Читать книгу Toni der Hüttenwirt Staffel 16 – Heimatroman - Friederike von Buchner - Страница 6

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Toni fand einen Parkplatz direkt vor der Verwaltungsstelle der Bergwacht in Kirchwalden. Er betrat das Gebäude und durchschritt den langen Flur, an dessen Ende sich das Dienstzimmer des Leiters der örtlichen Bergwachtstation befand. Die Tür stand offen.

Leonhard Gasser, Leo gerufen, war ein guter Freund von Toni und stammte ebenfalls aus Waldkogel. Er telefonierte und winkte Toni zu. Mit einer Handbewegung deutete Leonhard auf die Sitzecke in seinem Dienstzimmer.

Leonhard hielt einen Augenblick die Sprechmuschel zu und sagte:

»Bin gleich fertig!«

Es dauerte auch nicht mehr lange, dann war das Gespräch zu Ende.

Leonhard stand auf und seufzte. Er ging auf Toni zu.

»Grüß dich, Toni! Mei, ist des ein saumäßiger Vormittag. Es gibt Tage, da bin sogar ich richtig genervt. Deshalb freue ich mich umso mehr, Besuch von einem so lieben Freund zu bekommen.«

Toni lachte und schüttelte dem Freund die Hand.

»Mei, jetzt machst mich verlegen, Leo, und nimmst mir ein bisserl den Wind aus den Segeln, wie Anna es sagen würde.«

Leo rieb sich das Kinn.

»Dann hast du etwas auf dem Herzen. Na ja, heute kommt es nimmer darauf an.«

»Leo, mei, was bist so frustriert? So kenne ich dich net.«

Leonhard Gasser schaute auf die Uhr.

»Weißt du was, wir verlassen diesen Ort und gönnen uns im Biergarten eine schöne Brotzeit.«

»Des ist ein Wort«, stimmte ihm Toni zu.

Die beiden Freunde gingen hinaus.

Leonhard Gasser holte sich am Empfang einen Piepser, den er für Notfälle immer mitnahm, wenn er sich außerhalb des Gebäudes aufhielt.

Sie gingen nur einige Straßen weiter. Dort setzten sie sich in einen kleinen Biergarten auf der Rückseite einer Gastwirtschaft. Sie ließen sich erst einmal zwei Maß Bier bringen, stießen an und tranken.

»So, Toni, was gibt es? Raus mit der Sprache!«

»Du zuerst, Leo!«

»Da gibt es net viel zu sagen. Die Bergwacht hat vor zwei Wochen einen Extremkletterer gerettet. Mei, der war in einer sehr misslichen Lage. Er war verletzt, hatte das Bewusstsein verloren und lag auf einem Felsvorsprung. Sein Glück war, dass ihn jemand zufällig durch das Fernglas entdeckte und uns sofort verständigte. Net auszudenken, was sonst geschehen wäre. Der Bursche hatte kein Handy dabei. Jedenfalls war es schwer, ihn aus der Schlucht zu holen. Wir waren mit dem ganzen Team und zwei Hubschraubern dort. Jetzt beschwert sich der Bursche, dass wir seine Sachen, irgendeine Tasche mit einer Filmausrüstung, nicht mitgenommen haben. Aber ich habe nix am Unfallort rumliegen gesehen. Außerdem waren wir froh, dass wir ihn überhaupt retten konnten. Jetzt droht er uns mit einem juristischen Nachspiel und fordert Schadensersatz.«

»Der ist wohl völlig deppert?«, empörte sich Toni.

»Du sagst es! Der sollte uns dankbar sein. Wir haben ihm das Leben gerettet. Aber für ihn zählt des wohl net. Er war beruflich unterwegs und behauptet, ihm sei durch unsere Nachlässigkeit ein immenser materieller Schaden entstanden. Er macht wohl Filme über die Berge und das Klettern.«

»Ja, ist dem net klar, dass er jetzt im Himmel sein könnte?«

»Toni, Burschen wie er, die leben in dem Wahn, dass ihnen nie etwas geschehen könnte. Sie verdrängen negative Erfahrungen.«

Leonhard seufzte.

»Toni, es ist net so, dass wir von der Bergwacht Dank erwarten. Aber dass man noch beschimpft und verdächtigt wird, sich illegal Filmmaterial angeeignet zu haben, des macht mich wütend.«

»Was machst du jetzt?«

»Ich habe die Sache nach oben weitergegeben. Die haben im Hauptbüro Juristen. Die werden sich darum kümmern. Der wird sich wundern, wenn die ihm eine Rechnung über den Rettungseinsatz schicken, so kann man es nämlich auch machen. Er war in gesperrtem Gebiet unterwegs, also auf eigene Gefahr.«

Die Bedienung im Dirndl brachte die Brotzeit. Die Männer griffen zu.

»›Gesperrtes Gebiet‹, des ist mein Stichwort, Leo. Ich war heute Morgen schon auf dem Rathaus und hab’ mit dem Fellbacher geredet. Die Souvenirjäger am ›Engelssteig‹, diese hämmernden Spechte, die rauben uns den letzten Nerv.«

»Des kannst laut sagen. Ich hatte die Tage frei und war daheim. Ich saß auf meinem Balkon und wollte lesen. Diese Klopferei nervt wirklich und es wird immer schlimmer. Die Ruhe in unserem schönen Waldkogel ist dahin, seit Hunderte von sogenannten Pilgern mit Hammer und Meißel am ›Engelssteig‹ stehen und sich kleine Andenken herausklopfen. Ich bin gestern mal vorbeigeflogen. Toni, des nimmt inzwischen Ausmaße an, die man schon als kriminell bezeichnen kann.«

»Richtig, Leo! Und deshalb bin ich hier. Ich will dich direkt fragen: Kann die Bergwacht Einfluss darauf nehmen, dass der ›Engelssteig‹ gesperrt wird?«

»Des ist ja ein ganz radikaler Gedanke, Toni«, lachte Leonhard.

»Sicher ist der radikal. Die Bergsteiger, die rauf auf den Gipfel wollen, die werden ärgerlich sein. Aber dafür habe ich mir auch schon etwas überlegt. Die wirklichen Gipfelstürmer, die können zu uns auf die Berghütte kommen und von dort aus aufbrechen. So müsste man nur das untere Drittel bis zur Hälfte des Bergs sperren. Wenn die Pilger nimmer einfach so weiter können, dann wird der Besucherstrom abnehmen.«

Leonhard Gasser rieb sich das Kinn.

Er dachte nach.

»Gibt es sonst keine Handhabe gegen diese Touristen?«

»Mei, Leo, du weißt doch, dass die Halte- und Parkverbote in Waldkogel nichts gebracht haben. Ich denke mir, dass die Bergwacht mehr Autorität besitzt. Der Reisegesellschaft wird nichts anderes übrigbleiben, als die Fahrten nach Waldkogel zu stoppen. Auf jeden Fall würden die Fahrten dann unattraktiv. Pfarrer Zandler hat auch schon Maßnahmen ergriffen. Er schließt unsere schöne Kirche nur noch zu den Zeiten auf, an denen er Messe hält. Wenn sonst jemand aus Waldkogel rein will, dann kann er am Pfarrhaus klingeln und durchs Pfarrhaus gehen.«

»Ich habe davon gehört. Es geht also darum, dass die Busreisen nach Waldkogel uninteressant werden. Wenn die Kirche geschlossen ist und die sogenannten Pilger nimmer zum ›Engelssteig‹ können, dann muss des Reiseunternehmen irgendwann einsehen, dass es sich nimmer lohnt, diese Reise anzubieten.«

»Genau, Leo, das ist der Gedanke, der dahintersteht.«

Leonhard dachte nach.

»Toni, ich werde mich mit meiner übergeordneten Dienststelle absprechen. Wenn es ein Schlupfloch gibt, dann finden wir es. Ich muss wegen der anderen Sache heute Nachmittag ohnehin nach München, dann werde ich in dieser Angelegenheit auch gleich vorsprechen.«

»Ich danke dir, Leo!«

»Da gibt’s nix zu danken, Toni! Ich bin genau wie du ein Waldkogeler Bursche. Die Ruhe in unserem schönen Dorf, die ist mir heilig. Außerdem muss der Sache dringend Einhalt geboten werden. Es ist doch nur eine Frage der Zeit, bis besonders Vorwitzige am Hang hängen und dort Steine abschlagen. Wer muss sie dann retten? Wer muss bei einem ausgelösten Steinschlag ausrücken? Mehr muss ich nicht sagen, oder?«

»Naa, Leo, mehr musst net sagen!«

Sie schauten sich an, prosteten sich zu und tranken. Leonhard Gasser versprach Toni und Bürgermeister Fellbacher zu informieren, sobald er die Angelegenheit in München vorgetragen hatte.

Gemeinsam gingen sie zurück. Toni verabschiedete sich und fuhr heim nach Waldkogel. Leonhard setzte sich in seinem Dienstzimmer an den Computer und schrieb einen Bericht über die dreisten Souvenirjäger, mit Hammer und Meißel. Dabei scheute er auch nicht vor dramatischen Warnungen zurück. Er fügte eine lange Liste möglicher Gefahren bei.

*

Es war eine milde Sommernacht. Der Nachthimmel war wolkenlos und voller Sterne. Petra und Ulf feierten am Ufer des Bodensees mit Freunden. Es war Ulfs Abschiedsparty. Nach dem Studium begann für ihn ein neuer Lebensabschnitt. Er wollte nach München umziehen.

Weit nach Mitternacht verabschiedeten sich die Letzten. Ulf und Petra räumten auf und packten alles in den kleinen Lieferwagen, den Ulf gemietet hatte.

»So, fertig! War ein schöner und sehr gelungener Abend«, stellte Ulf fest.

Petra nickte ihm zu. Er lächelte sie an.

»Setzen wir uns noch einen Augenblick?«, fragte er.

»Ja, das können wir gerne tun. Ich liebe es, am Ufer zu sitzen und auf das Wasser zu sehen.«

Sie suchten sich ein Plätzchen.

»Petra, ich habe nachgedacht«, sagte Ulf leise. »Ich freue mich sehr auf meinen neuen Lebensabschnitt. Dabei mache ich mir keine Illusionen. Sicher kann ich nicht alle Mandanten halten, aber ich werde neue gewinnen. Es ist ein Glücksfall, dass mir Vaters Jugendfreund seine Kanzlei verkaufte. München bietet viele Vorteile, und die Kanzlei hat einen guten Ruf.«

»Du wirst das schon schaffen, Ulf.«

Er sah sie an.

»Es wird eine Umstellung werden.«

»Ein neuer Lebensabschnitt ist immer eine Umstellung, Ulf.«

»Das stimmt, Petra. Es würde mir leichter fallen, wenn du mitkommen würdest.«

Petra lachte.

»Oh, Ulf, wie stellst du dir das vor?«

»Ich schätze dich sehr, Petra. Du weißt, ich bin eher der sachliche Typ. Ich habe über dich und mich nachgedacht. Ich denke, wir wären ein gutes Gespann. Du bist eine wunderbare Frau. Ich hege tiefe Gefühle für dich. Das weißt du sicherlich?«

Petra lächelte. Ihr Herz klopfte etwas schneller.

»Tiefe Gefühle, das ist eine sehr vage Beschreibung, Ulf.«

»Ich meine damit, ich liebe dich, Petra. Wie steht es mit dir?«

Petra strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr.

»Du sagst nichts, Petra? Bin ich dir einerlei?«

»Nein, das bist du nicht, Ulf. Du hast mir schon immer gefallen. Du bist verlässlich, ruhig, handelst überlegt und bist grundsolide. Kurz, von allen, die ich kenne, bis du mir am nächsten.«

»Du liebst mich aber nicht?«, unterbrach Ulf sie ungeduldig.

»Sicher liebe ich dich auch, Ulf, jedenfalls auf gewisse Weise. Doch Liebe hat viele Fassetten. Du warst aber immer auf Abstand gegangen. Ich hätte nie daran gedacht, du könntest mehr für mich empfinden. Ich kann nur sagen, dass ich überrascht bin.«

»Ich bin kein Mann, der seine Gefühle vor sich herträgt, Petra. Ich gehe jeden Schritt bewusst. Zuerst kamen das Studium und die Doktorarbeit. Ich wollte eine solide Basis schaffen, für eine gemeinsame Zukunft mit dir. Jetzt bin ich soweit, an dich und an eine Familie zu denken.«

Petra zog die Knie enger an den Körper und schlang die Arme um die Beine. Sie legte das Kinn auf.

Ulf sprach weiter:

»Wir kennen uns gut. Du kennst meine Familie und ich kenne deine Eltern. Es gibt also keine Überraschungen. Übrigens, meinen Eltern gefällst du gut. Sie nehmen dich mit offenen Armen auf.«

»Ich mag deine Eltern auch, Ulf. Meine Eltern und deine Eltern verstehen sich gut.«

»Siehst du, das sind ideale Voraussetzungen für uns. Ich habe mir das so gedacht. Wir verloben uns und du kommst mit nach München. Wir heiraten in einigen Monaten.«

Ulf griff in die Hosentasche und zog eine kleine Schachtel hervor. Er öffnete sie.

»Hier habe ich etwas für dich! Wie gefällt er dir?«

Der große Diamant schimmerte im Mondschein.

Petra nahm ihn heraus und betrachtete ihn genau. Sie steckte ihn sich an den Ringfinger.

»Das ist ein sehr schöner Ring, Ulf.«

Er legte den Arm um sie.

»Freut mich, wenn der dir gefällt. Dann sind wir jetzt verlobt, denke ich.«

Er zog sie enger an sich und wollte sie küssen. Petra drehte den Kopf in die andere Richtung. Sie wand sich aus seiner Umarmung.

»Langsam, langsam!«, stieß Petra hervor.

Sie nahm den Ring vom Finger und legte ihn in das Samtkissen zurück. Sie schloss den Deckel.

»Du erteilst mir eine Abfuhr?«

»Nein, Ulf, das tue ich nicht. Ich will nur nachdenken. Du hast mich überrumpelt.«

»Dann war dir niemals der Gedanke gekommen, aus uns könnte ein Paar werden?«

»Das will ich nicht sagen. Trotzdem brauche ich Bedenkzeit. Wenn ich heirate, dann will ich mir absolut sicher sein, dass der Treueschwur auch ein Leben lang hält.«

»Ich werde dir immer treu sein, Petra.«

»So meine ich das nicht, Ulf. Ich bin im Augenblick nur völlig überrascht. Du bist eine sehr gute Partie, wie man sagt.«

»Du auch, als einzige Tochter und Erbin.«

»Dann willst du mich des Geldes wegen?«

»Nein, davon kann keine Rede sein, Petra. Ich will dich, weil ich dich mag, weil ich dich liebe. Du bist genau so, wie ich mir meine Frau vorgestellt habe. Ich hatte Angst, dass du dich in einen anderen Mann verlieben könntest.«

»Das habe ich nicht«, sagte Petra leise.

Sie gab ihm die kleine Schachtel zurück.

»Hebe sie auf, Ulf. Es ist wirklich ein wunderbarer Ring.«

»Das werde ich. Wie lange willst du nachdenken?«

Petra zuckte mit den Schultern.

»Ich weiß es nicht. Es ist so überraschend. Du hast nie eine Andeutung gemacht.«

»Das weiß ich, Petra. Aber es war mir sehr wichtig, dass alles perfekt ist. Ich wollte meinen Lebensplan abgearbeitet haben. Jetzt kann ich dir etwas bieten. Wir werden in München das schöne alte Stadthaus bewohnen, in dem unten die Kanzlei ist.«

Petra stand auf. Sie vergrub die Hände in die Taschen ihrer Jeans.

»Du hast dir alles perfekt ausgedacht.«

Ulf erhob sich ebenfalls. Sie standen sich gegenüber und sahen sich an.

»Ja, das habe ich. Schließlich will ich eine Familie gründen und Verantwortung übernehmen.«

Sie lächelte ihn an.

»Du wirst sicherlich ein sehr guter Familienvater, Ulf.« Petra seufzte leise. »Es war eine lange Nacht und eine wunderschöne Feier. Wir haben alle etwas getrunken. Das ist keine gute Voraussetzung, um eine so weitreichende Entscheidung zu fällen. Ich muss mich jetzt erst einmal ausschlafen. Danach werde ich darüber nachdenken. Ich melde mich bei dir, Ulf.«

Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange.

Er zog sie in seine Arme. Jetzt konnte sie ihm nicht mehr ausweichen. Er küsste sie auf die Lippen. Es war ein langer Kuss. Petra schloss die Augen und lauschte dabei auf ihre Gefühle. Dann schob sie Ulf sanft von sich.

»Gute Nacht, und gute Fahrt nach München!«

»Danke! Rufst du mich bald an? Kommst du mich besuchen? Ich will dir alles zeigen.«

»Irgendwann schon, Ulf«, sagte Petra leise.

Sie streichelte Ulf über die Wange und rannte davon. Ulf sah ihr nach. Er öffnete die Flasche Bier und trank. Er dachte nach. Er war etwas enttäuscht. Er hatte auf eine andere Reaktion gehofft, auf Freude und spontane Zustimmung. Er war sich so sicher gewesen, dass sie etwas für ihn empfindet. Seit der Schulzeit verband ihn mit Petra eine tiefe Freundschaft, die sich an der Universität fortgesetzt hatte. Petra hatte Sprachen studiert und Ulf Rechtswissenschaft. Sicher waren sie nie ein Liebespaar gewesen. Aber er war überzeugt gewesen, dass Petra wie er dachte und erst später eine Beziehung anstrebte. Jetzt war der richtige Zeitpunkt gekommen. Aber Petra hatte gezö­gert und wollte Bedenkzeit. Nun gut, sagte er sich. Vielleicht habe ich zu viel erwartet. Petra ist im Grunde genauso wie ich. Bevor sie handelt, denkt sie über die Folgen nach. Genau das schätzte ich so an ihr. Also darf ich nicht enttäuscht sein. Sie ist bodenständig und solide. Sie ist genau die Frau, die ich will.

Ulf trank das Bier aus. Dann ging er langsam heim. Den Lieferwagen ließ er auf dem Uferparkplatz stehen. Er hatte getrunken und wollte sich nicht ans Steuer setzen.

Er wollte einige Stunden schlafen und am Nachmittag nach München fahren, wo in einigen Tagen sein neuer Lebensabschnitt beginnen würde.

Langsam ging hinter den Bergen die Sonne auf.

*

Petra war gerannt, bis sie völlig außer Atem war. Sie blieb einen Augenblick stehen und rang nach Luft, dann setzte sie ihren Gang durch die Felder fort. Bald kam sie an den Koppeln des elterlichen Gestüts vorbei. Auf den Wiesen standen vereinzelt Bäume. Darunter hatten sich die Pferde in der Nacht versammelt, die über Nacht auf den Koppeln bleiben durften.

Auf dem Gestüt angekommen, ging Petra sofort in den Stall. Ihre Stute ›Sonnenschein‹ wieherte laut, als sie den Pferdestall betrat.

»Hallo, mein Sonnenschein«, sagte Petra voller Zärtlichkeit und öffnete die Tür der Pferdebox. Sie musste Sonnenschein nicht am Halfter herausführen. Die junge Stute folgte ihr willig aus dem Stall über den Hof, auf die andere Seite der Gebäude, hinaus auf die große Koppel, die Petra vom Fenster ihres Zimmers sehen konnte.

»So, mach dir einen schönen Tag, meine Liebe! Ich muss jetzt erst mal schlafen. Ich komme heute Nachmittag. Dann reiten wir zusammen aus.«

Das Pferd stieß Petra an, so als hätte es jedes Wort verstanden. Petra streichelte es und drückte den Kopf einen Augenblick gegen die Stirn der Stute.

»Ach, Sonnenschein, Ulf hat mir einen Antrag gemacht. Was soll ich nur tun?«, flüsterte Petra.

Sonnenschein blieb ganz ruhig stehen. Petra kam es so vor, als würde die Stute jedes Wort verstehen.

»Ach, Sonnenschein, fühlst du mit mir? Sicherlich tust du das. Du bist mein wirklicher Sonnenschein. Bis später!«

Petra streichelte Sonnenschein noch einmal über Rücken und Hals und ging dann fort.

Als Petra das Haus betrat, hörte sie Geräusche durch die offene Küchentür. Sie lehnte sich in den Türrahmen und gähnte. Ihre Mutter drehte sich nach ihr um.

»Guten Morgen, Petra! War wohl eine schöne Party, wenn du so spät kommst.«

»Mm, ja, es ist sehr spät geworden. Ich lege mich hin. Sonnenschein habe ich schon auf die Koppel gebracht.«

Petra gähnte.

Elke Jungdorf sah ihre Tochter prüfend an.

»Du siehst nicht gut aus, bist völlig übermüdet«, bemerkte Petras Mutter.

»Müde bin ich auch, aber es ist noch etwas anderes. Aber ich kann nicht darüber reden. Jetzt nicht! Sicherlich war es schön, wenn da nicht …« Petra vollendete den Satz nicht.

Sie ging auf ihre Mutter zu und schlang die Arme um ihren Hals.

»Ach, Mama, das Leben kann manchmal sehr kompliziert sein.«

»Das ist es sicherlich, Petra. Aber oft erscheint es einem auch nur so. Dann muss man versuchen, es zu entwirren und sich die Fragen und Tatsachen einzeln ansehen.«

Elke Jungdorf streichelte ihrer erwachsenen Tochter über die Wange und sah ihr in die Augen. Dort sah sie Unsicherheit und Verwirrung.

»Kind, das ist oft so im Leben. Erinnerst du dich, was ich dir als Kind immer sagte?«

Petra nickte. Sie erinnerte sich. Ihre Mutter hatte ihr das Leben in einem treffenden Bild beschrieben. Das Leben ist wie ein Korb voller Wollknäuel, alle aus verschiedenen Farben und Materialien. Dann und wann springt eine Katze hinein und spielt damit. Dabei bringt sie alles durcheinander und es gibt viele Knoten und eine riesige Unordnung. Will man stricken, dann muss man zuerst alles Material entwirren und sortieren.

Erst danach kann man anfangen. Petra fand, dass dieses Bild genau auf ihre Lage zutraf.

»Ich weiß, was du meinst, Mutter, die Sache mit der Katze im Wollkorb.«

»Genau! Aber niemand muss allein die Wolle sortieren. Ich und dein Papa helfen dir dabei.«

Petra lächelte ihre Mutter dankbar an, gab ihr einen Kuss und ging hinauf in ihr Zimmer.

Joachim Jungdorf, Petras Vater, kam etwas später in die Küche.

»Erzähl’ schon! Hat Petra etwas gesagt?«, fragte er.

Seine Frau schüttelte den Kopf. Sie wusste, auf was ihr Mann anspielte. Sie setzten sich und frühstückten.

»Dann wird er sie nicht gefragt haben, Elke«, bemerkte er nach einer Weile.

»Petra meinte nur, das Leben sei kompliziert.«

»Dann hat er sie doch gefragt?«

Elke Jungdorf sah ihren Mann ernst an.

»Wir wissen nichts Genaues und Ulfs Eltern auch nicht. Sie hoffen, dass sich endlich etwas anbahnt zwischen den beiden.«

»Aber du weißt, wie still Ulf ist. Er ist eben kein Mann großer Worte und überschäumender Gefühle.«

»Die beiden kennen sich, seit sie ins Gymnasium kamen. Sie haben sich immer gut verstanden. Ulf ist ruhig und verlässlich.«

»Das ist auch alles, was man über ihn sagen kann.«

Er trank einen Schluck Kaffee. Seine Frau sah ihn überrascht an.

»Er gefällt dir nicht?«

Joachim, der Achim gerufen wurde, zuckte mit den Schultern.

»Ich weiß nicht, ob Petra wirklich glücklich mit ihm werden würde. Er ist sicherlich der perfekte Ehemann. Aber er hat ein entscheidendes Defizit: Er betrachtet Pferde am liebsten nur aus der Entfernung. Petra ist eine Pferdenärrin. Ich habe mir immer vorgestellt, sie findet einmal einen Mann, der ihre Leidenschaft teilt.«

»Und hier einheiratet! Gib es zu, Achim.«

»Ja, ich gebe es zu. Es wäre doch schön, wenn es so wäre wie bei uns, Elke.«

»Achim, wir waren uns einig, dass wir Petra frei entscheiden lassen.«

»Ja, das waren wir und daran halten wir auch fest. Wenn sie Ulf nimmt, dann bedeutet es, dass sie einen Teil ihres Lebens aufgeben muss. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie auf die Dauer glücklich mit ihm wird. Kannst du dir unsere Petra jeden Tag im Kostüm vorstellen und inmitten der Münchner Schickeria? Sie hätte vor zwei Jahren nach dem Studium nach München gehen können. Die Stelle als Übersetzerin in dem Verlag war gut. Aber Petra arbeitet lieber als freie Übersetzerin von hier aus. Wir wissen, warum sie sich damals gegen die Festanstellung entschieden hat. Sie wollte auf den Stallgeruch nicht verzichten.«

Sie sahen sich an und schmunzelten. Sie erinnerte sich daran, was Petra damals sagte. Sie war der Meinung, dass sie lieber Pferdegeruch in der Nase habe als Benzingestank oder Parfüm.

»Reitstiefel sind Petra lieber als hochhackige Pumps, Achim. Da ist sie ganz unsere Tochter.«

Sie redeten noch eine Weile. Dann gingen sie an die Arbeit. Inzwischen war es spät geworden und die Pferdepfleger arbeiteten schon in den Ställen und auf der Koppel.

Beim Mittagessen waren die Eltern allein. Petras Platz am Tisch blieb leer. Sie sahen sie erst zum Abendessen. Nach dem Essen kuschelte sich Petra auf die Couch im Wohnzimmer.

»Habt ihr etwas dagegen, wenn ich Urlaub mache?«, fragte Petra.

Ihre Eltern schauten sich überrascht an.

»Wie meinst du das?«, fragte ihr Vater.

»Nun, richtig Urlaub, Urlaub eben, wie ihn andere auch machen. Ich fahre weg.«

»Sicher kannst du in Urlaub fahren, Petra. Wir sind nur überrascht. Bisher war es doch immer so, dass du dich keinen Schritt vom Gestüt entfernen wolltest.«

»Daran hat sich nichts geändert. Aber es sind Umstände eingetreten, die mich sehr beschäftigen. Ich denke, es ist besser, wenn ich eine Weile verreise.«

Ihr Vater schenkte sich ein Bier ein.

»So, Umstände sind eingetreten«, wiederholte er leise.

Petra seufzte.

»Also gut, ich sage es euch. Ulf hat eine Andeutung gemacht, dass er mich heiraten will. Einen Verlobungsring hatte er auch dabei.«

Petra sah ihren Eltern an, dass sie ein Schmunzeln nicht unterdrücken konnten.

»Ihr wusstet davon? Das war nicht fair von euch, mich so ins Messer laufen zu lassen. Warum habt ihr nichts gesagt?«, stieß Petra vorwurfsvoll hervor. »Wie konntet ihr mir das antun?«

»Nun mal langsam, Petra. Wir sind die falsche Adresse für deine Vorwürfe. Wir wussten nichts. Es war lediglich eine Vermutung. Dass er bereits einen Verlobungsring für dich hat, das haben wir nicht erwartet«, sagte Petras Vater.

Petras Mutter erzählte.

»Frau Hofmann rief mich vor einigen Tagen an. Sie war ganz aus dem Häuschen. Ulf hatte ihr anvertraut, er arbeite an seiner Beziehung zu dir, Petra. Das waren seine Worte. Er wollte wissen, ob seine Eltern sich dich als seine Frau vorstellen könnten. Du kannst dir vorstellen, wie begeistert sie waren. Ulfs Mutter mag dich sehr.«

»Ich weiß. Frau Hofmann und auch Ulfs Vater sind ganz reizende Menschen. Schließlich bin ich schon den größten Teil meines Lebens mit Ulf befreundet. Seine gesamte Verwandtschaft kenne ich von seinen Geburtstagen.«

»Aber …«, sagte Petras Vater leise.

»Ulf war und ist ein guter, ja, ein sehr lieber Freund. Sicher gelten wir bei vielen als Paar. Aber wir waren nie ein Liebespaar. Zwischen uns gab es immer nur eine sehr tiefe und vertrauensvolle Nähe. Mehr war es nicht. Aber das ist doch auch etwas, oder nicht? Da kommt er nun daher und bietet mir einfach so den Verlobungsring an. Er hat auch schon alles geplant. Ich soll mit ihm nach München kommen. In einigen Monaten soll Hochzeit sein.« Petra seufzte. »Ich war wie vom Donner gerührt, als er mir das sagte.«

»Was hat er genau gesagt und wie?«, fragte Elke.

»Er sagte, er liebe mich und will, dass wir heiraten. Es sei jetzt der richtige Zeitpunkt und passe genau in seinen Lebensplan. Dann hielt er mir den Ring mit dem riesigen Klunker unter die Nase.«

»Den du nicht angenommen hast, vermute ich, sonst würdest du ihn tragen«, sagte Petras Mutter.

»Genau! So geht das doch nicht!«, brauste Petra auf.

Sie sprang von der Couch und lief unruhig im großen Wohnzimmer auf und ab.

»Dass ihr mich recht versteht! Ulf war schon in der Schule der Schwarm aller Mädchen. Auch gestern Abend auf der Feier verzehrten ihn einige mit Blicken. Er tat, als sehe er es nicht. Er tanzte auch nur mit mir. Aber …«

Petra seufzte tief.

»Das ist doch alles nicht normal. Sicher, ich gebe zu, dass ich die ganzen Jahre sehr geschmeichelt war, dass er mich immer einlud. Ich war seine Begleitung auf allen Juristenbällen und sämtlichen Unifeiern. Umgekehrt begleitete er mich, wenn unsere Fachschaft am Ende des Semesters feierte. Trotzdem gab es nie eine besondere Nähe zwischen uns. Wir waren eben Freunde, gute Freunde, wirklich gute Freunde, versteht ihr?«

Die Eltern nickten.

»Du meinst, dass du nichts für Ulf empfindest?«

»Puh! Wie soll ich das sagen? Er sieht gut aus. Aber ich war nie verliebt, so richtig verliebt. Eigentlich war ich auch in keinen anderen Mann verliebt. Ich habe Vorstellungen davon, wie sich Liebe und Verliebtsein anfüllen müsste. Vielleicht sind meine Ansprüche zu hoch. Ich weiß es nicht. Aber mit Ulf war es jedenfalls keine Liebe, so wie ich mir Liebe vorstelle. Es war eben Freundschaft.«

»Das muss kein Hinderungsgrund sein, Petra«, sagte ihre Mutter. »Es gibt Paare, die waren jahrelang Freunde, dann erst verliebten sie sich ineinander. Es gibt eben viele Arten, wie Liebe gedeiht. Es gibt die Liebe auf den ersten Blick und eine Liebe, die langsam wächst.«

»Das ist kein Trost für mich. Er hat mich geküsst. Aber da war nichts oder besser, da war wenig. Ich dachte immer, wenn mich ein Mann küsst, der mich liebt, dann höre ich die Glocken läuten, ich verliere die Bodenhaftung. Versteht ihr nicht? Es war nicht unangenehm, aber das war auch alles. Es ist so kompliziert. Ich mag Ulf wirklich. Ich weiß, er würde ein wunderbarer, treusorgender Familienvater sein. Aber ich kann mich nicht entschließen. Ich bin so verwirrt.«

»Es gibt doch nur eine Frage für dich, Petra. Wie stark sind deine Gefühle für ihn? Vielleicht war in deinem Herzen eine Sperre. Ich meine damit, dass du ihn bisher nur den guten Freund gesehen hast und deshalb unbewusst keine Gefühle aufkamen. Jetzt weißt du, dass er dich liebt und dich heiraten will. Er sieht in dir nicht mehr nur die jahrelange Kameradin, sondern die Frau, die er begehrt«, sagte Petras Vater.

»Ich fühle mich auch geschmeichelt. Es tat mir in der Seele weh, als ich ihn um Bedenkzeit bat. Ihr hättet sehen müssen, wie enttäuscht er war. Sicherlich wäre er nicht Ulf gewesen, wenn er seine Gefühle nicht unter Kontrolle gehabt hätte. Aber die Enttäuschung stand ihm in den Augen, auch wenn er Haltung bewahrte. Es traf mich so völlig unvorbereitet. Warum habt ihr mir nichts von dem Anruf seiner Mutter gesagt?«

Elke Jungdorf seufzte tief.

»Kind, was hätten wir sagen sollen? Hätten wir sagen sollen, Petra, Achtung, Ulf will dir einen Antrag machen? So genau wussten wir es auch nicht. Außerdem bist du erwachsen und es ist dein Leben.«

»Ja, es ist mein Leben, genau! Er will, dass ich mich anpasse, mit ihm in München lebe. Er ist so …, so dominant. Sicher ist es gut, einen starken Mann an der Seite zu haben, Aber ist es auch richtig, wenn eine Frau dafür alles aufgeben muss, was ihr etwas bedeutet? Ich müsste von hier fort. Ich könnte nur noch an den Wochenenden herkommen und das sicherlich auch nicht immer. Er sprach nur von seinem Lebensplan. Was ist mit meinem Lebensplan? Er fragte nicht, wie ich mir ein Leben als Ehefrau vorstelle. Er erkundigte sich nicht nach meinen Träumen, meinen Zukunftsplänen, meinen Wünschen und Sehnsüchten. Er hat seinen Plan. Auf diesem Plan bin ich der nächste Punkt. Aber ich will keine Investition sein, kein Punkt auf einer Liste, den er abhaken kann. So geht das doch nicht.«

Petras aufgeregte Stimme wurde immer lauter. Sie blieb stehen, seufzte tief und setzte sich wieder hin.

»Ich habe mir gedacht, es wäre gut, wenn ich Urlaub mache, und zwar einen längeren Urlaub. Ich muss herausfinden, ob ich glücklich sein kann, wenn ich nicht hier auf dem Gestüt bin und nicht jeden Tag mit Sonnenschein ausreite. Ich wollte später einmal das Gestüt weiterführen. Was wird daraus? Ach, es sind so viele Fragen, die es zu bedenken gibt!«

»Wo willst du hin? Hast du schon ein Urlaubsziel?«

»Ja, ich habe mir etwas überlegt. Ich dachte, ich fahre herum und schaue mir einige Zuchthengste für ›Sonnenschein‹ an. Das müsste ich nicht tun, aber ich möchte die Hengste sehen und mir selbst ein Urteil bilden, ob sie zu ›Sonnenschein‹ passen.«

Petras Vater schmunzelte. Er wusste, dass Petra mit ›Sonnenschein‹ einen Kult machte. Petra hatte ›Sonnenschein‹, die von der Stute nicht angenommen worden war, mit der Flasche aufgezogen. Außerdem hatte Petra ganz eigene Ansichten, was die Zucht betraf. Sie würde das Gestüt später an­deres führen, das war ihren Eltern bewusst. Sicherlich würde auch Petra eine Auswahl unter den Deckhengsten treffen. Aber sie wollte, dass Hengst und rossige Stute auf natürliche Weise zusammenfinden. ›Wenn sie sich gut riechen können, dann werden die Fohlen auch etwas Besonderes‹, sagte sie immer. Seiner Tochter zuliebe waren einige Fohlen in den letzten Jahren so gezeugt worden.

Joachim Jungdorf stimmte insgeheim seiner Tochter zu. Es schien wirklich so zu sein, dass diese Fohlen anders waren als die, die künstlich gezeugt worden waren. Aber das gab er nie zu.

»Dann wirst du auf das Gestüt nach Waldkogel fahren?«, sagte Elke zu ihrer Tochter.

»Ja, daran habe ich gedacht. Ich werde länger bleiben, Wanderungen machen und ich freue mich schon darauf, hinauf auf die Berghütte zu gehen. Schade, dass ich mir immer nur so wenig Zeit genommen habe. Es ist wirklich schön auf der Berghütte. Ich denke, ich bleibe dort auch eine Weile. Ich freue mich auf Anna und Toni und die Kinder. Wenn ich Lust zum Reiten habe, bin ich schnell im Tal.«

Petra seufzte.

»Ihr müsst mir aber versprechen, Ulf nicht zu sagen, wo ich bin. Ich muss nachdenken, wie das werden soll mit ihm und mir. Deshalb will ich auch Urlaub machen. Wenn ich hier bin, habe ich Angst, dass er kommt und mich bedrängt und seine Eltern ebenfalls. Ulf ist ein brillanter Anwalt. Er kann Menschen zu Geständnissen bringen, einfach so, ohne dass sie wissen, wie ihnen geschieht. Ich will mich seinem Einfluss entziehen. Ich muss ganz für mich allein sein. Könnt ihr das verstehen?«

»Aber sicher können wir das verstehen, Petra«, sagte ihr Vater.

Petras Eltern versprachen, ihren Urlaubsort niemanden zu verraten. Dabei war ihnen klar, dass Ulf ein Mann war, der nicht so schnell aufgab.

»Dann muss er eben lernen, dass es nicht immer nach seinem Kopf geht. Diesmal geht es nach meinem Plan und nicht nach seinem«, sagte Petra trotzig.

Petra wollte noch in der Nacht fahren. So ging sie in ihr Zimmer und packte. Die Sonne ging gerade unter, als Petra in ihren Jeep stieg und davonfuhr. Ihre Eltern standen vor dem Haus und sahen dem Auto nach, bis die Dunkelheit die Rücklichter schluckte.

»Kleine Kinder – kleine Sorgen, große Kinder – große Sorgen«, bemerkte Petras Mutter.

Joachim Jungdorf legte den Arm um ihre Schultern.

»Ja, das stimmt, meine liebe Elke. Aber es ist Petras Leben und allein ihre Entscheidung. Es ist gut, dass sie eine Weile ganz allein ist. Sie muss sich entscheiden. Sie muss in sich hineinhören und erkunden, ob es in ihrem Herz ausschließlich freundschaftliche Gefühle für ihn gibt oder ob da auch Gefühle sind, die zur Liebe aufblühen könnten. Vielleicht entdeckt sie ihre Liebe für Ulf?«

»Was Petra auch immer herausfindet und für was sie sich entscheidet, Achim, sie muss damit leben. Wir als Eltern können dabei wenig tun. Sie tut mir leid. Ich habe immer gehofft, eines Tages verliebt sie sich so richtig. Weißt du noch, wie es bei uns war? Wir schwebten auf ›Wolke sieben‹.«

»Ja, so war es. Wir sahen uns und verliebten uns auf der Stelle. Es war ein wunderbares Gefühl. Ich wünsche jedem Menschen, besonders unserer Petra, diese Gefühle spüren zu dürfen. Mit Ulf ist es offenbar nicht so.«

»Nein, mit Ulf ist es wirklich nicht so. Er mag zwar ein kluger Jurist sein. Aber in Sachen Liebe ist er wohl ein Tölpel. Hätte er es anders angestellt, wären seine Chancen besser, denke ich.«

»Das denke ich auch, Elke. Seine erste Chance hat er vertan. Er hat es falsch gemacht. Ich kann mir vorstellen, dass er nicht ganz versteht, warum Petra so reagiert hat. Aber er muss von selbst dahinterkommen.«

»Richtig, Achim! Ich weiß nicht, ob ihm Petra eine zweite Chance geben wird. Das wird sie nur, falls plötzlich die Liebe für ihn in ihrem Herzen erwacht und die freundschaftlichen Gefühle überstrahlt.«

»Es wäre an Ulf gewesen, diese Gefühle zu erwecken, die Stürme der Leidenschaft. Dies vermag ein Ring nicht, egal wie kostbar und funkelnd er auch ist.«

»Du sagst es, Achim! Es gibt so viele Möglichkeiten, das Herz einer Frau zu erobern. Petra ist keine komplizierte junge Frau. Wenn er sie wirklich will oder wollte, dann hätte er sie erobern müssen. Weißt du, die beiden sind so eng befreundet. Da müsste man doch annehmen, er kennt Petra und wüsste, was zu tun ist, um ihr Herz zu erobern. Wenn er ihr auf der Wiese einen Blumenstrauß gepflückt hätte oder ihr etwas für ›Sonnenschein‹ mitgebracht hätte, oder wenn er sogar seine Scheu vor Pferden überwunden hätte, ja dann, dann hätte er eine wirkliche Chance gehabt.«

»Du sagst es! Ich bin gespannt, wie das mit den beiden weitergeht, Elke.«

»Das bin ich auch, Achim!«

Hand in Hand machten sie ihre gemeinsame abendliche Runde über die Koppeln und durch die Ställe. Dann gingen sie schlafen.

*

Es war bereits nach Mitternacht, als Petra Waldkogel erreichte. Langsam fuhr sie die Hauptstraße entlang und hielt am Marktplatz. Sie überlegte, was sie tun sollte. Sie kannte den Weg von der Oberländer Alm hinauf auf die Berghütte nicht so gut. Es wäre gefährlich gewesen, den Aufstieg in der Dunkelheit zu wagen. Zudem hatte Petra vergessen, eine Stablampe einzupacken.

Dann fahre ich eben zuerst zum Grasser Gestüt, dachte sie. Sie ließ den Motor an und fuhr los. Sie bog in die Seitenstraße ein, die aus Waldkogel hinausführte, in das stille Seitental, in dem das Gestüt lag. Petra stellte ihren Jeep bei der ersten Koppel ab. Sie schulterte den Rucksack und ging los. Als sie an den Koppeln entlangging, kamen ein paar Pferde neugierig an die Umzäunung. Petra blieb stehen und streichelte sie. Sie sprach leise mit ihnen. Dann ging sie weiter.

Das große Haus mit den angebauten Ställen lag in völliger Dunkelheit. Unschlüssig setzte sich Petra auf eine Bank. Sie schaute auf die Uhr. Bis zum Morgen war noch viel Zeit. Wenn ich läute, wachen alle auf und ich sorge für Unruhe, dachte sie. Auf der anderen Seite war sie müde und sehnte sich nach einem Bett. Sie gähnte. Um nicht einzuschlafen, entschloss sie sich weiterzugehen. Sie kannte sich auf dem Gestüt gut aus und wusste, dass es weiter hinten den großen Teich gab. Petra beschloss, schwimmen zu gehen. Sie hielt das für eine gute Idee. Es erfrischt mich und macht munter, dachte sie.

Im Mondlicht fand sie ohne Schwierigkeiten den schmalen Fußpfad durch den Schilfgürtel am Ufer. Sie kam zur Hütte. Davor ragte ein Steg weit ins Wasser hinaus. Petra ließ ihren Rucksack von den Schultern gleiten. Sie zog sich aus und stieg ins Wasser. Es war kalt. Zuerst lief ihr ein Schauer durch den Körper, doch dann erfüllte sie ein wohliges Gefühl. Sie schwamm in die Mitte des Teichs und drehte dort ihre Runden.

Plötzlich hört sie ein Klatschen. Erschrocken drehte sie sich um, schwamm auf dem Rücken weiter und suchte das Ufer ab. Dann sah sie, dass jemand auf sie zu schwamm.

Petra wendete und kraulte auf die Person zu.

»Grüß Gott«, sagte er und schwamm neben ihr her.

Im Mondlicht erkannte Petra einen jungen Mann.

»Habe ich dich erschreckt?«, fragte er und fügte hinzu. »Es gibt nicht viele Wassernixen hier. Da dachte ich mir, jetzt habe ich Gelegenheit, eine aus der Nähe zu betrachten.«

Petra antwortete nicht. Sie schwamm mit kräftigen Zügen weiter und erreichte bald mit einem erheblichen Vorsprung den Steg. Der junge Mann kam ihr nach.

»Ich darf mich vorstellen. Ich bin Kai.«

»Petra! Mensch, keine Wassernixe!«

Sie lachten beide.

»Kannst du dich umdrehen, Kai? Ich möchte aus dem Wasser. So erfrischend es auch ist, auf die Dauer ist es doch etwas kalt.«

»Oh, ja«, hauchte Kai und warf einen Blick auf Petras Kleider auf dem Steg.

»Warte, ich hole dir ein Badetuch.«

Mit kräftigem Schwung hievte sich Kai aus dem Wasser. Er hatte einen gutgebauten Körper und trug nur eine knappe Badehose. Seine nasse Haut schimmerte im Mondlicht, als er davoneilte. Petra konnte die Augen nicht von ihm lösen.

Es dauerte nur einen Augenblick. Dann kam er zurück. Er trug einen knielangen Bademantel und legte einen zweiten Bademantel und ein Handtuch auf den Steg.

»Hier, bediene dich! Ich gehe in die Hütte und mache uns Tee. Kannst dich unbeobachtet fühlen. Ich bin ein Gentleman und weiß, was sich gehört.«

Er drehte sich um und ging davon. Petra sah, wie drinnen in der Hütte das Licht anging und die Vorhänge zugezogen wurden.

Er ist sehr rücksichtsvoll, dachte sie. Sie stieg aus dem Wasser, hängte sich den Bademantel um und trocknete sich ab. Dann zog sie sich schnell an. Sie rubbelte mit dem Handtuch ihr Haar und kämmte es mit den Fingern. Dann nahm sie den Rucksack und ging auf die Hütte zu. Die Tür war an der Giebelwand, die nicht auf den See zeigte. Petra trat durch die offene Tür ein.

»Vielen Dank für den Bademantel und das Handtuch!«

»Gern geschehen!«

Petra sah sich um. Die Hütte sah bewohnt aus.

»Du wohnst hier? Ich dachte, die Hütte sei leer«, bemerkte Petra.

»Ich wohne noch nicht lange hier. Ich bin ein Jugendfreund von Juan, vielmehr von Hannes, wie er sich jetzt nennt. Kennst du Hannes und Luise?«

»Ja, ich kenne sie. Meine Eltern besitzen ein Gestüt. Deshalb war ich schon öfters hier, entweder allein und oder mit meinen Eltern. Wir haben uns die Deckhengste angesehen. Das will ich jetzt wieder tun. Ich bin etwas eigensinnig, was die Zucht angeht. Das kann nicht jeder verstehen. Nebenbei will ich noch Urlaub in den Bergen machen.«

»Oh, dann bist du Petra Jungdorf«, bemerkte Kai.

»Ja, woher weißt du?«

Petra sah Kai mit großen Augen an. Er lachte. Auf seinen Wangen wurden Grübchen sichtbar. Sein Anblick ließ Petras Herz schneller schlagen. Seine Nähe, seine Art und sein Aussehen machten sie unruhig. So etwas war ihr noch nie passiert. Es packte sie einfach und es fühlte sich genauso an, wie sie es sich in ihren Träumen vorgestellt hatte.

»Setz dich, mach es dir bequem, fühl dich wie zuhause!«, sagte er lächelnd und seine Augen strahlten sie dabei an. Er sagte weiter: »Ich saß gestern Abend noch mit Hannes und Luise zusammen, als dein Besuch angekündigt wurde. Ich glaube, es waren deine Eltern.«

»Wie peinlich«, stöhnte Petra.

»Das muss dir nicht peinlich sein, ganz im Gegenteil. Da die Vorsehung es so gewollt hat, dass ich dir als erster begegne, muss ich dir die Nachricht überbringen.«

»Welche Nachricht?«, stieß Petra hervor.

»›Sonnenschein‹ ist extrem unruhig, erzählte dein Vater Hannes am Telefon.«

»Ich hätte sie doch mitnehmen sollen. Ich hätte es wissen müssen«, sagte Petra. Sie stand auf. »Ich muss leider gehen. Wir können ein anderes Mal Tee trinken«, leise fügte sie hinzu, »wenn du willst. Ich fahre jetzt zurück und hole ›Sonnenschein‹. Sie mag zwar den kleinen Pferdeanhänger nicht, aber sie wird sich damit abfinden. Sie muss gespürt haben, dass …« Petra brach den Satz ab und blickte einen Augenblick auf ihre Stiefelspitzen. Dann räusperte sie sich. »Ich habe ›Sonnenschein‹ mit der Flasche auf­gezogen. Damals kampierte ich wochenlang bei ihr in der Box.«

»Du hast eine gute Hand für Pferde. Das haben mir Hannes und Luise schon erzählt. Nun setz dich wieder hin! Auf fünf Minuten kommt es nicht an. Wir trinken zusammen schnell eine Tasse Tee. Dann nehmen wir den großen Pferdetransporter und holen deine Stute. Darin ist es sicherlich bequemer als in einem kleinen Hänger.«

Petra sah ihn überrascht an. Kai lächelte.

»Schau nicht so verwundert. Pferdenarren müssen doch zusammenhalten, oder?«

Er stellte Petra einen Becher heißen Tee hin und setzte sich auf die andere Seite des Tisches.

»Ich bin auch ein Pferdenarr! Ich habe genau wie Hannes viele Geschwister. Wir sind alle zusammen aufgewachsen. Das war in Argentinien, wie du sicher weißt. Es war fast so, als gäbe es nur eine einzige, große Familie. Mit Hannes war ich besonders eng verbunden. Ich schäme mich nicht, zu sagen, er ist wie ein Bruder für mich und ich habe ihn sehr vermisst, seit er fort ist. Wir hatten alle gedacht, er angelt sich ein Madl und bringt sie heim nach Argentinien. Er hat zwar die Liebe seines Lebens gefunden, aber er blieb lieber hier. Also, dachte ich mir, ich besuche ihn. Ich will den ganzen Sommer hierbleiben und Hannes und Luise mit den Pferden helfen. Ich kann auch nicht ohne den täglichen Kontakt mit Pferden sein. Da fehlt mir etwas. Damit mich niemand stört, wohne ich hier in der Hütte. Ich leide noch unter Jetlag, musst du wissen. Deshalb konnte ich nicht schlafen. So habe ich dich kommen gehört. Ich hoffe, ich habe dich nicht sehr erschreckt?«

Petra wusste nicht, was sie sagen sollte. Sicher war sie etwas erschrocken, denn sie wähnte sich allein im Teich. Aber nachdem sie ihn gesehen hatte, wurde alles anders. Nichts war mehr, wie es war. Ihr Leben war dabei, sich zu verändern. Sie spürte, dass es gut war und sie sich nicht dagegen wehren sollte.

Petra nippte am Tee. Kai sah sie erwartungsvoll an. Er wartete noch immer auf eine Antwort. Sie lächelte. Eine zarte Röte stieg ihr in die Wangen.

»Ich bin nicht so schreckhaft«, sagte sie leise. »Außerdem ist es mir nicht unangenehm, dich getroffen zu haben. Könnte ich sonst um diese Zeit einen schönen Tee genießen? Danke für die Einladung.«

»Gern geschehen!«

Sie sahen sich an und beide spürten, dass ihr Zusammentreffen eine schicksalshafte Veränderung in ihrem Leben war. Doch sie waren noch scheu. Besonders Kai hielt sich zurück. Dabei war ihm anzusehen, wie gut ihm Petra gefiel. Seine Augen strahlten, während er sie ansah, wie sie nur leuchten können, wenn das Herz beteiligt ist.

Petra musste ihn einfach ansehen. Er brachte durch sein Aussehen und seine natürliche und unkomplizierte Art etwas in ihrem Herzen in Schwingung. Sie dachte, so muss es sein, wenn der Himmel sich vor Glück rosarot und himmelblau färbt. Ihr Herz raste. Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Sie suchte nach einer Möglichkeit, in seiner Nähe bleiben zu können. Wie wunderbar wäre es, mit ihm auszureiten und in den Bergen zu wandern. Ihr Herz flüsterte mit jedem Herzschlag seinen Namen, Kai – Kai – Kai.

Kai trank auch seinen Tee. Er sah sie dabei an und schwieg. Es waren aber nur seine Lippen, die schwiegen. Sein Blick erzählte ihr von Zuneigung und noch viel mehr.

Kai stand auf und holte einen Zettel.

»Ich schreibe Hannes und Luise einige Zeilen, damit sie wissen, ich bin mit dir unterwegs. Bis zum Mittag sind wir wieder zurück, denke ich. Dann muss ich mit dem Pferdetransporter in der Nähe von Nürnberg zwei Jungstuten abholen, die Hannes und Luise gekauft haben. Ich bin ohnehin hier auf dem Gestüt für die Pferdetransporte zuständig. Die beiden meinten, dann sähe ich gleich etwas von der Gegend und lerne auch andere Gestüte kennen.«

»Wunderbar! Lass uns losfahren. Dann haben wir genug Zeit und ich kann dir unser Gestüt zeigen.«

Sie tranken aus und gingen den Pfad entlang. Kai befestigte den Zettel mit einer Reißzwecke an der Haustür. Augenblicke später rollte der große Pferdetransporter vom Hof.

»Auf deinen ›Sonnenschein‹ bin ich neugierig. Erzähle mir doch von ihm«, sagte Kai.

Petra freute sich darüber. Sie wusste, dass er nicht nur fragte, um die Zeit während der Autofahrt zu überbrücken, sondern aus echtem Interesse.

»›Sonnenschein‹ war ein sehr kräftiges Fohlen. Es war eine schwierige Geburt und die Stute lehnte das Fohlen ab. Also mussten wir die beiden trennen. Ich war vor drei Jahren in den Semesterferien daheim und übernahm die Aufzucht. ›Sonnenschein‹ ist eine wunderschöne Stute. Sie ist sehr feinfühlig. Manchmal kommt es mir vor, als könnte sie spüren, was mich bewegt. Wenn wir ausreiten und ich Gedanken nachhänge, wenn mich irgendetwas sehr beschäftigt, dann geht sie ganz ruhig. Wenn ich fröhlich bin, dann ist sie auch fröhlich und übermütig. Sie galoppiert dann über die Wiesen, als wollte sie abheben.«

»Ich verstehe genau, was du meinst, Petra. Jedem kannst du so etwas nicht erzählen. Die Menschen, die keine Ahnung von Pferden haben oder von Tieren überhaupt, die würden es nicht verstehen.«

»Das stimmt! Für mich gibt es eigentlich nur zwei Arten von Menschen, diejenigen, die Pferde mögen und den Rest der Menschheit.«

»Da habe ich aber Glück, dass ich nicht zum Rest der Menschheit gehöre«, lachte Kai, »sonst hätte ich schlechte Karten bei dir.«

»Das wäre möglich, aber es gibt immer Ausnahmen.«

»Richtig! Wie heißt es? ›Ausnahmen bestätigen die Regel‹, so sagt man doch. Ich spreche zwar ganz gut Deutsch, denn meine Mutter kommt aus Deutschland, aber mit jedem Tag, den ich hier bin, muss ich erkennen, wie beschränkt mein Wortschatz ist.«

»Das ist mir noch nicht aufgefallen, Kai. Du sprichst ohne Akzent.«

»Oh, danke für das Kompliment. Aber glaube mir, die anderen Pferdepfleger verstehe ich kaum. Sie sprechen meistens Dialekt und dann wird es kompliziert für mich.«

»Das wird schon! Ich habe Sprachen studiert und weiß, dass man jede Fremdsprache lernen kann. Aber die Muttersprache ist eben die Muttersprache.«

»Das stimmt, meine eigentliche Muttersprache ist Spanisch. Meine Mutter hat mir dazu noch ihre Sprache vermittelt, das ist Deutsch. Meine Großmutter ist Italienerin und mein Großvater kommt aus Brasilien und spricht Portugiesisch. Es gibt oft ein ganz schönes Kauderwelsch bei uns daheim.«

»Ihr solltet alle ›Esperanto‹ lernen, dann hättet ihr etwas gemeinsam.«

»Gute Idee, wenn ich wieder daheim bin, werde ich deinen Vorschlag unterbreiten. Das wäre wirklich praktisch. Zwei meiner Schwestern sind verheiratet, eine mit einem Franzosen und eine mit einem Holländer. Zwei meiner Brüder sind ebenfalls verheiratet. Der Ältere hat eine Frau aus Griechenland und der Jüngere eine rotblonde Irin geheiratet. Außerdem gibt es eine Tante aus Japan, einen Onkel aus Neuseeland und noch einen Onkel aus Russland. Die Tante aus Finnland darf ich nicht vergessen.«

Petra lachte.

»Das klingt, als sei deine Familie ein Abbild der Vereinten Nationen.«

»Das kann man so sehen. Entsprechend lebhaft geht es bei uns zu. Nur wenn es um Pferde geht, sind sich alle einig. Das ist das Band, das alle zusammenhält.«

»Wie wunderbar«, seufzte Petra. »Bei meinen Eltern ist es auch so. Sie haben sich ganz jung auf einer Pferdeauktion kennengelernt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Beide waren gerade volljährig geworden. Die Auktion dauerte drei Tage. Am vierten Tag hatte mein Großvater den Pferdeanhänger nicht nur voll mit neuen Pferden, sondern mein Vater hatte meine Mutter im Arm. Sie heirateten bereits vier Wochen später. Sie sind sehr glücklich geworden.«

»Das ist eine wunderbare Geschichte. Sie sind zu beneiden.«

»Ja, das sind sie. Sie sind mein Vorbild. Sie ergänzen sich wundervoll.«

Kai schwieg einen Augenblick. Da sagte er:

»Für mich und für viele Menschen ist es eine grundsätzliche Frage. Die einen sagen, dass sich Gegensätze anziehen und sich dann ergänzen. Die andere Theorie besagt, es sei umso besser, je mehr gemeinsame Interessen ein Paar hat. Wie denkst du darüber?«

Petra zuckte mit den Schultern.

»Darüber habe ich auch schon oft nachgedacht. Es trifft wohl irgendwie beides zu. Vielleicht muss es eine Mischung sein, denke ich mir.«

»So denke ich auch. Aber die richtige Mischung zu finden, ist nicht einfach.«

Petra stieß unbewusst einen Seufzer aus.

Sie warfen sich einen kurzen Blick zu.

»Wir sollten das Thema wechseln«, sagte Petra.

»Ganz wie du willst. Ich wollte dich nicht in Bedrängnis bringen. Es hat sich einfach so ergeben. Bitte entschuldige!«

»Du musst dich nicht entschuldigen. Keiner kann in den Kopf des andern sehen und wissen, welche Gedanken er sich gerade macht. Ob Verschiedenheit oder Gemeinsamkeit für ein Paar besser ist, dieses Thema beschäftigt mich im Augenblick sehr. Du kannst nichts dafür, dass du ins Schwarze getroffen hast.«

Petra schaute eine Weile aus dem Fenster.

Dabei lauschte sie auf die Gefühle in ihrem Herzen. Ihr Herz riet ihr, mit Kai zu sprechen. Also nahm sie das Gespräch wieder auf.

»Kai, ich will ehrlich sein. Ich bin nicht nur hier, weil ich Hannes und Luise besuchen und mir Hengste ansehen wollte. Ich bin vor allem hier, um Abstand zu gewinnen und einen Neuanfang zu starten. Dafür musste ich von zuhause weg.«

»Es geht dabei um einen Mann, nehme ich an?«

Petra nickte.

»Oh, dann haben wir eine weitere Gemeinsamkeit«, fuhr Kai fort. »Bei mir ist es ähnlich. Ich geriet immer mehr unter Druck und dachte, es ist gut, wenn ich eine Weile weit fortgehe. Ich wollte möglichst viele Kilometer zwischen mich und Anita bringen. Sie wollte mich einfangen. Am Ende sah ich keine andere Möglichkeit mehr, als mich ins nächste Flugzeug zu stürzen.«

»Klingt dramatisch!«

»Es war auch dramatisch. Sie hängt an mir wie eine Klette. Wir kennen uns seit der Kindheit und gehören einem großen Freundeskreis an. Es gab einige Ehen, die daraus hervorgingen, gerade in letzter Zeit. Anita hat sich in den Kopf gesetzt, dass sie und ich das nächste Paar sein müssen.«

Er lächelte.

»Frauen können raffiniert sein. Ich will dich damit nicht kränken.«

»Das tust du nicht. Wenn du willst, kannst du mir von Anita erzählen.«

»Das ist schnell gesagt. Sie ist die einzige Tochter reicher Eltern, sehr gebildet, Karrierefrau mit extremen Ehrgeiz, alles muss nach ihrem Kopf gehen. Sie ist sehr schön und versteht es, sich in Szene zu setzen. Überall ist sie der Mittelpunkt. Sie hat versucht, mich zu manipulieren. Es gibt Frauen, die angeln sich einen Mann und erziehen ihn dann nach ihren Vorstellungen um. Du weißt, was ich damit sagen will?«

»Ungefähr! Ich finde es auf jeden Fall falsch. Jeder Mensch ist eine Persönlichkeit. Keiner hat das Recht, vom andern die Aufgabe seiner Persönlichkeit zu verlangen. Entweder man liebt einen Menschen, so wie er ist, oder man lässt es.«

»Das hast du treffend gesagt, Petra. Entweder man liebt ihn, mit seinen Ecken und Kanten, oder man liebt ihn nicht. Weißt du, ich bin nun einmal kein Anzug-Typ. Ich fühle mich in Jeans und Reitstiefel wohler.«

Petra lachte.

»Der Begriff ›Anzug-Typ‹ gefällt mir.«

»Freut mich, dass du auch so denkst. Die meisten Frauen wollen aber Anzug-Typen.«

Petra spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Schnell drehte sie sich zur Seite und sah aus dem Fenster.

»Nicht alle, Kai, nicht alle«, sagte sie leise.

Es entstand eine peinliche Stille zwischen ihnen. Sie kannten sich erst wenige Stunden, nicht einmal einen halben Tag. Trotzdem sprachen sie über Themen, die wichtig im Leben waren und beide tief bewegten.

Petra hörte in sich hinein. Dort war das Gefühl, dass sie Kai vertrauen konnte.

»Unser Leben ähnelt sich irgendwie, Kai. Glaubst du an Zufälle oder an Schicksal?«

»Ich glaube an etwas, das sich unserem Verstand entzieht und es gut mit uns meint. Die einen nennen es Schicksal und andere göttliche Fügung. Warum willst du das wissen?«

Petra musste doch noch einige innere Widerstände überwinden. Dann erzählte sie.

»Er heißt Ulf. Wir kennen uns seit unserer Kindheit. Er hat Jura studiert, den Doktor gemacht und eröffnet jetzt in München eine eigene Kanzlei. Er hat mir …« Petra schaute auf ihre Uhr, »er hat mir vor etwas mehr als vierundzwanzig Stunden einen Ring unter die Nase gehalten und gesagt, dass er mich heiraten will. Wir hatten uns vorher nie im Arm gehalten und uns nie geküsst. Wir waren nie verliebt, wir waren befreundet. Dann behauptet er aus heiterem Himmel, er liebt mich. Er sprach von seinem Lebensplan, in den ich gut hineinpasse.«

»Lass mich raten. Er ist ein Anzug-Typ.«

»Ja, das ist er. Ich will aber nicht alle Anzug-Typen verurteilen. Nach diesem Ereignis dachte ich mir, es sei gut, wenn ich verreise. Ich bat um Bedenkzeit.«

»Das war gut«, bemerkte Kai.

»Jetzt denke ich, dass es unnötig war. Ich habe ihn nur um Bedenkzeit gebeten, weil ich ihn nicht verletzen wollte. Er war mir ein guter Freund.«

»Es ist schwer, einem guten Freund zu sagen, dass da nicht mehr ist als Freundschaft. Es kann durchaus sein, dass du ihn auch als Freund verlierst.«

»Das stimmt, Kai. Das ist ein Risiko. Aber dann war er vielleicht gar kein richtiger Freund oder nur ein Freund für eine bestimmte Zeit. Freundschaften können sich ändern.«

»Das stimmt. Menschen verändern sich im Laufe ihres Lebens. Deshalb finde ich es so wichtig, dass man sich den Partner genau ansieht, mit dem man alt werden will. Die Liebe muss so groß sein, dass es keinen Zweifel gibt, man wird den anderen immer lieben, ganz gleich wie er sich verändert.«

»Das stimmt. Doch wie findet man das heraus? Seit gestern Nacht frage ich mich, ob ich mit Pferden besser zurechtkomme als mit Menschen, genauer gesagt, mit Männern.«

Kai lachte laut.

»Pferde sind ehrlicher. Sie zeigen dir ihre Zuneigung oder Ablehnung ganz offen.«

»Das ist besonders dann wahr, wenn man ihnen zugesteht, so sein zu dürfen, wie sie sind und man sie nach ihrer Persönlichkeit behandelt.« Petra lächelte. »Ich bin gespannt, wie dir ›Sonnenschein‹ gefällt.«

»Das weiß ich jetzt schon. Sie wird mir gefallen. Da sie dein Pferd ist, wird sie eine wunderbarer Ausstrahlung haben.«

Petra errötete.

»Danke für die Lorbeeren!«

»Ich habe es genauso gemeint, wie ich es gesagt habe. Ich bin froh, dich getroffen zu haben. War es nicht das Schicksal, das dich zum Teich führte, damit wir uns begegnen konnten? Ich sage Schicksal, weil mir kein anderes Wort dafür einfällt.«

»Das war es wohl, Kai.«

»Machen wir das Beste daraus.«

»Dafür gibt es viele Möglichkeiten«, sagte Petra leise.

Sie warf ihm einen Seitenblick zu. Er sah ihre strahlenden Augen, die voller Hoffnung waren, und ihre geröteten Wangen.

Die Fahrt verging wie im Fluge. Bald hielten sie auf dem Hof des Gestüts und Reiterhofs Jungdorf.

»Hörst du sie?«, fragte Petra. »Sie hat mich gehört und gespürt, dass ich hier bin.«

Aus der offenen Stalltür drang ein lautes Wiehern. Petra lief los.

»›Sonnenschein‹, da bin ich!«, rief sie.

Petra öffnete die Box und blieb stehen. ›Sonnenschein‹ kam auf sie zu und vergrub die Pferdenase in Petras Haaren. Petra streichelte sie und flüsterte ihr zu. Kai stand in der Nähe und sah zu. Es war ein wunderschönes Bild, das sich ihm bot.

»Junger Mann, was tun Sie hier im Stall?«

Es war Petras Vater.

Petra lachte laut und rief ihrem Vater zu:

»Brüll ihn nicht so an! Das ist Kai. Er hat mich hergefahren, damit ich ›Sonnenschein‹ holen kann. Wir bleiben auch nicht lange. Sag Mama, sie soll Kaffee machen. Wir bringen ›Sonnenschein‹ noch für eine halbe Stunde auf die Koppel.«

Petra ging hinaus. ›Sonnenschein‹ folgte ihr.

Petras Vater ging auf Kai zu. Er streckte ihm die Hand entgegen.

»Joachim Jungdorf! Tut mir leid, dass ich Sie so angeschrien habe. Aber ich dulde keine Fremden bei den Pferden.«

»Kai! Ich bin ein Jugendfreund von Hannes und zurzeit bei ihm zu Besuch. Sie haben recht, Herr Jungdorf, es gibt viele Neider und man muss die Pferde behüten. Ihr Gestüt hat seit Jahr für Jahr ungewöhnliche Zuchterfolge und viele Champions hervorgebracht. Sogar bei uns in Argentinien spricht man von Ihnen. Es kommt immer wieder vor, dass sich Fremde in die Ställe der Konkurrenz einschleichen und den Pferden schaden, indem sie ihnen heimlich irgendwelche Substanzen verabreichen. Ihr Gestüt gehört zur Weltspitze. Sie haben einen Ruf zu verteidigen und müssen ihre Pferde vor fremdem Zugriff bewahren.«

»Oh, das freut mich, dass Ihnen die Pferde gefallen. Es steckt viel Arbeit drin und viel Liebe zu den Pferden. Ihren Worten entnehme ich, dass sie vom Fach sind.«

»Ich würde mich freuen, wenn ich mich umschauen dürfte. Ich gestehe ihnen, ich bin vom Fach. Ich bin mit Pferden groß geworden und schlafe heute noch lieber im Stall als im Bett«, lachte Kai.

»Sie dürfen sich gerne umsehen. Petra wird Ihnen alles zeigen.«

Petra kam von der Koppel zurück. Gemeinsam gingen sie ins Haus. Bald saßen sie in der Küche bei Kaffee und Kuchen. Petras Eltern sahen, dass Petra viel gelöster und fröhlicher aussah und die Augen nicht von Kai lassen konnte.

»Ich hätte ›Sonnenschein‹ gleich mitnehmen sollen«, sagte Petra.

»Das wäre schade gewesen, Petra. Dann wäre ich nie hierhergekommen und wir hätten uns auf der Fahrt nicht so wunderbar unterhalten.«

»Das stimmt allerdings auch«, sagte Petra. »So gesehen hat alles wohl seinen Sinn. Fast könnte man behaupten, dass ›Sonnenschein‹ schuld ist, dass wir uns so gut unterhalten haben.«

Das Telefon läutete. Petras Vater stand auf und schaute auf das Display.

»Es wird keine Nummer angezeigt. Ich vermute, es ist schon wieder Ulf. Er ruft ständig an und nervt.«

Das Telefon läutete und läutete. Die Eltern warfen sich Blicke zu. Es war ihnen peinlich in der Gegenwart von Kai darüber zu sprechen. Als könnte Petra ihre Gedanken lesen, sagte sie:

»Ich habe Kai von Ulf erzählt. Ihr müsst euch keinen Zwang auferlegen. Aber seht ihr, dass ich recht hatte, Urlaub zu machen.«

Das Telefon verstummte. Aber nur für Sekunden, dann läutete es wieder.

»Petra, sprich du noch einmal mit ihm, vielleicht gibt er dann Ruhe«, bat sie ihre Mutter. »Das geht schon seit Stunden so.«

Petra trank einen Schluck Kaffee und stand auf. Sie nahm den Hörer ab und drückte die Taste ›Lautsprecher‹.

»Ich bin’s!«

»Habe ich es doch gewusst, dass du daheim bist! Mir ist klargeworden, ich habe dich überrumpelt, Petra. Lass uns noch einmal reden.«

»Ulf, ich habe dir gesagt, dass ich Zeit brauche. Du gibst jetzt Ruhe und hörst auf, meine Eltern zu nerven! Ich war fort und gehe auch gleich wieder. Am Telefon bin ich auch nur, weil ich gekommen bin, ›Sonnenschein‹ zu holen.«

»Petra, wir werden ein wunderschönes Leben haben.«

»Stopp, stopp! Ulf, halte jetzt kein Plädoyer. Ich habe dir gesagt, was ich zu sagen habe.«

Ulf ließ nicht locker. Petra verabschiedete sich knapp und legte auf. Es dauerte nicht lange, dann läutete das Telefon wieder. Es war wieder Ulf.

Kai schüttelte den Kopf.

»Ich will mich nicht in deine Angelegenheiten einmischen. Der Typ muss krank sein«, bemerkte Kai. »Weiß er nicht, wie er sich gegenüber einer Frau zu benehmen hat? Zumal er sie angeblich liebt?« Kai legte die Hand auf Petras Hand, die neben ihm am Tisch saß. Er sah sie an. »Soll ich ihm einige deutliche Worte sagen? Ich garantiere dir, dass er danach Ruhe gibt.«

»Junger Mann, uns ist alles recht«, sagte Elke Jungdorf. »Wir haben alles versucht. Wir haben auch schon mit Ulfs Eltern telefoniert. Er lässt einfach nicht locker.«

Kai sah Petra an. Sie nickte ihm zu.

»Du scheinst dich ganz allgemein zu meinem Retter zu entwickeln«, sagte sie leise.

»Hast du etwas dagegen?«

»Nein, wie könnte ich! Ich bin froh, dass du da bist«, flüsterte sie leise und errötete tief.

Sie sahen sich in die Augen und spürten, was jeder für den anderen empfand.

Kai stand auf und nahm den Hörer ab.

»Petra, bist du es? Ich liebe dich! Ich komme zu dir! Wir müssen noch einmal reden«, schallte es aus dem Lautsprecher.

»Hören Sie, ich weiß nicht, wie Sie mit Nachnamen heißen, also spreche ich Sie mit Ulf an. Ich bin Kai. Petra hat mich gebeten, mit Ihnen zu reden. Sie verbietet sich jede Belästigung. Sie respektieren jetzt Petras Wunsch, sonst werde ich Maßnahmen ergreifen. Petra steht unter meinen Schutz. Wenn sie Sie weder sehen, noch hören will, dann haben Sie dem nachzukommen. Sollten Sie das nicht machen, dann buche ich sofort zwei Tickets und fliege mit Petra nach Argentinien, meiner Heimat. Und sollten Sie herausfinden, wo wir uns dort aufhalten, kann ich Sie nur warnen. Sie haben es dann nämlich nicht mehr nur mit mir zu tun, sondern mit meiner ganzen Familie, allen Verwandten und Freunden. Wir sind sehr empfindlich, wenn man Frauen nicht respektiert. Haben Sie mich verstanden?«

Ulf musste es für einen Augenblick die Sprache verschlagen haben, denn es dauerte eine Weile, bis er ins Telefon brüllte.

»Petra, wer ist dieser Kerl?«

Petra stand auf und nahm Kai den Hörer aus der Hand.

»Kai ist ein Gentleman, was man von dir nicht sagen kann. Er behandelt mich mit Respekt. Mit ihm kann ich über alles reden, worüber ich mit dir nicht reden kann. Ich habe dir gesagt, ich brauche Zeit. Also übe dich in Geduld! Du bist kein sonderlich geduldiger Mensch, aber jetzt musst du es lernen. Guten Tag, Kai!«

»Petra, ich liebe dich! Ich verzehre mich nach dir«, säuselte Ulf.

In diesem Augenblick geschah etwas in Petras Herzen. Sie erkannte, dass dort kein Platz für Ulf war und niemals sein würde. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und hielt den Telefonhörer mit beiden Händen fest, als würde er ihr Halt geben.

Dann sagte sie:

»Ulf, ich liebe dich nicht und werde dich niemals lieben. Du bist nicht der Typ Mann, der mir als Ehemann gefällt. Ich habe andere Vorstellungen. Wenn du ehrlich bist, dann musst du einsehen, dass auf meiner Seite nie mehr als Freundschaft war. Ich habe nie etwas getan oder gesagt, das dich dazu berechtigen könnte, anzunehmen, ich würde stärkere Gefühle für dich hegen. Da du das aber offensichtlich nicht begreifst, ist es besser, wir beenden auch unsere Freundschaft. Ich wünsche dir für die Zukunft alles Gute, Ulf.«

Petra legte auf.

Sie schloss die Augen. Kai stand neben ihr.

Er nahm sie einfach in die Arme und hielt sie fest. Sie legte den Kopf an seine Schulter und wünschte sich, die Zeit stünde still. Er streichelte ihr über das Haar.

»Er ist es nicht wert, Petra. Er will dich besitzen. Liebe und Besitz, das geht nicht zusammen«, flüsterte er.

Petra wischte sich Tränen aus den Augenwinkeln.

»Es ist hart, wenn eine lebenslange Freundschaft auf diese Weise zu Ende geht. Dabei wollte ich ehrlich nachdenken, um dann in aller Ruhe mit ihm zu sprechen.«

»Er wird dich jetzt in Ruhe lassen«, sagte Kai.

»Das hoffen wir«, stimmte Petras Vater zu.

Er warf seiner Frau einen wissenden Blick zu. Sie wurden Zeuge, wie ein festes Band zwischen zwei Herzen wuchs.

Kai lächelte Petra an.

»Willst du mir noch das Gestüt zeigen? Ich muss bald fahren. Kommst du mit oder willst du hierbleiben?«

»Wir kommen mit, ›Sonnenschein‹ und ich!«

Petra strahlte. Sie griff nach Kais Hand und führte ihn hinaus.

»Sie mögen sich«, sagte Joachim. »Was denkst du, Elke?«

»Ja, es schaut so aus. Kai würde für Petra alles tun, den Eindruck vermittelt er mir. Weißt du mehr über ihn?«

»Elke, woher sollte ich etwas wissen? Ich weiß nur, dass er Pferde mag und mit Pferden aufgewachsen ist.«

»Und das, mein lieber Achim, ist ein vorzüglicher Anfang.«

Elke und Joachim sahen aus dem Küchenfenster. Drüben bei der Koppel standen Petra und Kai am Zaun und redeten. Sie standen ganz dicht beieinander und lachten. Selbst auf die Entfernung sahen Petras Eltern, wie wunderbar sie sich verstanden.

Es dauerte nicht lange, dann kamen Petra und Kai vom Rundgang zurück.

»Das Gestüt ist herrlich, Herr Jungdorf. Es war mir eine Ehre, das alles sehen zu dürfen. In den Zuchtzeitschriften habe ich viel über ihre Stuten gelesen. Aber wenn man sie sieht, ist das noch einmal etwas ganz anderes. Schade, dass ich nicht mehr Zeit habe. Aber ich habe Hannes mein Wort gegeben, heute für ihn die Jungstuten zu holen.«

»Das freut uns, dass es Ihnen bei uns gefällt. Sie können uns jederzeit besuchen. Es würde mich freuen, mit jemandem aus Argentinien zu fachsimplen. Dort gibt es Gestüte, die mich sehr interessieren. Vielleicht kennen Sie sie und können mir einiges über sie erzählen.«

»Vater, ich werde Kai bestimmt noch einmal herbringen, das verspreche ich. Aber jetzt müssen wir gehen.«

Sie gingen zusammen zum Pferdetransporter.

Während Petra ›Sonnenschein‹ von der Weide holte, sprach Joachim mit Kai.

»Ich bin besonders an dem Gestüt ›Miguel‹ interessiert. Davon hört man nur Gutes. Kennen sie es? Wie sind die Pferde so?«

Kai drehte sich schnell um und öffnete den Pferdetransporter, denn Petra kam mit ›Sonnenschein‹. Währenddessen sagte Kai und versuchte dabei seiner Stimme einen unverfänglichen Klang zu geben.

»Das Gestüt ›Miguel‹ ist mir sehr gut bekannt. Ich kenne eine Menge Leute, die dort arbeiten. Ich selbst habe dort auch schon gearbeitet. Wenn wir uns das nächste Mal sehen, kann ich Ihnen gern davon erzählen.«

Petra führte ›Sonnenschein‹ in den Transporter. Kai half ihr, die Tür zu schließen.

»Mama, Papa! Bis bald!«, sagte Petra und umarmte ihre Eltern.

Kai reichte Petras Eltern die Hand.

»Es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen. Sie haben ein wunderschönes Gestüt. Machen Sie sich keine Sorgen, ich werde Petra beschützen, wenn sie es wünscht«, sagte Kai mit einem Seitenblick zu Petra.

»Du hast dich ja schon zu meinen persönlichen Bodyguard gemacht, Kai. Ich müsste ganz schön dumm sein, wenn ich das ablehnen würde.«

Sie lachten alle.

Petra und Kai stiegen ein und fuhren davon. Sie winkten aus dem Fenster.

»Die beiden würden ein schönes Paar abgeben, Elke. Meinst du nicht auch?«

»Ja, das würden sie. Kai erinnert mich an dich, wie du damals warst. Er ist ein Pferdenarr. So einen braucht unsere Petra. Hoffentlich weiß sie, was sie tun muss. Allerdings bin ich nicht so glücklich bei dem Gedanken, dass sie mit ihm nach Argentinien gehen würde.«

Joachim legte den Arm um seine Frau.

»Sicher würde es mich auch schmerzen. Noch ist nichts geschehen, Elke. Das war von Kai doch nur so dahergeredet.«

»Das glaubst auch nur du, Achim. Da tut sich etwas zwischen den beiden. Aber mir ist es lieber, Petra ist in Argentinien glücklich, als in München unglücklich.«

»Das stimmt, Elke. Lassen wir den Dingen und den Gefühlen ihren Lauf. Petra wird sich entscheiden müssen. Es ist ihr Leben. Ich bin mir sicher, ihr Herz wird ihr den richtigen Weg zeigen.«

Sie gingen wieder an die Arbeit. Joachim erwartete den Hufschmied. Elke zog sich um und ging in Reiterhosen zu den Koppeln, auf dem die Reitpferde standen. Dort warteten schon einige Frauen aus der Stadt, die Reitunterricht nahmen.

*

Als Petra und Kai auf dem Grasser Gestüt eintrafen, waren Hannes und Luise nicht da. Luises Vater begrüßte Petra. Er stand beim Pferdetransporter und sah zu, wie Petra ›Sonnenschein‹ herausführte.

»So, das ist also die Wunderstute«, sagte er. »Man sieht gleich, dass sie etwas Besonderes ist. Du willst mit ihr züchten?«

»Ja, das will ich. Sie wird der Grundstock meiner eigenen Zucht sein. Sie ist lammfromm und zeigt sehr viel Zuneigung. Ich denke, wenn alle ihre Nachkommen ihre Eigenschaften haben, dann geben sie wunderbare Reitpferde ab. Rennpferde und Turnierpferde gibt es genug. Ich würde gerne Pferde züchten, die anhänglich und genügsam sind und Leuten Freude machen, die abends nach Feierabend gern reiten. Pferde für Pferdenarren ohne sportliche Ansprüche, eben Pferdeliebhaber, die keine Trophäen horten wollen, sondern nur Pferde mögen. Dazu brauche ich einen Deckhengst, der zu ihr passt. Er sollte ebenfalls eine besondere Anhänglichkeit zu seinem Besitzer oder seiner Besitzerin zeigen.«

»Dann schau dich um. Wirst schon einen Passenden finden.«

»Herr Grasser, er muss vor allem ›Sonnenschein‹ gefallen und sie muss ihn an sich heranlassen. Sie wissen, wie ich denke. Die Natur weiß am besten, wer zusammenpasst.«

In diesem Augenblick zerriss ein lautes Wiehern die Luft, gefolgt von menschlichen Schreien. Alle drehten sich um. Wotan, der Deckhengst, hatte mit einem Riesensprung die Koppelumzäunung übersprungen und raste auf den Hof zu. Alfred Grasser stellte sich ihm mit weit ausgebreiteten Armen entgegen. Wotan blieb stehen. Er wieherte kurz. Dann ließ er sich von ihm streicheln.

»Hast wohl das Pferdemädchen entdeckt, wie? Gefällt sie dir? Dann komm mal her. Ich mache dich mit ihr bekannt«, sagte Alfred Grasser leise.

Alfred Grasser, der Fred gerufen wurde, brachte Wotan zu ›Sonnenschein‹. ›Sonnenschein‹ blieb ganz ruhig stehen. Wotan tänzelte um die junge Stute herum. Dann rieben sie Köpfe und Hälse aneinander.

»Am besten, wir bringen die beiden auf die äußere Koppel. Dort können sie sich austoben.«

Petra und Grasser gingen nebeneinander her. Die Pferde folgten ihnen. Auf der Koppel rasten sie los, umkreisten sich gegenseitig. Es war offensichtlich, dass sie gut harmonierten.

Petra und Kai standen am Gatter.

»Welch ein wunderbarer Anblick!«, sagte Kai. »Wotan ist ein sehr eigenwilliger Charakter. Er hat nur enge Bindungen an Luise und ihren Vater. Vom Charakter her würden die beide gut zusammenpassen. Schau nur, wie er ›Sonnenschein‹ sein Interesse an ihr zeigt.«

»Ja, die beiden würde gut zusammenpassen. Lassen wir der Natur einfach ihren Lauf! Tiere haben es da einfacher als wir Menschen.«

»Das denke ich nicht, Petra. Auch bei uns Menschen ist es einfach. Wir machen es nur unnötig kompliziert. Es sind die gesellschaftlichen Regeln, die das Leben erschweren und uns daran hindern, spontan zu sein. Als Kinder waren wir doch alle herzerfrischend ehrlich und sagten gleich, wen wir mochten und wer uns nicht lag. Doch mit jedem Jahr des Älterwerdens wurden wir zurückhaltender. Wenn ich später einmal Kinder habe, dann werde ich ihnen sagen, dass sie immer ehrlich sein dürfen.«

»Das ist ein wunderschöner Gedanke.«

Kai schaute Petra in die Augen.

»Als Eltern soll man Vorbild sein. Ich bin noch kein Vater und auch noch kein Ehemann. Trotzdem werde ich jetzt den Mut aufbringen, ehrlich zu sein. Ich muss es einfach. Petra, ich bitte dich, mir nur einfach zuzuhören. Du musst nichts sagen. Du kannst in Ruhe darüber nachdenken.«

Petras Herz klopfte bis zum Hals. Ihre Hände klammerten sich fester um das Holz. Es war ihr, als versagten ihr gleich die Beine.

»Ich höre dir zu, Kai.«

»Petra, du gefällst mir! Ich habe dich gesehen und erkannte, du bist die Frau, die ich mir erträumte. Als ich dich sah, wusste ich noch nichts von dir, wusste nicht, dass du eine Pferdenärrin bist, dass …« Kai suchte nach Worten. Er lächelte und sprach weiter: »In meinem Herzen hast du eine Tür aufgestoßen und bist eingetreten. Dort sollst du für immer bleiben. Das ist meine große Hoffnung und mein innigster Wunsch.«

Petra sah ihn an. Sie öffnete die Lippen und wollte etwas sagen.

»Pst«, flüsterte Kai. »Ich will dich nicht bedrängen. Ich kann warten. Prüfe deine Gefühle. Wenn du dir sicher bist, dann sage es mir.«

Er streichelte ihre Wange. Sie griff nach seiner Hand und hielt sie auf ihrer Wange fest.

»Das fühlt sich gut an, Kai, einfach wunderbar«, hauchte Petra.

»So soll es auch sein«, sagte er leise.

Sie schauten sich an.

»Leider muss ich gehen. Du weißt, Hannes zählt auf mich. Sie sind sehr knapp mit dem Personal. Seit Luises Vater den Unfall hatte und am Stock geht, will er keinen Pferdetransporter mehr fahren.«

»Ich weiß.«

»Wartest du auf mich?«

»Ja, ich warte auf dich. Ich werde mich an den Teich legen, etwas schlafen und von dir träumen. Eigentlich wollte ich bald zur Berghütte hinauf. Aber jetzt ist ›Sonnenschein‹ hier und ich muss meine Pläne ändern.«

»Du kannst dich in der Hütte auch in mein Bett legen, wenn du möchtest«, sagte er ganz leise.

»Mal sehen«, flüsterte Petra.

»Bis später, meine wunderbare Pferdenärrin! Um ›Sonnenschein‹ musst du dir keine Sorgen machen. Schau, wie vergnügt die beiden sind. Denk an dich! Wenn du willst, machen wir später einen schönen Spaziergang oder reiten aus. Wir können in den nächsten Tagen eine Bergwanderung unternehmen. Ich werde mich beeilen, damit ich bald zurück bin.«

»Ich freue mich, Kai«, sagte Petra leise und sah ihn zärtlich an.

Dann ging er davon.

Petra stand noch eine Weile am Gatter und schaute den Pferden zu.

*

»Grüß dich, Petra!«

Petra drehte sich um.

»Oh, Luise! Grüß dich! Ich habe dich nicht kommen gehört.«

Luise lachte.

»Das wundert mich nicht, du Pferdenärrin!«

Die beiden Frauen umarmten sich.

»Komm, wir gehen zur Hütte, dort sind wir ungestört. Ich brauche auch etwas Ruhe. Du glaubst nicht, wie anstrengend es war, mit den Kindern einkaufen zu gehen. Die Zwillinge sind zwar lieb, aber auch sehr lebhaft. Alles wollen sie anfassen und alles wissen. In den Kaufhäusern muss man sehr aufpassen. Aber jetzt schlafen sie. Ria und meine Großmutter haben sie gleich ins Bett gebracht. Sie werden bestimmt zwei Stunden schlafen. Diese Zeit verbringe ich mit dir. Wie geht es dir?«

Luise gestand, dass Petras Mutter am Telefon geplaudert hatte.

»Sie war sehr besorgt um dich. Ich musste ihr versprechen, mich so um dich zu kümmern, als wärst du mein kostbarstes Pferd im Stall.«

»Das ist typisch Mama«, sagte Petra.

Die beiden jungen Frauen lachten.

Sie gingen zusammen in die Hütte am Teich. Petra war müde und gähnte. Luise machte einen starken Kaffee.

»So, nun erzähle mal! Was ist mit diesem Ulf? Hat er dir wirklich einen so seltsamen Antrag gemacht?«

»Luise, wer ist Ulf?«, lachte Petra. »Ach, ich erinnere mich dunkel. Da gab es so einen Anzugstyp in meinem anderen Leben, in einer anderen Zeit.«

Sie lachten wieder.

»Soso! Dann hat eine neue Epoche begonnen?«

»Ja, Luise, das denke ich.«

Petra trank einen Schluck Kaffee. Sie drehte nachdenklich den Becher hin und her.

»Weißt du, Luise, ich fühle mich so wie am ersten Tag eines neuen Jahres. Da weiß man nicht genau, was es bringen wird, hat aber die besten Vorsätze und ist voller Hoffnungen und Pläne. Man träumt von einem schönen Sommer.«

Luise schmunzelte.

»Das sind sehr versteckte Andeutungen. Aber ich kann mir schon denken, in welche Richtung sie gehen.«

Petra lächelte verträumt.

»Es hat etwas mit einem Mann zu tun«, sagte Luise und blinzelte Petra zu. »Er ist groß, hat breite Schultern, das schwarze Haar seines Vaters und die blauen Augen seiner Mutter. Er ist ein verlässlicher Typ und ein Pferdenarr wie du. Kurz zusammengefasst, er ist ein Mann, mit dem man Pferde stehlen kann.«

Sie sahen sich an und lächelten. Petra seufzte. Es war ein glücklicher Seufzer.

»Woher weißt du?«, fragte Petra.

Luise lachte.

»Kai schwebt auf ›Wolke Sieben‹. Er hat Hannes sofort erzählt, dass er sich in dich verliebt hat. Das muss dich nicht wundern. Die beiden sind zusammen aufgewachsen. Auch Männer reden, wenn ihr Herz voll Glück ist. Wie ist es bei dir?«

»Luise, ich bin verwirrt. Ich habe so ein Gefühl in mir, mein Herz ist voller Zuneigung. Ich kann es gar nicht fassen. Es ist einfach geschehen. Ich habe Kai gesehen und mein Herz fing anders an zu schlagen. Mir war, als kletterte ich auf einen hohen Berg. Der Aufstieg ist mühsam. Dann stehe ich auf dem Gipfel und sehe die Landschaft, nach der ich mich so gesehnt habe. Es ist vielleicht am besten so zu beschreiben. Ich habe eine Heimat gesucht. Vom Gipfel aus sehe ich meine neue Heimat.«

»Das hast du schön gesagt, Petra. Das Wort Heimat hat sicherlich auch diese Bedeutung. Im Zusammensein mit dem geliebten Menschen bedeutet das Wort ›Heimat‹ restlose Geborgenheit.«

Luise lächelte.

Petra trank einen Schluck Kaffee.

»Luise, ich will dir sagen, wie ich das empfinde. Die wahre Heimat findet man im Herzen des Menschen, den man liebt. Das ist gut so, denn diese Heimat ist unabhängig von einer Landschaft oder von einem Ort. Das wurde mir jetzt erst klar. Deshalb hatte ich auch Ulf gegenüber gezögert. Ich fand in seinem Herzen nicht diese Geborgenheit, nach der ich mich unbewusst so sehr sehnte.«

»Ria, du kennst sie, sie ist unsere alte Köchin und die gute Seele des Hauses, sie hat einen Kalenderspruch in der Küche aufgehängt. Darauf steht: ›Man ist nicht dort zu Hause, wo man seinen Wohnsitz hat, sondern wo man verstanden wird.‹ Das hat der große Dichter Christian Morgenstern geschrieben. Ich finde, er hat das genau erfasst.«

»Ja, das hat er. Wirkliche Heimat findet man nur in einem liebenden Herzen. Trotzdem will ich nichts überstürzen. Ich sage immer, vor wichtigen Entscheidungen soll man mindestens eine Nacht darüber schlafen. Ich fühle mich im Augenblick betrunken vor Glück. Ich will nicht leichtsinnig werden.«

»Mach dir nicht so viele Gedanken, Petra! Wenn es um die Liebe geht, ist es falsch, zu denken. Liebe ist keine knifflige Rechenaufgabe. Liebe kann man nur fühlen. Hör einfach auf dein Herz. Gib dich deinen Gefühlen hin und du wirst glücklich werden.«

Luise sah Petra an.

»Du misstraust Kai?«, fragte Luise.

»Nein, ich denke, dass er ein ehrlicher und aufrichtiger Charakter ist.«

»Das ist er! Dann misstraust du deinen Gefühlen, Petra?«

Petra lächelte verlegen.

»Wahrscheinlich ist es so. Ich musste im Leben immer für alles kämpfen und mich sehr anstrengen. Ich war oft neidisch auf die andern, denen alles in den Schoß fiel. Das war schon in der Schule so. Jetzt ist mir die Liebe einfach so zugefallen. Kein Wunder, dass ich verwirrt bin und meinem Glück noch nicht so recht traue.«

»Habt ihr euch schon geküsst?«, fragte Luise.

»Nein, dazu ist es noch nicht gekommen.«

»Schade, dann hättest du nämlich keinen Zweifel mehr.«

»Wahrscheinlich nicht! Als Ulf mich küsste, war das nicht besonders aufregend.«

»Ist doch klar, du hast Ulf nicht geliebt. Eure Herzen konnten nicht verschmelzen.«

»Das sagst du so sachlich«, staunte Petra.

»Du bist in Sachen Liebe wirklich ein unbeschriebenes Blatt, Petra. Aber du musst auch nichts wissen. Es wird sich alles von selbst ergeben. Das kannst du jeden fragen, der die Erfahrung gemacht hat.«

Luise schaute auf die Uhr.

»Tut mir leid, Petra! Die Zwillinge werden bald aufwachen. Ich muss gehen. Kommst du heute Abend mit Kai zu uns? Wir vier könnten uns einen schönen Abend machen. Ich lege Musik auf und wir könnten tanzen.«

Petra dachte nach. Die Vorstellung mit Kai engumschlungen zu tanzen, ließ ihr Herz schneller schlagen.

»Sei mir nicht böse, Luise. Ich möchte lieber mit Kai allein sein. Vielleicht kommt es dann zu dem Kuss, der alles klärt? Romantik mit Zuschauern ist nicht so gut, denke ich.«

Luise schmunzelte. Sie trank ihren Kaffee aus.

»Da weiß ich einen perfekten Platz. Man sagt, die Stelle in den Bergen hat magischen Einfluss auf Verliebte. Kennst du das ›Erkerchen‹?«

Petra schüttelte den Kopf. Luise erklärte, dass das ›Erkerchen‹ nicht weit von der Berghütte entfernt lag und riet ihr, dort auf Kai zu warten.

»Das ist auch ein Signal für ihn. Ich werde ihn zu dir schicken. Dann verbringt ihr einen Abend unter dem Sternenhimmel. Es müsste mit dem Teufel vom ›Höllensteig‹ zugehen, wenn es nicht zu einem Kuss kommt, mindestens einem!«

Luise ließ Petra keine Wahl. Sie griff nach deren Rucksack und drängte sie zum Gehen. Bald saß Petra in ihrem Jeep und war auf dem Weg zur Oberländer Alm.

*

Anna begrüßte Petra herzlich.

»Da bist du ja! Luise hat angerufen und mir schon alles erzählt. Nämlich dass du in Kai verliebt bist und er in dich. Das ist wunderbar.«

»Anna, hat man hier in den Bergen keine Geheimnisse?«

»Nein, wenn es darum geht, dass jemand glücklich wird, dann sind wir noch mehr als sonst eine eingeschworene Gemeinschaft. Also langer Rede, kurzer Sinn, ich habe dir schon eine Kammer gerichtet, dort kannst du dich ausruhen. Mach ein Nickerchen. Luise hat mir gesagt, dass du nicht geschlafen hast. Also nimmst du jetzt deinen Schönheitsschlaf. Luise ruft an, wenn sie Kai losschickt. Dann wecke ich dich. Das bedeutet, du hast einen Vorsprung und kannst beim ›Erkerchen‹ auf ihn warten. Dort seid ihr ungestört.«

Anna nahm Petra den Rucksack ab und drängte sie in die Kammer. Auf dem Schemel neben dem Bett standen eine Thermoskanne mit Kräutertee und eine kleine Brotzeit.

»Träum schön von deinem Kai!«

»Ich werde mit Sicherheit von ihm träumen. Aber da fällt mir etwas ein. Ich habe Toni nicht gesehen? Wo ist er? Wo sind die Kinder?«

»Toni macht mit Franziska und Sebastian eine Wanderung. Das war längst überfällig. Es wird spät werden, bis sie wieder hier sind. Ich nehme an, sie sind rauf zum ›Paradiesgarten‹. Dort hatten sich Franzis und Basti versteckt, als sie nach dem Unglückstod ihrer Eltern aus dem Waisenhaus fortgelaufen waren. Im ›Paradiesgarten‹ haben wir sie gefunden und unsere Herzen haben sich auch gefunden. Dort oben liegt der Anfang unserer glücklichen Familie.«

»Wolltest du nicht mitgehen?«

»Ich muss nicht jedes Mal dabei sein. Außerdem wollte ich den alten Alois nicht allein lassen. Wir hatten zum Mittagessen eine große Reisegruppe hier, die angemeldet war. Es wäre zu viel für ihn gewesen. Das darf er aber nicht wissen. Sonst meint er noch, ich würde ihn zum alten Eisen zählen.«

Petra verstand Anna.

»So, ich muss zurück! Alois ist allein in der Küche«, sagte Anna und ging hinaus.

Petra setzte sich auf das Bett und zog die Schuhe aus. Sie trank einen Becher Tee und aß eines der Käsebrote. Dann legte sie sich auf das Bett und deckte sich mit einer Wolldecke zu. Sie dachte an Kai und schlief gleich ein.

Zur gleichen Zeit hielt eine dunkelgraue Limousine vor dem Haus von Petras Eltern. Petras Vater und Mutter kamen aus dem Büro. Sie blieben auf der untersten Stufe der Freitreppe stehen und waren zuerst sehr verwundert, dann konnten sie sich beide ein Lachen nicht verkneifen.

Vor ihnen stand Ulf. Er trug Reiterkleidung, aber solche, wie sie nur bei Reitturnieren getragen wurde. Die Sachen waren nagelneu. Sie rochen nach Chemie, nicht nach Pferd.

»Ich möchte Reiten lernen. Sofort!«, sagte er.

Dabei schoss ihm vor Verlegenheit die Röte ins Gesicht.

»Rechnest du dir dadurch bei Petra bessere Chancen aus?«, fragte ihn Petras Vater direkt.

»Ich will es nicht leugnen. Ja, so ist es, wenn es auch nicht der einzige Beweggrund ist. Ist Petra da? Kann sie mir Reitunterricht geben? Ich bezahle die Reitstunden natürlich. Nur weil wir … Nun, nur weil ich sie liebe, will ich nichts umsonst haben. Ich will auch keine Extrabehandlung. Ich will nur Reiten lernen. Ich habe mir dafür eine Woche Urlaub genommen. Es müsste doch möglich sein, binnen einer Woche das Reiten zu erlernen, oder?«

Joachim Jungdorf rieb sich das Kinn. Er warf seiner Frau einen Blick zu. Sie zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf.

»Ulf, wir kennen dich, seit du und Petra gemeinsam in die erste Klasse des Gymnasiums gekommen seid. Du hast unzählige Tage hier bei uns verbracht. Während Petra bei den Pferden war, hast du im Wohnzimmer gesessen und gelesen. Du konntest den Anblick, ja, bereits den Geruch der Pferde nicht ertragen. Daran hat sich wohl auch nichts geändert, denke ich mir. Deine Absicht in Ehren, aber von uns bekommst du keinen Reitunterricht.«

»Warum?«

»Ulf, Pferde spüren, dass du verkrampft bist und du sie verabscheust. Pferde sind sehr feinfühlige Tiere. Jedes Pferd, auf das du steigst, würde unruhig werden und dich früher oder später abwerfen. Pferde sind keine Motorräder, auf die man sich einfach draufsetzt und losfährt.«

»Aber wie soll ich dann Petras Herz erobern?«

Elke und Achim warfen sich Blicke zu. Sie baten Ulf ins Haus. Im Wohnzimmer schenkte ihm Achim erst einmal einen Cognac ein.

»Ulf, es liegt uns beiden fern, uns in die Angelegenheiten unserer Petra einzumischen. Sie ist eine tüchtige junge Frau und weiß, was sie will.«

»Wer ist dieser Kai?«, fragte Ulf.

»Dazu können wir dir nichts sagen. Ich will mit dir über etwas anderes reden. Soweit wir Petra verstanden haben, hatte sie nie etwas anderes als Freundschaft für dich empfunden. Du bist ein Mann voller Elan, sehr ehrgeizig und zielstrebig. Du weißt genau, was du willst. Diese Einstellung ist in vielen Lebensbereichen richtig, doch wenn es um Liebe geht, kannst du damit nur verlieren. Vielleicht hättest du eine bessere Chance gehabt, wenn du behutsamer vorgegangen wärst. Warum hast du nicht erst herausgefunden, was Petra für dich empfindet? Warum hast du nicht langsam und behutsam versucht, ihr Herz zu erobern?«

»Ich dachte, sie liebt mich. Sie war nie in einen anderen verliebt. Ich dachte wirklich, sie fühlt mehr als Freundschaft und wartet nur auf ein Signal.«

Er seufzte tief. »Meine Eltern haben mir auch schon den Kopf gewaschen. Sie warfen mir vor, kein Interesse an den Dingen zu zeigen, die Petra wichtig sind. Deshalb habe ich mich überwunden. Ich will reiten lernen und ihr damit meine Liebe beweisen.«

»Liebe lässt sich nicht beweisen, Ulf. Ich rechne es dir hoch an, dass du dich wirklich auf ein Pferd setzen willst. Aber ich habe meine allergrößten Zweifel, dass du Petra damit überzeugen wirst. In der Liebe kann man niemanden überreden oder überzeugen. Ich habe im Leben nur einmal geliebt und das hält bis heute an. Ich sah Elke und es war, als würde in meinem Herzen ein Kronleuchter angemacht oder Millionen von Kerzen entzündet. Wir sahen uns an und wir wussten, wir gehören zusammen. Das ist Liebe. Es mag sein, dass es noch andere Arten von Liebe gibt, Liebe, die sich langsam entwickelt. Aber du und Petra, ihr kennt euch, seit ihr zehn Jahre alt seid. Ich denke, das ist genug Zeit, in der sich die Liebe entzünden kann. Ich will nicht in Abrede stellen, dass du Petra liebst. Ich kann nicht in dein Herz sehen. Niemand außer dir kann fühlen, wie stark und aufrichtig deine Gefühle sind.«

Ulf wollte etwa einwenden. Joachim brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.

»Ulf, du bist uns auch keine Rechenschaft schuldig. Ich spreche mit dir von Mann zu Mann. Ich gebe dir als Mann, nicht als Petras Vaters, etwas zu bedenken. Du bist sicherlich verletzt und enttäuscht. Es lief nicht so, wie du es geplant hattest. Vielleicht hast du dir durch dein Drängen, die letzte Chance genommen. Das kommt öfter vor, als du denkst, dass sich zwei Menschen kennen, bei dem einen ist es Liebe, bei dem anderen nur Freundschaft. Lass das mit dem Reiten! Du gehörst wirklich nicht auf ein Pferd. Willst du dich lächerlich machen?«

Ulf trank einen Schluck Cognac.

»Ich liebe Petra«, sagte er leise.

Petras Eltern hatten Mitleid mit Ulf. Er war wirklich unglücklich.

»Liebe kann man nicht erzwingen, Ulf. Liebeskummer tut immer weh. Er tut einem jungen Mann genauso weh wie einer jungen Frau. Vielleicht schmerzt es einen Mann sogar noch mehr, weil Männer sich in ihrem Ego verletzt sehen, was Unsinn ist. Du wirst eines Tages einer anderen Frau in die Augen sehen und in deinem und ihrem Herzen wird die Liebe erblühen, so wie es bei mir und Elke war. So und jetzt fährst du heim zu deinen Eltern oder nach München und ziehst diese Sachen aus. Dir stehen Reitklamotten nicht. Du machst darin keine gute Figur. Auch wenn die Qualität erstklassig ist, siehst du darin verkleidet aus.«

»Es war ein Versuch!«, stöhnte Ulf.

»Das ehrt dich!«

Joachim stand auf. Das war für Ulf das Zeichen, dass es Zeit war, zu gehen. Er stellte das Cognacglas ab. Petras Eltern brachten ihn zum Auto.

»Wir werden Petra erzählen, dass du hier warst und dass du sogar auf ein Pferd steigen wolltest«, sagte Joachim zum Abschied.

Sie gaben sich wortlos die Hand. Dann fuhr Ulf davon.

»Es hat ihn schwer getroffen, Achim.«

»Das hat es, Elke! Ulf hat zwar einen Doktortitel in Jura, aber was das Leben angeht, da muss er noch viel lernen. Er kann froh sein, dass es Petra war, die er gefragt hat. Sie ist ehrlich. Ulf kommt aus einem sehr vermögenden Elternhaus und hat eine glänzende berufliche Zukunft vor sich. Ich denke, nicht wenige junge Frauen hätten den Ring von ihm genommen. Sie hätten ihm Liebe vorgespielt. Vielleicht hätte er eines Tages das falsche Spiel erkannt und dann vor den Scherben gestanden oder die Ehe hätte länger gehalten und er hätte nie erfahren, wie es ist, wenn man wirklich liebt. Wie wunderbar die wahre Liebe ist, diese Erfahrung sollte jeder Mensch machen.«

»Das stimmt, Achim! Sollen wir Petra anrufen und ihr erzählen, dass er hier war?«

»Wir wollen uns nicht unnötig einmischen. Sie sah so glücklich aus, als sie mit diesem Kai wegfuhr. Petra wird sich melden, wenn ihr danach ist. Ich habe die Hoffnung, dass sie bald wieder hier ist. Und dass sie nicht allein kommt.«

Joachim schmunzelte. Er legte den Arm um die Schulter seiner Frau und drückte sie an sich. Sie küssten sich. Dann gingen sie ins Haus.

*

Petra war sehr unruhig. Sie stand von der Bank auf und ging nervös auf und ab.

»Petra!«, hörte sie Kai rufen.

Sie drehte sich um. Er kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zugelaufen. Er war außer Atem.

»Bist du den ganzen Weg gerannt?«

Kai war unfähig, zu antworten. Er nickte nur und keuchte. Erschöpft ließ er sich auf die Bank fallen. Endlich ging sein Atem ruhiger.

»Ich war in Sorge, dass du vielleicht denkst, ich käme nicht. Ich bin auf dem Weg zur Oberländer Alm aufgehalten worden. Eine Kutsche blockierte vor mir den Milchpfad. Die Pferde machten Schwierigkeiten und ich griff ein. Es war ein junger Mann mit seinem Mädchen. Er wollte angeben und hat sich deshalb in Marktwasen eine Kutsche geliehen. Dabei hat er keine Ahnung, wie man Pferde lenkt.«

»Wie peinlich für ihn«, sagte Petra. »So etwas kann dir nicht passieren.«

»Nein, das kann mir nicht passieren.«

Petra holte aus ihrem Rucksack eine Thermoskanne und bot Kai ihm Tee an.

»Anna hat mir viel zu viel Proviant eingepackt, denke ich.«

»Sie meint es gut.«

Kai trank.

»Wie war dein Nachmittag?«, fragte Petra. »Hat alles gut geklappt?«

»Ja, die beiden Jungstuten machten keine Schwierigkeiten. Sie scheinen sich auch gleich gut bei den Grassers einzuleben. Es gab keine Staus auf der Autobahn. Ich nehme an, die Engel vom ›Engelssteig‹ haben den Verkehr geregelt, damit ich schnell zurückkomme.«

Er schaute ihr in die Augen.

»Zurück zu dir!«

Petra lächelte glücklich.

»Du freust dich, dass ich wieder bei dir bin?«

»Ja, das tue ich. Ich habe ›Sonnenschein‹ gesehen, Petra. Es geht ihr gut. Sie und Wotan scheinen wirklich gut zu harmonieren. Wotan umgarnt sie. Er merkt wohl, dass sie bald wieder rossig ist.«

Petra sah Kai an.

»Erzähle mir von deiner Heimat«, bat sie ihn.

»Wo soll ich da anfangen? Argentinien ist so groß.«

»Wo kommst du genau her?«

»Meine Familie lebt im Süden von Argentinien. Wir arbeiten alle mit Pferden. In der Gegend, aus der ich komme, werden Polopferde gezüchtet, aber auch Rennpferde und Turnierpferde. Es hat sich viel geändert in der Pferdezucht, und der Erfolg macht alle Mühen wett. Dort, wo ich arbeite, haben die Pferde jetzt viel Platz. Sie leben fast völlig frei. Sie bekommen als junges Fohlen einen Chip, dann können sie in Freiheit groß werden. Über den Chip und via Satellit werden sie überwacht. Wird etwa festgestellt, dass sich ein Pferd zu wenig bewegt, dann fliegt ein Hubschrauber los.«

»Treibt das Geräusch der Hubschrauber die Pferde nicht in die Flucht?«

»Der Hubschrauber fliegt nie so dicht heran. Überall auf dem weiten Land gibt es Hütten mit Angestellten und Pferden. Diese Pferdepfleger rücken dann aus, hoch zu Ross, und nehmen das Tier in Augenschein. Hannes’ Vater beschritt in der Pferdezucht ganz neue Wege. Er ist damit sehr erfolgreich.«

»Ich weiß, Hannes hat mir davon erzählt. Als sein Vater vor zwanzig Jahren zusammen mit einem Partner damit begann, wurden sie ausgelacht.«

»Ja, von dieser Zeit wird oft gesprochen. Es wurden Wetten abgeschlossen, wie lange sie durchhalten würden. Jedes Jahr beteiligten sich mehr Männer an dem Gestüt, schließlich wurde eine große Firma daraus. Wenn man auf dem Gestüt arbeitet, bemerkt man kaum, dass es solch ein großes internationales Unternehmen ist. Man denkt, es sei ein großer Familienbetrieb. Alle leben für die Pferde. Es ist wunderschön dort.«

»Trotzdem blieb Hannes hier bei Luise.«

»Er liebt sie. Luise kam erst als Erwachsene auf das Gestüt. Ich nehme an, dass du weißt, dass sie ihren leiblichen Vater erst nach dem Abitur kennengelernt hat.«

»Ja, ich weiß. Es ist eine tragische Geschichte. Ich freue mich für Luise, dass sie eine Heimat gefunden hat.«

»Hannes wusste, er konnte nur ihr Herz gewinnen, wenn er bleibt. Aber es war kein Opfer für ihn. Er liebt Luise wirklich.«

»Das stimmt. Wie hat es seine Familie aufgenommen, dass er hierbleiben wollte?«

»Sie freuten sich, dass er sein Glück und die Liebe gefunden hat. Außerdem sind es nur zwölf bis fünfzehn Flugstunden. Ich verstehe ihn.«

Kai legte die Hand auf Petras Hand. Er sah ihr tief in die Augen.

»Für jeden Mann kommt einmal der Augenblick der Entscheidung, eigentlich der Entscheidungen. Welche Frau bitte ich, meine Ehefrau zu werden? Wo werden wir wohnen und leben? Wo werden unsere gemeinsamen Kinder aufwachsen?«

»Das sind die gleichen Fragen, die eine Frau bedenkt, wenn sie sich in einen Mann verliebt.«

Petra zögerte und schaute auf ihre Schuhspitzen.

»Meine Eltern würden sich sehr freuen, wenn ich später das Gestüt und den Reiterhof weiterführen würde. Ich liebe Pferde und liebe mein Zuhause. Ich bin das einzige Kind meiner Eltern«, erzählte Petra.

»Dann wären sie enttäuscht und traurig, wenn du fortgehen würdest?«

»Sie sagen, ich hätte alle Freiheit, mein Leben so zu leben, wie ich es mir vorstelle. So haben sie mich erzogen. Ich glaube ihnen, dass mein Glück ihnen sehr viel bedeutet, Kai.«

»Wie stellst du dir dein persönliches Glück vor?«

Petra sah Kai an. Sie errötete.

»Da stellst du mir eine Gewissensfrage Kai.«

»Du möchtest meine Frage nicht beantworten? Dann entschuldige meine Neugier.«

»Schmarrn! Ich habe nichts zu verbergen, schon gar nicht vor dir.«

»Das freut mich«, strahlte Kai.

Petra ahnte, warum Kai das wissen wollte. Ihr Herz schlug schneller. Sie wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen. Er fragte sie nach ihrem persönlichen Lebensplan, das hatte Ulf nie getan.

»Also, schon als kleines Mädchen stellte ich mir vor, dass ich eines Tages einen Mann heiraten werde, der Pferde genauso mag wie ich. Wir würden in meinem Elternhaus wohnen. Es ist groß und es gibt viel Platz. Wir bekommen Kinder, die wir schon aufs Pferd setzen, bevor sie richtig laufen können. Sie werden mit Pferden aufwachsen und ihre eigenen Ponys haben, die sie auch versorgen müssen. Dabei werden ich und ihr Vater ihnen helfen, denn Kinder muss man langsam und mit Bedacht an die Aufgaben heranführen und sollte sie nicht überfordern.«

»Das hast du schön gesagt, Petra. Sie sollen spielerisch den Umgang mit den Pferden lernen. Nur so werden sie später die Arbeit mit den Tieren auch lieben. Bei mir und meinen Geschwistern war es so.«

»Bei mir auch. Ich war immer mit meinem Vater oder meiner Mutter im Stall oder auf den Koppeln. In der Zeit meines Studiums an der Universität in München habe ich sehr gelitten. Ich lebte von montags bis freitags nur in der Vorfreude auf das Wochenende daheim. Ich konnte es kaum erwarten, bis wieder Semesterferien waren.«

»Das verstehe ich gut. Ich habe damals auf ein Studium verzichtet. Das heißt, ich war an der Universität angemeldet. Aber nach zwei Wochen packte ich meine Sachen und fuhr heim. Ein Leben in kleinen Räumen und die Uni, das hätte mich auf die Dauer krank gemacht. Ich weiß, dass es unklug war. Aber ich folgte meinem Herzen, das mich heimzog zu den Pferden. Das Leben mit den Tieren gibt mir mehr. Ich bin glücklich. Nicht jeder kann das verstehen. Man könnte mir vorwerfen, ich sei kein Mann. Ich hätte für einige Jahre die Zähne zusammenbeißen müssen. Du verstehst?«

Petra streichelte Kais Hand. Sie lächelte ihn an.

»Ich kann es verstehen. Du musst dich deswegen nicht schämen. Außerdem wird dein Leben immer von den Pferden bestimmt sein, denke ich.«

»Das wird es!« Kai schmunzelte. »Ich muss dir etwas erzählen. Ich bin in der freien Natur geboren. Das kam so. Meine Mutter liebte das Reiten. Mein Vater war auf einer Pferdeauktion. Mama war schon hochschwanger mit mir. Da kam jemand und sagte, die Pferde seien extrem unruhig. Sie schwang sich auf ihre Stute und ritt los, um selbst nachzusehen. Sie war im achten Monat mit mir schwanger. In diesem Zustand sollten Frauen höchstens in einer Kutsche fahren. Unterwegs setzten plötzlich die Wehen ein. Mama erzählt, dann sei alles schnell gegangen. Ein Arbeiter hatte sie begleitet. Diesen hatte Mama zurückgeschickt, um eine Kutsche zu holen. Als er zurückkam, zusammen mit meinem Vater, war ich schon auf der Welt. Meine Mutter sagte, es sei eine leichte und unkomplizierte Geburt gewesen. Als mein Vater kam, stand sie mit mir bei den Pferden. Sie hatte mich in die Decke eingewickelt, die unter ihrem Sattel war und zeigte mir die Pferde. Ja, das ist die Geschichte von meinem Anfang auf dieser Welt.«

»Und seither sind Pferde dein Leben«, sagte Petra mit weicher Stimme, die voller Anteilnahme war. »Das verstehe ich.«

»Ja, seither sind Pferde mein Leben. Aber ich hoffe, dass bald etwas anderes dazukommt.«

Kai sah Petra tief in die Augen.

»An was denkst du dabei?«, fragte sie.

Dabei wusste sie, dass diese Frage unnötig war. Aber sie wollte es aus seinem Mund hören.

»Nun, ich denke an eine Frau, die ich gern heiraten würde, an eine Familie und ein glückliches gemeinsames Leben.«

»Mit Pferden«, ergänzte Petra.

»Ja, mit Pferden! Das hast du richtig erkannt. Ich bin kein Anzug-Typ«, lachte er. »Ich bin ein Pferdenarr und rieche nach Stall, nicht nach teurem Rasierwasser.«

Sie lachten.

Kai rückte auf der Bank ein Stück näher an Petra heran.

»Petra, ich will dir noch etwas gestehen. Es ist nicht wichtig für mich, dass meine Frau mir nach Argentinien folgt.«

Petra sah ihm in die Augen. Dort las sie eine einzige Liebeserklärung.

»Du verstehst, was ich dir damit sagen will, Petra?«

»Oh, ja«, seufzte Petra tief. »Ich habe da so eine bestimmte Ahnung.«

Kai legte den Arm zuerst auf die Lehne der Bank hinter Petras Rücken.

Sie warf ihm einen Seitenblick zu.

»Kai, gehe ich richtig in der Annahme, dass du jetzt gern deinen Arm um meine Schultern legen würdest?«

Kai errötete tief.

»Ja, das würde ich sehr gern. Aber du sollst mich nicht als aufdringlich empfinden. Weißt du, wir Südamerikaner stehen in dem Ruf, Frauenverführer zu sein. Wir gelten weltweit als Machos.«

»Das ist mir bekannt.«

»Siehst du!«

Petra lachte.

»Du möchtest einen guten Eindruck bei mir machen. Dass du dich sehr bemühst, das erkenne ich an.«

Kai strich sich verlegen eine Locke aus der Stirn.

»Es freut mich, dass du es so siehst. Mir ist es sehr ernst. Du bist hier zu Gast und ich bin hier zu Gast. Bitte denke nicht, dass ich nur einen Flirt will. Das kommt für mich nicht in Frage.«

»Das habe ich schon verstanden, Kai.«

»Das ist gut, das ist sehr gut«, sagte er leise.

Sie saßen nebeneinander und schwiegen. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis Kai sanft den Arm um Petras Schultern legte. Es war ein schönes Gefühl. Sie spürte die Liebe, die er ihr entgegenbrachte. Gleichzeitig vermittelte er ihr, dass er sie achtete. Petra lächelte in sich hinein. So habe ich mir einen feurigen Südamerikaner eigentlich nicht vorgestellt, dachte sie für sich.

»Deine Eltern sind nett«, sagte Kai nach einer Weile.

Petra warf ihm einen Seitenblick zu.

»Sie finden dich auch nett, denke ich.«

»Das freut mich. Es war mir im Nachhinein etwas peinlich, dass mein Temperament mit mir durchgegangen war. Das sind eben Vaters Gene, wie man sagt. Es ging mir sehr nahe, wie dieser Ulf dich bedrängte. Er hatte keine Achtung vor dir. So behandelt man keine Frau.«

»Es war richtig, was du getan hast, Kai. Mach dir keine Gedanken. Du hast dich um mich gesorgt und Ulf in die Schranken gewiesen, weil er mich bedrängt hat. Ich möchte dir ausdrücklich dafür danken.«

Petra fing laut an zu lachen.

»Wenn ich daran denke, wie es ihm die Sprache verschlagen hat, als du am Telefon warst. Das war so, als hätte ihn jemand in den Pferdetrog geworfen.«

»Guter Vergleich! Wenn er es so empfunden hat, dann war es richtig. Er hatte eine Abkühlung verdient.«

Sie sahen sich wieder in die Augen.

»Willst du mir nicht etwas sagen, Kai?«

Er seufzte.

»Ich möchte dir so viel sagen, Petra. Es sind so viele Gefühle und Gedanken in mir.«

Petra streichelte ihm die Wange. »Es geht alles so schnell«, flüsterte sie leise.

»Ja, es geschieht etwas mit uns. Ich habe Angst, es auszusprechen. Nicht weil ich mich vor einer Enttäuschung fürchte. Wie kann ich es am besten beschreiben? Ich habe einen wunderschönen Traum. Wenn ich ihm einen Namen gebe, werde ich dann erwachen?«

Petra legte den Kopf an seine Schulter. Sie schloss die Augen.

»Wir müssen nichts überstürzen, Kai. Wir wissen doch beide, was uns im Inneren bewegt. Es kommt uns unwirklich vor, weil nichts in unserem Leben uns darauf vorbereitet hat. Umso wunderbarer ist es. Es fühlt sich so gut an. Ich wollte, die Zeit bliebe stehen.«

»Das finde ich nicht. Wenn die Zeit einfrieren würde, dann würde uns viel entgehen, Petra. Ich denke, unserer Begegnung ist der Anfang von etwas, das ewig währen wird. Du weißt, was ich meine?«

»O ja, ich habe eine Ahnung davon. Nein, ich weiß genau, von was du sprichst.«

Kai beugte sich zu ihr hinunter und hauchte ihr einen Kuss auf das braune Haar. Petra kuschelte sich enger an ihn.

Die Sonne versank langsam im Westen hinter den Bergen. Der Himmel war von einem rosaroten Schimmer überzogen. Die Felsen auf der anderen Talseite glühten im Abendrot, als wären sie im Inneren beleuchtet. Die Schneefelder funkelten, als hätte jemand Granatsteine ausgeschüttet.

Es wehte ein sanfter, warmer Wind aus Süden. Eine heilige Stille hatte seinen Mantel um sie gelegt, sodass ihre Herzen miteinander sprechen konnten.

Petra hob den Kopf und schaute Kai tief in die Augen. Sie näherte sich seinem Gesicht. Er braucht Ermutigung, dachte sie.

»Petra, ich habe mich so in dich verliebt. Es geschah gleich im ersten Augenblick. Es ist so überwältigend, dass ich es nicht fassen kann. Ich bin trunken von einer Mischung aus Glück und Liebe.«

»Das waren genau meine Worte. Ich habe zu Luise gesagt, dass ich mich betrunken vor Glück fühle, dass ich schwebe und für mich eine neue Zeit begonnen hat.«

Kai strahlte sie an. Petra fuhr fort:

»Es gab mein altes Leben, das war bevor du in den Teich gesprungen bist. Mein neues Leben begann in diesem Augenblick. Du bist neben mir hergeschwommen. Ich sah im Mondlicht in deine Augen und dann geschah etwas.«

»Ja, so war es!«

Petra streichelte Kais Wange.

»Ich bin genauso verwirrt wie du. Ich kann mein Glück kaum fassen. Es ist wirklich so, als hätte eine neue Zeitrechnung begonnen. Ich weiß nicht, was sie uns bringen wird. Ich will es auch nicht so genau wissen. Da ist nur tiefes Vertrauen in mir, dass alles, wirklich alles, gut und schön wird und herrlich und voller Freude.«

»Wir müssen nichts überstürzen, Petra. Damit will ich nicht sagen, dass ich unsicher bin. Ich bin mir wirklich sicher über meine Gefühle für dich. Es war Schicksal und Glück und Vorsehung, dass wir uns begegnet sind. Aber ich will dir Gelegenheit geben, mich näher kennenzulernen. Du sollst wissen, wer ich bin. Du sollst dir völlig sicher sein, dass deine Wahl die Richtige ist.«

»Ich weiß es zu schätzen, Kai. Du bist so ernsthaft um mich besorgt. Das ist wunderbar. Weitere Erkenntnisse werden an meinen Gefühlen nichts ändern. Bis auf eine winzige Wichtigkeit, auf die ich schon lange warte ... Oder willst du mich nicht küssen?«

»In meiner Heimat küssen sich ein Mann und eine Frau nur auf den Mund, wenn sie für immer zusammenbleiben wollen.«

»Oh, das ist ein schöner Brauch! Er klärt die Dinge.«

»Ja, so ist es! Dass es so ist, konntest du nicht wissen. Anita habe ich nie auf den Mund geküsst. Sie hat einige Male versucht, mich zu verführen, aber ich konnte ausweichen. Ein Lippenkuss ist wie ein Versprechen. Erst nach der Verlobung küsst sich das Paar auf den Mund.«

»Mm, klingt äußerst exotisch! Es wundert mich, dass der Brauch funktioniert. Bei uns in Europa ist es so, dass sich ein Madl und ein Bursche innig küssen dürfen. Das ist geradezu Pflicht. Im Kuss erfahren sie, wie es um ihre Liebe steht.«

»Oh, ich verstehe. Worte können vorgetäuscht sein. Die Zärtlichkeit eines Kusses entlarvt jede Lüge.«

»Ein Kuss sagt mehr als tausend Worte. Trotzdem gibt es Worte, die eine Frau gerne hört, wenn sie der richtige Mann sagt. Es muss der Mann sein, für den ihr Herz schlägt.«

»Ah, du meinst die magischen Worte, die das Universum aus den Angeln hebt. Die süßen Worte, die die Engel im Himmel mit Posaunenklänge begleiten.«

»Genau diese Worte meine ich, Kai. Oder darf ein Caballero sie auch erst später sagen?«

Kai lächelte.

»Er darf sie nur sagen, wenn es ihm wirklich ernst ist. Mir ist es ernst. Petra, ich liebe dich!«

Petra streichelte Kais Wange.

»Und ich liebe dich, seit dem ersten Blick in deine Augen.«

Sie sahen sich an. Langsam, ganz langsam näherten sich ihre Lippen, bis sie sich berührten. Kai küsste Petra sacht und doch innig. Seine Lippen verströmten Liebe und versprachen noch mehr Liebe.

Es war ein sehr langer und sehr zärtlicher Kuss. Danach schauten sie sich wieder in die Augen.

»Petra, ich habe dir meine Liebe gestanden und dich geküsst. Jetzt muss ich mit deinen Eltern sprechen.«

Petra lachte.

»Ich bin volljährig und treffe meine eigenen Entscheidungen. Ich entscheide mich für dich. Genügt dir das nicht?«

Kai errötete.

»Bei uns ist es wichtig, dass die Familie einverstanden ist. Es ist wichtig, wegen der gemeinsamen Kinder. Du willst doch Kinder haben, oder?«

»Ja, das will ich. Lauter kleine niedliche Kinder, die Pferde lieben.«

»Siehst du! Es ist wichtig für mich, dass deine Eltern mich akzeptieren, damit unsere Kinder glücklich werden. Es ist schlimm für Kinder, wenn sie spüren, dass die Großeltern Vorbehalte haben gegen ihren Vater.«

»Mache dir nicht so viele Gedanken, Kai. Du gefällst meinen Eltern. Das habe ich in ihren Gesichtern gelesen. Sie werden dich mögen und freuen sich, dass ich dich gefunden habe. Meine Eltern sind wunderbar. Sie wissen, wie es ist, wenn man sich verliebt. Sie haben die große Liebe erlebt, sie dauert bis heute an.«

Kai lächelte und hauchte ihr einen zärtlichen Kuss auf das Haar. Petra sah ihn ernst an.

»Wie ist es mit deiner Familie? Müssen sie mich nicht auch mögen?«

»Schon, aber das werden sie.« Kai grinste. »Außerdem habe ich schon mit meinem Vater und meinem Großvater telefoniert. Ich habe ihnen von dir erzählt. Sie sagten, ich solle meinem Herzen folgen. Wenn du mich willst, dann setzen sie sich in das nächste Flugzeug und kommen.«

»Sie müssen nicht so viele Umstände machen. Ich kann auch mit dir nach Argentinien fliegen.«

Kai schüttelte den Kopf.

»Mutter freut sich auf ihre Heimat. Die Freude kann ich ihr nicht nehmen. Lass sie erst herkommen, dann fliegen wir mit ihnen zurück.«

»Gut, wie du willst, Kai.«

Petra begriff, dass sie in verschiedenen Welten aufgewachsen waren. Kai war wirklich ein Gentleman. Er brachte der Frau, die er liebte, Achtung und Respekt entgegen und tat alles, damit glückliche Voraussetzungen geschaffen wurden.

»Familie ist dir sehr wichtig, Kai. So gut kenne ich dich bereits. Deshalb machen wir es so, wie du willst. Ich bin zwar eine emanzipierte Frau und möchte, dass der Mann mir auf Augenhöhe begegnet, aber wenn du es so willst, dann soll es so sein.«

Kai gab Petra einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

»Es sieht bei uns in Argentinien nur nach außen hin so aus, als habe der Mann das Sagen in der Familie. In Wirklichkeit aber stehen Mann und Frau höchst selten auf Augenhöhe.«

Petra starrte Kai entsetzt und überrascht an. Der Clou war ihm gelungen. Er grinste.

»Du musst nicht erschrecken. Es ist so, dass bei uns daheim immer alles so gemacht wird, wie Mama es will. Auch wenn es nach außen hin so aussieht, als hätte mein Vater das Sagen. Papa hat es mir so erklärt. Die Frauen haben einen besseren Instinkt mitbekommen von der Natur. Das ist auch richtig so, weil sie die Kinder bekommen. Deshalb können sie viel besser entscheiden, was gut für die Familie ist. Ein kluger Mann weiß das und lässt sie handeln.«

»Das sind deutliche Worte. Wir werden sehen, wie das wird.«

»Das werden wir, Petra. Jedenfalls waren meine Eltern und Großeltern beglückt, als ich ihnen von dir erzählt habe. Vater hat auf seiner Europareise Mutter kennengelernt. Sie sind sehr glücklich. Meine Mama ist eine wunderbare Frau. Vater liebt sie so sehr, dass er sogar ihren Mädchennamen als Familiennamen angenommen hat. Ich heiße mit Familienname Kunz.«

»Kai Kunz, zweimal ein ›K‹!«

»Ja, mein deutscher Großvater hieß Karl und mein Urgroßvater Kurt. Alle Männer haben Vornamen, die mit K beginnen.«

»Oh, dann weiß ich schon einmal Bescheid. Unser erster Bub, wie man hier in den Bergen sagt, wird dann einen Vornamen mit einem ›K‹ bekommen. Ich überlege mir, was es für Namen gibt. Da gibt es Konstantin, Karsten, Konrad, Kilian ... Ich werde im Namenslexikon nachschlagen. Aber was wird, wenn wir nur Mädchen bekommen? Ich warne dich, ich komme aus einer Familie, in der es seit vier Generationen keine männlichen Nachkommen mehr gab. Mein Vater hat eingeheiratet, genau wie mein Großvater und mein Urgroßvater.«

»Ich werde auch einheiraten«, sagte Kai und errötete dabei.

Petra schmunzelte. »Wenn ich dich nehme!«

Kai erschrak. Er starrte sie mit großen Augen an. Sie lachte laut.

»Kai, es ist alles gut. Wir fühlen es in unseren Herzen, richtig? Aber so richtig gefragt hast du mich noch nicht. Kann ich als Frau nicht erwarten, dass du mir einen Antrag machst?«

»Doch, ein Heiratsantrag in aller Form, der gehört dazu. Das weiß ich und ich werde dich auch fragen.«

»Wann?«

»Nun, zur richtigen Zeit!«

»Wegen deiner Tradition und weil du alles so machen willst, wie es nach deiner Meinung gut und richtig ist?«

»Ja, ich will dich glücklich machen. Ich will Familienvater sein. Deshalb muss alles seine Ordnung haben. Das habe ich doch schon gesagt. Dadurch möchte ich ausdrücken, wie sehr ich dich schätze und wie ernst es mir ist.«

»Oh, Kai, du bist mir schon einer!«, lachte Petra.

»Ich ahne, dass ich mit dir noch so manche Überraschungen erleben werde.«

»Petra, wir kennen uns noch nicht einmal einen Tag. Die Ehe ist eine ernste und wichtige Sache.«

»Ich denke nicht anders, Kai. Aber ich habe eine gute Vergleichsmöglichkeit – Ulf. Ulf kenne ich seit meinen Kindertagen. Zwischen uns gab es keine Gefühle. Da tat sich nichts in meinem Herzen. Es blieb stumm und gleichgültig. Bei dir, einem wildfremden Menschen aus einem fernen Land, sagte mein Herz, das ist er und kein anderer, ihn will ich haben. Das nennt man Liebe auf den ersten Blick. Bei meinen Eltern war es auch so. Sie sahen sich, sie verliebten sich, sie heirateten. Neun Monate später lag ich in der Wiege. Wenn man jemanden lange kennt, glaubt man zwar, man wüsste alles über ihn, das ist aber eine Illusion. Es ist nur entscheidend, was man im Herzen fühlt. In Amerika ist es ganz einfach. Dort fliegen zwei, die sich lieben, nach Las Vegas, gehen einfach zur nächsten Hochzeitskapelle und schon sind sie Mann und Frau.«

»Heißt das, du bist dir absolut sicher, dass ich der Richtige für dich bin, Petra?«

»Ja, das bin ich! Du nicht?«

»Wie kannst du so etwas fragen? Oh, Petra, du bist meine Traumfrau.«

»Das höre ich gern. Sag es noch einmal!«

»Du bist meine absolute Traumfrau. Du bist die einzige Frau auf Erden, die ich liebe und begehre und mit der ich alt und grau werden möchte. Ich wünsche mir ein langes glückliches Leben mit dir und werde alles dafür tun, dass dies kein Traum bleibt, sondern Wirklichkeit wird.«

»Das ist Musik in meinen Ohren. Du bist mein Traummann.«

Julia schlang die Arme um seinen Hals. Sie küssten sich lang und innig.

»Überzeugt?«, flüsterte Petra.

»Überzeugt ist ein schwaches Wort.«

Sie küssten sich wieder.

Der Wind frischte auf.

»Ich glaube, es gibt einen Wetterwechsel«, sagte Petra. »Wir sollten zur Berghütte zurückgehen.«

»Ja, gehen wir!«

Sie standen auf. Kai zog seine dicke Wanderjacke aus und wollte sie Petra um die Schultern hängen.

»Du bist so lieb und fürsorglich. Ich bin gerührt. Aber ich friere nicht.«

»Dann lass mich deinen Rucksack tragen!«

»Danke.«

Kai zog die Jacke wieder an und schulterte Petras Rucksack. Im letzten Rest Tageslicht wanderten sie zurück zur Berghütte.

*

»Petra, da bist du ja!«, rief die kleine Franziska fröhlich.

Das Mädchen stürmte auf Petra zu und begrüßte sie.

Toni, der hinter dem Tresen stand und Bier zapfte, rief:

»Grüß Gott, Petra! Ich nehme an, der Bursche an deiner Seite ist Kai. Nach Annas Beschreibung muss er es sein. Sei du auch willkommen auf der Berghütte, Kai! Setzt euch! Wollt ihr ein Bier?«

»Danke, Toni, ein Bier, dazu sage ich nicht nein«, antwortete Kai. Petra stimmte zu.

»Franzi«, rief Toni und deutete dabei auf seine Armbanduhr. »Du hast fünf Minuten. Dann geht’s ab ins Bett.«

»Toni, du weißt doch, dass ich nur Petra begrüßen wollte.«

Toni schmunzelte. Er erzählte, dass sich die Kinder sehr auf Petra gefreut hätten, aber nach der langen Wanderung eigentlich übermüdet seien. Sebastian schliefe schon. Aber Franziska habe sich geweigert, ins Bett zu gehen.

Petra stand auf. Sie nahm Franzi bei der Hand.

»Komm, Franzi, ich bringe dich heute Abend ins Bett.«

»Erzählst du mir eine schöne Geschichte von Pferden?«

»Ja, das mache ich.« Petra beugte sich zu Franzi herunter und flüsterte: »Aber heute nur eine ganz kurze Geschichte. Ich bin mit dem Kai hier und will ihn nicht so lange warten lassen.«

Franziska grinste.

»Anna hat gesagt, dass Kai in dich verliebt ist. Stimmt das?«

»Pst! Ja, das stimmt.«

»Dann bist du auch in Kai verliebt?«

»Ja, das bin ich!«

»Petra, ist Verliebtsein ein schönes Gefühl?«

»Ja, das ist es, Franzi. Es ist ein wunderschönes Gefühl. In ein paar Jahren wirst du es auch erleben.«

Petra brachte Franzi in ihr Zimmer.

Toni reichte Kai das Bier.

»Willkommen auf der Berghütte! Das Bier geht aufs Haus, Kai.«

»Danke! Gemütlich habt ihr es hier. So sieht also eine Berghütte aus.« Kai sah sich um. »Meine Mutter stammt aus München. Sie hat mir viel von den Bergen erzählt. Wir haben in Argentinien auch Berge. Die sind nicht zu verachten. Aber die Bergliebe meiner Mutter gilt den Alpen. Die Berghütte würde ihr gefallen.«

»Dann musst du sie mal herbringen, Kai. Sicherlich besucht deine Mutter öfter ihre Heimat?«

»Nicht so oft. Sie ist eine Vollblutmutter, wie mein Vater immer sagt und lässt die Familie ungern allein. Sie ist eine richtige Glucke, – du weißt, was ich meine, – aber sie macht es gut. Ich werde hier in Deutschland bleiben«, sagte Kai leise. »Das habe ich jedenfalls vor.«

»Wegen Petra?«

»Ja, ich liebe Petra. Sie ist eine wunderbare Frau, ein fesches Madl, wie ihr hier in den Bergen sagt. Diesen Ausdruck haben mir die Pferdepfleger auf dem Gestüt beigebracht.«

»Das ist auch ein sehr wichtiger Begriff, Kai. Wie geht es weiter? Wie lange bleibst du in Waldkogel?«

Kai trank ein Schluck Bier.

»Das mit Petra und mir, das hat sich rasend schnell entwickelt. Die Liebe kam über uns wie ein Vulkanausbruch.«

»Also, war es ein Erdrutsch der Gefühle«, lachte Toni.

»Ja, es hat uns beide mitgerissen. Aber, Toni, darf ich mich dir anvertrauen?«

Toni setzte sich neben Kai in den Schaukelstuhl.

»Was hast auf dem Herzen, Kai?«

»Toni, ich bin sehr verliebt in Petra und mir absolut sicher. Ich würde sie auf der Stelle heiraten. Das mag sich seltsam anhören, aber ich habe mich entschieden.«

»Dann ist ja alles in Ordnung.«

Kai schüttelte den Kopf.

»Bei uns in Argentinien, jedenfalls in unserer Gegend, da heiratet man nicht so schnell. Es gehört sich nicht. Man lässt einige Zeit vergehen, in der man die junge Frau verehrt und jedem zeigt, wie wert sie einem ist. Die Sitten sind eben in unserer Gesellschaft etwas anders als bei euch. Ich möchte nicht, dass man schlecht über mich denkt.«

Toni lachte.

»Ah, ich verstehe. Du willst verhindern, dass man dich für einen Draufgänger und Frauenverführer hält. Du denkst, Südamerikaner haben bei uns einen schlechten Ruf.«

»Das denke ich nicht nur, ich weiß es.

Meine Mutter hatte damals mit ihrer Familie die allergrößten Schwierigkeiten, als sie und mein Vater sich verliebten. Sie waren sich sicher. Ihre Liebe hat gehalten. Aber Mutter musste ohne ihre Eltern und ihre Verwandten heiraten. Sie haben meinen Vater geschnitten.«

»Was für Hornochsen! Ja, waren die denn deppert?«, empörte sich Toni. »Hoffentlich haben sie es inzwischen eingesehen?«

»Ja, sie haben sich wieder versöhnt. So sieht es jedenfalls aus, oberflächlich. Meine Großeltern besuchen uns einmal im Jahr in Argentinien, entweder zu Weihnachten oder zu Ostern. Aber der Schmerz meiner Mutter sitzt sehr tief. Sie hat bis heute nicht überwunden, dass sie ihre Wahl damals abgelehnt hatten und niemand aus ihrer Familie zur Hochzeit gekommen war. Dabei tat mein Vater alles, was er tun konnte. Er hat sogar den Familiennamen meiner Mutter angenommen.«

Kai trank wieder einen Schluck Bier.

»Weißt du, es ist ein Unterschied, ob ich als Halbargentinier mit einer Frau nur gut befreundet bin oder ob ich sie heiraten will. Ich habe Angst, Petras Eltern könnten etwas gegen mich haben. Es wäre unerträglich für mich, wenn Petra wählen müsste zwischen mir und ihren Eltern.«

Toni verstand Kai. Er stand auf und holte eine Flasche Obstler, den guten, den der alte Alois selbst brannte.

»So, jetzt trinkst du erst mal einen Obstler, dann reden wir. Ich erkläre dir, wie des hier ist.«

Toni schenkte ein. Sie prosteten sich zu und tranken.

»Also, Kai, ich will dir jetzt mal etwas sagen. Du liebst deine Mutter, das höre ich heraus. Das ist auch gut so. Dir tut es leid, dass sie damals so allein war und es einen Riss gab, der sie bis zum heutigen Tag schmerzt. Das verstehe ich. Aber es darf dein Leben nicht überschatten. Es hat nichts damit zu tun, dass dein Vater Argentinier ist. Dass Eltern mit der Wahl ihrer Kinder nicht einverstanden sind, das gibt es auch hier genauso wie überall auf der Welt. Es ist bedauerlich, aber leider, leider nicht zu ändern. Aber ich verstehe dich. Meine Anna, die hatte große Angst, ihrer Großmutter zu gestehen, dass sie nicht den schnieken Hamburger Jung’ heiratet, wie man in Hamburg sagt, sondern mich, den Burschen aus den Bergen. Annas Eltern kamen bei einem Unfall in den Bergen um. Sie wuchs bei ihrer Großmutter väterlicherseits auf, die Anna die Berge als eine sehr gefährliche Landschaft schilderte. Doch Anna verliebte sich in mich, in die Berge und noch mehr. Sie verliebte sich in diese Berghütte und half mir, sie zu unserem Heim zu machen. Es ging alles gut. Großmutter Zwirner sah, wie glücklich Anna war und freute sich mit ihr. Sie hat ihren Frieden mit den Bergen gemacht und besucht uns auch. Ich will dir damit sagen, dass sich Menschen ändern können. Im Grunde will niemand, dass jemand unglücklich ist. Ich kenne Petras Eltern nicht. Aber wenn ich mir Petra so ansehe, denke ich, dass sie aus einem glücklichen Elternhaus stammt. Es wird ihnen alles daran gelegen sein, dass Petra glücklich wird.«

»Du meinst, meine Sorge ist unbegründet? Meine Mutter hat mir viel über Deutschland erzählt. Aber ich habe immer in Argentinien gelebt. Ich will auf keinen Fall etwas falsch machen. Petra soll die glücklichste Frau der Welt werden.«

»Mei, jeder Bursche will sein Madl glücklich machen, und umgekehrt ist es ebenso. Wenn ihr euch liebt, dann werdet ihr alles meistern. Die Liebe baut Brücken über die tiefsten Schluchten und trägt euch wie ein starkes Schiff durch jeden Sturm. Das Beispiel mit dem Schiff und dem Sturm, das bringt Anna immer. Sie ist eben ein Madl von der Waterkant. Also, mach dir nicht so viele Gedanken! Das macht dich nur wirr im Kopf.«

»Wahrscheinlich hast du recht, Toni.«

»Ich habe nicht nur wahrscheinlich recht, Kai, sondern ganz bestimmt. Jetzt sage ich dir etwas. Du bleibst mit der Petra einige Tage bei uns auf der Berghütte. Ihr macht schöne Wanderungen und freut euch an den Bergen. Dann fährst du mit Petra zum Bodensee und sprichst mit ihren Eltern. Mei, du bist doch ein Pferdenarr! Das hat Anna von Luise erfahren. Petra ist eine Pferdenärrin. Also, wer sollte besser zusammenpassen als ihr? ›Auf dem Rücken der Pferde liegt das Glück der Erde‹. Du kennst doch sicher das Sprichwort?«

»Ja, meine Mutter verwendet es oft. Sie hat es sogar auf ein Stück Stoff gestickt und in unserer Küche als Wandschmuck aufgehängt.«

»Siehst du! Dann halte dich daran!«

Kai trank einen Schluck Bier.

»Ich werde mit Petra sprechen. Ich werde sie fragen, was sie möchte. Ob sie einige Tage hier in den Bergen verbringen will oder ob wir wieder hinunter ins Tal gehen. Petra hat ihre Stute ›Sonnenschein‹ dabei. Sie bedeutet ihr viel. Das Pferd hat eine sehr enge Bindung an Petra. Petra hatte Liebeskummer. Es ging da um einen Ulf, den sie seit ihrer Kindheit kennt. Mehr will ich nicht darüber sagen. Jedenfalls wollte Petra ihm eine Weile aus dem Weg gehen, deshalb kam sie her.«

»Und lief dir über den Weg«, lachte Toni. »Das musste so sein.«

»Wie meinst du das, Toni?«, fragte Kai verwundert.

»Das ist ganz einfach. Ich bin fest davon überzeugt, dass im großen Buch der Liebe genau verzeichnet ist, wer mit wem und so weiter und so weiter. Da steht drin, wer zusammengehört. Aber oft ist das Madl in der einen Ecke des Landes und der Bursche weit fort in der anderen Ecke. Dann wird es eben kompliziert. Sie müssen sich finden. Also passieren Sachen, die man nicht versteht. Die Folge dieser Ereignisse ist, dass die beiden sich begegnen. Ich will dir ein Beispiel geben. Ich bin aus den Bergen. Anna ist aus Hamburg. Sie fuhr mit dem Zug zu ihrer Freundin Sue nach Frankfurt, um bei ihr einen Kurzurlaub zu verbringen. Ich saß im Zug, der aus Norwegen kam und über Hamburg fuhr. Anna stieg ins Abteil. Ich war in Norwegen gewesen, um etwas über Schlittenhunde zu lernen. Es führt keine Straße herauf auf die Berghütte. Alles, was wir brauchen, muss mühevoll heraufgeschafft werden, entweder getragen oder mit einem Hund. Bello wollte ich dafür abrichten. So dachte ich mir, dass es eine gute Sache ist, wenn ich meine Freunde in Norwegen besuche und alles über Schlittenhunde lerne. Ich wollte das Wissen auf Bello anwenden.«

Bello lag vor dem Kamin. Als er seinen Namen hörte, hob er den Kopf.

»Ja, so war es, Kai. Dann traf ich Anna und verliebte mich in sie. Ich musste sogar einen Trick anwenden, um an ihre Adresse zu kommen. Doch dann war Anna hier in den Bergen. Da sie mit Neufundländerhunden aufgewachsen war, blieb sie, um Bello zu trainieren. Dabei war es uns längst klar, dass sie blieb, weil wir so verliebt waren.«

Toni trank einen Schluck Bier.

»Meine Anna ist eine Studierte. Sie hat Wirtschaft studiert und bei einer Bank in Hamburg gearbeitet. Sicher gab es Gerede, als durchsickerte, dass wir ein Paar sind. Dummköpfe, die Unkenrufe von sich geben, die gibt es immer und überall. Die musst du überhören. Hier in Waldkogel hieß es, mal sehen, wie lange diese Anna bleibt. Sie wird net durchhalten. Des wird auf Dauer nichts mit der Anna und dem Toni. Und in Hamburg konnten viele von Annas Freunden noch weniger verstehen, dass sie das elegante Kostüm mit dem Dirndl vertauschen wollte. An solchem dummen Gerede darf man sich nicht stören. Mach dir nicht so viele Gedanken, Kai. Fahr mit Petra zu ihren Eltern, dann wirst schon sehen. Mei, du bist doch ein Mann zum Pferde stehlen! Nur so einer passt zu Petra.«

Kai lächelte.

»Danke, Toni, du hast mir sehr geholfen.«

Toni schenkte noch einmal die Gläser mit Obstler voll. Die Männer prosteten sich zu und tranken.

Petra kam aus Franzis Zimmer.

»Schläft sie?«, fragte Anna.

»Ja, Anna, sie schläft. Sie ist so ein herziges Madl, eure Franzi.«

»Eines Tages wirst du auch ein Madl haben, Petra«, sagte Anna leise.

»O ja, das werde ich. Deshalb lasse ich dich jetzt hier in der Küche allein und gehe zu meinem Kai. Ich muss ihn noch ein bisserl bearbeiten. Er ist so ein lieber Bursche.«

»Ich wünsche dir Glück, Petra.«

»Danke! Ich denke, ich habe mein Glück gefunden.«

Petra ging hinaus zu Kai und Toni.

*

Petra und Kai verbrachten die nächsten Tage in den Bergen. Sie wanderten Hand in Hand durch die Wälder rund um Waldkogel. Sie hatten sich so viel zu sagen. Dabei lernten sie sich besser kennen. Die Aufregung in ihren Herzen legte sich. Ein immer stärker werdendes Gefühl der Zuversicht erfüllte sie. Sie erkannten, dass ihre Herzen sich nicht geirrt hatten und sie zusammengehörten. Sie waren sich so nah.

Von Tag zu Tag verstärkte sich das Gefühl, dass es unerheblich war, wie kurz sie sich erst kannten. Es war ihnen, als wären sie schon lange zusammen.

»Liebste Petra, ich begreife nicht, wie ich es schaffen konnte, bisher ohne dich zu sein. Wie konnte ich ohne dich leben?«

Petra lächelte und gab ihm einen Kuss.

»Das ist auch für mich ein Geheimnis. Aber vielleicht hat die Liebe uns schon längst im Geiste verbunden? Ich denke, es gab ein unsichtbares Band zwischen unseren Herzen. Es zog sich immer enger und enger zusammen, bis wir uns gegenüberstanden. Wenn ich über mein Leben nachdenke, dann gab es viele Ereignisse, die ich im Rückblick als Wegweiser sehe.«

»Ja, so empfinde ich es auch. Unsere Wege führten nach Waldkogel. Hier in der schönen Landschaft und auf dem Gestüt der Gassers kreuzten sich unsere Wege.

Sie gingen Hand in Hand den Weg entlang. Jetzt blieben sie stehen. Sie nahmen sich in die Arme und küssten sich. Es war ein langer, inniger und zärtlicher Kuss.

»Petra, ich liebe dich so sehr! Es gibt in keiner Sprache Wörter dafür, die das wirklich beschreiben.«

Petra lächelte und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen.

»Ich habe Sprachen studiert und kenne mich aus. Es gibt sehr poetische Beschreibungen der Liebe. Aber ich stimme dir zu. Wörter kommen auch mir unvollkommen vor, um die Gefühle auszudrücken. Ich liebe dich, Kai. Wir haben eine neue Sprache entdeckt, unabhängig von allen Sprachen, die es auf der Welt gibt. Es ist die Sprache der Liebe. Sie wird von allen Menschen gesprochen, die wirklich lieben. Sie wird mit dem Herzen gesprochen. Die Wörter sind die Küsse und Berührungen der Liebenden.«

»Ja, so ist es, Petra! Lass uns schnell in dieser Sprache weiterreden. Ich habe dir so viel zu sagen, Liebste.«

Sie hielten sich fest und küssten sich. Kai streichelte Petra über das Haar. Er tat es sacht. In dieser Berührung lag so viel Liebe und Achtung und Hingabe.

Welch ein wunderbarer Mann, dachte Petra. Ich hatte keine Vorstellung davon, wie ein Mann sein müsste. Sicher wollte ich einen Mann, eine Familie, Kinder, aber ich war nicht auf der Suche. Ich dachte, ich hätte noch Zeit. Mein Leben lief einfach so ab. Ich war glücklich und zufrieden. Doch mit Kai ist alles anders. Das Leben mit einem Menschen zu teilen, den man liebt und von dem man geliebt wird, macht das Leben so viel reicher. Alles ist größer und schöner und alles wird einfacher, weil man jemanden an seiner Seite hat, dessen Herz im Gleichklang mit dem eigenen Herzen schlägt.

Geliebt zu werden, das war eine ganz neue Erfahrung für Petra. Es bedeutete, ganz so angenommen zu werden wie man war. Sie konnte Kai alles sagen, mit ihm über ihre geheimsten Gedanken sprechen, ihm ihre Träume erzählen. Kai ist ein wunderbarer Mann, dachte Petra. Er ist so rücksichtsvoll. Er will, dass es mir gut geht. Fast ist es so, dass er sich zu viele Gedanken macht. Er wird ein wunderbarer Familienvater sein. Er ist genau wie ich beseelt von der Vorstellung, dass Harmonie in einer Familie wichtig ist.

Petra empfand Mitleid mit ihm. Sie hatte erkannt, wie sensibel er hinter der Oberfläche war. Dass seine Mutter ohne den Segen ihrer Eltern sich für Kais Vater entschieden hatte, lastete auf ihm. Kai liebte seine Mutter. Obwohl diese sicherlich sich wenig anmerken ließ, so musste Kai als Kind gespürt haben, wie schwer seine Mutter an dieser Last trug.

Petra bewunderte Kais Mutter und freute sich darauf, sie kennenzulernen. Sie muss eine wunderbare Frau sein und sie muss stark sein. Sie hatte sich entschieden, der Liebe zu folgen, gegen alle Widerstände und gegen das Unverständnis, das ihr entgegengeschlagen war. Sicherlich kam es später zu einer Aussöhnung mit den Eltern. Kai hatte ihr alles erzählt. Aber dieses Kindheitserlebnis prägte Kai und seine Geschwister sehr. Kai war zehn Jahre alt, als seine Münchner Großeltern plötzlich vor der Tür standen. Obwohl er bis dahin nichts vermisst hatte, wurde ihm bewusst, dass durch ihr Verhalten und ihre jahrelange Ablehnung, sie ihm und seinen Geschwistern etwas vorenthalten hatten. Kinder brauchen intakte Familien- und Verwandtschaftsverhältnisse. Eltern und Großeltern sollten sich ergänzen. Kai hatte in dieser Beziehung hohe Ideale. Das ist auch gut so, dachte Petra. Trotzdem wusste sie, dass sie nichts tun konnte, um ihm die letzten Sorgen restlos zu nehmen. Kai fürchtete sich vor dem Augenblick, wenn er ihren Eltern gegenübertreten würde. Die Angst, als Schwiegersohn nicht akzeptiert zu werden, war unbegründet, davon war Petra überzeugt. Aber es war ihr unmöglich, ihm diese Angst zu nehmen.

Sie hatten ausführlich darüber gesprochen. Sie hatte gesagt, dass sie mit ihm bis ans Ende der Welt gehen würde und durch alle Stürme. Kai glaubte Petra. Aber er wusste, wie schwer es für sie sein würde und wünschte sich, dass ihr das Leid erspart bliebe, das seine Mutter ertragen musste.

Dass Kai so dachte, empfand Petra als eine großartige Liebeserklärung.

Hand in Hand wanderten sie den Weg entlang. Sie schwiegen und warfen sich nur Blicke zu. Doch ihre Herzen sprachen miteinander. Abends kehrten sie zur Berghütte zurück oder sie übernachteten in Schutzhütten. So vergingen die Tage.

Petra rief oft auf dem Gasser Gestüt an und erkundigte sich nach ›Sonnenschein‹. Luise beruhigte sie. Die Stute fühle sich wohl und habe einen guten Einfluss auf Wotan.

»Du kannst es dir kaum vorstellen, Petra. Unser temperamentvoller Wotan ist lammfromm und sanft. Die beiden sind unzertrennlich.«

Luise war sich sicher, dass Wotan ›Sonnenschein‹ gedeckt hatte. Petra freute sich und entschied, sofort ihren Aufenthalt in den Bergen abzubrechen und auf das Gestüt zurückzukehren.

»Kai, ich muss nach ›Sonnenschein‹ sehen.«

»Willst du eine Ultraschalluntersuchung machen lassen?«, fragte Kai.

»Ja, das will ich. Doktor Beate Brand, die örtliche Tierärztin, soll sehr gut sein. Luise und Hannes sind jedenfalls von ihr begeistert. Sie hat selbst eine Stute und kennt sich gut mit Pferden aus.«

Es war Nachmittag, als Petra und Kai zurück zum Gestüt kamen. Petra rief die Tierärztin an. Sie kam am Abend. Petra holte ›Sonnenschein‹ aus der Koppel. Beate untersuchte die Stute und lächelte.

»Temperatur und alle Anzeichen sprechen dafür, dass es geklappt hat. Meinen Glückwunsch! ›Sonnenschein‹ ist eine gesunde robuste Stute. Es wird keine Schwierigkeiten geben.«

Doktor Beate Brand lächelte.

»Das wird ein Prachtexemplar von Fohlen – bei dieser Mutter und diesem Vater!«

Petra freute sich. Sie und Kai standen lange an der Koppel und schauten den Pferden zu. Welch ein schöner Anblick!

»Kai, ich glaube es ist Zeit heimzufahren. Kommst du mit?«

»Ich folge dir überall hin, und sei es bis ans Ende der Welt und wieder zurück, meine geliebte Traumfrau.«

Sie nahmen sich in die Arme und küssten sich lange und innig.

Kai besprach mit Hannes und Luise die Abreise.

Er lieh sich einen Pferdeanhänger, den Petra an ihren Jeep hängen konnte.

Schon abends packten sie ihre Sachen, damit sie am nächsten Tag bereits bei Sonnenaufgang abreisen konnten.

Petra wollte früh fahren, wenn die Straßen noch nicht so voll waren, also vor dem aufkommenden täglichen Berufsverkehr.

*

Es war kurz nach acht Uhr, als sie auf dem Gestüt ankamen. Petra fuhr direkt zur Koppel. Dort holte sie ›Sonnenschein‹ aus dem Hänger.

»So, jetzt bist du wieder daheim«, flüsterte sie ihr zu. »Ich komme später wieder, dann reiten wir aus.«

›Sonnenschein‹ drehte fröhlich einige Runden über die Wiese, dann begann sie damit, Gras abzuzupfen.

Petra schaute Kai an und lächelte.

»So, Sonnenschein ist versorgt. Jetzt sind wir an der Reihe.«

Sie nahmen sich in die Arme und küssten sich.

»Himmel, Kai, was bist du so verkrampft? Sei locker, alles wird gut! Ich liebe dich!«

»Ich liebe dich so sehr, Petra. Mein Herz sagt mir, ich muss mir keine Sorgen machen, aber in meinem Kopf kreisen andere Gedanken. Trägt nicht jeder die Erfahrungen seiner eigenen Familien mit sich herum? Sie prägen ihn. Dass meine Großeltern meinen Vater abgelehnt hatten, hat mich auch geprägt.«

Sie streichelte ihm die Wange.

»Das weiß ich. Aber gleich wirst du sehen, wie es auch anders sein kann. Ich bin sicher, meine Eltern werden dich annehmen wie den Sohn, den sie nicht hatten. Sie wären sehr dumm, wenn sie es nicht täten. Nun lass uns gehen. Wir könnten noch Stunden hier stehen und darüber reden. Ich weiß, dass dir das nicht hilft. Vertraue mir! Unsere Liebe wird sie überzeugen. Meine Eltern sind großartig. Sie lieben mich und sie werden den Mann, den ich liebe und der der Vater ihrer Enkel wird, auch lieben.«

»Wie wollen wir es machen? Soll ich sie gleich ansprechen? Was soll ich sagen?«

Petra schlang ihre Arme um seinen Hals. Sie küssten sich.

»Es wird sich alles ergeben. Ich werde dir helfen. Jetzt gehen wir erst einmal hinein, dann sehen wir weiter. Außerdem können wir unsere Liebe nicht verbergen. Jeder kann es uns ansehen, dass wir so verliebt sind.«

Petra nahm Kai bei der Hand und sie gingen ins Haus.

Petras Eltern saßen am Küchentisch und frühstückten. Sie standen auf, als die beiden die Küche betraten und begrüßten sie. Elke umarmte ihre Tochter herzlich. Dann schüttelte sie Kai die Hand. Joachim streichelte Petra kurz die Wange und sagte:

»Schön, dass du Kai mitgebracht hast«, dabei blinzelte er seiner Tochter zu. Er neigte sich zu Petras Ohr und sagte leise: »Siehst gut aus! Schaust richtig glücklich aus. Kann es sein, dass Kai die Ursache ist?«

»Vater, du kannst ruhig laut sprechen. Ja, Kai ist die Ursache, dass ich mich so wunderbar fühle.«

Elke Jungdorf legte noch zwei Gedecke auf.

»Nach der Fahrt habt ihr bestimmt Hunger, richtig? Greif zu, Kai! Ich kann doch einfach Kai sagen, oder?«

»Mama, net so förmlich! Sicher kannst du einfach Kai sagen«, kam Petra Kai zuvor.

Dieser saß mit einem hochroten Kopf am Frühstückstisch. Petra tat, als sehe sie seine Verlegenheit nicht. Sie goss sich Kaffee ein, gab Milch und Zucker hinzu und rührte um. Dabei fixierte sie die Kaffeeoberfläche in ihrer Tasse. Ohne aufzuschauen, sagte sie:

»Also, die Tage in Waldkogel waren wunderschön und sehr, sehr ereignisreich. Ich habe nachgedacht und alles sortiert, was ich ordnen wollte. Es ist so. Also, wenn ihr nichts dagegen habt, dann möchte ich später unser Gestüt übernehmen. Ich gehöre hierher aufs Gestüt und zu den Pferden. Nur hier bin ich glücklich.«

Petras Eltern warfen sich Blicke zu.

»Das freut uns, Petra! Wir wissen auch, dass du das nicht nur uns zuliebe tust, sondern dass dieser Wunsch wirklich deinem Herzen entspringt«, sagte Joachim Jungdorf. »Aber bist du nicht aus einem anderen Grund in Urlaub gefahren? Wolltest du nicht über die Liebe nachdenken?«

Petra schaute auf und schmunzelte. Sie warf Kai einen Seitenblick zu.

»Das habe ich auch. Ich habe viel über die Liebe nachgedacht. Wobei Nachdenken eigentlich Unsinn ist. Über die Liebe kann man nicht nachdenken. Die Liebe kann man nur fühlen. Entweder ist das Herz voller Liebe oder es ist leer. Mein Herz war leer. Jetzt ist es voll. Also habe ich über die Folgen der Liebe nachgedacht. Und viele Erfahrungen ausgetauscht, in Sache Familie und Zusammenleben. Aber es war in Ordnung. Ich musste ihm nur etwas die Furcht nehmen. Ganz scheint es mir nicht gelungen zu sein. Seht nur, wie aufgeregt er ist! Du Armer!«

Petra streichelte Kai die Wange.

»Soso, dann hat sich etwas getan zwischen dir und Kai?«, sagte Joachim Jungdorf und schmunzelte dabei.

»Ja, Papa! Ich liebe Kai und er liebt mich. Aber Kai hat etwas Furcht vor euch, weil sein Vater Argentinier ist. Seine Mutter kommt aus München. Allerdings waren ihre Eltern damals nicht einverstanden, als sie sich in den feurigen Bernardo verliebte. Sie sprachen Jahre lang nicht mit ihrer Tochter und blieben ihrer Hochzeit fern. Kais Mutter hat das tief getroffen und es schmerzt sie bis heute. Deshalb hat Kai Angst, dass sich dieses Drama wiederholen könnte.«

Petras Eltern sahen sich an.

»Dann ist es ernst mit dir und Kai?«, sagte Petras Vater.

»Ja, es ist mir sehr ernst. Es machte einfach ›krach‹, ›peng‹ und ›bum‹, dann war die Liebe in meinem Herzen.«

»Eigentlich machte es ›plitsch‹ und ›platsch‹, denn ich bin ins Wasser gesprungen«, sagte Kai.

»Genau! So war es. Aber willst du nicht auch einmal etwas sagen, Kai?«

Er tupfte sich mit der Serviette die Lippen ab.

Dann stand er auf.

»Herr Jungdorf, Frau Jungdorf! Ich habe mich in ihre Tochter verliebt. Sie erwidert meine Liebe. Es ist eine tiefe Liebe und sie wird von Dauer sein. Ich werde alles tun, damit Petra glücklich ist. Es war ihr Wunsch, dass wir mit Ihnen sprechen. Nicht, dass Sie denken, das ich nicht gewollt hätte. Aber in meiner Heimat ist es so, dass die jungen Leute sich erst länger kennen, von den Familien eingeladen werden und die Familien sich gegenseitig einladen, damit sie sich ein Bild machen können. Ich bin etwas verunsichert, wie die Bräuche hier sind.«

Kai warf Petra einen Blick zu. Sie brach in schallendes Gelächter aus.

»Kai, alles ist gut! Setz dich wieder hin.«

»Ja, Kai, nimm wieder Platz. Wir wissen längst, was du für unsere Petra empfindest. Die Liebe stand dir schon in den Augen, als ihr hier wart, um ›Sonnenschein‹ zu holen. Außerdem wissen meine liebe Elke und ich genau, wie das ist, wenn die Liebe wie ein Blitz einschlägt. Wir waren gerade achtzehn Jahre alt, als wir es erlebten. Wenn du unsere Petra liebst, dann müsst ihr euch einig werden. Wir werden unserer Tochter keine Steine in den Weg legen. Ist das richtig, Elke?«

»Das ist richtig. Petra kann frei entscheiden, wem sie ihr Herz verschenkt.«

Elke Jungdorf lächelte Kai an. Er tat ihr schon fast leid, so aufgeregt war er.

Sie ahnte, wie tief ihn das Schicksal seiner Mutter bewegte. Sie sagte weiter:

»Kai, Achim und ich, wir sind keine Eltern, die der Hochzeit ihrer einzigen Tochter fernbleiben würden, ganz gleich für wen sich

ihr Herz entscheidet. Aber ich gestehe, dass ich mir sehr viele Gedanken gemacht hatte, ob sie mit Ulf glücklich werden würde. Dass Petra sich in einen Pferdenarr verliebt hat, das ist sehr, sehr gut. So war es bei mir und Achim auch. Ich bin sicher, dass du der Richtige bist und Petra glücklich machst.«

Petras Vater nickte eifrig.

»Bist du jetzt zufrieden, Kai?«, fragte Petra.

Kai nickte. Er strahlte. Jeder sah, dass ihm ein Stein vom Herzen fiel.

Er stand auf, griff in die Hosentasche und zog eine kleine Schachtel hervor.

Petra schlug die Hand vor den Mund, als er sie öffnete.

»Kai!«, stieß sie entzückt hervor.

»Pst! Das ist mein Augenblick«, sagte er.

Kai kniete vor Petra auf den Dielenboden der Küche.

Er nahm ihre Hand. Petra stand auf.

»Liebe Petra! Ich liebe dich! Ich möchte dich zu meiner Frau machen und bitte dich als Zeichen meiner Liebe diesen Verlobungsring anzunehmen. Willst du meine Frau werden?«

Petra packte Kai am Hemd und zog ihn auf die Füße. Sie legte die Arme um seinen Hals und küsste ihn.

»Ja, ich will deine Frau werden! Ganz, ganz schnell, will ich deine Frau werden.«

Kai steckte Petra den Ring an den Finger. Es war ein goldener Ring mit einem Diamanten. Dann nahmen sie sich fest in die Arme und küssten sich.

Petras Eltern standen auf und traten zu dem jungen Paar. Sie schlossen zuerst Petra in ihre Arme und dann Kai.

»Du hast eine gute Wahl getroffen, Petra«, sagte ihr Vater.

Er streckte Kai die Hand hin und sagte:

»Dann bin ich nicht mehr der einzige Mann in der Familie. Das gefällt mir, Kai. Ich bin der Joachim oder Achim, wie ich gerufen werde. Sei mir willkommen!«

Kai bekam feuchte Augen.

»Komm her, Kai«, rief Petras Mutter. »Jetzt haben wir einen Buben. Ich bin die Elke!«

Petras Vater holte den Cognac und sie stießen an.

»Wo wollt ihr heiraten?«, fragte Elke.

»Also, in meiner Heimat ist es so, dass dort geheiratet wird, wo das junge Paar wohnt«, sagte Kai.

»Wir können hier auf dem Standesamt heiraten und dann bei dir in Argentinien kirchlich, Kai«, sagte Petra.

Kai schüttelte den Kopf.

»Nein, wir heiraten standesamtlich hier und kirchlich. Aber wenn ich einen Vorschlag machen darf. Ich würde dich gern in Waldkogel vor den Traualtar führen. Dort habe ich den Engeln vom ›Engelssteig‹ eine große Kerze gestiftet und versprochen, wir heiraten in der schönen alten Kirche, wenn sie uns helfen, dass aus uns ein glückliches Paar wird.«

»Wann warst du in der Kirche? Wir waren doch fast immer zusammen, Kai. Und wann hast du den Ring gekauft?«

»Das war an dem Nachmittag, als ich unterwegs nach Nürnberg war, die Stuten zu holen. Ich stoppte bei der Kirche. Den Ring habe ich unterwegs in München gekauft.«

Er lachte.

»Ich habe in München einen kleinen Verkehrsstau verursacht, als der Pferdetransporter die Straße vor dem Juweliergeschäft blockierte. Aber die Polizei war sehr freundlich und hat mir geholfen, als sie hörte, ich wollte für meine Liebste einen Ring kaufen.«

»Der Ring ist wunderschön, Kai!« Sie lachte. »Aber wenn ich im Stall arbeite, werde ich ihn abnehmen. Dann trage ich ihn an einem Band um den Hals.«

»Es freut mich, dass er dir gefällt. Die Eheringe werden wir zusammen aussuchen.«

»Das werden wir«, sagte Petra und küsste Kai.

Dann musste Kai von Argentinien erzählen.

Petras Eltern stellten Fragen nach seiner Familie.

»Deine Mutter kommt also aus München«, sagte Elke.

»Ja, meine Großeltern wohnen in München. Sie haben ein großes Geschäft für Trachtenmoden.«

»Oh, das ist wunderbar«, rief Petra aus. »Wann lerne ich sie kennen? Wollen wir sie besuchen?«

Kai lächelte.

»Wir werden sie besuchen. Aber wir sollten auf meine Mutter und auf meine Familie warten.«

Kai lächelte erneut.

»Ich habe heute Nacht lange mit meinen Eltern telefoniert. Sie werden noch heute zusammen mit meinen Großeltern abfliegen, sobald sie alles geregelt haben.«

»Sie kommen her? Wie wunderbar«, rief Petra. »Ich freue mich. Sie müssen sehr neugierig auf mich sein.«

»Das kann ich nur bestätigen. Aber sie sind sehr glücklich, dass ich dich gefunden habe. Mein Vater hatte eigentlich damit gerechnet, dass ich ›El Acaballadero Miguel‹ leiten werde. Das wird jetzt mein Bruder machen. Die Liebe ist mir wichtiger.«

»Moment!«, sagte Petras Vater. »Du hast etwas mit dem Gestüt Miguel zu tun?«

Kai errötete verlegen.

»Achim, du hast mich nach dem Gestüt Miguel gefragt. Da bin ich dir ausgewichen. Ja, ich habe sehr viel damit zu tun. Das Gestüt gehört meinem Großvater und meinem Vater, – neben vielen anderen Gestüten und Beteiligungen an Gestüten in Argentinien.«

Es war ganz still in der Küche, nur das Ticken der Uhr war zu hören. Petras Eltern waren sprachlos. Sie warfen sich Blicke zu.

»Petra, hast du gewusst, aus welchen Stall Kai kommt?«, fragte Elke.

Die Frage war unnötig, denn Petra stand die Überraschung ins Gesicht geschrieben. Kai schmunzelte.

»Ich gebe zu, dass ich etwas drum herumgeredet habe. Aber ich bin ich. Ich bin nicht nur der Sohn und Enkel der Besitzer des ›Acaballadero Miguel‹.«

»Ich hielt dich für einen einfachen Pferdepfleger«, sagte Petra fast mit tonloser Stimme.

»Ich hoffe, du nimmst mich auch, obwohl ich nicht arm bin?«

»Geld ist im Leben zwar notwendig, aber nicht das Wichtigste. Ich wollte einen Mann zum Pferde stehlen. Das bist du. Ich weiß, dass du es immer bleiben wirst.«

Petra gab Kai einen Kuss.

»Aber ich gebe zu, dass ich schon ein wenig überrascht bin, wenn nicht gar geschockt. Aber damit kann ich leben.«

Kai griff nach Petras Hand.

»Dann kannst du sicher noch eine Überraschung verkraften. Ich bringe es am besten gleich hinter mich«, sagte er und sah auf die Uhr. »In diesem Augenblick wird am Flughafen in Buenos Aires ›Diabolo‹ verladen. Er ist das Geschenk meiner Eltern und Großeltern, meiner ganzen Familie für uns.«

»Di…, Dia..., Diabo…, Diabolo, der weltbekannte Zuchthengst?«, stotterte Petra.

»Ja, genau, der ist es.«

»Deine Eltern müssen verrückt sein. Diabolo, der ist …, der ist …«

Petra wollte den Preis nennen, aber Kai verschloss ihr den Mund mit einem Kuss.

»Pst! Er ist ein Geschenk. Bei Geschenken fragt man nicht nach dem Preis. Meine Eltern und Großeltern freuen sich einfach, dass ich dich gefunden habe und wollen uns mit der Zucht helfen. Das tut man so innerhalb der Familie.«

Petra lachte.

»So sehen also argentinische Zustände aus!«

»Genauso ist es! Alles bleibt innerhalb der Familie und Großfamilie. Wir halten zusammen und tun alles, damit die nächste Generation eine Basis hat.«

Kai wandte sich an Elke und Joachim.

»Ihr seid doch damit einverstanden?«

»Bub, wie kannst du fragen? Ich habe so viel über Diabolo in den Pferdezeitschriften gelesen und darüber, welche Nachkommen er hervorgebracht hat. Ich habe mir immer gewünscht, ihn wenigstens einmal zu sehen.«

»Das kannst du ab morgen jeden Tag tun, Achim. Du musst dann nur in den Stall oder auf die Koppel gehen«, lachte Kai.

Kais Handy summte.

»Oh, eine SMS!« Kai las sie laut. »Lieber Kai! Diabolo ist verladen. Wir fliegen in einer halben Stunde ab. Wir freuen uns alle riesig. Grüße deine Petra und ihre Eltern von der ganzen Familie. Mama. Dann schreibt sie noch, wann das Flugzeug in Frankfurt landet. Wir fahren mit dem Pferdanhänger hin und holen sie ab.«

»Aber sicher machen wir das, Kai! Wann sind sie da?«

Kai reichte Petra das Handy.

»Gut, dann gibt es noch einiges zu tun, bis ihr euch auf den Weg machen könnt«, sagte Elke. »Joachim, du und Kai richtet eine Box für Diabolo her. Petra und ich beziehen die Gästezimmer.«

Kai und Joachim gingen in den Stall.

Petra blieb mit ihrer Mutter noch einen Augenblick in der Küche sitzen.

»Wann wollt ihr heiraten? Habt ihr schon den Termin besprochen?«

»Wir wollen schnell heiraten, Mama. Das machen wir genauso wie du und Papa damals. Ich hoffe, wir werden so glücklich wie ihr.«

»Das werdet ihr bestimmt. Kai ist ein ganz lieber Bursche. Er wird dich auf Händen tragen und immer Rücksicht auf dich nehmen. Er ist ganz anders als Ulf. Kai ist ein anderer Typ Mann. Er passt zu dir.«

»Ja, Mama, das tut er! Gleich als ich ihn sah, wusste ich es. Da war ein Gefühl, das habe ich bei Ulf nie verspürt. Er war eben immer nur ein Freund. Aber auch die wunderbarste, vertrauensvollste Freundschaft ist nicht genug für eine Ehe. Es ist eben nur Freundschaft und keine Liebe. Ich werde bald mit Ulf reden und ihm sagen, wie das so ist mit der Liebe. Ich hoffe, dass er eines Tages auch die Liebe findet.«

»Jeder Mensch sollte eines Tages die Liebe finden. Es ist die Liebe, die alles auf der Welt zusammenhält.«

»Ja, so ist es!«

Petra strich sich verlegen eine Haarsträhne hinters Ohr.

»Mama, hast du noch meine alten Baby- und Kindersachen?«

»Aber sicher! Ich habe alles aufgehoben. Sie sind in den vielen Koffern auf dem Dachboden.«

»Das ist wunderbar! Ich will uns bis zur Hochzeit nicht nur ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer einrichten, sondern auch gleich ein Kinderzimmer.«

»Wenn du das so möchtest, dann helfe ich dir dabei. Ihr wollt bald ein Kind haben?«

»Mama, nicht nur ein Kind, ich will Kinder, eine richtige Großfamilie soll es werden. Ich hoffe, es sind auch ein paar Buben darunter.«

»Hauptsache, die Kinder sind gesund!«, sagte ihre Mutter mit Nachdruck. »Und ob es Buben oder Madln sind, das kommt auf den Mann an. Aber da der Kai so viele Brüder hat, denke ich mir, dass es schon hinkommen kann.«

Petra und ihre Mutter gingen hinauf in die zweite Etage des schönen großen Hauses und bezogen die Betten.

*

Franziska stürmte vom Geröllfeld in die Wirtsstube der Berghütte.

»Toni, der Leo ist im Anflug«, rief Franzi.

»Des ist gut«, sagte Toni knapp und ging hinaus.

Er stand auf der Terrasse der Berghütte und sah, wie Leonhard Gasser den Hubschrauber der Bergwacht auf das Geröllfeld absetzte.

Bald standen die Rotorblätter still. Leonhard, der Leo gerufen wurde, sprang heraus. Toni lief auf den Helikopter zu.

»Danke, dass du gekommen bist. Ich habe vorhin das letzte Fass Bier angezapft. Schön, dass du Nachschub bringst. Vergelt’s Gott!«

»Es ging nicht früher mit dem Übungsflug. Es ist schönes Wetter und es sind sehr viele Bergtouristen unterwegs. Da waren mal wieder einmal einige Hornochsen drunter. Sie waren sehr leichtsinnig. Wir hatten in den letzten Tagen mehr Einsätze als in den ganzen letzten Wochen zuvor. Des war wirklich Stress und so unnötig wie ein Kropf. Weißt, Toni, manchmal könnte ich am liebsten reinhauen. Denen sollte man eine Tracht Prügel verabreichen, bei so viel Unvernunft. Es ist wohl das Gesetz der Serie, dass bei denen der Wahn ausgebrochen ist und solch unnötige Risiken eingegangen werden. Wir hatten mehrere Fälle, wo die Ausrüstung einfach mangelhaft war. Bei so viel Leichtsinn hört mein Verständnis auf.«

»Ich verstehe, was du meinst, Leo. Manchmal denke ich, das kommt daher, dass es so viele Filme gibt, in denen die Romantik der Berge im Vordergrund steht und die Gefahren verharmlost werden.«

»Damit kannst schon recht haben, Toni! Jedenfalls hast du jetzt wieder genug Bier für die Hüttengäste.«

»Da danke ich dir herzlich dafür!«

»Gern geschehen! Außerdem ist es auch praktisch. Übungsflüge mit Gewicht müssen ohnehin gemacht werden. Da fliege ich lieber Bier auf die Berghütte als Sandsäcke im Kreis herum.«

Die beiden Freunde lachten, luden die Fässer aus und rollten sie in den Schuppen auf der Rückseite der Berghütte.

Anschließend lud Toni den Freund auf einen Kaffee ein. Leonhard trank weder Bier noch Obstler, wenn er im Dienst war. Sie setzten sich in der Berghütte an einen Tisch.

»Hast du etwas bei der oberen Behörde erreicht, Leo? Du weißt schon, wegen der Sperrung des ›Engelssteigs‹?«

Leonhard trank einen Schluck Kaffee.

»Ja, ich habe in München vorgesprochen. Die Herren haben sich die Sache von oben angesehen. Sie waren überrascht, welche Ausmaße die Sache angenommen hat. Trotzdem muss alles seinen gesetzlichen Weg gehen. Jedenfalls wurde mir gestern am Telefon zugesichert, dass die Kreisbehörde in Zusammenarbeit und auf Anregung der Bergwacht, etwas unternehmen werde. Kurz, für einige Wochen werden die Wanderwege rund um Waldkogel, die hinauf zum Hang des ›Engelssteigs‹ führen, gesperrt für Wanderer und Leut’, die da nix zu suchen haben. Der Hofer ist schon informiert. Die Forstmeister der anderen Forstbezirke helfen auch dabei. Es werden Barrieren gebaut und Schilder aufgestellt, die drastisch vor der Gefahr von Erdrutschen und Lawinen warnen. Die obere Behörde will für einige Wochen zusätzliches Personal abstellen, zum Kontrollieren. Diese Souvenirspechte müssen gebremst werden. Es gibt Stellen am Hang, die mehrere Quadratmeter groß sind. Dort kann man deutlich sehen, wie viel Fels abgehauen wurde.«

Leonhard trank einen Schluck Kaffee.

»Gut, wirklich groß ist die Gefahr noch nicht. Aber wenn des jahrelang so weiterginge, dann würde es bedenklich. Außerdem kann sich doch net jeder einfach ein Stück Felsen heraushämmern! Also, ich denke, ab morgen herrscht Ruhe.«

»Das ist sehr gut! Dann kann man nur hoffen, dass dieses Reiseunternehmen die Bustouren nach Waldkogel bald einstellt.«

»Das denke ich auch. Wenn keiner von den sogenannten Pilgern an den Berg herankommt, verliert so eine Tagestour schnell ihren Reiz. Nur unten zu stehen und mit dem Fernglas den Gipfel zu betrachten, das hat zwar auch etwas, aber es ist etwas anderes.«

»Du sagst es, Leo!«

»Dazu kommt noch, dass es sehr teuer wird, wenn sich jemand nicht an das Verbot hält. Dann gibt es eine Geldstrafe. Sobald es ans Geld geht, so hoffe ich, werden sie es lassen.«

»Ja, das bleibt zu hoffen. Weißt, Leo, ich bin da auch etwas im Konflikt. Wir alle hier in Waldkogel glauben fest an die Engel vom ›Engelssteig‹ und wir freuen uns auch über jeden, der sich den Engeln mit seinem Kummer anvertraut. Aber es ist doch immer etwas ganz Persönliches und Privates, wenn wir mit den Engeln reden. Dieser Massenpilgerstrom, der geht mir einfach gegen den Strich, zudem, wenn des Ganze kommerziell gemacht wird.«

»Da wollte sich des Reiseunternehmen eine goldene Nase verdienen, Toni. Des ist eben in der heutigen Zeit so.«

»Ich weiß, Leo! Es tut mir weh, wenn jemand den Bergen nicht den nötigen Respekt entgegenbringt und die nötige Ehrfurcht«, seufzte Toni.

»Des geht mir doch auch so. Aber bald, so denke ich, sind wir wieder unter uns. Die Touristen, die normalerweise herkommen, die kommen schon seit Jahren und sind wahre Bergliebhaber. Es wird wieder ruhiger werden, Toni, auch für uns von der Bergwacht. Viele, die wir retten mussten, hatten sich von dem Pilgervirus anstecken lassen. Sie waren vorher nie in den Bergen, waren also ungeübt und hatten dazu noch eine mangelhafte Ausrüstung. Jetzt müssen wir nur noch eine Weile Geduld haben, dann ist der Spuk vorbei.«

Toni trank einen Schluck Bier.

»Des ist gut! Danke, dass du dich eingesetzt hast, Leo.«

»Des war doch selbstverständlich!«

Leonhard trank seinen Kaffee aus. Toni brachte ihn hinaus und sah dem Hubschrauber nach, wie er übers Tal von Waldkogel in Richtung Kirchwalden flog.

*

Kais Eltern und Großeltern waren von Petra begeistert und schlossen sie gleich tief in ihr Herz. Petras Eltern verstanden sich ebenso gut mit ihnen. Kais Vater sprach Deutsch, wenn auch mit starkem Akzent. Seine Eltern sprachen nur Spanisch. Aber in Familien, in denen sich der Lebensinhalt rund um Pferde dreht, war die Sprache kein großes Hindernis. Außerdem dolmetschten Kais Mutter oder Petra, wenn es notwendig war. Die Männer waren den ganzen Tag bei den Pferden und schmiedeten Pläne, wie sie ›El Acaballadero Miguel‹ und das Gestüt Jungdorf noch enger verzahnen konnten, jetzt, da die Familien bald verwandt sein würden.

Petra, ihre Mutter und Silvia, Kais Mutter, waren mit den Hochzeitsvorbereitungen beschäftigt. An einem Tag fuhren die drei Frauen allein nach München und besuchten Silvias Eltern. Sie nahmen sich sofort Petra an und kleideten die Zukünftige ihres Enkels komplett neu ein.

»Aber das sind doch viel zu viele Geschenke. Das kann ich doch nicht annehmen«, sagte Petra.

»Kind, des nimmst! Und jetzt will ich nix mehr hören. Wir waren damals, als unsere Silvia heiratete, sture Hornochsen und schlechte Eltern. Da wollen wir jetzt wenigstens gute Großeltern sein. Also,

lass dich von uns verwöhnen.«

Silvia blinzelte Petra zu. Sie verstand, dass ihre Eltern es total übertrieben. Aber sie ließ sie gewähren und freute sich für ihre Schwiegertochter.

»Weißt, Petra, wir hatten damals einfach nur Angst, als unsere Silvia sich in den Bernardo verliebt hatte. Was wird aus dem Madl werden im fernen Argentinien, des fragten wir uns. Damals sprach der Bernardo noch kein Wort Deutsch. Wir hatten viele schlaflose Nächte und haben es unserem Madl schwer gemacht.«

»Ja, das habt ihr! Das war für mich damals nicht einfach. Schlimm war es, vor den Altar zu treten und zu wissen, dass ihr meinen Mann nicht leiden könnt«, seufzte Silvia.

»Aber des hat sich geändert, Silvia. Des weißt doch. Mei, wir wissen, dass wir es nicht ungeschehen machen können. Aber inzwischen hat dein Mann einen festen Platz in unseren Herzen. Was habt ihr für prächtige Kinder! Wer hat schon so schöne Enkel wie wir? Ich kenne niemanden. Jetzt werden wir wohl hoffentlich bald Urgroßeltern. Was meinst, Petra?«

Petra lachte.

»Also, an mir soll es nicht liegen, und Kai wird sicher seinen Teil dazu beitragen. Kinder sind doch die Krönung der Liebe, Omi Kunz.«

»Das sind sie, Petra! Du musst mir versprechen, uns sofort anzurufen, wenn du weißt, dass du schwanger bist.«

Die alte Frau tätschelte Petras Wange.

»Das verspreche ich«, lachte Petra. »Aber erst werden wir heiraten.«

So geschah es dann auch.

Die standesamtliche Trauung fand in Petras Heimat am Bodensee statt. Mehr als fünfzig Verwandte waren aus Südamerika gekommen. Nach der Trauung auf dem Rathaus am Vormittag, wurde am Nachmittag gefeiert.

Dazu kamen mehr als dreihundert Gäste auf das Gestüt. Alle waren von Petras Mann begeistert und zollten ihm hohe Anerkennung dafür, dass er Petras Mädchennamen als Familiennamen angenommen hatte. Es wurde bis tief in die Nacht gefeiert und getanzt. Eine Blaskapelle spielte ländliche Weisen und Walzer. Daneben gab es eine südamerikanische Folkloregruppe, die aufspielte. Die Paare gaben sich den Tangorhythmen hin.

Als die Sonne den nächsten Tag ankündigte, warf Petra den Brautstrauß. Unter Beifall fing ihn eine junge Frau auf, die den ganzen Abend mit Ulf getanzt hatte. Petra hatte ihn eingeladen. Petra blinzelte Ulf zu und verschwand mit Kai im Haus.

Zwei Tage später reisten Petra und Kai mit allen Verwandten nach Waldkogel. Dort, in der schönen Barockkirche, ließen sich die beiden den kirchlichen Segen geben, wie es Kai den Engeln versprochen hatte. Sie waren ein wunderschönes Paar, wie es Waldkogel noch selten gesehen hatte.

Petra trug ein weißes Spitzenkleid mit langer Schleppe und einem Schleier, wie sie ihn Bräute in Argentinien aufsteckten. Kai glänzte im schwarzen Anzug, wie ihn Männer in seiner Heimat trugen. Aus München war ein weiterer Geistlicher gekommen, der Spanisch sprach. So wurde die Zeremonie in Deutsch und in Spanisch gehalten.

»Jetzt sind wir gleich zweimal verheiratet«, flüsterte Kai, als sie nach der Trauung Arm in Arm durch den Mittelgang schritten.

»Drei Mal«, sagte Petra leise.

Nach der Trauung wurde im Hotel ›Zum Ochsen‹ gefeiert. Der große Ballsaal leerte sich erst am nächsten Morgen.

Drei Tage später nahmen Petra und Kai Abschied von den Freunden auf dem Gasser Gestüt. Sie verabschiedeten sich von Toni und Anna, den Kindern und dem alten Alois. Dann flogen sie mit Kais Verwandten nach Argentinien in die Flitterwochen. Kai wollte seiner jungen Frau seine Heimat zeigen. Sie blieben fast ein Vierteljahr.

Als sie zurückkamen, sah Petras Mutter ihrer Tochter sofort die Veränderung an.

»Madl, du bist schwanger, richtig?«

»Ja, Mama, ja! Ich bin in guter Hoffnung! Ist es nicht wunderbar?«

Im kommenden Jahr wurden Petra und Kai glückliche Eltern eines Buben, den sie Johann nannten. Erstens, weil Kai einen Vornamen haben wollte, der mit einem ›J‹ anfing wie Jungdorf. Zweitens, weil sein Jugendfreund Juan, der Hannes gerufen wurde, Patenonkel wurde.

Klein Hannes entwickelte sich prächtig und bekam in den nächsten Jahren noch zwei Schwestern, Judith und Jasmin, sowie zwei Brüder, Jürgen und Jonas. Alle Kinder erhielten zu ihrem vierten Geburtstag ein eigenes Pony. Wenn Petra und Kai mit den Kindern ausritten, dann konnte jeder sehen, dass das Glück auf den Rücken der Pferde lag.

Toni der Hüttenwirt Staffel 16 – Heimatroman

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