Читать книгу Friedrich Gerstecker: Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten von Amerika 1837-43 - Friedrich Gerstecker - Страница 7
Kapitel drei – Streifzug durch die Vereinigten Staaten – New-York
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Kaum landete das Dampfboot, als sich eine Unmasse von Karrenführern zu uns drängte, die alle sehr bereitwillig sich anboten, unsere Sachen an den Ort ihrer Bestimmung zu liefern. Wir wählten zwei von ihnen, die unsere Koffer und Kisten aufluden, wofür wir zusammen einen Dollar bezahlen mussten; doch hatten sie dieselben ein ziemliches Stück Weges zu fahren. Der Karren, dessen sich diese Leute bedienen, ruht auf zwei Rädern, und zwar so, dass, wenn aufgeladen wird, der hintere Teil auf die Erde hinunterreicht, damit schwere Waren mit größtmöglicher Leichtigkeit hinaufgewälzt oder gerollt werden können. Zllr., der schon früher einmal in New-York gewesen war, empfahl uns das Schwarzische Wirtshaus (boarding house), und wir zogen also dahin. Eine schmutzigere Wirtschaft war mir aber noch nicht vorgekommen, als bei der alten Madame Schwarz; denn noch jetzt erfasst mich ein Ekel, wenn ich an die von Wanzenblut geblümten Betten denke.
Natürlich war ich die ersten Tage nicht viel im Hause, sondern schlenderte durch die breiten, herrlichen Straßen New-Yorks und bewunderte mehrere, wirklich prachtvolle Gebäude darin. Was mich aber am meisten ansprach, war die Unzahl von Schiffen, welche um die ganze Stadt, die bekanntlich auf einer Insel liegt, eins an das andere gereiht waren, so dass das ganze ungeheure New-York einen Hafen bildet. Damals lagen ungefähr fünfzehnhundert größere und kleinere Schiffe um die Stadt herum. Ganz entzückt war ich auch im Anfange von dem Überfluss an Südfrüchten, der hier herrschte. In allen Straßen waren Wagen voll Ananas, Orangen und Kokosnüsse; die schönsten Ananas wurden zu zwei und vier guten Groschen das Stück verkauft.
Ich war ein paar Stunden gelaufen und wollte eben wieder nach unserem Wirtshause zurückkehren, als der sonderbarste Zug, den ich in meinem ganzen Leben gesehen habe, um eine der Straßenecken bog. Es war der Begräbniszug eines armen Irländers.
Das erste im Zuge war ein großer, viereckiger Leichenwagen mit schmutzigem, einst schwarz gewesenem Zeuge behangen. Oben auf dem Vorderteile des Wagens war ein Sitz für den Leichenkutscher angebracht. Auf diesem Sitze befand sich dieser auch, aber in einer nichts weniger als traurigen Haltung. Den linken Fuß auf das rechte Knie gelegt und den linken Ellbogen auf das linke Knie gestützt, saß er da oben, in einem blauen, abgeschabten Frack, mit herunterhängender Hutkrempe und einst weiß gewesenen Beinkleidern; zu gleicher Zeit kaute er in größter Behaglichkeit an einem Apfel, den er in den linken Hand hielt, während er mit der rechten den Pferden dann und wann einmal einen Hieb versetzte, sie zu stärkerem Schritte anzutreiben. Den Zügel hatte er sich um das linke Knie geschlungen. Hinterher kamen sechs zweirädrige Karren, sogenannte drays und von derselben Art, wie sie zum Fortschaffen der Frachtgüter gebraucht werden. Auf jedem saßen zehn bis zwölf „Leidtragende“, und zwar so, dass sie, mit dem Rücken gegeneinander gekehrt, die Beine rundherum heraushängen ließen, Männer und Frauen alle durcheinander, in die hellsten und grellsten Farben gekleidet, essend, trinkend und lachend. Es war wirklich, wenig zu sagen, ein originelles Begräbnis. Überhaupt bot sich mir, wohin ich auch kam, so viel des Neuen und Wunderbaren, dass ich Stunden brauchte, aus einer Straße in die andere zu kommen, und es war spät am Abend, ehe ich mein Kosthaus wieder erreichte. Immer, wenn ich endlich gehen wollte, kam mir dies und jenes dazwischen, und so verging eine Stunde nach der anderen.
In meiner Wohnung angekommen, fand ich meine Reisegefährten vor, und es lässt sich denken, dass wir uns sehr viel zu erzählen hatten. Als wir endlich, es war zwölf Uhr, zu Bette gehen wollten, schallte es „Fire, fire, fire!“ durch die stillen Gassen. Ich sprang auf und schaute aus dem Fenster, da bemerkte ich, dass der Himmel gerade über den gegenüberstehenden Häusern glutrot war.
Da ich noch angezogen war und keiner der übrigen mitgehen wollte, so sprang ich allein die Treppe hinunter und dem hellen Scheine zu. Eine Straße nach der anderen eilte ich hinab – immer stand der Schein fast dicht vor mir; endlich, nachdem ich wohl dreiviertel Stunden gelaufen war, kam ich zur Brandstätte. Es war ein kleines hölzernes Gebäude, das ganz in Flammen gestanden hatte, aber noch nicht niedergebrannt und von den herbeigeeilten Spritzen schon gelöscht war. Ich kam eben noch zur rechten Zeit, das letzte Verglimmen des Feuers mit anzusehen.
Es waren mehrere Deutsche unter den zum Brande geeilten Leuten, und ich fragte jetzt einen von ihnen, wie weit ich bis zu meiner Wohnung in Pearlstreet hätte. Zu meinem Schrecken erhielt ich die Antwort, dass ich mehr als zwei englische Meilen von meinem Bette entfernt sei. Der Mann versicherte mir auch, dass, wenn ich nach jedem Feuer in New-York laufen wollte, ich sicher die ganze Nacht weiter nichts zu tun hätte, da es selten wäre, dass es weniger als zweimal die Nacht brenne, ein Feuer aber regelmäßig alle vierundzwanzig Stunden sei. Ich fand auch seine Worte vollkommen bestätigt, denn nach wenigen Stunden brannte es noch einmal, und während der ganzen drei Monate, die ich in New-York zubrachte, erinnere ich mich nur weniger Nächte, die ohne Feuerlärm vorübergingen. Die Löschanstalten sind übrigens hier vorzüglich, und die angesehensten Bürger gehören zu den Feuerwehrleuten; auch die Spritzen sind höchst elegant und geschmackvoll aus Messing und Stahl gearbeitet und werden von den Menschen selber gezogen. Wie unähnlich sind sie unseren alten roten Donnerkästen, bei denen es eine halbe Stunde dauert, ehe nur die Pferde ins Geschirr kommen.
Acht Tage waren mir in New-York so rasch vergangen, dass ich glaubte, ich sei kaum zwei dort, und ich hatte viele Deutsche in der kurzen Zeit kennen gelernt.
(Siehe Band 142 in dieser gelben Buchreihe: Rudolf Cronau: Die deutschen Einwanderer in Amerika)
Der Aufenthalt im Wirtshause war mir unerträglich geworden, denn keine Nacht konnte ich schlafen. Ich legte mich im wahren Sinne des Wortes bloß aufs Bett, um die Wanzen zu füttern.
Durch einen Braunschweiger wurde ich mit einer deutschen Familie bekannt, zu der ich zog und für Kost und Logis wöchentlich 3 Dollars zahlte. Es war damals ungefähr der gewöhnliche Preis. Die Wäsche, für die ich 4 Cents (20 Pfennig) das Stück gab, musste besonders vergütet werden.
Ich war mit der Absicht nach New-York gekommen, mich von dort aus nach Vera-Cruz einzuschiffen, hörte aber über die mexikanischen Verhältnisse so viel Ungünstiges, dass ich zuerst unschlüssig wurde und endlich, als mehr und mehr Leute mir den unruhigen, ungewissen Zustand des mexikanischen Reiches schilderten und mich als neuen Ankömmling warnten, dahin zu gehen, mir die Sache ernstlich überlegte und beschloss, mir erst die Vereinigtes Staaten recht ordentlich anzusehen, ehe ich mich nach anderen Ländern wendete.
Besser schienen mir die Aussichten im Lande selbst zu sein. Ein junger Farmer von Illinois, den ich in New-York sprach, sagte mir, dass es für einen Landmann leicht sei, dort eine Pachtung zu bekommen, d. h. eine Pachtung im amerikanischen Sinne des Worts, wo der Pächter ein Stück „geklärtes“ Land mit den dazu gehörigen Gebäuden erhält, dasselbe bearbeitet, wozu der Eigentümer größtenteils das Handwerkszeug liefert und dafür den dritten Teil der Ernte abgibt; zugleich versicherte er mir noch, dass zwei Mann recht bequem sechzig Acker besorgen könnten. Freilich verschwieg er, dass dies mit dem amerikanischen Landbau ganz und gar vertraute Leute sein müssten.
Allerlei Pläne gingen mir damals im Kopfe herum; ich konnte mich aber noch immer nicht zu etwas Bestimmtem entschließen, und darüber verging wieder eine gute Zeit.
So viel hatte ich indessen von den deutsch-amerikanischen Kirchen gehört, dass ich endlich beschloss, eine zu besuchen. Ein Bekannter erbot sich, mich am nächsten Sonntag zu einer der besseren hinzuführen. Es war dies die deutsche reformierte Kirche. Wir kamen etwas spät, und ich war über die Aufregung und Unordnung, die in dem heiligen Gebäude zu herrschen schien, erstaunt. Ich sollte bald noch mehr staunen. Der Prediger, ein ziemlich starker, robuster Mann, sah gewaltig rot im Gesichte aus und sprach heftig, obgleich er nicht schlecht zu predigen schien; dann und wann jedoch hielt er ein und trank etwas, das er neben sich stehen hatte. Plötzlich, als alles in völliger Ruhe zu sein schien und der Mann auf der Kanzel den Text erläuterte, stand eine Dame von ihrem Sitze auf und fing an laut zu reden. Was sie wollte, konnte ich nicht gleich verstehen, doch mit Erstaunen erkannte ich meine Hauswirtin und vernahm die abgebrochenen Worte: „Schändlichkeit – nicht dulden – Frechheit – Männer – Kanzel werfen.“
Als ich noch über den wahrscheinlichen Sinn dieser Worte nachdachte, entstand ein allgemeiner Aufruhr im Gotteshause. „Runter von der Kanzel mit dem Schreier – werft ihn ‘naus – prügelt ihn durch!“ Das waren ungefähr die Ausrufe, die laut wurden, und mit toller Eile machte sich die Menge daran, den Pfarrer von der Kanzel zu holen. Das war aber nicht so leicht. Die Kanzel, zu der auf beiden Seiten eine schmale Treppe hinaufführte, hatte am Fuße derselben eine kleine Tür, die von innen verschlossen werden konnte. Die Aufrührer sprangen nach der rechts befindlichen Treppe, aber der Seelenhirt bewies ihnen, dass er im wahren Sinne des Wortes zur streitenden Kirche gehöre; mit ein paar Sätzen war er an der Tür und verteidigte sich ritterlich. Viele Hunde sind freilich des Hasen Tod; die Besatzung der Festung war zu schwach. Während er einen Teil derselben verteidigte, musste er den anderen bloßgeben; die Aufrührer rannten eine Bresche, stürmten die andere Treppe hinauf und griffen die Besatzung von hinten an.
Der gute Herr Pastor wurde in das Innere der Kirche geschleppt, entschlüpfte aber seinen Verfolgern, sprang in eine Ecke und rief, indem er eine kunstgerechte Boxerstellung annahm, seine bisher gespielte Rolle vergessend, und zwar in recht gutem Englisch: „God damn you, come on, all of you!“ Und wirklich waren diese Worte nicht bloße Prahlerei gewesen, denn seit er seinen Rücken gedeckt hatte, hielt er sich den ganzen Schwarm vom Leibe.
Ich hatte mich während des ganzen Vorfalls auf eine Bank gestellt, dem Spektakel zuzusehen, und kann wohl sagen, dass ich mich recht gut amüsierte. Übrigens fochten sie nicht ritterlich; denn obgleich sich die vorderen nicht an ihn wagten, schlugen ihn die hinteren mit Regenschirmen auf den Kopf, und der Übermacht weichend, machte er einen Ausfall und gelangte ins Freie. Weiter wollte die liebe Gemeinde nichts, und mehrere sprachen davon, den anderen Prediger zu holen; doch waren die Gemüter zu aufgeregt, und die Streiter der Kirche (Kreuzritter) gingen auseinander. Zu Hause erfuhr ich von meiner Wirtin die Ursache des Aufruhrs.
Die Gemeinde hatte diesen handfesten Prediger verabschiedet und einen anderen erwählt, der an diesem Sonntage das erste Mal predigen sollte, die Rechnung aber dabei ohne den Wirt gemacht. Der Ex-Seelenhirt begab sich nämlich schon mit Tagesanbruch, und zwar mit Hilfe eines anderen Schlüssels, in die Kirche und setzte sich in Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, ruhig auf die Kanzel. Als nun die Gemeinde mit dem anderen Prediger ankam und den alten Geistlichen schon da oben auf der Kanzel antraf, ging dieser, der ein ruhiger, friedliebender Mann war, gleich wieder zurück, und trotz Drohen und Schimpfen fing der bisherige seine Predigt an. Er hätte auch vielleicht seinen Willen durchgesetzt, wenn nicht jene Amazone den Funken zum Pulverfass getragen. Wie ich in späteren Jahren gehört habe, sind dieselben Unruhen in dieser Kirche noch mehrere Male vorgefallen; ich hatte übrigens an dem einmaligen Gottesdienst genug. Der Sabbat wird sonst bei den Amerikanern sehr streng gehalten, und nichts darf an diesem Tage vorgenommen werden als Beten und vielleicht Lesen eines religiösen Buches. Natürlich gibt's auch Ausnahmen.
Was mich in New-York befremdete, war, dass ich gar keine Soldaten sah, außer manchmal ein paar etwas militärisch aussehende Burschen mit blauen Jacken, eben solchen Beinkleidern und wachstuchenen Mützen; es waren dies „Uncle Sam's“ Soldaten, die für 8 Dollars den Monat sich für den Staat aufopfern. Selten ist's, dass sich einmal ein ordentlicher Mann unter sie verliert; gewöhnlich sind es solche, die keine Lust zum Arbeiten haben oder auf keine andere Art ihr Fortkommen finden können. Natürlich stehen sie, die Offiziere ausgenommen, nicht in Achtung. Sonst gibt es Bürgermilitär, mehrere amerikanische und deutsche Kompanien, die bei Festen oder anderen Gelegenheiten ausrücken und ziemlich geschmackvoll uniformiert sind.
Vor kurzem hatte sich auch eine Anzahl Schotten vereint und eine Kompanie gebildet, und zwar in altschottischer Hochländertracht, die verschiedenen Verbände in ihren Farben, mit Plaid und Federbarett und blauen Mützen, Schild, Claymore und ihren Standarten; die Häuptlinge mit ihren Adlerfedern geschmückt, und die Sackpfeifer lustig ihre schottischen Nationallieder spielend. So zogen sie durch den größten Teil der Stadt und sahen prachtvoll aus. Am nächsten Tage aber hielt sich der „Herald“ nicht wenig darüber auf, dass Leute, die doch auf Anständigkeit Anspruch machten, sich nicht schämten, „mit bloßen Beinen“ durch die Straßen zu ziehen und noch dazu mit Musik, damit ja alle Leute recht aufmerksam darauf werden möchten. – Wenn sie sich mit ihren „bloßen Beinen“ heimlich durch die Straßen geschlichen hätten, würde es ihm besser gefallen haben.
Sehr viele Auswanderer kamen noch in diesen Tagen an und füllten alle Wirtshäuser; was mir aber höchst sonderbar vorkam, war, dass sich die Amerikaner nicht so um die Fremden zu drängen schienen, als ich mir bisher eingebildet hatte, und zu meinem größten Leidwesen sah ich, dass ein Irishman (Irländer) und ein Dutchman (Deutscher) nur sehr wenig mehr als die Schwarzen geachtet wurden. Ehrenvolle Ausnahmen gibt es hiervon, wie sich von selbst versteht, denn der gebildete Amerikaner weiß einen Unterschied zu machen; die Achtung, in der der Deutsche, den vielgelesenen Berichten nach, stehen sollte, hatte ich mir aber doch eigentlich ganz anders gedacht.
Einen höchst unangenehmen Eindruck macht aber auf den eben angekommenen Europäer die Behandlung der armen Schwarzen, die, obgleich New-York kein Sklavenstaat ist, doch wenig besser als das Vieh geachtet werden. Und dennoch genießen sie jetzt eine Menge Rechte, die sie vor zwei Jahren noch nicht hatten, und welche ihnen erst durch General Jacksons Güte zuteilwurden. Allerdings dürfen sie auch jetzt noch in keinem Omnibus fahren, im Theater nur in der Galerie sitzen; müssen, mit wenigen Ausnahmen, Kirchen für sich allein haben, dürfen nicht vor Gericht gegen einen Weißen schwören usw.
Die amerikanische Unabhängigkeits-Erklärung sagt ausdrücklich: „Alle Menschen sollen gleich sein“, und dennoch besteht in diesem Lande die Sklaverei.
Vor amerikanischen und deutschen Schwindlern war ich indessen reichlich und genug gewarnt worden, hielt mich auch für vollkommen klug genug dazu, nach meinem Geldbeutel ausgeworfenen Schlingen – ich besaß ein kleines Kapital von nicht ganz mehr 200 Dollars – schlau und geschickt ausweichen zu können.
Als ich nun einige Wochen in New-York gewesen war, begann mein Hauswirt mir Vorschläge zu machen, mit ihm zusammen ein Zigarrengeschäft zu eröffnen. Er behauptete, die Sache aus dem Grunde zu verstehen, ich hatte ein kleines Kapital, und es war gar nicht dem geringsten Zweifel unterworfen, dass wir in ein paar Jahren unser Kapital verhundertfachen könnten.
Im Anfang hielt mich ein gewisser Instinkt, eine Art Ahnungsvermögen davon zurück; ich hatte auch zu viel, gerade von den Deutschen gehört – aber doch nicht von meinem Hauswirt – das waren ja ganz andere.
Es dauerte auch gar nicht lange, so leuchtete mir die Sache vollkommen ein; ein in das Innere ziehender Deutscher namens Wagner wünschte einen Zigarrenladen zu verkaufen, glücklicher konnte sich gar nichts treffen, da wir gerade einen zu kaufen wünschten, und wir wurden bald handelseinig.
Alles Geld, was ich besaß, steckte ich jetzt in die jenes Lager füllenden, wie sich später herausstellte, meist verfälschten Waren; mein Kompagnon nahm noch andere auf Kredit hinzu – merkwürdigerweise fand er Leute, die ihm borgten – und in kurzer Zeit stand im Broadway, der bedeutendsten Straße New-Yorks, ein Zigarren- und Tabaksladen unter unserer Firma, d. h. ich selber als Kompanie mit angeführt (im wahren Sinne des Worts).
Schon so lange in Amerika, fing ich nun auch an mich zu amerikanisieren. Ich staunte z. B. nicht mehr, wenn ich eine dicke, fette Mulattin mit der Pfeife im Munde über die Straße gehen sah, oder wenn ich feingeputzte Damen, höchst geschmackvoll angezogen, ohne Strümpfe in den Schuhen bemerkte. Ebenso wenig fiel es mir auf, einen anständig gekleideten Herrn in schwarzem Frack und schwarzen Beinkleidern, mit goldener Uhrkette usw. mit einem Korbe am Arme zu Markte gehen zu sehen, und ich schaute mich kaum noch um, wenn vielleicht ein Yankee (Yankees werden hauptsächlich die Bewohner der nordöstlichen Staaten, wie Maine, Connektikut, Vermont etc., genannt.) in schlechtem Wetter, vom Markte kommend, gestreckten Galopps mit sehr kurzen Steigbügeln, am linken Arm einen Korb mit Gemüse, in der rechten Hand einen aufgespannten Regenschirm, durch die Straßen sprengte. Der Mensch gewöhnt sich an alles.
In dieser Zeit fiel es mir auch manchmal ein, eine kleine Jagd zu machen, und da mir Zllr. die Ufer des Hudson immer als sehr reizend gepriesen, so gingen wir eines schönen Morgens mit unserem Schießzeug auf eins der unzähligen Dampfboote, die dort lagen, und fuhren den Hudson für den ungemein billigen Preis von ungefähr 5 Gr. für 22 englische Meilen hinauf. Die Fahrt allein war das Hundertfache wert, schon der wundervollen Landschaft wegen.
Der Hudson ist unstreitig der schönste Fluss, den ich je gesehen habe. Der stille, spiegelglatte und doch majestätisch breite Strom mit seinen ungeheuren schroffen Felsufern, oben mit dem herrlichsten Grün bekleidet, die kleinen Wohnungen und Städtchen, die sich, wo es irgend der Raum gestattet, an seine Ufer anschmiegen, die tausend und abertausend Fahrzeuge, die das Ganze beleben, erfüllen das Herz mit Bewunderung und Wonne.
Da das Boot spät abgegangen war, kamen wir erst mit Dunkelwerden an den Ort unserer Bestimmung und übernachteten dort in einem Wirtshause. Am nächsten Morgen waren wir mit Tagesanbruch gerüstet und fingen an, die Felder und Wälder mit einer wahren Gier nach Beute zu durchsuchen. Müde und matt vom vielen Fenz- und Zaunklettern und vom Springen über umgestürzte und ganz oder halb verfaulte Bäume, vom Durchwaten der Moräste, vom Übersteigen der Hügel, kamen wir endlich abends, ohne auch nur eine Feder oder sonst etwas gesehen zu haben, zu einem Vetter Zllrs. an, der uns gastfreundlich aufnahm und uns versicherte, dass wir nicht verständen, das Wild in Amerika aufzufinden; er wolle uns am nächsten Morgen selber führen. Neue Hoffnung.
Schon vor Tagesanbruch waren wir alle marschfertig und zogen in die wundervolle, würzige Luft hinaus, einzig mit Mordgedanken beschäftigt und schon berechnend, ob unsere Jagdtaschen alles erlegte Wild fassen würden. Dieselbe Jagd wie gestern wiederholte sich nun; hier schlichen wir an einem Waldsaume hin, dort an einer Fenz, hier durchstöberten wir einen Busch, dort durchwateten wir Strecken sumpfigen Landes, von Tagesanbruch bis spät nachmittags, und noch war kein Schuss gefallen. Das kühlte denn doch unsere Jagdbegierde bedeutend ab, und als wir, wieder in der Nähe des Stromes, ein Dampfboot vorbeikommen sahen, winkten wir und ließen uns an Bord nehmen. Müde und hungrig und ohne auch nur ein einziges Stück amerikanisches Wild gesehen zu haben, kehrten wir solcher Art nach New-York zurück.
Die Jagd im Osten der Vereinigten Staaten, besonders aber in der Nähe größerer Städte, ist wahrlich zu unbedeutend, auch nur ein Gewehr deshalb aufzunehmen. Es gibt allerdings hier und da ein schwaches Volk einer kleinen Rebhühnerart, die die Amerikaner nicht gerade unpassend Wachteln nennen; auch ein einzelnes Kaninchen wird manchmal angetroffen, und eine ziemlich große Art von Lerchen, die wie die Wachteln fliegen und auch ziemlich deren Größe haben, sind nicht gerade selten. Damit sind wir aber auch fertig, und alles andere Wild ist dort schon längst vertilgt. Es laufen dabei eine Masse Jäger draußen herum, die selbst den kleinsten Singvögeln einen erbarmungslosen Vernichtungskrieg geschworen haben, die neugewonnene Jagdfreiheit auch würdig zu benutzen; aber wer auf wirkliche Jagd Anspruch macht, soll um Gottes willen nicht östlich vom Wabasch die Flinte in die Hand nehmen. Nur Wassergeflügel gibt es auf dem Hudson, in den nördlichen Seen und Sümpfen des New-Yorker-Staates in ziemlicher Menge.
Nach diesem Ausfluge trieb es mich nicht so bald wieder aus der Stadt; ich hatte für einige Zeit genug bekommen und besorgte eifrig meine Geschäfte. Besondere Mühe gab ich mir dabei, die englische Sprache zu erlernen; denn obgleich ich in Deutschland schon etwas darin vorgearbeitet hatte, kam es mir hier im Anfange wie Chaldäisch oder Chinesisch vor. Nur so lange jedoch, bis sich mein Ohr an die Klänge gewöhnt hatte, dann half mir die gewonnene Grundlage ungemein rasch weiter.
Mein Geschäftsleben war indessen höchst trauriger Art. Aus Broadway hatten wir uns schon der teuren Miete wegen, und da sich der Verkauf dort keineswegs so glänzend wie erwartet zeigte, fortgezogen und unseren Laden in demselben Keller in Nassaustreet aufgeschlagen, wo wir wohnten. An Miete ersparten wir dadurch, aber verloren doch auch viele Kunden, und die einzelnen Jungen, die abends kamen und mit Zimtöl betupfte Cent-Zigarren kauften, konnten uns dafür nicht entschädigen. Auch mit meinem Kompagnon glaubte ich Ursache zu haben, nicht besonders zufrieden zu sein – und ich hatte eigentlich zwei, denn seine Frau, die Kirchenamazone, regierte mehr mit, als mir und vielleicht auch ihm lieb war.
Eine flüchtig gezogene Bilanz über unser Soll und Haben brachte mir außerdem die überraschende Entdeckung, dass wir nicht allein zu unserem schnellen Reichwerden noch keinen einzigen Schritt getan, sondern sogar mein kleines Kapital in den wenigen Wochen schon um ein Bedeutendes vermindert hatten.
Als mir in dieser Hinsicht die Schuppen etwas von den Augen fielen, fing ich auch an zu überlegen, ob denn das eigentlich der Zweck gewesen sei, wegen dessen ich die Heimat verlassen habe, und mit jedem Tage reifte mehr und mehr der Entschluss in mir, diesem eingeschlossenen Leben zu entsagen und hinaus – hinaus in die Welt zu ziehen.
Lange überlegen ist überhaupt meine Sache nicht, und dem Entschlusse folgte rasch die Tat. Mit meinem Kompagnon fand ich mich bald ab. Ein kleines Reisegeld abgerechnet, sollte er alles bis Ende März in seinem Geschäft behalten und mir dann einzig und allein mein eingelegtes Geld zurückerstatten. In H.s Verwahrung ließ ich meine zwei Koffer mit Wäsche und Büchern zurück und nahm bloß etwas reine Wäsche, Pulver, Blei und meine Doppelflinte mit auf meinen Ausflug, um mir die Welt einmal so recht nach Herzenslust anzusehen. Wohin? wusste ich nicht, es war mir auch ganz gleich, nur wollte ich vor allen Dingen den Niagarafall besuchen und beschloss also, meine erste Ausflucht nach Norden, nach Albany hin, zu machen, von dort nach dem Niagara zu gehen und dann ganz ruhig zu erwarten, wohin mich das Schicksal weiter werfen würde.
Frei war ich, frei. Hoch und froh hob sich mir zum ersten Mal wieder die Brust in dem wundervollen Gefühl gänzlicher Unabhängigkeit. Nicht mehr beneidete ich die Wandervögel, deren Zuge gen Süden ich noch vor kurzer Zeit so wehmütig nachgeblickt hatte. Auch ich war frei wie sie und nicht weniger willig, meine gelösten Schwingen zu gebrauchen.