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ОглавлениеWo in irgend welcher Form der Wille zur Macht niedergeht, giebt es jedes Mal auch einen physiologischen Rückgang, eine décadence. Die Gottheit der décadence, beschnitten an ihren männlichsten Tugenden und Trieben, wird nunmehr nothwendig zum Gott der physiologisch-Zurückgegangenen, der Schwachen. Sie heissen sich selbst nicht die Schwachen, sie heissen sich "die Guten" ... Man versteht, ohne dass ein Wink noch Noth thäte, in welchen Augenblicken der Geschichte erst die dualistische Fiktion eines guten und eines bösen Gottes möglich wird. Mit demselben Instinkte, mit dem die Unterworfnen ihren Gott zum "Guten an sich" herunterbringen, streichen sie aus dem Gotte ihrer Überwinder die guten Eigenschaften aus; sie nehmen Rache an ihren Herrn, dadurch dass sie deren Gott verteufeln. – Der gute Gott, ebenso wie der Teufel: Beide Ausgeburten der décadence. – Wie kann man heute noch der Einfalt christlicher Theologen so viel nachgeben, um mit ihnen zu dekretiren, die Fortentwicklung des Gottesbegriffs vom "Gotte Israels", vom Volksgotte zum christlichen Gotte, zum Inbegriff alles Guten sei ein Fortschritt? – Aber selbst Renan thut es. Als ob Renan ein Recht auf Einfalt hätte! Das Gegentheil springt doch in die Augen. Wenn die Voraussetzungen des aufsteigenden Lebens, wenn alles Starke Tapfere, Herrische, Stolze aus dem Gottesbegriffe eliminirt werden, wenn er Schritt für Schritt zum Symbol eines Stabs für Müde, eines Rettungsankers für alle Ertrinkenden heruntersinkt, wenn er Arme-Leute-Gott, Sünder-Gott, Kranken-Gott par excellence wird, und das Prädikat "Heiland", "Erlöser" gleichsam übrig bleibt als göttliches Prädikat überhaupt: wovon redet eine solche Verwandlung? eine solche Reduktion des Göttlichen? – Freilich: "das Reich Gottes" ist damit grösser geworden. Ehemals hatte er nur sein Volk, sein "auserwähltes" Volk. Inzwischen gieng er, ganz wie sein Volk selber, in die Fremde, auf Wanderschaft, er sass seitdem nirgendswo mehr still: bis er endlich überall heimisch wurde, der grosse Cosmopolit, – bis er "die grosse Zahl" und die halbe Erde auf seine Seite bekam. Aber der Gott "der grossen Zahl", der Demokrat unter den Göttern, wurde trotzdem kein stolzer Heidengott: er blieb Jude, er blieb der Gott der Winkel, der Gott aller dunklen Ecken und Stellen, aller ungesunden Quartiere der ganzen Welt! ... Sein Weltreich ist nach wie vor ein Unterwelts-Reich, ein Hospital, ein Souterrain-Reich, ein Ghetto-Reich ... Und er selbst, so blass, so schwach, so décadent ... Selbst die Blassesten der Blassen wurden noch über ihn Herr, die Herrn Metaphysiker, die Begriffs-Albinos. Diese spannen so lange um ihn herum, bis er, hypnotisirt durch ihre Bewegungen, selbst Spinne, selbst Metaphysicus wurde. Nunmehr spann er wieder die Welt aus sich heraus – sub specie Spinozae –, nunmehr transfigurirte er sich ins immer Dünnere und Blässere, ward "Ideal", ward "reiner Geist", ward "absolutum", ward , Ding an sich ... Verfall eines Gottes: Gott ward "Ding an sich"...