Читать книгу Lucinde. Ein Roman. Studienausgabe - Friedrich Schlegel - Страница 10
Allegorie von der Frechheit.
ОглавлениеSorglos stand ich in einem kunstreichen Garten an einem runden Beet, welches mit einem Chaos der herrlichsten Blumen, ausländischen und einländischen, prangte. Ich sog den würzigen Duft ein und ergötzte mich an den bunten Farben: aber plötzlich sprang ein häßliches Unthier mitten aus den Blumen hervor. Es schien geschwollen von Gift, die durchsichtige Haut spielte in alle Farben und man sah die Eingeweide sich winden wie Gewürme. Es war groß genug, um Furcht einzuflößen; dabey öffnete es Krebsscheeren nach allen Seiten rund um den ganzen Leib; bald hüpfte es wie ein Frosch, dann kroch es wieder mit ekelhafter Beweglichkeit auf einer unzähligen Menge kleiner Füße. Mit Entsetzen wandte ich mich weg: da es mich aber verfolgen wollte, faßte ich Muth, warf es mit einem kräftigen Stoß auf den Rücken, und sogleich schien es mir nichts [25]als ein gemeiner Frosch. Ich erstaunte nicht wenig, und noch mehr, da plötzlich Jemand ganz dicht hinter mir sagte: »Das ist die öffentliche Meinung, und ich bin der Witz; deine falschen Freunde, jene Blumen sind schon alle welk.« – Ich sah mich um und erblickte eine männliche Gestalt mittlerer Größe; die großen Formen des edlen Gesichts waren so ausgearbeitet und übertrieben, wie wir sie oft an römischen Brustbildern sehn. Ein freundliches Feuer strahlte aus den offnen lichten Augen, und zwey große Locken warfen und drängten sich sonderbar auf der kühnen Stirn. »Ich werde ein altes Schauspiel vor dir erneuern, sprach er: einige Jünglinge am Scheidewege. Ich selbst habe es der Mühe werth gehalten, sie in müssigen Stunden mit der göttlichen Fantasie zu erzeugen. Es sind die ächten Romane, vier an der Zahl und unsterblich wie wir.« – Ich schaute wohin er winkte, und ein schöner Jüngling flog kaum bekleidet über die grüne Ebne. Schon war er fern und ich sah nur noch eben, daß er sich auf ein Roß schwang und davon eilte als wollte er den lauen Abendwind überflügeln und seiner Langsamkeit spotten. Auf dem Hügel zeigte sich ein Ritter in voller Rüstung, groß und hehr von Gestalt, beynah ein Riese: aber die genaue Richtigkeit seines Wuchses und seiner Bildung nebst der treuherzigen Freundlichkeit in seinen bedeutenden Blicken und umständlichen Gebehrden gab ihm dennoch eine gewisse altväterische Zierlichkeit. Er neigte sich gegen die untergehende Sonne, ließ sich langsam auf ein Knie nieder und schien mit großer Inbrunst zu beten, die rechte Hand aufs Herz, die linke an der Stirn. Der Jüngling, der zuvor so schnell war, lag nun ganz ruhig am Abhange und sonnte sich in den letzten Strahlen; dann sprang er auf, entkleidete [26]sich, stürzte in den Strom und spielte mit den Wellen, tauchte unter, kam wieder hervor und warf sich von neuem in die Fluth. Fernab im Dunkel des Hains schwebte etwas in Griechischem Gewande wie eine Gestalt: aber wenn es eine ist, dachte ich, so kann sie kaum der Erde angehören; so matt waren die Farben, so eingehüllt das Ganze in heiligen Nebel. Da ich länger und genauer hinsah, zeigte sich’s, daß es auch ein Jüngling sey, aber von ganz entgegengesetzter Art. Haupt und Arme lehnte die hohe Gestalt an eine Urne; seine ernsten Blicke schienen bald ein verlohrnes Gut auf dem Boden zu suchen, bald die blassen Sterne, die schon zu schimmern begannen, etwas zu fragen; ein Seufzer öffnete die Lippen, um die ein sanftes Lächeln schwebte. –
Jener erste sinnliche Jüngling war unterdessen der einsamen Leibesübungen überdrüssig geworden und eilte mit leichten Schritten gerade auf uns zu. Er war nun ganz bekleidet, fast wie ein Schäfer, aber sehr bunt und sonderbar. Er hätte so auf einer Maskerade erscheinen können, auch spielten die Finger seiner Linken mit den Fäden, an denen eine Maske hing. Man hätte den fantastischen Knaben eben so gut für ein muthwilliges Mädchen halten mögen, das sich aus Laune verkleidet. Bisher ging er in gerader Richtung, aber plötzlich wurde er unsicher; er ging erst auf die eine Seite, dann eilte er zurück nach der andern und lachte dabey über sich selbst. »Der junge Mensch weiß nicht, ob er sich zur Frechheit oder zur Delikatesse halten soll«, sagte mein Begleiter. Ich sah zur Linken eine Gesellschaft schöner Frauen und Mädchen; zur Rechten stand eine große allein, und da ich hinsehen wollte nach der gewaltigen Form, begegnete ihr Blick dem meinen so scharf und kühn, daß [27]ich die Augen niederschlug. Mitten unter den Damen war ein junger Mann, den ich sogleich für einen Bruder der andern Romane erkannte. Einer von denen wie man sie gegenwärtig sieht, aber viel gebildeter; seine Gestalt und sein Gesicht war nicht schön, aber fein, sehr verständig und äußerst anziehend. Man hätte ihn eben so gut für einen Franzosen wie für einen Deutschen halten können; seine Kleidung und seine ganze Art war einfach, aber sorgfältig und völlig modern. Er unterhielt die Gesellschaft und schien sich für alle lebhaft zu interessiren. Die Mädchen waren sehr beweglich um die vornehmste Dame und schwatzten viel unter einander. »Ich habe doch noch mehr Gemüth wie du, liebe Sittlichkeit! sagte die eine; aber ich heiße auch Seele und zwar die schöne.« Die Sittlichkeit wurde etwas blaß und die Thränen schienen ihr nahe zu seyn. »Ich war doch gestern so tugendhaft, sagte sie, und mache immer größere Fortschritte in der Anstrengung. Ich habe genug an meinen eignen Vorwürfen, warum muß ich noch welche von dir hören?« – Eine andre, die Bescheidenheit, war neidisch auf die welche sich die schöne Seele nannte und sprach: »Ich bin böse mit dir, du willst mich nur als Mittel brauchen.« – Die Decenz, da sie die arme öffentliche Meinung so hülflos auf dem Rücken liegen sah, vergoß drittehalb Thränen und gebehrdete sich dann auf eine interessante Weise, das Auge zu trocknen, welches aber gar nicht mehr naß war. – »Wundre dich nicht über diese Offenheit, sagte der Witz; sie ist weder gewöhnlich noch willkührlich. Die allmächtige Fantasie hat diese wesenlosen Schatten mit ihrem Zauberstabe berührt, damit sie ihr Inneres offenbaren. Du wirst gleich noch mehr hören. Aber die Frechheit redet von freyen Stücken so.«
[28]»Der junge Schwärmer da, sagte die Delikatesse, soll mich recht amüsiren; der wird immer schöne Verse auf mich machen. Ich werde ihn in der Ferne halten wie den Ritter. Der Ritter ist freylich schön, wenn er nur nicht so ernsthaft und feyerlich aussähe. Der klügste von allen ist wohl der Elegant, der jetzt mit der Bescheidenheit spricht; ich glaube, er persifflirt sie. Wenigstens hat er über die Sittlichkeit und ihr fades Gesicht viel hübsches gesagt. Er hat doch mit mir am meisten gesprochen, und könnte mich wohl einmal verführen, wenn ich mich nicht anders besinne, oder wenn keiner erscheint, der noch mehr nach der Mode ist.« – Der Ritter hatte sich der Gesellschaft nun auch genähert; die linke Hand stützte sich auf den Griff des großen Schwerdtes, und mit der rechten bot er den Anwesenden höflichen Gruß. – »Ihr seyd doch alle gewöhnlich und ich habe Langeweile,« sagte der moderne Mann, gähnte und ging fort. Ich sah nunmehr, daß die Frauen, die ich beym ersten Blick für schön gehalten hatte, eigentlich nur blühend und artig übrigens aber unbedeutend waren. Sah man genau zu, so fanden sich sogar gemeine Züge und Spuren von Verderbtheit. Die Frechheit schien mir nun weniger hart, ich konnte sie dreist ansehen und mußte es mir mit Verwunderung gestehn, daß ihre Bildung groß und edel sey. Sie ging hastig auf die schöne Seele zu und griff ihr gerade ins Gesicht. »Das ist nur eine Maske, sagte sie; du bist nicht die schöne Seele, sondern höchstens die Zierlichkeit, oft auch die Coquetterie.« – Dann wandte sie sich zum Witz mit den Worten: »Wenn du die gemacht hast, die man jetzt Romane nennt, so hättest du deine Zeit auch besser anwenden können. Kaum hie und da finde ich in den besten etwas von der leichten Poesie des flüchtigen Lebens: [29]aber wohin ist sie entflohen, die kühne Musik des lieberasenden Herzens, sie die alles mit sich fortreißt, so daß der Wildeste zärtliche Thränen vergießt und die ewigen Felsen selber tanzen? Keiner ist so albern und keiner so nüchtern, der nicht von Liebe schwatzt: aber wer sie noch kennt, hat kein Herz und keinen Glauben, sie auszusprechen.« Der Witz lachte, der himmlische Jüngling winkte Beyfall aus der Ferne, und sie fuhr fort: »Wenn die, welche unvermögend am Geist sind, Kinder mit ihm zeugen wollen; wenn die, welche es gar nicht verstehn, zu leben wagen: das ist höchst unanständig, denn es ist höchst unnatürlich und höchst unschicklich. Aber daß der Weine schäumt und der Blitz zündet, ist ganz richtig und ganz schicklich.« – Der leichtfertige Roman hatte nun gewählt; er war bey diesen Worten schon um die Frechheit und schien ihr ganz ergeben. Sie eilte Arm in Arm mit ihm davon und sagte nur im Vorbeygehn zu dem Ritter: »Wir sehn uns wieder.« – »Das waren nur äußerliche Erscheinungen, sprach mein Beschützer, und du wirst gleich das Innere in dir schauen. Übrigens bin ich eine wahre Person und der wahre Witz; das schwöre ich dir bey mir selber, ohne den Arm in die Unendlichkeit auszustrecken.« Alles verschwand nun, und auch der Witz wuchs und dehnte sich, bis er nicht mehr war. Nicht mehr vor und außer mir, wohl aber in mir glaubte ich ihn wieder zu finden; ein Stück meines Selbst und doch verschieden von mir, in sich lebendig und selbstständig. Ein neuer Sinn schien mir aufgethan; ich entdeckte in mir eine reine Masse von mildem Licht. Ich kehrte in mich selbst zurück und in den neuen Sinn, dessen Wunder ich schaute. Er sah so klar und bestimmt, wie ein geistiges nach Innen gerichtetes Auge: dabey waren aber seine Wahrneh[30]mungen innig und leise wie die des Gehörs, und so unmittelbar wie die des Gefühls. Ich erkannte bald die Scene der äußern Welt wieder, aber reiner und verklärt, oben den blauen Mantel des Himmels, unten den grünen Teppich der reichen Erde, die bald von fröhlichen Gestalten wimmelte. Denn was ich nur im Innersten wünschte, lebte und drängte sich gleich hier, ehe ich selbst den Wunsch noch deutlich gedacht hatte. Und so sah ich denn bald bekannte und unbekannte liebe Gestalten in wunderlichen Masken, wie ein großes Carneval der Lust und Liebe. Innre Saturnalien, an seltsamer Mannichfaltigkeit und Zügellosigkeit der großen Vorwelt nicht unwürdig. Aber nicht lange schwärmte das geistige Bacchanal durch einander, so zerriß diese ganze innre Welt wie durch einen elektrischen Schlag und ich vernahm ich weiß nicht wie und woher die geflügelten Worte: »Vernichten und Schaffen, Eins und Alles; und so schwebe der ewige Geist ewig auf dem ewigen Weltstrome der Zeit und des Lebens und nehme jede kühnere Welle wahr, ehe sie zerfließt.« – Furchtbar schön und sehr fremd tönte diese Stimme der Fantasie, aber milder und mehr wie an mich gerichtet die folgenden Worte: »Die Zeit ist da, das innre Wesen der Gottheit kann offenbart und dargestellt werden, alle Mysterien dürfen sich enthüllen und die Furcht soll aufhören. Weihe dich selbst ein und verkündige es, daß die Natur allein ehrwürdig und die Gesundheit allein liebenswürdig ist.« – Bey den geheimnißvollen Worten, die Zeit ist da, fiel wie eine Flocke von himmlischem Feuer in meine Seele. Es brannte und zehrte in meinem Mark; es drängte und stürmte sich zu äußern. Ich griff nach Waffen, um mich in das Kriegsgetümmel der Leidenschaften, die mit Vorurtheilen wie mit Waffen wüthen, zu [31]stürzen und für die Liebe und die Wahrheit zu kämpfen: aber es waren keine Waffen da. Ich öffnete den Mund, um sie in Gesang zu verkündigen, und ich dachte, alle Wesen müßten ihn vernehmen und die ganze Welt sollte harmonisch wiederklingen: aber ich besann mich, daß meine Lippen die Kunst nicht gelernt hätten, die Gesänge des Geistes nachzubilden. – »Du mußt das unsterbliche Feuer nicht rein und roh mittheilen wollen,« sprach die bekannte Stimme meines freundlichen Begleiters. »Bilde, erfinde, verwandle und erhalte die Welt und ihre ewigen Gestalten im steten Wechsel neuer Trennungen und Vermählungen. Verhülle und binde den Geist im Buchstaben. Der ächte Buchstabe ist allmächtig und der eigentliche Zauberstab. Er ist es, mit dem die unwiderstehliche Willkühr der hohen Zauberin Fantasie das erhabene Chaos der vollen Natur berührt, und das unendliche Wort ans Licht ruft, welches ein Ebenbild und Spiegel des göttlichen Geistes ist, und welches die Sterblichen Universum nennen.«
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Wie die weibliche Kleidung vor der männlichen, so hat auch der weibliche Geist vor dem männlichen den Vorzug, daß man sich da durch eine einzige kühne Combination über alle Vorurtheile der Cultur und bürgerlichen Conventionen wegsetzen und mit einemmale mitten im Stande der Unschuld und im Schooß der Natur befinden kann.
An wen sollte also wohl die Rhetorik der Liebe ihre Apologie der Natur und der Unschuld richten als an alle Frauen, in deren zarten Herzen das heilige Feuer der göttlichen Wollust tief verschlossen ruht, und nie ganz verlö[32]schen kann, wenn es auch noch so sehr verwahrlost und verunreinigt wird? Nächstdem freylich auch an die Jünglinge, und an die Männer die noch Jünglinge geblieben sind. Bey diesen ist aber schon ein großer Unterschied zu machen. Man könnte alle Jünglinge eintheilen in solche, die das haben, was Diderot die Empfindung des Fleisches nennt, und in solche die es nicht haben. Eine seltne Gabe! Viele Maler von Talent und Einsicht streben ihr ganzes Leben umsonst danach, und viele Virtuosen der Männlichkeit vollenden ihre Laufbahn, ohne eine Ahndung davon gehabt zu haben. Auf dem gemeinen Wege kommt man nicht dahin. Ein Libertin mag verstehen mit einer Art von Geschmack den Gürtel zu lösen. Aber jenen höhern Kunstsinn der Wollust, durch den die männliche Kraft erst zur Schönheit gebildet wird, lehrt nur die Liebe allein den Jüngling. Es ist Elektrizität des Gefühls, dabey aber im Innern ein stilles leises Lauschen, im Äußern eine gewisse klare Durchsichtigkeit, wie in den hellen Stellen der Malerey, die ein reizbares Auge so deutlich fühlt. Es ist eine wunderbare Mischung und Harmonie aller Sinne: so giebt es auch in der Musik ganz kunstlose, reine, tiefe Accente, die das Ohr nicht zu hören, sondern wirklich zu trinken scheint, wenn das Gemüth nach Liebe durstet. Übrigens aber möchte sich die Empfindung des Fleisches nicht weiter definiren lassen. Das ist auch unnöthig. Genug sie ist für Jünglinge der erste Grad der Liebeskunst und eine angeborne Gabe der Frauen, durch deren Gunst und Huld allein sie jenen mitgetheilt, und angebildet werden kann. Mit den Unglücklichen, die sie nicht kennen, muß man nicht von Liebe reden: denn von Natur ist in dem Manne zwar ein Bedürfniß aber kein Vorgefühl derselben. Der zweyte Grad [33]hat schon etwas Mystisches, und könnte leicht vernunftwidrig scheinen wie jedes Ideal. Ein Mann der das innere Verlangen seiner Geliebten nicht ganz füllen und befriedigen kann, versteht es gar nicht zu seyn, was er doch ist und seyn soll. Er ist eigentlich unvermögend, und kann keine gültige Ehe schließen. Zwar verschwindet auch die höchste endliche Größe vor dem Unendlichen, und durch bloße Kraft läßt sich also das Problem auch bey dem besten Willen nicht auflösen. Aber wer Fantasie hat, kann auch Fantasie mittheilen, und wo die ist, entbehren die Liebenden gern, um zu verschwenden; ihr Weg geht nach Innen, ihr Ziel ist intensive Unendlichkeit, Unzertrennlichkeit ohne Zahl und Maaß; und eigentlich brauchen sie nie zu entbehren, weil jener Zauber alles zu ersetzen vermag. Aber still von diesen Geheimnissen! Der dritte und höchste Grad ist das bleibende Gefühl von harmonischer Wärme. Welcher Jüngling das hat, der liebt nicht mehr bloß wie ein Mann, sondern zugleich auch wie ein Weib. In ihm ist die Menschheit vollendet, und er hat den Gipfel des Lebens erstiegen. Denn gewiß ist es, daß Männer von Natur bloß heiß oder kalt sind: zur Wärme müssen sie erst gebildet werden. Aber die Frauen sind von Natur sinnlich und geistig warm und haben Sinn für Wärme jeder Art.
Wenn dieses tolle kleine Buch einmal gefunden, vielleicht gedruckt, und gar gelesen wird, so muß es auf alle glücklichen Jünglinge ungefähr den gleichen Eindruck machen. Nur verschieden nach den verschiedenen Stufen ihrer Ausbildung. Denen vom ersten Grad wird es die Empfindung des Fleisches erregen; die vom zweyten kann es ganz befriedigen; und denen vom dritten soll bloß warm dabey werden.
[34]Ganz anders würde es mit den Frauen seyn. Unter ihnen giebt es keine Ungeweihten; denn jede hat die Liebe schon ganz in sich, von deren unerschöpflichem Wesen wir Jünglinge nur immer ein wenig mehr lernen und begreifen. Schon entfaltet, oder noch im Keime, das ist gleich viel. Auch das Mädchen weiß in ihrer naiven Unwissenheit doch schon alles, noch ehe der Blitz der Liebe in ihrem zarten Schooß gezündet, und die verschloßne Knospe zum vollen Blumenkelch der Lust entfaltet hat. Und wenn eine Knospe Gefühle hätte, würde nicht das Vorgefühl der Blume deutlicher in ihr seyn, als das Bewußtseyn ihrer selbst? –
Darum giebt es in der weiblichen Liebe keine Grade und Stufen der Bildung, überhaupt nichts allgemeines; sondern so viel Individuen, so viel eigenthümliche Arten. Kein Linné kann uns alle diese schönen Gewächse und Pflanzen im großen Garten des Lebens klassifiziren und verderben; und nur der eingeweihte Liebling der Götter versteht ihre wunderbare Botanik; die göttliche Kunst, ihre verhüllten Kräfte und Schönheiten zu errathen und zu erkennen, wann die Zeit ihrer Blüthe sey und welches Erdreich sie bedürfen. Da wo der Anfang der Welt oder doch der Anfang der Menschen ist, da ist auch der eigentliche Mittelpunkt der Originalität, und kein Weiser hat die Weiblichkeit ergründet.
Eines zwar scheint die Frauen in zwey große Klassen zu theilen. Das nämlich, ob sie die Sinne achten und ehren, die Natur, sich selbst und die Männlichkeit: oder ob sie diese wahre innere Unschuld verloren haben, und jeden Genuß mit Reue erkaufen, bis zur bittern Gefühllosigkeit gegen innere Misbilligung. Das ist ja die Geschichte so vieler. Erst scheuen sie die Männer, dann werden sie Unwürdigen hin[35]gegeben, welche sie bald hassen oder betrügen, bis sie sich selbst und die weibliche Bestimmung verachten. Ihre kleine Erfahrung halten sie für allgemein und alles andre für lächerlich; der enge Kreis von Rohheit und Gemeinheit, in dem sie sich beständig drehen, ist für sie die ganze Welt, und es fällt ihnen gar nicht ein, daß es auch noch andre Welten geben könne. Für diese sind die Männer nicht Menschen, sondern bloß Männer, eine eigne Gattung, die fatal aber doch gegen die Langeweile unentbehrlich ist. Sie selbst sind denn auch eine bloße Sorte, eine wie die andre, ohne Originalität und ohne Liebe.
Aber sind sie unheilbar weil sie ungeheilt sind? Mir ist es so einleuchtend und klar, daß nichts unnatürlicher für eine Frau sey, als Prüderie (ein Laster an das ich nie ohne eine gewisse innerliche Wuth denken kann) und nichts beschwerlicher als Unnatürlichkeit, daß ich keine Gränze bestimmen, und keine für unheilbar halten möchte. Ich glaube ihre Unnatur kann nie zuverläßig werden, wenn sie auch noch so viel Leichtigkeit und Unbefangenheit darin erlangt haben, bis zu einem Schein von Consequenz und Charakter. Es bleibt doch nur Schein; das Feuer der Liebe ist durchaus unverlöschlich, und noch unter der tiefsten Asche glühen Funken.
Diese heilige Funken zu wecken, von der Asche der Vorurtheile zu reinigen, und wo die Flamme schon lauter brennt, sie mit bescheidenem Opfer zu nähren; das wäre das höchste Ziel meines männlichen Ehrgeizes. Laß mich’s bekennen, ich liebe nicht dich allein, ich liebe die Weiblichkeit selbst. Ich liebe sie nicht bloß, ich bete sie an, weil ich die Menschheit anbete, und weil die Blume der Gipfel der Pflanze und ihrer natürlichen Schönheit und Bildung ist.
[36]Es ist die älteste kindlichste einfachste Religion, zu der ich zurückgekehrt bin. Ich verehre als vorzüglichstes Sinnbild der Gottheit das Feuer; und wo giebts ein schöneres, als das was die Natur tief in die weiche Brust der Frauen verschloß? – Weihe du mich zum Priester, nicht um es müßig zu beschauen, sondern um es zu befreyen, zu wecken, und zu reinigen: wo es rein ist, erhält es sich selber, ohne Wache und ohne Vestalinnen.
Ich schreibe und schwärme, wie du siehst, nicht ohne Salbung; aber es geschieht auch nicht ohne Beruf, und zwar göttlichen Beruf. Was darf sich der nicht zutrauen, zu dem der Witz selbst durch eine Stimme vom geöffneten Himmel herab sprach: »Du bist mein lieber Sohn an dem ich Wohlgefallen habe.« – Und warum soll ich nicht aus eigner Vollmacht und Willkühr von mir sagen: »Ich bin des Witzes lieber Sohn;« wie mancher Edle, der auf Abentheuer durch’s Leben wanderte, von sich sagte: »Ich bin des Glückes lieber Sohn.« –
Übrigens wollte ich eigentlich davon reden, welchen Eindruck dieser fantastische Roman auf die Frauen machen würde, wenn der Zufall oder die Willkühr ihn fände und öffentlich aufstellte. Es wäre auch in der That unschicklich, wenn ich dir nicht in aller Kürze mit einigen kleinen Beweisen von Weissagung und Divination aufwartete, um mein Recht auf die Priesterwürde darzuthun.
Verstehen würden mich alle, keine so mißverstehen und so mißbrauchen wie die uneingeweihten Jünglinge. Viele würden mich besser verstehen als ich selbst, aber nur Eine ganz, und die bist du. Alle übrigen hoffe ich wechselsweise anzuziehen und abzustoßen, oft zu verletzen und eben so oft zu versöhnen. Bey jeder gebildeten wird der Eindruck [37]ganz verschieden, und ganz eigen seyn; so eigen und so verschieden wie ihre eigenthümliche Art zu seyn, und zu lieben. Clementinen wird das Ganze bloß interessiren als eine Sonderbarkeit, hinter der aber doch wohl etwas seyn könnte; einiges indessen wird sie richtig finden. Man nennt sie hart und heftig, und doch glaube ich an ihre Liebenswürdigkeit. Ihre Heftigkeit versöhnt mich mit ihrer Härte, obgleich beyde sich dem äußern Anschein nach vermehren. Wäre die Härte allein, so müßte sie Kälte und Mangel an Herz scheinen; die Heftigkeit zeigt, daß heiliges Feuer da ist, was durchbrechen will. Du kannst leicht denken wie sie einem mitspielen würde, den sie im Ernst liebte. Die weiche und verletzbare Rosamunde wird sich eben so oft anneigen als wegwenden, bis »scheue Zartheit kühner wird und nichts als Unschuld sieht in inn’ger Liebe Thun.« Juliane hat eben so viel Poesie als Liebe, eben so viel Enthusiasmus als Witz: aber beydes ist zu isolirt in ihr, darum wird sie bisweilen über das kühne Chaos weiblich erschrecken, und dem Ganzen etwas mehr Poesie und etwas weniger Liebe wünschen.
Ich könnte so noch lange fortfahren, denn ich strebe aus allen Kräften nach Menschenkenntniß, und ich weiß meine Einsamkeit oft nicht würdiger anzuwenden, als indem ich darüber reflektire, wie diese oder jene interessante Frau in diesem oder jenem interessanten Verhältnisse wohl seyn und sich verhalten dürfte. Doch genug für jetzt, sonst möchte es dir zu viel werden, und die Vielseitigkeit deinem Propheten übel gerathen.
Denke nur nicht so arg von mir und glaube, daß ich nicht allein für dich sondern für die Mitwelt dichte. Glaube mir, es ist mir bloß um die Objektivität meiner Liebe zu thun. [38]Diese Objektivität und jede Anlage zu ihr bestätigt und bildet ja eben die Magie der Schrift, und weil es mir versagt ist, meine Flamme in Gesänge auszuhauchen, muß ich den stillen Zügen das schöne Geheimniß vertrauen. Dabey denke ich aber eben so wenig an die ganze Mitwelt, als an die Nachwelt. Und muß es ja eine Welt seyn, an die ich denken soll: so sey es am liebsten die Vorwelt. Die Liebe selbst sey ewig neu und ewig jung, aber ihre Sprache sey frey und kühn, nach alter klassischer Sitte, nicht züchtiger wie die römische Elegie und die Edelsten der größten Nazion, und nicht vernünftiger wie der große Plato und die heilige Sappho.