Читать книгу Mitterfirmiansreut - Friedrich Haugg - Страница 8

Zwei

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„Also das würde ich noch einmal überdenken, Lorenz. Ein zweites Schlafzimmer in ihrer Wohnung würde ich empfehlen.“

„Aber ich bekomme doch Gästezimmer.“

„Die sind doch für die Gäste, oder?“ Haberls Zwinkern war irgendwie merkwürdig.

„Ich verstehe jetzt nicht ganz. Wovon reden sie?“

„In ihrem Alter braucht man doch dringend einen ruhigen Schlaf nach all der Anstrengung.“

„Ich weiß wirklich nicht...“

„Schau mal, Lorenz. Das ganze Dorf weiß es doch. Ist doch nicht schlimm. Wir sind hier sehr modern. Klar, der Altersunterschied. Aber das ist doch eure Sache. Da müssen wir ja nicht damit zurechtkommen.“ Diesmal war das Grinsen durchaus ein wenig boshaft.

„Stör ich“, sagte eine Stimme von hinten. „Nein? Gut. Ich bräuchte ein heißes Wasser. Jetzt, wo die Küche schon funktioniert.“

„Klar Susi, hol's dir nur. Du weißt ja, wo alles ist“, sagte Werner.

„Eben“, sagte Häberl.

„Moment mal, Herr Häberl. Sie meinen die Susi und ich? Nein, nein, das haben sie ganz falsch verstanden. Die Susi hat hier einen Platz...“

„...an ihrer Seite. Ist doch in Ordnung. Stört doch keinen. Sie müssen ja nicht gleich heiraten. Ja früher, da wäre das schon noch eine Todsünde gewesen, so ohne Hochzeit. Hat's aber damals auch schon gegeben. Im Verborgenen halt. Geht im Bayerischen Wald ganz gut. Heute hat der Pfarrer nicht mehr viel zu sagen. Der bedient höchstens noch die alten Weiber.“

„Stör ich?“ Diesmal war die Stimme laut und sehr männlich.

„Ah, der Herr Kommissar. Was verschafft uns die Ehre?“ Häberl hatte sich umgedreht und Hauptkommissar Jürgen Klamm mit Handschlag begrüßt.

Der wandte sich Werner zu. „Wir kennen uns schon. Beim Bürgermeister. Sie erinnern sich?“

„Ich dachte, sie hätten mich gar nicht bemerkt. Grüß Gott, Herr Kommissar.“

„Er ist Hauptkommissar“, sagte Häberl.

„Nennen sie mich einfach nur Herr Klamm oder besser Jürgen. Das machen alle, die mir wohlgesonnen sind.“

„Nämlich niemand“, sagte Häberl.

„Geht in Ordnung. Ich bin Werner Lorenz, also nur Werner.“

„Grüß Gott, Werner. Haben wir jetzt genug Höflichkeiten ausgetauscht?“ Jürgens Lachfalten fand Werner äußerst sympathisch. Ob er so auch die Verdächtigen einwickelt?

„Habe ich was verbrochen, Jürgen?“

Häberl antwortete für den Kommissar. „Nein, keine Sorge. Dazu sind sie nicht lange genug da. Der meint sie nicht. Mach nur, Jürgen. Ich muss zu meinen Leuten. Lass dich nicht stören.“

„Ich habe auch nichts dagegen, wenn alle einverstanden sind“, sagte Fritz.

„Was macht der denn hier?“ Das war Susis Stimme, die mit einer dampfenden Kanne dazu getreten war.

„Hat nichts mit Dir zu tun, Fräulein Müller. Macht alle weiter. Ich störe euch nicht“, sagte der Hauptkommissar.

Er ging zielstrebig zum Porsche, schraubte den Tankdeckel ab, führte einen Holzstab ein, den er nicht lange suchen musste, zog ihn heraus, kniff mit ausgestrecktem Arm die Augen zusammen und brachte dann alles wieder in den Ausgangszustand.

„Alles okay, Leute. Ich bin dann mal weg.“

„Servus, Kommissar“, rief Häberl ihm nach. Susi schritt wortlos in ihr Refugium.

„Ein bisschen rätselhaft, das alles, oder Herr Häberl?“

„Alles normal. Der hat nur geschaut, ob der Porsche bewegt wurde.“

„Aber ich hätte es ihm doch sagen können, dass ich ihn nicht benutzt habe.“

Sie doch nicht.“

„Da gibt es andere, die das machen?“

„Jetzt wohl nicht mehr.“

„Nur so zum Spaß? Jungenstreiche?“

Haberl lachte. „Wenn sie das so nennen wollen. Jungenstreiche, jawoll.“

„Ich muss noch viel verstehen lernen.“

„Braucht's nicht. Was ist jetzt mit dem Schlafzimmer?“

„Ja, nichts. Das benötige ich nicht.“

„Wie sie meinen. Übrigens, das mit dem vielen Glas für ihr Studio wird nicht billig. Ist auch komisch. Niemand hier will so große Fenster. In die jeder reinschauen kann. Bis zum Boden! Haben sie sich das auch richtig überlegt? Hier macht man die Fenster so klein wie möglich. Außerdem nach Norden ist ganz schlecht. Da kommt ja nie eine Sonne rein.“

„Jedes richtige Atelier ist nach Norden ausgerichtet.“

„Ah so?“

„Der Künstler möchte den ganzen Tag so ungefähr das gleiche und gleichmäßige Licht haben zum Malen.“

„Ach so ist das. Ja, wenn das so ist. Dann machen wir es so.“

„Danke.“



Das Lokal hieß 'Alte Post'. Es war das Zentrum des Dorfes und deswegen auch das Logis für den Dorfstammtisch. Erkennbar an einem bayrischen Wimpel auf einer geschnitzten Statuette von irgendeinem wichtigen, grinsenden Mann und einer Inschrift, die besagte, dass dieser Tisch immer belegt sei. Den Wirt erkannte Werner vom Bürgermeisterempfang wieder.

„Wo ist denn die Toilette, Herr Wirt?“ Werner war von seinem Bier aufgestanden und an die Theke getreten.

„Werner. Ich heiße Werner. Genauso wie du, Werner. Nur hinten bin ich anders. Huber nämlich. Da wo bei ihnen der Lorenz ist.“

„Prima. Darf ich Werner sagen?“

„Klar. Da hinten rechts am Stammtisch vorbei.“


Werner ging langsam zurück, weil er sich die Hände mangels eines Handtuchs an der Hose abtrocknen musste. Dann blieb er vorsichtshalber stehen.

„Des is vielleicht a Matz. Hat die sich den alten Deppen gschnappt. Jetzt hat's an eigenen Hof. Nicht schlecht.“

„Und wenn sie den Oiden zuviel vögelt, dann derbreselts ihn und sie hat alles. Nacha kanns dann den Josef nehmen. Der wartet schon die ganze Zeit drauf.“

„Aber i glaub, den Josef mogs gar ned. Vielleicht holt sie sich dann einen aus der Stadt. Dad besser zu ihr passen, dem ausgschamten Luder.“

„Die is überhaupt net so. A bisserl bsonders is sie halt.“

„Deppert im Kopf moanst.“

„Na überhaubts ned. Anders halt. So modern. Des kennsd du ned.“

„I bin moderner als du jemals sein wirst, alter Geldsack. Is alles unser Geld, was du da hast, des vergisst du immer. Dei Bank bscheißt uns doch bloß.“

„Ich bscheiß niemand. Übrigens glaub i, dass der Neue einen Haufen Geld hat. Der hat für sein Umbau nix gebraucht.“

„Hat hoid a Nummernkonto in der Schweiz. Und holt sich den Diridari im Koffer.“

„Nützt ihm auch nichts, wenn er sich totvögelt. Bei der wird des schnell passieren, des kannst mir glauben. Dann fahrt die in die Schweiz“, kam aus der anderen Ecke des Tisches.

Werners Hände waren trocken und er ging möglichst unauffällig zurück zu seinem Tisch.

„Scheiße...“, hört er noch.


Er trank sein Bier aus und bezahlte. Recht haben die irgendwie schon, die Einheimischen. Viel Lebenserfahrung ist da versammelt. Susi wird mir wirklich zu anstrengend sein. Halt. Was für ein Quatsch. Ich hab ja gar nichts mit ihr und das wird auch so bleiben. Bestimmt.

Seine Schulter wurde durch den Rempler beinahe aus der Kapsel gestoßen.

„Holla. Sagen sie mal. Verdammt, haben sie mich nicht gesehen?“ Werners Jähzorn kam blitzartig. Schon seine Mutter hatte ihn damit verspottet.

Der junge Mann drehte sich um und baute sich bedrohlich vor Werner auf. Er war nicht bayrisch gekleidet, sondern mit Totenkopf – Shirt und schwarzer Lederhose.

„Und das soll mich jetzt beeindrucken?“ Werner hasste dumpfe, grundlose Aggression.

„Lass sie in Ruhe, sonst passiert was. Verstanden?“, sagte der Halbstarke.

„Wen soll ich in Ruhe lassen und was würde passieren, junger Mann?“

„Nenn mich nicht so, du Saupreiss. Und red nicht so blöd daher. Sonst passiert gleich was.“

Wie aus dem Nichts war Jürgen, der Hauptkommissar erschienen. „Jetzt beruhige dich mal und verschwinde am besten, Josef. Ich versteh' dich schon, aber du täuschst dich. Der Werner hier ist schwer in Ordnung.“

„Ich geh ja schon. Ich hab' nur gemeint...“

„Verschwinde.“

„Ist ja gut.“


„Trinken wir noch ein Bier, Werner Lorenz?“

„Warum nicht. Wo?“

„Ja da gleich. In der alten Post.“

„Hmm. Da mögen sie mich nicht sehr.“

„Blödsinn. Die mögen sich alle nicht. Das wirst du schon noch begreifen.“


„Zigarette, Werner?“

„Ich dachte, in Lokalen ist Rauchverbot, auch hier.“

„Ja sicher.“

„Und?“

„Ich erteile heute die Ausnahmegenehmigung.“

„Das kannst du doch gar nicht.“

„Auch richtig. Ich gehöre zur exekutiven und nicht zur legislativen Abteilung.“

„Und?“

„Nix und. Rauchst du jetzt eine mit oder muss ich alleine?“

Werner schaute sich verstohlen um und bemerkte, dass aller Augen des Stammtisches auf sie gerichtet waren und dass getuschelt wurde, gefolgt von einem ehrfurchtsvollen Kopfnicken. Dann machten sie wieder weiter mit dem, was man am Stammtisch so macht.

„So. Jetzt bist du in ihrer Achtung enorm gestiegen.“

„Was habe ich gemacht?“

„Nicht du, ich.“

„Bist du der heimliche Chef, hier?“

„Ja und nein. Immer, wenn's unangenehm wird, brauchen die mich. Deswegen.“

„Gibt's hier so viel Unangenehmes?“

„Sagen wir es mal so. Die Nähe zur alten Grenze lässt viele Erinnerungen aufkommen und Phantasien, was man alles machen könnte.“

„Und das ist nicht immer ganz im Rahmen der Gesetze, oder? Und du drückst dann ein Auge zu.“

„Völlig falsches Verständnis, Werner. Man merkt, dass du wenig Ahnung vom wirklichen Leben hast. Ich sorge dafür, dass ich immer weiß, was los ist und versuche dann, das Schlimmste zu verhindern. Aber eines wissen die alle: Ich bin unbestechlich und stehe ohne Ausnahme zu den Gesetzen. Das macht mich für sie immer berechenbar.“

„Ich versuche zu begreifen. Was war das übrigens mit dem aggressiven jungen Halbstarken?“

„Das war der Loibl Josef. Der Sohn von deinem Verkäufer. Der macht auf Krawallbursche. Ist aber völlig harmlos und im Grunde ganz anständig. Ganz im Gegensatz zu seinem Bruder, dem Hansi. Dem schau ich schon genauer auf die Finger.“

„Und der dachte, ich nehme ihm die Susi weg?“

„Ist doch naheliegend. Ein reicher Geldsack und das junge Ding. Gibt's in jedem Film. Und die schauen hier viele Filme an. Was soll man hier sonst machen am Abend?“

„So ein Quatsch. Ich hab doch nichts mit der. Sie ist sehr nett, ja. Aber viel zu jung für mich.“

„Das glaubt dir aber keiner.“

„Aber dann müssten sie doch alle gegen mich sein.“

„Sind sie ja auch. Aber zugleich sehr modern. Touristen und Zugroaste bringen Geld.“

„Schöne Gesellschaft.“

„Normale Menschen halt.“

„Jetzt würde mich noch eines interessieren. Du scheinst immer und überall anwesend zu sein. Wie machst du das und hat das einen Grund?“

„Im Moment bin ich tatsächlich viel hier. Der Grund braucht dich nicht zu interessieren. Und ja. Dich beobachte ich auch genau. Man muss doch wissen, was da Neues hinzugekommen ist.“

„Du verdächtigst mich einer Straftat?“

Wieder fand Werner seine Lachfalten äußerst sympathisch. „Wenn das so wäre, hätte ich dir doch kaum gesagt, dass ich dich beobachte, oder?“

„Vielleicht als Warnung oder ein Trick?“

„Raffiniert? Quatsch. In deiner Vorgeschichte ist nichts, was beunruhigend sein könnte. Bei deinem Rechtsanwalt ist es schon ein wenig anders. Hab' ich recht?“

„Hahaha. Du hast ein Dossier über uns?“

„Die modernen Mittel der Technik sind einfach phantastisch. War kaum ein Aufwand. Tut mir leid. Aber jetzt weißt du ja alles und kannst ganz beruhigt weiter machen auf deinem Hof. Du solltest nur mit mir in Kontakt bleiben, wenn dir irgend etwas auffällt, was dir komisch vorkommt. Etwas, was nicht unter den normalen Scheiß fällt, den die hier im Hinterwald sowieso machen. Du bist in Bayern aufgewachsen, du kennst den Unterschied. Ruf mich jederzeit an oder schick mir ein What's App. Findest du auf meiner Karte, hier.“

„Willst du auch meine Kontaktdaten?“

„Hab ich doch schon lange, Werner.“

„Ich bin aber jetzt schon ein wenig beunruhigt. Was ist mit meinem Hof?“

„Nichts.“

„Lüge.“

„Falscher Begriff, weil eine Beleidigung. 'Unwahrheit' oder 'Schutzbehauptung', das ginge.“

„Lenk' nicht ab. Was ist mit meinem Hof?“

„Besser wäre für dich, wenn du nichts weißt. Sonst wirst du nur paranoid.“

„Sehr beruhigend.“

„Meine Rede sollte dir doch sagen, dass gleich mehr kommt oder hältst du mich für einfältig?“

„Ich höre.“

„Besser für dich, dass du nicht weißt, dass dein Hof einige Zeit als Lager missbraucht wurde.“

„Ah. Das hat der Bürgermeister schon erwähnt. Für geschmuggelte Zigaretten.“

„Genau. Zigaretten.“

„Und er hat auch gesagt, dass die sich jetzt was anderes suchen würden, wenn der Hof bewohnt ist. Und dass ich mir keine Sorgen zu machen brauche.“

„Wunderbar. Dann weißt du ja wirklich schon alles.“

„Und der schöne Porsche wurde dazu missbraucht?“

„Möglicherweise.“

„Und deswegen hast du nachgesehen, ob er benutzt wurde.“

„Gut beobachtet.“

„Verarsch' mich nicht.“

„Dümmer wärst du mir lieber.“

„Was soll das jetzt heißen?“

„Dass du ein Mensch bist, den ich im Verdacht habe, dass er allen Dingen auf den Grund gehen will. Und genau das solltest du nicht tun, sondern mir überlassen.“

„Ich will nur malen.“

„Prima. Gute Einstellung. Dann tu das auch. Kannst mir ja mal zeigen, was du da so malst. Interessiert mich. Außerdem habe ich eine Bekannte, eine Freundin, die das auch sehr interessiert. Können wir mal vorbeikommen, wenn du so weit bist?“

„Klar. Ich würde mich freuen.“


Eine heile Welt hier, dachte Werner, als er sich auf den Weg zu Zenzis Pension machte. Ein bisschen Zigarettenschmuggel hält die ganze exekutive Staatsmacht auf Trab. Aber sympathisch und klug ist er ja, der Herr Hauptkommissar.


Schon einige Tage hatte er, immer wieder unschlüssig auf seinem Hof herumstehend, das muntere Treiben von Menschen und Baumaschinen beobachtet. Eine zielführende Vorgehensweise konnte er nicht erkennen. Neben dieser passiven Beobachtung des Baufortschritts wechselte sein Tagesablauf zwischen Schlafen bei Zenzi und kurzen Wanderungen in der Waldeinsamkeit, bei denen ihm immer neue Ideen für sein Heim einfiel. Die er aber lieber für sich behielt. Seine Wünsche kämen Herrn Häberl bestimmt sehr gelegen, da er jeden Anlass aufgreifen würde, den Festpreis zu korrigieren. Schließlich hatte Werner das zu seinen Berufszeiten sehr erfolgreich genauso gemacht.

Susi war schon seit mehreren Tagen nicht zu sehen. Vermutlich war ihr der Lärm und die vielen Menschen unangenehm. Was sie in ihrem richtigen Leben machte, wusste er immer noch nicht.

Heute gab es eine Abwechslung. Ein grauer Golf fuhr langsam in den Hof und parkte kurz hinter dem Eingang.

„Kann ich einen Moment hier stehen bleiben, Herr Lorenz?“

Werner kannte ihn vom Stammtisch. Das war doch der Filialleiter von 'Nah und gut', wenn er sich nicht täuschte.

„Aber natürlich, Herr…“

„Huber, Martin. Sagen sie doch einfach Martin. Das macht man hier so.“

„Klar. Werner mein Name.“

„Weiß schon, Werner. Na? Geht's gut voran?“

„Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung. Bis jetzt ist das Chaos viel größer als vorher.“

Martin lachte. Es war mehr so ein etwas einfältiges Glucksen. „Keine Sorge, Werner. Der Häberl, der ist gut. Der kennt sich aus. Der weiß, wie man das macht. Und seine Leute sind ein eingespieltes Team.“

„Na hoffentlich.“

„Jetzt sind sie doch nicht so pessimistisch. Aber ich versteh' schon. Neu hier und gleich so ein großes Vorhaben und so viele fremde Menschen. Das ist nicht leicht zu verkraften. Wann kommt denn ihre Familie nach?“

Aha. „Ich habe gar keine Familie, Martin. Ich wollte hier wirklich alleine sein.“

„Ach herrjemine. Na, vielleicht wird’s hier noch was mit Familie. Unverhofft kommt oft, oder?“

„Da ich nichts erhoffe, könnten sie recht haben.“

„Ach was. Träume hat doch jeder, oder?“

Die ich dir nicht erklären werden, weil du sie ohnehin nicht verstehen würdest. „Aber sicher, Martin. Was verschafft mir eigentlich die Ehre deines Besuchs?“

„Eigentlich suche ich den Dieter. Den Dieter Brunner.“

„Und wer ist das? Ich kenne noch nicht viele hier.“

„Den solltest du aber schnell kennenlernen. Das ist ein Ingenieur und der Bauleiter für dein Projekt. Der sollte meistens hier anwesend sein. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Du verstehst?“

„Schau dich ruhig um, ob er hier ist.“

„Komm doch einfach mit. Oder hast du wichtigeres zu tun?“

„Nein, wirklich nicht.“


Dieter war ein blonder, diszipliniert aussehender, ernster Mittdreißiger und begrüßte Werner mit einem kräftigen Handschlag und ungerührtem Gesicht. Also nicht einer von der kommunikativen Sorte, schloss Werner. Aber das muss ja nicht schlecht sein. Hauptsache das 'Gewerk' wurde termingerecht fertig.

„Was gibt’s, Martin?“, sagte Brunner.

„Nichts Besonderes. Ich wollte nur wissen, ob ihr mit meiner Lieferung zufrieden seid. Ich will, dass meine Kunden immer zufrieden sind.“

„Klar sind wir zufrieden, wie immer.“

„Es ist so, dass ich einen Engpass habe. Die Wurst kommt erst wieder übermorgen. Seid ihr für morgen auch mit Käsesemmeln einverstanden? Ich mach' auch schön Gurken und Tomaten drauf.“

„Das ist blöd. Käse ist schon in Ordnung, Martin. Aber nächstes Mal bitte wieder Wurst. Oder ist sie ganz aus? Nein? Gut. War's das? Ich muss zum Dachstuhl, da haben sie die Flansche falsch angebracht.“ Brunner wirkte ungehalten und nervös. Große Sympathien hegte er wohl nicht für den Filialleiter.

„Ja ja. Geh' nur. Ich wollte dich nicht aufhalten.“


„Alles gut organisiert, Martin. Hätte ich gar nicht gedacht“, sagte Werner, als Brunner gegangen war.

„Wir können das genauso wie ihr Großstädter. Verpflegung ist doch wichtig, oder? Außerdem bezahlst du sie ja auch.“ Martin grinste.

„Klar ist Verpflegung wichtig. Bremst die Arbeit, wenn sie nicht gut ist.“

„Was hat du eigentlich früher gemacht, Werner? Dass du dir das hier leisten kannst. Ich finde das schön, so stelle ich mir mein Leben auch vor, wenn ich mal alt bin. Einfach nichts tun. Ich habe gehört, du kennst ganz wichtige Leute, so richtige Vorstände von Firmen. Wie sind die denn so?“

„Von wem willst du das gehört haben? Egal. Gerüchte sind schneller als das Licht, weiß schon. Aber es stimmt schon, ich habe einige kennengelernt. Aber glaub' mir, das sind auch ganz gewöhnliche Menschen. Nichts Besonderes. Nur ein wenig machthungriger als die meisten.“

„So hab' ich mir das auch immer gedacht. Aber unsereins wird ja solche Leute nie kennenlernen. Macht nichts.“

„Hast nichts versäumt.“

„Eben. Übrigens, Werner. Wenn du heute Abend in die alte Post kommst, gibt’s eine Überraschung.“

„Ach ja? Gut, Martin, ich wollte sowieso dort zu Abend essen.“


Werner aß sein Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat, das er hier immer wieder nahm und weil er Appetit hatte, bestellte er noch eine Portion Kaiserschmarrn mit Apfelmus, eine seiner Leibspeisen. War dann doch etwas zu viel. Er ließ die Hälfte mit Bedauern stehen, nur vom Apfelmus ließ er nichts übrig, und trank genießerisch sein Bier aus. Eine Halbe würde schon noch gehen.

Martin Huber unterbrach seine wohligen Gedanken. Er hatte sich feierlich vor seinem Tisch aufgebaut und räusperte sich. Ah, die Überraschung. Werner hatte es schon vergessen.

„Also. Also, Werner. Wir haben es einstimmig beschlossen. Du bist ab sofort Mitglied in unserem Stammtisch. Diese Ehre wird nicht schnell jemand zuteil. Komm einfach rüber zu uns und nimm dein Glasl mit.“

Werner war tatsächlich völlig überrascht. Was war denn mit denen los? So etwas gibt es in Bayern eigentlich nicht. Dazu muss man schon seit Jahrzehnten 'von da' sein, aus einer alten ansässigen Bauernfamilie stammen oder über Dorfmacht und Einfluss verfügen. Aber vielleicht ist das hier in Mitterdorf etwas anders.

„Das ist aber eine große Ehre. Und alle sind einverstanden?“

„Klar. Sonst ginge das ja gar nicht.“

Werner dachte kurz nach, ob er das wollte. Eigentlich nicht. Aber das war ein Angebot, das man nicht ablehnen konnte. Er sah sich um, wer da alles dazugehörte. Da war natürlich Konrad Müller, der Bürgermeister, Toni Häberl, der Bauunternehmer, der Banker, Horatius Klein hieß der und einer, den er nicht kannte und zu guter Letzt der Pfarrer, wie es sich gehört. Früher wäre da auch noch der Lehrer dabei gewesen. Aber Lehrer waren heute keine Honoratoren mehr.


Der freie Stuhl positionierte ihn zwischen dem Pfarrer, der sich als Josef Weinzierl vorstellte, und dem Unbekannten.

Werner wandte sich dem zu. „Wir kennen uns noch gar nicht. Werner Lorenz, mein Name.“

„Ich bin Simon, Simon Schwarzhaupt, der einzige Apotheker hier. Manche nennen mich Simmerl. Simmerl ist eine Verballhornung meines ehrenwerten Namens. Hierzulande bedeutet Simmerl, dass man etwas einfältig ist. Willkommen bei uns, Werner.“

Stille.

Was war jetzt? Ach so.

„Eine Runde Bier, für alle“, rief Werner. „Und… Ja, was trinkt ihr denn so zum Bier?“

Bärwurz, war die Mehrheitsentscheidung.

Natürlich hatten sie auf den Einstand gewartet. Jedenfalls war er billiger als eine Aufnahme bei den Rotariern. Aber Fürsprecher, Leumunde, brauchte es hier auch.

„Jetzt würd' mich mal deine Meinung interessieren“, sagte der Bürgermeister. „Wir haben das vorher diskutiert. McDonalds oder war es der Burger King, ich weiß nicht genau, möchte bei der Talstation eine Bude aufmachen. Die haben nämlich gehört, dass bei uns der Bär abgeht, im Winter.“

„Keine gute Idee“, sagte Werner.

Das fanden alle schon einmal gut. Sie nickten sich zu. Ihre Entscheidung war richtig gewesen. „Und warum meinst du das?“, fragte Häberl. Aller Augen richteten sich auf Werner.

„Anreiz für eine falsche Entwicklung. Ihr wollt doch nicht so ein lächerliches Kitz für junge Halbstarke werden, wie man das immer mehr sieht. Beim Hamburger bleibt es nicht. Am Ende habt ihr hier Leute, die Hugo trinken, mit verblödeten Discjockeys herumhopsen, einen Höllenlärm veranstalten und sich wer weiß was einbilden. Und Geld haben die nicht wirklich. Die tun nur so.“

„Aha. Was schlägst du dann vor?“ Der Pfarrer war von seinem bierseligen Dämmern aufgewacht.

„Wenn ihr gute Leute haben wollt, müsst ihr erst einmal die natürliche Umgebung noch besser nutzen. Wanderwege, Waldlehrpfad, Märchenweg, Baumwipfelpfad, Tiergehege, wo man Wölfe und Luchse sehen kann, so etwas fällt mir sofort ein. Oder eine Kneipe im Wald nach Waidler Art. Bikerwege, Badeplätze, Tennis vielleicht, aber bloß kein Golf. Die Ballschubser betrachten sich als abgeschlossene Elite und wollen mit euch nichts zu tun haben.“

Einige lachten, einige tuschelten und einige machten sehr ernste Gesichter. Vor allem der Bürgermeister wollte wohl etwas sagen.

„Herr Bürgermeister, oder Konrad. Du hast Bedenken?“, fragte Werner.

„Nein. Keine Bedenken. Es ist nur so, dass das viel Geld kostet, so etwas aufzubauen. Und ob es etwas bringt?“

„Ihr müsst euch zuallererst entscheiden, was Mitterfirmiansreut in, sagen wir mal, zehn Jahren sein soll. Das gemütliche Dorf, zu dem ein paar Stammgäste immer wieder kommen, ein quirliges Touristenzentrum, das junge Menschen und Sportler anzieht, ein feiner Ort, in dem sich die 'Geldigen' ein paar Mal im Jahr treffen, ein Gesundheitszentrum für Leute, die möglichst lange leben wollen. Da gibt es viele Möglichkeiten.“

„Das klingt jetzt richtig strategisch“, sagte Toni Häberl und nickte heftig. Aha, er sah schon die Millionen, die ihm die Bauaufträge einbringen würden. „Aber da fehlt es hier an allem. Niemand hier, der so denken kann und niemand, der die Kohle hat, das zu realisieren. Denkst du da an Scheichs oder Russen oder so etwas?“

Werner lachte. „Nein, nein. Das wäre schrecklich. Ihr solltet im Gemeinderat so ein Ziel beschließen. Aber gut überlegen vorher. Und dann in kleinen Schritten… Ihr wisst schon: Jeder, auch noch so lange Weg, beginnt mit dem ersten Schritt. Ich denke, ihr habt mit dem vielen Schnee und den Liften eine ganz gute Wintersaison. Nicht für Extremsportler, mehr so für Anfänger und Gemütliche, ihr wisst schon. Und da kann man mit kleinen Verbesserungen viel Gutes tun. Zum Beispiel Gastronomieangebote haben, die es nicht überall gibt. Dazu müsst ihr etwas verstehen: Die Masse von normalen Menschen, die plötzlich überallhin reisen konnte, hat es anfangs sehr angenehm empfunden, wenn sie in der Ferne ihr gewohntes Ambiente vorgefunden hat. Die hatten nämlich alle Angst in der Fremde. Ich sag's euch. Als ich noch gereist bin, wusste ich oft nicht einmal, wo ich war. Ob in New York, Frankfurt oder Hongkong, überall internationaler Hotelstandard und internationale Küche. Schrecklich. Jetzt wollen die Menschen das gar nicht mehr. Bratwurst mit Pommes auf Phuket gehen ihnen langsam auf den Geist. Ach ja, Phuket. Als ich das erste Mal da war, gab es winzige Kneipen mit Strohdach, das Klo in einer Nische gleich neben den Tischen und der Küche, ein Loch im Boden. Wenn es geregnet hat, hat die nette Thailänderin nach oben gedeutet und 'lain' gesagt und gelacht. Aber das Essen war sagenhaft. Exotisch und köstlich und sauscharf. Ein paar Jahre später waren da anstelle der kleinen Kneipen Bars, Discos mit Bummbumm, Launchmöbel, Russen mit Geldrollen, angeblich heiße Bräute und vermutlich Drogen überall und daneben hat ein Österreicher aufgemacht mit Wiener Schnitzel und Salzburger Nockerl. Grässlich. Gebildete Menschen heute wollen wieder etwas Neues, etwas Anderes kennenlernen und davon habt ihr sehr viel.“

„Und wie sollen wir das machen?“ Der Bürgermeister war neugierig geworden. Vielleicht auch wegen der heißen Bräute.

„Ich hab natürlich keine spontane Strategie. Aber zu eurem Kioskthema sollte sich der Huber als Wirt und der Martin als Lieferant zusammentun und etwas ganz Originelles und Originales aufstellen.“

„Originell und Original, das ist gut. Das merk' ich mir“, sagte Toni Häberl und nickte Werner anerkennend zu.

„Ich denk' der Werner hat recht“, meinte Martin. „Was ist, Häberl? Hocken wir uns mal zusammen. Vielleicht kann der Neue ja dazukommen.“

Das gefiel Werner ganz und gar nicht. Hätte er doch geschwiegen. Task Force Kiosk. So weit kommt's noch. Er bestellte sich noch einmal ein Bier und dann eine ganze Runde Bier und Bärwurz, als er die Blicke bemerkte. Er schluckte den scharfen Schnaps herunter. So wie der in der Kehle kratzte, verstand er, dass die Waidler ihn als Medizin bezeichneten. Weiß der Teufel, woraus die den gemacht haben.

„Du bist ganz schön rumgekommen, oder?“, fragte der Pfarrer.

„Und auch noch in den Vorstandsetagen“, ergänzte Martin.

„Erzähl doch mal“, sagte der Bürgermeister.

„Warst du bei AUDI oder BMW?“, fragte Klein, der Banker. „Die zahlen doch richtig gut, oder?“

Werner trank erneut einen Bärwurz aus und spülte mit Bier nach. „Ich glaub, da brauch ich bald noch eines“, sagte er. „Ja, bei denen war ich auch, Horatius, ich darf doch Horatius sagen. Aber in letzter Zeit war ich mehr so beim Handel und den Versicherungen.“

„Erzähl mal vom Handel“, sagte Martin.

„Bei EDEKA, deinem Laden war ich nicht, aber bei REWE und früher beim Tengelmann.“

„Ah, das ist ja interessant. Was hast du da gemacht?“

„Bei denen ging es darum, wie sie ihre Sachen im Laden verteilen sollten, damit die Leute mehr kaufen als sie eigentlich vorhatten.“

„Das probier ich schon länger. Aber es klappt nicht.“ Martin lachte mit seinem komischen Glucksen.

„Das viel zitierte Beispiel ist, dass man neben den Pampers Sixpacks mit Bier positionieren sollte. Und wisst ihr, warum? Die jungen Väter haben schnell noch am Feierabend von ihren Frauen den Auftrag bekommen, Windeln mitzubringen. Ihr versteht den Zusammenhang? Und dass die Süßigkeiten für die Kinder kurz vor der Kasse, wo die Mütter schon genervt sind, aufreizend bunt in Augenhöhe der Kleinen liegen, das wisst ihr bestimmt schon. Ist schön verlogen, wenn man darüber ein Schild sieht, das für gesunde Ernährung wirbt. Das interessiert die großen Händler nämlich überhaupt nicht. Sie springen nur auf den Biozug auf, weil sie erkannt haben, dass die Menschen für das Gleiche dann viel mehr Geld ausgeben. Die Kinder sollen ja gesund aufwachsen.“

„Aber Bio ist doch Bio, oder?“

„Schon. Aber das Zertifizieren überlassen die Händler dem Hersteller. Kostet sie keinen Cent. Haben wir uns so ausgedacht. Entschuldigung. Bio ist mittlerweile fast so gut wie eine Marke.“

„Ah. So ist das.“

„Was ihr wahrscheinlich nicht wisst, ist, dass bevorzugte Plätze, wie zum Beispiel das Kopfende der Regale bestimmten Herstellern überlassen werden. Das sind die, die ohnehin schon gewaltig Werbung für ihre Produkte machen. Nivea ist so ein Beispiel. In euren Köpfen ist das eine Creme, schon fast ein stehender Begriff. Nivea Creme wie Uhu für Klebstoffe. Die flache, blaue Blechdose kennt jeder. Aber fällt euch nicht auf, dass es jetzt unter dem Namen Nivea haufenweise andere Sachen gibt, auch noch eine Männerpflegeserie? Das hat mit der Nivea Creme nichts mehr zu tun. Genauso wie Nivea mit dem alten Beiersdorf nichts mehr zu tun hat. Beiersdorf gehört einem Unternehmen namens Maxinvest und wer da der Eigner ist, verliert sich im Dunklen. Jedenfalls haben sie die Marke herausgelöst und benutzen sie für alles Mögliche. Die Marke ist wertvoll, nicht das Unternehmen. Oder wusstet ihr, dass der gute alte Max Grundig aus Nürnberg jetzt eine türkische Firma ist?“

„Des derf ned wahr sein.“

„Noch schlimmer, die AEG.“

„Ja, das sind gute Geräte.“

„Da weiß man was man hat, oder?“ Werner lächelte überlegen. „Hört einmal. AEG war pleite. Dann hat Daimler die übernommen und die Marke auch. Das war erst einmal gar nicht so schlecht, weil AEG auch im Verkehrssektor tätig war. Im Zuge einer Straffung des Produktportfolios hat Daimler die AEG wieder verkauft an Elektrolux, was auch ein guter Name war. Die haben es dann an Stiebel Eltron verkauft, die wiederum unter eine Holding geraten sind, namens EHG Elektroholding GmbH. Und jetzt geht’s richtig los. EHG hat die Marke AEG für teures Geld an andere Firmen verkauft, wohlgemerkt, nur die Marke. Jetzt gibt es zum Beispiel auch eine chinesische Elektrofirma, die Produkte unter dem Namen AEG verkauft. Mit der guten, alten Firma AEG hat das nicht im geringsten etwas zu tun. Grausig, was da unter rein finanziellen Gesichtspunkten in der Welt passiert.“

„Ich sag's ja immer“, sagte der Apotheker Schwarzhaupt. „Wir werden nur noch verarscht. Und die Banker sind dabei die schlimmsten Finger auf der Welt. Denen ist alles egal, Hauptsache die Kohle stimmt.“

„Holla. So einfach ist es nicht“, protestierte Horatius. „Ohne unser Geld könntet ihr euch nichts kaufen, keine Häuser, keine Autos, keine Fernseher. Sogar für den Urlaub gebe ich euch noch Geld.“

„Der tut gerade so, als ob die ganze Kohle seine wäre. Dabei hat er alles von uns und verleiht es jetzt für hohe Zinsen“, sagte Häberl. „Dabei ist es unser Geld. Das sollte er nie vergessen. Aber mach weiter, Werner. Wir haben dich unterbrochen.“

„Von den großen Marken sind Händler natürlich abhängig. Da kuschen die. Vor Coca Cola zum Beispiel. Bei den kleinen Herstellern sind sie nicht zimperlich. Die werden mit den Preisen so lange gepresst, bis sie pleite sind und dann sind sie tot oder werden übernommen. So geht das heute.“

„Siehst du, Martin. Deswegen kann dich der Fuchs Josef nicht leiden.“

„Wer ist das?“, fragte Werner.

„Der einzige, verbliebene Bauer hier, nachdem der Loibl verkauft hat.“

„An einen reichen Schnösel. Ich weiß schon.“ Werner war es ein wenig schwindelig, aber seine Laune war großartig.

„Stimmt. Erzähl weiter.“

„Am Schlimmsten sind, ich sage euch, am Allerschlimmsten sind die Versicherungen.“

„Erzähl. Ist keiner von denen da. Da kannst du richtig loslegen.“

„Zum Beispiel, wenn ihr eine Lebensversicherung bei einem der ganz Großen habt, woher meint ihr, kommt der Gewinn für euch?“

„Keine Ahnung. Zinsen?“

„Von wegen. Zinsen bringen ja nichts mehr. Nein. Wisst ihr, was die zum Beispiel gemacht haben? Die haben in den Großstädten die Parkuhren gekauft. Die machen richtig Gewinn. Und davon zahlen sie euch die Lebensversicherung. Nicht ohne vorher noch ihren Teil eingestrichen zu haben. Damit sie noch mehr Parkautomaten kaufen können.“

„Wahnsinn.“

„Und wenn ihr einmal einen Schaden habt, dann wünsch ich euch viel Glück. Da, wo ich war, ich sag's nicht, aber es war in Österreich, da sind nämlich die größten Versicherer weltweit, ja, glaubt ihr nicht? Stimmt aber. Da kommt eure Schadensmeldung herein. Zu einer riesigen Abteilung, die sich harmlos Schadenregulierung nennt. Über hundert Leute bei einem einzigen Versicherungsunternehmen. Die bezahlt ihr alle mit euren Prämien. Deren Aufgabe ist es, die Regulierung abzuwehren. Die schauen besser als ihr, weil sie Juristen sind, ins Kleingedruckte und lehnen ab. Wenn sie in mehreren Fällen nicht ablehnen können, machen sie Vorschläge, wie man das Kleingedruckte in Zukunft ergänzen sollte. So geht das. Deswegen sind das mittlerweile so viele Seiten. Kleingedrucktes im wörtlichen Sinne. Aber manchmal habt ihr Glück. Ist der Schaden nicht zu hoch, schätzen sie ab, was teurer ist: Bezahlen oder Rechtsstreit. Dann bezahlen die einfach kommentarlos, ohne euch zu informieren. Kommt oft vor. Ich weiß das. Ich war bei denen. Und den Schaden rechnen sie gleich wieder auf die Prämie drauf, indem ihr im Rabatt runtergestuft werdet. Da könnt ihr gar nichts dagegen tun. Kein Einspruch hilft, weil die schon bezahlt haben. Nur den Schaden selber zahlen geht noch. So steht es im Kleingedruckten. Jetzt brauch ich noch einen von euren großartigen Schnäpsen.“

Alle waren still geworden und murmelten allenfalls vor sich hin. Er hatte ihre Ehrfurcht erworben.

„Und die zahlen dir immer noch, damit du den Mund hältst, oder?“ Martin grinste.

„Nein, nein. Martin. Das ist alles korrekt. Ich bekomme noch ein bisschen so etwas wie ein Autorenhonorar für ein Softwareprogramm, das ich für die entwickelt habe. Mit Kollegen.“

„Eines für die ganzen Schweinereien, oder?“

„Nnnnein. Nicht ganz. Aber für den besseren Verkaufserfolg und höhere Rendite schon. Tut mir leid.“

„Kommt den Kunden ja zugute.“

„So kann man das auch sehen. Ich glaub, ich muss jetzt mal langsam nach Hause. Halt. Geht ja noch nicht. Zur Zenzi halt. Macht's gut und danke für die Aufmerksamkeit. Gute Nacht, Leute. Ihr seid sehr nett.“


Am nächsten Morgen entschloss sich Werner, zu Fuß zu seinem neuen Heim zu gehen, um damit den etwas schmerzenden Kopf frei zu bekommen. Das Wetter war zwar nicht schön, aber es blieb wohl trocken. Gleichmäßig dunkelgrüne Hügel und mittelgrauer Himmel. So sieht auch der Bayerische Wald langweilig und öde aus.

Bei dem Bauernhof vor der Kurve hielt er kurz, schaute sich um und ging dann entschlossen hinein, getrieben von purer Neugier.


Ähnlich wie sein Hof, aber unordentlich, lebendig. Sogar die Odelgrube war am gleichen Platz. Nur diese war voll mit dampfendem Mist.

Der Mann mit dem schmutzigen Filzhut war in einen blauen Overall gekleidet und trug stilecht eine Mistgabel auf der Schulter.

„Grüß Gott. Ich bin der Neue vom nächsten Hof. Ich wollte sie einfach nur einmal begrüßen.“

„Der vom Loibl? Scho klar. Servus.“

„Ich heiße Werner Lorenz.“

„So so. I bin der Fuchs, Josef, Werner.“

„Sie betreiben noch Landwirtschaft?“

„Ich betreibe Landwirtschaft. Ich weiß jetzt nicht, was betreiben heißt. Aber mir (wir) haben Kia (Kühe) und Hühner für die Eier und Pferdln für die Touristenweiber. Mehr für die Töchter. Wennst des meinst.“

„Ach das sind diese hübschen hellbraunen Pferde da hinten in dem Pferch.“

„Meine Güte. Was redstn du für a Zeug. Norweger sands. Schauen liab aus. Des gfoid (gefällt) den Madln. Aber des sand Hundsviecher. Mit am eigenen Kopf. Da hab' i vui Spaß, wenn's ned weitergehen, sondern stehn bleiben und fressen. Bei dene Madln, die nix verstehen von die Pferdl.“

„Und sie abwerfen.“

„Na, des machen die ned. Dafür sind die viel zu gstingad (faul).“

„Und die glücklichen Kühe sind auf der Alm?“

„Ha? Du bist genauso bläd wie unsere Gäste hier. Naa. Die sind im Stall und werden gfuadert bis sie groß genug sind und dann Gulasch werden.“

„Abscheulich.“

„Ja woher moanst du kimmt des Schnitzel, des wo du beim Huber frisst?“

„Da haben sie auch wieder recht.“

„Und für die Kinder sands besser im Stall. Da könnens die fuadern und aufm Kopf streicheln. Den Kühen ist des eigentlich wurschd. Hauptsache, es gibt was zum Fressen. Draußen warn die zu gfährlich für die Kinder.“

„Viel Arbeit, das alles, oder?“

„Die Arbeit wars ned. Verdienen tun mir nix mehr. Wie hastn du des gmacht, dassd dem Loibl sein ganzen Hof hast abkaufen können?“

„Ich war in der Großindustrie tätig.“

„Tätig in der Großindustrie. Des hilft mir ned weida, des abghobene Geschwätz. Ich wollt wissen, was du gearbeitet hast. Sag scho.“

„Ich habe mit großen Firmen gearbeitet.“

„Des hasd scho gsagt. Aber was hast du gearbeitet.“

„Ich habe Strategien erarbeitet, Pläne gemacht und diese dann umgesetzt.“

„So kimm ma ned weida. Wie schaugt deine Arbeit aus? Oiso was hast gmacht, so von früh bis abends?“

„Ich habe mich vor den Computer gesetzt, geschaut was für emails ich bekommen habe, den Plan für den Tag angeschaut und bin dann in die erste Besprechung gegangen. Dann nach dem Mittagessen gab es meist noch weitere Besprechungen und dann musste ich Protokolle machen.“

„Gschmatzd oiso.“

„Was heißt 'gschmatzd', Herr Fuchs?“

„Ja geschwäzd, geredet hoid.“

„Ja, richtig.“

„Aber des woid i eigentlich ned wissn. Wasd gearbeitet hasd, dad mi interessieren.“

„Das war die Arbeit?“

„Wos?“

„Das ist die Arbeit, wenn man so etwas macht wie ich.“

„Vasteh i ned. Für sowas habn's dir a Geld gebn? Des gibds doch ned.“

„Doch. So war das bei mir.“

Fuchs schüttelte immer wieder den Kopf. „Und davon hast dir sogar dem Loibl sein Hof kaufn können. I sag dir mal oans (eines): Die Welt ist verrückt worden. So kann des nimmer weitergehen. Koa Wunder, dasd so blass und schmächtig ausschaugst. Geh amoi auf dein Hof und mach was gscheids.“

„Mach ich. Ich werde malen.“

„Wos? Die Wände von deine Zimmer, oder? Und was machsd , wennd fertig bist?“

„Nein, nicht die Wände. Bilder.“

„Buidln. Ach so. Und was machst mit dene?“

„Aufhängen und an Leute, die sie mögen, verkaufen.“

„Du schbinnst. Es gibt doch scho gnua. Schaug amoi im Möbelhaus Matzinger. Da hängens umanand und kosten fast gar nix. Scheene Buidln. Vom Meer und vom Woid und von Viechern. Des kannsd bestimmt ned so guad.“

„Und von röhrenden Hirschen.“

„Ja, genau.“

„In meinen Augen ist das Schund.“

„Und du moansd, du kannsd des besser? Glaub i ehrlich ned. Weil die sand so guad, dass das von am Foto kaum mehr unterscheiden kannsd.“

Vielleicht hat er ja recht, der Fuchs, Josef, dachte Werner. Und die ganzen Leute von Kandinsky und Cézanne bis Richter sind Scharlatane. Die nicht malen können, aber perfekt sind im Verarschen der Menschen.

„Was ist? Wo schaugsdn hin?“

Werner wendete sich wieder dem Bauern zu.

„Noch was, Josef. Die reden alle vom Zigarettenschmuggel. Was hat es damit auf sich?“

„Ah so, des. Ja, ja. Des gibds scho. Die drüben sand viel billiger. I hol mir meine auch da.“

„Und die Polizei?“

„Was für a Polizei? Ah, du moansd den Jürgen. Der ist in Ordnung.“

„Der lässt das zu?“

„Der fängt a paar, wennsas zu toll treiben. Oiso i moan, wennsas gewerbsmässig machen. Da ist nämlich viel Geld drin. I zahl den Lumpen doch koa Geld, bloß weil sie's gewerbsmaßig rüberbringen. I hab scho meine Lieferanten, die woin a bisserl mehr alsd Schachtel drüben kostet. Aber das ist in Ordnung.“

„Sind da die Gewerbsmäßigen nicht sauer?“

„Scho. Aber da kümmert sich der Jürgen dann. Damit nix passiert.“

„Gehts da eigentlich nur um Zigaretten?“

„Ja. Was sonst?“

„Ich weiß nicht.“

„Was soll die Fragerei. Wennsd welche brauchsd, sag i dir, von wem das kaufn kannsd. Du bisd ja jetzt oaner von uns.“

„Danke, Josef. Wir sehen uns.“

„Ja sicher. Grad eben. Was soll das jetzt heißen?“

„Wir sehen uns bald wieder.“

„Wird sich ja nicht vermeiden lassen, oder? Pfiad di.“


Die Zigaretten beim Martin Huber in der Filiale 'Nah und gut' hatten den gleichen Preis wie in ganz Deutschland.

„Sagen sie mal, Frau Huber.“ Werner deutete aus dem Ring, dass die Dame an der Kasse die Ehefrau vom Martin war. „Die Leute kaufen sich doch auch Zigaretten von Schmugglern. Schadet das nicht ihrem Geschäft?“

„So viel wird gar nimmer geraucht, Herr Lorenz. Wir kümmern uns nicht darum. Ist auch besser so.“

„Weil die Schmuggler gefährlich sind?“

„Was? Gefährlich? Davon weiß ich nichts. Geht mich ja auch nichts an. Das macht schon der Jürgen.“

„Es könnte ja sein, dass ihnen gewerbsmäßige Schmuggler Zigaretten anbieten. Die hätten dann eine ordentliche Gewinnspanne.“

„Was reden sie denn da. Die Schachteln schauen doch ganz anders aus. Das tät gar nicht gehen.“

„Ah ja. Die werden also von Migranten, die nichts zu tun haben, auf der Straße verkauft.“

„Was? Keine Ahnung. Also wirklich. Wofür sie sich so interessieren. Darüber denkt hier keiner nach. Gibts bei uns ja nicht.“

„Migranten?“

„Sie meinen Neger, Araber und so?“

„Zum Beispiel.“

„Na. Gibts bei uns nicht. Doch. Einmal haben wir einen Neger gehabt. Der war ganz nett und die Madln haben sich die Augen ausgschaut. Aber angfangen haben die mit dem nichts. Wär auch komisch hier.“

„Versteh' ich.“

„Außerdem ist er schon seit ein paar Monaten wieder weg.“

„Gott sei Dank.“

„Ach. Gestört hat der nicht. War eine ganz nette Abwechslung im Dorf. So ein Farbtupfer. Ein paar haben gemeckert, weil er nichts gearbeitet und nur von unseren Steuern gelebt hat. Aber so ist es nun mal bei uns.“

Mitterfirmiansreut

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