Читать книгу Von Get Back zu Let It Be - Friedhelm Rathjen - Страница 8
Komplikationen Montag, 6. Januar 1969, Filmstudio Twickenham
ОглавлениеWiederum ist es Paul, der als erster Beatle am Probenort ist. Kurz vor halb elf unterhält er sich mit Michael Lindsay-Hogg und Glyn Johns über das Abschiedskonzert von Cream, dem am Vorabend eine Sendung der BBC gewidmet war, und über Barry Ryans Hitsingle Eloise, die ihm gefällt, seinen Gesprächspartnern aber nicht. Paul spielt am Klavier OH! DARLING (1:33) und singt sich durch den Text des offenbar schon fertigen Songs (einige Sekunden dieser Probe sind später im Film Let It Be zu sehen). Paul überlegt, ob dies ein Stück für die Bandproben sein könnte, aber Lindsay-Hogg will lieber mehr über das letzte Stück vom Freitag wissen, Maxwell’s Silver Hammer. Paul meint, das sei ein bisschen wie die satirisch-parodistischen Lieder von Tom Lehrer, bringt dann das Gespräch auf One After 909, ein Stück, von dem alle gleich zu schwärmen anfangen. Paul: „Das war toll. Ich hatte an das nämlich gar nicht mehr gedacht, weil’s eines der ersten Stücke war, die wir geschrieben haben.“ Er schwelgt in alten Zeiten, erzählt davon, wie John und er sich nach der Schule getroffen und Songs geschrieben haben – unzählige Songs, die sie nie ganz für voll genommen haben, weil sie nicht richtig fertig wurden oder alberne Texte hatten (Paul singt ein paar Beispiele).
Lindsay-Hogg will wissen, ob es noch viele unveröffentlichte Aufnahmen von den Beatles gibt. Paul: „Decca hat noch ein paar Sachen.“ (Er meint die Bänder vom Vorspiel der Beatles Anfang 1962, nach dem Decca es ablehnte, sie unter Vertrag zu nehmen, weil „Gitarrenbands auf dem absteigenden Ast“ seien.) Außerdem gebe es noch eine Live-Aufnahme aus der Hollywood Bowl. Paul berichtet, gerade habe er sich wieder Sgt. Pepper angehört, und als er gefragt wird, ob die Platte ihm noch gefalle, bejaht er und schwärmt von den Geräuschen des Livepublikums am Anfang – wobei ihm das derzeitige Vorhaben einfällt: „Das hab ich mir bisher gar nicht als Vorbereitung einer Platte vorgestellt. Als ich mir Sgt. Pepper anhörte, kam mir wieder in den Sinn, wie es ist, ein Livekonzert zu spielen, auch wenn’s da nur eine künstliche Liveatmosphäre ist. Da lacht dann vielleicht plötzlich irgendwer, und man weiß nicht warum.“ Mit Glyn Johns diskutiert er die für einen Konzertmitschnitt nötige technische Ausrüstung. Paul gefallen Verstärker, mit denen man einen leichten Verzerrungseffekt erhält; als Beispiele erwähnt er Jimi Hendrix und The Who.
Dann taucht der verschlafene Ringo auf. Paul mit Nachdruck: „Guten Morgen?“ Ringo: „Ich will nicht lügen – mir geht’s nicht übertrieben gut!“ Lindsay-Hogg fragt, ob eigentlich beim ständigen Spielen mit großer Lautstärke das Gehör leide. Ringo: „Man gewöhnt sich dran. Ärgerlich ist es, wenn man Kopfhörer auf hat, und irgendwer dreht am falschen Knopf.“ Paul fällt ein, dass man mit gezieltem Feedback-Einsatz jemanden geradezu foltern könne.
John trifft ein (natürlich mit Yoko) und trällert kurz einen Frankie-Valli-Song, in den Paul einstimmt: C’MON MARIANNE (0:28). Lindsay-Hogg will wissen, ob die Royal Albert Hall nicht ein guter Ort für ihren Liveauftritt wäre, aber Paul hat offenbar keine Lust auf das Thema und lästert lieber wieder über die Cream-Sendung im Fernsehen, deren zerhackende Schnitte ihm ebenso missfallen haben wie die allzu albernen begleitenden Interviews.
Als letzter Beatle erscheint nun George und erzählt ausgiebig von seinen Schlafstörungen und den Problemen beim Versuch, Paul anzurufen, um ihn zu wecken. Derweil wird gefrühstückt. Gelangweilt singen George und Paul die Titelzeile aus I’VE GOT A FEELING (0:14). George: „Also – was ist das hier?“ Ringo: „Die Ruhephase.“ Paul: „Das sind einfach wir gegen den Morgen. Das hier ist Kaffee.“ Lindsay-Hogg fängt wieder von der Cream-Sendung an, die George allerdings gefallen hat.
George und Paul singen noch ein bisschen I’VE GOT A FEELING (0:07), und George sagt, er habe am Wochenende einen Gospelsong geschrieben. John: „Anrufung welches Heiligen?“ George: „Anrufung des Herrn. Hear Me Lord. Ich rufe dich an.“ Alle kichern. Lindsay-Hogg fragt nochmals nach dem geplanten Liveauftritt. George: „Ich denke, wir vergessen die Idee mit dem Auftritt komplett.“ Noch mehr Gekicher, nun allerdings etwas verkniffen. Paul: „Okay.“ John: „Bin auf deiner Seite.“ Paul: „Zurück in die Schule.“ Sie gehen zu ihren Instrumenten, und George singt beim Stimmen seiner Akustikgitarre eine Zeile aus Jerry Lee Lewis’ HIGH SCHOOL CONFIDENTIAL (0:10), spielt dann ein bisschen I’VE GOT A FEELING (0:50), wobei ihm vom Text kaum mehr als „oh yeah“ einfällt. Als nächstes probiert er zwei Passagen aus seinem neuen Gospelsong HEAR ME LORD (0:22/0:33), während die anderen weiterreden. George: „Das ist schon wieder nur so’n komischer Tag.“ Paul möchte mit der Probenarbeit anfangen, aber da das mäandernde Gespräch (hauptsächlich über Fragen der technischen Ausrüstung) noch nicht beendet ist, spielt George (zunächst akustisch, dann elektrifiziert) eine weitere Neukomposition, diesmal einen Blues: FOR YOU BLUE (0:43/1:00); beim zweiten Versuch singt Paul einen improvisierten Text dazu – dies ist endlich ein neuer Harrison-Song, der ensemblefähig ist.
Paul zupft ein bisschen am Bass herum, setzt sich dann an die Orgel und stimmt einen neuen Song an, bei dem er die Kollegen zum Mitmachen auffordert: CARRY THAT WEIGHT (1:31). Das Stück hat eine Middle Eight mit noch unfertigem Text, die später wieder aufgegeben werden wird. George klinkt sich aus, um mit John über dessen fiktionales 1969 Diary zu sprechen (auch Yoko wird dabei sehr gesprächig); Ringo hat sich unterdessen ans Klavier gesetzt und stimmt eine neue Eigenkomposition an, OCTOPUS’S GARDEN (0:37), deren Text bisher nur eine Strophe hat. Paul spielt dazu Orgel, leitet am Ende aber wieder zu CARRY THAT WEIGHT (0:20) über. Ringo erzählt, auf seinen Song sei er durch ein Gespräch mit einem Bootskapitän auf Sardinien gekommen – aber Paul interessiert sich mehr für sein eigenes Stück und probiert, unterstützt vom mitsingenden Ringo, noch ein Weilchen an CARRY THAT WEIGHT (1:31) herum.
Und noch ein neues, diesmal rein instrumentales Stück hat Paul in petto, das er nun in einer langen Improvisation an der Orgel auswalzt: THE CASTLE OF THE KING OF THE BIRDS (13:05), ein Stück, das er Jahre später für den Soundtrack des Zeichentrickfilms Rupert the Bear verwenden wird. Ringo am Schlagzeug und dann auch John und George an den Gitarren machen nach einiger Zeit mit, und es wird eine veritable (wenn auch zeitweise mangels Abwechslung etwas stumpfsinnige) Jam-Session daraus. Kaum ist sie beendet, initiiert Ringo am Schlagzeug eine neue Gruppenimprovisation (8:46+), die zunächst von Pauls Orgelriffs getragen wird, ehe John und George sich an den Gitarren nicht sonderlich einfallsreich in den Vordergrund spielen. Nach dem zähen Auslaufen der Improvisation beginnt John, ein Lied zu spielen und zu singen, das die anderen bestens kennen, weswegen sie gleich mitspielen: ACROSS THE UNIVERSE (2:34). Von diesem Song existieren eine Demoversion aus dem März 1967 sowie mehrere komplette Takes aus dem Februar 1968, darunter eine fertig abgemischte ‚endgültige’ Aufnahme. George will wissen, was aus der eigentlich geworden sei, doch John entgegnet, sie könnten eine bessere hinkriegen. Der gerade beendete Versuch allerdings klang eher stümperhaft, weshalb sich George mit einer flotten Version von Dylans I WANT YOU (3:15) zerstreut, an der sich alle drei Kollegen beteiligen, die aber in jeder Hinsicht völlig daneben geht. George fängt an, von Dylans erstem Auftritt mit elektrischer Gitarre 1965 zu erzählen, und kommt dann auf Bluesgitarristen zu sprechen. Paul fällt auch einer ein: „Wie heißt der noch gleich, der hier schon seit Jahren zugange ist? Ein Bluessänger, ein Amerikaner, der seit Jahren in Großbritannien tourt?“ Die Umstehenden nennen zahlreiche Namen, aber alle sind falsch, und endlich fällt es Paul selbst ein: „John Lee Hooker!“ Also improvisieren George und Paul (jetzt wieder am Bass) ein paar Bluesschnörkel (0:29), die ein bisschen nach Georges For You Blue klingen, aber ganz bestimmt nicht nach Hooker.
Aus dem Blues entwickelt sich eine kurze, riffbetonte Improvisation (1:05+), an der sich alle beteiligen, doch klingt das Ganze recht zäh. Aus der Lethargie reißt Paul die Kollegen mit einem flotten Bassrhythmus und einem sehr schnellen, boogieartigen Stück, dessen Text sich weitgehend auf die Zeile „You wear your women out“ (6:42) beschränkt; unklar ist, ob es sich dabei um ein Songfragment oder um einen reinen Augenblickseinfall handelt. Kurz vor Schluss der gemeinsamen Improvisation streut einer der Gitarristen ein paar Akkorde aus I’ve Got A Feeling ein, und dieser Appell an den Gemeinschaftsgeist hat Erfolg – es folgt eine vollständige Version von I’VE GOT A FEELING (4:08), die text- und struktursicher ausfällt, allerdings absolut schauderhaft klingt. Paul leiert kurz die Parodie einer angeblichen Analyse des Stücks durch William Mann, den Musikkritiker von The Times, herunter. Keiner der Beatles scheint in ernsthafter Probenstimmung zu sein, also nudeln sie ein bisschen auf ihren Instrumenten herum, bis Paul unvermittelt mit einem zappeligen Bassriff die übrigen Beatles animiert, zu einem von ihm herausgequäkten Ad-hoc-Text mit der Schlüsselformulierung „My imagination“ (4:04) zu improvisieren. Spielweise und Stimmung sind aufgekratzt und auf Krawall gebürstet, von Wohlklang keine Spur.
Aus dem folgenden Stimmen der Instrumente und Saitengefummel baut sich gleich die nächste Gruppenimprovisation (5:53) auf, diesmal in langsamerem Rhythmus und nicht gar so schrill, aber immer noch eher schroff als entspannt klingend. Die Beatles, hat es fast den Anschein, würden gern auch einmal wie die gerade aufgelösten Cream klingen – und entwickeln sogleich eine weitere Improvisation, nun mit einem um eine Spur schnelleren, auf Lässigkeit angelegten Rhythmus, über dem Paul recht unverständliche Zeilen um ein wiederholtes „I’m gonna pay for his ride“ (3:43) singt. Als die mit einem gekonnten Bluesschnörkel glücklich beendet ist, möchte zur Abwechslung nun John zur Probenarbeit zurückkehren und bringt sein einziges dafür taugliches neues Stück ins Gespräch.
Also stimmen die Beatles nochmals ihre Instrumente und spielen dann einmal DON’T LET ME DOWN (1:38+) – jenes Stück, das am Freitag zuvor so schön kompakt geklungen hatte, nun aber ziemlich zerfasert. Ein Versuch Johns, DON’T LET ME DOWN (0:56) vom Refrain her nochmals zu beginnen und improvisierte Varianten zuzugeben, wird zwar von Paul aufgenommen, scheitert aber an den Missklängen. John flüchtet sich in eine sofort von allen aufgenommene Interpretation von ONE AFTER 909 (2:49), die deutlich langsamer als am Freitag ausfällt, im Klang einigermaßen zäh – aller Schwung ist aus der Nummer raus. Aus Detailprökeleien von Paul am Bass und George an der Gitarre entsteht eine weitere Teilprobe von ONE AFTER 909 (1:40) im gleichen Tempo, die immerhin ein paar nette Ideen für Pedaleffekte von George abwirft. Über bluesige Phrasen von George improvisiert Paul passende Vokalkreischer mit der Motivzeile „They call me fuzz face“ (0:36), und damit haben sie sich in Stimmung gebracht für eine am Ende abbrechende Hardrockversion von ONE AFTER 909 (1:36); nun wollen sie offenbar nicht mehr wie Cream klingen, sondern wie die Rolling Stones. George verlangt ein anderes Wah-Wah-Pedal, improvisiert dann diverse Riffs und einen flinken Teildurchlauf von THAT’S ALL RIGHT (0:40) von Elvis Presley. Die harte Rock ’n’ Roll-Stimmung hat inzwischen auch John gepackt, der sich an Chuck Berrys THIRTY DAYS versucht (0:18), aber aufhört, als George beim Drehen an seinem Verstärker quietschende Rückkopplungen auslöst. Als George schließlich den Wah-Wah-Klang hinbekommt, den er sich vorgestellt hat, geht John auf seine Riffs ein, und das Spiel mit den Klangeffekten steigert sich zu einem improvisierten Gitarrenduett (1:56+).
Aber George hat mit seinen Wah-Wah-Effekten etwas anderes vor – er will den Song, den er am Wochenende geschrieben hat, ausprobieren, und so kommt es zu zwei immer wieder abbrechenden Durchläufen von HEAR ME LORD (3:03/2:20), anfangs von George solo bestritten, ehe John und Ringo zaghaft einsteigen. Zwischendurch fragt Paul George, ob er sich vorstellen könne, das beabsichtigte Konzert vor Ort in Twickenham abzuhalten. George kann sich das zwar vorstellen, findet aber nicht viel Gefallen an der Akustik und schlägt als Alternative die Räumlichkeiten der EMI vor, was wiederum Paul nicht sonderlich gefällt, der lieber eine Umgebung hätte, die ihnen schon vertraut ist. Also bringt er doch wieder Twickenham ins Gespräch und meint, hier gebe es ein kleines Studio mit einer Atmosphäre wie seinerzeit im Cavern Club. Von George Martin und Glyn Johns will er wissen, ob man vor Ort die nötige Aufnahmetechnik installieren könne. Könne man, meinen die Experten und fangen an, die Details zu diskutieren. Eine so große Nähe zwischen den Beatles und ihrem Publikum, wie sie Paul vorschwebt, schreckt George allerdings ab, was George Martin mit dem ironischen Vorschlag kommentiert, da könne doch Stacheldraht eine Hilfe sein. Vielleicht sollte man das Publikum erhöht platzieren – Ringo erkennt gleich, dass das schöne Effekte für die Kameras ergäbe. Paul: „Wir könnten das Publikum rundherum sitzen haben wie in so einem Gladiatorenring, erst herrscht Leere in der Mitte, und dann kommen wir mit Löwen und den Gitarren rein.“ Bei diesen Spinnereien fällt allen etwas ein, nur John schweigt lange, und als er nach seiner Meinung gefragt wird, spielt er ein Rock ’n’ Roll-Riff (0:25) auf der Gitarre und singt dazu seinen Kommentar: Ein intimes Setting finde er aus Gründen der Akustik besser als eine große Halle.
Wenn John mit der Gitarre zur Diskussion beitragen kann, dann kann George sich mit der Gitarre aus der Diskussion ausklinken – er vergnügt sich, indem er wieder einige Takte von HEAR ME LORD (0:15) spielt. Er und John dudeln ein paar Improvisationen auf ihren Gitarren, vielleicht haben sie beide die Nase voll von der Diskussion. Da die anderen aber immer noch weiterquatschen, unterbricht George sie schließlich und fragt Paul, ob er denn auch einen bestimmten alten Musichall-Song singen wolle. Als Antwort stimmt Paul das Lied gleich an, und zwar mit Schmackes: LEANING ON A LAMP POST (1:31). George und John unterstützen ihn an den Gitarren; jetzt ist wieder Musik angesagt, und John singt kurz ein eigenes Stück im Musichall-Stil, ANNIE (0:26), nicht ohne zu erwähnen, es sei für Ringo. Da will George nicht zurückstehen und stimmt (unterstützt von John an einer zweiten Gitarre) ein Lied auf eine „Maureen“ (2:08) an, von dem er behauptet, es stamme von Bob Dylan – äußerst unwahrscheinlich, aber Ringo gefällt es, denn seine Frau heißt Maureen. Es folgt Georges Soloversion von Chuck Berrys I’M TALKING ABOUT YOU (0:46), einem Song, den die Beatles 1963 bei einem ihrer BBC-Auftritte spielten. Damit zieht er zugleich den Schlussstrich unter einen von viel talking und wenig Proben gekennzeichneten Vormittag; auf Pauls Betreiben ziehen sie zur (letztlich fruchtlosen) Suche nach geeigneten Räumlichkeiten für das Livekonzert los – Zeit für die Mittagspause.
Nach der Mittagspause geht das Gerede um Ort und Rahmen des geplanten Livekonzerts erst einmal weiter. Hauptkontrahenten in der Diskussion sind Yoko Ono, die für etwas möglichst Ungewöhnliches plädiert, zum Beispiel ein „poetisches“ Konzert ohne Publikum, und Michael Lindsay-Hogg, der auf ein möglichst „normales“ Konzert dringt (alles andere würde dem geplanten Film zuwider laufen), auch wenn er dafür gern einen spektakulären Schauplatz hätte. Paul versucht, zwischen den beiden Standpunkten zu vermitteln und dabei seine Gedanken zu sortieren: „Was ist der Nutzen eines Publikums? Der Nutzen eines Publikums kann sein: die pure Großzügigkeit, für die Leute zu spielen, weil man sie liebt. Oder Eintrittsgelder zu kassieren. Oder eine Reaktion zu bekommen, was der Show nützt. Aber das hieße doch, dass die Show allein nicht genug ist, dass wir vier nicht genug sind.“ Paul versucht, sich Yokos Standpunkt anzunähern, indem er einen ungewöhnliches Rahmen zumindest in Betracht zieht. George meint, ein Publikum könne Vor- und Nachteile haben – mit den Nachteilen meint er sehr wahrscheinlich das, was Yoko anspricht, nämlich das Klischee der jugendlichen Fans, die kreischen und sich die Kleider vom Leibe reißen. Paul: „Wir wollen doch zwei Konzerte geben. Wir könnten den einen Abend vor leerer Stille spielen und den anderen vor besetzten Reihen.“ Lindsay-Hogg bringt die Idee auf, irgendwo in idyllischer Umgebung am Meer zu spielen. Paul: „Aber das muss in England sein, weil – äh – wir beschlossen haben, nicht ins Ausland zu gehen.“ Und weiter: „Was Yoko sagte, ist richtig: Man kann nicht wieder das altbekannte Publikum haben – oder die altbekannte Szenerie. Wenn’s das altbekannte Publikum wäre, und wir wären alle nackt, dann hätten wir eine neue Szenerie.“ Also nicht das Publikum, sondern die Beatles verändern? George hätte allerdings lieber ein nacktes Publikum, als selbst nackt spielen zu müssen, findet dann aber: „Wichtig wäre, dass wir uns ein ganz neues Image schaffen. Wir könnten uns einfach ein Image überlegen, wie wir sein wollen. Wir könnten einfach eine Nachtclubcombo sein oder – irgendwas halt. Gedämpftes Licht und nur zehn Leute da.“ Paul hat eine ähnliche Idee: „Ein Ballsaal – wenn wir’s einfach wie eine Tanzveranstaltung aufziehen würden. Wir spielen alle unsere Nummern und spielen wie zum Tanz, ohne irgendwelche Ansagen, erst eine schnelle Nummer, dann eine langsame, und alle tanzen einfach. Kann schon sein, dass es eine Prügelei gibt, kann schon sein, dass die Dinge eben passieren, die bei Tanzveranstaltungen passieren.“ Das Problem dabei ist, muss er zugeben, dass sie halt die Beatles sind und keine beliebige Tanzcombo.
Aber sind sie überhaupt noch die Beatles? Die Beatles sind immerhin vier; an der Diskussion jedoch beteiligen sich nur zwei von ihnen; von Ringo nämlich ist nichts zu hören und, schlimmer noch, von John auch nicht. Yoko spricht für ihn, woraus sich für Paul das Problem ergibt, dass er diplomatisch reagieren muss, denn jeder Versuch, Yoko offen zu widersprechen, würde John, für den Yokos Wort inzwischen offensichtlich Gesetz geworden ist, den Beatles weiter entfremden. Was also tun?
Am besten, sie gehen wieder an die Arbeit, nehmen ihre Instrumente und spielen. Paul nimmt allerdings nicht sein eigenes Instrument, sondern setzt sich an Ringos Schlagzeug und entwickelt einen schleppenden Rhythmus, auf dem John und George, nachdem sie ihre Gitarren gestimmt haben, eine nicht übertrieben einfallsreiche Improvisation (5:16) aufbauen. Nach kurzer Pause wird relativ zusammenhanglos weitergejammt; zwischenzeitlich gehen die Improvisationen auf Georges Initiative hin in eine von ihm gesungene Interpretation des Smokey-Robinson-Songs TRACKS OF MY TEARS (2:22) über, dann wird weiter improvisiert, bis George seine Kollegen mitreißen kann zu einem Rock ’n’ Roll-Medley, bestehend aus recht beherzt gespielten Versionen von Larry Williams’ DIZZY MISS LIZZY (3:00), Barrett Strongs MONEY (THAT’S WHAT YOU WANT) (2:44), Jerry Lee Lewis’ FOOLS LIKE ME (3:38) sowie zwei Nummern von Carl Perkins, SURE TO FALL (2:45) und RIGHT STRING, WRONG YO-YO (3:32) – alles Stücke, die die Beatles in ihren frühen Jahren im Repertoire hatten, was allerdings nicht heißt, dass sie die Songs (oder gar deren Texte) noch gut beherrschen.
Inzwischen ist es nach drei; der Spaß beim Spielen alter Lieblinge scheint heute geringer als an den Tagen zuvor, und probentechnisch hat der Tag noch überhaupt nichts gebracht, abgesehen vielleicht von der Erkenntnis, dass bei den Proben am Vormittag auch Johns am meisten versprechender neuer Song nicht mehr richtig laufen wollte. Folgerichtig wird jetzt anderthalb Stunden lang intensiv und ausschließlich an DON’T LET ME DOWN gearbeitet. Da die Grundstruktur des Stücks steht, werden einzelne Passagen gezielt durchgenommen und Varianten probiert. Zunächst steht die Middle Eight im Zentrum der Aufmerksamkeit, da John befürchtet, sie könne eine Schwachstelle sein. Paul verfeinert seinen Basspart und probiert diverse Falsettharmoniegesänge aus, teilweise auch mit neuen Textpassagen, da er (wie übrigens auch John selbst) findet, der bisherige Text sei ein bisschen kitschig; außerdem möchte er, dass George mitsingt. George hingegen möchte lieber einen anderen Rhythmus ausprobieren.
Statt des Rhythmus wird aber nur das Tempo verändert, allerdings bloß zur Entspannung: John verlangsamt das Stück und kaspert mit einem gesprochenen und ins Alberne übersteigerten Textfragment herum („And don’t you know it’s pretty scary on the floor / I get my hard-on every morning about nine o’clock when I get my toast and my tea“), singt und spielt dann kurz in beschleunigtem Tempo, bevor er zu ernsthaftem Tun zurückkehrt. Ein kompletter Durchlauf von DON’T LET ME DOWN (3:33) klingt recht homogen, wenn man davon absieht, dass John seinen Gesangspart überzogen schroff interpretiert, was nicht so recht zu Pauls schmachtend-schnulzigem Harmoniegesang passt. Außerdem fehlt weiterhin ein überzeugender Abschluss des Stücks. Ein zweiter Durchlauf von DON’T LET ME DOWN (3:22), der am Ende erneut ausfranst, weist ein verändertes Klangbild auf, weil Ringo einen schnelleren Rhythmus trommelt und George eine markante Wah-Wah-Gitarre spielt. John möchte aber keine Experimente von George und schmettert auch dessen Vorschlag ab, die Middle Eight etwas „heavier“ zu spielen. Auffällig ist, dass John bei der ganzen Detailarbeit auf jeden Vorschlag von Paul sofort eingeht, aber alles ignoriert, was von George kommt. Als George erneut einen veränderten, „funky“ klingenden Rhythmus vorschlägt, macht Paul den Versuch zwar kurz mit, aber ernsthaft geht niemand darauf ein.
So geht die Detailarbeit – fast ausschließlich an den Gesangsparts und der Middle Eight – ebenso end- wie fruchtlos weiter, und die allgemeine Frustration nimmt zu. George scheint vor allem die ewige Feilerei am Gesang leid zu sein: „Kitschig sind die Noten, die wir singen und spielen, nicht so sehr der Text. Was der Text aussagt, spielt keine Rolle.“ Paul möchte nämlich den Text nachbessern, weil er bestimmte Stellen zu kitschig findet: Sie klingen ihm „zu hübsch“. Und er ist genervt: „Wir sind zwar mit Verbesserungen beschäftigt, aber wir kommen einfach nicht weiter. Wir machen jetzt seit einer Stunde daran herum und sind wieder da, wo wir am Anfang waren. Lasst uns die Middle Eight jetzt mal abhaken und vorankommen.“ Aber dann ist es Paul selbst, der wieder neue (und wiederum fruchtlose) Vorschläge für den Gesang der Middle Eight macht, und aus dem Vorankommen wird nichts – sie treten auf der Stelle. George findet (zu recht) den ganzen Harmoniegesang von Nachteil; könnten sie sich ihre Versuche per Playback anhören (was immer noch nicht möglich ist, da eine Lautsprecheranlage fehlt), würden alle das einsehen. John: „Wir haben festgestellt, dass die Middle Eight die Schwachstelle ist – gut. Und wir haben an den Gesangsstimmen herumprobiert. Aber es ist immer noch der Rhythmus, an dem’s hängt.“ Als George etwas dazu sagen will, klinkt John sich aus und singt ein paar Takte aus Little Richards SEND ME SOME LOVIN’ (0:10). Am nächsten Versuch eines veränderten Gesangsarrangements beteiligt George sich gar nicht erst, und als der allgemeine Überdruss mit Händen zu greifen ist, versuchen die Beatles die unergiebige Tüftelei mit einem Komplettdurchlauf von DON’T LET ME DOWN (3:14) abzuschließen, der – angesichts der vielen Probleme – erstaunlich sicher und überzeugend ausfällt. Aber nun hat ausgerechnet George noch einen Vorschlag für die Middle Eight, der kurz ausprobiert und dann auf Pauls Geheiß in einem letzten, wiederum sehr geschlossen klingenden Durchgang von DON’T LET ME DOWN (3:32) umgesetzt wird, bei dem die allzu schmalzigen Gesangsideen Pauls zugunsten eines schlichteren Harmoniegesangs im Duett mit George entfallen. Die Richtung stimmt – die Arbeitsstimmung aber nicht, Abwechslung tut not.
Paul schlägt einen Song vor, der für einen musikalischen Stimmungswechsel gut ist, und so wird von nun an – es ist ungefähr 16.40 Uhr – etwa eine Stunde lang nur an TWO OF US gearbeitet. Erschwert wird diese Arbeit zunächst dadurch, dass John in seinem ausgedruckten „Plan“ erst den Text finden muss und sich nicht einmal mehr daran erinnern kann, welchen Part er an welcher Stelle des Songs zu singen hat. Mehrere Versuche, das Stück zunächst einmal komplett durchzuspielen, brechen ab, weil entweder John desorientiert ist oder Paul bemerkt, dass das Tempo verschleppt werde, der Rhythmus nicht stimme oder das Zusammenspiel mangelhaft sei.
Ganz offensichtlich möchte Paul nicht in dieselbe Falle laufen wie zuvor bei der fruchtlosen Detailarbeit an Don’t Let Me Down: „Lasst es uns erst einmal so spielen, dass wir’s auf einfache Weise beherrschen; anschließend können wir dann Sachen hinzufügen.“ George allerdings, den allzu einfaches Gitarrenspiel offenbar langweilt, ist anderer Meinung, er möchte Riffs ausarbeiten. Paul: „Aber wenn wir dauernd dafür unterbrechen, spielen wir nicht richtig zusammen. Das ist jetzt zu kompliziert. Schau mal, wir können’s schlichter spielen – und dann anschließend verkomplizieren, wo es was Kompliziertes braucht.“ George widerspricht: „Es ist gar nicht kompliziert, ich spiele einfach, wie es passt.“ Paul: „Ich versuch doch nur, dir zu helfen. Aber am Ende kommt dabei immer heraus, dass ich dich verärgere.“ George: „Du verärgerst mich nicht.“ Paul: „Dann mach es halt.“ George und Paul sind drauf und dran, in offenen Streit zu geraten, doch George bremst sich: „Auf Film kann ich das nicht, vor laufender Kamera.“ Der innerlich erregte Paul ist aber noch nicht fertig, er kann sich nicht zurückhalten: „Wir sind uns doch wohl alle einig, dass im Moment alles durcheinander ist, und wir sollten dieses Durcheinander erst einmal beseitigen. Und dann können wir anfangen, es komplexer zu gestalten. Wir haben nur noch zwölf Tage.“ Also versuchen sie, zunächst eine möglichst schlichte Fassung ihres Songs zu spielen, damit er nicht sofort zusammenfällt – aber das tut er auch so, denn für John ist schon das gegenwärtige Riff zu kompliziert.
Paul schlägt George einen Kompromiss vor: Er solle ruhig schon beim Solo improvisieren, aber nicht während des Gesangsparts, damit Paul und John nicht verwirrt werden. Und Paul erinnert George an eine ähnliche Meinungsverschiedenheit bei der Aufnahme von Hey Jude Ende Juli 1968 – ein Vorfall, den George nicht wieder aufwärmen möchte, weshalb er kategorisch erklärt: „Mir ist es jetzt egal – ich spiel alles, was du von mir willst, oder ich spiel auch gar nicht, wenn du’s nicht willst. Egal, womit ich dich zufriedenstellen kann, ich werd’s tun.“ Aber das fuchst Paul noch mehr: „Mach sowas nicht – wir müssen das wirklich klären. Wir sind hier beim Proben, und wir versuchen, etwas für die Fernsehshow auf die Beine zu stellen, also sollten wir es allmählich mal mit System angehen.“ Leider verfolgen sie jedoch unterschiedliche Systeme – Paul will von einfachen Fassungen ausgehen und dann jedes Detail einzeln nacharbeiten, George hingegen möchte von Anfang an alles ausprobieren, was ihm einfällt. Ein Kompromiss scheint unmöglich, und dementsprechend lautet der einzige konstruktive Vorschlag, der Paul einfällt: „Lass uns eine anderen Song machen.“ George: „Wie wär’s mit Maxwell’s Silver Hammer?“ Ausgerechnet in diesem Moment erwacht John aus seinem Koma und meint, sie sollten erst mal bei Two Of Us bleiben. Paul kann kaum noch an sich halten; sie hätten damit schon viel zu viel Zeit verschwendet, entgegnet er.
Also murksen sie an TWO OF US weiter, und John legt nach, indem er zu Paul sagt: „Du bist der Boss.“ Paul jammert, das sei er nun schon ein paar Jahre. Zufrieden damit klingt er nicht, beschwert sich vielmehr, dass alle immer nur mäkeln, aber außer ihm niemand die Initiative ergreife, und bringt seine Kritik auf den Punkt: „Das Problem ist, dass jeder für seine eigenen Stücke verantwortlich sein sollte und bestimmen müsste, wer wo improvisiert.“ George ist das recht, aber John findet, dieses Verfahren sei ihm zu mühselig. (Das Beispiel Don’t Let Me Down hat ja schon gezeigt, dass John es vorzieht, seine halbgaren Sachen von Paul perfektionieren zu lassen.)
Paul tritt die Flucht nach vorn an, in die Arbeit, und beginnt an einzelnen Passagen seines Songs herumzuprobieren. John wünscht eine Teepause, George zieht Bier vor. So dümpelt die Probe weiter vor sich hin. Irgendjemand fängt an, das französische Volkslied FRERE JACQUES (0:41) zu murksen; George reagiert mit einem Dylan-Song, IT AIN’T ME BABE (0:22), bei dem Paul mitsingt, doch John unterbricht sie und will den Rhythmus von Two Of Us diskutieren. George findet, der Song sei zu „heavy“ geworden – ob sie nicht mal eine mehr vom Country-Stil angehauchte Version versuchen wollten? Paul, offenbar um Gutwetter bemüht, stimmt zu, und so spielen sie sich in einer leichtfüßigen, transparenter als zuvor klingenden Version zum ersten Mal an diesem Tag komplett durch TWO OF US (3:20). Paul ist sehr zufrieden mit dem „lustigen Rhythmus“, versucht noch Veränderungen am Harmoniegesang, dann folgen zwei weitere Komplettproben von TWO OF US (2:45/2:47), die deutliche Fortschritte zeigten – sie sind endlich auf dem richtigen Weg „back home“.
Und auch wieder besserer Stimmung. Unbeschwert gibt Paul Anweisungen, um Detailverbesserungen zu probieren, und stößt sich nicht an den kleinen Schnörkeln, die George in das Stück einflicht. Eine der neuen Phrasen, meint Paul, klinge ein bisschen wie ein bekanntes Lied, das er kurz anstimmt: WHEN THE SAINTS GO MARCHING IN (0:06). George weiß es besser und singt einen Schnipsel aus dem Lied, das Paul eigentlich meint: LOOP DE LOOP (0:07) von Johnny Thunder. Paul muss sich kratzen, denn er hat sich eine Pilzinfektion in der Leistenbeuge zugezogen; John und George empfehlen ihm belustigt, sich unten mal zu waschen. Sauberer hinkriegen möchte George nun auch den Schluss von Two Of Us; auf seinen Vorschlag hin wird noch etwas dran gefeilt, bis Paul ein Gitarrenriff einfällt, das John spielen soll. Dem gelingt das aber nicht, und so flüchtet er sich in den Vorschlag, lieber Across The Universe zu proben.
Dummerweise hat niemand den Text des Songs parat. George nutzt die Situation und spielt rasch HEAR ME LORD (0:08) an, aber niemand geht drauf ein, und John funkt dazwischen, indem er trotz mangelnder Textbeherrschung ACROSS THE UNIVERSE (3:02) zu spielen beginnt. Die anderen machen zwar lustlos mit, doch da das Proben ohne Text wenig Sinn hat, bekommt George eine zweite Chance zu HEAR ME LORD (1:43), diesmal ansatzweise unterstützt von John, der dann jedoch abbricht und fragt: „Willst du nicht das ältere von dir machen? Das mit mir an der Orgel?“ Paul: „Ich hatte das letzte Nacht in meinem Kopf.“ George: „Prima.“ Offenbar hat Paul von Verbesserungen am Arrangement des Stücks geträumt, die er sogleich vorschlägt, und so spielen sich die Beatles nun – kurz nach sechs Uhr – nach einigen Detailtests zweimal mehr oder weniger komplett durch ALL THINGS MUST PASS (3:36/3:28), beeinträchtigt allerdings durch diverse Fehler von John, der nicht in der richtigen Verfassung für konzentriertes Arbeiten ist und zur Lockerung einen raschen Galopp durch den Chris-Montez-Hit LET’S DANCE (0:54) initiiert. Paul jedoch möchte weiter an Georges Song arbeiten, und es folgen zwei fast komplette Durchläufe von ALL THINGS MUST PASS (3:32/3:04+) sowie im Anschluss daran mehrere Versuche, gezielt am problematischen Schlusspart zu feilen.
Paul, sichtlich um Rücksichtnahme bemüht: „Willst du’s noch mal machen?“ George: „Eigentlich nicht.“ Paul: „Okay, dann zeig ich euch die Akkorde von ’nem anderen.“ Also versuchen sich die Beatles – nach Pauls Stop-and-Go-Demonstration – an einer ersten Probe von dessen Neukomposition SHE CAME IN THROUGH THE BATHROOM WINDOW (2:48). Paul muss zugeben: „Auch das ist wieder ein langsamer Song“ – also nicht der ersehnte Knaller für den Liveauftritt. George spielt dazu eine markante Wah-Wah-Begleitung, die Paul unter anderen Umständen vielleicht bemängelt hätte, aber nun bemüht er sich, niemanden zu verprellen, auch nicht durch allzu ausgiebige Probenarbeit am eigenen Song – nach einigen wenigen Detailfeilereien und zwei weiteren Durchläufen von SHE CAME IN THROUGH THE BATHROOM WINDOW (2:47/1:40+) ist er offenbar mit dem Erreichten zufrieden, wünscht allen „Gute Nacht!“ und verlässt unter Absingen der Titelzeile von CARRY THAT WEIGHT (0:09+) fast fluchtartig den Schauplatz. John und Ringo räumen ebenfalls schnell das Feld; als letzter verabschiedet sich George vom technischen Team: „Gutnacht alle, Gutnacht Mikrofon!“ Ein langer Probentag ist zu Ende.
Es ist ein Probentag, dessen Fazit durch die Bank negativ ausfällt. Die Beatles sind offenbar vom Wochenende geschlaucht (Ringo gibt es offen zu) und vertun viel Zeit mit uninspiriertem Improvisationsgedudel und dem lahmen Aufwärmen einiger Oldies, die nicht einmal ansatzweise hinreichen, um den Geist alter Zeiten aufleben zu lassen. Brauchbare neue Songs sind nicht in Sicht (Georges ganz frisches Hear Me Lord ist wieder nicht das, was sie für ihr geplantes Konzert brauchen, und auch Pauls She Came In Through The Bathroom Window ist kein Rocker). Die Arbeit an Johns Don’t Let Me Down dreht sich im Kreis, diejenige an Georges All Things Must Pass leidet wie schon am Freitag am ungünstigen Zusammenwirken der lethargischen Stimmung, die der Song hervorruft, mit der spätnachmittäglichen Erschöpfung der Beatles. Bei den Proben von Two Of Us gibt es zwar am Ende einen Fortschritt, doch erst, nachdem Paul und George aufgrund ihrer unterschiedlichen Arbeitsstile böse aneinandergerasselt sind, wobei eine alte Wunde neu aufbricht – schon auf kleinste Andeutungen reagieren die beiden empfindlich. Der Konflikt wird auch dadurch gespeist, dass George sich von Paul und John nicht als vollwertiger Partner ernstgenommen fühlt. Und er hat ein Nachspiel: Einige aus dem Kontext gerissene Sequenzen des Wortwechsels erscheinen später im Film Let It Be und führen weithin zu dem Fehlschluss, Georges Ausstieg vier Tage später sei die Folge seiner Behandlung durch Paul gewesen. Da sich Filmbilder dem Gedächtnis stärker einbrennen als das eigene Erleben, wird sogar Paul das später glauben – so schafft filmische Fiktion tatsächlich Realität. Im Film Let It Be wird zudem eine aus einem ganz anderem Zusammenhang stammende Bemerkung Johns direkt hinter den Wortwechsel zwischen Paul und George geschnitten und erweckt den Eindruck, John habe die Partei von George ergriffen. Tatsächlich ergreift John überhaupt keine Partei, sondern benimmt sich gerade an diesem kniffligen Probentag wie weggetreten, hat weder neue Songs noch musikalische Ideen zu bieten, beherrscht die Texte der zu probenden Lieder nicht und auch seine Instrumente kaum, verfällt außerdem bei der entscheidenden Diskussion über das Ziel der laufenden Proben in völliges Schweigen – und überlässt es Yoko, die Meinungen des John-Yoko-Zwillingspaars kundzutun. Der einzige Beatle, auf den an diesem Tag Verlass ist, ist kurioserweise der offensichtlich verkaterte Ringo: Er spielt sein Schlagzeug, findet instinktiv zu allen Nummern sofort seinen Part, gibt keine Widerworte (allerdings mäkelt auch niemand an ihm herum) – und schweigt. Ringos Schweigen ist ein hilfreiches Schweigen, Johns Schweigen hingegen ein hilfloses – als Beatles-Boss hat John schon lange abgedankt, eine Tatsache, die niemand heftiger bedauert als Paul.