Читать книгу Gesammelte Werke von Friedrich de la Motte Fouqué - Friedrich de La Motte Fouque - Страница 69

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An den folgenden Tagen sahe ich bisweilen, wie Frau Minnetrost mit der Entführten lustwandelte auf der Schloßmauer, hinter hohen, weißen Blumen, die Wohlgeruch duftend wie stille Flammen über die Zinnen heraussahen. Oft weinte das Mädchen bitterlich und schrie nach ihrem Liebsten. Dann aber ließ sich die Drude weder auf Tröstungen noch auf Versprechungen ein, sondern schaute nur die Klagende mit ihren hellen Mondscheinaugen freundlich an, oder brach eine weiße Blume, und wehte ihr damit Kühlung zu, oder sang ihr auch wohl ein altes schlichtes Lied. Und das Mädchen ward still, und lächelte bisweilen in wunderbarer Heiterkeit. Eben so machte sie es auch, wenn, jedesmal nach dreien Tagen, Bruder und Liebster erschienen, um nach der Entführten zu forschen, und ungeduldig wurden, oder gar aussahen wie Drohung und Gewalt. Die Drude brauchte nur zu lächeln, und die Worte schwebten ihnen von den Lippen fort, wie ein Seufzer, oder wurden zu freundlichen Bitten, voll Hoffnung und Trost. Nach dreimal drei Tagen waren alle ganz mild geworden und fromm. Da gab ihnen Frau Minnetrost das lächelnde Mädchen zurück, und die Braut ging zwischen dem Liebsten und Bruder zum Altar, und Häuptling und Untersasse blieben traute Schwäger und Freunde ihr Leben lang.

Viel kennt die Gegend von solchen Taten unsrer Muhme, und heißt sie billig Frau Minnetrost; teils weil sie oftmalen kranke Minne tröstet und heilt, teils, weil ihr Trost nur immer der der Minne und Güte ist, niemalen der des Trotzes und der Gewalt.«

So wie nur Ritter Heerdegens Erzählungen an seine Schwester milder wurden und frömmer, – seit der letztern handelten sie fast alle von Frau Minnetrost, – ward es auch sanfter und stiller in seinem Sinn, und endlich auch in seinem Körper, und in dem ganzen Menschen durchaus. Da fing er an, nach Herrn Hugh zu fragen, und wenn der herein kam, sich ehrerbietig und sittig zu bezeigen gegen den alten Mann, und sich zu entschuldigen, falls die Fieberglut ihm irgend Ungeziemliches habe sagen heißen oder tun. Nun saß Herr Hugh vielmalen an seinem Bette, aber es war nicht lange mehr nötig, denn wie Heerdegen erst einmal im Siegen war gegen das Kranksein, ward er es auch bald vollends über die Grenze fort, zog freudig in die Wälder und Ebnen nach dem Waidwerk hinaus, und saß zu Mittag und Abend mit Herrn Hugh bei den vollen Bechern.

Dagegen ward Fräulein Bertha, so wie der Bruder aufblühte und genas, bleicher und trauriger mit jedem Tage. Man sah es ihr wohl an, daß nur die Sorge für seine Heilung und für den Trost des alten Herrn Hugh sie so aufrecht gehalten hatte. Nun die beiden Männer miteinander zechten und sprachen, und oftmals wieder der alte Meister Walther mit seinen fröhlichen Heldenliedern auf die Burg gerufen ward, tat die holde Blume ungestört, wie die Art solcher holden, verlassenen Blumen zu sein pflegt: sie hauchte in wehmütigen Liedern und Seufzern und Träumen den reinen Duft ihres Lebens aus in die stille Natur, und wäre wohl bald verwelkend zusammengesunken, wie der Waldbruder an der finnischen Grenzmark, und wie Lisberta in Mailand. Aber der Bruder wußte die beiden Geschichten auch, und stellte sich neben sein Schwesterlein, wie ein aufrecht erhaltender Gartenstab neben die zarte Blüte. Nun rankte sie sich immer am zuversichtlichsten zu ihm auf, wenn er von Frau Minnetrost erzählte, und es gereichte ihr zu einer ganz absonderlichen Freude, daß diese fromme Drude nicht etwa nur ein mondliches Fiebergebild in den kranken Träumen ihres Bruders gewesen sei, sondern daß es wirklich in dem nördlichen Ostfriesland eine so wunderbare Herrin des Friedens gebe und des Trostes, und die noch obenein ihre freundliche Muhme sei.

Aber demungeachtet nahm Berthas Erbleichen und Schweigen zu, und wenn Heerdegen sie deshalben fragte, pflegte sie wohl zu antworten: »Bruder, die eine Frau Minnetrost hienieden bekomm ich wohl nimmer von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Aber jenseits des Grabens, welcher so tief ist, daß man ihn ausschließlich das Grab geheißen hat, wohnt ja nichts, als lauter Minnetrost. Und siehe, wer uns hinüberhebt, tut es im Schlaf, und muß also eine gar leichte Hand haben.«

Diese und ähnliche Reden hinterbrachte Heerdegen dem alten Herrn Hugh, mit dem Beifügen, wenn man Bertha nicht baldigst leiblich zu ihrer Muhme Frau Minnetrost geleite, werde sie derengleichen wohl nach wenigen Monden jenseits aufsuchen. Da nahm Herr Hugh seine ganze Kraft zusammen, ließ die Nichte vor sich rufen, und gebot ihr sehr ernstlich, sie solle mit dem Bruder in diesen Tagen nach Ostfriesland abreisen, zu ihrer Muhme, welche dorten Frau Minnetrost geheißen sei. Bertha schaute dem greisen, schon längst vom Sohne verlassenen Oheim zweifelnd ins Gesicht. Da lachte Herr Hugh laut auf, und sagte: »Denkt so ein klein töricht Maienvögelein, ich alter Turm müßte zusammenfallen, flög' es nicht mehr drum herum.« – Und laut lachend ging er in seine Kammer, und schloß die Tür hinter sich zu. Dann rollten zwei große Tränen in seinen Bart.

Als er aber wieder hervorkam, machte er schleunige Anstalten zur Abreise der beiden Geschwister, und das zweite Morgenrot, von da an, sahe die Saumrosse und zwei Reisige zur Bedeckung und Heerdegens gerüsteten Streithengst im Hofe. Die große Steige herab kam Herr Hugh mit den Reisenden, und summte ein lustiges Liedchen aus alten Tagen dazu. Er küßte sie beide, und trieb, daß sie zum Schloßhofe hinauskamen. Dann ging er nebst Meister Walther, den er sich hereingeladen hatte, um diesen und die nächsten Tage zu verzechen, auf den Burgwall, setzte sich schweigend ins Gras, und sahe zu, wie Heerdegen und seine Schwester weit und immer weiter über den morgenbeglänzten Anger trabten. Dem Meister Walther kam es dabei in den Sinn, wie er hier mit Bertha gesessen hatte, als der junge Ritter Otto seinen lichtbraunen Hengst denselben Anger entlängst spornte, und ohne etwas Bestimmtes dabei zu denken, fing er wieder an zu singen, wie damals:

»Ich bin ein schwacher Greise,

Zieh nicht mehr weit hinaus« –

Da faßte der alte Herr Hugh im Grimme die Schulter des Meisters. Mit Löwenzorn im Auge, mit Löwenkraft im Arme brüllte er laut: »Ich schleudre dich hier den Burgwall hinab, falls du mein spotten willst! Der alte Greise fühlt noch der Kräfte genug.« – Meister Walther schwankte bereits am glatten Rande, doch sah er dem zornigen Starken getrost ins Antlitz, sprechend: »Wenn Ihr Euch an einem Sänger vergreifen wollt, der noch dazu Euer Gast ist, tut's! Euer ist die Rechnung, nicht mein, und der Abschluß ist nah.« – Darüber ließ ihn der alte Herr Hugh bebend los, und sagte: »Um Gott, verzeiht mir! Ihr wißt, es haben grimmige Geister im Leben Gewalt über mich gehabt, und wie ich nun hier so still empfand, daß meine jetzt beginnende Einsamkeit die Buße dafür sei, drang Euer Singen mir ins Ohr, wie von einem ganz fremden Menschen her, der über mich ohnmächtigen Greisen zu spotten gedächte. Den wollte ich denn über den Burgwall hinabschleudern.« – »Das wär auch eine schöne Buße gewesen!« sagte Walther. Herr Hugh stand eine Weile beschämt, welches man selten an ihm zu schauen gewohnt war; dann fing er an: »Ich weiß nicht mehr, ob Ihr nun noch Lust und Mut habt, mit mir auf einen Becher Weins hereinzukommen?« – »Warum nicht?« entgegnete Walther. »Sänger verstehn sich schon darauf, mit edlen reißenden Kreaturen umzugehn.« – Und damit folgte er seinem ernsthaften Wirte in die Burg.

Heerdegen und Bertha reisten viele Tage lang, und je höher sie gegen die nördlichen Küsten hinaufkamen, je still fröhlicher ward die Jungfrau, je unzufriedner der Jüngling. Sie fragte ihn einmal deshalb, und da sagte er: »Es ist ja doch um nichts besser, oder doch um nicht viel, als ob ich dich einem Kloster entgegenführte. Denn hat dich die stille Frau einmal, läßt sie dich gewißlich nicht so bald wieder fort. Und so wie ich dich kenne, mit deinem wehmütigen Blumenherzen, trachtest du aus den Mondscheinmauern auch wohl nimmer wieder heraus.« – »Nun, lieber Bruder,« entgegnete Bertha, »so geschieht mir ja nach meinem Willen, und das siehst du doch ohne Zweifel gern.« – »Es ist schade für die Welt«, murrte Heerdegen. »Zum Altare hätt' ich dich gern geführt.« – »Ei«, sagte Bertha, »Wir finden in der frommen Muhme Haus gewiß, was nur zum Gottesdienste taugt: Kapelle, Betstuhl, Kreuz und Altar.« – »Ich meinte aber was anders mit dem Altar«, entgegnete Heerdegen, und sahe schmollend auf die Hufe seines Rosses hinunter, während Bertha ihre halbgeschlossenen Augen und leiserrötenden Wangen auf der andern Seite nach den Blumen und Gräsern abwärts sinken ließ.

Wenn sie nach solchen Gesprächen dachte, den Bruder zu erheitern, ihm zeigend, wie die Gegend mild werde, und friedlich mit sanftgehobnen, weichbegrasten Hügeln und grüner Hecken frischer Umkränzung, antwortete er wohl: »Das macht sich im hohen Sommer ganz hübsch. Laß nur den Winter herankommen mit seinem hohlen Sturmgepfeif zwischen die Hügel hin, mit seinem Schneetreiben, wenn es Hecken und Wege unter die kalte lockere Decke begräbt, und sieh dann, wie die einzeln rauchigen Wohnungen in der pfadlosen Wüste liegen, weit minder Häusern ähnlich, als heidnischen Gräbern, von denen ein trüber Scheiterhaufendampf durch die graue Luft hinqualmt, – da wirst du schon aufhören, des Landes Milde zu preisen.« – »Oben bei der Frau Minnetrost soll es ja nicht schneien und heulen?« fragte dann öfters Bertha, und Heerdegen antwortete verdrießlich: »Ja, ja, man sagt's; ich selbsten bin zu Winterszeit nicht dort gewesen.« – Dann zog er schweigend des Weges weiter, und je mürrischer er aussah, je mehr wuchs Berthas herzinnige Sehnsucht nach der sanften, geheimnisreichen Muhme, die aller liebefrommen Hulden kräftig war.

Eines Tages war des Bruders Antlitz noch weit nachdenklicher, als zuvor, und Bertha meinte daraus abnehmen zu können, das Ziel ihrer Reise müsse ganz nahe sein. Ihr schlug das junge Herz vor träumerischem Erwarten, während Heerdegen gegen Abend fast ängstlich nach einer Herberge umherschaute, ohne doch etwas anders entdecken zu können, als einsam gelegne, moosige Bauerhütten. Beide Reisige sandte er hier und dorthin aus, und als sie nach einer ganzen Weile noch immer nicht zurück waren, hieß er die Führer der Saumrosse seiner auf der Stelle, wo man angehalten hatte, warten, und ritt mit Bertha nach einer andern Richtung suchend aus. Aber in den Gewinden von Hecken und kleinen Hügeltälern verlor man sich bald gänzlich, und die Sterne zogen golden am Himmel herauf, ohne daß die Reisenden ein Nachtlager antrafen, ja, ohne daß sie auch nur gewußt hätten, sich nach dem angegebnen Sammelplatze zurückzufinden. Da hielten sie plötzlich vor einer steilen Höhe, und der Bruder sagte: »Mein Gott, irr' ich mich, oder sind wir dennoch früher zur Stelle, als ich wollte? Wie gern, wie gern, o du liebe Bertha, hätt' ich dich erst morgen von der Hand gelassen. Sieh doch einmal recht scharf nach dem dunkeln Berge hinauf, ob denn wirklich eine Veste droben steht.« – Und im selbigen Augenblicke stieg der Mond hinter ihnen voll und goldig über die Hügel herauf, und die Fenster der Burg leuchteten vor seinem Scheine festlich hell in schöner, geordneter Reihe, und blanke Kreuze schimmerten von den Türmen gegen den Himmel empor, und ein süßes Tönen schlich die Gräser und Gebüsche herab, während Bertha sehnend ihre Arme ausbreitete nach der milden Herrlichkeit, ihr Bruder aber mißmutig mit der beerzten Faust gegen den Küris schlug.

Da trat hinter einigen Birkenstämmen eine Frauengestalt hervor, weiß und schlank wie die Birkenstämme selbst, und auch eben so einen lichtgrünen Schleier um Haupt und Schultern hergehangen. Bertha dachte gleich, es müsse wohl Frau Minnetrost sein, und als nur der Schleier zurücke flog, und aus einem freundlich ernsten Antlitze gegen den Mond an zwei milde lichtbraune Augen, unschuldig und freundlich, wie die eines Rehes, strahlten, da ward sie ihrer Sache gewiß, und sank von ihrem Zelter herab, freudig weinend, vor der hohen Gestalt in das Gras. Auch Heerdegen vergaß alles Unwillens. Er stieg sittig vom Roß, neigte sich ehrerbietig gegen die Frau, und wollte ihr Berthas Gesuch anbringen. Aber sie sagte: »Ich weiß schon. Gerngesehenen Gästen geht man mit Freuden entgegen, und bis an die Burg, lieber Heerdegen, darfst du mit.« – Damit reichte sie beiden Geschwistern die Hände, und riet ihnen, sie möchten die Pferde nur hier grasen lassen; sie ständen in guter Hut. So schritten sie alle drei Hand in Hand den Schloßberg hinauf, und Frau Minnetrost sang unterweges mit höchst anmutiger Stimme:

»Was hat die gute Muhme?

Sie hat, was nur Eu'r Herz begehrt,

Hat Spiel und Fest und sichern Herd,

Hat auch des Friedens Blume,

Die ist den Menschen wert.

Ei, folgt der guten Muhme!

Wenn gute Ding' Eu'r Herz begehrt:

So blüht Euch Heil auf ihrem Herd,

Und auch des Friedens Blume,

Die ist dem Himmel wert.«

Sie kamen vor der Burg an, und Heerdegen nahm ganz freundlich und ohne alles unmutige Widerstreben von seiner Schwester Abschied. Es war, als hätte er im Leben nichts von schroffem oder heftigem Wesen gewußt. Sie redeten ganz heiter miteinander ab, zu welchen Tagen er vor die Burg kommen solle, um Bertha zu besuchen. Dann wandelte er grüßend die Höhe hinab, und die Jungfrau schritt mit der lächelnden Muhme in die Burg.

Ein klarer Weiher tat sich jenseits der wiedergeschloßnen Pforten vor den beiden Frauen auf, und wie sie in eine Barke stiegen, welche sie von selbst an die feierlichen Gebäude jenseits hinüberwogte, stand der Vollmond hell am Himmel, und sahe mit fast noch vermehrter Klarheit aus dem Gewässer herauf, seine goldne Herde von lichten Sternenfunken um ihn her. Und auf den Zinnen rings wehten und flüsterten im Nachtwinde die hohen weißen Blumen, von welchen Bertha ihren Bruder damals auf dem Krankenbett hatte erzählen hören. Sie sahe nun erst eigentlich was alle seine Worte gemeint hatten, auf dem stillblauen Spiegel des Sees schwebend, die Düfte der weißen Blumen wie ein süß verschlungnen Reigen um ihre Schläfe hin. Aus den Gebäuden klang es grüßend wie Cymbelklang und Harfenrauschen, und wie die Frauen ausstiegen, und die vielfach gewölbten Hallen entlängst wandelten, tönte der holde Laut immer vernehmlichen ihnen entgegen. Es war alles hell in der Burg, aber sehr mild, denn die Erleuchtung strömte einzig vom Vollmonde herab, der, in verschiednen Gläsern und Spiegeln kunstreich aufgefangen, die Gegenstände zumal wie mit einem schneeweißen verklärenden Teppich überzog. Eintretend in einen großen, von reichen Schwibbogen durchzogenen Saal, konnte nun Bertha sehen, woher die schöne Musika komme, welche hier mit ungehemmt wogenden Fluten einherdrang. An dem hohen Gewölbe nämlich kreiseten reingoldne Reifen über- und durcheinander, mit herrlichem Getöne sich berührend, und teils silberne Cymbeln klingen lassend, welche daran hingen, teils Harfensaiten streifend, die sich wie ein goldnes Netz zwischen den Pfeilern hinwebten. Da wußte Bertha erst recht, wie der entführten Braut zumute gewesen war, als sie vor diesen Himmelsklängen getröstet in Schlummer sank, und sich auf die weichen Teppiche zurücklehnend schwebte auch sie ins Land anmutiger Träume hinüber; wenn sie noch bisweilen zwischen Schlaf und Wachen aufsah, erblickte sie die goldnen Reifen im Kreistanz über sich, und das holde Mondscheinauge der sie bewachenden Drude.

Ein Leben, zwischen kindlichen Spielen und höherer Weisheit schwankend, führte Bertha auf dem Schlosse. Sie stand wie auf einer Schwelle, und konnte sich doch mit süßer Behaglichkeit darauf lagern, von Lüften einer zwiefachen Welt angeweht. Die geheimen Künste der Muhme boten sich der Jungfrau willig zum Spielwerke dar, und deuteten doch immer zugleich auf unerhörte Heimlichkeiten in der Ferne. Wenn ihr Bruder vor die Burg kam, erzählte sie ihm gern über die blumigen Zinnen hinaus, wie wohl es ihr gehe, und was für unerhörte Wunder sie schaue. Er dagegen freute sich, daß ihr holdes Antlitz immer rosiger zwischen den weißen Blüten hervorblickte, und so schieden sie beständig in Zuversicht und Freude voneinander.

Vor allem andern Zeitvertreib hatte Bertha einen wunderlichen Spiegel lieb, der zwischen unbekannten Zeichen in die Wand eines abgelegenen Gemaches eingefügt war. Als ihn ihr die Drude zum erstenmal zeigte, und den Vorhang davon zurücke zog, sagte sie: »Da bildre ein bißchen, Kind. Ich habe jetzt Hochwichtiges zu tun.« – Und wie nun Bertha allein vor dem Glase stehn blieb, wußte sie erst gar nicht, wie sie es mit dem Bildern anfangen sollte, aber sie ward dessen bald inne, denn ganz von selbsten fing es in dem Spiegel an zu leben von mannigfachen Gegenden, Tieren, Menschen und Gebäuden. Bald sah man in eine weite Meeresfläche hinaus, und Schiffe zogen drauf hin und her in Handel oder Krieg, unter heiterm Sonnenhimmel oder Nachtsturm. Dann wieder taten sich weite Kirchenhallen auf, und viele betende Menschen drin, oder große Marktplätze mit Schranken und turnierenden Rittern. Die sah aber Bertha weniger gern, denn sie mußte dabei an den Kampf zwischen dem Freiherrn von Montfaucon und dem Grafen von Walbeck denken, und wie viel sie dabei verloren hatte. Wieder wandelte der Spiegel seine Gestaltung in das Innere einer prächtigen Pfalz, und ein großer König saß auf dem Thron, und herrliche Frauen und Ritter um ihn her. So auch ließen sich mohrische Städte schauen, mit ihren seltsamen Einwohnern in langen, reichen Kleidern auf den Gassen. Woran aber Bertha vorzüglich gern ihre Augen weidete, das war eine einsame, es schien hoch nordliche Gegend, voll unerhörter Felsengebilde, und auf einer der höchsten Klippen eine alte, moosige Warte, und durch die Fenster der Warte schimmerte ein Lichtlein heraus, nur ganz dämmrig und verstohlen, aber es kam der Jungfrau vor, als müsse dorten ein wundersam stilles Glück zu finden sein. Sie hatte auch dessen gegen die Muhme kein Hehl; und diese sagte ihr oftmalen: »Was dir so wohl gefällt, liegt weit, weit von hier, hoch in das kalte Schwedenland hinauf. Ich reise auch bald hinüber nach der einsamen Warte; doch kann ich dich leider nicht mitnehmen.« – Diese Reden machten der Jungfrau die nordliche Felsgegend nur noch lieber, und nie lächelte sie anmutiger und zufriedener, als wenn sich ihr beim Bildern im Spiegel der alte Turm offenbarte und das einsame Klippengestein.

Eines Abends spät war die freundliche Drude mit ihrem Pflegekinde noch hinaufgegangen auf einen alten Turm der Veste, wo nichts über ihnen war, als der klare Sternenhimmel, und wo die Lüfte der lauen Sommernacht, ungehindert vom Baum oder Gebäu, um sie her zogen, wie ein friedliches Meer. Da richtete die Muhme ihre Augen unverwandt in das golddurchfunkelte Blau, und es war, als sehe sie nicht nur, sondern als höre sie zugleich viel Herrliches von da oben herab. Bertha unterbrach endlich, leise flüsternd, das lange Schweigen, und sagte: »Ach, holde Frau, Ihr horcht ja fast auf, als vernähmet Ihr die Töne der kreisenden Goldreifen in Euren Sälen, und doch ist alles still.« – »Vernehme ich denn nicht die Töne der kreisenden Goldreifen?« entgegnete die Drude mit einem verzückten Lächeln. »Nur dir, mein arm uneingeweihtes Mädchen, nur dir ist alles still. Aber wie die Goldreifen bisweilen unten im Saale sich drehen, so drehen sich hier endlos oben am leuchtenden Himmelssaal die seligen Goldreifen, welche man Sterne nennt, und tönen in so wunderlieblichem Hall, daß jedes andre Getön davor zu Mißlaut wird und verstummen muß, und sei es das lieblichste, so die Erde kennt. Wer ihm recht eigen ist, dem Sternengetön, der hört's. Die andern müssen sich mit dumpfem Erstaunen begnügen, oder wenn es hoch mit ihnen kommt, erbarmt sich ihrer ein seliger Traum, und klingt es ihnen schlafend in das Gemüt.«

Die Jungfrau aber sah ihre Muhme mit einem seltsamen Blicke an, denn sie hatte schon seit geraumer Zeit mehr Verlangen nach den geheimen Zauberkünsten empfunden, als Schauder davor, und war nun im Begriffe, die Drude zu bitten, sie solle sie einweihen in all das viele Wunderbare, welches sie hier umgebe. Aber Frau Minnetrost warf einen noch weit seltsamern Blick zurück, davor sich Bertha sehr entsetzte, und ihr mit einem Male alles wieder furchtbar in die Sinne treten mußte, was ihr jemals an den magischen Erscheinungen unheimlich vorgekommen war. Die Muhme indes starrte sie immer ernsthafter und durchbohrender an, und sagte endlich: »Kind, Kind, törichtes Kind, warum wolltest du bitten? Vermeinest du denn, weil du mit jenen wunderlichen Geheimnissen spielen darfst, es seie überhaupt nur ein Spiel damit? Wem es Gott eröffnet hat, der muß die ernste Bürde tragen, weil er nun einmal dazu geordnet ist. Kein andrer aber strecke die Hände darnach aus. Wehe, sehr wehe, tut oftmals diese Last. Ach, Kind, glaubst du denn, ich hätte immer hier gewohnt? Immer so einsam und unverstanden? Nie mit einem Namen wie andre Menschen geheißen? Ach nein, ach nein! Ein glückseliges Leben habe ich geführt, und mein geheimes Wissen hat es zerstört, obzwar ohne meine Schuld. Nun nennen sie mich Minnetrost, und ich habe für die Minne vieler Leute Trost; für meines eignen Lebens Minne hab ich keinen mehr.« – Damit fing sie mildiglich zu weinen an, und legte ihr Haupt, wie tränenmüde, an der Jungfrau Brust. Das ging recht wehmütig süß durch Berthas Herz, denn sie hatte ihre wundersame Muhme bis jetzt nur immerfort in stiller Heiterkeit gesehn, wie einen leuchtenden Mond, und nun ward es ihr erst recht klar, daß auch sie ein menschliches, Leid und Freud empfindendes Wesen sei, und sie konnte gar nicht ablassen, sie auf das liebevollste an sich zu drücken, und mit ihr zu weinen, und zu ihr zu sagen: »Ach liebe, liebe Muhme, wie so gar unaussprechlich habe ich Euch lieb!« – Frau Minnetrost aber richtete sich mit freundlichem Ernst wieder empor, und sprach: »Wenn du mich denn so lieb hast, mußt du es auch hübsch darnach einrichten, daß wir beisammen bleiben können. Siehe, ich reise nun auf eine ganze Zeitlang von hier, hoch nach der nordischen Warte im Schwedenlande hinauf, die du bei deinem Bildern so gerne siehst. Zwar reise ich wohl schneller, als andre Menschenkinder zu tun pflegen, aber weit ist doch immer die Fahrt, hochwichtig das Geschäft, unsre Trennung lang! Da halte dich nun derweile recht still und eingezogen daheim; siehe auch nicht aus den Fenstern, noch minder über die Zinnen hinaus, wenn ich dir raten soll. Auch wird dein Bruder in dieser Zeit nicht vor die Tore kommen; ich hab' es ihm durch einen Boten angesagt. Doch sollst du dich gar wohl ergötzen: der Bilderspiegel wird dir schöne Dinge zeigen, hell dich die Goldreifen umtönen, und Blumen und Weiher und alles wird dir dienen, als wär ich selbsten hier. Doch, liebes Kind, zeuch nicht den Vorhang von dem Spiegel mit deiner Hand zurück, bring nicht mit deiner Hand die Goldreifen in Bewegung, berühre mir die Blumen nicht. Wenn du von irgendwo was begehrst, so sing in deine Laute, oder spiel' auch nur darauf, und es wird kommen. Geduld, mein liebes Kind, und Sanftmut, und Gehorsam! Dann bleiben wir beisammen, und alles wird bald unaussprechlich gut!«

Dabei küßte sie die staunende Jungfrau, und begab sich schweigend in ihr Gemach. Am folgenden Morgen suchte Bertha nach der Muhme in der ganzen Burg vergebens.

Verschiedene Tage der Einsamkeit waren an Bertha still und friedlich vorüber gegangen. Alle die wunderbaren Töne und Gebilde hatten auf das Anmutigste mit ihr gespielt, und indem sie die Sorge für Garten und Wirtschaft und Küche ganz allein übernahm, ward ihr doch alles vor unsichtbaren Begünstigungen so leicht, daß es minder Geschäfte zu sein schienen, als artige Spiele, mit zu den andern gehörig. Da ließ sie sich eines Nachmittags von der Barke auf dem tiefblauen Weiher umherwogen, und die Sommerlüfte spielten erquickend um Stirn und Wangen der holden Schiffenden. Zugleich hielten sonndurchblitzte Wölklein ordentlich einen Reigentanz am Himmel, und viele Vögel flatterten auf die Zinnen der Burg, sahen zwischen die weißen Blumen herein, und schwangen sich dann wieder jubelnd und tirilierend, wie trunken von Lust und Freiheit, durch die heitre Tagesbläue hin. Es war, als wolle ihr das alles zusammen etwas von draußen erzählen, und sie ermuntern, doch wenigstens einen einzigen Blick in die lustige Weit hinaus zu tun. »Was könnte es denn am Ende auch schaden?« sagte sie zu sich selbst. »Es ist die Frage, ob ich überhaupt die Muhme mit ihren Warnungen recht verstanden habe. Auf die Erde hinauszublicken, für die mich Gott erschaffen hat, kann mir doch unmöglich irgend jemand verbieten wollen.« – Und fast so schnell, als der Gedanke gedacht war, hatte auch Bertha die goldhelle Barke zum Ufer zurücke gewandt, und weil sie ja doch weit minder über die Zinnen als zu den Fenstern hatte hinausschauen sollen, erwies sie sich, wie sie meinte, recht gehorsam, ging vor den lockenden weißen Blumenwarten vorbei, und in ein Gemach, von wo sie wohl sonst, wenn sie mit ihrem Bruder an den Zinnen sprach, die Muhme hatte herausblicken sehen. Das Kämmerlein enthielt auch weiter nichts Heimliches, und Bertha hatte alsbald das buntbemalte Glasfenster geöffnet, und schaute über das weite grüne Land dahin.

Eine sehr vergnügliche Aussicht tat sich von hier über fruchtbare Wiesentäler auf in das nahe Meer hinein, auf dessen windstillem Spiegel die Sonnenstrahlen ihr leuchtendes Spiel trieben, ein nahes buschiges Eiland, wie mit goldblauen Gluten umkränzend. Bertha fühlte sich nach dem Eilande von einer tiefen Sehnsucht hinübergezogen; sie dachte, ohne zu wissen warum, Otto müsse darauf wohnen, und sich eine blühende Siedlerhütte unter den Schatten gebaut haben, in gänzlicher Vergessenheit der prächtigen Gabriele, und im stillen Harren und Hoffen nach seiner ersten Minne. Es kam ihr das alles immer wahrhafter und notwendiger vor; sie meinte schon zu wissen, wie der Boden zwischen den Gesträuchen durch Ottos Pflege hell und duftig erblüht sei, und wie zierlich geordnete Pfade sich weißleuchtend durch die Pflanzung hinschlängen. Bald darauf schwebte ein Nachen heran, der zwischen dem Eilande und der Küste hin und her wogte im Sonnenglanze, und die Gestalt ihres Bruders in dem Fahrzeuge ward ihr mit jedem Augenblicke kenntlicher an Wuchs, Bewegung, und Farbe und Schnitt der Kleidung. – »Mein Gott«, dachte sie, »sollte der wohl Otto gefunden haben auf der Insel, und sich mit ihm versöhnt, und mich nun hinüberrudern wollen zu ihm?« – Dabei kam es ihr ganz deutlich vor, als winke Heerdegen mit einem weißen Tuche nach ihr; aber wie sie eben das ihre faßte, den Wink zu erwidern, erschrak sie vor der Versuchung und schlug das Fenster zu. Mit tiefer Wehmut dachte sie an ihre gütige Muhme, und wie sie am Abend vor der Abreise so herzensfromm und betrübt gewesen sei, und sie mußte bitterlich weinen, daß sie deren Rat und Bitten auch nur Augenblicks habe ungetreu werden können. Dennoch, – so schwach in der Versuchung sind wir arme Menschen! – ließ die Lust nach dem Eiland und dem Nachen keinesweges von ihr ab, und um sich selbst vor sich selbsten sicher zu stellen, sagte sie mehrmals laut: »Törichtes Zeug! Ich habe gottlob! ja nicht einmal die Schlüssel zum Burgtor.« – Da ward es plötzlich in ihr ganz klar, daß sie recht gut wisse, wo sie liegen, und ihre Bangigkeit stieg so hoch, daß sie sich auf keine Weise mehr zu raten und zu helfen wußte.

Ängstlich nach Zerstreuung suchend, vor ihrem eignen Wollen in übereilter Flucht, rannte sie nach dem Gemach, drinnen der Spiegel mit den Bildern eingefugt war. Sie streifte unterweges an einen Sessel, worauf ihre Laute lag, und die freundlichen Saiten klangen ihr nach, als wollten sie ihr zurufen: »Nimm uns doch mit, du sollst uns ja klingen lassen, wenn du etwas von den schönen Wunderdingen willst!« – Aber Berthas aufgeregter Sinn hatte für solche leise Sprüche jetzo kein Gehör, sie stürzte atemlos in das Gemach, und so ernst und feierlich auch der blutrote Vorhang vor dem Spiegel in schweren Falten herunter hing, faßte sie ihn dennoch in wilder Vergessenheit an, und riß ihn heftig vor dem magischen Glase zurück.

Und auf der geheimnisreichen Fläche wogte es, und dunkelte es, wie ein ungeheures Meer, wie ein Schaffen, das noch in den ersten Regungen begriffen sei, und nur unversehens, aller schonenden Hüllen beraubt, hervorgerissen werde an den Tag, davor es sich abscheulich entsetze, und sich ineinanderkräusle zu allerhand Ungestalten des Abgrunds. Bertha wollte es wieder mit dem Vorhang verhüllen, aber so, wie sie nur die zitternde Hand erhub, fing das Drehen und Wirbeln einen zwiefach grimmigen Kreislauf an, und sie blieb entsetzt, und festgebannt, und zweifelnd stehen. Endlich trat eine Menschengestalt in dem Spiegel hervor, aber sie war sehr bleich und sehr verzerrt von wildestem Zorn. Und wie sich es auch Bertha ableugnen wollte, sie mußte dennoch ihren Bruder Heerdegen darin erkennen. Über seinem Kopfe saß etwas mit zwei ungeheuern goldfarbigen Geierflügeln; sie wußte nicht, trug er einen Helm von so wunderlicher Gestaltung, oder war es ein Geier selbst, der ihn vielleicht mit seinem scharfen Schnabel so bleich gehauen hatte. Wie sie noch darüber nachsann, kam ein Frauenbild in dem Spiegelglase zum Vorschein, das war sehr blutig, und recht hinschauend, mußte Bertha mit ungeheuerm Entsetzen aufschreien: »Herr Gott, das bin ich ja selbst!« – Und gejagt von dem Bilde, gejagt von dem Klange ihres eignen Rufes, stürzte sie sträubenden Haares aus dem Gemach, in den Saal hinein, wo die Goldreifen hingen. Starr und regungslos hingen sie da, wie von unsichtbaren Banden gehalten, ohne den leisesten Ton, und Bertha hätte um alles jetzt das lauteste Schallen von ihnen begehrt, denn in dem nahen Gemache regte es sich wunderlich, als seien die Bilder aus dem Spiegel los, und übertäuben, überjubeln sollten die Reifen jenes schauerliche Geräusch, und die drückende Angst in der Jungfrau eignen Brust. Da dachte sie wohl daran, daß sie mit Lautenklängen oder mit Gesang erheischen solle, was sie von diesen Zaubereien verlange. Aber der Gesang war ihr wie eingefroren in Schreck und Bangen, die Laute lag fern jenseit des unheimlichen Spiegelgemachs. Ohne Wahl riß das Entsetzen Berthas Hand zu einem der nächsten Reifen hinan, und zu drehen begannen sich alle, und zu tönen, aber wie mit dem Tone des Sturmes und Donners, ein heisres Brüllen als von wilden Tieren zwischendurch; Schwertergezische klirrte hinein, und ein jämmerliches Wehklagen, wie von qualvoll sterbenden Sündern. Endlich kreisten die Reifen schneller und schneller, gräßlicher heulte der Lärmen, ein wüstes Lachen schmetterte hindurch, Berthas Haupt begann zu schmerzen und zu schwindeln, und da pochte es an die Tür vom Spiegelgemache her. Bertha meinte, sie werde sich nicht enthalten können, Wer da? zu rufen, und dann werde es ihr mit ihrer eignen Stimme antworten: »Ich selbst!« und sie werde dann sich selbsten hereintreten sehn, blutig und sehr verzerrt, durch die furchtbare Tür, und mit offenen Armen grinsend auf sich zu – im halben Wahnsinn stürzte sie aus den Gebäuden, und über den Burgplatz hin nach den Toren zu, pfeilschnell die Ufer des Weihers entlängst. Der zischte wie kochendes Wasser himmelan, und überhaupt sah alles verwildert und seltsamlich aus; unter anderm waren die mehrsten Blumen blutrot geworden, und schwankten wie ungeheure Flammen von den Zinnen herab, und schlugen auf die Flüchtige los. Wie stieg aber ihr Entsetzen, als sie sich dem Ausgange nahte, und ihr einfiel, daß sie die Schlüssel vergessen hatte. Sollte sie nun durch alle die wunderlichen Greuel wieder darnach zurück? Sie fühlte wohl, das ging nicht, denn sie wäre toll davon geworden. Und so rannte sie immer dem Tore zu, ängstlich nach ihrem Bruder rufend, ob sie gleich wußte, der könne ihr in diesen Mauern nicht helfen. Aber die Pforten standen auf, weit auf, obgleich sie sehr schwankten, und mit ungeheurer Schwere in jeglichem Augenblicke zusammenzuklappen drohten, zerschmetternd, was sich zwischen sie hineingewagt hätte. Dennoch faßte die Jungfrau einen Mut, und rannte gestreckten Laufes zwischen durch, und kaum war sie hinaus, da fielen die ehrnen Flügel mit betäubendem Gerassel hinter ihr zusammen, so daß sie im Entsetzen vor einem so nahen, kaum überstandenen Augenblicke des Zermalmens noch pfeilschneller den Hügel hinunterflog, unten aber in völlig ohnmächtiger Erschöpfung zu Boden sank. Sie hörte nur noch, daß von allen Seiten ein wildes Waffengetös sich erhub, und merkte, wenn sie bisweilen wieder zu sich kam, daß ihr Bruder sie in seinen Armen trug, und wie zu sich selber sagte: »Wir müssen machen, daß wir in den Kahn gelangen, und nach dem Eiland hinüber. Das Volk ist hier ganz toll worden vor dem Spuk auf der Burg.« – Dann flüsterte Bertha, ihrer vorigen Ahnungen gedenkend: »O nach dem Eiland; o ja, nach dem lieben Eiland hinüber!« schloß aber alsbald die ermatteten Augen wieder zu.

Erwachend fand sie sich auf dem Rasen liegen, ihren Bruder neben sich kniend, und mit ängstlicher Sorgfalt um sie beschäftigt. Noch immer tönte ein verworren wildes Geräusch in ihr Ohr. Sie richtete sich in die Höhe, und sah, daß es staubig und waffenblitzend auf dem festen Lande tose, von welchem sie durch einen Arm des Meeres geschieden war. Der Nachen schaukelte sich angelegt zu ihren Füßen.

»Gottlob, daß wir auf der Insel sind!« sagte sie zu ihrem Bruder, und Heerdegen erwiderte: »Ja freilich ist es recht gut. Denn vor dem wilden Donnern und Stürmen von der Mondesburg herab, hat sich das ganze Land in Waffen erhoben, teils um die Drude, welche sie gefährdet glauben, zu retten, teils um den eigenen Grimm, dieweil es ja selbst vom Sitze des Friedens hertoset, desto ungehinderter gegeneinander austosen zu lassen. Das ist nun fürder dort kein Wohnungsplatz für zarte Fräulein mehr, und wir müssen trachten, wie wir weiter von hinnen kommen.« – »Warum denn von hinnen?« fragte Bertha, »Warum denn von diesem Eilande weg? Hier blühet gewißlich Frieden und Liebe und Versöhnung, und alles, was man nur auf Erden wünschen kann. Folge mir nur, ich weiß Bescheid.« Und damit schritt sie in die tiefgrünen Schatten der Gebüsche hinein; überzeugt, sie müsse Otto und seine Siedlerhütte finden, der frühern Gaukelei ihrer Wünsche gemäß, welche sie mit den weissagenden Gebilden des Spiegels verwechselte. Heerdegen mochte wohl glauben, sie habe wirklich ein geheimes, wohltätiges Wissen mit aus der Burg gebracht, und ging ihr staunend nach in die Verschlingungen des unwirtbaren Forstes hinein.

Aber da sahen sie nichts von geebneten Gängen, nichts von zierlich gepflegten und geordneten Blumen, nichts überhaupt, was den Sinn und die Hand einsam sehnender Liebe verraten hätte. Eifriger und erhitzter drang Bertha vor; sie stand fast im Begriff, nach Otto zu rufen, nur daß Scham und Furcht vor dem Bruder ihre Zunge band. Während dessen wanden die Gezweige der Bäume sich immer dunkler zusammen, die Wurzeln liefen wilder und kühner über den feuchten Boden hin, Schlangen und andre Untiere raschelten, von den ungewohnten Menschentritten erschreckt, scheu durch das hohe Gras. Da blitzte schon das Meer von der andern Seite wieder herdurch, und seinen Strand ereilend fand Bertha nur eine noch wildere Gegend, wo auf alten Runensteinen und Grabhügeln die Abendsonne ihre Scheidelichter wehmütig spielen ließ, wehmütig die Seelüfte im Moose rauschten, das über den grauen Denkmalen hervorgeschossen war. Weinend sank die getäuschte Bertha auf einen der verwitterten Steine hin, und rief in schmerzlicher Ergebung aus: »So war es denn nichts, als ein Grab?« – Je mehr nun ihr Bruder mit Fragen in sie drang, je bitterlicher mußte sie weinen, die Beschämung über ihr voreiliges Hoffen und dessen Vereitelung mit gleich heftigem Jammer empfindend.

Heerdegen fing, in seiner Betrübnis und Ungewißheit über die Tränen der Schwester, auf die Muhme zu schelten an, die gewiß mit ihren tollen Zauberstücken das Gemüt der Jungfrau so wunderlich verwirrt habe. Da tat sich mit dieser Erinnerung eine neue Quelle schmerzhafter Tränen für Bertha auf. Mit all ihrer feierlichen Milde, mit ihrem Weinen am letzten Abende, mit ihren zärtlich warnenden Bitten stieg Frau Minnetrost vor dem Geiste des Mägdleins auf, und die Reue über das verletzte Versprechen, wie auch über das verlorene Glück, welches die Drude als nahe bei ihrer Heimkehr angedeutet hatte, löste die arme Bertha fast ganz in Wehmut auf, und machte ihren Bruder mit jedem Augenblick ungeduldiger.

Da hörten sie dicht neben sich ein helle und liebliche Frauenstimme erklingen, welche ungefähr folgende Worte sang:

»Beeren glührot, Blätter grün

Brauen grimmen Heldentrank.«

Und aufblickend gewahrten sie einer hohen, schlanken Gestalt, die am Ufer umherging, bisweilen sich nach dem Grase bückend, oder Laub von den Zweigen streifend, und alles in einen glänzenden Becher einstreuend, den sie unter dem Arme trug, und der wie ein großes goldnes Horn anzusehen war. Reiche blonde Haare wehten über den Nacken und die Schultern der Wandelnden hin, zugleich ihr das Antlitz, weil sie suchend nach der Erde sah, verhüllend. Ein reichgesticktes Gewand, wie nur vornehme Frauen es tragen, aber nachlässig gegürtet und wie zum Reisen aufgeschürzt, schmiegte sich um ihre zarten Glieder, von ihren Hüften hing ein schönes leuchtendes Schwert herab, Köcher und Bogen über ihren Rücken. Sie sang und suchte emsig fort, während die beiden Geschwister ihres eignen Leides und Unwillens vergaßen, um die herrliche Erscheinung zu betrachten, und auf die seltsamen Worte ihres Liedes zu horchen, welches in ganz ungewohnten Weisen klang, und von einem Zaubertranke handelte, der Helden grimm mache zur Schlacht, und ganz unüberwindlich, als nur vor bezauberten Waffen. Jeder Absatz schloß aber mit langsamen milden Klängen, und in einen weichern Ton übergehend. Er hieß etwa also:

»Aber zögernd trink, mein Zecher,

Zaubermet ist wild. O hüt dich!«

Als sie sich eben wieder nach dem Grase gebeugt hatte, rief Heerdegen unwillkürlich aus: »O Gott, wie muß ihr Antlitz schön sein!" – Da sprang sie fieberschnell in die Höhe, wie eine starkgebeugte junge Tanne, die plötzlich ihre Bande zersprengend gegen das Himmelblau wieder emporfährt. Und sonnengleich strahlte die wunderbare Schönheit ihrer Züge durch die finstre Gegend. Aber der Zorn funkelte alsbald aus den großen blauen Augen. Drohend blickte sie nach den Geschwistern herüber, und rief: »Ihr habt mich gestört! Wozu der günstige Abend nun! Wozu der herrlichen Zauberkräuter reiches Blühn!« Und zürnend schüttelte sie das Goldhorn, daß dessen würziger Inhalt zerstreut über die Gräser hinflog. Heerdegen wollte sich ihr entschuldigend nahen. Da blinkte die helle Klinge rasch in ihrer schönen Hand. Sie winkte ihn zurück damit, und schritt feierlich in einen Nachen, der sie vermutlich kaum erst hergetragen hatte, und den sie nun geübten Armes mit Ruderschlag in die weite Meeresfläche hinaustrieb, bald darauf hinter einem nahen Hügelgehölze verschwindend.

Die Geschwister sahen ihr staunend nach, und als sie nach einer Weile anfangen wollten, sich über die seltsame Erscheinung zu besprechen, fuhr Bertha überrascht in die Höhe, und rief: »Ach Bruder, was sind das für wunderliche Masten dort im Wald?« – Und hinschauend ward Heerdegen statt der Masten gewaltige Hallebarten gewahr, welche über das minderhohe Gezweig hervorragten. Gleich darauf traten viele der Männer, welche sie trugen, aus dem Schattendunkel des Forstes heraus: riesengroße Gestalten, mit gewaltig klirrenden, schweren Panzerplatten überdeckt, und große, erzbedeckte Schildränder an ihren linken Schultern. Heerdegen sprang empor, und blickte forschend, die Hand am Schwertgriff, nach der andern Seite um, von welcher eine eben so furchtbare Menge gewaffneten Volkes angezogen war. Ein bildschöner junger Mann, im goldfarbnen Harnisch, von seinem sehr hohen Helme zwei ungeheure, goldgetriebne Geierflügel hervorragend, trat aus dem Gewirre der Schar auf den Platz heraus, zeigte mit einem mächtigen Wurfspeer in seiner Rechten auf die Geschwister und sagte: »Bringt sie nach unsern Schiffen.« – »Was wollt Ihr mit freigebornen Leuten?« rief Heerdegen, und das Schwert in seiner Faust leuchtete den Fremden entgegen. »Tritt hinter mich, Bertha! Und wer sich von euch zuerst heranwagt gegen uns, hat sein Leben verspielt.« – Da richteten sich eine Menge von Wurfspeeren in nervigen Händen gegen den Jüngling, aber der Anführer rief – »Laßt ab! ich will sie lebendig.« – Und die Wurfspieße senkten sich, aber die Schilde reiheten sich zusammen, wie zu einem kunstreichen, wandelnden Gebäu, und immer enger und enger schloß sich der eherne Reihen um Heerdegen und Bertha her. – »Pfui des Mißbrauchs der Übermacht!« rief der bedrohte Jüngling. »Hättest du Goldgeharnischter dort ein kühnes Herz, und wärst ein Rittersmann, wie ich, die Fehde nähme bald einen andern Gang.« – »Halt!« rief der junge Führer, und die vordringenden Erzriesen standen wie regunglos. Dann trat er selbsten in den Kreis, stellte sich Heerdegen gegenüber, lehnte sich auf den Griff seines großen Schwertes, und sprach: »Was wolltest du denn da sagen, du wärst ein Rittersmann? Du bist ja ohne allen Harnisch.« – »Zog ich denn aufs Kämpfen aus?« entgegnete Heerdegen. »Ich fuhr mit meiner Schwester zu Abend von der Küste herüber. Wer dachte an Überfall!« – »Ihr hättet doch dran denken sollen«, antwortete der Fremde. »Habt ihr mir meinen Zins vorenthalten, so nehm' ich dafür im Vorübersegeln von eurem Strande, was mir gefällt; ihr beide gefallt mir, obgleich du auch in Wams und Barett nicht prächtig angetan bist, wie eure Häuptlinge doch sonst zu tun pflegen.« – »Zu den Häuptlingen des Landes gehör' ich nicht«, sagte Heerdegen. »Ich bin ein fremder Rittersmann, und halte nichts auf Schmuck und Zier.« – »Das seh ich wohl«, hohnlachte der Führer, »und wer weiß überhaupt, wie es mit deinem Rittertum angetan ist! Fangt ihn ein, Landsleute.« – Die ehrne Mauer engte sich wieder, langsam vorschreitend, zusammen. – »Halt!« rief Heerdegen mit so erschütternder Stimme, daß die eisernen Gestalten abermals standen, wie auf das Gebot ihres Herrn. »Ich erkenne euch für Normänner«, fuhr er fort, »an Sprache, Gestalt und Tracht. Normänner sind tapfre Degen, dem Zweikampf hold und jeglichem ehrbaren Wagstück. Ich rufe dich auf, du Führer dieser Schar, prob' dich mit mir in Waffen. Der Obsieger mag entscheiden, was aus mir und meiner Schwester werden soll!« – »Ja, das ist ein andres«, sagte der Führer. »Hier wird's nun ein ordentlicher Holmgang, wie wir bei uns die ernsten Zweikämpfe nennen, die wir auf Eilanden ausfechten. Gebt Raum, ihr Kriegsleute, denn jetzt sehe ich wohl, daß hier ein echter Rittersmann vor uns steht, und steckt uns den Rund zum Gefechte ab. Du aber, fremder Degen, kannst du die Waffen unsres Volkes führen? Das ist eine Hauptsache, denn ich habe keine andern bei mir.« – »Siehst du mich für ein Knäblein an?« sagte Heerdegen. »Ein Kriegsmann, der so lange im Nordland umhergereist ist, als ich, wird doch wohl vor allen Dingen Nordlands Kampfessitte gelernt haben, und verstehn, eure großen Schilde zu schwingen, und eure gewaltigen Speere zu werfen.« – Da sorgte der Führer alsbald, daß schöne Harnische und Helme und Schilde herbeigeschafft wurden, und auch die besten Wurfspieße, die man im Schiffe fand, und ließ unter allen seinem Gegner die Wahl. – »Schwerter«, sagte er, »heiß ich dir nicht bringen, dieweil ja ein eignes an deiner Hüfte klirrt, und ein solches ist doch immer uns Fechtern der allerbeste und zuverlässigste Freund.«

Während sich nun Heerdegen mit der Beihülfe des normännischen Helden waffnete, sprach dieser: »Siehst du nun wohl, daß ich ein ehrlicher Ritter bin? Ich wußte nur anfangs nicht so recht gewiß, ob ich auch an Geburt und Kampfrüstigkeit meinesgleichen vor mir hätte. Sonsten, wenn du viel in den Nordlanden gereiset bist, kann es dir nicht unbekannt geblieben sein, daß wir Seeritter nicht nur zu siegen wissen, sondern zu schonen und den Gegner zu ehren auch.« »Ich weiß wohl«, entgegnete Heerdegen, »und in dieser Zuversicht rief ich dich um den Zweikampf an. Aber nun sage mir vor allen Dingen, Kampfgesell, ob dich die schöne Jungfrau mit dem Goldhorn und dem Ritterschwerte zur Rache gesandt hat, weil ich sie in dem Sammeln ihrer Kräuter und Beeren und Blätter gestört?« »Ich weiß nicht, was du mit deiner schönen Jungfrau willst,« antwortete der Seeritter. »Außer dem holden, zitternden Bilde dort, welches du deine Schwester nennst, weiß ich von keiner schönen Jungfrau weit und breit. Da mußt du mir ordentlich erzählen, was du damit meinst.« – Und kaum daß Heerdegen von der wunderbaren Erscheinung Bericht abgestattet hatte, so kehrte sich der Normann zu einigen Kampfgenossen, die in seiner Nähe standen, und rief aus: »Denkt einmal, Gerda ist hier gewesen, und kaum vor einer halben Stunde, und hat hier Zauberkräuter gesucht! Was mag das wohl bedeuten sollen?« – Die Befragten schüttelten unzufrieden und schweigend die Köpfe, und wurden, als sie eben ihre Meinung kundgeben wollten, daran verhindert, weil ein junger Kämpfer herangesprungen kam und sagte: »Ja, was ist hier zu fragen und zu besinnen! Wer sich noch bei den letzten Sonnenlichtern schlagen will, der mache schnell, und grüble nicht lange. Bleibt er leben, so hat er nachher noch Zeit zum Überlegen genug, fällt er, so steht ihm die Neugier nicht mehr an.« Und weil nun Heerdegen bereits vollkommen gerüstet war, auch einen Spieß und Schild sich ausgesucht hatte aus dem Haufen, schritten die zwei Fechter in das Rundteil hinein, welches die Geübtesten unter den Kriegsleuten indessen nach nordländischer Sitte genau abgemessen, und mit eingesteckten Haselruten bezeichnet hatten. Jeden der beiden Kämpfer führte ein eisgrauer Degenheld an seinen Platz, drückte ihm die Hand, sagte: »Halt dich gut!« und ließ sie dann einander gegenüber allein.

Die Speere hoch, die Schilde zur Deckung vor die Brust gehalten, begannen die Fechter langsamen, gemeßnen Schrittes in derselben Entfernung umeinander her zu gehn, immer an den Grenzen des Kreises hin, jeder eine Gelegenheit zum Wurf erspähend. Wohl bemerkte Bertha mit heißem Erbangen, daß ihrem Bruder dies fremde Gewaffen ungewohnt sei, daß er sich unter der Riesenwucht des Schildes unbeholfner als sein Widersacher bewege, und den ungeheuern Wurfspeer nur mühsam und prüfend ins rechte Gleichgewicht zu bringen wisse, dagegen der Seeritter sein Lanzengeschoß leicht, wie ein zieres Stäblein, in der Rechten schwang. Aber Mut und besonnene Freudigkeit am Kampf loderte zu gleichen Parten aus der beiden Streiter Augen. Wären die Lichter der Blicke Pfeile gewesen, die Ritter hätten allzwei durchbohrt auf den Rasen fallen müssen. Bisweilen schwang einer von ihnen den Speer, man mußte denken zum entscheidenden Fortschleudern, – dann aber war es nur ein Versuch gewesen, den Gegner zum übereilten Wurfe, oder zu irgend einer unvorsichtigen Wendung des Schildes zu locken, und fürder harrend und starr schritten sie ihren feierlichen Mordtanz umeinander herum. Da sausete plötzlich Heerdegens Speer durch die Luft, und zugleich drehte der Nordmann sein riesigleuchtendes Schild, wie einen wirbelnden Mond, fing das Geschoß mit der festen Mitte der Schutzwaffe auf, und schleuderte es so im Bogen geschnellt gegen den Werfer zurück. Und zugleich zischte auch seine Lanze fort und fuhr durch Heerdegens Schildrand mit so krachender Gewalt, daß sie den überraschten Fechter, eben da er zum Schwerte fassen wollte, mit sich zur Erde riß, den Schild in den rasigen Boden einpfählend. Noch eh' sich der Gesunkne davon losmachen konnte, war ihm der Seeritter gewaltigen Sprunges, wie ein geflügeltes Raubtier, auf dem Nacken, hielt ihm mit einem geschickten Griff beide Arme gegen den Rücken zusammen, und gewann gleich darauf mit der einen Hand des Schwertes Knauf, das er aus der Scheide riß, und weit über den Kampfesrund hinausschleuderte. Während dieses Ringens sang er mit lauter, fröhlicher Stimme:

»Hat den kräftigen Holmgang

Heiß gekämpft der Nordmann,

Kniet noch kaum sich regend

Fremder Kämpfer lautlos!«

Bertha aber sahe mit wachsendem Entsetzen, wie ihr Bruder erlag, sahe, wie die goldnen Geierflügel vom Helme des Siegers über das zornbleiche Antlitz Heerdegens hervorragten, und des gräßlich erfüllten Gesichtes im Zauberspiegel gedenkend, schrie sie laut auf: »O Geier, o mächtiger Geier, so schone des edlen Wildes!« – Da lächelte der Seeritter freundlich gegen sie empor, und sagte: »Ich tu' ihm nichts.« – Dann neigte er sich wieder zu Heerdegen, sprechend: »Du bist wehrlos. Willst du dich geben? Dann hast du's mit einem ehrlichen Feind zu tun.« – Heerdegen senkte in Beschämung und Ingrimm sein Haupt. Da ließ ihn der Nordmann los, ging lächelnd zu Bertha, und sprach: »Laßt es euch beide nicht gereuen, daß ihr mich eine Zeitlang begleitet auf meinen Fahrten durch die salzige Flut. Ich hab' Euch rühmlich gewonnen, und es ist für Euch und ihn nichts weiter, als hättet Ihr noch einen Bruder dazu. Der ist aber freilich der älteste, oder gilt doch dafür, und da müßt Ihr hübsch folgen, wie er's gebeut.« Dann kehrte er sich zu seinem Gefolg, und rief: »Boot heran! Segel bereit. Wir müssen heut noch viele Meilen schiffen beim Sternenlicht.«

Und noch war die Sonne kaum ganz hinab in die Flut, da fuhren die Geschwister schon mit der Flotte des Seeritters, – drei schnelle, wunderlich gebaute Fahrzeuge waren's, und sie mit ihm in demselben Schiffe, – auf und davon. Bertha aber stand auf dem Verdeck, und mußte bitterlich weinen, wie die Abendnebel am verschwindenden Ufer sich kräuselten, und mit ihren weißen Armen nach ihr zu fassen schienen, wie abgesandt von der verlassenen freundlichen Drude. »Ich käme ja gern, ich käme ja gern«, sagte sie leise unter ihren quellenden Tränen. »Ich kann ja nicht wieder zurück.« Eine weiße Taube flog girrend über sie hin, und die Küste verschwand in den Schleiern der Dunkelheit und des Meeres.

Einige Zeit, nachdem sich die letzterzählten Begebenheiten an dem Strande der Nordsee zugetragen, saßen Otto und Tebaldo in der Mitte des schönen Landes Frankreich unter den Schatten eines tiefdunkeln Forstes auf schwellendem Rasen beieinander. Die Sonne stand hoch am wolkenleeren Himmel, und schickte, ohne die Kühlung zu unterbrechen, nur heiter spielende Lichtlein durch das saftgrüne Laubengezweig. Die Rosse der beiden Gefährten graseten friedlich nebeneinander, denn des Ritters lichtbrauner Hengst hatte sowohl den gelben Polacken als dessen Herrn auf der langen Reise kennengelernt, und tat keinem von ihnen mehr etwas zuleide. Während nun Otto in ernsthaften Gedanken rückwärts gelehnt durch das Waldesgrün emporblickte nach dem Himmelblau, ergriff Tebaldo eine zierliche Mandoline, welche er immer mit sich zu führen pflegte, stimmte sie, und sang mit anmutiger Stimme folgende Worte zu seinem Spiel:

»Die Lande fliehn, die Reise schwingt die Flügel,

Im süßen Schwindel saust man durch die Lüfte,

Umkränzung immer neu, und nie Begrenzung!

Gehabt euch wohl, entschwundne Seen und Hügel,

Seid schön gegrüßt, ihr fern geahnten Düfte,

Einfassend ihr der Gegenwart Umglänzung!

O Wechsel, gaukelnd Kind der zart'sten Feien,

Führt endlos fort den lust'gen Lebensreihen!«

»Nein, ich kann dir dein Lied nicht nachsingen!« fuhr Otto aus seinem tiefen Sinnen auf, und Tebaldo entgegnete lächelnd: »Wer verlangt denn das auch von Euch? Singt ein anders. Die wenigsten Menschen können einerlei Lieder singen, kaum einerlei Lieder vertragen, weshalben es eben so viele Sänger und Dichter gibt, und geben muß.«

»Ich mag gar nicht singen«, sagte Otto. »Die Sehnsucht in mir überschwillt das holde Maß, in welchem sie ein tönend Meer des Liedes wird. Sag' mir, Tebaldo, ist es nicht unbegreiflich, daß man zwei so leuchtenden Gestalten, als Folko und Gabriele, zweien Namen, denen das ganze Frankreich zum Echo dient, noch immer vergeblich nachziehen kann, wenn man so lange und so eifrig bemüht ist, sie zu suchen, als wir?«

»Eben die vielen Spiegel, draus sie widerleuchten«, erwiderte Tebaldo lachend, »eben die zahllosen Echos, die von ihnen widerklingen, machen uns irre, und unsre Bemühungen zunicht. Sind die beiden nicht etwa schon ganz geworden, wie Erscheinungen aus der alten Sagenzeit, von deren wundervollen Taten jedermann erzählt, was ihm am wundervollsten vorkommt, und sich berechtigt glaubt, auf ihre Rechnung zu lügen, was er sich irgend erdenken kann? Sie sind gewissermaßen schon bei ihren Lebzeiten vergöttert, und eben deshalb auf Erden nicht mehr gut ausfindig zu machen.«

»Du willst mich zu lachen machen«, sagte Otto, »aber gib mir die Mandoline. Ich will doch lieber ein Lied singen.«

»Seht Ihr nun wohl?« sprach Tebaldo, ihm das Instrument hinreichend. »Ach ja, singt, lieber Ritter, singt. Gesang ist wahrlich der reinste Engel, der sich in unsre Welt herein verfliegt. Es müßte denn den Düften einmal einfallen, Paradies spielen zu wollen, die nehmen's wohl mit jenem auf.«

Otto rührte die Saiten und sang folgendes Lied:

»Vöglein dort im klaren Blauen,

Zeigt mir an

Rechte Bahn,

Wo sie führt zu meiner Frauen!

Ach, ihr fliegt so kreuz und quer

Irr umher,

Habt sie selbst noch nicht gefunden;

Bang' im Leib

Unterm bunten Federkleid

Tragt auch ihr der Sehnsucht Wunden.«

»Es ist seltsam«, sagte der Italiener, als Otto schwieg, »wenn Ihr deutsch redet und vollends etwas ungestüm, scheinen sich diese Bäume und Gräser und Gewässer ordentlich zu verwundern, ja wohl gar ein wenig zu erschrecken; aber so wie Ihr singt, ist alles wieder gut, und sie schauen ganz befreundet drein. Und seht einmal, was sie Euch jetzo gar, wie zur Belohnung, Wundervolles und Schönes bescheren wollen.«

Die Augen emporrichtend, sahe Otto, daß auf einem schlanken weißen Pferd ein junger Mann durch die Hainesschatten geritten kam. Er trug ein faltiges grünes Sängerkleid, und eine prächtige Goldkette darüber, an der ihm die blanke Zither vor der Brust herunterhing. Er spielte während des Reitens darauf, denn das Rößlein war so artig und wohlgezogen, daß es ordentlich den tiefer hängenden Zweigen aus dem Wege zu gehen suchte, damit sein Reiter nicht dadurch in seiner anmutigen Beschäftigung gestört wurde. Angekommen bei den Reisenden, fragte der Fremde: »Wart ihr es, die eben so ergötzlich gesungen habt?« Und auf Ottos höflich bejahende Antwort stieg er ab, sprechend: »So erlaubt, daß ich mich ein wenig zu euch setze. Gleich und gleich gesellt sich gern.« – Damit nahm er seinem Pferde das Hauptgestell ab, und ließ es über die frische Waldwiese hinlaufen. Alsbald kam Ottos Streithengst herbei, und stellte sich kampfheischend dem fremden Weidegesellen gegenüber, daß davor das zarte Tier erschrak, und Schirm suchend zu seinem Herrn zurücktrabte. Otto aber rief den zornigen Lichtbraunen mit strengen Worten an, und sogleich begab er sich ruhig zu dem Polacken, worauf denn des Sängers Rößlein wieder dreist ward, und sich in allerlei zierlichen Sprüngen auf dem Anger ergötzte.

»Wir ziehen vielleicht eines Weges«, sagte der freundliche Fremde, »ja ich hoffe es sogar stark. Denn wo ich jetzt einen geharnischten Ritter erblicke, kann ich mir immer nichts anders einbilden, als er reise nach Osten in das heilige Land.« – »Leider ist es mit mir nicht so«, entgegnete Otto mit einem flüchtigen Erröten, »aber es ist nicht meine Schuld. Ein gegebnes Wort treibt mich immer weiter gegen Abend fort, so sehr auch mein Herz der erquickenden Sonne des Orients entgegenschlägt.« – »Schade!« sagte der Sänger. »Es hätte hübsch sein müssen, in eurer Gesellschaft zu reisen. Aber so wie die Sache steht, habt ihr vollkommen recht. Gegebnes Wort ist heilig Pfand, und es wär' ein schlechter Gottesdienst, das Heiligste im Stich zu lassen, um dem Heiligen zu dienen. Wollt Ihr aber nicht für jetzt noch etwas singen?« – »Ich weiß nicht«, sagte Otto, »aber Ihr habt mir mit dem Gedanken an das Morgenland das Herz so schwer gemacht. Ich könnte jetzt nichts Ordentliches singen, oder doch wenigstens was Erfreuliches nicht. Viel lieber hörte ich von Euch ein Lied.« – »Ja«, sagte der Fremde, »ich weiß auch eben von nichts anderm zu singen, als vom Morgenland. Wenn Ihr mich aber hören wollt, so hört.« – Darauf schlug er die Saiten, und sang mit wundersüßer Stimme folgende Worte:

»Was bebt durch diese grünen Räume?

Was rauscht durch diese blaue Luft?

Was sagt ihr zueinander, Bäume?

Welch ferne Kunde bringst du, Duft?

Es klingt wie Jammer aus der Ferne,

Es hallt wie tiefer Seufzerlaut,

Es ist ein Weh, doch hört man's gerne,

Und hegt's, wie eine kranke Braut.

Ach Gott, wer hätt' es nicht verstanden,

In dem ein christlich Herze schlägt!

Seht ihr den Frevel in den Landen,

Wo man den Herrn ins Grab gelegt?

Die einen haben ihn erschlagen,

Die andern schwelgen um sein Grab;

Für jenes haben wir nur Klagen,

Für dieses Kling' und Lanzenstab.

Wenn Schmerzenlaut von dorther tönet,

Horch, wie von hier Trompete klingt,

Schau, wie mit rotem Kreuz verschönet,

Der Ritter sich in Bügel schwingt!

Sieh Wellen sich an Wellen schließen,

Und allesamt von blankem Stahl,

Den Speerwald sieh zusammenschießen,

Und jeder Zweig ist Gottes Wahl.

Wir wären lange schon gekommen,

Wir meinten's längst im Sinne gut,

Doch fehlt' es am Panier den Frommen,

Und blöd und einzeln schwieg der Mut.

Jetzt tönt ein freud'ger Sang von allen,

Steigt zuversichtlich himmelwärts;

Panier, Panier, wir sehn dich wallen,

Bist König Richard Löwenherz!«

Ottos Wangen brannten, er wäre um alles gern mit dem wunderbaren Sänger dem königlichen Kreuzpaniere nachgezogen in das Morgenland, und er wollte eben seinen Mund auftun, den Fremden zu befragen, ob er nicht etwa vernommen habe, daß der Freiherr Folko von Montfaucon mitziehe an das heilige Grab; dann wäre jede einzelne Fehde zur Ruh' bis nach der Fahrt, und ihr Weg und ihr Kämpfen gemeinschaftlich das Glorwürdigste und Seligste auf der ganzen Welt. Aber noch ehe er fragen konnte, trabten einige Kriegsleute durch den Wald heran, sprachen ehrerbietig mit dem Sänger, zäumten nach seinem Gebote das weiße Rößlein wieder auf, und alsbald ritt er mit ihnen, Otto und Tebaldo freundlich grüßend, durch das frische Gezweig davon. – »Wer war der Herr?« fragte Otto einen Kriegsknecht, der sich etwas verzögert hatte. – »Ei«, entgegnete dieser, »es ist der berühmte Meister Blondel, der beste Minstrel in allen englischen Landen, und König Richard Löwenherzens Busenfreund, deshalben er auch dem heiligen Lande zureiset mit unserm großen Heere. Der hat uns ihn als Begleitung zugeordnet, wenn der Meister unterweges hin und her zieht, in freundlicher Neubegier, wie es der edlen Sänger heitre Weise ist. Gehabt euch wohl, ihr Herren!«

Und damit sprengte er dem lustigen Zuge nach, den man noch fernherüber durch den Wald scherzen und singen hörte.

»Kommt es dir nicht vor«, sagte Otto nach einem langen Schweigen zu Tebaldo, »als ob uns fast immer die besten Freuden und Kräfte des Lebens nur hohnneckend ins Gesicht sähen, ohne uns jemals den Weg zum rechten Genusse zeigen zu wollen? Oder, weil du so gar verdrießlich zu meinen Worten aussiehst, laß mich lieber die Sprachweise verändern, und statt: uns sagen: mir. Es ist doch ein ordentlich boshaftes Spiel, daß ich nun heute erblicken muß, und ganz nahe bei, was mir das Allerschönste und Höchste dünkt auf der ganzen Welt, und daß mich dennoch ein fremdes Treiben an der Kette meines heiligen Wortes so unaufhaltsam abwärts reißt.«

»Ich hätte im Grunde mehr zu klagen, als Ihr«, entgegnete auf eine ziemlich mürrische Weise Tebaldo. »Denn seht nur an, mein edler Herr, wenn Ihr törichte Versprechungen getan habt, habe ich sie meines Wissens nicht mitgetan, und wäre jetzo doch sehr gern nach Jerusalem hinausgezogen.«

»Verlasse mich nur immer, Tebaldo,« sagte Otto weichmütig, »ich habe viel verlassen, und muß deshalben schon gut daran gewöhnt sein.«

Da sah ihn Tebaldo sehr freundlich an, und sprach gerührt: »Nein, Gott bewahre mich vor dergleichen. Aber laßt die Lamenten sein, und seht wieder hinauf ins Himmelblau. Wie da Wolke und Zweig und Vogelflug durcheinander spielt! Ich dächte, es müßte Heilkraft für alles Weh der Erden aus dem freudigen Gewimmel herunter regnen.«

Otto schaute empor, und sprach: »Du hast recht; auch mir vertreibt nichts besser das Grämeln, und alles Nichtsnutzige, als der Hinaufblick in die rege, sonnenblaue Halle über uns.«

Und wie nun die Jünglinge schon eine geraume Zeit auf den Rasen hingestreckt lagen, die Augen nach dem klaren Himmelsmantel gerichtet, siehe, da zog ein wunderbar schöner Edelfalk, wie ein Schnellsegler im Wolkenmeer, freudig über sie fort, in solcher Höhe, daß die schon tiefer stehende Sonne ihm Schwingen und Leib von unten mit ihrem leuchtendsten Glührot bestrahlte. Freudig fuhr Otto auf, und rief und lockte nach Jägerweise das ritterliche Tier. Aber der Falk schwebte nicht zu ihm herab. Wohl sahe man, daß er sein Rufen vernahm, und eines edlen Waidmanns Stimme erkannte, denn er zog seine luftigen Bahnen wohlgefällig um den Jüngling her, doch auf ein Locken, fernher aus dem Forste, schlug er seine Schwingen rüstig zusammen, und schoß mit Pfeilesschnelle nach jener Gegend hin. Man sah, er hatte den rechten Meister gehört. – »Ich bin froh, daß er fort ist«, sagte Tebaldo, »mir ist nichts mehr in der Seele zuwider, als so ein räubrischer Kerl mit krummgebognem, hakenartigem Schnabel, mit gräßlich funkelndem Auge, mit den spitzbübischen Krallenfingern an seinen Beinen. Wie könnt Ihr nur irgend Lust an ihm finden?« – »Wie du es sagst«, entgegnete Otto, »könnte man sich jegliches Tier zum Abscheu machen. Ich aber hege alle Tierchen gern; und vollends so ein Falke! So klug und treu!« – »Klug ist der Teufel auch«, sagte Tebaldo, »und wenn Ihr das Treue nennt, sich mit seinen spitzen Krallen überall fest anzuhäkeln, so kann er das eben so gut.« – »Du bist wohl noch nie auf eine Falkenjagd mitgeritten?« fragte Otto. – »Es gehört zu den Vorurteilen des Ritterstandes«, entgegnete Tebaldo, »dergleichen für eine Ergötzlichkeit auszugeben.« – »Nein, sage das nicht«, rief Otto aus, »ein Leben ist's, wie auf Himmel und Erden zugleich: über uns der geflügelte Jäger, unter uns ein windschnell jagendes Roß, durch die grünen Matten dahinwirbelnd, gedreht von der Eil das wolkige Zelt, der Lüfte freudiges Rauschen durch unser Haar, der Gesellen jubelnder Waldruf um uns her – und endlich bannt der zaubrische Falk seinen Feind, und in Kreisen wogt und schwebt und leuchtet er über ihm, und nun, und nun« –

Tebaldos Bogen klang, und Otto, aus seiner Rede aufgeschreckt, blickte umher, da schwebte eben der Edelfalke taumelnden Flugs, einen Bolzen in der Schwinge, stark blutend und ganz wie ohnmächtig nach der andern Seite des Waldes davon. – »Wer hieß dich verletzen, was mich freut?« rief der junge Ritter flammenden Blicks. – »War es denn Euer Falke?« fragte Tebaldo. »Und wenn Ihr die Tierlein alle gern hegt, wie Ihr vor kurzem spracht, so solltet Ihr froh sein, daß mein Schuß ein armes, scheues Gefieder errettet hat, welches sich jetzt eben vor dem hochmütigen Räuber in jenen Gebüschen barg.« »Du bist nicht zum Richter gesetzt über des Adlers Reich«, sagte Otto mißmutig, worauf Tebaldo entgegnete: »Doch immer eben so gut, als Ihr oder ein andrer zum Jäger darin.«

Die jungen Männer aber wurden in ihrem beginnenden Streit durch die Dazwischenkunft eines Dritten gestört.

Auf schlankem silbergrauem Roß, in prächtiger Jagdkleidung, ein helles silbernes Jägerhorn an der Hüfte, hielt ein edler Waidmann von jugendlich schönem Ansehn unvermutet vor den beiden. Im selben Augenblicke, wo Otto den blutenden Falken an des Fremden Brust gelehnt erblickte, ward auch dieser das Geschoß in Tebaldos Hand gewahr, und wandte sich, man konnte wohl sehen mit mühsam gedämpfter Zornesglut, von dem Reisigen weg an den Ritter, sehr höflich sprechend: »Messire, wenn es Euch gefällt, Eure Leute in meinem Forste jagen zu lassen, so mutet Ihr freilich meiner Gastlichkeit nicht minder zu, als sie ganz von selbsten geneigt ist, jeglichem edlen Reisenden angedeihen zu lassen, aber ich muß Euch sehr bitten, in Zukunft ein so ritterliches Tier zu verschonen, als dieses hier.« Dabei streichelte er den wunden Vogel sehr zärtlich, und sagte ihm zwischendurch einige schmeichelnd beruhigende Worte, worüber er auch Ottos Entschuldigungen überhörte, die freilich nicht auf das beste zusammenhingen, weil der junge Ritter sehr verstört war, sowohl durch des schönen Falken Verletzung, als durch das wunderliche Betragen Tebaldos. Diesen aber hatte der Zwiespalt mit seinem Gefährten und der nicht zu Ende gesprochene Streit nur störriger gemacht; er trat keck vor den fremden Jäger hin, und sagte: »Es hat niemand anders den Vogel geschossen, als ich, und niemand anders hat auch darum Rede zu stehn.« – »Zurück, Tebaldo!« rief Otto. »Du scheinst nicht zu wissen, was du getan hast, den Forstbann eines edlen Herrn verletzend, und obendrein an einem so herrlichen Tiere.« – »O ich weiß, ich weiß schon!« erwiderte der erhitzte Italiener. »Die Fürsten und Ritter haben die Erde sich einander in kleine Stückchen abgeteilt, die ihnen ausschließend gehören, und wo jeder andre Mensch der ihm von Gott verliehenen Rechte über die Tiere des Feldes und über noch manches andre heilige Erbgut verlustig gehn soll. Verlustig gehn soll! sagte ich, ihr stolzen Herrn; versteht mich wohl, nicht eben immer verlustig geht. Denn wo meinesgleichen eintreffen, da hat es mit euern ärmlichen Gesetzlein soviel nicht zu sagen, und was Milano im ganzen tut, vermag jedweder Milaneser im einzelnen auch: die angeborne, rechte Freiheit behaupten, trotz Kaiser und König, trotz Herzog und Graf. Jetzt will ich mir hier noch einige Vögel schießen.« – Und damit machte er seine Armbrust von neuem zurecht. – »Ihr habt da einen sonderbaren Reisigen, Messire«, lächelte der fränkische Herr. Aber Otto, an der Wurzel seines ganzen ritterlichen Lebens verletzt, hatte schon die Armbrust mit unversehrter Stärke aus Tebaldos Hand gerissen, sie im Augenblicke zerbrechend, zertretend und ihre Stücke über die Wiese hin auseinanderstreuend. – »Das heißt ja nun wohl, in lautbare Worte übersetzt, ganz vollkommen: Ade?« fragte Tebaldo erbittert, und als sich der Ritter unwillig von ihm abwandte, ging er finster auf seinen Polacken zu, ihn aufzäumend und sattelnd. Der Streithengst trabte gleichfalls mit lustigem Wiehern heran, aber Tebaldo wehrte ihn ab, sprechend: »Ja, du willst mich wohl noch, aber dein Herr will mich nicht mehr, und so kannst du dich auch deiner Wege scheren.« – Der vielfach beleidigte Otto rief seinem Hengst, rüstete ihn, saß auf, und nahm mit großer Freundlichkeit die Einladung des edlen Jägers an, ihn auf sein naheliegendes Schloß zu begleiten, um dort in zahlreicher Rittergesellschaft alles Ärgers über diesen wunderlichen Vorfall zu vergessen. Tebaldo saß auch schon zu Roß, und ritt langsam und traurig fort, während Otto und der Fremde nach der entgegengesetzten Richtung aufbrachen. Da wieherten der Lichtbraune und der Polack, und wollten nach einander hin, aber ihre Reiter trieben sie den eingeschlagenen Weg entlängst, obgleich sie es selbst nicht lassen konnten, sich mit großer Wehmut nacheinander umzusehen.

Schon war Otto eine gute Strecke neben dem Fremden fortgeritten, da trabte es plötzlich hinter ihnen, und umschauend sahen sie, daß es Tebaldo war, der jedoch sein Roß anhielt, so wie nur Ottos Blick auf ihn traf, und mit einer ihm ganz ungewohnten Demut in deutscher Sprache ganz leise sagte: »Herr, ich glaube, ich hatte unrecht, und ich will gerne wieder mit.« – Da streckte Otto beide Arme nach ihm aus, und Tebaldo flog jubelnd heran, und während die Gefährten sich herzten und drückten, wieherten der Lichtbraune und der Goldgelbe lustig darein.

Als nun alle dreie mitsammen weiter ritten, gab der edle Jäger seine Freude über diese Versöhnung in recht innigen Worten zu erkennen, und sagte, es lohne wohl der Mühe, daß braver Ritter so bravem Reisigen was zugut halte, denn solch ein Bund halte manch Dutzend andrer Bündnisse, und sei es auch zwischen König und König, aus. Darauf fing er an, von seinem Falken die artigsten Dinge zu erzählen, und von den Falken überhaupt, und wie sie älter würden, als hundert Jahr, und man auf goldnen Halsbändern solch edler Tiere noch bei ihren Lebzeiten gefunden hätte, daß sie schon längst verblichner großer Helden Eigentum gewesen wären, und wie sie nach ihrer Herren Fall oft Land und Meer weitaus umzogen, wild bleibend, bis sie einen neuen Herren fänden, der des alten würdig sei. Tebaldo befreundete sich darüber ganz mit diesen ritterlichen Vögeln, und gab seine Reue, den edlen Flügeljäger eines solchen Herren verletzt zu haben, ganz unverhohlen kund.

In den ersten ruhigen Augenblicken aber hatte Otto alsbald bemerkt, daß der fränkische Waidmann der Freiherr Folko von Montfaucon sei, während dieser freilich in dem stattlichen, reichgeharnischten Rittersmann jenen vorlauten Knappen vom Donaustrande mit keinem Gedanken wiedererkennen konnte.

In Herrn Folkos Schloß, bei der lustigen Abendtafel, saßen viel edle Ritter von mancherlei Völkerschaften beieinander, und sonst auch andere Männer an Geist und Leben frisch, unter denen Tebaldo seine Stelle geziemend fand. Er sprühte bald in seiner italischen Lustigkeit zum Vergnügen der ganzen Gesellschaft auf, und ward vorzüglich durch einen seiner Landsleute, den man Graf Alessandro Vinciguerra nannte, wohlgefällig bemerkt, während Otto ganz still und schweigsam dasaß, nach dem ersten Erstaunen, welches seine hohe, schöne Gestalt und sein glänzend ritterlicher Aufzug geweckt hatte, von allen übersehn. Als die Becher schneller kreisten, und mit feurigem Weinen gefüllt, fiel man darauf, die gesellige Lust durch das Erzählen allerlei bedeutsamer Geschichten zu erhöhen. An Stoff konnte es unter so weit und rühmlich umhergefahrnen Rittern, unter so edlen Meistern in mancher Kunst, nicht fehlen, und alle baten gemeinsam den Hausherrn, daß er den Anfang machen sollte. – »Es dient dem Wirte nicht zur Entschuldigung«, sagte Folko, »daß er nur schlechte oder mittelmäßige Blumen in seinem Garten hegt; genug, wenn seine edlen Gäste ihrer begehren, und somit nehmt hin, was ich zu spenden vermag.«

»So wird mehrern unter euch nicht unbekannt sein, daß mein Haus in den Gebirgen von Norwegen seinen Ursprung hat, und wir dorten noch viel der edlen Verwandten zählen. Von da aus landeten meine Ahnen erobernd auf der fränkischen Küste, drangen erobernd ein in den Bezirk, welcher noch heutzutage Normandie geheißen ist, und brachten unter vielen wunderlichen Sagen auch folgende mit: Ein alter, weitberühmter Held hatte ein holdes Töchterlein, die war Schön-Sigrid geheißen, man sprach in allen nördlichen Landen von ihr, und sie hatte der Werber viel. Außer ihrer Schönheit war sie auch noch glänzend durch ihre seltne Kunde in allen anmutigen Weiberkünsten, und in allem Wissen, dem erfreulich heitern sowohl, als dem geheimen, zaubrischen, welchem sich die Frauen jener Gegenden gern ergeben. So wußte sie vor allem gut einen Trank zu bereiten, welcher, vorsichtig genossen, den Kämpfer mit unerhörter Kraft und Freudigkeit beseelt, ja ihn jeder andern als einer gefeieten Waffe unverletzbar macht. Es soll der Frauen, dieses seltsamen Trankes kundig, noch manche bis auf diese Stunde in den Nordlanden geben, ja, das Geheimnis desselben in einem Zweige unsers Stammes da oben erblich sein.

Nun sagte der alte Held einmal zu seiner Tochter: ›Schön-Sigrid mach dich auf, und geh in den Wald hinaus, und pflücke Beeren rot und Blätter grün. Ich brauche morgen deinen Trank, denn ich ziehe fort in eine heiße Schlacht.‹ – ›Mit wem, Vater, habt Ihr's denn?‹ fragte Schön-Sigrid; und der alte Held entgegnete: ›Mit Hakon Swendsohn, dem jungen Recken, der mich wohl einst in allen Nordlanden überfliegt, wenn ich den kühnen Aar nicht niederzwinge, bevor er noch all seine Kräfte hat. Zudem, weißt du wohl, ist er uns aus einem feindlichen Stamme.‹ – Und Schön-Sigrid zog hinaus in den abendlich dunkeln Wald, einsam, wie es die zaubrische Weise der Trankesbereitung gebot.

Felsen auf und Felsen ab, über die Ufer der Waldströme hin, die leichtgeworfne Fichtenstämme nur kaum verbanden, durch manches finstre Tal, und an manchem schaurigen Abgrund entlängst zog Schön-Sigrid fort, und hatte nun all ihre Kräuter zu dem seltsamen Tranke gefunden, da sah sie im schon hereingebrochenen Nachtdunkel umher, und stand an einer ganz unbekannten Waldesstelle einsam und verloren da. Sie hatte wohl nach den Blumen und Kräutern gesehn, aber nicht nach den Sternen, und so hell daher auch diese am Himmel funkelten, konnte sich dennoch Schön-Sigrid aus ihrem heimlich stummen Wegweisen nicht vernehmen. Wie sie nun noch so zögernd vor sich hinschaute, rasselte es, durch alle Zweige brechend, im nahen Forst, und kaum, daß sie aufschauend eines schwarzen Bären gewahrte, der aufgerichteten Leibes, in gräßlich menschlicher Nachäffung brüllend auf sie losgeschritten kam, so schwirrte auch schon ein Wurfspeer über sie hin, und gleich darauf wälzte sich der Bär in seinem Blute den nahen Felshang hinab. Anmutig lächelnd trat ein junger Kampfheld zwischen dem Gezweig hervor, und erbot sich, das holde Mägdelein, welches sein Lanzenwurf eben errettet, sicher nach Hause zu geleiten. Aber Schön-Sigrid weinte bitterlich, denn all ihre Zauberkräuter und Blumen waren im Schreck ihrem Schleier entfallen, das Pflücken von ähnlichen mußte, den Zaubergesetzen nach, von vorne wieder beginnen, und hoch schon stand der Mond, und fremd und unheimlich war der Jungfrau die Gegend. – ›Suche du und pflücke du nur immer fort‹, sagte der junge Kampfesheld. ›Auch weiß ich wohl, daß man dabei ganz einsam bleiben muß und ungestört. Da zieh ich denn weit um dich her, du schönes Lieb, die sichernde Runde, daß niemand dich hindern soll, und ehe es Morgen wird, geleit' ich dich heim in deines Vaters Felsenburg. Suche nur, schöne Maid, o suche recht emsig nach!‹ – Und zwischen dem Gesträuche verschwand der junge Recke, Schön-Sigrid aber suchte fürder mit großer Lust und Zuversicht, und wenn sie in dem fremden Forst ein ängstlicher Schrecken befallen wollte, fühlte sie sich alsbald wieder ermutigt und erquickt, wie das Klirren der Goldrüstung, welche der junge Ritter trug, fernher durch das Gesäusel der Blätter beschützend herüberklang.

Da war sie endlich fertig mit dem Sammeln der Kräuter, und gedachte nun, sie alsbald in einem goldnen Fläschlein zu kochen, das sie bei sich trug, und so den wunderbaren Trank leichter und sicherer nach Hause zu bringen. Ihr erster, leisester Wink rief ihren Beschützer herbei, und kaum, daß er ihr Begehr vernommen hatte, so trug er schon Reisig und Äste zusammen, und im Hui loderte, des Mägdleins Gebote zufolge, die Flamme lustig durch den gründunklen Forst gegen den einsamen Nachthimmel empor. Aber das Kochen des Zaubergebräues währte lang, und als es nun endlich zustande war, fing wieder Schön-Sigrid bitterlich zu weinen an, denn sie fühlte wohl, daß sie den langen Heimweg nicht mehr unverzüglich zu beginnen imstande sei.

›Schlaf sicher, holde Maid‹, sagte darauf der Kriegsheld, ›ich werde dich schon bewachen, und dich auch wecken zur rechten Zeit.‹ Und aus seinem Mantel und vielem zusammengetragenen Moos bereitete er ihr ein weiches, warmes Lager, und als sie mit scheuem Blicke davor stand, wich er alsbald in die finstersten Schatten des Haines hinein.

Sie erwachte soeben in den Lichtern des Morgenrots vor dem Geruf einiger Kriegshörner aus der Weite, da stand der junge Held wieder neben ihr, und sagte: ›Du mußt machen, daß du nach Hause kommst, denn was von dorten bläst, sind Hakon Swendsohns Hörner, die rufen deinen Vater zur Schlacht. Nimm deinen Trank schnell auf, und komm.‹

Und da führte er das Mädchen durch wunderliche Schleifwege des Forstes bis dicht vor ihres Vaters Burg. Als sie nun dorten von ihm Abschied nahm, wollte sie gern seinen Namen wissen. – ›Ich bin Hakon Swendsohn‹, sagte er, ›und weiß recht wohl, daß du Schön-Sigrid bist, des alten Helden Tochter, und daß du den Trank im Gebirge gesucht hast und gebraut zu meinem Verderben. Aber ich bin schon gar zu lange in dich entbrannt gewesen, Schön-Sigrid, und die Feindschaft unsrer Geschlechter schlägt mir jedwedes Hoffen zu Tod. Nun will ich recht gerne sterben vor deines Vaters rühmlicher Klinge, und wohl bekomm' ihm der Trank.‹

Obzwar nun Hakon sich mit diesen Worten in das Dickicht hinein machen wollte, zu seinen Scharen zurück, ließ dennoch Schön-Sigrid nicht eher ab, als bis er ihr auf die Burg ihres Vaters nachkam. Da erzählte sie, was ihr widerfahren war, die beiden Feinde nahmen einander ihre Waffen ab, und Hakon Swendsohn und Schön-Sigrid wurden ein glückliches Paar.«

Die Gesellschaft hatte ihre Freude an der Geschichte, und ein edler Meister der Malerei sagte: »Die Spiele des Lichtes sind immerdar und überall ein holder Gruß; wo sich aber ein Regenbogen zwischen dräuenden Gewitterwolken gestaltet, geht erst die allerbeste Freude auf. So auch vor tiefen Blicken der Liebe und Mildigkeit, aus den raschesten Gegenden des Nordens erschossen. Das frohe Erstaunen, die Süßigkeit der Überraschung traten mit der Lust an den heitern Gebilden in einen erquicklichen Bund.« – »Ihr habt recht, mein edler Meister«, sprach der Graf Alessandro Vinciguerra, »wenn Ihr den Anblick der Rose wunderbarer nennt in den Nordlanden, als zum Beispiel in unsern blütenüberfüllten italischen Gärten. Aber überraschen können uns die edlen Blumen der Ritterlichkeit und feinen Sitte bei jenen Normännern nicht, ich meine uns, die wir die Normandie gesehn haben, und deren hohe Söhne und holdselige Töchter kennen.«

Verschiedne aus der Gesellschaft hatten sich indes an einen Mann von schönem Wuchs und sonnegebräuntem Antlitz gewandt, der ein Spanier war, Don Hernandez geheißen, und ihn gebeten, eine Geschichte aus seinem Vaterlande zu erzählen. Viel Wunderbares müsse dorten geschehen, hieß es von allen Seiten, in einer so reich erblühenden Gegend an Schönheit und Rittermut, und wo die christlichen Schwerter beständig wehrhaft ständen gegen sarazenische Heeresmenge und Schlauigkeit und furchtbare Pracht. Hernandez bat um eine Laute. Er wollte seine Geschichte lieber singen, als erzählen, sagte er. Es geschah nach seinem Begehren, und die Saiten mit großer Lieblichkeit rührend, sang er folgende Worte.

»Don Gayseros, Don Gayseros,

Wunderlicher, schöner Ritter,

Hast mich aus der Burg beschworen,

Lieblicher, mit deinen Bitten.

Don Gayseros, dir im Bündnis,

Lockten Wald und Abendlichter.

Sieh mich hier nun, sag' nun weiter,

Wohin wandeln wir, du Lieber?«

»Donna Clara, Donna Clara,

Du bist Herrin, ich der Diener,

Du bist Lenk'rin, ich Planet nur,

Süße Macht, o wollt gebieten!«

»Gut, so wandeln wir den Berghang

Dort am Kruzifixe nieder;

Wenden drauf an der Kapelle

Heimwärts uns, entlängst die Wiesen.«

»Ach, warum an der Kapelle?

Ach, warum beim Kruzifixe?« –

»Sprich, was hast du nun zu streiten?

Meint ich ja, du wärst mein Diener.«

»Ja, ich schreite, ja ich wandle,

Herrin ganz nach deinem Willen.« –

Und sie wandelten zusammen,

Sprachen viel von süßer Minne.

»Don Gayseros, Don Gayseros,

Sieh, wir sind am Kruzifixe,

Hast du nicht dein Haupt gebogen

Vor dem Herrn, wie andre Christen?"

»Donna Clara, Donna Clara,

Konnt' ich auf was anders blicken,

Als auf deine zarten Hände,

Wie sie mit den Blumen spielten?«

»Don Gayseros, Don Gayseros,

Konntest du denn nichts erwidern,

Als der fromme Mönch dich grüßte,

Sprechend: ›Christus geb' dir Frieden‹?«

»Donna Clara, Donna Clara,

Durft' ins Ohr ein Laut mir dringen,

Irgend noch ein Laut auf Erden,

Da du flüsternd sprachst: ›Ich liebe‹?«

»Don Gayseros, Don Gayseros

Sieh vor der Kapelle blinket

Des geweihten Wassers Schale!

Komm und tu' wie ich, Geliebter!«

»Donna Clara, Donna Clara,

Gänzlich muß ich jetzt erblinden,

Denn ich schaut' in deine Augen,

Kann mich selbst nicht wiederfinden.«

»Don Gayseros, Don Gayseros,

Tu mir's nach, bist du mein Diener,

Tauch ins Wasser deine Rechte,

Zeichn' ein Kreuz auf deine Stirne.«

Don Gayseros schwieg erschrocken,

Don Gayseros floh von hinnen;

Donna Clara lenkte bebend

Zu der Burg die scheuen Tritte.

Hernandez ging mit einigen wehmutsvollen Griffen in einen anderen, dunkleren Ton über, und sang darauf folgendermaßen weiter:

Nächtens klang die süße Laute,

Wo sie oft zu Nacht geklungen,

Nächtens sang der schöne Ritter,

Wo er oft zu Nacht gesungen.

Und das Fenster klirrte wieder,

Donna Clara schaut' herunter,

Aber furchtsam ihre Blicke

Schweifend durch das tau'ge Dunkel.

Und statt süßer Minnereden,

Statt der Schmeichelworte Kunde

Hub sie an ein streng Beschwören:

»Sag, wer bist du, finstrer Buhle?«

»Sag, bei dein und meiner Liebe,

Sag, bei deiner Seelen Ruhe,

Bist ein Christ du? Bist ein Spanier?

Stehst du in der Kirche Bunde?«

»Herrin, hoch hast du beschworen,

Herrin, ja, du sollst's erkunden.

Herrin, ach, ich bin kein Spanier,

Nicht in deiner Kirche Bunde.

Herrin, bin ein Mohrenkönig,

Glüh'nd in deiner Liebe Gluten,

Groß an Macht und reich an Schätzen,

Sonder gleich an tapferm Mute.

Rötlich blühn Granadas Gärten,

Golden stehn Alhambras Burgen,

Mohren harren ihrer Kön'gin,

Fleuch mit mir durchs tau'ge Dunkel.«

»Fort, du falscher Seelenräuber,

Fort, du Feind!« –Sie wollt' es rufen,

Doch bevor sie Feind gesprochen,

Losch das Wort ihr aus im Munde.

Ohnmacht hielt in dunklen Netzen,

Ihr den schönen Leib umschlungen.

Er alsbald trug sie zu Rosse,

Rasch dann fort im nächt'gen Fluge.

Abermals wechselte Hernandez den Ton, und begleitete mit feierlichen, kirchenmäßigen Gängen die nachfolgenden Worte:

An dem jungen Morgenhimmel

Steht die reine Sonne klar,

Aber Blut quillt auf der Wiese,

Und ein Roß, des Reiters bar,

Trabt verschüchtert in der Runde,

Starr steht eine reis'ge Schar.

Mohrenkönig, bist erschlagen

Von dem tapfern Brüderpaar,

Das dein kühnes Räuberwagnis

Nahm im grünen Forste wahr!

Donna Clara kniet beim Leichnam

Aufgelöst ihr goldnes Haar,

Sonder Scheue nun bekennend,

Wie ihr lieb der Tote war.

Brüder bitten, Priester lehren,

Eins nur bleibt ihr offenbar.

Sonne geht, und Sterne kommen,

Auf und nieder schwebt der Aar,

Alles auf der Welt ist Wandel

Sie allein unwandelbar.

Endlich bau'n die treuen Brüder

Dort Kapell' ihr und Altar,

Betend nun verrinnt ihr Leben,

Tag für Tag und Jahr für Jahr,

Bringt verhauchend sich als Opfer

Für des Liebsten Seele dar.

Die Klänge der Zither verhallten in langsamen Schwingungen, voll ernster Wehmut starrten die Hörer vor sich hin.

Hernandez unterbrach das Schweigen zuerst. Mit einer sehr anmutigen Höflichkeit sagte er: »Ich würde mich anklagen müssen und verdammen zugleich, ihr edlen Ritter und Meister allzumal, daß ich mit meinen ernsten Kunden euer fröhliches Fest so trübsinnig unterbrach, hättet ihr nicht selbsten eine Geschichte aus meinem Vaterlande begehrt. In meinem Vaterlande sieht es aber sehr ernsthaft aus zu dieser Zeit, denn wo Christen und Heiden mit einander aufs Leben kämpfen, sitzt oftmals die Wehmut am Ruder, und nicht minder oft auch der Tod.«

»Es bedarf der Entschuldigung nicht«, entgegnete der Freiherr von Montfaucon, »meint Ihr denn nicht, wir flöchten gern auch dunkle Blumen in unsern Kranz? Gottlob, wir Franken sind nicht zu solchen Possenreißern entartet, daß wir den edlen castilischen Ernst verkennen oder gar scheuen müßten, und überhaupt, wer unter den anwesenden Herrn aus manchen europäischen Landen schöpfte nicht gern vom tiefen Born des Dichtens und des Lebens, der in der glühenden Pyrenäenhalbinsel quillt?«

»Ihr sprecht gütig von uns«, sagte Hernandez, »und wir hoffen dessen nicht unwert zu sein. Aber dem sei wie ihm wolle, vor allzuvielen dunklen Blumen erbleicht des Kranzes Zier. Eine recht helle Feuerlilie dazwischen täte Not, und ich müßte mich sehr irren, wenn nicht eine solche fröhliche Blüte auf den Lippen des edlen Grafen Vinciguerra im Aufsprossen wäre.«

»Hispanier und Italier bieten einander leicht die Hand«, sagte Graf Alessandro, »und wenn es euch so gefällt, will ich euch meine Geschichte gern erzählen.«

»In der prächtigen Stadt Napoli, welche man sowohl ihrer Lage als ihrer Herrlichkeit nach eine rechte Sonnenstadt heißen darf, lebte vor einiger Zeit ein tapfrer, weitberühmter, aber schon ziemlich bejahrter Kriegsmann von großem Stande und Vermögen, mit Namen Dimetri. Weil er sich nun auf sein höchst mühseliges Leben ein höchst erquickliches Alter zu verschaffen wünschte, sammelte er alle mögliche Herrlichkeiten jener reichen Lande um sich her, an Teppichen, Früchten, Weinen, Schildereien, Bildsäulen, und was es nur irgend Ergötzliches geben mochte, und das Schönste von dem allen war ein junges Weib, Madonna Porzia, welches er sich aus einem der edelsten Geschlechter heimgeführt hatte. Damit zog nun freilich zugleich eine große Unruhe in sein Haus, denn wie sittig, mild und gefügsam auch Madonna Porzia sich betrug, so ließ dennoch ein Bewußtsein des eignen greisen Haares und des nicht mehr lieblichen Wesens dem guten alten Mann mit eifersüchtigen Gedanken wenig Frieden.«

»Empfand aber der große Unruhe, so empfand sie Messer Donatello, ein junger Edelmann von allgemein beliebten Sitten, ritterlicher Schönheit und zierlichem Wesen, noch größer; denn seit er Madonna Porzia einstmalen in der Messe – anderwärts ließ sie der besorgliche Dimetri niemals ausgehen – erblickt hatte, konnte er an nichts andres mehr gedenken, als an ihre zaubrische Gestalt. Auch nahm er sich vor, auf alle Weise ihrer Minne teilhaftig zu werden, oder sein Leben darum zu lassen. Nicht aber fing er es an, wie manche törichte Jünglinge, welche durch Botschaften aus dem Munde schwatzhafter Gesandtinnen, oder durch ein tägliches Vorbeireiten und Vorbeirennen und Grüßen in vollem Schmuck und Glanz, oder durch aufgedrungne Geschenke und sonst dergleichen Unvorsichtigkeiten ihre Geliebten mit Todesschrecken vor den eifersüchtigen Männern erfüllen, und selbst daran Schuld sind, daß gar kein Raum in den zarten Herzen für die Liebe mehr übrig bleibt; vielmehr betrug er sich dermaßen klug und besonnen, daß die schöne Porzia seiner Liebe zwar ansichtig ward – wie denn ein Blick in einem andern hellen Blicke leichtlich Feuer schlägt – zugleich aber wohl wahrnehmen konnte, Donatello halte der Herrin Sicherheit und Glück unendlich höher, als seine Wünsche.

So geschah es denn, daß sie endlich selbst einen Weg ausmittelte, ihm auf sichre Weise für seine Bewerbungen und die Zartheit, mit welcher er sie unternehme, Dank sagen zu lassen, und nach mehrerm Hin- und Hersenden konnte sich endlich Donatello die Gewährung seiner glühendsten Sehnsucht versprechen, wenn es ihm nur gelinge, erst überhaupt Eintritt in das Haus der schönen Herrin zu gewinnen.

So viel Gefälligkeiten, als seit dieser Zeit dem alten Kriegsherren Dimetri durch Donatello widerfuhren, waren ihm wohl Zeit seines ganzen erfahrungsreichen Lebens noch im Pausch und Bogen nicht begegnet, und das auf eine so geschickte Weise, daß dennoch nie eine absichtliche Zudringlichkeit dabei sichtbar ward. Was aber dem Jünglinge bei der holden Porzia sehr behilflich gewesen sein mochte, war ihm bei dem alten Dimetri sehr hinderlich; die große Schönheit nämlich, in welcher er vor allen seines Alters hervorleuchtete. Ohne diese hätte wohl Dimetri schon längst einen so behaglichen und ergötzlichen Gesellen in seine Wohnung eingeladen, aber jetzt erschien ihm das Wagestück noch immer zu furchtbar, und so freundlich er auch beständig gegen Donatello blieb, so blieb Donatello doch auch seinerseits immer beständig vor der Tür. – Der junge Verliebte hatte schon einen bedeutenden Teil seines Vermögens in Gefälligkeiten für Dimetri aufgewandt, und war noch immer seinem Ziele um keinen Schritt näher gekommen. Da gedieh endlich bei ihm zum Plan ein Gedanke, welcher bisher nur Träumerei gewesen war, der Wunsch nämlich, Dimetri möge doch bald in eine große Lebensgefahr geraten, und er, ihn errettend, sich seines Zutrauens und seiner Freundschaft unwiderruflich bemächtigen. Er bestellte einige Meuchelmörder, welche den alten Kriegsherrn an einem entlegnen Orte unversehens überfallen mußten. Sobald aber in dessen scheinbar größter Gefahr Donatello herbeieilte, ließen sich die erkauften Bursche von dem Jünglinge nach verstelltem Widerstande in die Flucht jagen. Das Spiel ward täuschend gespielt, Dimetri glaubte sich durch Donatello gerettet, dankte ihm aufs ernstlichste, aber seine Schwelle blieb verschlossen nach wie vor; ja er zeigte sich seitdem mürrischer und unzufriedner, als jemals sonst.

Das hing aber also zusammen. Den Glauben, Madonna Porzia könne ihn, einen alten, in allen Künsten des Gefallens unbeholfnen Mann nicht eben lieben, suchte Dimetri vor sich selbsten niederzustreiten, indem er sich alle seine, in Wahrheit berühmten und sehr außerordentlichen Kriegstaten ins Gedächtnis rief, und zu gleicher Zeit auch dasjenige, was große Dichter über die Liebe der schönen Frauen zu Kriegshelden gesagt hatten. Dabei ermangelte er nicht, der jungen Dame alle seine Kämpfe und Begebenheiten recht lebhaft vorzuerzählen, auch ihr Bücher in die Hände zu spielen, worin mancherlei davon geschrieben stand. Aber es kam ihm doch immer vor, als höre und lese sie dergleichen mit keiner andern Bewegung, als sie die Historien vorlängst zu Staub gewordener Helden las, und er hätte schon längst die veralteten Ehren durch irgend einen neuen Kriegszug wieder aufgefrischt, seiner schwächlichen Gesundheit ungeachtet, nur daß ihm die Eifersucht nicht gestattete, sich so lange von Porzias Seite zu entfernen. Wenn er dann bisweilen im Hofe seines Palastes junge Rosse vorführen ließ, oder Armbrüste herbeibringen, um die Geschicklichkeiten seiner vielbewunderten Jugend vor der jungen Schönen zu üben, so fühlte er nur allzuwohl, wie wenig er jetzt in diesen Übungen glänze, und eine gewisse ängstliche Besorgnis dabei in Madonna Porzias Blicken sahe mehr nach der Angst einer Tochter aus für ihren gebrechlichen Vater, als nach der Besorgnis eines Weibes für ihren wagehalsigen Gatten. – Wie mußte nun erst das sieglose Kämpfen mit den Meuchelmördern, und die Rettung aus ihren Händen durch den Arm eines so zierlichen Jünglinges, das Herz des alten Kriegeshelden verwunden! Er machte sich mehr und mehr von Donatello los, und an dessen Einführung in sein Haus war auf keine Weise mehr zu denken.

Mit so vielfach verfehlten Hoffnungen konnte zuletzt bei dem Gemüte des jungen Verliebten die Geduld nicht mehr bestehen. Zwar hielt ihn ein Schimmerlicht dereinstigen Gewährens noch immer gegen Dimetri mild und freundlich, aber für alle andre Leute in der Stadt ward er ein wahrer Plageteufel, vermeinend, wenn ihm sein bestes Wünschen mißlinge, dürfe auch niemand sonst zu dem seinigen gelangen. So geschah es denn endlich, daß er, wie ehemals von ganz Napoli geliebt und gepriesen, jetzo von ganz Napoli gehaßt ward und verwünscht, und endlich einige junge Männer, die er allzuoft feindselig verhöhnend auf ihren Wegen gekreuzt hatte, sich kurz entschlossen, ihm aufzulauern, um ihn, wo nicht zu ermorden, doch wenigstens dermaßen zu verwunden, daß er auf immer eine Scheu vor seinen eignen Neckereien bekommen sollte. Er fiel eines Abends in die Schlinge, denn weil er nicht umhin konnte, wenigstens bei Nacht in der Nähe jener geliebten Wohnung umherzustreifen, war es leicht, ihn dorten zu fassen, und so tapfer er sich auch verteidigte, brachten ihm Überraschung und Mehrzahl des Feindes dennoch bald zwei bedeutende Wunden bei.

Da hörte der alte Haudegen aus seinem Palaste das Rufen und Waffenklirren der Kämpfer, und in der Begier, vor sich selbsten und seiner schönen Madonna Porzia den Orlando zu spielen, gürtet er sich, und läuft, sein großes Schlachtschwert in beiden Händen, hinaus. Mochte er nun, also zum Kampf vorbereitet, wirklich noch ein furchtbarer Fechter sein, oder tat der Schrecken bei Donatellos Gegnern das beste, – genug sie flohen vor dem alten Hünengebilde, und Donatello war errettet. Da schwand dem triumphierenden Sieger jede mögliche Bedenklichkeit aus den Augen. Als eine Trophäe brachte er den geretteten Freund zu Madonna Porzia herein; ließ nicht eher ab, bis sie die Pflege des Verwundeten selbst übernahm, und weil Donatello seinen Vorteil gut genug verstand, um in Dimetris Gegenwart von nichts anderem gegen Madonna Porzia zu sprechen, als von der Heldentat ihres Gemahls, und alle dessen Fechterkünste, und bedrohliche Stellungen, und unerhörte Wagstücke mit endloser Beredsamkeit auseinandersetzte, blieb er auch nach seiner Genesung der unwandelbare Hausfreund. Dimetri fand ihn oftmals allein mit seiner Frau, aber jeder aufsteigende Verdacht schwand zusammen, weil er immer dabei die Geschichte seiner Heldentat von Donatello erzählen, von Porzia bewundern hörte.

Man kann aus dieser Geschichte lernen, daß die Klugheit eines Menschen wenig über das Gemüt eines andern vermag, daß aber, wenn sich der Narr in unsers Gegners Brust einmal für uns erklärt, unser Spiel auch ganz von selber gewonnen ist.«

Es wurden viel Stimmen über die Begebenheit des alten Kriegsherrn Dimetri und des jungen Messer Donatello laut, und man hörte bald den Verliebten wegen seiner klugen Verschwiegenheit und Zurückhaltung preisen, bald Madonna Porzia loben, daß sie ein so feines Werben zu verstehen und zu würdigen gewußt habe, bald wieder alle Personen der Geschichte, selbst den Dimetri miteingeschlossen, glücklich nennen, weil ja doch jedem ein lang gehegter Wunsch erfüllt worden sei; kurz, man wußte des Lachens und der mannigfachen Bemerkungen kein Ziel zu finden.

Herr Folko von Montfaucon ließ während dessen die freundlich leuchtenden Augen mit achtsamer Wirtlichkeit um die Tafel kreisen, und weil es ihm vorkam, als sitze Otto in trüben und verdrießlichen Gedanken da, vermeinte er, ihn aufzuheitern, und ihn der Gesellschaft bekannter zu machen, indem er sagte: »Mein edler deutscher Gast, Ihr hört, wie man bald dies bald jenes an der Geschichte des Grafen Alessandro lobt; was dünkt nun Euch das Preisenswürdigste dabei zu sein? Und findet Ihr's am Ritter oder an der Dame?«

Mit dunkelglühenden Augen, mit tiefer Stimme und einem strengen Aussehen, das seltsam gegen die witzige Lustigkeit der Gesellschaft abstach, erwiderte Otto: »Ich weiß nicht, ob an solchem Ritter oder an solcher Dame auf irgendeine Art das mindeste zu preisen sein kann. Wenn Ihr mich frügt, bei welchem von beiden das Abscheulichste, Schmachwürdigste und Teufelmäßigste zu finden sei, hätt' ich wohl eher eine Antwort, und auch alsdann würde mir die Wahl schwer fallen! Pfui! Hat über all ihr Verdienst der rühmliche Kriegsheld die glatte Puppe gewählt, hat seine Ehr' in ihre Hand gelegt, ihr vertrauend, daß sie den edlen Friedensabend seines tapfern Lebens mit frommen Lichtern der Lieb und Herzigkeit und Treue bestrahlen werde, und sieht die schlechte Kreatur von ihrer hohen Bestimmung weg nach leckern Buhlen aus! – Pfui! Mag es dem zierlich nichtstuerischen Burschen gelingen, daß ihn der alte Held gern um sich hat – eine Ehre, davor einem rechten Kerl das Herz aufhüpfen müßte vor Lust – und braucht er's nur, ihm seine Fallen desto listiger zu stellen! Gibt sich mit Meuchelmördern ab! Warum nicht lieber gar mit Giftmischern auch! Und endlich rettet ihn der alte Kampfesfürst im Ernst, wie er's mit jenem frevelhaft gespielt, braucht treu und brav für ihn, vielleicht zum letztenmale, das ruhmgekränzte Schwert, und statt vor Scham in die Erde zu sinken – erlaßt mir, liebe Herrn, die Müh, es weiter auseinanderzusetzen. Ich habe schon länger hingeschaut, als es gesunden Augen zuträglich sein mag.«

Es war still geworden an der Tafel, auf vielen Wangen brannte eine hohe Schamröte, von der sich auch der Graf Alessandro Vinciguerra übergossen fühlte. Doch gedachte er sich daraus hervorzureißen, sprechend: »Ihr nehmt die Sache zu streng, mein edler alemannischer Ritter. Aus Euerem Gesichtspunkte mögt Ihr recht haben, aber verurteilt und verdammt mir nicht meine glühenden Landsleute von Eurer Seite der Alpen herüber, wir sind anders als ihr, darum muß es auch anders zugehn bei uns, als bei Euch.« – »Gibt's denn Gesichtspunkte, oder wie Ihr's nennen wollt, in solchen Dingen?« fragte Otto, »ich weiß doch gewiß, man will auf jener Seite der Alpen ebenso ungern zur Hölle fahren, als auf unsrer; und zur Hölle führt der Weg, den Eure Geschichte lehrt, darauf könnt Ihr Euch verlassen.

Es lag bei diesen Worten ein Ernst, ein Fernsinn alles Bösen, und zugleich eine stille Kindlichkeit auf Ottos Zügen, wie man es wohl auf Engelköpfen altdeutscher oder altitalischer Meister antrifft; ein leiser Schauer, eine Ahnung der maßlosen Ewigkeit zog durch die Versammlung, der stolze Vinciguerra brachte kein Auge mehr vom Boden. Hernandez hingegen war unbemerkt aufgestanden, und hatte sich hinter Ottos Stuhl gestellt. Er klopfte ihm freundlich auf die Schulter, und sich umwendend, traf der junge Ritter auf einen freudig liebevollen Lichtstrom aus des Castiliers Augen.

Nach einem langen Schweigen erhob sich der Freiherr von Montfaucon von seinem Sitze, und sprach zu dem jungen Deutschen: »Herr Ritter, Ihr habt uns allesamt beschämt, aber Ihr habt uns auch allesamt auf den rechten Weg geholfen, denn Ihr klangt es heraus, wie eine reine Kirchenglocke, was Christ und Ritterschaft gebeut. Nehmt meinen inbrünstigen Dank; ich erkenne Euch für das edelste Juwel in dieser Burg.« Und damit neigte er sich ernst vor ihm, und alle die Ritter und Meister standen auf und taten das gleiche.

Ottos Wangen leuchteten hell in sittiger Verlegenheit. – »Liebe Herren«, sagte er, »ich denke, ihr neigt euch vor dem lieben Gott und nicht vor mir, und so ist es denn sehr gut. Wär' es anders, ich unbedeutender Ritterjüngling dürft' es ja nimmermehr verstatten.«

»Wir bitten um Euern Namen, edler Herr«, sagte der Freiherr, »und um die Geschichte Eueres Lebens.«

»Daß mein Leben erst noch eine Geschichte bekommen wird, und welche es bekommt«, erwiderte Otto, »liegt mit auf Euerm Schwertgriff, mein edler Wirt. Gedenkt Ihr noch des Knappen am Donaustrande, zur Stund', als Ihr den starken Grafen Archimbald von Walbeck fälltet? Ich habe nun die goldnen Sporen, und die drei flachen Klingenschläge auch.«

»Wohl, Ritter, und Ihr kommt nach Gabrielens Ring?« fragte Montfaucon. – Mit höflich bejahender Verbeugung senkte Otto sein Haupt. – »Zu Euern Diensten«, sagte Folko freundlich, und fuhr dann, zu der Gesellschaft gewendet, fort: »Ihr Herren, der junge deutsche Ritter hat euch keine Geschichte erzählt, aber er wird euch eine sehn lassen, wenn ihr ihm und mir die Ehre erzeigen wollt, uns Morgen auf eine meiner Burgen in der Normandie, wohin ich die wunderschöne Gabriele von Portamour einladen will, zu begleiten, und dorten unsre Kampfeszeugen zu sein.« – Er sagte darauf, wie er mit Otto früher bei der Veste Trautwangen zusammengetroffen sei, und was jetzt zwischen ihnen bevorstehe, zugleich auch, daß die Burg, wo man nun vor Gabrielens Augen fechten wolle, der Hauptsitz jener Herrschaften sei, auf welche der bestrittene Ring ein ausschließliches Recht erteile, so daß die schöne Herrin nicht zögern werde, sich dorten einzufinden. Alle Anwesenden hatten schon die Einladung angenommen, da ging Otto mit bescheidner Anmut im Kreise umher, dankend, daß eine so hohe Versammlung zuschauen wolle, wie seine fast tatenlose Jugend durch einen Kampf mit dem großen Folko von Montfaucon geehrt werde. Jedes Herz schlug dem freundlichen Jüngling entgegen, und Alessandro Vinciguerra küßte ihn herzlich, ausrufend. »Wahrhaftig, wenn das Schicksal meinen Übermut mit einem strengen Hofmeister und Prediger dämpfen wollte, konnte es mir doch in der weiten Welt keinen lieblichern und treuherzigern zusenden, als diesen hier!«

Mit den frühesten Strahlen des andern Morgens brach die ganze zahlreich edle Gesellschaft nach der Normandie auf. Es war schön anzusehen, wie sie bald durch blühende Fluren, bald durch schattende Laubgänge oder Holzungen, bald über hellgrasige Wiesen miteinander dahin ritten, Kriegsleute und gelehrte Männer und geputzte Diener in glänzender Mischung, zwischendurch auf Saumrossen viel reiches Gepäcke und leuchtende Decken mit Gold- oder Silberfransen drüber. Zu den herrlichsten Gestalten gehörte Graf Alessandro Vinciguerra, der die vielfach bunten Farben seines Stammschildes von einem seidengewürkten Wappenrock prächtig durch die Luft hinstrahlen ließ; köstliche Perlenschnüre schlangen sich durch das farbige Spiel, und bildeten in mannigfachen Schwingungen bald artige, bald kriegrisch-kühne Sinnsprüche. Was aus den reichen Gewanden und Decken an Schienen und Platten hervorblickte, war vom reinsten, goldeingelegten Stahl, Federn von zahllosen Farben gaben sich auf des Grafen Barette den Winden zum Spiel, oder wallten ihm majestätisch den schlanken Rücken hinunter. Seltsam stach dagegen der edle Spanier Hernandez ab. Er hatte es sich nach Reisemanier bequem gemacht, und zog auf einem wunderschönen, sehr zierlich geschmückten Maultiere einher, keine andre Waffen zur Hand, als ein zierlich geformtes Schwert und eine kleine, glänzende Tartsche, beide an den samtbezogenen Sattel seines Tieres gehängt. Unfern von ihm aber führte ein Knappe den schnaubenden andalusischen Streithengst an goldnen Kettenzügeln, ein andrer auf einem Saumroß so herrlich leuchtendes Rittergewaffen, und so schön geordnetes, als man sich es nur irgend denken mag, den geschloßnem Helm mit seinen gewaltig wogenden Reiherfedern hoch oben darauf gebunden.

Der tapfre Freiherr und Otto ritten meist immer nebeneinander in mannigfache Gespräche vertieft, und sich gegenseitig mit jedem Augenblicke lieber gewinnend. So waren auch Folkos Silbergrauer und Trautwangens Lichtbrauner verträglich miteinander, so wenig dieser sonsten Friede mit fremden Rossen hielt. Von dem, was die edlen Feinde zusammen besprachen, sei es vergönnt, folgendes aufzuschreiben.

»Ich meinte kaum, Euch mehr in Frankreich zu finden«, sagte Otto einmal. »Am heiligen Grabe, dachte ich, müßten wir zusammentreffen, oder doch mindestens auf dem Wege dahin. Denn schlagen nicht alle großen Herzen Europas dem seligen Magnetsteine zu, welcher in der Grabesnacht, umwogt von heidnischen Gottlosigkeiten, seinen stillen, aber gewaltigen Zug zur Befreiung aussendet durch alle Welt? Und Euer Herz, mein hoher Widersacher, schlägt gewißlich mit den allerbesten in der Christenheit gleichen Takt. Wie ist denn Eure Schulter nicht rot bekreuzt?«

»Weil nicht nur der Heiland an seinem Grabe Fechter braucht«, entgegnete Montfaucon, »sondern auch mein König in seinem blühenden Reiche Barone. Eben weil mein edler Herr selbsten mit hinauszieht in die Morgenlande, begehrt er und gebeut, daß meinesgleichen zurückbleiben sollen, ihm den Erdengarten Frankreich zu hüten, während er den Gottesgarten Palästina erobert. Die Mohren in Spanien sind ja nicht so gar fern von hier, auch durch keinen Meeresarm von uns getrennt, und wenn sich tapfre kastilische Degen dawider anstemmen, müssen wir entweder unser edles Bollwerk verstärken helfen, oder uns selbsten vorkommen, wie müßige Feiglinge. Ich denke nächstens dorthin zu ziehen, mit dem tapfern Hernandez in Gesellschaft, und es kann sein auch mit Euch, dafern ich im Kampfe erliegen und ihn dennoch überleben sollte, denn als Sieger werdet ja auch Ihr ein französischer Vasall.« – Otto sah ihn fragend an, und der Freiherr fuhr fort: »Ich dachte, Ihr wüßtet schon, daß die schöne Gabriele von Portamour dem, welcher ihr den wundersamen Ring erstreitet, ihr wunderholdes Selbst als Eigentum verheißen hat. O wie Euch nun die Augen funkeln, Ihr hoffender Kämpfer!« – In der Tat leuchtete Ottos Seele von nie geahnter Freude, und doch mußte er wieder mehr als je an seinem Siege zweifeln, zweifeln, ob er leben werde bis zum Tage des Gefechtes, weil jenes Glück in allzu überraschender Herrlichkeit ihm entgegenstrahlte. Folko schien eine rechte Freude an der Begeisterung des Jünglings zu haben, und sah ihn wieder zugleich mit einer tiefen Wehmut an, vielleicht weil er bedenken mochte, daß den jungen Ritter diese Heldenglut eben jetzt seiner furchtbaren, schon manchem Gegner tödlichen Lanzenspitze entgegentreibe. Da suchten beide in unterschiedlichen Gesprächen zu vergessen, daß sie einander bald auf Tod und Leben zu treffen hatten, und als Otto den Freiherrn befragte, was er denn eigentlich von dem wunderbaren Ringeskleinod wisse, gab ihm dieser in folgenden Worten Kunde:

»Der Ring ist ein Erbteil meines Stiefvaters, eines sehr gewaltigen Kriegshelden, welcher Messire Huguenin geheißen war, und am Hofe unsers Königs in einem hohen Ansehn stand. Obgleich er als ein Fremder in das Land gekommen war, einige sagten vom Osten, andere vom hohen Norden her, hatte er sich doch viele große Lehen im Reiche zur Belohnung seiner tapfern Kriegstaten erworben, und zwar mit so uneingeschränktem Besitz, daß er sie hinterlassen durfte, wem er wollte, sei es Fräulein oder Ritter. Bei allen Festen des Hofes glänzend, war er in eine schöne Jungfrau entbrannt, der Tochter eines der ersten Häuser, hatte sich ihr verlobt, und ihr den wunderbaren Ring verheißen, welchen er mit aus den nordischen Wunderlanden gebracht haben soll, geheimen Zaubers stark. Auch sollte dies Kleinod der Besitzerin als Pfand gelten, auf die in Frankreich errungenen Lehen. Man will sogar das Fräulein mit dem köstlichen Goldreife bereits an Festen haben prunken sehn, doch kehrte er noch immer wieder in die Hände Messire Huguenins zurück.

Er reiste um diese Zeit in die Normandie, um seine schönen Burgen das erstemal zu sehen, und diese lagen dicht am Stammsitze unsres Hauses, wo meine Mutter einsam lebte, einzig beschäftigt, mich zu einem wackern Ritter, des Namens der Montfaucon nicht unwürdig, zu erziehen, und in ihrem verlaßnen Stande um so bedrängter, da ihre, es schien unverwelklich blühende, Schönheit noch immer die huldreichsten und jüngsten Frauenblumen des Landes überstrahlte, und von vielen, ihr allesamt lästigen Freiern nachgesucht ward. Ich erinnere mich noch wohl, wie der herrliche Messire Huguenin das erstemal auf unser Schloß geritten kam, wie mein ganzes Herz an der fürstlichen Gestaltung hing, und wie er so ritterlich artig, so fern und doch so sittig vertraut mit der Mutter sprach; denn ich war schon ein Knabe von mehr als zehn Jahren, und wohl fähig, den Unterschied zwischen ihm und unsern andern Nachbarn wahrzunehmen. Wenn ich nachher bisweilen so glücklich gewesen bin, edlen Frauen nicht zu mißfallen, mußt' ich mir immer sagen, daß ich die beste Sitte von Messire Huguenin erlernt habe, ohne dies Musterbild adligen Wesens doch je vollkommen erreichen zu können. Auch meiner schönen Mutter war er höchst anmutig und bedeutend gewesen, so wie dagegen ihre himmlische Erscheinung ihm jede andre Verbindung, als die mit ihr, unerträglich machte. Seine erste Sorge war nun, sich von dem frühern Verhältnisse mit jenem Fräulein loszuwinden, und die Scheu vor der Gunst des Königs gegen Huguenin sowohl, als vor des Ritters tapfern Arm zähmte die Verwandten der Dame dergestalt, daß alles im tiefen Frieden abging, der Ritter seinen Ring behielt, und meine Mutter erst lange nachher, als sie schon Huguenins Gattin war, das erste von dieser Verhandlung erfuhr.

Willig hatte die schöne Wittib ihr Leben und Glück, und was ihr weit höher am Herzen lag, die ritterliche Erziehung ihres Sohnes, dem ruhmvollen Messire Huguenin anvertraut. Wie die beiden erstgenannten, köstlichen Kleinode bei ihm aufgehoben sein mochten, weiß ich nicht, denn so herrlich die Rosenzeit seiner Liebe blühte, so kurz blühte sie auch. Kaum etwas über zwei Jahr, während welcher meine Stiefschwester Blancheflour, ein Abbild alles Huldreizes der schönen Mutter, geboren ward, lebte der prächtige Ritter Huguenin in unsrer Burg; dann zog er auf die See hinaus, und kam nimmermehr wieder. Zum besten seiner Seele und seiner Ehre laßt uns denken, ihn habe irgendwo ein schneller rühmlicher Tod erreicht. Meine Mutter vernahm nie wieder etwas von ihm, und je mehr er während jener kurzen Verbindung ihr Glück erhöht hatte, je sichrer zog er jetzt ihr schönes Leben in seine Dunkelheit nach. Wenige Jahre zehrte der Gram an ihrer Gesundheit; dann sank sie schmerzlich lächelnd in ihr stilles Grab.

Das andre Pfand, mich selbst und meine ritterliche Bildung, hatte er ehrlich bewahrt. Ernst und liebevoll, hoch und freundlich, einer winkenden Feuersäule vergleichbar, schritt er immer vor mir her. Des Tages über sprach er wenig mit mir, aber er zeigte mir in Waffenübung und Jagen und Reiterstücken desto mehr Treffliches und Ermunterndes. Des Abends quollen die Sagen und Geschichten uralter Zeit reichlich von seinen stolzen Lippen zu mir hernieder; wenig oder keine Ermahnungen dazwischen, aber er erzählte so, daß immer der Geist und die Schöpferkraft der Taten in freudiger Lieblichkeit dastand, mir gleichsam die Hand hinhaltend, daß ich einschlagen sollte zum glänzenden Bund. Und das tat ich denn im Herzen um so inniger, da ich wohl wußte, es erzähle mir das alles ein gewaltiger Held, der vielfach nicht mindere Dinge vollbracht habe, als die, von welchen er sprach. Ich war ihm auch, – das darf ich wohl ohne Prahlerei sagen, – in den zwei Jahren gut nachgewachsen, weshalb er mich am Abend vor seiner Abfahrt mit in sein Zimmer nahm, hinter uns abschloß und sagte: ›Folko, ich ziehe hinaus; auf wie lange, weiß Gott; mag sein, auf immer. Deine Augen sagen mir schon die Bitte an, daß ich dich mitnehmen soll in Kampf und Sieg, aber das geht nicht, weil ich dich noch zu was Höherm berufen habe. Du sollst mir hier bleiben, als Schirmvogt deiner Mutter und der kleinen Blancheflour, denn zählest du gleich nur dreizehn Jahr, so bist du doch an Geisteskraft und Waffenfertigkeit um ein halb Dutzend Jahre älter. Dazu hast du mich lieb, und die arme kleine Blancheflour auch. Die sollst du nun schützen bei dem wunderbaren Ringeskleinod, welches ich ihr hinterlasse, und das man ihr – ich sehe es voraus – von mancherlei Seiten her anfechten wird. Aber laß du es ihr nicht nehmen, mein junger Leue von Montfaucon, und sorge auch, wenn ihr beide größer werdet, daß sie dereinst deines Hauses Namen führen möge, denn der des meinen, zwar groß und gewaltig, ist nicht so bekannt hier im Reich, und rauscht fremd und unbehülflich in fränkische Ohren. – Willst du mir nun das alles versprechen?‹ – Ich schlug stolz und freudig ein, und habe mit Gott mein Wort ehrlich gehalten bis auf den heutigen Tag. – Messire Huguenins frühre Verlobte heiratete nachher den Ritter Portamour, und ward Gabrielens Mutter. Darauf hörte die schöne Gabriele, früh zur elternlosen Waise geworden, durch ihre Vormünder viel von ihren Rechten auf den Ring, nach welchem ihre arme Mutter in der Todesstunde gerufen haben soll, als nach einem ihr verlobten, teuern Eigentum, und da nahm das viele Fechten darum seinen Beginn. Wenn es Gottes Wille und Euer gutes Glück so ist, nimmt es heute oder morgen vielleicht sein Ende; denn seht, die Türme der Burg, wohin ich meine schöne Feindin geladen habe, ragen bereits über die Baumwipfel hervor.«

In einem frischen Buchenwalde, am Fuße des Schloßberges, hatte die Gesellschaft unter den breitschattigen Ästen Halt gemacht, um der anmutigen Herbstluft zu genießen, die abendlich durch die Waldung hinzog, während ein vorausgesandter Knappe nach der Burg hinaufeilte, die Ankunft des Herrn und seiner edlen Gäste zu verkünden. Aber kaum noch, daß man von den Rossen gestiegen war, und die Becher gefüllt hatte, so kam auch der Bote schon wieder eilig zurück, meldend, Fräulein Gabriele von Portamour seie bereits eingetroffen in der Burg, und auf ihr Begehr habe Fräulein Blancheflour, als die Wirtin des Kastells, befohlen, Vesperbrot und Abendessen hier unten im Forste zu bereiten, auch bewege sich der Zug, welcher die edlen Frauen geleite, schon den Hügel herab. Wirklich sah man es durch das Gezweige leuchten von blanken Waffen und silbernen Gerätschaften und reichen Gewanden. Der Freiherr von Montfaucon wandte sich an Don Hernandez und an den Grafen Vinciguerra bittend, daß sie einstweilen an der Spitze der ritterlichen und sangeskundigen Genossenschaft die Damen empfangen möchten. »Denn«, sagte er, »es ziemt sich, daß wir zwei Kämpfer zierlich und geschmückt vor der schönen Gabriele erscheinen, mehr, als es uns Reise und Überraschung jetzt im Augenblick gestatten würden.« – Und so schritt er mit Otto ein kleines Talgesträuch hinab; Tebaldo und ein Knappe des Freiherrn folgten.

Die jungen Degen wappneten und schmückten sich mit Eile und Fleiß. Sorgfältig wurden die Platten und Schienen abgerieben und geglättet, die Riemen fester geschnallt und versteckt, die Federn der Helmbüsche geordnet, die Feldbinden ausgestäubt und zierlicher umgelegt. Als beide ihre Helme auf die Häupter setzten, sahe Folko den jungen Ritter staunend an. – »Nun erst mit dem Adlervisier«, sagte er, »wird mir es recht kund, was mir an Eurer schwarzsilbernen Rüstung so wunderlich vorkam und doch so bekannt. Ist das nicht der Harnisch des Grafen Archimbald von Walbeck?« Und auf Ottos bejahende Antwort, fuhr er fort: »Ich werde Euch einmal bitten, mir ausführlicher zu erzählen, wie Ihr junge Ritterblume in dieses strenge Gewaffen hineinkommt, und Euch dagegen berichten, wieviel Seltsames ich vom Kämpfen mit einem silberschwarzen Adler geträumt habe. Der flog immer von Deutschland her den Rhein herüber, und pflückte mir mit bissigem Schnabel in einem Kranze, der auf meinen Scheiteln saß. Wenn ich dann vor meinem eignen Sträuben erwachte, sagte ich zu mir selber: Du müßtest an heiße Kämpfe mit Graf Archimbald von Walbeck glauben, doch den bindet ja sein Wort und schließt ihn vom Ringesabenteuer aus. Aber nun ist der Adler dennoch schlagfertig da. Folgt mir, mein junger Aar, die Damen warten. – Und alsbald schritten die beiden ritterlichen Genossen Hand in Hand den Abhang wieder hinauf.

Durch den Kreis, welchen oben holde Frauen und edle Herren und Meister geschlossen hatten, leuchtete Gabrielens Schönheit so wunderbar, daß Otto, seines Entscheidungskampfes und des seligen Preises bewußt, die Augen demütig zur Erde sinken ließ. Folko trat gegen das schöne Fräulein Portamour heran, sprechend: »Nie würd' ich es mir verzeihen, als ein saumseliger Wirt später zu erscheinen, denn ein so holder Gast, wenn es nicht noch unentschieden stände, wer hier Wirt und Gast überhaupt verbleiben soll. Wär' es Euch gefällig, so hielte sich dieser tapfre junge Deutsche, die Streitfrage zu entscheiden, bereit.«

Gabriele warf einen seltsamen Blick auf Otto. Es war bald, als zweifle sie an seiner jugendlichen Unerfahrenheit und am Erfolg, bald wieder, als gelte ihr eben diese Jugend und Arglosigkeit für einen helfenden Engel. – »Wart Ihr nicht jener Jüngling am Donaustrand?« – »Das war ich«, entgegnete Otto mit -leiser Stimme, »und stehe nun hier, mein Gelübde von damals zu lösen.« – Gabriele sah wohlgefällig, aber, wie es schien, noch immer zweifelnd auf ihn hin. Da trat Ritter Montfaucon wieder herzu, sprechend: »Dame, wollet diesen edlen Herrn zu Euerm Kämpfer erkiesen. Ich stehe nicht eben in dem Ruf, ohnmächtige Widersacher zu begehren. Diesen in den Schranken mir gegenüber hätt' ich gern.« – Und alsbald zog Fräulein Gabriele den zierlichen Handschuh von der schwanenweißen Hand, knüpfte ihn an Ritter Trautwangens Feldbinde fest, und sagte: »Mein Recht und meine Hoffnung bind' ich an Euer tapfres Schwert.« Dann mit gesenkter Stimme setzte sie hinzu: »Und Gabriele wird des Siegers Dank.« – Er gedachte zu antworten, da girrte es neben ihm, wie zarter Turteltaubenlaut. Und aufblickend sahe er eine wunderholde Gestalt an Ritter Folkos Schulter gelehnt, eine Gestalt, in der er nach der Beschreibung Fräulein Blancheflour erkannte, und nun von Herzen alles glaubte, was ihm der Freiherr von der unverwelklichen Schönheit seiner Mutter gesagt hatte. Blühte ja dieser Huldreiz noch über das Grab her in die Welt herein! Blancheflour aber neigte sich demütig gegen Gabriele, und flüsterte: »O, eine Bitte, edle Maid! Ich habe nur den einen, einen Bruder, und soll er denn bis an sein Lebensende für mein Ringlein fechten? Und nimmer ich des jungen Helden mit Gewißheit froh sein? O, laßt doch den jetzigen Zweikampf für immerdar entscheiden. Erliegt mein lieber Bruder, Herrin, ach, so ist der Ring ja Euer. Drum, wenn Eu'r Kämpfer fällt, so laßt auch Euern Anspruch fallen, ein für allemal. O bitte! Ihr seid der Großmut allzuvoll, um fort und fort so gar ungleiches Spiel zu spielen.« – Man konnte wohl sehn, daß Gabriele ein ernstes Streiten mit sich selbst bestand. Zuletzt aber schaute sie freundlich in die Höhe, und sagte: »Es sei! – Herr Ritter«, fuhr sie fort, gegen Trautwangen mit einer Mischung von Würde und Ängstlichkeit gewandt, »nun liegt mein ganzes Wohl und Weh in Eurer Hand und in Euerm kühnen Herzen.« – »O darf ich denn nicht noch in dieser Stunde fechten?« fuhr der begeisterte Otto auf. – »Nicht also«, sagte Gabriele ernst. »Ich kenne die Rüstung, die Ihr tragt, sehr wohl. Vielleicht ist sie bestimmt, in meinem Dienst mein frühres Unheil wiedergutzumachen, vielleicht, es zu vollenden. Doch wenn ich damals eilig war, zu dem unheilvollen Rennen, so will ich mich heute zügeln. Drum morgen, um die Mittagsstunde, fechtet auf dem Burgplatz. Und bis dahin von all den ernsten Angelegenheiten nichts. Vielmehr, – wenn ich hier irgend um etwas bitten darf – so gehe Fest und Spiel in sorgenfreier Lust vor uns auf.«

Folko neigte sich, und alsbald hatte er die Gesellschaft mit anmutiger Leichtigkeit unter den grünen Laubgewölben geordnet. Weine und Speisen wurden in köstlicher Mannigfaltigkeit umher gereicht, und dazu bald von dem, bald von jenem anmutige Lieder gesungen. Da erhob sich vielfach die Bitte, Fräulein Blancheflour möge das Lied von Abælard und Heloise mit irgendeinem der edlen Meister singen. Sie suchte sich dazu einen Jüngling von ihres Bruders Gefolge aus, der Meister Aleard geheißen war, und ihr Wechselgesang begann in folgenden Worten:

Blancheflour

Ȇber Wald und Flur und Wiese

Streut der Abend Blumen aus;

Eine nennt man Heloise,

Doch die welkt allein im Strauß.

Klostergarten

Hält im harten

Zwinger dieses Blümleins Pracht;

Kann nicht fliegen,

Muß erliegen,

Sagt zum Leben: gute Nacht!«

Aleard

»Lieber Gott, das Spätrot funkelt,

Nachtigall führt süßen Streit,

Lüfte kühlen, Abend dunkelt,

Ach, das war ja sonst die Zeit.

Still, du Locken!

Klosterglocken

Gehn den mahnend ernsten Gang.

Liebeszungen

Sind verklungen,

Was noch klingt, ist Leichensang.«

Blancheflour

»Willst hinaus du, Heloise?

Sehnst dich nach der blühnden Schar?«

Aleard

»Willst du über Feld und Wiese,

Wieder wandeln, Abælard?«

Beide

»Nein, der Erde

Grambeschwerde

Sagen wir fortan Ade!

Wer im Sinne

Klagt um Minne,

Dem tut Einsamkeit nicht weh.«

Blancheflour

Ȇber ferne Seen klingt es;

Kommt's von dir, mein Abælard?"

Aleard

»Über ferne Wälder singt es;

Heloise, tönst so klar?«

Beide

»Nachtigallen –

Lieder schallen,

Sagen schon dem Lenz Ade!

Klosterzelle,

Schleuß die Schwelle;

Mir tut Einsamkeit nicht weh.«

Es standen Tränen in manchen schönen Augen, ja, auch wohl an den Wimpern tapfrer Kriegshelden, so beweglich hatten Blancheflour und Aleard gesungen. Otto fühlte die Töne in seines Herzens Tiefen widerhallen; es kam ihm vor, als sei das ganze Lied auf ihn gemacht, so wenig es sich auch für seine gegenwärtige Lage schicken wollte, und er mußte immer heimlich bei sich selbst welche von den Schlußzeilen des Gesanges wiederholen. Herr Folko von Montfaucon sahe indessen finster vor sich nieder, viel anders, als man es sonst wohl von dem freundlichen Ritter gewohnt war. Endlich wandte er einen strengen Blick nach Fräulein Blancheflour hinüber, die soeben sehr angelegentlich mit Meister Aleard sprach, und sie kam eilig zu dem Bruder, und setzte sich neben ihn, und wich den ganzen Abend lang nicht mehr von ihm. Dagegen liebkosete ihr nun Folko auf das artigste und heiterste, tausend anmutige Dinge aussinnend, um sie zu ergötzen. Dennoch war es bisweilen, als perle in Blancheflours milden Augen ein helles Tränlein, und Meister Aleard wich unter die tiefsten Lauben des Forstes zurück.

Der Abend zog kühl über die Gegend, feuchte Nebel stiegen aus den gefaltnen Buchenblättern herauf, und man erhob sich, mit einem lustigen Marsche, nach der Burg emporwandelnd. Wunderlich schimmerten die Kerzen und Fackeln, welche der Gesellschaft leuchteten, auf dem vielfach gewundnen Bergpfade durch das hereinbrechende Dunkel.

Mit den Morgenlichtern des andern Tages regte sich ein vielfaches Treiben auf dem geräumigen, von frischem Rasen begrünten, von hohen Linden beschatteten Burghofe. Pfähle wurden eingerammt, und Balken darin eingefugt, zum Gitter, welches den Kampfplatz vor der zudringenden Menge sichern sollte, reiche Teppiche über die Verzäunung hingehängt. Im Runde selber luden einige Wagen feinen, sehr weißen Sand ab, und eine Menge von Knechten breitete ihn geebnet und sorgfältig aus, damit die Streitrosse festen Tritt fassen könnten, und sich freudig tummeln, ohne auf dem schlüpfrigen Rasen zu gleiten; auch, falls die Herren zum Fußkampf mit geschliffnen Schwertern kämen, die beerzten Fersen sichern Halt gewännen. Auf und ab gingen dabei Don Hernandez und Graf Vinciguerra, welchen man, schon gestern alles verabredend, die Oberaufsicht als Kampfesrichtern anvertraut hatte. Sie maßen den Rund, sie ordneten und bezeichneten die Stellen der Fechter zu gleicher Sonne und gleichem Wind, alles nach sehr reiflichem Erwägen. Für die Frauen ward eine hohe, herrliche Bühne erbaut, recht zwischen das Gezweig der alten Lindenbäume hinein, so daß sie mitten in der Beschattung und dem Schutze der dichten Blätter zu sitzen kamen, dennoch an der freien Aussicht über die Rennbahn ungehemmt, und wie himmlisch belebte Früchte anzusehn, oder vielmehr wie Engel aus Paradieseslauben hervor. Eine Menge von Zuschauern hatte sich bereits umher gesammelt, mit Ungeduld auf die Erscheinung der Helden und Herrinnen des schönen Todesfestes wartend.

In abgesonderten Gemächern wappneten sich indessen der Freiherr und Ritter Trautwangen. Um diesen war heute sein Gefährte Tebaldo mit großer Sorgfalt bemüht, und mit einer Weichmütigkeit, die an ihm selten zu finden war. Vom Adlerhelme an bis auf die goldnen Sporen sah er alles und jedes wohl zehnmal durch, und schnallte bald fester, und lüftete wieder bald, und fand es noch immer nicht gut genug für seinen Ritter und Freund. Dieser schaute ihn freundlich an, sprechend: »Ei, Diephold«, – mit diesem verdeutschten Namen pflegte er ihn in recht innigen Stunden am liebsten zu nennen, – »ei, Diephold, du tust ja so wehmütig besorgt, als wappnetest du mich zum letztenmal!« – »Das kann wohl sein, Ihr edler prophetischer Mund!« seufzte Tebaldo, und beugte sich über seines Ritters noch ungepanzerte Hand.

Da flogen die Türen auf, und glänzend geharnischt, blau leuchtend und gold, wie die sternige Nacht, vom ganz güldnen, noch ungeschloßnen Helm überstrahlt, trat herein der Freiherr Folko von Montfaucon, ein Knappe mit dem großen, funkelndem Schwerte ihm nach. – »Lieber Kampfgenoß«, sprach er den Ritter an, »wir haben verträglich zusammen gehalten, bis auf den heutigen Tag, und einander oftmalen vertrauend ins Antlitz gesehn. Nun aber trifft es sich wohl alsbald, oder kann sich doch wohl so treffen, daß nach dem Schließen unsrer Visiere nicht einer des andern Auge wieder schaut, zum mindestens lebend und ungebrochen nicht. Da komm' ich denn her, und will Euch noch einmal recht herzlich küssen, und beten wollen wir in der Kapelle vor dem Altar zusammen auch.« – Und weit breitete er seine Arme aus, und Otto stürzte liebevoll hinein, und die beiden ehrnen Männer drückten sich aneinander, als sollte die starre Hülle vor der Glut ihrer brüderlichen Freundschaft schmelzen. Draußen blies eine Trompete, und sie rissen sich schleunig los. – »Der erste Ruf!« sagte Folko. »Gürtet mir nun mein Schwert um, Ihr edler Gegner. Ich tu Euch alsdann den gleichen Dienst.« Es geschah nach des Freiherrn Begehr, und wie sie einander mit den herrlich leuchtenden Waffen umgürteten, erzählten sie sich, wie dem einen sein Stiefvater, dem andern sein Vater die goldgeschmückte Wehr zum erstenmal in die Hand gedrückt habe. Dann schritten sie Arm in Arm nach der Kapelle hinab, und knieten im stillen Gebete zu beiden Seiten des Altares, kampfmutig und liebevoll, bis die Trompete von neuem rief. Aufstehend sahen sie sich noch einmal sehr freundlich an, schlossen darauf die Helme und traten miteinander in den sonnenhellen Burghof hinaus.

Die Damen saßen bereits auf dem Balkone, und Folko sprach zu seinem Gefährten: »In den nördlichen Stammlanden meines Hauses haben sie ein Märchen von goldenen Äpfeln der Unsterblichkeit. Siehst du sie da droben, Gesell?« – Er hatte bloß etwas Zierliches und Erheiterndes sagen wollen, aber wie die Stimme dumpf aus dem geschloßnem Helme hervordrang, von keinem Lächeln des Mundes oder des Auges begleitet, starr und regungslos, vor dem Gesichte das kalt metallne Visier, klangen die Worte nicht wie ein artiges Spiel, sondern wie eine ernste Mahnung an den Tod. Die Ritter schüttelten sich die Hand, und gingen auseinander nach ihren Rossen. Indem sich der Freiherr linkshin seinem Silbergrauen nahte, flog sein edler Falke, von jener frühern Wunde Tebaldos fast geheilt, aus einem Fenster des Schlosses auf seines Herrn Goldhelm herab, und wollte von da nicht weichen, bis ihn Folko herunternahm. Dieser streichelte ihn freundlich, und gab ihn dann seinem Leibknappen auf die Faust, welcher die Samtdecke vor des treuen Vogels Augen zog und mit ihm von hinnen ging. Ein wunderliches Gemurmel erhob sich über dieses Begegnis im Kreise; die einen deuteten es für den Freiherrn als einen Siegesgruß aus, die anderen als des frommen Tieres Abschied und des Herren bittern Tod. Da stieß der Herold zum drittenmal in die Trompete, alles Sprechen ward still, die kampffertigen Helden ritten von zwei entgegengesetzten Seiten in die Bahn.

Und es erhob sich zu den Füßen des Balkons, wo die Damen saßen, Don Hernandez, prächtig geharnischt, mit offnem Helm, laut ausrufend: »Kund und zu wissen sei den Frauen und Rittern all, und wer noch sonsten hier biderbe Leute sind, daß mein Gefährt als Kampfesrichter hier, der Conte Alessandro Vinciguerra das Kästlein, welches den bestrittnen Ring bewahrt, in seinen Händen hält. Der Kampf mit Lanzen und geschliffnen Klingen, zu Roß und Fuß, steht beiden edlen Fechtern frei, und wer alsdann von ihnen sich dem Grafen Vinciguerra mit sittgem Gruße nahen kann, das Kästlein von ihm nehmen, es seiner Dame auf dem Balkone bringen, und ihr das Kleinod an den zarten Finger stecken, ohn' daß sein Gegner ihn vermag zu hindern, der hat gesiegt, und aller Streit ist ab und tot. Seid ihr's zufrieden so, ihr edle Herrn?«

Beide Fechter neigten die federgeschmückten Metallhäupter, zum Zeichen der Bejahung, und Hernandez ließ sich mit ernster Würde neben Alessandro nieder. Da lag eine tiefe Stille über der Versammlung, aber nur augenblicks, denn die Trompeten schmetterten von allen Seiten mit furchtbar hallendem Jubel, und die Zuschauer schreckten ineinander, und die beiden Fechter sprengten ihre schnaubenden, hellwiehernden Rosse an. Mitten auf der Kampfesbahn trafen sie zusammen, mit so entsetzlichem Geprassel, daß es den fortjubelnden Tusch der Trompeten überklang, und wie zwei riesige Bildsäulen fanden sich Silbergrauer und Lichtbrauner gegenüber, auf den Hinterbeinen, hauend mit den Vorderhufen, um sich im Gleichgewicht zu halten, nach dem ungeheuern Stoß, der die Lanzen beider Ritter in tausend Trümmern weit über den Rennplatz hinaus zerstäubt hatte. Fest saßen die Reiter, beide vornübergelegt, beide zum Sprunge nach vorwärts mit den Sporen stachelnd, aber nach kurzem Schwanken schlugen beide Rosse, unfähig, sich wieder in den rechten Schwung zu bringen, mit ihren Herren krachend rücküber in den Sand.

Ein Schrei des Entsetzens scholl vom Balkone, scholl von den Zuschauern rings im Kreise umher. Aber noch kaum war er verhallt, noch hatten die gestürzten Hengste sich nicht wieder erhoben, da waren die ringfertigen Kämpfer bereits unter der Wucht ihrer Rosse heraus, von Sattel und Bügel los, und liefen gezückten Schwertes nach der Stelle zu, wo Graf Alessandro Vinciguerra mit dem entscheidenden Kleinode Platz hielt. Bald aber bemerkend, daß keiner dem andern zur Erfüllung der Bedingungen Raum lassen würde, blieben sie sich gegenüber stehn, faßten die Klingen fest, und schritten dann gemessen, jedweder den Gegner im Auge behaltend, nach der Stelle zurück, wo sie gestürzt waren, und wo ihre Schilde noch lagen. Wie auf einem Ruf hatten sie zu gleicher Zeit die leuchtenden Ränder ergriffen, und jedem stand zur Seite sein Roß, denn die edlen Tiere hatten sich auch emporgeholfen, und waren ihren Herren hin und zurück gehorsam und dienstfreudig nachgetrabt. Beweglich aber war es anzusehn, wie des Freiherrn Silbergrauer, vom Zusammenstoßen am Vorderbuge verletzt, auf nur drei Füßen hinter seinem Ritter herhinkte, und nun im Stillstehen das gelähmte Bein weit von sich fort streckte, aber lustig dazu wieherte und mit den Nüstern schnob, die kriegerische Freudigkeit festhaltend, und die Treue, wie sehr die kriegerische Kraft auch schon verloren war. Otto, keinen Vorteil begehrend, und des treuen Rosses sich erbarmend, fragte: »Lassen wir die Streithengste aus der Bahn führen, mein edler Freiherr?« – Und Folko grüßte mit höflichem Dank, sprechend: »Nach Eurem Willen. Ihr tut, wie ich's von Anfang her von Euch gedacht.« – Man zog die Pferde aus den Schranken.

Aber kaum, daß die Ritter mit gehobnen Schildern, mit leuchtenden Klingen aufeinander zugeschritten waren, kaum daß ihre ersten Hiebe auf das tönende Erz der Helme und Rüstungen herunterrasselten, siehe, da flog – ungestüm die Knappen, welche ihn hielten, von der Seite schleudernd – Ottos Lichtbrauner über die hohen Schranken, und mit unbändigen Sätzen und freudigem Schlachtgewieher seinem Herrn zur Hülfe, grad' auf dessen Gegner los. Aber Otto rief Halt! und wandte sich gegen das Roß, es am Zügel fassend, und nach dem Ausgange der Schranken zurückführend. Dort übergab er es den Knappen wieder, sagte ihm mit ernstbedräuender Gebärde: »Sei stille, Bursch!« und regungslos stand es fortan, daß man der goldnen Zügel, um es zu halten, nicht mehr bedurfte.

Der Freiherr winkte dem zurückkommenden Otto einen freundlichen Gruß zu mit dem Schwerte, dann hob er es zu einem gewaltigen Hiebe, und der furchtbare Kampf begann aufs neue. Bald schmetterten die Streiche hageldicht hernieder, bald trafen die Fechter bloß mit den Schilden zusammen, sich hin und her drängend, und die Klingen ruhen lassend, bis irgend einer seine Gelegenheit zum Hauen ersah, und beide dann wieder mit schwirrenden Schwertern auseinanderflogen. Da fuhr endlich Folkos Klinge blitzschnell an Ottos linker Seite herunter, und des jungen Ritters Schildrand fiel halb zerspalten von seinem Arme. »Halt!« rief der Freiherr. Otto hielt, und fragte: »Seid Ihr wund, mein edler Gegner? Mir fehlt sonst nichts.« – »Euer Schild fehlt Euch«, entgegnete Montfaucon, »und auf dem meinen leuchten der goldne Balken und die goldne Kugel noch unversehrt, weshalben ich es auch weggeben will, denn ehrlicher Kampf heischt gleiche Waffen.« – Und er winkte seinen Leibknappen herbei, und reichte ihm das blau und goldne Schild zurück. Aber Otto wollte es nicht zugeben, da sagte der Freiherr sehr ernst: »Junger Degen, wollet diesmal eine freundliche Belehrung von mir ertragen. Ich bin ein Jahrer zwölfe länger unter den Waffen, als ihr, und weiß so ziemlich, was sich schickt. Hab' ich's von Euch mit Dank und Achtung angenommen, daß Ihr vorhin die Rosse aus den Schranken bringen hießt, weil meines wund geworden war, so denk ich, vergeht Ihr Euch Eurerseits nicht allzuviel, wenn Ihr von den Händen Folkos von Montfaucon eine ähnliche Gefälligkeit empfangt.« – »Ihr habt recht, mein edler Meister in allem Rittertum!« sprach Otto, sich ehrerbietig neigend, und der Leibknappe trug den glänzenden Schild hinaus.

Da ging das Fechten mit erneuter freudiger Inbrunst an, aber nicht lange, fuhr ein Hieb Ottos über Montfaucons linken Panzerärmel zwischen Halsberge und Küris hinein, so gewaltigen Schwunges, daß der rückgezogenen Klinge das frische Blut wie ein rosiger Springborn nachsprudelte, und Folko bald nachher zu wanken begann, sich mühsam stützend am Schwerte, und ehe noch Otto ihn auffangen konnte, zu Boden sank. Und mit ihm zugleich kniete auch Otto in den Sand, die Zuschauer meinten, von einer gleich heftigen Wunde schwach, aber bald sahen sie, daß er nur bemüht sei, dem gefällten Widersacher Helm und Halsberge und Küris zu lösen. Zu gleicher Hülfleistung war Blancheflour herbeigeeilt, und kniete von der andern Seite neben dem Freiherrn. Sie weinte schmerzlich, aber Otto sah ihr freundlich in die Augen, sprechend: »Gottlob! Er lebt, und die Brustwunde reicht nicht ans Herz.« – Weil nun auch eben Folko die Augen aufschlug, reichte Blancheflour dem Gegner über den blutenden Bruder hin mit dankbarem Lächeln für seinen Trost die Hand, welche Otto ehrfurchtsvoll küßte, und dann erst aufstand, vom Grafen Vinciguerra das Kästlein zu holen, und es hinaufzutragen auf den laubigen Balkon. Wie er jetzt hintrat unter das grüne Blättergezelt, und Gabriele mit himmlisch süßem Lächeln ihm entgegenschritt, und draußen die Trompeten jubelten, und Ritter und Sänger und alles Volk seinen Namen riefen, da sank er, wie von seligen Träumen umgaukelt, ins Knie, und während er Gabrielen den Wunderring an die schwanenweiße Hand steckte, brannte ein leiser Kuß auf des Überglücklichen Stirn.

In seinem Gemach entwaffnete sich Otto, und schmückte sich zu dem glänzenden Verlobungsmahle, nach welchem Gabriele sich feierlich für seine Braut erklären wollte. Knappen und Edelknechte drängten einander, teils ihm von der ersiegten Jungfrau zur Bedienung gesandt, teils mit Halsketten, Ringen, Barettfedern und andrer Zier für ihn aus ihren schönen Händen begabt. Im süßen Taumel seines Glücks, und dessen Widerscheines aus all den leuchtenden Farben um sich her, befremdete ihn Tebaldos Abwesenheit erst dann, als er einsam in einen Saal trat, wo ihn Gabriele hinbeschieden hatte, um sich von da feierlich an seiner Hand in das prächtige Speisezimmer führen zu lassen. Schwellend sein Herz von alle dem Heile, das über ihn so reichlich hernieder tauete, hätt' er es gern im traulichen Gespräche entlastet, und sann staunend darüber nach, warum sich Tebaldo noch immer nicht blicken lasse. Da trat dieser aus einer Seitentür in die Halle, so ungewöhnlich bunt und wunderlich ausgeziert, daß ihn der Ritter zu Anfang nicht gleich erkannte. Es bemerkend, sagte Tebaldo: »Ja, ja, Ihr habt nicht unrecht, denn ich sehe verwandelt aus. Aber es verwandelt sich ja alles in der Welt. Da schaut einmal selbsten hin, ob hier noch der Rittersmann in dem schwarzsilbernen Adlerharnisch mit einem einzigen Gedanken zu erkennen ist.« – Und leicht gewandt hatte er den Ritter einem großen Wandspiegel gegenüber gestellt, vor dessen leuchtendem Bilde, wie es ihn selbst zurückstrahlte, der adelige Jüngling mit staunendem Erröten stehen blieb. Wie eine Blume aus ihren reichen Blättern funkelte das lichte Antlitz aus der dichten Spitzenhalskrause hervor, wohlgeruchduftend kräuselte sich unter samtgrünem Barett des goldnen Haares Gelock, goldner fast, als die prächtige Agraffe, welche des Hauptschmuckes reichschwankende und wallende Federn zusammenhielt; das weiß samtne Wams, durchkreuzt von grün und goldenen Aufschnitten, über den Hüften zusammengegürtet vom ganz goldenen Schwertkoppel, schmiegte sich zierlich an den kräftigschlanken Leib, drüber hin fiel in geordneten Falten der kurze Mantel, mit Hermelin aufgeschlagen, mit Perlen besäumt. – »Nun?« sagte Tebaldo nach einer Weile mit fast höhnischem Lächeln; »das ist doch wohl nicht das Reisekleid nach Jerusalem?« – »Ebensowenig, als du das deine so nennen kannst«; entgegnete Otto, sich unwillig abwendend. Aber Tebaldo sagte: »Verzeiht, edler Herr; ein Reisekleid ist meines doch, und wenn Ihr einen kleinen Umweg nicht allzuhoch in Anschlag bringt, auch eines nach Jerusalem. Ich trage die Farben des Grafen Vinciguerra – Ihr wißt, die sind auf hell-italischer Weise ein wenig bunt – und ziehe mit ihm noch in diesem Augenblicke nach meiner blühenden Heimat fort, und so über Napoli zu Schiffe in den heiligen Krieg unter Löwenherzens Schar.« – »Was hab' ich dir zuleide getan?« rief Otto schmerzhaft aus. »Was willst du mich verwunden in meinem höchsten Glück?« – »Ihr habt mir nichts zuleide getan«, erwiderte freundlich Tebaldo, »aber Ihr wißt, ich suche der Waffen Spiel und nicht des Hauses Frieden; drum sprachet Ihr ganz recht heute früh; ich waffnete Euch wirklich zum letztenmal. Kriegslust und noch vieles andre reißt mich fort. Ich möchte gern wieder einmal an dem Blumenhügel knien, wo Lisberta schläft. Gott weiß, warum sie mich als Kind so oft haben dort spielen lassen; nun ist es, als wäre darunter meines Lebens bester Schatz begraben, und ich muß bisweilen hin. Was aber das betrifft, mein lieber Ritter, vom Euch Verwunden in Euerm höchsten Glück, so sagt mir freundlich Dank dafür, falls ich es wirklich tue. Wißt Ihr denn nicht, daß man den allzuvollsaftigen Bäumen Wunden ritzt? Und kennt Ihr die Geschichte vom Polykrates, der seinen Ring ins Meer warf, den Neid des Glückes zu versöhnen? Laßt mich der Ring nur sein, und gebe Gott, daß mich kein Hecht in Eure Hand zurückbringe.« – »Was eilst du denn aber so sehr«, sagte Otto. – »Das ist des Grafen Vinciguerra Schuld«, sprach Tebaldo, »ich hab's ihm einmal angelobt, nach seinem Willen mit ihm zu reisen.« – »Und der?« fragte Otto. – Tebaldo entgegnete lachend: »Er hat denn doch einen kleinen Ärger auf Euch, wegen jenes Hofmeisterns aus Euerm jugendlichen Mund. Ihr wißt ja noch, bei der Geschichte des jungen Messer Donatello. Denn im Vertrauen hat er es mir gestanden: der junge Messer Donatello war er. Und da kann er es nun nicht wohl vertragen, Euch im vollen Glanze als die Hauptperson des Festes zu sehn. Er wollte schon vor Ärger umsinken, als er Euch das Ringeskästlein geben mußte. Laßt mich im Lachen darüber scheiden, lieber Ritter, und keine traurige Stimmung komme zu Wort.« – Otto sagte weichmütig: »Du hast es wohl ganz vergessen, wie schwer dir das Scheiden ankam, damals, als wir uns des Falken wegen entzweit hatten?« – »Ja, eben weil wir uns entzweit hatten«, entgegenete Tebaldo. »Jetzt aber scheiden wir in vollem Frieden, und ich laß Euch bei einer himmelschönen Braut in allem Heil und Segen zurück. Bekomm's Euch gut!« Und damit war er freundlich nickend aus der Tür, und als Otto endlich langsam an das Fenster trat, gaukelten die beiden Italiener in ihren regenbogenfarbigen Röcken schon wie zwei bunte Papageien den Schloßberg lustig hinab.

Der junge Deutsche sah ihnen mit Verwunderung und Betrübnis nach, da legte etwas die Hand auf seine Schulter, und sich umwendend, blickte er in den vollen, prächtig geschmückten Lichtglanz von Gabrielens Schönheit. War schon die hülfesuchende Jungfrau beim Gefecht unendlich reizend anzuschauen gewesen, so überstrahlte nun die bräutliche Siegerin jenes holde Bild noch weit. Der Juwelenkranz, welcher auf ihren seidnen Locken funkelte, der schwarze, goldbespangte Sammet, der ihren schönen Leib umfloß – es waren nur matte Folien der wunderbaren Schönheit jedes ihrer Züge, jeder ihrer Bewegungen. Und in all dieser Herrlichkeit, neigte sie sich mit edler Demut vor dem jungen Ritter, fragend: »Wie so ernst und mißvergnügt, mein hoher Herr? Kann Gabrielens Hand Euch nicht die Flucht zwei launischer Gesellen vergüten? – Kommt – unsre Gäste warten – kommt, führt mich in den Saal.« – Von all den holden Worten durchblitzte das unser bei Erwähnung der Gäste den Sinn des glücklichen Verlobten mit den freudigsten Flammen. Er küßte des Fräuleins zarte Hand, küßte – ein milder Blick sagte ihm, daß er es dürfe, – ihre blühenden Lippen, und trat voll nie empfundner stolzer Freudigkeit an ihrem Arm in den glänzenden, von zahlreich edlen Gästen wimmelnden Saal.

Alles neigte sich glückwünschend und Raum gebend, milde Blasinstrumente spielten einen fröhlichen Marsch, Blumen flogen aus den Händen edler Jungfrauen auf das sittig dankende und errötende schöne Paar, und an der Tafel obres Ende gelangt, zeigte Gabriele ihrem Bräutigam den edlen Folko von Montfaucon, welcher dort auf einem seidnen Ruhebette lag, von seiner Schwester Blancheflour unterstützt und gewartet. – »Ich wußte wohl«, sagte Gabriele zu Otto, »daß ich Euch auf der Welt nichts Freudigeres zeigen könnte, als Euern edlen Widersacher so weit genesen, und mit in unserm Kreise froh.« – Dankend über ihre Hand gebeugt, sprach Otto: »Ich konnte ja wissen, daß nichts für Eure Macht zu schwer sei, holde Fee.« – »Still, still von meiner Feienmacht!« lächelte Gabriele. »Ihre besten Heilungskräfte liegen in dem Ringe, den Ihr mir erfochten habt.« – Folko hatte sich indessen mit Blancheflours Hülfe in die Höhe gerichtet, etwas bleich noch, aber sehr freundlich lächelnd, und streckte dem siegenden Trautwangen seine gesunde Rechte entgegen, welche dieser mit Rührung drückte, und kaum sie, wie eines väterlich sorgenden ältern Bruders Hand, zu küssen sich enthalten konnte. Man ließ sich nun zum Mahle nieder, und jedermann hatte seine Freude an Folkos huldreichem Anblick, wie die schlanke Heldengestalt unter blausamtnen, mit reichen goldnen Fransen gezierten Decken, in so prachtvoller Anmut dalag, seinen gleichfalls noch wunden edlen Falken auf dem Hauptkissen, der sich oftmals schmeichelnd herunterneigte, aus seines Herren goldnem Becher nippend. – »Man behandelt mich hier, wie ein krankes Kind«, sagte Folko deshalb zu der Gesellschaft mit lächelnder Entschuldigungsverneigung. »Man läßt mir mein Spielwerk bei Tische.« – Es gab einige Sangesmeister, die ihn heimlich flüsternd mit dem schönen Adonis, dem wunden Liebling der Heidengöttin Cypris, verglichen, und man fand, daß sie recht hatten.

Indem sie nun allesamt recht vergnüglich an der von würzigen Speisen blühenden, von hellen Weinen duftenden Tafel beisammen saßen, ließ sich vor der Burg der schmetternde Ton eines ungeheuern Hornes vernehmen, und gleich darauf trat ein riesengroßer Mensch in voller, schwerklirrender Waffenrüstung, eine gewaltig hohe Hallebarte in der Faust, durch die Türe herein, sahe sich in der ihn anstaunenden Gesellschaft einige Augenblicke forschend um, und ging dann mit höflicher Neigung des Hauptes auf den Ritter Folko von Montfaucon zu. – »Mein edler Herr«, sagte er, »ich bin vom Seekönig Arinbiörn, Euerm Vetter und Freund, hier hereingesandt. Er hält vor Euerm Haus, und hat sich so weit ins Land hereingemacht, einzig und allein, Euch zu besuchen. Da will er nun hören, ob Ihr wohl Lust und Gelegenheit hättet, Ihn bei Euch zu bewirten, samt einigen edlen Jungfrauen und Recken in seinem Gefolg. Die eine von den Jungfrauen ist aber etwas wunderlich.« – »Hätte ich hier noch zu befehlen«, entgegnete Folko, die funkelnden Augen ein wenig gegen den Boden gesenkt, »so würde mich die Wunde, an der ich darnieder liege, nicht abhalten, Euerm edlen Herrn, wo nicht entgegenzugehen, doch mindestens entgegenzuschwanken. So aber« – Gabriele unterbrach ihn mit freundlichem Zürnen, sprechend: »O tapfrer Freiherr, wenn Ihr Euch nicht ganz hier betragt, als des Hauses Wirt, so jagt Ihr mich und meinen Kämpfer hinaus.« – »Da ist es ein anders«, sagte Folko, gegen den Fremden gewandt. »Euer Herr und sein Gefolge sollen höflichst willkommen sein, und entgegenziehn will ich ihm auch.« – Er regte sich auf seinem Lager, aber in Blancheflours ängstlich bittende Augen sehend, sprach der riesige Bote: »Mein Herr, das muß ich in Seekönig Arinbiörns Namen verbitten. Wenn eben ein rüstiger Mann auch an so was nicht stirbt, so hat doch das schöne Jungfräulein dort neben Euch Ängste deshalb. Und die soll biderber Held ja süßem Weibe sparen, wo er nur irgend kann. Drum bitt' Euch, so lieb Euch meines Herren Wünsche sind; dasmal bleibt ruhig auf der Streu. Der Seekönig ist im Augenblick zu Euch herein.« – Damit schüttelte er ihm die rechte Hand mit derber Freundlichkeit, und schritt grüßend wieder aus dem Saal.

»Der Seekönig Arinbiörn«, sagte Folko zu der ihn mit den Augen befragenden Gesellschaft, »ist ein tapfrer Normann, mein Anverwandter von den alten Zeiten her, wo unser Stamm sich teilte, und der Zweig, welchem ich zugehöre, aus jenen eisigen Bergen sich in Frankreichs milde Gauen herüberschlang. Wir haben immer seit daher gute Vetterschaft miteinander gehalten; in manchen ernsten Taten auch Waffenbrüderschaft, die mir zu großem Heile gereichte, da Arinbiörn Seekönig ist. Sie geben diese Benennung dort in den hohen Küstenlanden solchen Helden, die auf dem festen Boden nur wenig, oft gar nichts Eignes besitzen, aber auf ihren Barken, in tapfrer, ihnen ganz ergebner Mannen Genossenschaft, die Erde umschiffen, von jenseit des Norderkaps her, ja vom fernen Island herunter, bis an die glänzende Konstaninopolis hinab, sogar bis an die Küsten der blühenden Asia, oder der goldschmelzenden heißen Afrika, wo fast keine Schiffer Bescheid wissen, außer ihnen, und wo sie, vermöge ihrer tönenden Waffen, nach Belieben schalten mit Königesmacht.«

Folko hätte noch mehr erzählt, und die Gesellschaft gern noch mehr vernommen, aber die mächtigen Tritte der wundersamen Gäste hallten bereits auf den Steigen, und alles wandte sich nach der Tür.

Auf flogen die Pforten, und sich wegen seiner Größe in der Wölbung beugend, des vorigen riesigen Boten Fürst auch an hohem Wuchse, trat ein goldgeharnischter Mann herein, zwei goldgetriebene Geierflügel von dem leuchtenden Helme voransteckend. Otto fuhr unwillkürlich zusammen vor den metallnen Fittichen; er mußte an seinen Kampf mit dem Totengerippe in der Kapelle denken. Es kamen noch mancherlei wundersame Gestalten hinter dem Seekönig her, aber einzig auf diesen gerichtet, sahen die Augen der Gesellschaft von den übrigen wenig oder nichts. Arinbiörn schritt, die Frauen alle, so wie er vorbeiging, ehrfurchtsvoll grüßend, grade auf den Freiherrn von Montfaucon zu, faßte ihn freundlich bei der Hand, und sagte: »Ei Folko, was soll denn das? Findet man dich Glückskind doch auch einmal so recht tüchtig wund? Das muß ein rühmlicher Kämpe gewesen sein, der dich so hart getroffen hat, aber er ist wohl schon tot; denn was mir mein Bote erzählen wollte, du hättest ein siegloses Gefecht gehalten, und den oft verfochtnen Ring verloren – da ist ja in der ganzen Welt keine Möglichkeit dazu.« – »Doch, doch!« sagte Folko etwas verwirrt und mit glühenden Wangen. »Ich habe meinen Meister gefunden, und das wunderschöne Fräulein dorten ist gegenwärtig des Ringes und des Schlosses Herrin und dein und meine gütige Wirtin, Arinbiörn.« Der Seekönig neigte sich sittig vor Gabrielen, dann aber bat er, man möge ihm doch den unerhörten Fechter zeigen, der des gewaltigen Folkos Schwert nicht nur ertragen habe, sondern es auch bezwungen noch obendrein; sein Auge ruhte auf Don Hernandez. Als man ihm aber den jugendlich rosigen Otto vorstellte, sah er ihn höchst verwundert an, so daß der Jüngling eine Beleidigung darin zu fühlen anfing, und reden wollte; da neigte der tapfre Arinbiörn sehr ehrerbietig das Haupt vor ihm, sprechend: »Wenn das, wie ich denn nicht daran zweifle, mit rechten Dingen zugegangen ist, – mein Gott und Herr, Ihr junger Degen, was kann und muß nicht alles noch aus Euch werden, in solcher frühen Jugend so groß!« – Und wieder neigte er sich mit ernster Ehrfurcht, und Gabriele, in freudigem Stolz über ihren Kämpfer erglühend, legte die Schwanenhand in Ottos Rechte, senkte das lockige Haupt vor ihm, und sagte: »Ich bin des edlen Ritter Trautwangen verlobte Braut!« – Und die Instrumente jubelten, und die Gäste riefen glückwünschend drein, und die Becher klangen, und Otto, den Mund an Gabrielens Lippen drückend, sah den Himmel in ihren mildleuchtenden Augen.

»Glück zu, mein lieber Otto«; sagte eine leise Flötenstimme hinter ihm. »Ach Gott, ich bin so von Herzen froh, daß du in dieser irdischen Seligkeit lebst!« – Und umschauend, erkannte er Mühmchen Berthas holdes Gesicht, aber ganz freundlich, ganz heiter, wenn auch etwas mondenbleich, alles das, wie noch aus Frau Minnetrostens Gemächern her. Weiter zurück drohte gleich einer Gewitterwolke des zürnenden Heerdegens benarbtes Antlitz. – »So war ja doch wohl alles nur ein Traum!« sagte Otto, und wehte sich mit der Hand vor der Stirne hin und her, als wolle er den Schlaf von seinen Wimpern scheuchen; Heerdegen drängte sich vor und schien sprechen zu wollen. Aber Bertha trat zwischen Otto und Gabriele, schlang deren Hände zusammen und ergoß sich in einen Strom so anmutiger und freudenreicher Glückwünsche, daß man glauben mochte, es sei ein leuchtender und tönender Engel vom Himmel heruntergeschwebt, dies herrliche Bündnis zu segnen. Auch von Heerdegens Brauen schwanden die Wolken vor Berthas lieblichen Worten, und Arinbiörn sagte: »Die zweie dort waren einstmalen meine Gefangne; ich hab sie mir an der ostfriesischen Küste im ehrlichen Holmgang erstritten, und hätte sie gern mit zu dem heimischen Herd geführt, als Siegeszeichen, und als meine eignen lieben Geschwister oben ein, denn nicht wahr, Heerdegen und Bertha, so haben wir bisher miteinander gelebt? Aber seid beide nur immerhin meiner Vormundschaft entlassen, zur Feier dieses hohen Festes, und weil ihr dem jungen Heldenbesieger dorten wohl lieb sein müßt!« – Und ein neuer Jubel erhob sich in dem schallenden Saale; Gabriele küßte Bertha, sie nun vom Donaustrande her wiedererkennend, und streichelte ihr die blaßrosigen Wangen, Otto und Heerdegen drückten einander in freudiger Versöhnung die Hände.

Man saß schon wieder vertraulich kosend an der Tafel, Bertha bei Gabriele, Heerdegen bei Folko, Arinbiörn neben Otto, da bemerkte dieser, daß hinter des Seeköniges Stuhl ein hohes, goldlockiges Frauenbild stand, mit einem langen Schwert umgürtet, wunderschön, aber streng und regungslos, und indem Otto aufsprang, ihr mit zierlichen Entschuldigungen seinen Platz anbietend, wandte sie sich unwillig von ihm und schritt aus dem Saal. – »Ach, ist es weiter nichts als das?« sprach Arinbiörn, da er auf sein Befragen die Ursache von Ottos und vieler andern Gäste Staunen vernahm. »Ihr holde Fraun und edle Herrn, meine Eltern wollten mich einstmalen mit dieser kriegerischen Jungfrau verloben, die Gerda geheißen ist, und weit berühmt wegen ihrer Zauberkräfte in den nördlichen Landen, auch unserm Stamme nah verwandt. Mich aber hielt ein Traumbild, das ich irgendwo in einem Spiegel gesehn, – ach, so wunderhold, so wunderzart, – und das ich jetzt eben wiedersehe.« –

Der Seekönig stockte und geriet in eine seltsame Verwirrung. Es war hübsch anzusehn, wie eine mädchenhafte Schamröte über das kräftige Heldenantlitz flog. Bald aber ermannte er sich wieder, und fuhr folgendermaßen fort:

»Genug, ihr Frauen und Männer, es ward aus unsrer Heirat nichts. Gerda sagte: ›Kann ich nicht dein Eheweib sein, so will ich doch deine siegbringende Walküre sein‹; und seit dieser Zeit folgt sie, auch ungebeten, meinen Zügen nach, und bringt mir oft unerwartetes Glück, und kocht mir bisweilen den wunderlichen Heldentrank unsres Norderlandes, davor man auf lange Zeit hinaus unbezwingbar wird, als nur vor bezauberten Waffen; und weil ich es in manchen Fällen unritterlich halte, ihn zu brauchen, bringt sie mir ihn öfters mit unterschiedlichen Listen bei.«

»Der Freiherr Montfaucon hat uns jüngsthin eine Sage von solch einem Trank erzählt«, sagte Don Hernandez.

»Mit dem Tranke hat es seine Richtigkeit-, fuhr Arinbiörn fort. »Weil er aber, in Unvorsichtigkeit und maßloser Gier genossen, gar abscheuliche und entsetzliche Wirkungen hervorbringen soll, scheuen ihn meine Kriegsleute, und scheuen die Gerda mit. Und sie meint es doch gewiß immer sehr gut; aber was seltsam ist sie, das ist wahr. Dort Heerdegen hat auf eine eigne Weise ihre Bekanntschaft gemacht: an der ostfriesischen Küste, nicht lange bevor er mit mir zum Holmgange kam ...«

Und während nun Heerdegen auf Verlangen der Gesellschaft die Geschichte jenes Abends erzählte, war Gerda selbsten wieder ins Zimmer getreten, von den meisten unbemerkt, hatte wieder hinter Arinbiörns Stuhl Platz genommen, und ein großes Goldhorn mit lauterm Tranke bis obenan gefüllt, neben ihn hingestellt, ohne daß der Seekönig darauf acht gab. So wie sich Otto, der sie hatte kommen sehn, nach ihr umdrehte, winkte sie ihm mit unzufriednen Mienen, sitzen zu bleiben, trat wie scheu zurück, und schwankte, gleich einer Träumenden, bald hier, bald dort, in der Halle auf und ab. Darüber verlor sie Otto auch alsbald aus den Augen, und um so mehr, da Heerdegen in seiner Erzählung einiges von Frau Minnetrost hatte fallen lassen, und nun von mehrern Gästen angelegentlich darüber befragt ward; Otto konnte nicht fragen, aber seine ganze Seele war bei jener seligleuchtenden Mondscheingestalt; Berthas Augen standen voll Tränen.

Da flüsterte Gabriele mit anmutig neckender Empfindlichkeit in ihres Bräutigams Ohr: »O wie zerstreut schon am Verlobungstage!« – Und wie sich Otto entschuldigen wollte, fuhr sie lächelnd fort: »Nein, nein; es muß Euch etwas ausschließend beschäftigen. Ihr seid ja ein Deutscher, und doch behalten sogar die Becher Ruhe vor Euch. Habt Ihr denn schon ein einzigesmal auf die Gesundheit Eurer Braut getrunken?« – »O mein Leben, mein Heil, meines Sieges Krone!« rief Otto, und in süßbegeisterter Verwirrung leerte er das ihm zunächst stehende Trinkgefäß, erst dann bemerkend, es sei Arinbiörns Goldhorn gewesen, als ihm Gerda auf die Schulter klopfte, und dem sich Umwendenden dräuend ins Ohr sagte: »Du, du! Da hast du Schönes angerichtet! Hab's denn, was du nicht besser haben wolltest.« – Wie ein Feuerstrom brannte ihm derweile das Getränk den Schlund hinab, und gleich darauf sahe er, wie Gerda in einem Winkel der Halle ihm gegenüber stand, eifrig über Arinbiörns Streitaxt hinsprechend, und Zeichen darüber beschreibend, ohne doch ein Auge von Otto zu verwenden. Endlich lehnte sie die Streitaxt an des Seekönigs Sessel, und schritt kopfschüttelnd aus dem Saal.

Heller und freudiger kreiste indessen Sang und Gespräch um die Tafel; ein herzinniges Wohlwollen und Wohlbehagen tauschte sich in fröhlichen Strömungen gegeneinander aus, und in den dazwischen geworfnen Liedern oder Sprüchen der weisen Meister erkannte man gern die Blüten der allgemeinen Festeslust.

Aber in des armen Otto Gemüt entzündete das jubelnde Tönen um ihn her nur wilder und wilder ein verworrnes, unheimliches Ringen. Ganz feindlich drangen Lieder und Worte gegen ihn an, auf ihn ein, über ihn hin, gestalteten zu fremden Mißgebilden, was ihn umgab, engten des Saales freudige Bogen zusammen zur düster engen Grabeskapelle, verzerrten ihm die Züge Arinbiörns und Heerdegens und Folkos und Berthas und Gabrielens selbst. Es ward ihm zumut, als schwimme er in einem endlosen, betäubend brausenden Meer, und Fische mit Menschengesichtern schnappten höhnisch nach ihm, worunter besonders einer entsetzlich anzusehn war, der sich ein Paar große Geierfittiche auf das Haupt gesetzt hatte, und einen von Schwerthieben zernarbten Totenschädel im Rachen trug. – »Es ist der aus der Burgkapelle!« dachte Otto bei sich, und dann ermannte er sich wieder, sich erinnernd, es sei ja niemand anders, als Arinbiörn, der tapfre, freundliche Seekönig, der neben ihm sitze bei einem herrlichen Mahl. Bald aber meinte er wieder, ein Seekönig möge wohl ebensogut ein schrecklicher Raubfisch sein können, und dann fiel ihm ein, was Heerdegen ehmals von Nebelwitwen und Grubenjägern an der finnischen Grenzscheide erzählt hatte, und allerhand tolles Zeug mehr. Er konnte sich kaum erhalten vor Schwindel, und vor einer ungeheuern Kraft, die in seinen Sehnen glühte, durch seine Adern rann.

Plötzlich fuhr er empor, seine Augen funkelten gräßlich, seine Stimme tönte wie ein furchtbarer Donner durch den Saal; rechts und links neben ihm sprang alles unwillkürlich auf, wie scheues Wild, er stand allein in der Mitte der Hallen, sein Schwert, das er raschen Sprunges mit entsetzlicher Behendigkeit aus einer Ecke erfaßt hatte, wirbelnd und leuchtend über den Scheitel schwingend. – »Hallo! Hallo!« rief er, »wo ist der böse Feind? Hallo! Hussa! Ich fodr' ihn aus! Ich steh' ihm riesenstark!«

»Weh, weh, er ist besessen? Er ist des bösen Feinds Genoß!« – So ging ein leises Flüstern schon durch Männer und Frauen, die Wände entlängst, an die sich alles gedrängt hatte vor dem Dräuen der furchtbaren Gestalt. »Ich wag's mit ihm auf Tod und Leben zum zweitenmal!« sprach der kühne Freiherr von Montfaucon, die Damen beruhigend, und wollte sich vom Lager erheben, aber vor der schnellen Bewegung sprang die Wunde wieder auf. Ohnmächtig sank er zurück, und ward, von der zitternden Blancheflour begleitet, aus dem Gemach getragen.

Alsbald sprangen Hernandez und drei edle fränkische Ritter heran, den furchtbar rasenden Jüngling zu bändigen – im Augenblick aber taumelten sie schwer verwundet vor seiner Faust nach den Wänden zurück. Er lachte, und stellte sich so, daß niemand mehr nach dem Ausgange des Saales gelangen konnte, ohne von ihm bedroht zu sein. – »Werft Speere, werft Messer nach ihm!« schrie es von allen Seiten in Zorn und Bangigkeit, Berthas leises Bitten: »O schont ihn! O schleudert doch nicht!« ungestüm übertönend. Die Messer, die Speere flogen; sie trafen den Ungeharnischten, und prallten wirkungslos ab. Der Rasende lachte. – »Ihr Fische tut's mir noch nicht mit euerm Besprützen!« schrie er gellend auf. Und durch die entsetzte Versammlung ging abermals das Geflüster. »Der Teufel ist mit ihm und macht ihn fest; der Teufel ist sein Herr.« – »Nein, nimmermehr!« sprach Bertha, ein Paradies der Liebe und des Vertrauens in ihren blauen Augen. »Du Otto, mein lieber Otto, gib mir in Gottes Namen die Hand, und folge mir in Frieden nach deinem Gemach.« – Sie schritt auf ihn zu, so beherzt und liebevoll, daß alle mit Zuversicht ihrem Sieg entgegen sahen, wie dem Siege der Jungfrau, die in heiligen Bildern auf dem Monde und über dem Drachen steht, aber der Sturm in Ottos verwirrten Sinnen fuhr noch wütender auf. – »Was will die Hexe«, schrie er, »die bleiche Hexe!« und mit einer Schwertwunde in der freundlich dargebotenen Hand taumelte Bertha zurück. Heerdegen fing die Schwester auf; seine Blicke trafen glühend den wahnsinnigen, umhertanzenden Gegner, aber er konnte von der schneeig zarten Bürde nicht zum Angriffe los.

Da trat der Seekönig Arinbiörn mit seiner Streitaxt vor. – »So soll doch der teuflische Kerl das Blut der holden Jungfrau büßen«, rief er aus, »oder ich schütte meines allsamt zu dem ihrigen auf den Estrich!« – Und gehobner Waffe schritt er heran. – »Hu, Geierfittich! Hu, Totenschädel!« schrie der Tolle. »Willst noch 'nen Hieb von mir? Da wart, du Satan, wart!« – »Hei Satan selbst!« rief Arinbiörn zurück, und über die wirbelnde Klinge hin, durch ihre Schwingungen auf das Barett hernieder fuhr die gewaltige Streitaxt. Otto sank ohne Laut und Regung zu Boden.

Es mochte schon hoch gegen den Mittag des andern Tages gehn, da kam Otto aus der langen Betäubung wieder zu sich selbst; aber er konnte die Augen nicht aufschlagen, und auch kein Glied bewegen. Zu Anfang war es ihm, als läge er schon als Leiche da, und die Seele könne nur aus dem starren Leibe noch nicht heraus, und wie er sich nach und nach auf mancherlei besann, was gestern vorgefallen war, meinte er, der Seekönig Arinbiörn habe ihn mit seinem ungeheuern Hallebartenhiebe erschlagen. Doch fühlte er bald, daß er wohl noch leben müsse, und daß er auf weichen Kissen ruhe, sorgfältig zugedeckt, auch daß die Wunde am Haupte nur schwach sein möge, und ihn wenig schmerze, vorzüglich weil eine leichte Hand immer kühlende Tücher darüber schlang, und die alten Verbände jedesmal so schonend wegzog, daß er gar kein Wehetun dabei empfand. Aber jene Regungslosigkeit lag starr und unabänderlich auf ihm fest.

Da hörte er endlich eine Stimme, die er für Gabrielens erkannte, sagen: »Er ist doch also gewiß außer aller Gefahr?« – Und schon wollte er sich der zarten, bräutlichen Sorgfalt erfreuen, als eine männliche Stimme, einem der weisen Meister aus dem gestrigen Kreise gehörig, antwortete: »Ich stehe Euch mit Leib und Leben dafür, Ihr und wir alle können ohne die geringste Besorgnis abreisen, denn Ihr habt alle Eure Pflichten gegen den unglücklichen Jüngling erfüllt. Was ihn jetzo noch in der Ohnmacht festhält, ist nicht die leichte Wunde, denn der Hieb ward von der Schwertesschneide gebrochen und von dem samtenen Barett gestumpft, sondern einzig und allein die Mattigkeit, welche dem armen Besessenen und Teufelsergebnen nach seinem dämonischen Bluttanz in die Glieder gesunken ist.« – So viele Worte, so viele Dolche fuhren mit dieser Rede durch Ottos Ohr bis tief in das Herz hinein. Die Greuel des gestrigen Tages stiegen allesamt vor seinem Geiste auf, und trieben in der stumpfen Bewegungslosigkeit des Körpers ein desto freieres Spiel. Ein leises Schluchzen, das sich dabei am Hauptende des Ruhebettes vernehmen ließ, und zwischen welchem die Worte bedauernd durchdrangen: »Ach armer Otto, ach armer, guter verlorner Otto!« fiel wohl wie mildernder Tau in seines Herzens Wunden; aber es war ihm, als töne es fern aus seiner friedlichen Kindheit von der seligen Mutter Lippen herüber, und hier in der lebendigen Welt kenne und liebe ihn dennoch kein Mensch. Da hörte er wieder, daß Gabriele sagte: »Ich habe auch dem Freiherrn von Montfaucon seiner Schwester Ring bereits wieder zugestellt, bis auf einen andern Kampf, denn durch den verhexten und gebannten Fechter hier mag und darf ich ja nichts gewinnen; ich muß nur Gott danken, daß die Larve vom Teufelsantlitz abfiel, bevor ich dem bösen Magier durch die heiligen Bande der Kirche verbunden war.« – «Ja, wir merkten es gleich«, sagten einige männliche Stimmen, »daß es nicht mit rechten Dingen zuging. Wie hätte denn ein so junger Knab' sonsten den starken Freiherr von Montfaucon bezwingen können!« – »Ach, und doch ist es so schade um die holde Gestalt!« seufzte Gabriele. »Wenn er das treuherzige Blauauge in die Höhe schlug, man hätte sich und die ganze Welt ihm gerne vertraut.« – »Daß Ihr Euch nur nicht auch noch jetzo von ihm umstricken lasset!« warnten einige Weiberstimmen, und zugleich ging die Türe auf, und Edelknechte meldeten, alles seie zur Abreise fertig. Mit einem schweren Seufzer wandte sich Gabriele weg, und schritt hinaus, alle die andern ihr nach; Otto hörte, wie sein Minneglück und sein ehrlicher Ruf von hinnen schied, und vermochte noch immer nicht Zunge, nicht Auge, nicht Hand zu regen. Da lag er in trüber Verlassenheit allein.

Aber nicht ganz allein; das spürte er an den kühlenden Tüchern, die ihm noch immer um das Haar geschlungen wurden, und an dem leisen Weinen zu seines Lagers Häupten. Manchmal war es auch, als streichle eine zarte Hand mit scheuer Flüchtigkeit seine kalten Wangen.

Da schmetterte ihm plötzlich Heerdegens Stimme vor den Ohren: »Schwester«, rief er, »was hast du noch länger bei dem Teufelsknechte zu tun? Soll er erwachen, und dich noch einmal verwunden? Frisch auf! Die Pferde warten! Die andern sind schon alle fort, selbst Montfaucon und Fräulein Blancheflour, und die alte graue Veste steht nun ganz verödet und verwaist.« – Und als Bertha, etwas wie leise Bitten hervorseufzte, fuhr er heraus: »Mach mich nicht wild! Wie viele edle Ritter würden dem Tode froh entgegenreiten, gält' es dein Herz und deine Hand! Und der hier darf dir Herz und Hand verwunden. Ich bitte dich, reize mich nicht; ich könnt ein unritterliches Stück begehen, und mich an dem Ohnmächtigen vergreifen.« – Da fühlte Otto, wie noch zum letztenmal das kühlende Tuch sich um seine Schläfe wand, und alsdann Bertha schluchzend mit ihrem Bruder aus dem Gemache floh. Bald darauf konnte er ihre Pferde den gepflasterten Burgweg hinunter traben hören.

Nun war er ganz allein. –

Die Ohnmacht erbarmte sich seiner, und warf abermals ihre dunkelnden Fittiche um ihn her.

Spät gegen Abend erwachte er zum zweiten Male. Die starre Bewegungslosigkeit war von seinen Gliedern gewichen, er hob sich stöhnend empor, und vor seinen wieder erschlossenen Augen spielte der Abendstrahl schräg durch die Scheiben auf seinen rings umhergestreuten Waffenstücken. Schmerzlich kehrte er sich ab von diesen Zeugen seiner noch jüngst so helleuchtenden Glorie, und wankte ans Fenster. Er sah über die Burgmauer grad hinab in den Talgrund, und als er es, durstig nach der friedeliebenden Abendluft, aufstieß, hörte er, daß Kriegsleute durch den Forst ritten, und folgende Worte sangen:

»Wir wären lange schon gekommen,

Wir meinten's längst im Sinne gut;

Doch fehlt es am Panier den Frommen,

Und blöd und einzeln schwieg der Mut.«

Er erkannte das Lied, welches Blondel an jenem lieblichen Abende ihm und Tebaldo vorgesungen hatte. »Ach«, rief er aus, »wenn das König Richard Löwenherzens Kriegsleute wären, und ich dürfte mit ihnen ziehen in das heilige Land.« – Und wieder hörte er singen:

»Jetzt tönt ein freudiger Sang von allen,

Steigt zuversichtlich himmelwärts;

Panier, Panier, wir sehn dich wallen,

Bist König Richard Löwenherz!«

Und zugleich kamen die geharnischten Sänger aus dem Walde hervorgeritten, auf hohen herrlichen Pferden, der Rüstung nach jenen ganz gleich, welche damals den holden Minstrel Blondel geleitet hatten. Otto wollte ihnen schon zurufen, sie möchten warten, er werde mit ihnen ziehen; da hielten sie ganz von selbst, und sprachen mit einigen Knappen und Reisigen, die Otto nun erst unten an der Steinwand des Kastells sitzend wahrnahm. Die fahrenden Krieger erzählten, wie sie zu König Löwenherzens Schar gehörten, und seinen Nachtrab bildeten; er selber seie lange schon voraus. Dann fragten sie, warum es denn hier so still auf der stattlichen Burg aussehe? – »Gestern früh hättet ihr nicht so fragen können«, entgegnete ein alter Reisiger. »Aber jetzunder ist niemanden oben, als ein verhexter Ritter, der sich dem Teufel ergeben hat. Wollte Gott, er wäre erst hinaus.« Und dann erzählte er Ottos ganze Geschichte von gestern mit entsetzlichen Worten, und die um ihn her saßen, stimmten bei den furchtbarsten Stellen beglaubigend und zusammenschaudernd ein. Als es nun an Berthas Verwundung kam, kreuzten sich die englischen Kriegshelden, sprechend: »Gott behüt uns, daß wir das Untier nicht zu Gesichte kriegen!« und trabten schaudernd von dannen.

»Mein Urteil ist gesprochen«, sagte Otto leise vor sich hin. »Ich muß nur machen, daß ich aller Menschen Augen mein verrufenes Selbst entziehe. Es wird ja doch irgend eine Berghöhle geben, wo ich meine Waffen begraben, und mich in ewige Dunkelheit verhüllen kann.«

Er fing an, die zerstreuten Panzerstücke zusammenzusuchen, und fand unter ihnen sein gutes Schwert von der Streitaxt des Seekönigs Arinbiörn in zwei Stücke zerschlagen. – »Das dachte der alte Herr Hugh auch nicht«, sagte er, »daß du solch ein Ende nehmen solltest!« – Doch hub er die blanken Trümmer sorgfältig auf, und band sie mit dem übrigen Gezeug in einen Bündel zusammen. Wie er nun, auf diese Weise belastet, hinausging, traf er im Vorsaale auf den Spiegel, der ihm gestern früh sein Bild zurückgeworfen hatte. – »Das sieht sehr anders aus«, sagte er kopfschüttelnd, als ihm die bleiche, beladne Gestalt mit blutig verbundnem Haupte, die Festkleider wie zum Spotte unordentlich umherhängend, aus dem Glase entgegen sah. – Im Stalle wieherte ihn der Lichtbraune lustig zu. Da schüttelte er wieder den Kopf, sprechend: »Sei nur still. Es ist keine Zeit mehr zu freudigen Grüßen.« Dann band er das Waffengezeug auf des edlen Hengstes Sattel fest, und führte ihn am Zügel aus dem Tor. Die Burgleute wichen ihm erschreckt zu allen Seiten aus. Bald nachher verlor er sich in die tiefsten Schatten des Waldes.

Ach, hüte sich doch ein Mensch; wenn seine erfüllten Wünsche auf ihn herabregnen, und er so über alle Maße fröhlich ist!

Gesammelte Werke von Friedrich de la Motte Fouqué

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