wie ich ihn kannte, wie ich dachte, dass du bist.«
»Wie war ich dann?«
Gaby zögerte einen Augenblick. Ihr Herz raste. Sie überlegte. Sie seufzte.
»Gut, Max, reden wir wie zwei erwachsene Menschen. Ich fand den Abend gestern auch schön, mehr als schön. Ich war so aufgedreht, dass ich nicht schlafen konnte. Dann suchte ich dich und habe dich mit Beate gesehen.«
»Sicher, ich war mit ihr einkaufen!«
»Du bist nicht nur mit ihr einkaufen gewesen. Ihr habt euch mitten auf dem Marktplatz innig umarmt.«
Max brach in schallendes Gelächter aus.
»Was gibt es da zu lachen?«, fragte Gaby.
»Du denkst doch nicht, dass ich und Beate? So ein Unsinn!«
»Ich habe gesehen, was ich gesehen habe. Basta! Ihr habt euch umarmt und zwar nicht nur flüchtig. Da war mehr, viel mehr.«
»Ja, Beate hat mich umarmt. Beate wünschte mir viel Glück. Sie freute sich mit mir. Sie sagte mir, ich bräuchte nicht zum Huber Hof zu kommen, aber ich wusste, sie hatte nur wenige Medikamente dabei. Der Huberbauer rief über das Handy an, als ich gerade bezahlte. Er war völlig aufgelöst und war in Sorge um seine Muttersau.«
»Du bist dann zur Praxis gefahren. Du hast einen Schlüssel. Ich habe dich gesehen. Kannst wohl zu jeder Tages- und Nachtzeit dort ein- und ausgehen, wie?«
»Natürlich habe ich einen Schlüssel, genauso wie Beate einen Schlüssel von meiner Praxis hat.«
Max lachte wieder.
»Du bist doch wohl nicht eifersüchtig auf Beate? Das ist lächerlich auf der einen Seite, absolut lächerlich. Auf der anderen Seite sagt es mir, dass ich dir nicht einerlei bin.«
Gaby errötete.
»Also reden wir Klartext. Wahrscheinlich ist es meine Schuld, Gaby. Ich bin eben eher der zurückhaltende Typ. Ich sagte mir gestern Abend, Max, du kannst doch nicht so mit der Tür ins Haus fallen. Außerdem solltest du mich besser kennenlernen, sehen, wie ich lebe und wohne, meine Praxis führe. Am liebsten hätte ich dir sofort gesagt, wie glücklich ich bin, dich getroffen zu haben. Doch ich dachte, dass wirkt, als sei ich ein Hallodri. Ich habe zwar versucht, es durch die Blume zu sagen und hoffte, das hättest du verstanden. Es war offensichtlich nicht so. Dann muss, will ich das jetzt nachholen.«
»Ich hatte schon verstanden, was du mir durch die Blume sagen wolltest, Max. Aber das war gestern, und heute ist heute.«
»Himmel, begreifst du nicht? Ich liebe dich, Gaby. Ich will dich! Madl, ich bin verrückt nach dir! Die Dinger hier, sie sollen Verlobungsringe ersetzen. Gaby, es war Liebe auf den ersten Blick bei mir.«
Gaby seufzte. Sie rieb sich die Stirn.
»Was soll ich noch tun, dass die Botschaft bei dir ankommt? Ich habe doch gespürt, dass ich dir gefalle«, flehte Max.
»Max, die alte Ria hat gesagt, dass du und Beate ein Paar seid.«
»Ah, daher weht der Wind! Sicher sind wir ein Paar, das ideale Paar, ein Kollegenteam, das wunderbar harmoniert. Mehr nicht, mehr ist es wirklich nicht. Ich bin oft in Waldkogel, auch zu den Festen, Kirmes, Schützenfest, Feuerwehrball. Beate will dort nicht alleine hingehen. Da begleite ich sie. Die Leute reden viel, das weißt du. Beate und ich kennen uns schon lange. Aber wir lieben uns nicht. Es ist nur Freundschaft, Kameradschaft. Es ist eine solide Seilschaft innerhalb unseres Berufs.«
Gaby nahm Peggy auf den Schoss.
»Nun sage bitte etwas, Gaby«, flehte Max sie an.
Gaby schwieg. Max sprach weiter:
»Gaby, du kommst aus einer großen Stadt. Da ist es vielleicht anders. Waldkogel ist ein Dorf. Wenn hier ein Bursche und ein Madl öfters zusammen gesehen werden, dann wird ihnen gleich ein Verhältnis nachgesagt. Niemand meint es böse. Die Waldkogeler sind liebe Menschen, das weißt du. Für sie passen Beate und ich perfekt zusammen. Wir müssen uns oft gegen Anspielungen wehren, aber es scheint erst ein Ende zu nehmen, wenn einer von uns heiratet. Ich schwöre es dir. Die Engel auf dem ›Engelssteig‹ sind meine Zeugen. Ich liebe Beate nicht! Ich habe Beate nie geliebt. Sie liebt mich nicht! Aber ich liebe dich! Gaby, ich will für den Rest meines Lebens mit dir zusammen sein.«
Er hielt ihr die offene Handfläche mit den Ringen hin.
»Der rotemaillierte Ring mit den kleinen weißen Herzen, der ist für dich. Sie hatten keine gleichen Ringe mehr im Laden. Die neue Lieferung kommt erst am Mittwoch, sagte Veronika Boller. Da habe ich für mich den blauen Ring genommen mit den gelben Blümchen.«
»Sie sind sehr schön! Sehen lustig aus!«, sagte Gaby leise.
Max strahlte. »Heißt dass, dass … Liebst du mich auch?«
»Gestern war ich total in dich verliebt, Max. Heute bin ich nur noch verwirrt. Mein Herz neigt sich dir schon zu, aber mein Verstand spielt nicht mit.«
»Wie kann ich dein Herz überzeugen?«
»Ich weiß es nicht, Max! Kannst du mir etwas Zeit geben?«
»Jedes Madl hat das Recht, sich bei einem Heiratsantrag Bedenkzeit zu erbitten. Schließlich kennen wir uns nicht lange. Deshalb wollte ich damit warten. Ich hatte nicht vor, dich damit so zu überfallen, will ich mal sagen. Ich wollte dich und Peggy abholen und mit zu mir nehmen. Ich dachte, daheim bei mir ist es besser.«
Max sah Gabys erstaunte Augen. Was bin ich für ein Dummkopf, schoss es ihm durch den Kopf. So macht man einem Madl keinen Antrag.
Max wollte gerade auf die Knie gehen, als das Handy in seiner Hosentasche klingelte.
»Herrgottsakrament, verflixt und zugenäht«, stöhnte Max. »Diese Höllenmaschinen bimmeln immer im ungeeignetsten Augenblick.«
»Gehe schon ran! Vielleicht braucht Beate wieder Verstärkung«, bemerke Gaby spitz.
Widerwillig meldete sich Max am Telefon.
»Ja, ich höre! Was gibt es?«
Er lauschte.
»Da kann man nichts machen. Zum Glück ist sie nicht schwer verletzt. Danke für den Anruf. Sie soll sich keine Sorgen machen. Ich werde etwas herumtelefonieren und versuchen, Ersatz zu bekommen. Ich besuche sie im Krankenhaus, sobald ich wieder in Kirchwalden bin. Pfüat di!«
Max stöhnte.
»Meine Praxishilfe hatte einen Motorradunfall. Sie liegt mit einem komplizierten Beinbruch im Krankenhaus. Das war ihr Freund. Er hat nur Schürfwunden. Hatte mehr Glück. Sie wurden von einem Auto erfasst. Sie wird einige Zeit ausfallen. Na ja, es hätte viel schlimmer kommen können.«
»Das tut mir leid«, sagte Gaby leise. »Was machst du jetzt?«
»Ich werde morgen früh ein paar Kollegen in München anrufen. Einige haben große Praxen mit mehreren Tierarzthelferinnen. Vielleicht kann ich so eine tüchtige Vertretung organisieren. Dann muss ich wohl einige Operationen absagen, die für morgen früh auf dem Plan standen.«
Max lächelte Gaby an.
»Dass meine Tierarzthelferin ausfällt, ist nicht so schlimm. Ihr Bruch wird verheilen. Mich bedrückt, dass das mit uns beiden so schief gelaufen ist, Gaby. Ich liebe dich, ich liebe dich wirklich. Ich spüre, dass ich dir nicht einerlei bin. Ich kann dir nur sagen, dass wirklich nichts ist zwischen Beate und mir. Wir sind nur zwei, die den gleichen Beruf haben und gut zusammen arbeiten. Ich schwöre es dir. Bitte, gib nichts auf das Gerede der alten Ria. Ich habe Beate von dir erzählt. Sie weiß, dass der rote Ring für dich ist. Sie wünschte mir alles Glück der Erde. Deshalb hat sie mich umarmt. Das war es. Sie ist nur eine gute Freundin und hat sich für mich gefreut. Es war nie etwas anderes zwischen uns als Kollegialität und Freundschaft. Wir waren nie verliebt ineinander.«
Max seufzte. In seinem Blick lag tiefe Verzweiflung, als er sie ansah.
»Gib mir Zeit, Max. Ich muss die Gedanken in meinem Kopf erst einmal sortieren.«
»Sortiere die Gefühle in deinem Herzen. Bleib noch einige Tage auf der Berghütte. Dann bist du in meiner Nähe. Wann immer du mich sehen willst, komme ich schnell her. Du kannst auch jederzeit nach Kirchwalden kommen.«
Max holte eine Visitenkarte aus seiner Brieftasche und reichte sie Gaby.
»Übers Handy kannst du mich immer erreichen, Tag und Nacht.«
Gaby nahm die Visitenkarte und steckte sie in die Tasche ihrer Jacke.
Sein Herz klopfte. Er konnte sich kaum zurückhalten, sie einfach zu packen, in seine Arme zu reißen, sie an sich zu drücken und ihr Gesicht mit Küssen zu bedecken. Aber er hatte Angst, dass sie sich wehren würde. Gaby hatte um Zeit gebeten, sie wollte nachdenken. Wenn man einen Menschen liebt, dann gehört auch Geduld dazu, sagte er sich im Stillen.
Er räuspert sich.
»Wollen wir einen Spaziergang machen?«, fragte er.
Gaby schüttelte den Kopf. Sie sah ihn an.
»Danke für die Visitenkarte. Ich werde dich anrufen, so oder so, das verspreche ich.«
»Das ist ein Anfang.«
Max’ Herz klopfte.
»Gaby, nimm den Ring an dich. Du musst ihn ja nicht aufsetzen. Steck ihn einfach ein. Es würde mir Hoffnung geben. Bitte!«
Sie nickte. Sie nahm den Ring und steckte ihn in ihre Jackentasche. Max freute sich. Er nahm den anderen Ring und steckte ihn in seine Jackentasche.
»Ich ziehe ihn erst an, wenn du deinen trägst«, sagte er leise.
Max’ Handy klingelt schon wieder. Er schaute auf das Display.
»Darf ich das Gespräch annehmen?«, fragte er Gaby höflich.
»Sicher, außerdem war unser Gespräch beendet. Pfüat di, Max! Komm, Peggy! Max, halte Bobby fest. Ich will nicht, dass er Peggy und mir nachläuft.«
Max nahm Bobby am Halsband. Das Handy klingelte immer noch. An der Nummer sah er, dass es Beate war, und das war im Augenblick mehr als ungünstig. Er ließ es läuten und sah Gaby nach, wie sie mit Peggy an der Leine davonging, ohne sich noch einmal umzudrehen. Mit einem Seufzer ließ sich Max auf einen der Holzklötze fallen. Tiefe Traurigkeit und Enttäuschung erfassten ihn. Er nahm Bobby auf den Schoß.
»Ach, mein kleiner, wuscheliger Gefährte, das war gar nicht so, wie ich es erwartet habe. Das ging mächtig daneben. Wir haben wohl beide kein Glück, du nicht mit Peggy und ich nicht mit Gaby. Ich liebe Gaby wirklich, doch zur Liebe gehören zwei Herzen. Herzen, die sich bedingungslos vertrauen, und die sich durch nichts und niemand verunsichern lassen. Ich bin mir sicher, Gaby hat sich verunsichern lassen. Was machen wir jetzt?«
Max blieb noch eine Weile ganz ruhig sitzen, dann rief er Beate zurück. Sie wollte wissen, ob Gaby sich über die Ringe gefreut hatte. Sie wollte Max und Gaby für den Abend zum Abendessen einladen. Sie war erstaunt, als ihr Max von der neusten Entwicklung erzählte.
»Das ist doch nur ein Missverständnis, Max. Das wird sich klären. Das muss sich aufklären, weil kein Wort wahr ist. Ich werde auch mit Ria auf dem Gestüt ein Wörtchen reden. Die hat vielleicht etwas Schönes angerichtet! Sicherlich steckte keine böse Absicht dahinter, doch sie soll in Zukunft vorsichtiger sein. Was machst du jetzt? Willst du alleine hier vorbeikommen?«
»Danke für die Einladung, Beate. Aber ich wäre kein unterhaltsamer Gast. Ich fahre nach Kirchwalden und beschäftige mich irgendwie. Außerdem muss ich noch eine Vertretung für meine Praxishilfe suchen. Ich will jetzt nicht weiter reden, Beate.«
»Das verstehe ich, Max. Es tut mir so leid. Gib die Hoffnung nicht auf. Du kannst mich jederzeit anrufen, wenn du jemanden zum Reden oder auch nur zum Zuhören brauchst.«
»Danke, Beate. Bis irgendwann also. Pfüat di!«
Beate sagte Max noch einige ermutigende Worte, dann legte sie auf.
Max nahm Bobby an die Leine und ging im weiten Bogen über das Geröllfeld in Richtung des Pfades, der zur Oberländer Alm hinunter führte. Er schaute sich nicht um. Er schritt mit tief gesenktem Kopf voran, genauso, wie es jemand tut, der einen schweren Nackenschlag erhalten hatte. So sah er auch nicht, wie Toni und Anna auf der Terrasse standen und ihm nachsahen.
Gaby war in die Berghütte gegangen. Sie teilte Toni nur knapp mit, dass sie die Abreise verschoben hatte. Es sei zu spät am Tage, um die weite Strecke nach Wiesbaden zu fahren. Sie würde nicht gerne nachts fahren.
»Deine Kammer ist frei«, sagte Toni.
Gaby nickte und zog sich mit Peggy zurück. In der Kammer legte sie sich mit den Kleidern auf das schmale Bett. Peggy kuschelte sich in ihren Arm. Gaby schloss die Augen. Ihr Herz raste. In ihrem Kopf drehte sich alles. Die Gefühle rissen sie hin und her. Noch niemals im Leben zuvor hatte sie sich so elend gefühlt. Irgendwann schlief sie ein. Sie sank in einen tiefen traumlosen, bleiernen Schlaf.
*
Ein Geräusch weckte Gaby. Sie sah auf. Anna steckte den Kopf zur Tür herein.
»Tut mir leid, dass ich dich wecken muss. Aber hier ist jemand, der dich dringend sprechen will. Sie wartet schon seit Stunden. Kommst du?«
»Ja, einen Augenblick!«
Erst als Anna die Tür schloss, wurde Gaby bewusst, dass es schon dunkel war. Sie machte Licht und schaute auf ihre Uhr.
»Peggy, auf dich ist auch kein Verlass. Musstest du nicht längst mal Gassi gehen? Warum hast du mich nicht geweckt?«
Peggy stand auf dem Bett und wedelte.
Gaby stand auf, kämmte sich das Haar, warf noch einmal einen prüfenden Blick in den kleinen Spiegel auf der Innenseite der Tür. Dann nahm sie Peggy an die Leine und ging hinaus in die Wirtsstube.
Toni stand hinter dem Tresen und spülte Gläser. Anna saß in der Küche am Tisch und unterhielt sich. Die Tür zur Küche der Berghütte war halb geschlossen. Gaby konnte nicht sehen, wer es war.
»Ich muss erst mal mit Peggy nach draußen«, sagte Gaby.
Toni nickte. Er sah Gaby nach, wie sie durch die offene Tür nach draußen ging. Er ging in die Küche.
»Gaby ist draußen auf dem Geröllfeld. Sie führt Peggy Gassi«, sagte Toni, als er den Kopf durch den Türspalt der Küchentür schob.
»Dann werde ich zu ihr gehen. Haltet mir die Daumen!«
»Viel Glück!«
»Das kann ich gebrauchen, Toni. Dabei geht es eigentlich gar nicht um mich. Aber ich fühle mich irgendwie mitschuldig an dem ganzen Durcheinander. Wie gesagt, es ist nur ein Versuch. Aber ich muss es versuchen, sonst würde ich es ein ganzes Leben lang bereuen.«
Sie blieb auf der Terrasse stehen und wartete, bis Gaby mit Peggy kam.
»Guten Abend! Ich hätte Sie gerne gesprochen. Sie sind Gaby. Mein Name ist Beate. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich es nicht wenigstens versuchen würde. Wollen wir uns setzen? Das ist wohl die berühmte Peggy! Hallo, Peggy!«
Beate streichelte die Hündin.
»Guten Abend«, sagte Gaby leise. Sie nahm Peggy auf den Arm und ging auf einen freien Tisch zu. Beate folgte ihr. Sie setzte sich ihr gegenüber. Toni kam und brachte eine Kanne mit heißem Kräutertee und zwei Tassen. Er ließ die beiden Frauen allein.
Beate schenkte Tee ein. Sie tranken.
»Also, ich will anfangen. Es ist nichts zwischen Max und mir. Wir verstehen uns nur gut. Wir sind seit vielen Jahren Freunde, wirklich gute Freunde. Wir sind kein Liebespaar, das will ich deutlich sagen. Es wird über uns hier geredet und viele denken, es könnte etwas aus uns werden. Aber wir lieben uns nicht. Ich habe mich so für Max gefreut, als er mir sagte, dass er sich verliebt hat. Ich rief ihn heute an mit der Absicht, eine Einladung zum Abendessen auszusprechen. Ich war natürlich sehr neugierig, wer so schnell und so endgültig Max’ Herz erobert hat. Ich war sehr betrübt, als er mir erzählte, wie traurig er sei und was geschehen ist. Das ist alles so ein Schmarrn, wie man hier in den Bergen sagt. Ich bin sofort zum Gestüt gefahren und habe mit Ria gesprochen. Es tut ihr sehr leid. Sie war sehr geknickt, als sie hörte, was sie angerichtet hat. Sie will es wieder gut machen. Sie wollte sofort selbst auf die Berghütte kommen und sich entschuldigen, aber das schafft sie in ihrem Alter nicht mehr.«
Peggy richtete sich auf, lief über den Tisch und setzte sich auf Beates Schoß. Sie drückte Peggy an sich.
»Peggy, was soll das?«, fragte Gaby verwundert.
Beate lachte laut.
»Sie versteht mich. Hunde sind sehr feinfühlig. Kannst du mir nicht helfen, Gaby davon zu überzeugen? Max ist so unglücklich und Bobby auch. Er würde sich freuen, wenn du ihn besuchen würdest, bevor du zurück nach Wiesbaden fährst mit Gaby.«
Gaby seufzte tief. Sie trank einen Schluck Tee und drehte nervös die Tasse in ihren Händen.
»Ich habe mich doch auch in Max verliebt. Es geschah gleich im ersten Augenblick, als ich ihn sah.«
Gaby griff in ihre Jackentasche und holte den roten Ring heraus.
»Die Sache ist mir irgendwie aus den Händen geglitten. Als Max hier war, da war mir bald klar, dass es nur ein Missverständnis ist. Doch er machte mir einen Heiratsantrag. Es geschah auf eine sehr süße und unbeholfene Art. Es verschlug mir einfach die Sprache. Ich war wie …, ach, es gibt keine Worte dafür. Es tat mir so unendlich leid, dass ich ihm misstraut hatte.«
»Das kann geschehen, wenn man so verliebt ist. Wenn die Liebe einen von einer Sekunde zur anderen packt, dann kann es sein, dass einen der Verstand verlässt und die Angst einen überwältigt, man könnte geträumt haben, man könnte sich selbst etwas vorgemacht haben, weil man sein Glück nicht fassen kann. Richtig?«
»Ja, so war es wahrscheinlich. Außerdem hatte ich schon einige Beziehungen, die schief gingen. Meine Freundin Wiebke war hier. Ich schwärmte ihr von Max vor. Sie säte Misstrauen. Irgendwie kann ich sie verstehen. Ich sagte ihr, dass Max zu einen Notfall aufs Gestüt gerufen worden war.«
Gaby strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr und erzählte dann weiter.
»Wiebke wird sich erinnert haben. Ich war einmal mit einem Notarzt liiert. Es stellte sich heraus, dass einige der Noteinsätze keine Noteinsätze waren, jedenfalls nicht solche Noteinsätze, wie ich dachte. Ich hatte ihm lange geglaubt, war einfach zu naiv, damals. Daran hatte sich Wiebke erinnert. Ich hatte mir geschworen, sollte ich mich noch einmal in jemanden verlieben, der zu irgendwelchen Notfällen gerufen würde, dann würde ich sie sofort überprüfen. Ich bin von Natur aus eigentlich nicht der eifersüchtige Typ.«
»›Ein gebranntes Kind scheut das Feuer‹, sagt man. Ich verstehe und bin sicher, dass Max es auch versteht.«
Beate schaute Gaby freundlich an.
»Mir liegt viel an Max. Ich will, dass er glücklich wird, Gaby. Max ist wirklich ein guter Freund. Wir beide könnten auch Freundinnen werden. Ich bin Beate!«
Sie streckte die Hand über den Tisch aus. Gaby zögerte einen Augenblick und ergriff sie.
»Ich bin die Gaby!«
»So, jetzt sage ich dir etwas! Ruf ihn an! Fahr zu ihm! Er wird dich mit offenen Armen aufnehmen.«
»Ich weiß nicht? Ich dachte, ich schreibe ihm vielleicht einen lieben Brief.«
»Das ist zwar eine gute Idee, aber es dauert zu lange. Anderer Vorschlag: Wir gehen jetzt zu mir. Ich war ohnehin auf einen Abend mit Besuch eingerichtet. Wir lassen Max kommen. Ich rufe ihn an und sage, ich hätte ein Notfall zu behandeln und bräuchte sofortige Hilfe. Ich wette, binnen einer halben Stunde ist er in Waldkogel.«
»Das würdest du tun?«
»Aber sicher!«
Toni ging gerade am Tisch vorbei.
»Des ist eine ausgezeichnete Idee. Außerdem, wenn des kein Notfall ist, dann weiß ich auch net, was ein Notfall ist«, lachte er.
Gaby musste lächeln.
»Danke, dass du gekommen bist, Beate.«
»Ist das ein Ja?«
»Ja, das ist ein Ja. Wir müssen Peggy aber den Weg hinunter tragen bis zur Oberländer Alm. Sie läuft erstens nicht so weit und zweitens ist es mitten in der Nacht. Da bin ich selbst unsicher.«
»Toni, hast du zwei extrastarke Stablampen? Wir wollen hinunter auf die Oberländer Alm. Ich kenne zwar den Pfad im Dunkeln mit geschlossenen Augen, aber Gaby ist unsicher«, rief Beate Toni zu.
»Des haben wir gleich! Ich habe starke Stablampen. Aber was noch besser ist, ich bringe euch hinunter.«
Toni ging in die Berghütte. Es dauerte nicht lange, dann kam er heraus und brachte Bello mit.
»Auf geht’s! Es kommt Nebel auf. Wir sollten uns beeilen.«
Gaby holte noch ihren Rucksack, der noch gepackt war. Toni trug ihn. Dann gingen sie los.
*
Von der Oberländer Alm fuhren Gaby und Beate getrennt in ihren Autos. Beate ließ Gaby ihren Wagen in einer der Garagen der Tierarztpraxis parken und schloss die Flügeltür.
»Max muss nicht gleich deinen Wagen mit der Wiesbadener Autonummer sehen, wenn er kommt.«
Sie gingen hinein.
Peggy raste durch die Wohnung, fand das Wohnzimmer und setzte sich auf ein Kissen auf der Couch.
Gaby schaute im Vorbeigehen in einen Spiegel.
»Ich sehe schlimm aus!«
»Das lässt sich ändern! Nimm eine Dusche und ziehe dir etwas Nettes an. Hast du ein Kleid?«
»Nein, ich habe nur Wandersachen dabei.«
»Das lässt sich ändern«, blinzelte Beate.
Sie nahm Gaby mit in ihr Schlafzimmer und öffnete den Schrank. Sie holte mehrere Kleider heraus, an denen noch die Preisschilder hingen.
»Hier, suche dir eins aus oder wühle im Schrank. Er ist voller ungetragener Sachen. Ich schenke es dir, als Schmerzensgeld, weil du mitansehen musstest, wie ich Max umarmt habe.«
»Inzwischen weiß ich ja, dass es nur eine freundschaftliche Umarmung war. Warum hast du so viele schöne Kleider, die du doch nie trägst?«
»Ich kann nicht widerstehen, wenn ich bei Veronika Boller im Laden am Markt ein schönes Kleid oder ein schönes Dirndl sehe. Dann kaufe ich es mir und träume davon, wie gut ich darin aussehe. Doch mein Leben als Tierärztin gibt mir wenig Gelegenheit, die Sachen auch anzuziehen. Meistens stecke ich in Latzhosen, Karobluse und Gummistiefeln.«
Beate ergriff ein mittelblaues, knöchellanges Kleid im Landhausstil. »Das passt perfekt zu deinen blauen Augen.«
»Ich zieh es aber nur an, wenn du dich auch schick machst. Ich denke, der Abend läuft auf eine Verlobung hinaus. Da ist festliche Kleidung angebracht.«
Beate lachte. Sie wählte ein bodenlanges Dirndl aus Jeansstoff mit Stickereien und karierter Schürze.
»So, ab mit dir ins Gästebad. Ich ziehe mich auch um. Dann rufe ich Max an. Anschließend muss der Tisch gedeckt und das Essen aufgetragen werden.«
»Ich beeile mich und helfe dir! Danke, Beate, ich freue mich, dich als Freundin bekommen zu haben.«
Die beiden Frauen umarmten sich kurz. Dann setzten sie ihren Plan fort.
Es klappte alles wunderbar. Beate rief Max an und bat ihn, sofort zu kommen. Er sagte zu und legte auf. Eine halbe Stunde später hielt er auf dem Hof und stürmte ins Haus. Beate hatte die Haustür nur angelehnt. Dabei wunderte er sich, dass die Praxis nicht hell erleuchtet war, sondern nur Licht in Beates Wohnung brannte.
»Wir sind im Wohnzimmer, Max«, rief Beate.
Dann stand Max auch schon im Türrahmen. Es verschlug ihm die Sprache.
»Das …, das …, das ist kein Notfall«, stotterte er.
»Also, wenn das kein Notfall ist? Ganz im Gegenteil, Max, es ist ein besonderer Notfall. Darf ich dir meine Freundin Gaby vorstellen? Und das ist ihr Pflegehund Peggy.«
Bobby hatte Peggy bereits entdeckt und versuchte, sie wieder zum Spielen zu bewegen.
»Gaby, du siehst wunderschön aus«, hauchte Max.
Er ging auf sie zu, nahm ihre Hand und hauchte ihr zärtlich einen Handkuss darauf.
»Danke für das schöne Kompliment. Aber es fehlt noch etwas Schmuck.«
Gaby griff in die Tasche ihres Kleides und hielt ihm in der flachen geöffneten Hand den Ring hin. Max errötete vor lauter Freude, als er sah, dass Gaby ihm die Hand darreichte, damit er ihr den Ring anstecken konnte. Mit zitternden Fingern streifte er ihn ihr über.
»Du trägst deinen Ring, Max!«, stellte Gaby verwundert fest.
»Ja, ich trage ihn. Ich hatte mir geschworen, der Liebe zu dir treu zu sein bis ans Ende meines Erdenlebens. Nie wollte ich ein anderes Madl lieben. Ich liebe nur dich, Gaby!«
»Und ich liebe dich!«
»Endlich!«, seufzte Max glücklich.
Er legte die Arme um Gaby und zog sie an sich. Sie küssten sich, und ihre Herzen verschmolzen.
»Gaby, willst du meine Frau werden?«
»Ja, Max, ich will!«
Sie küssten sich erneut, lange und innig.
Beate schenkte die Sektgläser voll.
»Dann wollen wir auf euer Glück trinken«, sagte sie.
Sie stießen an und tranken. Dann küssten sie sich wieder.
Peggy legte zuerst den Kopf schief. Dann fing sie an, laut zu bellen. Schließlich sprang sie von der Couch herunter, schnappte nach dem kleinen Stofftier, das Bobby ihr auf den Boden gelegt hatte und jagte damit durchs Haus.
»Sie hat es kapiert. Sie spielt mit Bobby«, staunte Gaby. »Es ist ein Wunder.«
»Sie hat an dir gesehen, wie glücklich man zu zweit sein kann«, lachte Max.
Sie setzten sich und aßen. Beate hatte Kartoffelsalat, grünen Salat und Würstchen gemacht. Sie redeten, wie es nun weitergehen sollte. Es war klar, dass Gaby mit Max nach Kirchwalden fahren würde.
»Sie kann dir in der Praxis helfen. Gaby ist Rettungsassistentin, sie kann dir gut assistieren. Da bin ich mir sicher«, sagte Beate.
»Das mache ich gern, Max. Dann musst du dir auch keine Vertretung suchen, solange ich Urlaub habe.«
»Heißt das, dass du die ganze Zeit bleiben willst?« Max konnte sein Glück noch nicht fassen. »Was ist mit Peggy? Wiebke will sie zurückhaben, denke ich.«
Gaby lachte. Alle schauten sich nach Peggy um. Sie kuschelte sich eng an Bobby auf die Couch.
»Wiebke kann noch warten. Ich kann das Glück der beiden doch nicht auseinanderreißen. Die beiden mögen sich, denke ich mir.«
Alle schmunzelten.
Nach dem Essen, es ging schon gegen Morgen, fuhren sie nach Kirchwalden. Peggy und Bobby waren unzertrennlich. Sie fuhren bei Max im Auto. Gaby fuhr hinterher. Bis zum Praxisbeginn blieben nur wenige Stunden, in denen sie sich ausruhen konnten. Dann stürzten sie sich in den Alltag eines Tierarztpaares. Max stellte jedem Tierhalter Gaby vor. Er sprühte vor Stolz und Glück, sie als seine Braut zu präsentieren.
Es dauerte einige Tage, dann rief Wiebke an. Sie wollte wissen, wie es laufen würde. Gaby erzählte begeistert, wie viele Fortschritte Peggy gemacht hatte und dass sie mit ihr bis zum Ende ihres Urlaubs bei Max bleiben würde.
»Und was ist mir dir? Bist du ihm näher gekommen?«
»Das erzähle ich dir, wenn ich wieder in Wiesbaden bin«, sagte Gaby geheimnisvoll und legte schnell auf.
Gaby hatte es auch wirklich eilig. Sie wollte mit Max nach Waldkogel und dort beim Kuhritt zusehen. Außerdem hatte Beate Max gebeten, zu kommen, weil zwei Tierärzte besser waren als einer. Man wusste nie, ob eine Kuh ausbrechen und sich verletzen würde.
Aber es ging alles gut. Über den Kuhritt in Waldkogel berichtete sogar das Regionalfernsehen. Der Bischof gab ein Interview. Jeder, der auf einer Kuh reiten wollte, musste einen Betrag spenden und bekam dafür eine Spendenquittung. Es kam erfreulich viel Geld zusammen für das Waisenhaus.
Bürgermeister Fellbacher verkündete, dass die Tradition des Kuhritts jetzt neu belebt sei und jährlich in Waldkogel stattfinden würde.
*
Die Tage in Kirchwalden an Max’ Seite waren sehr schön. Gaby spürte, dass sie dorthin gehörte. Von Kirchwalden aus telefonierte sie mit der Rettungsleitstelle. Sie kündigte fristlos. Alle waren überrascht. Einige Kollegen waren sogar etwas enttäuscht, als sie hörten, Gaby würde bald heiraten.
Als ihr Urlaub vorbei war, fuhren Gaby und Max mit Bobby und Peggy nach Wiesbaden. Max hatte die Praxis für zwei Wochen geschlossen. Beate machte Urlaubsvertretung.
Wiebke freute sich, dass sie Peggy wiederhatte, die völlig verändert war.
»Sie sieht so fröhlich aus«, sagte Wiebke.
»Es gibt da noch etwas, was du vielleicht wissen solltest«, sagte Max verlegen. »Peggy zeigte die letzten Tage Anzeichen einer beginnenden Läufigkeit, und wir haben die beiden getrennt. Doch Peggy sprang aus dem offenen Fenster im Erdgeschoss in den Garten zu Bobby. Wir haben es zu spät bemerkt. Ich will nach unserem Urlaub einen Ultraschall bei ihr machen, dann wird man etwas sehen. Es wäre also gut, wenn wir Peggy wieder mitnehmen könnten. Wir bringen sie wieder, wenn wir am darauffolgenden Wochenende kommen und Gabys Wohnung räumen.«
Wiebke zog die Stirn in Falten.
»Was wird deine Tante dazu sagen?«, fragte sie Detlev.
»Warten wir es ab!«, beruhigte sie ihr Verlobter.
Das Ultraschallbild zeigte, dass Peggy zwei Welpen erwartete. Für Gaby und Max stand fest, dass sie einen davon nehmen würden.
»Beate nimmt vielleicht den anderen Welpen«, sagte Max.
Soweit kam es aber nicht. Aus Detlevs Tante wurde eine Hundenärrin, sobald sie die kleinen Welpen sah. Sie nahm den anderen Welpen.
»Außerdem ist es gut, wenn Kinder von Anfang an mit Tieren aufwachsen, das habe ich in dem Erziehungsbuch gelesen«, sagte sie. Seit sie wusste, dass Wiebke schwanger war, entwickelte sie Qualitäten, von denen sie selbst nie gedacht hatte, dass sie sie hätte. Sie hatte nie Kinder gewollt. Nun war es zu spät. Mutter konnte sie nicht mehr werden, aber eine liebevolle Großtante.
Gaby und Max hatten sich dafür entschieden, in Waldkogel zu heiraten, dem Ort ihrer Begegnung. Wiebke, die hochschwanger war, ließ sich es nicht nehmen, zu kommen und Gabys Trauzeugin zu sein. Max wählte Beate zur Trauzeugin. Es wurde eine sehr romantische Hochzeit. Wie es sich für einen Tierarzt gehörte, fuhr er mit seiner Braut in einer Pferdekutsche zur Trauung. Der offene Landauer vom Grasser Gestüt war mit Blumengirlanden geschmückt. Die alte Ria hatte sich darum gekümmert. Gaby und Max traten in Landhausmode vor den Altar. Max trug einen dunkelblauen Anzug im Jankerstil und Gaby ein knöchellanges Kleid, mit einer Jacke. Sie waren ein schönes Paar.
Der Sommer neigte sich zu Ende. Gaby und Max sahen Elternfreuden entgegen. Im Frühsommer darauf bekamen sie eine Tochter. Als Gaby mit ihr aus der Klinik heimkam und das Baby zum ersten Mal Kontakt mit Hunden bekam, ging ein Lächeln über sein Gesicht.
»Sie wird eine richtige Hundenärrin«, sagte Max stolz.
Wiebke und Detlev hatten einen Jungen bekommen. Sie verbrachten fast jeden Urlaub bei Gaby und Max. Dann besuchten die beiden Paare mit Kindern und Hunden die Berghütte und erlebten dort wunderbare Tage.
Bello führte jedes Mal einen wahren Freudentanz auf. Peggy hatte es ihm angetan. Jetzt tobte sie mit ihm über das Geröllfeld.