Читать книгу Gesammelte Werke von Friedrich de la Motte Fouqué - Friedrich de La Motte Fouque - Страница 68

Erster Teil

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Inhaltsverzeichnis

In dem gesegneten Schwabenlande, hart an den Ufern des Donaustroms, liegt eine schöne Aue, darauf sich einstmalen im Monat Mai, just als die letzten Sonnenstrahlen von den Blumen Abschied nehmen wollten, ein junger Knappe erging, der Otto von Trautwangen geheißen war. Von seines Vaters, Herrn Hugh von Trautwangens Veste, die unweit auf einem hohen Berge stand, pflegte er oftmals in diese anmutige Gegend zu kommen, bald sich mit der Angel im Strom ergötzend, bald auch mit Bolzen nach Zielen schießend, die er sich von mancherlei wunderlichen Gestalten, als Drachen, Hexen, Kobolden mit grellen Farben ausgemalt hatte, und dann hier auf der grünen Ebne hinstellte, wo er sicher war, niemanden unversehens zu beschädigen. Heute nun lagen Armbrust und Bolzen bei ihm im Grase, und er ließ die Angel ruhig auf dem glatten Wasserspiegel hin und her schwimmen, wohl mehr als ein leichtes Gedankenspiel, als um des Fischefangens willen. Es mochte nicht einmal ein Würmchen am Haken sitzen. Da kam Bertha von Lichtenried gegangen, seines Vaters Nichte, und mit ihm von frühester Kindheit an auf der Burg erzogen. Die setzte sich neben ihn auf dem Rasen, und fragte ihn halb neckend und halb in lieber Besorgnis, wovon er denn so gar anmutig träume? Er wußte es selbst nicht recht zu sagen, und wußte es noch minder, seit ihn des Mühmleins holdes Gesichtchen aus dem Wasser anlächelte. Es sahe gar zu schön aus den Fluten heraus; sie mochte wohl das gleiche bei ihm finden, denn sie lächelte unverwandt auf seinen Widerschein hin, und so besprachen sich die zwei holden Kinder wie im Spiegel miteinander. Nachdem sich Otto eine Weile besonnen hatte, fiel ihm ein, daß er zuerst durch den Anblick eines Pilgers im rotbekreuzten Mantel, der jenseits des Flusses vorübergezogen war, so nachdenklich geworden sei. Er erzählte der Jungfrau davon, und wie es ihm besonders feierlich vorgekommen sei, daß der Wallbruder immer so ganz grade aus auf seinen Weg geblickt habe, nicht zur Rechten, nicht zur Linken, wie von ganz unbezwinglicher Sehnsucht fortgezogen, so daß man nicht einmal wissen könne, ob Alter, ob Demut, ob heißes Sehnen nach dem Ziele sein Haupt so vornüber gebogen halte. Dann fing er an zu sagen, wie es doch so eigen und herrlich sein möge, wenn man fern über Land und Strom und See etwas wisse, das einem unendlich und über alles teuer sei, und wie auf solchen Wanderungen nicht sowohl das Wandern eine Plage sein müsse, als nur das böse Ausruhn ganz allein. – »Du willst doch nicht etwa so wandern?« fragte die Jungfrau mit zuversichtlichem Lächeln. – »Behüt!« entgegnete der Jüngling. »Mir sind die Wiesenmatten hier mein Ziel, oder vielmehr mein Zauberring; es sei dann Sach', daß du sie jemals verließest, mein wunderschönes Mühmlein.« – Bertha errötete so hell, daß es im Wasser aussah, als habe sich ein Sternlein darin entzündet, und sie sagte zu ihrem Vetter: »Weil du denn so ganz gewißlich bleibst, darf man wohl mit dem Abschiede spaßen. Laß uns einmal das Trennungsliedlein singen, das der alte Meister Walther gedichtet hat. Da wird's einem nachher noch heimlicher und wohler, daß man nicht voneinander braucht. « – Und Otto begann folgendergestalt zu singen:

»Du Heimat süße,

Du lieber Ort,

Ich grüß' dich, grüße

Mit bitterm Wort.

Mein bittres Wort das heißt: Ade!

Das schlimmste von allen Dingen,

Denn weil ich dich nicht fürder seh',

Macht's Tränenquellen springen.«

Bertha antwortete:

»Du böse Ferne,

Du glatte Bahn.

Dir folgt' ich gerne,

Doch geht's nicht an.

Denn ach, es heißt Ade! Ade!

Jungfrau muß einsam warten,

Und gießt mit ihrer Augen Weh

Die Blümchen an im Garten.«

Sie hörten auf, zu singen, denn es kam ein großer Zug von Pilgerleuten jenseit des Stromes vorbei, und zwar in so mannigfacher Gestaltung, daß die jungen Leute ihr ganzes Aufmerken dorthin kehrten. In der Mitte des Gewimmels ragten schöne Frauen auf prächtigen Maultieren hervor, und zu ihrer Hut gingen dicht neben ihnen Kriegsmänner mit großen Hallebarten. Dann zeichneten sich wieder einige Pilgrime aus, denen man, trotz ihrer grauen Kleider und Muschelhauben, ansah, daß sie vom Hofe kamen, indem eine gewisse vornehm-sittige Zierlichkeit sie verriet und seltsam gegen einen ganzen Haufen bäurischen Volkes abstach, welcher sich um sie her und zwischen sie durch drängte. Doch wurden darunter auch anständige Bürgersleute sichtbar, mit festem, ehrsamem Wesen, und Maler und Sänger in ihrer Zahl, wie es das mitgeführte Kunstgerät anzeigte, womit sie auch jenseit des Meeres, unmittelbar an den heiligen Leidensstätten, Gott und ihrem Heiland zu dienen verhofften. Endlich kamen auch einige Ritter auf schönen Hengsten, im vollen blanken Harnisch, und nur an den rotbekreuzten Schultern als Pilgersleute kennbar. Als eben der Zug der beiden gegenüber war, fingen die Frauen an, folgende Worte zu singen:

»Nach Morgen hin, nach Morgen!

Im dunkeln Abend laßt daheim die Sorgen!

Der Morgen funkelt hell.

Da predigen süße Blumen

Von Christi Heiligtumen,

Da singt der Kidrons-Quell.

Da ist die Herd in Vaters Schoß geborgen,

Da wächst nur frommer Mut;

Stirbt einer, stirbt er gut;

Nach Morgen, Schwestern, Brüder, auf nach Morgen!«

Sie sangen so schön und freudig, daß es war, als wolle die Sonne vor dem heiter sehnenden Liede noch einmal im funkelnden Spätrot wieder aufgehn, und ihnen zu Gefallen Morgen aus Abend machen. Als nun die holden Töne langsam und feierlich verhallt waren, fielen die Ritter mit einer lustigen Kriegsweise ein. Die Bewaffneten, welche die Damen geleiteten, sangen mit, und ein Trompeter, hinter den Rittern herreitend, blies abgebrochene gewaltig schmetternde Töne dazu. Die Worte des Gesanges klangen etwa folgendermaßen:

»Sarazene, mußt nicht wetzen

Dein gebognes Schwert;

Sarazene, magst dich letzen

Mit dem eignen Herd.

Mußt nun bald von hinnen!

Magst dir wohl gewinnen

Tief in Asia neues Land;

Vom gelobten wirst verbannt.

Löwenherz, ein Königsritter,

Tat viel ernsten Schwur,

Kommt, befruchtendes Gewitter,

Bald zur heil'gen Flur.

Dann, wo Christ gelitten,

Wird ein Kampf gestritten;

Wer da fällt, hat Gloria,

Wer da lebt, Victoria!«

Der Zug war vorüber, die jungen Leute schwiegen noch immer, bis endlich Otto mit glühenden Wangen sagte: »Es ist wahr, der König Richard von England, den sie seiner Tapferkeit und Großmut wegen Löwenherz nennen, hat einen Kreuzzug angelobt. Der Vater und Meister Walther redeten noch vorgestern abend davon. O Gott, was wird das ein herrlicher Krieg werden!« – Bertha seufzte und sprach: »Wenn du immer so lebhaft von Krieg und Fortreisen anfängst, sobald nur irgend etwas vorbeizieht, hab ich kaum den Mut mehr, das Liedlein vom Abschied weiter zu singen.« – »Ach, sei kein Kind!« sagte der Jüngling lächelnd, »es ist ja noch gar nicht die Rede von irgend dergleichen. Gib nur hübsch auf deine Stimme acht; du weißt, nun singen wir beide zusammen.«

Es war aber, als sollten sie das Lied heute durchaus nicht zu Ende bringen, denn eben, als sie das letzte Verslein anfangen wollten, ließ sich hinter ihnen ein Geräusch auf der Aue vernehmen, wie von vielen Rossen, und sie wandten sich eilig darnach hin.

Eine Schar von prächtig gekleideten Knappen sprang eben von den Pferden, und fing an, einige bunte und reiche Gezelte auf dem Anger aufzuschlagen, während eine wunderschöne Dame, im Gefolge mehrerer edler Jungfrauen geritten kam, und durch einen bewaffneten Herrn von ihrem weißen Zelter ehrerbietig herabgehoben ward. Es gab einen hübschen Anblick, wie nun die Frau und der Ritter sich lustwandelnd nebeneinander auf dem Rasen ergingen: der Dame Gewand von himmelblauem Sammet, mit großen Bogen von goldner Stickerei am Saume; des Ritters Harnisch in tiefer Schwärze glänzend, und mannigfache Sinnbilder von leuchtendem Silber darauf eingelegt. Seine ganze Gestalt war fast seltsam anzusehn, dieweil die Waffenstücke in wunderlichen Ecken und Ründungen aneinander stießen; dabei nahm er sich vornehm und feierlich aus, auch zeigte sein enthelmtes Haupt, daß er noch ein junger und recht anmutiger Herr sei.

Die Lustwandelnden kamen unweit der Stelle vorbei, wo Otto und Bertha standen, und diese grüßten die vornehmen Fremden mit sittiger Demut. Die Dame, den Gruß freundlich erwidernd, verweilte wohlgefälligen Blickes bei den zwei zarten, nach deutscher Weise hochschlank emporgeschossenen, und dennoch kindlich anmutigen Gestalten. Sie winkte sie endlich herbei, und es entspann sich ein zierliches Gespräch, in welchem Ottos und Berthas immer vereintes, nimmer gestörtes und durchaus heimatliches Leben bald gänzlich entfaltet dalag. Ihre Geschichte war kurz, und die einfachen, höchst gewöhnlichen Begebenheiten darin hatten sich in wenigen, eben so einfachen Worten kundgegeben. Da sahe die Fremde mit wehmütigem Lächeln ihren Begleiter an, und sagte: »Graf Archimbald, wenn wir erzählen sollten, würden wir auch so schnell zu Ende sein?« – »Und dennoch«, fuhr sie gegen Otto und Bertha gewendet fort, »ist mir, als sei ich euch das wundersame Märlein meines Reisens schuldig, ihr lieben Kinder. Ihr werdet eure Lust daran haben, und seht mir aus, als hielte nur eure sittige Bescheidenheit euch vom Fragen zurück. Wer gegen mich so treuherzig war, gegen den muß ich es billig wieder sein.« – Damit führte sie die beiden jungen Leute, denen das Herz vor anmutiger Neugier nach den seltsamen Geschichten brannte, in ihr derweilen völlig aufgeschlagenes Zelt, und während Ritter Archimbald hinausging, nach der Ordnung des kleinen Lagers zu sehn, ließ sie sich auf ein zierliches Ruhebettlein nieder, winkte Otto und Bertha an ihre Seite und hub folgendermaßen zu erzählen an:

»Ich bin Gabriele geheißen, und aus dem uralt edlen Geschlechte der Portamour entsprossen. Von früher Kindheit an zur Waise geworden, hörte ich oftmals von meinen Erziehern, ich könne eine der reichsten und vornehmsten Frauen in Frankreich sein, nur daß mir ein gewisser Ring fehle, welchen eine Dame aus der normännischen Familie der Montfaucon mit allerhand ungerechten Listen an sich zu bringen gewußt habe, und den jetzt ihre Tochter, gleichen Alters mit mir, als Erbin besitze. Der Ring ward mir immer vor Augen gestellt, wie das Paradies andern Kindern, aber doch mindestens in ähnlicher Wichtigkeit und süßer Hoffnungsfülle. So geschah es denn, daß alle meine Träume, schlafende und wachende, sich um den wundervollen Ring drehten, ohne daß ich eben mehr von ihm gewußt hätte, als wie er ein Recht auf einige große Ländereien erteile, und, was mir noch endlich wichtiger erschien, seine Besitzerin mit vielen magischen Geheimnissen und Ansprüchen auf das Reich der Geister vertraut mache. Wie mußte mir nun zumut werden, als ich eines Abends am Hofe des Königs, den ich nur eben zum erstenmale betrat, einem Fräulein vorgestellt wurde, welches Blancheflour von Montfaucon hieß, und an dessen wunderschöner Hand – wie sie denn überhaupt für einen Spiegel alles Reizes und aller Anmut gelten durfte – ich den magischen Ring, nach der mir gegebenen Beschreibung, unmöglich verkennen konnte. Diesen das erstemal in meine Gewalt zu bringen, ward mir sehr leicht, denn man ließ uns in demselben Zimmer herbergen, und Blancheflour zog ihren Ring so sorglos von der Hand, daß ich mich meines angebornen Eigentums leicht nach ihrem ersten Einschlafen bemächtigte; ja, daß sie am andern Morgen des Verlustes kaum inne ward, und nach einigem vergeblichen Suchen leichtsinnig, und als ob nichts geschehen wäre, zu dem Feste des Ringelrennens hinaushüpfte, welches soeben begann. Es kam aber ein herrlicher Ritter gegen sie herangesprengt, welcher, wie ich auf Befragen erfuhr, Herr Folko von Montfaucon, ihr Bruder, war und mit seinen hellen Falkenaugen schon von weitem sowohl das Verschwinden des Ringes von ihrer Hand, als auch das Erscheinen desselben an der meinigen bemerkt hatte. Nach einigen, mit seiner Schwester gewechselten Worten ritt er höflich, aber sehr ernst, gegen mich heran, neigte seine Lanze, und sagte: ›Dame, wollet Euch einen Kämpfer wählen, auf daß ich ihm den Ring abgewinne, der an Eurem schönen Händlein prangt, und der meiner Schwester gehört.‹ – Ich tat nach seinem Begehr, und einen der berühmtesten Lanzenrenner Frankreichs, den ich mir zu meinem Helfer ausgesucht hatte, warf er so schnell und entschieden in den Sand, daß mir, nach den früher ausgemachten Gesetzen des Kampfes, nichts übrig blieb, als unter Vergießung der bittersten Tränen mein nur kaum wieder errungenes Familienkleinod dem Sieger für seine schöne Schwester Blancheflour zurückzugeben.

Ich ging betrübt in mein Gemach, ohne von den Spielen etwas hören zu wollen, für welche mich die andern adeligen Jungfrauen auf diesen Abend einluden, und wies meine Zofe mürrisch zurück, als sie mir eine schöne perlenmuttereingelegte Angelrute mit langem Goldfaden und silbernem Angelhaken daran ins Zimmer brachte: ich hatte Gebrauch davon bei einer bevorstehenden Wasserfahrt des Hofes machen wollen, aber was sollte mir nun das alles, da ich um meinen Ring gekommen war! Mißmutig lehnte die Zofe das zierliche Gerät ans Fenster, und ließ mich mit meinen Tränen allein. Gegen Abend hatte ich mich ausgeweint, und das Lachen meiner Gefährtinnen, die unten auf einem Rasenplatze des Gartens Ball spielten, lockte mich, wenigstens durch die Scheiben zu sehn. Da bemerkte ich, daß Blancheflour eben, um bequemer zu spielen, meinen Ring vom Finger zog, ihn dicht unter meinem Fenster auf eine Moosbank legte, und leichtsinnig wieder zum Spiele zurückrannte. Mit heißer Begier und schlagendem Herzen tat ich das Fenster auf; die Angelrute fiel mir, wie hülfebietend, bei dieser Bewegung in die Arme, und schnell hielt ich sie hinaus, und fand, daß der goldne Faden bequem zum Ringe hinabreichte, welcher gleich beim ersten Versuche auf dem silbernen Angelhaken schwebte, und, von mir emporgezogen, mit tausend Küssen empfangen ward. – Was half mir aber die kurze Freude! – Kaum hatte die kindische Blancheflour ihrem Bruder das neue Leid geklagt, und kaum hatte er den Ring an meinem Finger wahrgenommen – denn ich war zu stolz, um mein rückgewonnenes Eigentum nicht öffentlich zu tragen – so bat er mich schon wieder, mir einen Kämpfer auszusuchen, dem er das Kleinod abgewinnen könne. Und wie mochte der vor Folkos tapferm Arme bestehen! Er lag bald am Boden, Blancheflour aber gab ihrem Bruder meinen Ring aufzuheben, so daß mir nun zu dessen Wiedergewinnen noch viel weniger Hoffnung blieb. Dennoch ließ ich nicht ab, das teure Zeichen im Auge zu halten, und als wir einstmalen beim Ruhen nach der Jagd zu den Wurzeln eines beinahe ganz ästelosen Baumes saßen, und davon gesprochen ward, wie er wohl unersteigbar sei, rief ich Herrn Folko neckend auf, sein Heil zu versuchen. Wie ich es gehofft hatte, rückte ihm Lust und Ehrgeiz für ritterliche Übungen alles andere aus den Augen. Er legte den Ring, den er sonst nicht vom Finger ließ, auf den Rasen, weil er ihn am Klettern hinderte, und begann das gewagte Spiel. Als er, wie ich später erfuhr, nach vielen vergeblichen Anstrengungen den Gipfel endlich erreicht hatte, war ich mit meinem Kleinode schon lange verschwunden, und nach England unterwegens, um am Hofe des Königs Richard Löwenherz einen Ritter aufzufinden, der mein Recht gegen den furchtbar sieghaften Folko behaupten möge.

Der große Richard nahm mich auf, wie es diesem Spiegel aller Ritterschaft geziemte, und als ich ihn bat, einen Verteidiger für mich aus seinem Heldengarten zu wählen, führte er seinen liebsten Waffenbruder vor mich hin, hieß ihn niederknien, und um die Gunst und Ehre bitten, mir Leben und Blut weihen zu dürfen. Wie stolz ich nun war, und mit wie gleichgültigen Blicken ich Folko am Hofe erscheinen sah, um den Kampf wegen des Ringes zu erneuen! Ach, mein Hoffen war dennoch vergebens. Ich hätte es ja wissen sollen, daß die fränkischen Ritter den englischen meist in der Gewandtheit des Turnierens überlegen sind. Mein tapfrer Verteidiger, sich dessen bewußt, hatte zwar als Bedingung des Gefechtes ausgemacht, das Lanzenrennen solle nicht alles entscheiden, sondern der Gefällte noch zum Gefecht mit geschliffnen Schwertern Zuflucht nehmen dürfen. Dadurch aber ward Folkos Sieg nur mühsamer, glorwürdiger und nicht minder gewiß. Mit drei tiefen Klingenwunden trug man meinen Kämpfer ohnmächtig aus den Schranken, und Folko kniete vor mir, mit sittigen Gebärden den Ring zurücke begehrend. Der edle Löwenherz redete ihm zu, er solle sich an dem wiedererfochtenen Rechte begnügen, den Ring selbsten aber der Dame lassen, welche sich mit so bittern Tränen von ihm trenne. – ›Mein großer König, und edles Haupt aller Christlichen Ritterschaft‹ entgegnete Folko, ›wär' es für mich, so sollte der Ring dieser wunderholden Frau verbleiben, und obendrein ihr mein Leben verfallen sein, weil ich an den Zähren Schuld bin, die aus so schönen Augen rinnen; so aber steht das Kleinod meiner Schwester Blancheflour von Montfaucon zu, und ein Ritter darf seiner Dame nichts vergeben, wie Euer ritterliche Majestät selber am besten weiß.‹ – Dagegen hatte König Löwenherz nichts einzuwenden, und ich zog mich, abermals meines Ringes verlustig, in tiefer Trauer vom Hofe zurück. Dennoch verweilte ich in der Nähe, hoffend, wie dem Ritter Montfaucon die Waffen immer günstig gewesen waren, solle auch mir Zufall und List fortdauernd günstig sein. Da erfuhr ich, daß Folko gesonnen sei, nach dem Lande Wales zu reisen, um die Stätten und Burgtrümmer mit eignen Augen zu sehn, wo der alte Tafelrundenkönig Artur samt seinen Rittern gefochten habe und gehaust. Entschlossen, das Äußerste zu wagen, eilte ich ihm in die unwegsamen Gebirge voraus, und in einen uralten rostigen Harnisch mit fest geschloßnem Helme gesteckt, wartete ich seiner in einem abgelegnen Tale, durch welches er notwendig reiten mußte. Er kam, und ich forderte ihn mit tiefverstellter, und glücklicherweise durch meinen Eisenkorb noch verdumpfter Stimme zum Kampf auf Leben und Tod. Er wollte die Ursach wissen und meinen Namen; das schlug ich ab, und tat, als glaube ich, daß er nur Ausflucht suche. Da sprang er nun, weil ich zu Fuß war, vom Rosse, so heftig rasselnd und leuchtend in seinen schweren Waffen, daß ich beinahe vor Schrecken zusammengesunken wäre. Aber ich hielt mich noch, und sagte, ich werde nicht eher mit ihm fechten, als bis er seinen Zauberring vom Finger getan hätte; man wisse es wohl, daß nur der ihn unbezwinglich mache, und er sonsten schwach und feige sei, wie ein Kind. Mit einem Ruf des Zornes riß er den Eisenhandschuh von der Faust, und warf den Ring ins Gras. Den hatte ich alsobald erfaßt, und ebenso schnell den Helm gelöst und abgeworfen, worauf ich ihm sagte: ›Hoffentlich erkennt nun Ritter Folko Gabrielen von Portamour, und hat der edlen Sitte zu viel, um einer Dame ohne Verteidiger ihren Ring wegnehmen zu wollen, oder auch nur ihre Reise zu hindern.‹ – Er schwieg, und neigte sich, sprach aber: ›Ich werde die Ehre haben, Euch an bewohnten Orten wieder aufzusuchen, wo es Euch nicht an Kämpfern fehlen kann.‹ – So verschwand ich vor seinen Augen, und gelangte auf bereit gehaltenen Rossen mit Pfeilesschnelle an die Ufer des Meers. Dann aber wehten mich günstige Lüfte nach Deutschland herüber, welches ich aufgesucht habe, weil mir zu Ohren gekommen ist, daß man es einen wahren Ehrensaal von tapfern und biederherzigen Rittersleuten nennen mag. Und wirklich hat sich der edle Graf Archimbald von Walbeck mir auf Tod und Leben verpflichtet, so daß ich keine Sorge mehr kenne, weil er ein so gar ruhmvoller Kriegsheld ist, und noch vor keinem Feind erlegen; in welcher Zuversicht ich auch die Farben der Familie Montfaucon trage, blau und gold, um dadurch die Rechte anzudeuten, welche mir der Ring auf ihre Besitztume gibt. Die will ich ihnen aber gerne lassen, wenn ich nur meinen teuern wundervollen Ring behalte. Vielleicht hat ihn auch der furchtbare Folko nun aufgegeben und längst vergessen, denn seit England hörte ich nicht das mindeste mehr von ihm, so daß ich meine List und mein Glück wohl preisen mag, verhoffend, in ungestörter Ruhe mit den Geheimnissen meines Kleinodes vertraut zu werden, von denen ich bis jetzo nicht viel mehr als ungelöste Rätselsprüche weiß.«

Otto und Bertha dankten der schönen Gabriele für ihre Geschichte mit den allerhöflichsten und zierlichsten Worten. Dann aber sagte Bertha leise: »Der Ring muß wohl wunderschön anzusehen sein.« – »Ich will ihn dir gern zeigen, du freundliches Kind«, sagte die lächelnde Gabriele, und zog ihn an einem goldnen Kettchen aus ihrem weißen Busen hervor.

Während ihn nun die beiden betrachteten, Bertha die seltsamen Zeichen bewunderte, und die grünen und blutroten Steine, welche sich darauf zeigten, Otto aber unbemerkt und mit hochglühenden Wangen einen Kuß darauf hinhauchte, öffneten sich die Vorhänge des jetzt schon kerzenhellen Zeltes, und herein trat Archimbald, ein anderer Ritter ihm nach.

So wie der Fremde sich näherte, riefen Otto und Bertha wie aus einem Munde: »Ei Gott, da ist ja der starke Ritter Folko von Montfaucon selbst!« – Wie es wohl zu geschehen pflegt, hatten sich beide während des Erzählens ein Bild von diesem sieghaften Helden im Gemüte ausgedacht, und nun paßte der Ankömmling auf eine gar wunderbare Weise dazu. Daß sie sich nicht darin geirrt hatten, bewies das Erblassen Gabrielens und des Ritters sittige Anrede, der sich ehrerbietig vor der Dame neigte, und sie fragte, ob sie den Herrn, welcher ihn auf sein Bitten soeben eingeführt habe, für ihren Verteidiger erkenne, von welchem es erlaubt sei, das Ringeskleinod durch die Waffen zurückzufordern? – Gabriele winkte bejahend, und Herr Archimbald sagte: »Mein fremder Degen, so liegt mir noch ob, Euch kund zu tun, daß ich der Graf von Walbeck bin. Ihr werdet von mir gehört haben, und es kommt nun auf Euch an, ob Ihr noch um den Preis mit mir ringen, oder Euch dessen in Frieden begeben wollt.« – Ein hohes Rot flog über Ritter Montfaucons Wangen, und seine dunkeln Augen funkelten, wie ein fernes Wettergewölk, aber dennoch verneigte er sich höflich, und sagte mit sanfter Stimme: »Ich weiß nicht, Herr Graf, ob es Euch der Mühe wert dünkt, den Freiherrn Folko von Montfaucon zu besiegen; soviel aber weiß ich, daß mir die Lust, mit dem berühmten Archimbald von Walbeck zu fechten, Kampfesbegier erwecken würde, fehlte mir es auch sonst an Ursachen dazu.« – »Wollen wir noch heute abend an den Reihen?« fragte Archimbald. »Das wird dieses edle Fräulein entscheiden«, entgegnete Folko, »es ist ihr vielleicht auf die Ermüdung der Reise nicht mehr gelegen, unsern Wettkampf anzusehn.« »Lieber heute als morgen«, sprach Gabriele mit ängstlicher Hast. Da ging Archimbald hinaus, den Kampfplatz zu ordnen, nachdem die Ritter vorher einig geworden waren, daß wer aus dem bezeichneten Runde um irgend einer Ursache halben weiche, für überwunden gelten solle, und nichts mehr fürder mit diesem Abenteuer zu schaffen haben dürfe. Sonst gelte auch nach dem Lanzenrennen der Kampf mit geschliffenen Schwertern wie es im Rittergarten König Löwenherzens ausgefochten worden sei. Derweil nun Archimbald draußen die Vorbereitungen machte zum ernsten Spiel, hatte Folko Gabrielens Laute ergriffen, ließ sich auf eine zierlich leichte Weise zu ihren Füßen nieder, und tändelte anmutig mit den Saiten. Er war hübsch anzusehn in seinem Harnisch vom tiefblauesten Stahle, mit reichen güldnen Zieraten prächtig eingefaßt und überblitzt, mit seinem schwarzbraunen Haar und zierlich gestutztem Knebelbart, unter welchem der frische Mund anmutig hervorlächelte, und zwei Reihen perlenweißer Zähne blicken ließ. Gabriele sah in stummer Ungeduld und Unsicherheit vor sich nieder. Wer die beiden so im gleichen himmelblau und goldnen Schmucke hätte sitzen sehn, wäre wohl nicht auf den Gedanken gekommen, daß sie Feindliches mitsammen zu teilen hätten, sondern eher, daß die Dame dem Ritter die schöne blau und gold gewobene Schärpe geschenkt habe, die von seinen kräftigen Schultern nach den schlanken Hüften hernieder wehte, und daß er ihr nun mit den anmutigen Zitherklängen Dank dafür zuspielen wolle. Es blieb aber nicht lange so friedlich: Archimbald erschien alsbald am Eingange des Gezeltes in furchtbarer Gestalt, denn er hatte den geschlossenen Helm bereits auf, dessen wunderliches Visier das Antlitz eines Adlers mit gewaltigem Silberschnabel nachbildete, und zu den übrigen seltsamen Formen seiner Rüstung so eigentümlich paßte, daß man ihn wohl für einen Bewohner irgend fabelhafter Wunderländer hätte ansehn mögen. – »Es ist fertig!« sagte er, und Folko war federleicht auf den Füßen, legte die Laute mit großer Sorgfalt auf die Teppiche hin, und verließ zierlich grüßend das Gezelt. Dann bot Graf Archimbald der Dame seinen Arm, und führte sie hinaus; Otto und Bertha folgten, mit glühenden, staunenden Blicken, als seien sie träumend in die Märchenwelt ihrer oft gelesenen und gesungenen Sagen entrückt.

Draußen schlug ihnen eine glänzende Helle blendend aus der alten Nacht entgegen. Ein weiter Kreis, geräumig genug zum Anlauf und Tummeln zweier Rosse, war ringsum durch festlich lodernde Fackeln umkränzt, die ihre roten Flammenwolken gegen das verdunkelte Firmament hinaufwirbelten, und die Gegend außerhalb in das tiefste, gestaltloseste Schwarz versenkten, während sie jedes Blümchen in der ernsten Rundung mit fast mehr als Mittagsklarheit umleuchteten. Archimbald führte Gabrielen zu einem Sitz, aus Rasen zierlich errichtet, mit den prächtigsten Decken überlegt, und so angebracht, daß sie gerade der Mitte des Kampfplatzes gegenüber saß, wo sich die Ritter bei ihrem Zusammenrennen treffen mußten. Um die Dame her stand ihr und Archimbalds reiches Gefolge, Otto und Bertha zu ihren Seiten, während jenseits zwischen den roten Fackellichtern durch, allerlei fremde, reich geschmückte Gestalten sichtbar wurden, die wohl zu der Dienerschaft des Freiherrn von Montfaucon gehören mußten. Während sich nun Archimbald von der Dame beurlaubte, und rechtshin nach seinem Streithengste ging, ward man zur Linken schon Folkos ansichtig, der auf einem schlankgehälsten, leichtfüßigen Pferde von silbergrauer Farbe, den ganz goldnen, bereits geschlossnen Helm von der allerzierlichsten Form auf seinem Haupte, am Ende der Bahn zum Vorschein kam. Da sein Gegner noch nicht kampffertig war, trabte er in spielender Übung über den Rasen hin, sein artiges Pferd mehr mit Worten, schien es, als mit Zügeln lenkend. So wie es in Gabrielens Nähe kam, beugte es, auf seines Reiters Wink, die Vorderfüße, fuhr dann gewaltigen Sprunges wieder in die Höh, und mit so schlanken Sätzen, daß es fast zu fliegen schien, und die goldnen Schellen an Sattel und Hauptgestell anmutig ertönten, wieder an seinen Platz zurück. Da stand es gehorsam still, ein geschmücktes Bild, und drehte dann den feinen gelenken Kopf unter den reichen Decken, wie schmeichelnd und fragend, ob es alles recht gemacht habe, nach seinem Ritter zurück, der den Stahlhandschuh von seiner Rechten zog, und ihm freundlich den Hals klopfte.

Wunderlich stach es dagegen ab, wie Archimbalds Rappe, von weißem Schaume getigert, die silbernen Kettenzügel, an welchen ihn zwei Reisige mit angestrengten Kräften festhielten, steigend und hauend zu sprengen drohte, wie Archimbald mitten im Bäumen dreisten Schwunges auf des unbändigen Tieres Rücken flog, es mit heftig strafenden Spornstößen zu wildern Sprüngen trieb, und, nachdem er sich einigemal ungestüm hin und her getummelt, Zügel und Schenkel mit ungeheurer Kraft und Sicherheit brauchend, der Hengst seinen Meister erkannte, und ganz eingewurzelt nach dessen Willen stehen blieb. Aber die Augen des Rappen flammten so lodernd, daß sie sich wohl mit den Fackelbränden messen konnten, und mit dem rechten Vorderfuße hieb er gewaltig in die Erde, als höhle er dem Feinde seines starken Reiters ein Grab.

Da neigten sich beide Ritter, zum Zeichen, sie seien des Kampfes gewärtig, gegen Gabrielen, tief, daß die riesig schwankenden Federbüsche beinahe den Boden berührten, dann saßen sie wieder grade und still, die Lanzen eingelegt.

Und Gabrielens weißes Tuch flog in die nächtliche Dunkelheit empor, und helle Trompetenstöße schmetterten, davor die Kämpfer wie Blitze gegeneinander fuhren, daß man fast später ihr Zusammentreffen sah, als man das Krachen der splitternden Lanzen hörte, und das laute Klingen der Waffenstücke von dem ungeheuern Stoß. Aber die Kämpfer waren vorbeigejagt, ohne sich im Sattel zu rühren, warfen nun wieder ihre Rosse an den umgetauschten Enden der Bahn herum, und hielten still, jeglicher, wie es schien, erstaunt, den Gegner noch zu Pferde zu erblicken. – »Neue Stechstangen!« rief Archimbald, und Knappen sprangen herzu, den Herren die Wahl unter mannigfachen gewaltigen Speeren lassend. Als sie nun die neuen Waffen gewählt und gewogen hatten, sprach Archimbald: »Nicht wahr, Ritter Montfaucon, noch zwei Lanzen? Ist es dann nicht fertig, so macht man's mit blanken Schwertesecken aus.« – »Ich bin hier Gast«, sagte Folko, mit höflichem Verneigen, »und was auch mein edler Wirt mir zutrinken mag, ich tue bescheid« – Wieder schmetterten die Trompeten, und wieder flogen die Ritter zusammen; diesmal mit so ungeheurer Gewalt, daß beide Streithengste auf die Kroppen niedersaßen, aber, von ihren Herren heftig gespornt, bald wieder in die Höhe sprangen und aneinander vorbei nach ihren Plätzen rannten. Folkos Lanze war in tausend Trümmer auf seines Gegners Brustharnisch zerstoben, Archimbalds Speer war nur geknickt. Darüber jubelten sowohl Walbecks Knappen und Reisige, als Montfaucons, denn jene sahen es als ein günstiges Vorzeichen an, und diese riefen, ihr Herr müsse fester gestoßen haben, des Grafen Lanze nur abgeglitten sein. Die Herren waren neu bewehrt, der dritte Trompetenruf klang und wie sie mit brennendem Ingrimm zusammenstießen, sahe man Folkos Silbergrauen hoch emporbäumen, schwanken von der Gewalt des Stoßes, aber den Reiter, besonnen gegen den Roßhals gebeugt, die goldnen Sporen brauchen, und das Pferd zum leichten Sprunge nach vorwärts treiben, während Archimbalds Rappe in die Knie stürzte, dann sich brausend wieder aufriß, aber, von des Ritters Faust, der halb ohnmächtig droben schwankte, nicht mehr gebändigt, in toller Wut über den Kampfplatz hinsetzte, daß er und sein wunderlich geharnischter Ritter wie böse Geister anzusehen waren, dann zwischen den lodernden Fackeln aus dem Kreise hinausfuhr, und verschwand. Draußen im mächtigen Dunkel hörte man am Gerassel der fallenden Rüstung, daß Archimbald am Boden lag. Folko hielt eine Zeitlang ruhig an seinem Platze, dann saß er ab, streichelte dem Silbergrauen die Mähne, warf den gebrochnem Lanzenschaft von sich, und trat mit gezücktem Schwerte, das im Fackelschein wie eine Flamme loderte, in die Mitte des Kreises. Niemand schritt ihm entgegen, und draußen im Finstern hörte man der Reisigen und Knappen dumpfes Gemurmel und Hin- und Hergehen bei ihrem gestürzten Herrn. Da rief endlich Folko: »Herr Graf von Walbeck, Euch trug Euer Rappe wider Willen aus dem Rund. Das soll nicht gelten, und Euch gestattet sein, mit geschliffenem Schwert den früheren Unfall zu bessern. Ich stehe hier und warte. « – Es blieb aber lange still; endlich rief ein Knappe zurück: »Mein Herr ist ohnmächtig!« – »Er kann nicht fechten«, sagte eine andere Stimme. »Wir bringen ihn nach dem nächsten Kloster zu den heilkundigen Mönchen«, eine dritte, und gleich darauf hörte man, wie der Zug langsam und trübselig über die Wiese ritt.

Da steckte Herr Folko von Montfaucon sein leuchtendes Schwert in die Scheide, ging offnen Helmes hin, wo Gabriele ihren Sitz genommen hatte, und bat sie mit gebognem Knie um den Kampfpreis. Das schöne Fräulein zog mit heißen Tränen an der Goldschnur, und holte den Ring aus dem zarten Busen hervor; viel anders, als da sie ihn vor kurzem den beiden jungen Leuten triumphierend gezeigt hatte. Aber noch war er nicht von der Schnur gelöset, da trat schon Otto vor den Ritter Montfaucon hin, und sagte: »Herr, laßt mir eine Rüstung geben, und Roß und Lanze und Schwert; ich fecht Euch das Kleinod im Namen der edlen Frauen ab, dafern sie mich solcher Ehren nicht unwert hält.« – Ein leichter Strahl der Hoffnung und Freude flog über Gabrielens Antlitz. Sie mußte plötzlich an die vielfachen alten Märchen denken, wie junge Helden, kaum der Knabenzeit entwachsen, über berühmte Kämpfer und ungeheure Riesen zum Schutz bedrängter Jungfrauen gesiegt. Folko hatte sich in die Höhe gerichtet, und maß mit den Augen seinen unversehrten Widersacher. Plötzlich aber wandte er sich lächelnd ab und sagte über die Achsel hin zu Otto:»Junger Knappe, junger Knappe, ei wo hast deine goldnen Sporen? Meinst du, es wäre schon jetzt an der Zeit, daß du könntest mit Rittern fechten? Drei Schwertschläge und eine Waffenwache, dann komm mir wieder, so will ich den Kampf recht gerne bestehn.« – Darauf kniete er abermals vor Gabrielen, und bat sie um den Ring, welchen er kaum in den Händen hielt, als er nach einer höflichen Verneigung schon wieder auf dem silbergrauen Rosse saß, und mit seinen Knappen davonsprengte.

Gabriele aber wandte sich in bittern Tränen zu ihrem Gefolge, das gleich nach dem unglücklichen Ausgang des Rennens auf ihren Wink angefangen hatte, die Zelte abzubrechen, alles Gepäcke auf die Saumrosse zu laden, und nun mit diesem Geschäfte zu Ende war. Kein Viertelstündlein länger, sagte das klagende Fräulein, wolle sie an einem so unseligen Orte verharren! Und ohne auf Ottos Reden und Hülfserbietungen nur im geringsten zu achten, kehrte sie sich von ihm ab, wie man sich von einem töricht vorlauten Kinde abkehrt, und ritt in die Schatten hinein. Otto rief ihr nach: »So Gott mir helfe, edle Dame, ich will nicht rasten, bis ich Ritter bin, und Euch Euren Ring zu Euern schönen Füßen lege.« – Aber auch dieses Beteuerns schien sie nicht zu gewahren. Man hörte bald nur noch fernher die leichten Hufe ihrer Zelter über die Aue schreiten.

Einsam und verlassen standen Otto und Bertha an der verhängnisvollen Stätte. Es war, als hätten sie geträumt; nur die niederbrennenden Fackeln, die versengten und zerstampften Gräser taten die Wahrheit jener wunderlichen Erscheinungen kund. Es wußte keines von beiden dem andern etwas zu sagen, und so traten sie schweigend in der mächtig tiefen Finsternis den Rückweg nach der Heimat an, um ein großes anders, als sie vor wenigen Stunden von da auf den Anger hernieder geschritten waren. Nur ein paarmal fragte Otto unterwegens: »Weinst du, liebe Bertha?« – Sie antwortete aber immer: »Nein!« und wand ihr Tuch dicht um das Haupt, so daß Otto dachte, er habe sich nur geirrt, und sein eignes unwilliges Seufzen für Berthas Weinen gehalten.

Hoch auf seiner alten Veste saß Herr Hugh von Trautwangen in dem gewölbten Saal, darinnen seine eignen Waffenstücke und die der Ahnherrn aufgehangen waren, und wo er sich den größten Teil des Tages hindurch zu befinden pflegte, seitdem er Alters halben nicht mehr auf Jagd, Ringelrennen, Turnier oder Fehde hinausritt. Diesmal waren die beiden Kerzen, welche vor ihm den großen runden Tisch auf schwersilbernen Leuchtern erhellten, schon fast heruntergebrannt, und Sohn und Nichte ließen wider ihre Gewohnheit noch immer vergeblich auf sich warten. So oft jemand die Wendelsteige heraufgeschritten kam, dachte der Alte, es seien die zwei jungen Leute, und blickte freundlich verlangend nach der Tür; wenn aber dann nur ein Knappe hereintrat, der etwa sehn wollte, ob der Herr noch Licht habe, und noch Wein in dem großen, aus silbernen Schaustücken geformten Kruge zu seiner Seite, da tat Herr Hugh, als habe er eben nichts erwartet, und auf irgend eine befremdende Äußerung des Dieners kam keine Antwort zurück; oder höchstens hieß es. »Junges Blut, lust'ger Mut! Was ist da viel zu sorgen. Es wird sich schon finden.«

Aber die Uhr im Schloßturme schlug neun, schlug zehn, und weder Sohn noch Nichte trat aus dem tiefen Dunkel draußen in den heimatlichen Saal. Da nahm der Greis sein grünsamtnes Käpplein vom kahlen Haupte, hielt es in den gefaltnen Händen, und betete inbrünstig, der Herr wolle doch die vielfachen Sünden seiner Jugend den unbewußten Kindern nicht zurechnen, und beide nach seiner ewigen Gnade schuldlos und gesund in die Veste zurückführen.

Noch betete er, da ging die große eichne Tür ihm gegenüber auf, und die zwei Ersehnten standen verneigend mit ihren jugendlich frischen Gesichtern in der Halle. Diesmal hatte er nichts auf der Steige gehn hören, und die Erfüllung trat nun ganz unerwartet vor ihn, wie es die rechten Erfüllungen denn überhaupt an der Art haben, vorzüglich, wenn eins darum betet. Den jungen Leuten aber ward es gar beweglich und reuevoll zu Sinn, als sie so den großen eisgrauen Alten barhaupt in seinem Lehnsessel sich gegenüber mit gefaltnen Händen sitzen sahen, bleich durch viele Jahre und eben jetzt erlittne Besorgnis, gebleicht noch durch die abgebrannten Kerzen zwischen ihnen und ihm. Sie fühlten wohl, für wen er gebetet habe, und hoben zugleich und in selber Stellung die Hände dankend und Verzeihung flehend in die Höhe. Aber Herr Hugh war wieder in seiner gewohnten Fassung, bedeckte sein Haupt, und fragte, die beiden näherwinkend, mit ernst freundlichem Wesen, was sie so lange draußen getrieben hätten. Da sagte der junge Ott' von Trautwangen: »Herr Vater, wenn wir noch ein ganz klein wenig länger geblieben wären, ständ es nach meinem Bedünken besser und leichtherziger um uns alle, und um die schöne Dame mit dem Ringe auch, denn alsbald wäre der Strauß bereits ausgefochten, und hoffentlich sieghaft für uns; so aber weiß Gott, wie lang ich nach meinem Gelübde durch die Welt nachziehn muß, und das alles kommt davon her, daß Ihr mich nicht früher zum Ritter geschlagen habt.« – Herr Hugh sah mit großer Verwunderung seinem jungen kecken Sohn in das Antlitz, nicht allein wegen der seltsamen Worte, die er sprach, sondern noch mehr wegen seines so gar veränderten Wesens, als sei er in den wenigen Stunden ganz anders geworden. Bertha aber fing unverhohlen und bitterlich zu weinen an, wohl noch viel bitterlicher, als vorhin Gabriele um ihren Ring. Darüber sahe sich Otto ganz verwundernd um, und als er nun bemerkte, daß des Mägdleins Augen schon von vielen früher vergessenen Tränen rot und trübe waren, sprach er: »Ach, liebe Bertha, so hast du ja doch unterwegens geweint! Warum sagtest du denn immer nein, wenn ich dich fragte? Und warum weinst du denn überhaupt?« – Bertha antwortete ihm nur durch ein freundlich schmerzhaftes Lächeln, dann bat sie den alten Herrn, er möge ihr vergönnen, zur Ruhe zu gehen, und somit schritt sie verhüllten Angesichts aus dem Saal. Otto wollte sie aufhalten, aber Herr Hugh bannte ihn mit einem strengen Blick an den Tisch, und sagte, als Bertha hinaus war: »Junger Bursch, du hast entweder geträumt und gefaselt, und dann gibt sich morgen alles von selbst; oder es ist Ernst mit Gelübde und Ritterfahrt, und dann haben ein paar Tränen deines Mühmchens nicht so viel Recht mehr mitzusprechen, als vordem. Setze dich nun mir gegenüber, und erzähle mir ausführlich und besonnen, was sich mit dir zugetragen hat, so wollen wir baldigst mit einander im reinen sein.«

Wie nun der Knabe zu erzählen anhub, und immer weiter und weiter sprach, hub auch der Alte an, sehr ernst zu werden, und ward es immer und immer mehr, wobei er vorzüglich gegen das Ende der Geschichte die Augen gar nicht von einem großen Schwerte wegbrachte, das unfern von den beiden an der Wand hing, und halb aus der Scheide hervor sah.

Als das Abenteuer vom Anger zu Ende war, sagte Herr Hugh zu dem alten Schwerte: »Du hast doch wahrhaftig beständig etwas gegen die Verborgenheit einzuwenden gehabt, und durchaus nicht gänzlich hinein gewollt, so oft ich's auch versucht habe, dich in Ruh und Frieden zu bringen. Nun seh' ich's wohl, du tatest so gar unrecht nicht daran. Frisch heraus, mein alter Fehdegesell, und Otto, hol mir ihn ungesäumt herunter.«

Mit einigem Schauer wendete sich der Jüngling nach dem Gegenstande zurück, zu welchem sein Vater sprach. Es war ihm, als könne es auch wohl ein plötzlich heraufgestiegenes Gespenst, oder irgend etwas dergleichen sein. Aber es leuchtete ihm nichts, als die wohlbekannte Waffe in die Augen, nur daß sie vom Schimmer der einen heruntergebrannten Kerze in ganz ausnehmender Helle funkelte. Da faßte er freudig das große Goldgefäß, und achtlos dessen, daß die schwerbeschlagene Scheide klirrend auf das Pflaster der Halle fiel, trug er das blanke Gewehr zu seinem Vater, sprechend: »Ei fröhlicher Anblick! Nicht lustiger selbst hat Ritter Montfaucons Klinge im Fackelkreise gefunkelt!« – »Von Ritter Montfaucons Klinge wäre vieles zu sprechen«, sagte der Alte, das große Schwert in seinen Händen haltend und wägend, »und noch mehr wäre zu sprechen von übereilten Gelübden und sonst dergleichen; aber davon nachher, aber auch wohl gar nicht, denn Gelübde wollen gehalten sein, und du hast Gabrielen das deine geleistet. Nur wenn du einmal einen Juwelier antriffst, der einen kostbaren Stein auf keine Weise von sich lassen, sondern an dessen Karfunkelschein die Augen bis in den Tod laben und erstärken wollte, und dem eine reisende Fürstin sein Kleinod wider Dank und Willen mit fortnahm, oder einen Gärtner, der ein Blümlein zu seiner stillen Freude im heimlichsten Winkel seines Geheges zog, und es schoß plötzlich eine gaukelnde Taube herab, und raffte es ihm mit Stiel und Wurzel aus, und schwang sich damit über die See, – wenn du einmal das oder etwas Ähnliches siehst, so ermiß ungefähr, wie dem alten Herrn Hugh in dieser Stunde zumute war.« – Dabei drängten sich ihm zwei große, kristallhelle Tropfen in die alterstiefen Augen, während er festen Trittes in die Mitte der Halle vorschritt, und Otto wollte ihn mit Demut und Rührung umfassen, aber der Rittersmann sagte: »Junger Degen, die Stunde ist allzu ernst und feierlich, als daß man sich nur das geringste darin verstatten könnte, was irgend jemand Narrenteidung oder Weichlichkeit nennen dürfte. Kniet nieder, junger Herr von Trautwangen. Es ist an dem, daß man Euch zum Ritter schlägt.«

Otto beugte andächtig die Knie und faltete die Hände. Er war fast anzusehen, wie eines von den ernsten Steingebilden, die man auf Grabstätten junger Herren anzutreffen pflegt, fromm, einfältiglich, einer seligen Auferstehung wartend. Herr Hugh aber nahm das große Schwert, berührte mit dessen Klingenfläche dreimal die Schultern des Sohnes, und sagte dazu: »Das leide du jetzt von mir, und von keinem wieder.« – Dann trat er vor den Jüngling hin, und sprach: »Herr von Trautwangen, ich habe Euch nun Kraft meines Rechtes als Ritter und Bannerherr die heilige Ritterwürde übertragen. Übt solches Amt recht ehrbar aus, zum Horte der Frauen, der Witwen, und der Waisen; vor allem aber zur Glorie unsres Allerheiligsten Erlösers Jesu Christi. Für jetzo nun erhebt Euch, kommt in meine Arme und laßt uns gute Waffenbrüder mitsammen sein.«

So herzinnig hatten sich Vater und Sohn noch niemalen umfangene als in diesem feierlichen Augenblick, wo sie über alles hinaus, was sie sonsten verknüpfte, auch noch Brüder und Genossen geworden waren. Darauf ging Herr Hugh mit dem alten Schwerte nach einem goldhellen großen Schilde, welches grade über seinem Sessel hing, und schlug dreimal gewaltig und in gemessenen Zeiträumen dagegen, daß die Hallen dröhnten, und alsbald sich der Saal von den bewaffneten Hausleuten füllte.

»Das ist der Ritter Otto von Trautwangen«, sagte Herr Hugh zu ihnen, indem er seinen Sohn an der Hand hielt. »Dieser teure junge Degen wird heute nacht seine Waffenwache halten. Tragt ihm deshalben die silberhelle Rüstung – denn sie soll sein gehören – hinunter in die Kapelle, und wer es gut meint mit dem Hause der Trautwangen und dessen jüngster Blüte, halte sich munter zu Nacht, und bete zu Gott, daß diese ernsten Stunden eine erquickliche Saat und Frucht tragen mögen für Zeit und Ewigkeit. Amen!«

Und sie schritten hinunter die Wendelsteigen nach der Kapelle, die, wie zum Schutze des Baues, weit hinaus an dem vorspringendsten Gemäuer gegen Morgen stand. Dann legten die Kriegsknechte das glänzende Waffengerät vor dem Altar nieder. Herr Hugh segnete seinen ritterlichen Sohn, ihm das alte Schwert in die Hand drückend, während dieser sich edlen Anstandes und gezückter Wehr, wie ein Paradieseswächter, vor das silberreine Metall hinstellte, betend und schweigend mit seinen Dienstmannen an geheiligter Stätte.

In der Höhe der Kapelle brannte fern oben eine einzige Lampe, das Gewölb mit all seinen reichen Bogen, welche gleich Orgelklängen pfeilernd emporstiegen und einander umfaßten, so wunderbar erleuchtend, daß man meinte, durch Waldesäste in den offnen Himmel hinaufzuschauen, während der untre Teil des Gebäudes in zweifelhafte Dämmerung versenkt blieb, so wie es die Erde mit ihren Gebilden ja auch vor unsern blöden Menschenaugen tut. Die Frommheit des Gedankens erfaßte zu Anfang den jungen Ritter ausschließlich; er kniete nieder, die Hände um seine Schwertklinge faltend, und den goldnen Griff als ein Kreuzesbild in die Höhe hebend, und dabei schaute er immer recht inbrünstig nach der obern Helle des Gewölbes empor, und dachte an seine selige Mutter, von der er sich nur erinnern konnte, daß sie auf der Reise im freien Walde gestorben sei, und ihm, dem weinenden Knaben, immer mit süßem Lächeln nach dem lichtblauen Frühlingshimmel hinauf gedeutet habe, denn sprechen konnte sie schon nicht mehr. An der Mutter Tod knüpften sich andre Erinnerungen fest, und so kam das Gemüt des Jünglings nach und nach wieder vorgeschritten in die gegenwärtige Stunde. Da fiel es Ihm auf, wie bis heute diese Kapelle ein unbekannter, verbotner Raum für ihn gewesen war, und mit einem Gemisch von Neugier und Grauen sprang er in die Höhe. Bild an Bild ward neben ihm an den Wänden sichtbar, einige so weit aus der Mauer vorgeschritten, daß die Dämmerung sie fast mit ihrem wechselnden Dunkel und Licht zu lebendigen Leibern gestaltete; andere wieder nur mit Farben leicht auf die Fläche hingehaucht, selbst Schatten in den Schatten, die von der lodernden Ampel daran hinstreiften. Es war ihm, als müßten alle diese Gestaltungen in das Leben seines Vaters gehören, welches er auch nicht viel anders kennengelernt hatte, als eben jetzt die Wände der Kapelle: einzelne Bilder deutlich, die mehrsten aber kaum geahnt, und der Zusammenhang des Ganzen unbegriffen, und von nebligem Dunkel überhüllt. Soviel sah er wohl, daß hier teils Grabstätten mit ihren ernsten Verzierungen standen, teils auch erbeutete Waffen und ganze Rüstungen von unerhörter Gestalt, denn Herr Hugh war sehr weit umhergekommen, sowohl in die heiligen Morgenlande, als auch durch den blühenden Westen von Europa, und hinauf gen Mitternacht, wo es mehr Winter gibt als Sommer, und die Sonne oft viele Wochen hintereinander unsichtbar bleibt. Aus allen solchen fernen Regionen schienen sich hier Bilder oder sonst Andenken eingefunden zu haben, um in dem engen Raume Kunde zu geben von dem reichen Leben des alten Ritters, welches jetzt einem noch weit engeren Raume schon ganz nahestand. Es wehten im Nachthauche große Banner, und muhammedanische Roßschweife daneben, und krumme Säbel funkelten mit reichen Juwelengefäßen neben uralt rostigen Schwertern und Streitäxten; wie zum Treffen geschart standen Harnische da, und neben ihnen sahen ernste Greisenantlitze, hart gemeißelt, oder milde Frauenangesichter mit bleichen Farben wie Mondschein von den Wänden heraus. Ach, unter diesen war eines, das ihn mit dem allersüßesten Zauber anzog, dessen er sich je bewußt geworden! Er konnte es kaum vor einigen finstern Rüstungen recht gewahr werden, und doch meinte er, es müsse niemand anders als seine selige Mutter sein. Es war ordentlich, als winke es ihm mit der einen in die Höhe gereckten Hand zu sich hin. Er wäre auch gleich gegangen: nur wußte er nicht, ob es seinem Ritterstande gebührlich sei, die Waffen, welche er bewachen sollte, so weit zu verlassen, denn das Bild stand fast am andern Ende der Kapelle. Da erwachte ein wunderliches Kämpfen in seinem Gemüt, und ließ ihm keinen Frieden; die Mutter schien immerfort zu winken, und endlich meinte er gar die süße Stimme zu vernehmen, die aus der frühen Kindheit herauf noch oftmals durch seine Träume gegangen war, und daß sie spreche: »Ach du herzlieber Sohn, ach nur den einen, einen Augenblick! Ich bin ja schon so lange tot und fern von dir. Ach nur den einen Augenblick! Die Waffen liegen ja in Gottes Hut!« – Wohl sagte sich der junge Ritter, daß er das alles nicht von außen höre, aber weil es doch allzurührend in seinem Herzen klang, neigte er sich endlich vor dem Bilde des Gekreuzigten, das lebensgroß in weißem Marmor über dem Altare stand und sagte: »Ach Gottmensch, du hast ja auch deine Mutter so sehr lieb gehabt! Schirme mir meine Gewaffen, derweil ich nachsehe, ob das dort das Bildnis der meinigen ist!« – Und damit schritt er getrost nach der ersehnten Stelle hinab.

Wohl war es sein süßes Mütterlein, die in einem dichten Forste abgebildet war, die Arme beide gegen die Wolken ausgestreckt, und weil er vorhin nur den einen davon hatte sehen können, war es ihm vorgekommen, als winke sie ihm damit. Jetzt sahe er wohl, daß sie nach nichts winke, als nach Gott, denn ihre lichtbraunen Augen waren hoch empor nach einem güldnen Dreieck gerichtet, das oben im tiefblauen Gewölke sichtbar ward. Was dem Bilde an Frische und wahrhaftem Leben mangelte, trug des jungen Ritters feuchtes Auge leicht hinein. Ihm ward vollkommen, als sehe er nun wieder den hellen Frühlingshimmel vor sich, nach welchem die Mutter damals hinaufgewinkt habe, und den tiefschattigen saftgrünen Forst, welcher so heimlich umherstand. Selbst daß die Farben auf dem Angesichte der Mutter beinahe gänzlich ausgebleicht waren, rührte ihn unaussprechlich. Er drückte einen ehrfurchtsvollen Kuß darauf, und sagte: »Hab' schönen Dank, du lieber, treuer Maler, daß du sie mir als Leiche gemalt hast, denn als Leiche wollten ja Vater und die andern nicht, daß ich die Vielholde sähe. Nun ist es dennoch nach meinen Wünschen ergangen.« – Er schwieg nachdenklich, und überlegte, ob dies wohl die Grabstätte seiner Mutter sei. Er hätte es gar zu gern geglaubt, und hier ein stilles Gebet bei den teuern Gebeinen gehalten, aber er konnte sich durchaus nicht entsinnen, daß ein Sarg mit her in die Burg gekommen, oder hier ein feierliches Begräbnis gehalten worden sei.

Indem streifte ein Luftzug durch die Halle. Die Türe klirrte im Schloß, ein altes Banner über des Ritters Haupte begann zu rauschen, und er fuhr überrascht aus dem tiefen Sinnen empor, schnell umblickend nach seinen Waffen. Da war es plötzlich, als strecke zwischen diesen und ihm eine riesige Gestalt den langen schwarzen Arm aus, und greife nach seinem anvertrauten Schatze. Ringfertig sprang er auf die finstre Erscheinung los, und wie er sie faßte, rasselte der Helm, den sie trug, auf den Boden und andre Waffenstücke mit, und hinter dem Staubdampfe, der aufstieg aus dem rostigen Gezeug, grinste ihn vom Rumpfe seines Feindes ein entfleischter Totenschädel höhnisch an. In tollem Entsetzen hieb er mit dem Schwerte danach, und Totenschädel und Rüstung und alles fiel klappernd zu seinen Füßen. Da sah er erst, daß ihn nicht ein Kobold äffe, oder ein gottloser Bewohner des Grabes, sondern daß eine der Gestalten an den Mauern ihm feindlich regsam vorgekommen war, und er sie zu Boden gehauen hatte. Es gab nun ein seltsames Geschäft, die alten Waffen wieder in ihre Stellung emporzurichten, vor allem den Totenkopf, der im Helme gesteckt hatte, auf die Schultern der Rüstung zu setzen, und die rostige Eisenhaube darüber zu stülpen. Es kam ihm auch bei der Arbeit vor, als habe er dem Schädel eine tiefe Schramme gehauen, und dieser greine ihn nun deswegen in Schmerzen an. Diese Vorstellung verwirrte ihn ganz, und als schon alles fertig war, riß er noch einmal den Helm ab, um sich besser zu überzeugen. Zwar sah er nun wohl unterschiedliche tiefe Wunden auf dem bleichen Kopfe, und wußte sehr wohl, daß er nur einmal gehauen, aber eine davon, dachte er doch immer, käme von ihm her, und eilte sich, das grause Haupt wieder zu bedecken. Dann trat er an seine Waffen, neigte sich, Vergebung flehend, vor dem Kreuzesbilde, und sagte: »Herr, ich habe gesündigt, daß ich von meiner Stelle ging. Du bist allmächtig, und aller Dinge bester Hort, aber mir war die Wache anvertraut und nicht dir.« – Da kam es ihm vor, als blicke ihn der Herr freundlich an, und er faßte wieder einen frischen Mut. So oft es auch grausend in ihm aufsteigen wollte, daß er seinen ersten Ritterkampf mit einem furchtbar wehrlosen Toten gehalten habe, war es doch immer, als sagte ihm seine Mutter tröstende Reime ins Ohr, die er in einem Liede, das der alte Meister Walther gedichtet, wohl oft vernommen hatte. Sie hießen also:

»Man geht aus Nacht in Sonne,

Man geht aus Graus in Wonne,

Aus Tod in Leben ein.«

So schritt er denn keck und freudig vor den Waffen auf und nieder, und wenn es ihm wieder vorkam, als winke das holde Bild, nickte er nur freundlich mit dem Kopfe dahin, und grüßte adlig mit dem blanken Schwerte, sprechend: »Kann jetzt nicht fort, lieb Mütterlein; bin auf der Ehrenwacht.«

Darüber sah endlich das helle Morgenrot frisch und duftig an den hohen Fenstern herauf, der Schlüssel drehte im Schloß, und Herr Hugh trat in die Kapelle.

Der alte und der junge Ritter grüßten einander mit großem Ernste und wehmütiger Innigkeit; dann schritt Herr Hugh gegen den Altar herauf, nahm die Waffen von den Stufen, und fing an, seinen Sohn darin zu kleiden. Dieser konnte es kaum dulden, daß er von so verehrten Händen Dienste empfangen solle, aber er kannte die Gesetze der Ritterschaft, und hielt also still, während ihm der Greis Küris und Halsberge und Schienen anlegte, und ihm den Helm auf das Haupt setzte, ja endlich zu seinen Füßen kniete, und ihm die goldnen Sporen anschnallte. Vater und Sohn waren dabei gleich verwundernd, daß nun das große Schwert, zu welchem der Alte die Scheide mitgebracht hatte, ganz folgsam in diese hineinging, da es doch vorher immer kaum bis über die Hälfte hineingewollt hatte. – »Es ist fast«, sagte Herr Hugh, »als hätte der wunderliche Gesell zu Nacht eine Scharte minder gekriegt, oder eine mehr«. – Otto mußte mit einigem Schaudern des Hiebes gedenken, welchen er auf den Totenkopf geführt hatte, und da sie eben im Hinausgehn an der Rüstung vorüberschritten, welche diesen verbarg, fiel ein scheu unwilliger Blick aus seinen Augen darauf hin. – Herr Hugh stand, und sagte: »Hat dich der verstört? Es sollte mich nicht wundern, denn im Leben war so was oftmalen seine Art.« Otto erwiderte nichts. Er staunte aber im helleren Licht noch mehr über die ungewohnten Formen des Harnisches, vorzüglich jedoch über zwei ungeheuer große Geierflügel, die goldgetrieben vom Helme emporragten, und die er in der Nacht für zwei gewaltige Hörner gehalten hatte. In dieser Gestaltung waren sie fast noch gräßlicher anzusehen, und der junge Ritter mußte an einige wunderlich schauervolle Märchen denken, die ihm sein Vater ehedem von einem entsetzlichen Manne mit solchen Geierflügeln auf dem Helme vorerzählt hatte.

Aber wie schnell war Totenschädel und Geierfittiche und alles sonst in der Welt vergessen! Denn nahebei sah der Mutter himmlisch liebes und sehnend bleiches Antlitz aus dem Wandgemälde vor. »Ach trauter Vater«, sagte Otto, »ist wohl hier die Begräbnisstätte der holden Seligen, die mich geboren hat?« – Herr Hugh schüttelte schweigend und ernst sein weißes Haupt. – »Bitt' Euch dann«, sprach Otto weiter, »führt mich an die Stelle, wo der teure Leichnam ruht, auf daß ich noch einmal dort bete, eh' ich hinausziehe in die Welt. Ich hab' es all' diese Jahre her in kindischer Unwissenheit versäumt.« – »Es ist nicht an der Zeit zu Grabgedanken!« rief Herr Hugh, und zog den jungen Rittersmann rasch, fast unwillig, sich nach aus der Kapelle, und sie traten auf den Schloßwall vor, in die frische, rotglühende Morgenluft hinein, und vor ihnen lag Donau und Anger und Forst und fernes Gebirg, alles von gaukelnden Lichtern und hellen Tautropfen überspielt und überkränzt. – »Ihr müßt mir nicht so weichlich sein, junger Ritter von Trautwangen«, sagte Herr Hugh, seines Sohnes Hand derb schüttelnd. »Mit dem Weinen und Sehnen hat es Zeit, bis Ihr so alt werdet, als Euer Vater, und auch dann muß man sich's nicht eben merken lassen. Wartet hier, und badet Aug' und Herz in der kühlen Frische. Wann alles zu Eurer Reise fertig ist, ruf' ich Euch ab.« – So schritt der alte Degenheld vom Wall nach der Burg zu hinunter, und der junge blieb oben, recht freudig durcheinander gerüttelt von den Worten und dem Benehmen des Vaters, und immer lustigeres Hoffen nach der Ferne entzündend an der reichen Gegend, welche von Lerchentrillern und Hirtenliedern durchjubelt vor seinen Blicken lag.

Wie er nun rüstig auf und nieder schritt, sich freuend an dem Klirren seiner Silberwaffen, das so hell in die allgemeine Fröhlichkeit hineinklang, stieß sein kecker Fußtritt im hohen Grase an etwas, das auch zu tönen begann, aber recht klagend wehmütig, wie über unverschuldete Verletzung. Sich niederbeugend, sah er Berthas Laute, und die Herrin mußte wohl in sehr tiefen Gedanken von hinnen gegangen sein, weil sie die so geliebte Gespielin hier im feuchten Moose und kältenden Tau hatte liegen lassen. Da beugte er sich nach der armen Zither hinab, faßte sie in die Arme, und zog, während er sich auf das Gras niederließ, seine ehrnen Handschuhe aus, um die Verlassene mit zärtlichem Kosen zu trösten. Sie tönte auch gar anmutig und bald recht freudig unter seinen stimmenden Händen, und er sang mit hellem Tone in die Saiten folgendes Lied:

»Frühlingsblüte, Maienwind,

Sind

Neu erwacht in hellen Räumen,

Und zumal

Freier Wasser Spiegelstrahl

Und das Lieben und das Hoffen und das Träumen.

Frisch hinaus

Nach den Kränzen

In des Lenzen

Haus,

Hof und Garten unter Wunderbäumen.

Halt' ein Knab' im leichten Trieb

Lieb

Andre Kinder seinesgleichen;

Das mag sein,

Während sie zum Spiel sich reihn,

Und bescheiden durch die Heimat schleichen.

Doch wo Licht

Höhrer Sonnen

Kühn von Wonnen

Spricht,

Muß das arme kleine Lieben weichen.

Dann erst wallt in Maienglut

Blut,

Herz und Geist und alle Sinne,

Wenn die Pracht

Hoher Frauenlieb' erwacht,

Und zur Heldin wird die blöde Minne,

Junge Maid,

Magst im Garten

Andrer warten;

Weit

Muß ich suchen, wo ich Huld gewinne.«

»Ist denn das recht im vollen Ernste dein Abschied von mir?« fragte Bertha, die sich indes unvermerkt an Ottos Seite geschlichen hatte, und ihn nun, wenn freilich nicht mehr mit so hellen Augen, als gestern, doch mit desto hellern Tränen ansah. – Otto blieb eine Weile nachdenklich und still; dann sagte er endlich: »Liebe Bertha, das Lied hat vieles aus mir herausgesungen, mehr, als ich beinahe selber wußte. Zu Anfang wollte ich nur den Frühling ansingen, und da quoll mir mein ganzer innrer Frühling in wahrhafter Gestaltung mit hervor. Denn hör', lieb' Mühmchen, wir können es uns doch nicht mehr ableugnen, daß es so ist, wie es mein Sang verraten hat. Die fremde Dame mit ihrer Pracht und ihrer Not hat all mein Herz entzündet, und das ist es nun erst, was die edlen Sänger Minne heißen. Wie wir miteinander scherzten, war es doch bloß ein Kinderspiel. Sei nur hübsch lustig; es wird gewiß auch noch ein wunderbarer fremder Ritter kommen, um dessentwillen du des blöden kindischen Otto vergessen mußt.«

»Der wird nicht kommen«, sagte Bertha langsam, »und was der Dame Not betrifft, so könnte ja auch mir –«. Sie hielt errötend inne. Otto aber fuhr auf, und rief: »Ha, kämst du je in Not, mein Leben, Gut und Blut wär dein.« –

»Ich will aber gar nicht von Euch gerettet sein, Herr von Trautwangen«, entgegnete Bertha stolz und kalt. »Glaubt mir nur, hätten mich die Heiden auf einen Holzstoß gebunden, wie wir wohl sonst in schönen Märlein von edlen Frauen gelesen, und die Fackeln zischten schon lodernd am dürren Reisig umher, und Ihr kämet geritten, plötzlich, in all der Waffenpracht, die Euch jetzt eben so herrlich schmückt, und wolltet für mich fechten, – ich sagte: Danke! Ich nähm' Euch nicht zu meinem Kämpfer an, ich riefe Feuer! Mehr Feuer her! – Weh', und dann löscht' ich es wohl mit meinen eignen Tränen aus. Sie sind aber zu heiß dazu.«

Und damit sank sie bitterlich weinend in das Gras. Otto riß im streitenden Gefühl an den Saiten der Zither. Die eine sprang mit lautem Weheschrei. Darüber richtete sich Bertha empor, und sagte: »Seht, wie Ihr es mit allem macht, was mir zugehört. Was habt Ihr denn Eure Eisenhandschuh erst ausgezogen? Mit denen hättet Ihr das arme Ding noch schneller entzweibrechen können. Her meine Zither, Herr von Trautwangen. Die doch wenigstens ist mein.« – Und sie riß ihm das Instrument heftig weg, und schritt von dannen. Er rief ihr nach, aber sie wiegte die Zither tröstend in ihren Armen, wie ein beschädigtes Kind, lockte ihr die lindesten und schmeichelndsten Töne hervor, und verschwand mit ihr, ohne sich nach ihm umzusehn, hinter der Kapelle.

Da rief der alte Herr Hugh aus dem Burghofe nach seinem Sohne herauf, und schrie zu vielen Malen: »Es ist fertig! Es ist fertig! junger Herr, zu Roß!« – Und der Jüngling eilte hinab, und sah, wie unten eine Menge von reisigen Leuten bereitstand, und ein lichtbraunes Pferd an goldnen Zügeln, dem er sonst niemals hatte nahen dürfen, an den Händen der Knappen auf ihn wartete.

Er trat hervor, und Herr Hugh sagte zu ihm mit einem schmerzlichen Lächeln: »Ach! Scheiden und Meiden tut weh! Nicht wahr, junger Degen? – Nun, macht Euch nur sogleich auf das Roß, und versucht, wie ein so edles Tier sich drein findet, Euer eigen zu sein.« –

Und der junge Ritter Otto von Trautwangen sprengte den Hengst mit gewaltiger Übermacht bald hin und bald her, daß die Knappen davor erstaunten, und der Meinung waren, es müsse dieser edle Gaul seinen rechten Reiter wohl anerkennen, und dessen Gewalt über ihn von sonderbarer, ganz unerhörter Bedeutung sein. Der alte Vater aber streckte seine Arme aus, und rief: »Steige wieder ab, mein lieber Sohn, daß ich dich noch einmal so recht aus ganzen Kräften an das Herz drücken kann.« – Und vom Rosse flog der Ritter mit klirrendem Schwunge, und lief in seines Vaters Umarmung. Der Streithengst aber schnob die Knappen wild an, die ihm nach den Zügeln griffen, und hieb auf sie ein, bis er sich Bahn machte und seinem jungen Herrn nachtrabte, bei dem er alsdann stehn blieb, und während dieser seinen alten Vater herzte, den Kopf liebkosend auf seine Schulter legte.

»Nun, mein Sohn, reise mit Gott!« sagte Herr Hugh, den geliebten Jüngling sanft von sich drückend. »Dein Gefolge wartet.« –»Herr Vater, wollet mir eine Bitte nicht abschlagen«, sprach Otto darauf, »mag sein, daß es die letzte wird, denn ich ziehe weit hinaus, und habe wohl manch ein derbes Kämpfen zu bestehn.« – »Mein Sohn«, entgegnete Herr Hugh, »man muß jedwedes Wort von übler Vorbedeutung meiden. Das Unglück häkelt sich gern und leicht an, und was unsern Wünschen unersteigbare Klippen sind, werden jenem bequeme Treppen. Darum sage mir nichts von letzten Bitten; aber deine Bitte selbst sage mir, und ich werde sie vermutlich erfüllen.« – »Herzlieber Herr Vater«, sagte Otto, »soviel ich noch von rechten Helden gehört und gelesen habe, sind sie immer allein auf ihre ersten Abenteuer geritten. So tat es der hürnin Seyfried, und so alle die Besten mit. Ihr aber wollt mir von einem Gefolge sprechen, und ich sehe da auch einen ganzen Haufen reisefertig umherstehn. Sendet mich nicht hinaus, wie ein verzognes Kind, sondern wie einen tüchtigen Kerl, der seinen und vieler andern Leute Schutz im freudigen Herzen trägt und in der rechten Faust.« – Da hieß Herr Hugh die Reisigen und Knappen allzumal absatteln und zu Hause bleiben. »Denn«, sagte er, »mein Sohn hat auf eine solche Weise gebeten, daß es eine große Sünde wäre, ihm irgend mit abschlägiger Antwort zu begegnen. Und Ihr, junger Ritter, macht, daß Ihr schnell hinauskommt, sonst wird Euerm alten Vater am Ende noch das Herze weich. Soviel aber sag' ich Euch, verfahrt mir so säuberlich mit dem edlen Freiherrn von Montfaucon, als es Euer Gelübde zuläßt, denn er hat mit dem Ringe so gar unrecht eben nicht.«

Da flog der junge Degen aufs Roß und zur Burg hinaus, und der alte Herr Hugh ging bitterlich weinend in die Gemächer zurück. Er sah aber so ehrwürdig aus in seinen Tränen, daß keiner von den Hausleuten den Mut hatte, ihm grade ins Angesicht zu sehn.

Wie nun Herr Ott' von Trautwangen über die Wiese trabte, saßen Bertha und der alte Minnesinger Walther auf dem Walle, und sahen betrübt zu, denn die Jungfrau hatte dem Greise, der eben wieder zum Besuch auf die Veste gekommen war, ihren ganzen Jammer anvertraut. Sie wollte auch wieder zu weinen anfangen, da sagte Meister Walther: »Lied bricht Leid. Laßt uns dem Ritter etwas nachsinnen auf die Fahrt.« – Und er hub also an:

»Ich bin ein schwacher Greise,

Zieh' nicht mehr weit hinaus;

Du suchst auf Jünglings Weise

Gar manchen fernen Strauß.

Denn Strauß sind Kusses Grüße,

Und Strauß auch die vom Speer,

Nur sind die einen süße,

Die andern bitterschwer.«

Bertha sang:

»Du sollst die süßen pflücken,

Den bittern ferne sein;

Zwar wird mein Herz mich drücken

Zu Tod mit herber Pein.

Doch schläfst du unter Lauben,

So schlaf ich gern im Grab;

Drum brich, ich will's erlauben,

Brich nur mich Lilie ab.«

Walther gedachte noch weiterzusingen, aber Bertha winkte ihm, daß er innehalten sollte, denn sie konnte es doch nicht länger ertragen, und wickelte sich tief in ihre Schleier ein. Da war der leise Klang auf den wehenden Morgenlüften auch zu Otto hinübergedrungen. Er trabte schneller, und zog sein Visier herunter, um nichts mehr zu hören. Weil es nun das erstemal war, daß er einen geschloßnen Helm trug, sah ihn durch die Luken desselben die Welt ganz wunderlich und wie durch ein verschönendes Fernglas an; zudem schwamm alles vor dem frischen Morgenlicht mehr in glühroter, als in irgendeiner andern Farbe, so daß der junge Kriegsmann sich nicht enthalten konnte, laut in das wunderschöne Leben hineinzujauchzen, und aller Wehmut vergessend wie ein maigeborner Vogel über Wiese und Heide und Acker dahinflog.

Da, wo der Mainstrom seinen silberblauen Spiegelstreif nach der alten freien Reichsstadt Frankfurt hinlenkt, und von den ebnen milden Ufern einander Lusthäuser und Fruchtfelder und helle Dörfer hinüber und herüber zuwinken, lebt es sich ein ergötzliches Leben. Vorzüglich wer im beginnenden Frühlinge dort Atem schöpfen darf, und ein junger Kriegsmann ist, seinen ersten Gefechten und Abenteuern voll wunderlicher Hoffnungen entgegenreitend, kostet einen Becher der Freudigkeit und Herzenslust, wie er ihm nachher im Leben nicht leicht so schön wieder vor die Lippen kommen möchte. Etwas Ähnliches hat der, welcher diese Geschichte beschreibt, erfahren, und wünschte, seine Leser hätten es auch; sowohl um ihrer selbst willen, als auch, damit sie sich desto besser in das lustige Gefühl versetzen könnten, welches in jenen schönen Gegenden ein Goldnetz um den jungen Ritter Otto von Trautwangen her, und über alle Gegenstände hin spann, deren er ansichtig ward. Er wußte gar nicht, was er lieber haben sollte: den Frühling, oder seine Reise, oder die blühenden Fruchtbäume und sanften Hügel und Täler; oder die fröhlichen Menschen, welche diese bewohnten.

In solchen Gesinnungen kam er vor eine Herberge geritten, die unfern vom Ufer des Stromes lag, und deren Vordach, aus einer Laube von Weinblättern und Jasmin bestehend, den jungen Reisenden freundlich einlud, die Mittagsstunden über hier auszuruhen. Sein edler Streithengst war bald in den Stall geführt, und ihm Futter vorgeschüttet, – der Ritter mußte das alles selbst tun, denn keinen andern ließ das stolzgetreue Roß so nahe an sich heran, – und nun saß Herr Ott' unter dem erquicklichen Laubdach, Flasche und Becher vor sich, und den edlen rheinischen Wein zwiefach goldig blinkend unter der tiefen Umschattung des kühlen, dunkelnden Grüns.

Da trat ein Mann aus der Haustür, eben nicht viel älter als Otto, schien es, aber sehr ernsten und sonnegebräunten Antlitzes, der Bewaffnung nach ein Ritter, aber all sein Gezeug rostig und staubig, wie von weiter Fahrt; auch die Waffenstücke ohne alle Zier, die Schnallen und Riemen unversteckt, welche es zusammenhielten und schmucklos angebracht, nachdem es sich eben am bequemsten hatte schicken wollen, so daß er wohl seltsam gegen den jungen silbergeharnischten Trinker abstechen mochte. Der Fremde grüßte mit einer gewissen, derb treuherzigen Höflichkeit, die beinah etwas Mürrisches an sich hatte, setzte sich dann dem jungen Ritter gegenüber, und forderte auch Rheinwein für sich.

Otto war anfangs nicht recht zufrieden mit diesem Zechgesellen; er dachte, die anmutigen Bilder, welche sich auf dem Saftgrün der Laube und dem Sonnenblau des Himmels in seine Sinne hereinwiegten, würden vor jenem verschwinden, ohne daß etwas Gutes an ihre Stelle käme. Aber es zeigte sich bald, daß der Fremde zu einer Art von Leuten gehöre, die wir wohl noch in unserm lieben Deutschland anzutreffen pflegen: scharfkantige, unscheinbare Steine von außen, aber auf die leiseste Berührung fliegen ergötzliche und erleuchtende Funken hervor, und wer recht alchimistisch nach dem Innern zu fragen versteht, findet wohl endlich ein über alle Vorstellung köstliches Gold. Der Fremde war sehr weit in der Welt umher gewesen, und dennoch ein getreuer, frommer Deutscher geblieben, oder gar dorten recht eigentlich geworden, weil ihm der Abstich erst klar gezeigt haben mochte, wie teuer das alte Vaterland zu halten sei. Die beiden jungen Ritter gewannen eine rechte Freude aneinander, und fühlten sich noch behaglicher, als sich ein dritter zu ihnen gesellte, ein junger Kaufherr aus Frankfurt, Tebaldo geheißen, und von seinen italienischen Verwandten, wie er berichtete, auf einige Jahre nach Deutschland geschickt, um unter Handel und Wandel mit dem ehrbaren Sinne der Reichsstädte und ihren großen kaufmännischen Ansichten recht vertraut zu werden. Zwischen vielen andern Gesprächen erzählte auch der fremde Ritter folgende Geschichte, welcher Otto und Tebaldo mit großer Achtsamkeit zuhörten:

»In den hochnordlichen Landen unsrer deutschen Brüder, die sich Schweden nennen, gibt es noch allerhand Volk in der Umstrickung des Heidentums und der wüsten Hexerei, vorzüglich nach der Grenze des Finnlandes hin, weil die bösen Nachbarn dorten sich nichts Beßres wissen, als Geister und Alraunen herauf zu beschwören, oder mit häßlichen Sprüchen ihren Widersachern allerlei Feindseliges an Leib, Haus, Gut und Gesinde anzuwünschen. Recht auf den finnischen Marken liegt ein ganz runder Berg, von der schwedischen Seite mit dunklem Laubholz, von der andern mit unglaublich dichtverschränkten Kiefern bewachsen, so daß wohl kaum der kleinste Vogel seinen Weg durch die gitterhaft verschlungenen Zweige finden möchte. Unten am Fuße des Laubgehölzes steht eine Kapelle mit dem Bilde des heiligen Georg, der wie zum Grenzhüter gegen heidnische Lindwürmer dort in die Öde hineingepflanzt ist; an der andern Bergseite, zu Fuße des starren Kiefernhaines, sollen die Hütten einiger abscheulichen Zauberer aufgeschlagen sein, auch eine Höhle von dortaus tief, tief in den Berg hinabreichen, und gar mit dem Schlunde der Höllen Gemeinschaft haben. Die wenigen schwedischen Christen, welche so hoch hinauf wohnen, dachten der üblen Nähe noch außer dem Heiligen einen recht mannhaften Wächter entgegenstellen zu müssen, und wählten deshalb zum absonderlichen Diener des heiligen Georg und zum Bewohner der bei der Kapelle aufgerichteten Siedelei einen alten berühmten Kriegshelden, der in seinen Greisenjahren Mönch geworden war. Als dieser dahin zog, wollte sein früher erzeugter, ehelicher Sohn nicht von ihm weichen, vielmehr ward er sein Aufwärter, stand in Büßung und Gebet mit fester Anstrengung ihm zur Seite, und ließ überhaupt ebensowenig von dem Vater, als er früher jemals im Schlachtgetümmel von ihm gelassen hatte. Es soll ein sehr erbauliches Leben mit den beiden frommen Rittersleuten gewesen sein.

Einstmalen ging der junge Gottesheld nach Holz aus; er trug eine scharfe Axt auf der Schulter, und war noch überdem mit einem großen Schwert umgürtet, denn weil es dorten so viele grimmige Tiere und boshafte Menschen gibt, hatten die frommen Siedler Lizenz, ritterliches Gewaffen mit sich zu führen. Wie nun der gute junge Mann eben im dichtesten Gehölze umhergeht, und schon die spitzen Kiefern über den Laubforst hinausragen sieht, – so nahe war er an der finnischen Grenzscheide, – da fährt aus dem dichtesten Buschwerk eine große, weiße Wölfin auf ihn los, daß er nur eben noch Zeit behält, zur Seite zu springen, und weil er nicht gleich zum Schwerte kommen kann, die Axt nach seiner Feindin zu schleudern. Der Wurf war so gut geraten, daß die Wölfin mit zerschmettertem Vorderfuß und ängstlichem Geheul in den Wald zurücke floh. Aber der junge Siedlerdegen gedachte: nicht genug, daß ich gerettet bin; es muß auch hinfürder kein andrer Mensch von dem Untiere mehr Schaden leiden, oder auch nur Schreck. – Und gleich ging es in hohen Sprüngen durch die Gebüsche hintendrein, wo er denn auch die Wölfin mit einem Schwertschwunge so tüchtig an den Kopf traf, daß sie winselnd zu Boden stürzte. Da kam ihn mit einemmale ein seltsames Mitleiden gegen das Tier an. Statt es vollends zu töten, hub er es auf, band ihm seine Wunden mit Moos und Reisig zu, und trug es endlich gar in die Hütte, des heißen Wunsches voll, es möge ihm doch vergönnt werden, seine gefällte Feindin zu heilen, und endlich durch die milde Pflege zu zähmen.

Er fand seinen Vater nicht daheim, und in der großen Angst legte er den wunderbaren Fang auf sein eignes Moosbett, worüber er das Bild des heiligen Georg an die Wand gezeichnet hatte, und dann wandte er sich wieder nach dem Herde des kleinen Häusleins, um dorten eine heilkräftige Salbe für die Wunden des Tieres zu bereiten. Aber während der Arbeit schien es ihm, als höre er ein menschliches Ächzen, ein vernehmliches Klagen von dem Mooslager herauf. Und wie ward ihm nun vollends, als er sich dorthin wandte, und eine wunderschöne Jungfrau an der Wölfin Statt erblickte, durch ihr goldhelles Haar vorblutend die Wunde, die sein Schwert geschlagen, den rechten Arm in all seiner Zartheit und Weiße regungslos ausgestreckt, durch seinen Axtenwurf zerschmettert. – ›Bitte, bitte‹ sagte sie, indem er sich nach ihr umwandte, ›macht mich nicht gänzlich tot. Das bißchen Leben, so noch in mir ist, tut freilich weh, und mag wohl nicht lange mehr dauern, aber es ist doch gewißlich zehntausendmal besser, als das abscheuliche Sterben.‹ Da kniete der junge Mensch weinend neben ihr, und sie erzählte ihm nun, wie sie die Tochter eines der Zaubermenschen am andern Rande des Berges sei, und wie der sie ausgesendet habe, in der verhexten Wolfsgestalt Kräuter auszuraufen, und sie nur in Angst und Schreck so losgefahren sei. – ›Da schmissest du mir aber gleich den Arm entzwei‹, winselte sie, ›und ich meint' es doch wahrlich nicht so böse!‹ – Wie sie nun plötzlich entwandelt sei, konnte sie gar nicht begreifen, dem jungen Mann aber war es klar, daß die Nähe von Sankt Georgens Bild die arme Betörte wohl habe entzaubern müssen.

Wie nun der Sohn noch weinend und besänftigend neben ihr kniete, kam der alte fromme Mann nach Hause, und merkte bald, was hier geschehen sei: daß nämlich wohl das Heidenmädchen von ihrer Wolfshülle entzaubert sei, der Jüngling hingegen um desto bezauberten durch der Jungfrau Schönheit und süße Liebsgewalt. Von nun an ging alle seine Sorge darauf, sie geistlich zu heilen: wie der Sohn sie leiblich zu heilen bestrebt war, und indem beiden ihre Mühe auf das Beste gelang, beschloß man gemeinschaftlich, daß die Liebenden einander heiraten und in die Welt zurücke kehren sollten, denn der Jüngling hatte kein Gelübde abgelegt.

Die Schöne war nun wieder ganz gesund, der Tag ihrer feierlichen Taufe und nächstdem ihrer Hochzeit schon bestimmt, da gingen die zwei Verlobten eines schönen Sommerabends miteinander in den Wald spazieren. Die Sonne stand noch hoch, und schien so warm durch die Buchenstämme auf den grünen Boden, daß sie des Lustwandelns gar nicht satt kriegen konnten, und immer tiefer in den Forst hinein gerieten. Dabei erzählte die Braut von ihrem frühern Leben, und sang auch einige alte Lieder, die sie als Kind gelernt hatte, und welche sehr anmutig klangen. Wie abgöttisch und ruchlos nun auch manche derselben dem Bräutigam vorkamen, konnte er doch seiner Liebsten keinen Einhalt mit dem Singen tun; erstlich, weil er sie über alles liebte, und dann auch, weil sie gar zu süß und helle sang, daß der ganze Wald sich daran zu erfreuen schien. Endlich aber ward er der spitzen Föhrenwipfel wieder ansichtig, und wollte umkehren, um der verrufnen finnischen Grenzmark nicht noch näher zu kommen. Aber die Braut sagte: ›Liebes Herz, was wollen wir nicht noch weiter gehn? Ich möchte gern der Stelle ansichtig werden, wo du mir Haupt und Arm verwundetest, und mich einfingest, um mich nachher an Leib und Geist so unendlich lieblich zu heilen. Es muß hier ganz in der Nähe sein.‹ – Sie suchten nun hin und her, und darüber ward es ganz dunkel im Walde; die Sonne ging unter, der Mond ging auf, und mit einemmale standen die Verlobten an der finnischen Grenzmark, oder wohl schon etwas drüber, denn der Bräutigam erschrak sehr, als ihm ein Fichtenast seine Kappe vom Haupte streifte. Da ward es ganz wunderlich lebendig um sie her; eine große Menge von Eulen, Kobolden, Hexenkönigen, Nebelwitwen und Grubenjägern – der Bräutigam erfuhr diese und noch wunderlichere Benennungen, ohne zu wissen woher – tanzten einen abscheulichen Ringelreihen, und nachdem die Braut eine Zeitlang zugesehen hatte, fing sie an, überlaut zu lachen, und endlich ganz rasend mitzutanzen. Der arme Bräutigam mochte rufen und bitten, wie er wollte, sie achtete nicht auf ihn, und verwandelte sich endlich so unerhört, daß er sie aus dem tollen Reihen gar nicht mehr herauskannte. Ja, als er sie mit sich fortreißen wollte, faßte er, statt nach ihr, nach einer Nebelwitwe, und die schlang auch gleich ihre grauen, weiten Trauerschleier um ihn herum, und wollte ihn gar nicht wieder loslassen, während schon einige Grubenjäger an seinen Beinen zogen, und ihn mit sich in die schwarzen Kohlenbergwerke hinunterreißen wollten. Da schlug er noch glücklicherweise ein Kreuz, und nannte des Heilands Namen, daß die häßlichen Blendgestalten jämmerlich aufheulten, und auseinander stoben, während er sich auf die schwedischen Marken unter die Schattendächer der Laubhölzer herüber rettete. Aber die Braut war mit von dannen gestoben, und kein Bemühen konnte sie ihm wiedergewinnen. So oft er auch an die Grenzmarken kam, und bat, und rief, und weinte, kehrte sie dennoch nicht zurück. Manchmal sah er sie wohl durch die Föhrenschatten hinstreifen, wie auf der Jagd, aber immer in vieler häßlicher Kreaturen Geleit, und ganz verwildert und entstellt. Meist bemerkte sie ihn gar nicht; ward sie seiner aber dennoch ansichtig, so lachte sie ihn ganz unmäßig und voll der abscheulichsten Lustigkeit aus, so daß er entsetzt ein Kreuz vor ihr schlug; dann heulte sie und entfloh. Da ward er denn von Tage zu Tage einsilbiger, ging nicht mehr nach der Braut hinaus, und gab zuletzt auf keine Fragen und Sprachen in der Welt mehr andre Antwort, als: ›Sie ist ja um den Berg herumgegangen!‹ So wenig wußte er von irgend einem Gegenstande auf Erden, außer der Verlornen. Endlich grämte er sich gar zu Tod. Der Vater machte ihm, weil er einmal darum gebeten hatte, ein Grab an der Stelle, wo die Braut gefunden und verloren war, und hatte bei der Arbeit viel zu fechten, bald mit dem Kruzifix gegen böse Geister, bald mit seinem alten Schwert gegen wilde Tiere, welche ihm wohl die Zaubermenschen auf den Hals gehetzt haben mochten. Dennoch kam er endlich mit allem zustande, und nun war es, als reue die Braut des Jünglings Verlust, denn oftmalen hört man ein klägliches Geheul am Grabe. Es ist wohl, wie von Wölfen, aber man kann doch sehr deutlich menschliche Laute unterscheiden, und ich selbst habe es in den langen Winternächten gar vielmal dorten vernommen.«

Man saß eine Weile im ernsten Sinnen beisammen, bis endlich Tebaldo folgendergestalt zu sprechen anhub: »Die Schmerzen verlornen Minne, die Seufzer nach einstmals lockenden, nun feindlichen Blicken, die Wunden von über alles teurer Hand, – das sind die verderbendsten Zauberzeichen der furchtbaren Alten, die uns allesamt im ehrnen Netze hat, und die wir Natur zu heißen gewohnt sind. Man spricht auch, sie gebe dergleichen meist immer als Nachschmack ihrer erlesensten Süßigkeiten, wie umgekehrt gute Mütter ihren Kindern auf die herbe Arzenei wohlschmeckende Näschereien zu reichen pflegen. Ich weiß eine Geschichte ähnlichen Inhalts, und bin bereit, sie meinen edlen Zechgesellen vorzutragen, falls sie einiges Vergnügen daran fänden.«

Die beiden Ritter baten ihn, zu erzählen, und er begann: »Es mögen etwa fünfundzwanzig bis dreißig Jahre her sein, da lebte in meiner edlen Vaterstadt Mailand ein so wunderschönes und wunderholdes Mädchen, als es sich nur je ein Meister in der Malerkunst und in anderm hohen Wissen hätte erdenken mögen. Dabei war sie sittig, klug, sanftmütig, gehorsam, und trotz ihrer strengen Eingezogenheit, – denn ein Karfunkel leuchtet auch aus der verschwiegensten Laube hervor, – in der ganzen Stadt unter dem Namen der schönen Lisberta geehrt. Diese mailichste Blume des lieblichen Mailands, – Ihr Deutschen nennt unser Milano mit viel hübscherem Namen als wir selbst, – war eines Tages ersucht worden, am Fest einer Heiligen in der Prozession geschmückt mitzuwandeln, um durch ihre Schönheit den Schein des Aufzuges verherrlichen zu helfen; und gedenkend, daß ihr Gott so blühende Gabe verliehen habe, hielt sie es auch für einen frommen Dienst, selbige zu Gottes Ehren leuchten zu lassen. Sie schmückte sich daher aufs lieblichste aus, mit Blumen, Edelsteinen, Gewändern, Ringen und Ketten, kurz, mit allem, was nur den Namen der Zier verdienen mag, und weil ihr holdes Geschäft weit früher beendet war, als der Zug seinen Anfang nahm, ward sie durch die sonnenmilde Lenzluft, die vor den Fenstern leuchtete, angelockt, sich einstweilen in dem prächtigen Garten zu ergehen, welchen ihr Vater, der reichste Kaufmann der Stadt, bei seinem Hause angelegt hatte.

Hinwandelnd durch die Laubengänge von allerlei würzigen und goldbefruchteten Bäumen, gelangte sie endlich an den klaren Spiegel eines umbüschten Teiches, der aus den grünen Armen des zierlichen Gartengeheges als ein verliebtes und aller Schönheit dienstbares Auge heraufsah. Wie von Magie umstrickt und angezogen, schaute sie auch ihrerseits hinein, und begegnete ihrem eignen Bilde in so überraschender Pracht und Herrlichkeit, daß es ihr beinahe wie dem fabelhaften Narcissus ergangen wäre, der über seine quellenbeleuchtende Schönheit die ganze Welt vergaß. Sie mußte sich ordentlich mit Ängstlichkeit an den Umgebungen festhalten, um des eignen furchtbaren Zaubers in den Gewässern loszuwerden, und so geschah es endlich, daß sie im Grase eines wunderlichen Leuchtens von goldner und silberner Funkelpracht ansichtig ward. Flüchtend vor dem Flutenspiegel, angelockt von der unerhörten Wiesenblume, eilte sie hinzu, und fand, daß es ein glänzendes Schwert war, von goldnem Griff, silberbeschlagner Scheide und höchst zierlicher Form. Sie nahm es wie ein Spielwerk auf, so scheu sie auch sonsten vor dergleichen bedrohlichen Werkzeugen sein mochte; ja, sie zückte es halb aus der Scheide, und wunderte sich, daß ihr Antlitz noch schöner aus dem blanken Stahle widerleuchte, als aus den Fluten vorhin, nur daß sie vor diesem Spiegel ihres Schmuckes und ihrer Schönheit weit mindre Scheue empfand. Ach, arme Lisberta, du hattest doch eben die rechte Gefahr zuhanden, welche dein süßes Blumenleben, wie eine schonungslose Sichel, durchschneiden sollte! Tat es auch nicht die blanke Klinge selbst, so tat es doch der, welcher sie führte!

Denn unter den blühenden Zweigen trat eine hohe Rittergestalt hervor, nicht jung mehr, aber auch nicht alt, und von so unbeschreiblicher Heldenherrlichkeit, daß die schöne Lisberta beinahe mit einer unwillkürlichen Verbeugung in die Knie sank. Der Rittersmann aber sagte: ›Verletzet Euch nicht, Jungfräulein, mit diesem scharfen Spiel. Ich sähe lieber mein Herzblut vielfach strömen, als einen Tropfen des zarten Purpurs, der in Euren Adern wallt, aus diesen weißen Blumenfingern tröpfeln.‹ – Damit nahm er ihr sittigen Anstandes die Waffe aus der Hand, sie wieder ins Wehrgehenk an seine Hüfte steckend, und ehe er sonst noch irgend etwas sprechen konnte, waren schon Dienerinnen in der Nähe, die nach Lisberten riefen, dieweil des Festes Zug bereits begonnen sei. Die scheue Jungfrau winkte den edlen Ritter abwärts, und er verschwand, sich ehrerbietig neigend, hinter des Gartens farbig grünen Wänden.

Wie so gänzlich die Prozession und das Singen der Chöre und das Zujauchzen der Menge vor den Sinnen der armen Lisberta verschwand, laßt es mich Euch nicht fürder beschreiben, edle Ritter. Mein Herz blutet ohnehin vor des lieblichen Opfers Dahinsterben, und ich habe mich nur allzugerne lang in den frühern seligeren Gewinden ihres Lebens verweilt, wohl wissend, wie traurig es in der Zukunft noch kommen mußte. Vergönnt mir denn von diesem Wendepunkte an ein schnelleres Eilen zum Ziel.

Als nach dem halb oder meist gänzlich unvernommenen Feste die schöne Lisberta zu Abend an ihrem Blumenfenster saß, in süßes Geträum versunken, schien ihr die Sonne abschiednehmend so hell ins Gesicht, daß sie es wohl bemerken mußte, wie eines der hohen, schwankblühenden, sich an höhere Bäumchen anrankenden Gewächse ihres Zimmergartens sich von dem Baste losgemacht hatte, und statt hinauf zu dem Stamme, sich hinab gestreckt hatte vom niedern Fenstergesimse zu der nahen Terrasse. Indem sie nun aufstand, die Zweige wieder emporzubinden, sahe sie eine Gestalt unten vorüberwanken, in welcher sie nur allzuwohl den Herrn des glänzenden Schwertes von heute morgen erkannte. Eilig trat sie zurück, eilig zog sie die Ranken empor; ach, an ihrer vorhin gesenkten Spitze zog sie ein Brieflein, vom furchtbar lieblichen Wandrer daran befestigt, mit in das Gemach. Es lösend und lesend erfuhr sie alsbald, im Liebeswerben des ritterlichen Fremden, daß er ein Degenheld aus fernen Landen sei, den man hier in der Stadt Herr Uguccione hieß, und über alles wegen seiner kriegerischen und geselligen Tugenden ehrte, so daß sie auch schon vor mehrern Monden mancherlei Staunenswürdiges und nie bisher Erhörtes von ihm vernommen hatte. Da erlag um so schneller das schon verwundete Herz. Die blühende Ranke ward bald wieder von ihrem Baste gelöst, und senkte sich, holde Botschaft tragend, als eine gründuftende Brieftaube nach der Terrasse hinunter, ward bald darauf im selbigen Amte mit Ugucciones Antwort zu der lieblichen Herrin emporgezogen. Grüße und Gegengrüße schwebten nun auf diesem zierlichen Wege oftmals herauf und hinab, ja endlich schwebte Lisberta oft selbst hinab über die heimlichen Steigen, welche aus ihren Zimmern in den nächtlichen Garten führten, um dorten desto ungestörter mit dem geliebten Uguccione zu kosen.

Es geschahe aber endlich, daß Lisbertas Briefe sich wohl an der Ranke hinab senkten, niemand jedoch vorbeiging, sie aus dem grünen Geflechte zu lösen. Wenn sie es nun wieder emporzog, fand sie nur das Siegel ihrer Trostlosigkeit daran: den eignen, unentsiegelten Brief. Sie fing endlich an nach Uguccione zu fragen, und erfuhr, daß er schon seit vielen Tagen auf eine unbegreifliche Weise aus Mailand verschwunden sei. Dennoch ließ die Arme nicht ab, täglich das Rankengewächs vom Baste zu lösen, und auf die Terrasse hinabsinken zu lassen. Zog sie es alsdann ohne Brieffrucht herauf, so weinte sie bitterlich, und trieb dies so lange, bis ihr das Herz am Ende von vielen Tränen brach. Da sorgte eine Freundin, daß die rankende Blüte auf den Grabhügel eingepflanzt ward, und ich habe wohl oft gesehen, wie die Blätter und Blumen noch jetzt die einsame Stätte überschatten und überduften.«

Über des jungen Tebaldo heitres Gesicht hatten sich während des Erzählens immer tiefere Trauerschatten gelagert, so daß er am Schlusse seiner Geschichte wie ganz verwandelt erschien, vorhin einem fröhlichen Zechgesellen gleichsehend, jetzt aber einem Leichengaste, der mit seinem Herzen bei dem Begrabenen in der dunkeln Grube ist. Nach einigem Schweigen ermannte er sich, und sagte: »Ihr müßt es mir schon zugute halten, edle Ritter, wenn ich etwas, wie einen schwarzen Flor, über euer heitres Mahl und eure goldnen Weinbecher ausgebreitet habe. Ich bin sonst auch ein frischer Jüngling und gerne froh an Trank und lustiger Gesellschaft, nur daß sich oft die eben erzählte Geschichte zwischen mich und meine Vergnügungen zu drängen pflegt, und eh' ich sie alsdann nicht vom Herzen herunter gesprochen habe, läßt sie mir keine Ruh. Das macht, mich haben Base und Oheim zu vielen Malen an das Grab Lisbertens geführt, und mir vorgesagt von ihrer Lieblichkeit und Treue, und von Ugucciones Verrat; – die Geschichte ist ordentlich mit mir aufgewachsen und in mich herein. Sollte mir auch Herr Uguccione einmal begegnen, so mag er sein Leben hüten. Ich kann mir kaum eine größere Lust denken in meinem Sinn, als ihm sein gold- und silberblankes Schwert in das Herz zu bohren, und ihm dazu in das Ohr zu rufen: Lisberta! Lisberta!«

Seine glühenden Augen brannten ihm dazu, wie zwei Mord- und Kriegsfeuer, die über ein empörtes Land in dunkler Nachtzeit hinflammen. Otto aber gab darauf, wie überhaupt auf seine letztern Reden, wenig acht. Sein ganzer Geist war noch bei der Geschichte und bei dem traurigen Gedanken an verlaßne Liebe. Da entsiegelte ihm zuletzt Vertraulichkeit und Wehmut die Lippen; er fing an, seinen Gefährten, – ohne Nennung der Familiennamen zwar, – zu erzählen, wie es ihm selbst ergangen sei, wie er so vergnüglich an den Ufern der Donau gelebt habe, von Kindheit an in schuldloser Minne zu seiner Muhme Bertha, wie er nun endlich von gewaltigeren Sehnen hinausgelockt worden sei und zerrissen habe das frühe, liebliche Band, und wie ihm jetzt mit den Schmerzen verlornen Liebe in den beiden Geschichten auch die Schmerzen des holden Mühmleins aufs Herz gefallen seien; und endlich beschloß er seine halb kindischen, halb männlichen Reden mit der Frage: ob wohl seine beiden Gefährten meinten, auch Bertha könne sterben, wie der Waldbruder und die schöne Mailänderin gestorben sei?

Da sahe ihm der fremde Ritter scharf ins Auge, und mit einer Eiskälte, die plötzlich über sein ganzes Gesicht und Wesen, wie in feindseliger Versteinung anzuschießen schien, sagte er: »Da Ihr soviel von Donaustrand und Bertha redet, heißet Ihr wohl gar Herr Ott' von Trautwangen, und Euer schön Mühmlein ist Fräulein Lichtenried?« – Und kaum hatte Otto beides bejaht, so erhub sich der Fremde, setzte den schweren Helm, den er unter dem Arm mit herausgebracht und neben sich hingelegt hatte, auf den Kopf, und sprach: »Es ist sehr gut, daß wir einander hier treffen, denn ich bin Ritter Heerdegen von Lichtenried, Berthas Bruder, der nach langem Umherstreifen sein herangeblühtes Schwesterlein zu besuchen fuhr, und nun eben recht kommt, sie an einem so eingebildeten und törichten Schwätzer zu rächen, als Ihr seid.« – Der Schluß dieser Rede erstickte in Ottos Herzen jeglichen Gedanken an Sühne, wie geneigt er auch anfangs dazu gewesen sein mochte, und rasselnd fuhr er in die Höhe nach Schwert und Helm. Weil nun, indessen dieser seine Wehr zurechtschnallte, der Italiener einige begütigende Worte zu sprechen versuchte, entgegnete Heerdegen: »Gebt Euch keine Mühe. Hat der junge silberhelle Fant dorten wahr gesprochen, so bedarf es der Rache, hat er kindisch gelogen, so ist die Züchtigung an der Reihe.« – Otto stand bereits am Eingange der Laube, und winkte nach einem dichten Gebüsche hinab, welches sich in einiger Entfernung an den Ufern des Stromes dahinzog. Tönend schloß Heerdegen seinen Helm, und schritt an der Seite seines Gegners hinaus, während Tebaldo, – es schien mit großer Lustigkeit, – bald neben, bald vor den beiden Eisenmännern herwandelte.

»Verzeiht es mir, edle Herren«, sagte er unterweges, »daß ihr mich bei euerm ernsthaften Geschäfte so voll Vergnügen seht. Ich habe mir mein Lebtag nichts Besseres und Erquicklicheres wünschen können, als ein Gefecht zwischen zwei schwergewaffneten Rittern auf Leben und Tod mitanzusehn. Ja, ich wäre der ernsten Belustigung mit meiner eignen Gefahr gern selbsten in den Weg getreten; aber so hab ich höchstens einmal mit losem, leichtbewehrtem Räubergesindel zu tun finden können. Und wenn die Leute zum Scherze miteinander fechten, sind es die albernsten und höflichsten Possen zugleich, die ich mir irgend vorstellen kann. Preis denn und Segen meinem guten Glücke, weil es mir heute zu einer so furchtbar herrlichen Augenweide verhilft, denn ich weiß gewißlich, ihr werdet einander wie Helden treffen.«

Wo die Gebüsche sich mit den verschlungensten und finstersten Zweigen umfaßt hielten, tat sich den zürnenden Rittern ein freier Rasenplatz in der grünen Umhegung auf. Ohne weitre Abrede blieben sie beide zugleich stehen, hatten beide zugleich die Schwerter blank, und fielen einander mit ungeheuerm Ingrimm an; Tebaldo lehnte unfern von ihnen an dem Stamm einer hohen Linde. Schwirrend zischten die Schwertklingen durch die Luft, kein Hieb flach, aber jeglicher aufgefangen von den hallenden Schilden, aber doch rückprallend von der Helme gefiedertem Kamm, und so den frischen Rasen, statt mit Blut, mit buntem Federgestieb übersäend. Dazu schrie Ritter Heerdegen immer aus seinem rostigen Eisenkorb hervor mit zorndumpfer Stimme: »Bertha! Bertha!« und es war, als wanke Otto vor dem furchtbaren Rufe zurück, so wenig es auch der Stahl in Feindeshand vermochte, ihn zum Weichen zu bringen. Lichtenrieds Hiebe wurden häufiger und schmetternder, der junge Trautwangen fing an, bloße Schirmschläge zu tun, ohne mehr, schien es, auf Angriff zu sinnen; der halbe Schild flog ihm zerhauen von der Hand. Da brach er plötzlich los, wie ein verwundeter Leue; es war, als sei ihm ein Blitz entflammend in die Seele gefahren, und des Blitzes Farbe und Gestaltung ward kund, indem der junge Fechter, ungestüm seinen zerhauenen Schild auf den Rücken schleudernd, und das Schwert zu beiden Handen fassend, laut ausrief: »Gabriele! Gabriele!« wie mit Silberstimme aus dem Silberhelm hervor. Hell klangen zugleich seine gewaltigen Hiebe auf des Gegners Helm und Harnisch und Schild; plötzlich sprühte es wie ein roter Springborn aus Heerdegens Visier hervor, und sobald nur der junge Trautwangen sein Schwert zurückhielt, wegen des blutigen Regenstromes, sank auch Lichtenried, von keiner Anstrengung mehr gehalten, taumelnd und mit den Waffen zusammenrasselnd in das hohe Gras.

Tebaldo und Otto knieten neben dem Ohnmächtigen. Der Helm, vom grimmen Hiebe schon fast zertrümmert, war bald gelöst, und wie eine Purpurdecke lag das wallende Blut über Heerdegens Antlitz. So wie nun Otto, nach Ritterweise in der Heilkunst geübt, den furchtbaren Strom auf das schmerzloseste gehemmt und abgewaschen hatte, erkannte man, wie die Wunde links auf der Stirn beginne und sich von da zwischen den Augenbraunen durch auf die rechte Wange tief herunterziehe. Der Verband lag alsbald recht fest und gut, aber auch der Ritter lag in seiner Ohnmacht fest und still, ohne Regung, wie ein Toter. So von der Blässe gebleicht, von der Abspannung und leiser Milde übergossen, trat die Ähnlichkeit mit Bertha unverkennbar aus diesen Zügen hervor. Otto neigte sich über den Gefällten, und vergoß bittre Tränen. Ihm kam eine alte Geschichte zurück, die er und Bertha vor langer Zeit aus dem Munde des greisen Herrn Hugh vernommen hatten, von einem Ritter, der unbewußt seine Liebste in feindlicher Rüstung erschlug, und nun kam es ihm vor, als habe er jetzt die arme Bertha vollends erschlagen. »Ja, vollends erschlagen«, sagte er laut zu sich selbst, »das ist das rechte Wort. Denn den ersten Todesstoß gab ich ihr schon mit meinem leichtsinnigen Abschied, und mit dem Bruder mach' ich sie gänzlich tot.«

Der junge Kaufherr erinnerte ihn, daß es an der Zeit sei, den Wunden nach der Herberge zurückzuschaffen; der Abend dunkle, und Rasten im Bett und unter Dach sei vor allen Dingen not. – Da luden die beiden Jünglinge ihren kaum noch so lustigen Zechgesellen bleich und starr auf die Schultern, und zwar so, daß Tebaldo dessen Haupt zu unterstützen bekam: »Denn«, sagte Otto traurig, »falls er unterweges erwachen sollte, würde er Euer Gesicht doch immer viel lieber so nahe an dem seinigen sehen, als meines. Zudem könnte ich mir einbilden, es wäre die tote Bertha, und ließe ihn im schreckhaften Wahnsinn fallen.«

In der Herberge kam Lichtenried wieder zu sich. Zwei Reisige, die ihm dienstfertig waren, traten zu seiner Pflege herbei, und als der Kranke merkte, daß sich Otto anschickte, noch länger hier zu verweilen, wohl gar bis zu seiner Wiederherstellung, sagte er: »Herr von Trautwangen, wenn Ihr mir irgend etwas zugute tun wollt, so reitet noch heute abend, noch diese Stunde von hier fort. Denn Euer Anblick ist mir so zuwider worden, daß ich ohne Zweifel daran sterben muß, falls Ihr mich zwingt, diese üble Arzenei noch länger zu gebrauchen.«

Da setzte sich Otto traurig zu Pferd, und ritt den eben heraufdämmernden Sternen entgegen, auf die lange duftige Landstraße hinaus, Tebaldo ihm zur Seiten.

Zwei ungleiche Reiter waren es, welche unter dem nächtlichen Frühlingshimmel mitsammen dahin trabten; Otto schien allein das ganze Dunkel der Stunde in seine Seele aufgenommen zu haben, Tebaldo hingegen den Duft und die heitre Stille und das blitzende Leuchten des Gestirns. Dieser versuchte, einen Teil der fröhlichen Gabe in seines Gefährten Busen auszuschütten, und da es ihm mißlang, sang er allerhand Liebeslieder in seiner anmutigen Muttersprache durch das kühlige Nachtblau hin. Davon fühlte sich auch Otto nicht gestört. Eben weil er die Worte wenig oder gar nicht verstand, war es ihm, als flattre von den vielen Nachtigallen, welche rings umher aus Anger und Gebüschen die Reisenden anflöteten, eine fortsingend immer neben ihm her, und ihm ward wohl dabei, denn er konnte sich die zierlichen Töne ungehindert in den Sinn übersetzen, welcher seinem Herzen am behaglichsten klang.

So kamen sie endlich über eine grasige Anhöhe hinüber, und die große freie Reichsstadt Frankfurt leuchtete mit unzähligen Lichtern von beiden Mainufern herauf. Otto hielt überrascht seinen Gaul an. Eine solche Menge von hellen Fenstern hatte der Rittersohn, auf einsamer Burg erwachsen, noch niemalen beieinander erblickt, und jemehr sich die Häuser in die Finsternis zurückzogen, jemehr kam es ihm vor, als sehe er eine der kunstreichsten und festlichsten Erleuchtungen, welche es nur je auf Erden gegeben habe. Tebaldo weidete sich eine Zeitlang an dem Erstaunen seines edlen Genossen; dann sagte er: »Ja, Herr, dies ist die weltberühmte Stadt Frankfurt, und wenn es Euch gefällt, mit mir hineinzureiten, und mein Haus dadurch zu ehren, daß Ihr Euch als meinen Gast erzeigt, sollt Ihr wohl noch wundervollere und ergötzlichere Dinge zu sehn bekommen.«

Sie ritten darauf an zierlichen Gärten und Gartenhäusern diesseits der Tore vorbei. Meist war in den Gebäuden vieles Licht; und Saitenklang und Singen und das Getön zusammengestoßner Becher hallte daraus hervor; auch funkelte es durch zierliche Gitter aus manchen Bogengängen und hohen Lauben von goldnem Kerzenschein zwischen grünen Blättern, und noch anmutiger ließ sich von da herüber das Jubeln fröhlicher Gesellschaften vernehmen. Otto meinte, er seie schon lange in der Stadt. Da taten sich erst vor Tebaldos Ruf die ungeheuern Torflügel langsam voneinander, und man ritt durch das widerhallende, gebogne Torgewölb wie in eine Burg hinein, welches auch Otto zu Anfang glaubte, bis er jenseits in die lange erleuchtete Gasse hineinsah, und nun erst begriff, daß die Stadt selbsten eine riesengroße Burg ausmache, deren Bürger doch wohl mit ihrem Stolz, welchen er bisweilen von Herrn Hugh hatte schelten hören, nicht so gänzlich unrecht haben mochten.

Ottos Streithengst scheute soeben vor einigen blendenden Lichtstreifen, welche die hellen Fenster eines prächtigen Gebäudes aus zweien großen Erkern auf die Gasse herabwerfen, da sagte Tebaldo: »Wir sind zur Stelle, edler Gast.« – Und aus dem erleuchteten Hausflur hervor eilten viele glänzende Diener, ihrem Herrn, und auf dessen Wink, dem Ritter sein Roß abzunehmen. Otto sprang adeligen Schwunges leicht aus dem Sattel, und als die Dienerschaft nach den Zügeln seines Pferdes griff, sagte er: »Das geht nicht so leicht, ihr Herren. Den muß ich selbsten in den Stall führen, und absatteln und abstangen und anhalftern, auch ihm Futter vorwerfen, denn von andern Menschen leidet er's nicht.« Des Hengstes loderndes Auge, sein hauender Vorderhuf gab Zeugnis dessen, so sein Herr gesprochen, und man leuchtete dem Ritter nach einem prächtigen Stallgebäude vor, worin viel edle Rosse an schön verzierten Krippen standen. Aber sie fuhren alle scheu zusammen, als Ottos lichtbrauner Hengst an der Hand seines ehrnen Herrn durch die hohen Gewölbe wiehernd und stampfend hinschritt, und nur des Ritters ernster Zuruf ihn hinderte, irgendwo seine Kräfte im Kampf gegen einen der furchtsam schnaubenden Genossen zu versuchen. Die Dienerschaft sahe sich nach Halfterketten um, den hitzigen Gast damit anzulegen, aber Otto sagte. »Das hülfe nichts, liebe Herren. Er sprengt so was leicht. Wenn ich's hingegen ihm sage, bleibt er still.« – »Ruhig, Bursch!« rief er; und der Hengst stand wie ein Lamm, und schnoberte friedlich in dem Hafer, den ihm der Herr vorschüttete. Darauf ging Otto mit Tebaldo, welcher seines ritterlichen Besuches am Eingange geharrt hatte, hinauf in den Saal.

Oben war es zwischen den kerzenhellen Wänden bunt und vielfarbig, und von mannigfacher Pracht erfüllt, denn es wogte eine große Menschenmenge unter den feierlichen Bogen umher, und im Hintergrunde sah es aus, wie eine erhöhte Bühne, auf welcher noch buntere, wunderlichere und glänzender ausgeschmückte Gestalten ihr Spiel trieben. Man konnte alsbald bemerken, daß Tebaldo des Festes König war, denn die minder Geehrten der Gesellschaft wichen ihm mit ehrerbietigen Bücklingen aus, die Vornehmsten, sowohl Frauen als Männer, und unter diesen viele mit güldnen Ratsherrenketten, drängten sich begrüßend um ihn her, und nahmen seine Entschuldigungen, daß er, der Wirt, so spät gekommen sei, als Gunstbezeugungen auf. Das Spiel auf der Bühne im Hintergrunde der Halle schwieg, und schien den Wink des gebietenden Herrn wegen Fortdauer oder Aufhören demütig zu erwarten, bis Tebaldo, nachdem er sich mit seinem Gast auf einer Bank, mit Purpurkissen belegt, ganz vorne niedergelassen hatte, durch ein Kopfnicken ganz freundlich für das Fortspielen entschied.

Nun sahe man, daß in der Mitte des Schauplatzes ein reichgeschmückter, prächtiger Mann auf einem erhöhten Lehnsessel saß, mit vielen Goldsäckeln in der Hand, und auf seiner Brust mit goldnen Lettern den Namen Plutus tragend, wie bei den alten römischen Helden der Gott des Reichtums geheißen war. Diesem näherten sich von allen Seiten vielfach verschiedne Gestalten, als da sind: Priester, Hofleute, Gelehrte, Sänger, Pilger, Richter und so weiter, und baten mit den demütigsten Gebärden um seinen Schutz. Dann warf ihnen Plutus nach Belieben wenig oder viel von den Goldsäcken zu, und sie empfahlen sich, wie sie gekommen waren, jedes mit einem deutsamen gereimten Sprüchlein im Munde. Endlich kam auch ein geharnischter Kriegsmann, der beugte sich gar dienstfertig vor Herrn Plutus und sprach:

»Für Beulen Silber, Gold für Blut!

Herr, gib dein Gut, so schlag' ich gut!«

Herr Plutus wollte eben eine sinnreiche Antwort geben, da fuhr Herr Ott' von Trautwangen zürnend in die Höhe, schlug ans Schwert und rief aus: »Der Bursch dort schändet seinen Harnisch, und ich will's ihm auf seinen Kopf beweisen, falls er das Herz hat, mir zu stehn!«

Halb lächelnd, halb erschreckt blickte die Gesellschaft auf den jungen Zornigen hin, während Tebaldo mit großem Ingrimm die Gaukler auseinander jagte, ihnen die Niedrigkeit ihrer schändlichen Gesinnungen vorwarf, und den Bestürzten auf immer den Eintritt in sein Haus untersagte. Dann kehrte er wieder schamrot zu Otto zurück, und bat ihn mit den erlesensten und zierlichsten Worten, er sollte es nicht auf ihn schieben, daß jenes Pöbelgezücht den reichen Kaufmannsstand durch eine so empörende Vergleichung mit den Waffen zu ehren sich eingebildet habe. Vor diesen Reden ward Otto mild und froh, und entschuldigte sich, daß er seinerseits so ungebührlich aufgefahren sei, worauf man denn insgesamt mit großer Heiterkeit zu einem Mahle ging, welches in einem andern Saale mit fürstlicher Pracht zubereitet war.

Aber wie glänzend auch die Lichter funkelten, wie würzig die Speisen dufteten, wie feurig erlabend die Becher kreisten, – Otto konnte sich des Erinnerns an jene zwei häßlichen Reime nicht entschlagen. Keinesweges zwar, als hätte er einen Unwillen gegen seinen edlen Wirt empfunden, oder gegen die Gesellschaft, aber er mußte sich immer sagen, er werde hier für das Blut, welches er dem edlen Heerdegen von Lichtenried aus der Stirn gehauen habe, so prächtig bewirtet, und empfange doch ohne Zweifel Gold für Blut, denn ob es nun Weingold sei, oder Metallgold, das gelte ja im Grunde einerlei. Zudem schwirrte ein ewiges Reden von Geld und Gut, von Gewinn und Verlust durch die Versammlung hin; ja, als Tebaldo mit edlem Unwillen, schien es, das Gespräch auf den Kreuzzug zu bringen suchte, welchen König Richard Löwenherz bald beginnen werde, ging wieder nur eine Berechnung los, ob die Genueser mehr dabei gewinnen würden, oder die Venetianer. Da ward es in Ottos Gemüt, als sprudle der rote Wein aus christlichen Ritteradern in die Becher, und als trinke man ihn hier mit Lust, zur wohlschmeckenden Arzenei. Ja, ihm selbst, – so glaubte er, – schenke Heerdegen immer die Goldpokale voll, und sage ihm aus seinem zerhauenen Eisenkorbe dumpf ins Ohr: »Hast dir den Weinkeller aus meiner tiefen Wunde geöffnet, hast dir dein schwellendes Lager hier bereitet, indem du mich auf mein Schmerzenslager gebettet hast; mag sein, daß es noch gar ein Totenlager wird.« Da konnte es Otto nicht länger aushalten; es drehte sich alles wie im halben Wahnsinn um ihn her. Und so sprang er auf und bat Tebaldo leise, ihn ziehn zu lassen, er müsse in einer Herberge übernachten, den Grund wolle er ihm morgen sagen. – »Ich brauche ihn nicht zu hören«, antwortete Tebaldo sehr betrübt, »denn ich weiß ihn schon. Aber kommt nur morgen um Gottes willen wieder, sonst muß ich denken, ihr verachtet auch mich.« – »So wahr der Herr lebt, ich komme morgen, und habe Euch sehr lieb!« sagte Otto. – Damit küßten sie einander, und Otto führte, von einem Diener Tebaldos geleitet, seinen scheuenden, vom Schlaf aufgestörten Hengst durch die dunkeln Straßen in eine nahe Herberge hinein.

Der Morgen sah schon hell in die Fenster, da brach das Geräusch der Wagen und Fuhrleute und Ausrufer gewaltsam durch Ottos verworrne Träume; erwacht, fuhr er schnell in die Kleider und an die Scheiben, denn er meinte, es gehe draußen etwas Außerordentliches vor. Aber bald ward er inne, daß dieses bunte Gewirr, welches ihm so ungewöhnlich vorkam, hier eben die rechte Alltäglichkeit ausmache, worüber sich niemand verwundere; vielmehr müsse jedermann im Schrecken auffahren, wenn es plötzlich zur Ruhe käm', wie ein Müller vor dem unvermuteten Stocken seiner Mühle. Auch begriff er wohl, daß so viele große Häuser, – die mehrsten an Größe dem weitgesehenen Burgsitze seines Vaters vergleichbar, – mit einer ungeheuern Menge von Menschen, mit sehr vielem Zank und Frieden, und Zorn und Liebesgruß in den Herzen und auf den Lippen zusammenhängen müßten. War ja dessen in der einsamen Veste Trautwangen seit ihrer Erbauung so vieles umgegangen, und ging gewißlich noch mit diesem Augenblicke drinnen um! Hier in der Stadt mochten wohl viele Berthas weinen, und viele Walthers singen, und viele alte Herrn Hughs nach ihren fernen Söhnen fragen! –

In solchen Gedanken ward der junge Rittersmann durch einen Diener Tebaldos unterbrochen, welcher ihm, von dem Kaufherrn dazu angestellt, alle sein reisiges Gezeug wohl geputzt und sonnenblank ins Zimmer trug, auch sich erbot, ihn zu wappnen; er verstehe sich darauf. Indem sich nun Otto wohlgefällig nach dem hellen Gewaffen umsah, sprach der Diener: »Ihr müßt verzeihen, edler Herr, daß auf dem Küris, grade über der Herzgrube, ein kleiner Flecken sitzen geblieben ist. Er mag von erst jüngst darauf gesprühtem Blute sein, zum wenigsten kommt es mir so vor, aber weil man ihn in den ersten Stunden vernachlässigt hat, ist Rost daraus geworden, der sich wohl nicht verlieren wird, solange die prächtige Rüstung selbsten besteht. Aber fürwahr, edler Ritter, es ist nicht meine Schuld.« – »Nein, Gutfreund, es ist nicht deine Schuld«, wiederholte Otto langsam und traurig, und starren Blickes auf den Küris schauend, denn er erkannte wohl Heerdegen von Lichtenrieds Blut, das gegen ihn aufgesprüht sein mußte, als er sich beim Verbande über ihn hingebeugt hatte. Nun kam ihm die ganze Rüstung unheimlich vor, er hatte gar keine Lust, sie überhaupt wieder anzulegen, und schickte den Diener mit einem Gruße an Tebaldo fort. Er habe schon einen, der ihn wappne, und wolle in kurzem nachkommen, sagte er. Aber es war an kein Wappnen zu denken. Als er allein war, ging er erhitzt in der Stube auf und ab, wie ein edelscheues Roß an dem Harnisch vorbei, und wenn er ihm ja einmal nahe kam, geschah es, um mit allen Künsten, deren er sich aus den Lehren der alten Knappen und Reisigen seines Vaters entsinnen konnte, an dem Blutflecken zu reiben und zu putzen, sich immermehr dadurch überzeugend, wie ganz vergeblich sein Bestreben sei. »Es geht nicht aus!« seufzte er dann, und schritt noch unwilliger und herzbetrübter umher.

Da vernahm er endlich im Nebengemach ein lautes Sprechen, ein Schelten und Verwünschen, das schnell durch seine Sinne drang, weil von Waffenstücken die Rede war, so dem Eigner mißhagten, und sich nicht recht wollten anlegen lassen. Im Wunsche, den wirren Gedanken seines Hauptes, den schmerzhaften Schlägen seines Herzens zu entfliehen, riß Otto ungestüm die Tür auf, ein halb geharnischter Ritter trat ihm eben so ungestüm entgegen, und fragte, was er wolle? Aber beide blieben einander in Verwunderung gegenüber stehn, weil Otto alsbald sah, daß er den ehemaligen Gegner Folkos von Montfaucon, den Grafen Archimbald von Walbeck, vor sich hatte, und auch dieser den Jüngling, den Zeugen seines Kampfes und seines Unfalls, zu erkennen schien. Man verständigte sich bald, und Archimbald sagte: »Ich bin nicht eitel genug, Euch zu wünschen, daß Ihr mir im Fallen vor den Waffen des fränkischen Freiherrn Gesellschaft leisten möchtet. Vielmehr sähe ich es von Herzen gern, wenn Ihr der schönen Gabriele ihren Ring wiedererkämpftet, und ob auch, die Wahrheit zu sagen, nicht viel Wahrscheinlichkeit dazu vorhanden ist, so weiß doch niemand, was ihm bevorsteht, im Übeln sowohl, als im Guten; Glück also auf die Fahrt! Es kann sich alles nach Euern Hoffnungen fügen. Für jetzt aber gebt acht, wie widerwärtig es mir ergeht. Im Grimm über jenen unglücklichen Abend hatte ich es verschworen, meine schwarz und silberne Adlerrüstung je wieder zu tragen, und überhaupt gelobt, so lange ohne Harnisch zu gehn, bis ich mich in einen kleiden möchte, den ich einem Ritter, selbst ungepanzert, abgewonnen hätte. Das ist mir nun endlich gelungen; aber seht einmal, was mein Widersacher für verfluchte Binsenstengel zu Gliedern gehabt hat! Ich kann nicht in Arm-, nicht in Beinschiene hinein, die kleinen Panzerhandschühlein hab' ich schon aus Ärger durch die Scheiben geschmissen, und auch Brust- und Rückenharnisch will nirgends zusammenschließen.« – Wirklich sprangen in demselben Augenblick vor des Ritters unwilligen Bewegungen wieder einige Schnallen der halb angelegten Rüstung, und wie zwei Knappen herzutreten wollten, den Schaden zu bessern, wies sie Archimbald unwillig zurück, sprechend: »Es wird ja doch nichts draus. Gebt euch keine Mühe. Und das schlechte Gezeug mir vom Leibe zu schaffen, bin ich allein Mannes genug.« – Damit riß er Schnallen und Riemen vollends voneinander, und warf die Waffen so gewaltig auf den Boden, daß Nägel und Hefte klingend heraussprangen. Wehmütig schaute er zugleich nach seinen schwarzsilbernen Waffen hin, die im Winkel lagen, und von Otto leichtlich an dem wunderlichen Adlerhelme wieder erkannt wurden, und sagte: »Als ich Euch führte, da war ich noch ein Kerl! Nun find' ich am Ende nimmermehr ein Gezeug wieder, das recht zu meinen Gliedern paßt.«

Otto mußte dabei an die Scheu gedenken, mit welcher er noch vor kurzem seine Silberrüstung betrachtet hatte, und sagte zu Archimbald: »Herr Graf, wir finden uns wohl zur guten Stunde, und können einander leichtlich aus der Not helfen. Wenn Ihr es verschworen habt, Euern Harnisch wieder zu tragen, hab' ich da drinnen einen liegen, den ich nicht wieder tragen mag, aus Gründen, die ich Euch ebensowenig erzählen mag; aber es sind auf Ehre keine, die dem Gewaffen Schande machen.« – »Ihr seht mir auch nicht darnach aus, junger Degen«, entgegnete Archimbald mit freundlichem Lächeln. – »Nun gut denn«, rief Otto, »so laßt uns tauschen.« – »Topp«, sprach Archimbald. »Ich denke, unsre Harnische passen uns einander, denn wir sind alle zwei von altem, hochdeutschem Heldenwuchs.« – Da war die Silberrüstung bald herbeigeschafft. Jedem der beiden Ritter half einer von Archimbalds Knappen, und bald standen sie verwandelt einander gegenüber; aus dem milden Leuchten des Silberhelmes Archimbalds trotzendes Antlitz, und dem dräuenden Adlervisier Ottos blühende, fast jungfräuliche Züge hervorblickend. Dann schritten sie nach entgegengesetzten Richtungen das Gemach starktönend auf und ab, zu prüfen, wie ihnen die neuen Sturmgewande behagten, und beide damit zufrieden, schüttelten sie sich die beerzten Hände, und ließen den Tausch gelten; wobei sich Archimbald recht von Herzen freute, daß nun doch die Adlerrüstung dem zierlichen Folko von Montfaucon noch einmal warm machen werde. »Denn«, sagte er, »warm macht Ihr ihm auf allen Fall, Herr von Trautwangen; dafür bürgt mir Euer Händedruck, und Euer ganzes kriegerisch adliges Wesen.« – So schieden sie nun als sehr gute Freunde: Archimbald, um seine Rosse zur Abfahrt zu rüsten; Otto, um den jungen Kaufherrn mit dem versprochenen Besuche zu erfreuen.

In seinem großen, reich angefüllten Handelsgewölbe stand der reiche Tebaldo, viele Schreiber und Diener um sich her, und noch außerdem eine Anzahl von Boten und Käufern, wobei es seltsam anzusehn war, wie er teils dem ganzen Treiben, abfertigend und durch Winke verteilend, als ein gewaltiger Fürst vorstand, teils aber auch nirgends wo es Not tat, Hand anzulegen verschmähte, ja bisweilen selbst die Elle zum Abmessen köstlicher Stücke Tuch erfaßte. Eben war er in diesem Geschäfte begriffen, da ward er plötzlich Ottos gewahr, ohne ihn zwar zu erkennen, denn obgleich der junge Rittersmann schon eine ganze Zeitlang am Eingange zugesehn hatte, nahm er sich doch in der silberschwarzen Adlerrüstung ganz verwandelt aus, und hatte noch obenein den Helmsturz heruntergelassen. Aber Tebaldo schoß demungeachtet liebevoll auf ihn zu, wie es das Eisen auf den Magnetstein zu tun pflegt, weil alles ritterliche Gewaffen ein Magnetstein für das Eisen in des jungen Kaufherrn Gemüte war, und fragte: »Steht Euch irgend was zu Dienste, mein kriegrisch hoher Degen? Ihr sollt vor allen andern bedient werden.« – Da schlug Herr Ott' von Trautwangen das Visier in die Höhe, und Tebaldo rief, einen Schritt im halben Schrecken zurücktretend: »O Gott, wie seid Ihr so viel herrlicher noch, als Ihr gestern wart! Und muß ich nun eben jetzt vor Euch stehn, mit der Elle in der Hand?« – Dabei schlug er das zierliche Kaufmannsgerät gegen einen Pfeiler, daß es in viele Stücke zersprang. Dieweil es nun aus Elfenbein und Gold zusammengesetzt war, meinten alle Diener, das könne nur wider Willen geschehen sein. Die mehrsten liefen herzu, huben die Stücke auf, suchten zusammen, was von der eingelegten Arbeit abgesprungen war, und versicherten ihrem Herrn tröstend und hülfsfertig, man könne das kostbare Werkzeug wohl bald wieder instand setzen. Der aber vernahm von ihren Worten nichts, sondern zog den Rittersmann eilig mit sich die Steigen hinauf.

Angelangt mit seinem Gaste in einem zierlichen, abgelegnen Gemach, faßte Tebaldo desselben beide Hände zusammen, beugte sich mit glühendem Antlitze darüber, und sagte leise: »O um Gott, edler Herr von Trautwangen, wollet es mir nicht abschlagen, daß ich als Euer Knapp', oder Reitersmann, oder als was Ihr sonsten mögt, nur auf alle Weise bewaffnet und streitfertig mit Euch in die Welt hinausziehen darf!« – Otto sah ihn ganz verwundert an, und führte ihm freundlich sein Warenlager zu Gemüt, und sein glänzendes Haus, und wie ihn die Sterne auf einen ganz andern Pfad gewiesen hätten, als er jetzt eben einzuschlagen denke. – »Sagt das nicht«, entgegnete der junge Kaufmann heftig, »ich bin ein Milaneser von Geburt, und es haben wohl schon deutsche Schilde, ja selbst kaiserliche Waffen erprobt, daß unsre Bürgerschwerter zu hauen verstehn. Es ist noch so etwas von dem alten Römerwesen in uns, lieber Herr. Ja, auch die Genossen des gestrigen Mahles müßt Ihr nicht gar nach den trocknen Worten ihres Hin- und Hersprechens beurteilen. Ich hatte selbst meinen Ärger daran, sahet Ihr wohl, aber mehr, weil Ihr es mißverstandet, als weil ich es hätte mißverstehen können.« – »Das tat ich eben nicht«, entgegnete Otto, »nur weil so viel von Preis und Ware gesprochen ward, kam es in meinen erhitzten Sinn, als seie Fest und Nachtlager auch bloß Ware, und der Preis sei Heerdegens Blut. Da mußt ich fort. Im übrigen sag' ich Euch das so heraus, weil ich nun klüger worden bin, und wohl weiß, daß Ihr mir den tollen Wahn verzeiht, lieber Tebaldo. Gegen all' die Leute hab' ich nichts.« – »Ihr tätet auch unrecht daran«, antwortete der Kaufherr. »Seht, es kleidet ja Gott die Bäume und Gräser und Blumen all' in verschiednes Gewand, und sind doch all' miteinander zufrieden, und schmücken einmütig den Wald. Und wahrlich, auch jene Leute schmücken den großen Wald der Christenheit recht ehrsam aus. Nicht nur, daß sie erquickenden Schatten ausbreiten über Berg und Tal, sie stehn auch dem Blitze gar standhaft und fest, wenn es die Zeit erheischt. Der ganze Unterschied von ihnen zu Euch ist, daß ihre Worte ein Kaufmanns- oder Schifferröcklein anziehn, die Euern ein blankes Waffenkleid. Aber wer sich drauf verstehet, kennet die trefflichen, eignen Gedanken leicht und vergnüglich aus beiden heraus. Verachtet mir also die Kaufherren nicht, und mich noch viel minder, der ich gar übergehn will von ihnen zu Euch.« – »Lieber Tebaldo«, sagte Otto, »davon laßt doch ab. Ihr seid älter, verständiger auch wohl, als ich. Wie sollt' ich denn Euer Rittersmann und Führer werden, und Euch alles ersetzen in der Welt, was Ihr hier viel Reiches verliert?« – »Nun, wenn ich verständiger bin«, lächelte Tebaldo, »wäre das Überlegen ja meine eigne Sache.« – »Zudem«, sagte Otto, »habe ich Euch sehr lieb, und es sollte mir durchs Herz gehen, dafern Ihr irgend Schaden nähmt; Schaden aber nähmt Ihr gewiß, denn Ihr habt wohl noch kaum viel schneidende Waffen in der Hand gehabt, geschweige daß Ihr sie zu führen wüßtet. – Tebaldo sah ihm mit einem scharfen Lächeln, wie gutmütig spottend, in die Augen, dann drehte er sich, und stieß eine nahe Tür auf, durch welche eine Kammer voll auserlesener Panzerhemden, Pickelhauben, Armbrüste, Tartschen und Streitäxte sichtbar ward. – »Es ist nur Gewaffen von Reisigen, nicht von Rittern«, sagte Tebaldo, »aber gut zu führen weiß ich's.« – Damit nahm er eine schöne Armbrust von der Wand, spannte sie sehr kräftig, legte den Bolzen auf, und zeigte durch das geöffnete Fenster in seinen Garten. »Dem Astloche des alten Eichbaumes dorten gilt es«, sagte er, und nach kaum augenblicklichem Zielen schwirrte die Sehne, und flog der Bolzen in das ferne Ziel hinein, daß nur die bunten Federn, noch von der Gewalt des Schusses zitternd, daraus hervorsahen. Schnell hatte darauf Tebaldo eine Streitaxt zur Hand, und traf ein gutes Panzerhemd so tüchtigen Schwunges, daß die Ringe klirrend und gesprengt auf den Boden niederrasselten. »Wollt Ihr mich mitnehmen?« fragte er darauf mit freundlicher Zuversicht den jungen Ritter. – »Ei von Herzen gern«, sagte der: »ich seh', Ihr seid in Waffen frisch und mit der Zunge freudig. Wo gäb's wohl einen bessern Reisegesellen auf aller Welt? Aber Tebaldo, mein herzlieber Tebaldo, mit den goldnen Sporen wird es ja dennoch nichts, dieweil Ihr nicht ebenbürtig seid. Und wenn Ihr nun nie zum Rittersmann erwachsen mögt, was wollt Ihr dann unnötig mein Knappe sein?« – »So laßt mich nur immer für Euern Reisigen gelten«, sagte Tebaldo etwas finster. »Es ist nicht so, wie Ihr meint. Junkherrn reiten nach goldnen Sporen, Bürgerjünglinge reiten nach Siegs- und Bürgerkränzen aus. Wenn ich mit Euch des Kriegs Erfahrenheiten gesammelt habe, und Mailands Heerbanner mir folgt zu Lust und Gewinn über alle italischen Fürsten und Herzoge hinaus, da läßt sich's der goldnen Sporen schon vergessen.« – »Ich habe Euch nicht beleidigen wollen«, sagte Otto mit einiger Befremdung, und gleich war die finstre Glut in Tebaldos Augen wieder verweht, und ein ganzer Maienhimmel von Scherz und Freundlichkeit lächelte daraus hervor. Nun geleitete er seinen ritterlichen Freund zu einem kostbaren Frühmahle hinab, und überhaupt verging der Tag in Schmaus und Festlichkeit, wobei mitunter der Kaufherr zu wichtigen Geschäften abgerufen ward, und sie mit großem Eifer zu betreiben schien, so daß Otto schon fast zu glauben anfing, es seie mit dem Hinausziehen als Reisiger nur ein lustig keckes Redespiel gewesen. Nur am Abend, als Tebaldo den Ritter in ein köstliches Schlafgemach führte, – diesmal bei ihm zu übernachten, hatte er ihm gleich am Morgen versprechen müssen, – sagte er ihm ins Ohr: »Morgen, ehe die Sonne aufgeht, Herr von Trautwangen! Einen Anwalt meines Vermögens hab' ich schon bestellt.« –

Und als Otto in der frühen Dämmerung bei seinem Hengste war, und ihn sattelte und aufstangte, ging ihm ein schmuckes Reisiger flink zur Hand, den er erst draußen, da er sich auf einen goldgelben Polacken schwang, für Tebaldo erkannte. Sie gaben sich beide, vertraulich lachend, die Hand, und trabten miteinander lustig zu den Toren hinaus, während die Sonne frisch und fröhlich, wie die Jugend der beiden Reisenden, über die grüne Erde hervorzuleuchten begann.

Während nun Otto und sein Gefährt immer weiter in die fremde Welt hinein ritten, die Grenzen des deutschen Vaterlandes bereits überflogen hatten, mit den Leuten in französischer Mundart verkehrend, und manches lustige, manches ernsthafte Abenteuer im bunten Wechsel erlebten, sah es auf der alten Burg Trautwangen am Donaustrand gar anders aus. Es war außer Herrn Hugh und Bertha noch ein dritter Inwohner dazu gekommen; aber der machte eben das Leben dorten noch viel trauriger, denn er war Herr Heerdegen von Lichtenried, der sich trotz seiner schweren Wunde geeilt hatte, zu der Schwester zu gelangen, und dessen Leib nun von der zu großen Anspannung in desto tiefere und fieberhaftere Erschöpfung gefallen war. Unweit von der alten Waffenhalle, drinnen Herr Hugh zu hausen pflegte, lag Ritter Heerdegen, damit Bertha nach ihm sehen könne, ohne doch den greisen Ohm gänzlich aus der Acht zu lassen. Herr Hugh und Bertha bedurften es gleichermaßen, sich aneinander zu trösten, denn Heerdegen hatte in seiner trüben Fieberglut alles herausgesagt, von wessen Faust er die Wunde trage, und auch warum. Darüber weinte nun Bertha oftmals recht helle Tränen auf die verschämte Wange, daß es fast anzusehen war, wie ein Mairegenguß im Morgenrot. Herr Hugh dagegen schaute sehr finster vor sich hin, und zog daraus, daß seines Sohnes erster Kampf ein so unheilbringender gewesen sei, allerhand trübe Folgerungen, die er jedoch meistens mit einem heitern, gottvertrauenden Lächeln zu unterbrechen pflegte, wie sie denn überhaupt mehr auf seinen Gesichtszügen lagen, als daß sie sich über seine Zunge herausgemacht hätten. Ein Trostsprüchlein Meister Walthers aber sagte er, wenn das Lächeln aufzog, gewöhnlich ganz laut:

»Man geht aus Nacht in Sonne,

Man geht aus Graus in Wonne,

Aus Tod in Leben ein.«

Es war dasselbe, welches Otto vormalen in der Kapelle gebetet hatte.

Zu dem Kranken durfte Herr Hugh gar nicht, denn in den Lichtern der Fieberhitze schien er sich vor dessen Augen zu verjüngen, und sich in den Sohn zu verwandeln, indem ihn Heerdegen beständig mit harten Worten ansprach, und schalt, und ihm gebot, sich hinauszumachen, sonst werde er ihm noch die ganze glühende Stirnwunde mit all ihrem lodernden Brand an den Kopf werfen. Wirklich faßte er alsdann ingrimmig nach seinem Verbande, und der alte Herr Hugh ging schwer seufzend und kopfschüttelnd nach der einsamen Halle zurück, durch deren große eichne Tür die beiden holden Kinder, Bertha und Otto, nun nicht mehr hereintreten konnten.

Wenn aber an des Wunden Lager die holde Schwester ganz alleine saß, und nur eine milde Lampe fernher aus dem Winkel des Gemaches brannte, ward er still und friedlich, erzählte ihr auch wohl ein Geschichtchen. So unter andern einmal das folgende:

»Hoch an den Ufern des Meeres liegt ein Land, welches Ostfriesland geheißen ist. Da gibt es einen unaustilgbaren Streit zwischen Häuptlingen und zwischen Untersassen, denn jene wollen alles durch ihren Willen allein ausrichten, diese vermeinen nicht minder, Bestallung zu haben, daß sie es nach ihren eignen besten Einsichten verordnen könnten. Drum tost es auf und ab im Lande von häßlichen Streitwiderwärtigkeiten, wie es ja auch mir, du holde Schwester, im Kopfe tost. Aber dann gibt es auch einen stillen, mondlichen Lampenschein, wie soeben, wenn du an dem Hauptende meines Lagers sitzest, und ich wie in einer Wiege woge, dort Schatten, hier Licht, und wieder hier Licht, dort Schatten. Das kommt aus einer hohen, stillen, dem Monde frei gelegnen, und heilig von seinen Lichtern bestrahlten Felsenburg. Da wohnt eine Abkömmlingin der alten Druden, welche zu gleicher Zeit unsre Muhme ist, unsre wunderbare, von uralter Zeit gewaltige Muhme, liebe Schwester. Sie heißt Frau Minnetrost, und kocht alle Tage viele Kräuter in einem einzigen Kessel zusammen, der aber aus nichts als aus lauterm Golde getrieben ist.

Ich hatte mich eines Abends verirrt, und hielt unversehens vor dem steilen Schloßberge, der weit über das ganze flache Land hinaussieht. Und so müde ich auch war, und so Not mir irgend eine Erquickung tat, war es doch, als lagre sich mir etwas in den Weg, wenn ich die stille, unbekannte Höhe hinaufreiten wollte. Eben weil sie so still war, und mir so gänzlich unbekannt, durfte ich vor mir selber nicht hinan. Indem ich noch so halte, und mit mir zu Rate gehe, trabt etwas schnell und luftig über die tauhelle Wiese. Ein Rittersmann war es, mit einer schlanken Maid im Arm, und die schmiegte sich an ihn, gar scheu und inniglich zu gleicher Zeit. Halb sang sie zu ihm, halb sprach sie zu ihm:

›Sporn, Liebling, sporn dein schnelles Roß!

Nah ist der stillen Drude Schloß!‹

Der Ritter entgegnete:

›Was geht die stille Drud uns an?

Bist nicht mein Weib? Ich nicht dein Mann?‹

Sie mußten aber von ihren Liebesreimen bald ablassen, denn es sprang ein Haufen von Untersassen aus verschiednen kleinen Gebüschen vor, wo sie gelauert hatten, und während ein hochschlanker Jüngling dem Ritter in die Zügel fiel, rufend: Du! Du! Wo willst mit meiner Schwester hin?, stellten sich die andern mit hochgehobnen Hallebarten im Kreise umher. Der Ritter aber hatte im Augenblick sein leuchtendes Schwert aus der Scheide, und sagte: ›So leicht kriegst du sie nicht. Sie will mich, und ich will sie. Was hast du drein zu reden, wenn dein Häuptling deine Schwester will? Siehst du nicht, daß ich der Ritter Edekon bin?‹ – ›In einer halben Viertelstunde seid Ihr seine Leiche‹, rief der Untersaß, ›oder gebt mir meine Schwester zurück.‹ – Da hieb der Ritter nach ihm, und es ward ein wildes Gefecht. Weil ich nun wohl sahe, das Mädchen wolle gern bei dem Rittersmann bleiben, sprengte ich ihm zu Hülfe, und traf die Bauern nicht schlecht. So mannhaft sie auch standen, wären wir doch wohl bald mit ihnen fertig geworden, aber Gott weiß, wie es kam, daß wir alle zugleich, mitten durch unser ingrimmiges Hauen und Stoßen durch, den leisen Ton eines Fensters vernahmen, welches fern oben auf der steilen Höhe in der Burg ward aufgetan, und daß wir innehalten mußten, und emporschauen, was sich dorten begebe. Siehe, da schimmerte eben der Vollmond ganz hell gegen das Fenster, und drinnen stand Frau Minnetrost, ganz lang, ganz weiß, die hielt drohend den Zeigefinger der rechten Hand starr gegen den klaren Sternenhimmel empor. Das ging uns allen durch Mark und Bein; wir blieben lange still und sie auch. Endlich sagte sie: ›Ihr habt groß unrecht allzumal, so viel ihr seid. Einer unter euch ist ein fremder Mann, heißt Heerdegen von Lichtenried; der ist mein Neffe, und soll das Mägdlein säuberlich vor sich setzen auf sein Roß, und mir sie heraufbringen in die Veste. Die andern gehn im Frieden nach Hause, und Bruder und Bräutigam fragen, sobald drei Tage verflossen sind, weiter nach.‹ – Da geschah es alles, wie sie gesagt hatte, so bitterlich das Mägdlein weinte, so ingrimmig der Ritter und der Bräutigam knirschten, so unheimlich mir die Verwandtschaft mit der Schloßbewohnerin erschien. Es war, als könne es gar nicht anders sein. Im tiefen Schweigen schieden die Kampffertigen auseinander, im tiefen Schweigen brachte ich die Entführte in die Burg.

Wie es nun dorten aussahe, mein holdes Schwesterlein, davon weiß ich der Worte nicht viele zu machen, und hülfe das auch wohl nichts, denn vor dem recht Wunderbaren gehen doch von keinem Beschreiben dem Sinne die Tore auf. Aber siehe hier den friedlichen Lampenschimmer an, siehe im Spiegel deine Wehmut tauenden Augen, und dein ganzes liebliches Antlitz und Wesen, und denke, ein Strahl, der zarteste Strahl aus alle dem, war über Frau Minnetrost ergossen und über ihre ganze Burg. Ich durfte nicht hinein, aber unter einem Vorsprung am Tore hieß sie mich warten. ›Es wird Euch leicht werden‹, sagte sie, ›hier halb im Freien auszuharren, denn groß Unwetter gibt es hier nicht. Was etwa fällt von Regen, ist nur ein mild freundliches Sprühen, das die Erde erquickt, und die Halme nicht bricht. – So soll auch noch dein Weinen werden, und noch ein fröhlicher Sonnenaufgang hinterdrein‹ sagte sie, zu dem Mädchen gekehrt, und wirklich hörte die auch fast zu weinen auf, wie sie in das vom Mondenstrahl vergoldete Antlitz der freundlichen Drude schaute. Dann gingen die beiden ins Schloß hinein, und eine liebliche Musika von Flöten und Zithern hub an, aus den Kammern zu erklingen. Ich konnte es recht vernehmen, wie das Mädchen anmutig damit eingeschläfert ward. Darauf kam Frau Minnetrost wieder heraus, und brachte einen großen goldnen Pokal voll Weines mit für mich, und auf silbernen Schüsseln köstliche Speise. Auch satzte sie sich neben mich, und erzählte mir, wie sie mit unsrer seligen Mutter verwandt sei, und wie ein heimliches, doch frommes Wissen seit Menschengedenken ihrem Stamme gehöre, und wie sie nun hier lebe, und denke erkoren zu sein zur Sänftigung des wilden Landes. Die Geschichten waren lang und wunderbar, und dauerten die ganze helle Mondnacht durch. Oft ward mir schauerlich dabei zu Sinn, dann aber auch wieder unendlich süß, als halte unsre liebe Mutter mich im Arm, und erzähle mir schmeichelnde Märchen vor. Gegen Morgendämmerung verließ mich die Drude, und sagte: ›Du wirst wohl hier den Ausgang dieser Dinge gern erwarten wollen, und kannst es auch ohne Gefährde.‹ – Da schlief ich fröhlich ein, wie in sichrer Heimat Schirm.

Gesammelte Werke von Friedrich de la Motte Fouqué

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