Читать книгу Lucinde. Ein Roman. Studienausgabe - Friedrich Schlegel - Страница 11
Idylle über den Müssiggang.
Оглавление»Sieh ich lernte von selbst, und ein Gott hat mancherley Weisen mir in die Seele gepflanzt.« So darf ich kühnlich sagen, wenn nicht von der fröhlichen Wissenschaft der Poesie die Rede ist, sondern von der gottähnlichen Kunst der Faulheit. Mit wem sollte ich also lieber über den Müssiggang denken und reden als mit mir selbst? Und so sprach ich denn auch in jener unsterblichen Stunde, da mir der Genius eingab, das hohe Evangelium der ächten Lust und Liebe zu verkündigen, zu mir selbst: »O Müssiggang, Müssiggang! du bist die Lebensluft der Unschuld und der Begeisterung; dich athmen die Seeligen, und seelig ist wer dich hat und hegt, du heiliges Kleinod! einziges Fragment von Gottähnlichkeit, das uns noch aus dem Paradiese blieb.« Ich saß, da ich so in mir sprach, wie ein nachdenkliches Mädchen in einer gedankenlosen Romanze am Bach, [39]sah den fliehenden Wellen nach. Aber die Wellen flohen und floßen so gelassen, ruhig und sentimental, als sollte sich ein Narcissus in der klaren Fläche bespiegeln und sich in schönem Egoismus berauschen. Auch mich hätte sie locken können, mich immer tiefer in die innere Perspektive meines Geistes zu verlieren, wenn nicht meine Natur so uneigennützig und so praktisch wäre, daß sogar meine Spekulazion unaufhörlich nur um das allgemeine Gute besorgt ist. Daher dachte ich auch, ungeachtet mein Gemüth in seiner Behaglichkeit so matt war, wie die von der gewaltigen Hitze aufgelösten und hingesunknen Glieder, ernstlich über die Möglichkeit einer dauernden Umarmung nach. Ich sann auf Mittel das Beysammenseyn zu verlängern, und künftig lieber alle kindlich rührenden Elegieen über plötzliche Trennung zu verhüten, als uns wie bisher an dem Komischen einer solchen Fügung des Schicksals zu ergötzen, weil es nun doch einmal geschehen und unabänderlich sey. Erst nachdem die Kraft der angespannten Vernunft an der Unerreichbarkeit des Ideals brach und erschlaffte, überließ ich mich dem Strome der Gedanken, und hörte willig alle die bunten Mährchen an, mit denen Begierde und Einbildung, unwiderstehliche Sirenen in meiner eignen Brust, meine Sinne bezauberten. Es fiel mir nicht ein das verführerische Gaukelspiel unedel zu kritisiren, ungeachtet ich wohl wußte, daß das meiste nur schöne Lüge sey. Die zarte Musik der Fantasie schien die Lücken der Sehnsucht auszufüllen. Dankbar nahm ich das wahr und beschloß, was das hohe Glück mir diesmal gegeben, auch künftig durch eigne Erfindsamkeit für uns beide zu wiederholen, und dir dieses Gedicht der Wahrheit zu beginnen. So erzeugte sich der erste Keim zu dem wundersa[40]men Gewächs von Willkühr und Liebe. Und frey wie es entsprossen ist, dacht’ ich, soll es auch üppig wachsen und verwildern, und nie will ich aus niedriger Ordnungsliebe und Sparsamkeit die lebendige Fülle von überflüssigen Blättern und Ranken beschneiden.
Gleich einem Weisen des Orients war ich ganz versunken in ein heiliges Hinbrüten und ruhiges Anschauen der ewigen Substanzen, vorzüglich der deinigen und der meinigen. Größe in Ruhe, sagen die Meister, sey der höchste Gegenstand der bildenden Kunst; und ohne es deutlich zu wollen, oder mich unwürdig zu bemühen, bildete und dichtete ich auch unsre ewigen Substanzen in diesem würdigen Styl. Ich erinnerte mich, und ich sah uns, wie gelinder Schlaf die Umarmten mitten in der Umarmung umfing. Dann und wann öffnete einer die Augen, lächelte über den süßen Schlaf des andern und wurde wach genug um ein scherzendes Wort, eine Liebkosung zu beginnen: aber noch ehe der angefangene Muthwille geendigt war, sanken wir beide fest verschlungen in den seeligen Schooß einer halbbesonnenen Selbstvergessenheit zurück.
Mit dem äußersten Unwillen dachte ich nun an die schlechten Menschen, welche den Schlaf vom Leben subtrahiren wollen. Sie haben wahrscheinlich nie geschlafen, und auch nie gelebt. Warum sind denn die Götter Götter, als weil sie mit Bewußtseyn und Absicht nichts thun, weil sie das verstehen und Meister darin sind? Und wie streben die Dichter, die Weisen und Heiligen auch darin den Göttern ähnlich zu werden! Wie wetteifern sie im Lobe der Einsamkeit, der Muße, und einer liberalen Sorglosigkeit und Unthätigkeit! Und mit großem Recht: denn alles Gute und Schöne ist schon da und erhält sich durch seine eigne [41]Kraft. Was soll also das unbedingte Streben und Fortschreiten ohne Stillstand und Mittelpunkt? Kann dieser Sturm und Drang der unendlichen Pflanze der Menschheit, die im Stillen von selbst wächst und sich bildet, nährenden Saft oder schöne Gestaltung geben? Nichts ist es, dieses leere unruhige Treiben, als eine nordische Unart und wirkt auch nichts als Langeweile, fremde und eigne. Und womit beginnt und endigt es als mit der Antipathie gegen die Welt, die jetzt so gemein ist? Der unerfahrne Eigendünkel ahndet gar nicht daß dies nur Mangel an Sinn und Verstand sey und hält es für hohen Unmuth über die allgemeine Häßlichkeit der Welt und des Lebens, von denen er doch noch nicht einmal das leiseste Vorgefühl hat. Er kann es nicht haben, denn der Fleiß und der Nutzen sind die Todesengel mit dem feurigen Schwerdt, welche dem Menschen die Rückkehr ins Paradies verwehren. Nur mit Gelassenheit und Sanftmuth, in der heiligen Stille der ächten Passivität kann man sich an sein ganzes Ich erinnern, und die Welt und das Leben anschauen. Wie geschieht alles Denken und Dichten als daß man sich der Einwirkung irgend eines Genius ganz überläßt und hingiebt? Und doch ist das Sprechen und Bilden nur Nebensache in allen Künsten und Wissenschaften, das Wesentliche ist das Denken und Dichten, und das ist nur durch Passivität möglich. Freylich ist es eine absichtliche, willkührliche, einseitige, aber doch Passivität. Je schöner das Klima ist, je passiver ist man. Nur Italiäner wissen zu gehen, und nur die im Orient verstehen zu liegen; wo hat sich aber der Geist zarter und süßer gebildet als in Indien? Und unter allen Himmelsstrichen ist es das Recht des Müssiggangs was Vornehme und Gemeine unterscheidet, und das eigentliche Prinzip des Adels.
[42]Endlich wo ist mehr Genuß, und mehr Dauer, Kraft und Geist des Genusses; bey den Frauen, deren Verhältniß wir Passivität nennen, oder etwa bey den Männern, bey denen der Übergang von übereilender Wuth zur Langenweile schneller ist, als der Übergang vom Guten zum Bösen?
In der That man sollte das Studium des Müssiggangs nicht so sträflich vernachlässigen, sondern es zur Kunst und Wissenschaft, ja zur Religion bilden! Um alles in Eins zu fassen: je göttlicher ein Mensch oder ein Werk des Menschen ist, je ähnlicher werden sie der Pflanze; diese ist unter allen Formen der Natur die sittlichste, und die schönste. Und also wäre ja das höchste vollendetste Leben nichts als ein reines Vegetiren.
Ich nahm mir vor, mich zufrieden im Genuß meines Daseyns über alle doch endliche, und also verächtliche Zwecke und Vorsätze zu erheben. Die Natur selbst schien mich in diesem Unternehmen zu bestärken, und mich gleichsam in vielstimmigen Chorälen zum fernern Müssiggang zu ermahnen, als sich plötzlich eine neue Erscheinung offenbarte. Ich glaubte unsichtbarerweise in einem Theater zu seyn: auf der einen Seite zeigten sich die bekannten Bretter, Lampen, und bemalten Pappen; auf der andern ein unermeßliches Gedränge von Zuschauern, ein wahres Meer von wißbegierigen Köpfen und theilnehmenden Augen. An der rechten Seite des Vorgrundes war statt der Dekoration ein Prometheus abgebildet, der Menschen verfertigte. Er war an einer langen Kette gefesselt, und arbeitete mit der größten Hast und Anstrengung; auch standen einige ungeheure Gesellen daneben, die ihn unaufhörlich antrieben und geisselten. Leim und andre Materialien waren im Überfluß da; das Feuer nahm er aus einer großen Kohlen[43]pfanne. Gegenüber zeigte sich auch als stumme Figur der vergötterte Herkules wie er abgebildet wird mit der Hebe auf dem Schooß. Vorn auf der Bühne liefen und sprachen eine Menge jugendlicher Gestalten, die sehr fröhlich waren, und nicht bloß zum Schein lebten. Die jüngsten glichen Amorinen, die mehr erwachsenen den Bildern von Faunen: aber jeder hatte seine eigne Manier, eine auffallende Originalität des Gesichts, und alle hatten irgend eine Ähnlichkeit von dem Teufel der christlichen Maler oder Dichter; man hätte sie Satanisken nennen mögen. Einer der kleinsten sagte: »Wer nicht verachtet, der kann auch nicht achten; beides kann man nur unendlich, und der gute Ton besteht darin, daß man mit den Menschen spielt. Ist also nicht eine gewisse ästhetische Bosheit ein wesentliches Stück der harmonischen Ausbildung?« – »Nichts ist toller, sagte ein andrer, als wenn die Moralisten Euch Vorwürfe über den Egoismus machen. Sie haben vollkommen Unrecht: denn welcher Gott kann dem Menschen ehrwürdig seyn, der nicht sein eigner Gott ist? Ihr irrt freylich darin, daß Ihr ein Ich zu haben glaubt; aber wenn ihr indessen euren Leib und Namen oder eure Sachen dafür haltet, so wird doch wenigstens ein Logis bereitet, wenn etwa ja noch ein Ich kommen sollte.« – »Und diesen Prometheus könnt ihr nur recht in Ehren halten, sagte einer der größten; er hat euch alle gemacht, und macht immer mehrere eures gleichen.« – In der That warfen auch die Gesellen jeden neuen Menschen, so wie er fertig war, unter die Zuschauer herab, wo man ihn sogleich gar nicht mehr unterscheiden konnte, so ähnlich waren sie alle. »Er fehlt nur in der Methode!« fuhr der Sataniskus fort: »Wie kann man allein Menschen bilden wollen? Das sind gar nicht die rech[44]ten Werkzeuge.« Und dabey winkte er auf eine rohe Figur vom Gott der Gärten, die ganz im Hintergrunde der Bühne zwischen einem Amor und einer sehr schönen unbekleideten Venus stand. »Darin dachte unser Freund Herkules richtiger, der funfzig Mädchen in einer Nacht für das Heil der Menschheit beschäftigen konnte, und zwar heroische. Er hat auch gearbeitet und viel grimmige Unthiere erwürgt, aber das Ziel seiner Laufbahn war doch immer ein edler Müssiggang, und darum ist er auch in den Olymp gekommen. Nicht so dieser Prometheus, der Erfinder der Erziehung und Aufklärung. Von ihm habt ihr es, daß ihr nie ruhig seyn könnt, und euch immer so treibt; daher kommt es, daß ihr, wenn ihr sonst gar nichts zu thun habt, auf eine alberne Weise sogar nach Charakter streben müßt, oder euch einer den andern beobachten und ergründen wollt. Ein solches Beginnen ist niederträchtig. Prometheus aber, weil er die Menschen zur Arbeit verführt hat, so muß er nun auch arbeiten, er mag wollen oder nicht. Er wird noch Langeweile genug haben, und nie von seinen Fesseln frey werden.« Da dies die Zuschauer hörten, brachen sie in Thränen aus, und sprangen auf die Bühne um ihren Vater der lebhaftesten Theilnahme zu versichern; und so verschwand die allegorische Komödie.