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Kapitel 1

Ausgangspunkte: Verwirrende ­Debatten – bedrängende Fragen

Wer im Umkreis des Streits zwischen Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie nach Orientierung oder sogar nach abschließenden Antworten sucht, stößt unvermeidlich auf ein Dickicht kontroverser Debatten. Die meisten Debatten stellen sich dabei eher verwirrend dar. Es scheint ohne weiteres möglich zu sein, ganz gegenteilige Auffassungen zu vertreten, und dies mit jeweils scheinbar guten Gründen. So bleiben notwendig viele Fragen offen. Vor allem drängt sich das Problem auf, ob ein vernünftiger Mensch heute noch an Gott den Schöpfer glauben kann.

Da es zu den zentralen Zielen dieses Buches gehört, angesichts solcher Kontroversen Orientierung zu vermitteln, sollen in diesem Einleitungskapitel vier Doppelfragen etwas genauer betrachtet werden.

„Hat die Bibel doch Recht?“ – oder: Beweisen natur­wissenschaftliche Erkenntnisse den Schöpfungsglauben?

In der Zeit der frühen Bundesrepublik, im Jahre 1955, veröffentlichte der Publizist Werner Keller ein umfangreiches Werk, das einen inzwischen fast sprichwörtlich gewordenen Titel trägt: „Und die Bibel hat doch recht“. Noch aussagekräftiger ist der Untertitel: „Forscher beweisen die historische Wahrheit“. Schon nach zwei Monaten erreichten die Verkaufszahlen für dieses nicht ganz billige Buch die damals astronomische Zahl von 60.000 Exemplaren, was anzeigt, wie viele Menschen sich von solchen Fragen umtreiben ließen. Später folgten Übersetzungen in zahlreiche Sprachen. Insgesamt erreichte das Buch eine Millionenauflage!

Keller beruft sich für seine Darstellung ausdrücklich auf die Ergebnisse moderner Wissenschaft und Forschung. Mit Hilfe neuer archäologischer Befunde will er zeigen, dass die Bibel als historischer Bericht ernst genommen werden muss:

„Atemberaubend und schier unübersehbar in ihrer Fülle, bringen diese Funde und Entdeckungen eine Wende in der Betrachtung der Bibel. Ereignisse, von denen viele bisher als ‚fromme Geschichten‘ galten, nehmen mit einem Male historische Gestalt an. Oft stimmen die Forschungsergebnisse bis in alle Einzelheiten mit den biblischen Berichten überein. Sie ‚bestätigen‘ nicht nur, sie erhellen zugleich auch die historischen Situationen, aus denen das Alte Testament und die Evangelien erwuchsen.“1

Im Einzelnen bezieht sich Kellers Darstellung auf die Geschichte des Volkes Israel sowie auf die Zeit des Neuen Testaments, also auf die Gestalt des Jesus von Nazareth sowie auf die Apostel. Dies entspricht der Konzentration auf die archäologischen ­Ausgrabungen, die sich auf die geschichtliche Zeit beziehen. Die Schöpfung liegt der Geschichte voraus und lässt sich deshalb nicht in dieser Weise betrachten. Dennoch mündet Kellers Buch in ein Schlusskapitel, in dem er auch die „Schöpfungs­geschichte im Lichte moderner Wissenschaft“ betrachten will. Dabei gelangt er zu dem Ergebnis, dass neuere wissenschaftliche Befunde mit der Schöpfungsgeschichte in der Bibel übereinstimmen:

„Im Zeitalter des Fortschritts wurde auch die Antwort auf eine Frage gefunden, die die Menschheit von Anbeginn aufs Tiefste bewegt, die uralte Frage nach der Entstehung unserer Erde und des Universums. Und das ist das Verblüffende: Die Antwort der Wissenschaft stimmt im Wesentlichen mit dem wunderbaren Bild der Schöpfungsgeschichte in der Bibel überein!“2

Anders als die moderne wissenschaftliche Bibelauslegung häufig behauptet habe, gebe es daher keinen notwendigen Widerspruch mehr zwischen der biblischen Schöpfungsgeschichte und naturwissenschaftlichen Erklärungsweisen. Wenn nun auch die moderne Physik davon ausgeht, dass die Welt einen Anfang hat, so kann Keller darin sogar einen unmittelbaren Gottesbeweis sehen. Wenn die Welt nicht einfach schon immer da war, sondern wenn sie einen Anfang hat, dann müsse es ja auch einen Schöpfer und einen Schöpfergott geben.

Wir wollen uns hier nicht auf die umfangreichen Debatten einlassen, die Kellers Buch in der Bibelwissenschaft ausgelöst hat. Nur allzu leicht zu erkennen sind zumindest für Fachleute die zahlreichen Fehler, die dem theologisch nicht geschulten Publizisten Werner Keller in seinem Buch unterlaufen sind. Im vorliegenden Zusammenhang ist aber allein die Frage entscheidend, ob naturwissenschaftliche Erkenntnisse – seien es neue Erkenntnisse oder die Naturwissenschaft überhaupt – tatsächlich als Beweis für den biblischen Schöpfungsglauben gelten können.

Dafür kommt es wiederum auf drei Fragen an:

 – Setzt die naturwissenschaftlich beschreibbare Entstehung der Welt notwendig einen Schöpfergott voraus? Im Blick auf die Naturwissenschaften muss dies ausdrücklich verneint werden. Naturwissenschaftliche Theorien der Weltentstehung fragen prinzipiell nicht nach einem Schöpfer, sondern nach Zusammenhängen von Ursache und Wirkung. Als Ursachen können dabei nur solche Gegebenheiten in Frage kommen, die sich mit den Mitteln der naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung erfassen lassen. Genau dies aber gilt für einen Schöpfergott nicht, der sich von Anfang an allen menschlichen Feststellungsversuchen entzieht und über diese hinausgeht. Gott ist kein Gegenstand der Naturwissenschaft.

Bemerkenswert bleibt allerdings, dass das Weltbild der modernen Physik, das von einem Anfang und einem zu erwartenden Ende unserer Erde oder sogar von der Endlichkeit des ganzen Sonnensystems ausgeht, weit offener ist für biblische Perspektiven, als dies bei der älteren Physik der Fall war. Insofern ergeben sich hier neue Möglichkeiten für einen Dialog zwischen Naturwissenschaft und biblischen Deutungen. Von einem Gottesbeweis kann aber trotzdem nicht die Rede sein.

 – Kann die von der Naturwissenschaft beschriebene Entstehung der Welt mit dem Anfang der Schöpfung, wie er in der Bibel beschrieben wird, gleichgesetzt werden? In beiden Fällen, in Bibel und Naturwissenschaft, geht es um den Ursprung der Welt, wie wir sie kennen. Insofern sind Schöpfungsglaube und naturwissenschaftliche Weltentstehungstheorien aufeinander bezogen. Und doch fällt von Anfang an auf, dass wir es mit unterschiedlichen Betrachtungsweisen zu tun haben. In der Naturwissenschaft geht es um Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge, die stets einem bestimmten Erklärungsmuster entsprechen müssen: Wie führt das eine zum anderen? Schon bei einem ersten Lesen der Schöpfungsgeschichten am Anfang der Bibel ist eigentlich leicht zu sehen, dass solche Zusammenhänge dort keine Rolle spielen. Im Zentrum steht hier stattdessen die Frage nach Gott und damit nach dem Grund des Ganzen. In einer sehr vereinfachten Weise, auf die wir uns zunächst beschränken, kann man sagen, dass die Naturwissenschaft Wie-Fragen stellt und die Bibel demgegenüber an Warum-Fragen interessiert ist.

Dies führt weiter zu einer grundsätzlichen Überlegung:

 – Lässt sich der Schöpfungsglaube überhaupt beweisen? Alles menschliche Beweisen im Bereich der Naturwissenschaft beruft sich auf Ursachen, die sich beobachten oder zumindest mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden erfassen lassen. In diesem Sinne kann beispielsweise bewiesen werden, dass der Regen bestimmte Ursachen hat. Die Erfassung solcher Ursachen haben wir als Antworten auf Wie-Fragen bezeichnet. Es geht darum, wie bestimmte Ursachen zu bestimmten Wirkungen führen. Dann wissen wir, wie der Regen zustande kommt.

Warum aber gibt es überhaupt einen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung? Zumindest denkbar wäre ja auch eine Welt, in der alles ohne einen erkennbaren Zusammenhang und ohne feststellbare Ursachen geschieht, „einfach so“.

In der gesamten Geschichte der Menschheit ist zu erkennen, dass Menschen nicht nur nach Ursachen, sondern auch nach Gründen fragen. Sie wollen wissen, wie die Dinge zu erklären sind, aber sie fragen auch danach, warum es überhaupt eine Welt gibt. Heute spricht man in dieser Hinsicht von Sinnfragen, die sich auf das Woher und Wohin der Welt und unseres eigenen Lebens beziehen. Naturwissenschaftlich gesehen sind solche Fragen prinzipiell unbeantwortbar, weil sie über alles hinausgehen, was sich durch wissenschaftliche Erkenntnis beschreiben, erklären und beantworten lässt. Einfach sinnlos aber ist die Frage nach dem Sinn deshalb nicht. Sie hat ihren Ort jedoch nicht im Bereich naturwissenschaftlicher Beweise. Der Schöpfungsglaube gehört so gesehen in den Bereich der Sinnfragen. Daher lässt er sich naturwissenschaftlich nicht beweisen.

Der Schöpfungsglaube kann also mit den Mitteln der Naturwissenschaft nicht erfasst werden. Deshalb bleibt es auch eine reine Wunschvorstellung, dass die Wahrheit der Bibel sich doch noch, etwa mit Hilfe der Archäologie, beweisen lasse. Diese Wunschvorstellung erklärt aber, warum Werner Kellers Buch so erfolgreich war. Ganz offensichtlich sind viele Menschen in ihrem ­Glauben verunsichert, nicht zuletzt durch wissenschaftliche Erkenntnisse, die ihren Glauben in Frage zu stellen scheinen.

Zu dieser Verunsicherung tragen natürlich immer wieder auch Publizisten bei, die anders als Werner Keller nachweisen wollen, dass die Bibel mit ihren Glaubensüberzeugungen gar nicht Recht haben kann.

„Die Gottes-Hypothese ist naturwissenschaftlich ­widerlegt!“ – Muss der naturwissenschaftliche ­Erkenntnisfortschritt zum Atheismus führen?

Zu den unerwarteten Erscheinungen des 21. Jahrhunderts gehörte in den letzten Jahren ein Omnibus, der zunächst durch England fuhr und später auch in anderen Ländern zu sehen war.


Als Werbebanner trug dieser Bus die in großen Buchstaben weithin sichtbare Aufschrift: „Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott“!

Erläutert und ergänzt wurde diese Aufschrift durch den Zusatz: „Ein erfülltes Leben braucht keinen Glauben!“

Dieser Bus war der sichtbarste Ausdruck des sogenannten neuen Atheismus, der inzwischen zumindest in intellektuellen Kreisen zu einer Art Bewegung geworden ist. Im Zentrum steht dabei die Behauptung, dass Gott durch den naturwissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt widerlegt sei. Deshalb heißt es, ähnlich wie man sonst bei einer naturwissenschaftlichen Frage formuliert, dass Gott „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ nicht existiere.

Schon weniger überraschend war dann, dass manche Christen sich dadurch ihrerseits veranlasst sahen, genau bei der Frage der „Wahrscheinlichkeit“ anzusetzen. Sie mieteten sich einen eigenen Bus, der dann dem Atheisten-Bus hinterdreinfuhr – mit dem nicht weniger weithin sichtbaren Slogan: „Und wenn es ihn doch gibt…“


Man mag einen solchen Buskonvoi belustigend finden oder auch nicht. Entscheidend ist jedoch die Frage, ob so tatsächlich über den Gottesglauben entschieden wird und ob auf diese Weise über den Glauben entschieden werden kann.

Der neue Atheismus erhielt ganz wesentlichen Auftrieb durch einen Welt-Bestseller, das Buch „Der Gotteswahn“ von Richard Dawkins, im Original erschienen im Jahr 2006. Schon früher war dieser englische Autor als glühender Vertreter einer evolutionstheoretischen Weltanschauung hervorgetreten. Seine besondere Kritik gilt denn auch dem Glauben an einen Schöpfergott, den er für ganz abwegig hält. Sein neuestes Buch trägt in der deutschen Übersetzung den Titel „Die Schöpfungslüge“. Die Evolutionstheorie habe doch weit bessere und verlässlichere Erklärungen für die Weltentstehung zu bieten. Wissenschaftlich geurteilt müsse die Hypothese, dass Gott die Welt geschaffen hat, deshalb nun endgültig verabschiedet werden. Sie habe sich als haltlos erwiesen.

Auf Dawkins und seine Thesen wird in diesem Buch noch genauer einzugehen sein. Schon an dieser Stelle ist aber festzuhalten, dass hier eine unmittelbare Konkurrenz zwischen Glaube und Naturwissenschaft behauptet wird. Die Menschen sollen sich vor die Entscheidung gestellt sehen, entweder an Gott zu glauben oder dem Weg der wissenschaftlichen Erkenntnis zu folgen. Eine dritte Möglichkeit soll es nicht geben: entweder Gott oder Evolution, entweder naiver Glaube oder Vernunft und Wissenschaft.

Dawkins geht in seiner Kritik am Gottesglauben allerdings noch weiter. Für besonders verwerflich hält er es, wenn schon Kinder in diesen Glauben eingeführt werden. Deshalb stellt er die religiöse Erziehung in den Zusammenhang des Kindesmissbrauchs – als eine Art Indoktrination, durch die Kindern das eigene Denken gezielt ausgetrieben wird. In seinem Buch „Der Gotteswahn“ ist gleich ein ganzes Kapitel mit „Kindheit, Missbrauch und Flucht aus der Religion“ überschrieben.3

An dieser Stelle begegnen wir erstmals in diesem Buch der ­Beobachtung, dass der Streit zwischen Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie immer auch eine pädagogische Seite aufweist. Gestritten wird dann darüber, was Kinder lernen sollen. Weitergehend ist kontrovers, was Kinder brauchen und was Kindern gerecht wird. Sind Kinder auf den Glauben an einen Schöpfergott angewiesen? Oder gilt umgekehrt, dass sie durch einen solchen Glauben in ihrer geistigen Entwicklung dauerhaft behindert werden?

Die Bewegung des neuen Atheismus jedenfalls geht davon aus, dass der Glaube an Gott durch den naturwissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt unwiderruflich widerlegt sei. Deshalb wäre es am besten, wenn schon Kinder gar nicht mehr mit einem solchen, wie es dann heißt, irreführenden oder kindischen und geradezu absurden Glauben in Berührung kommen würden.

„Den kindlichen Glauben an einen Schöpfergott kann ich schon längst nicht mehr teilen!“ – Schöpfungsglaube als Ausdruck kindlicher Naivität?

Nicht allzu viele Menschen würden so weit gehen wie Dawkins, der jede religiöse Erziehung in der Kindheit wohl am liebsten verbieten würde. Viele aber sehen den Schöpfungsglauben als Teil eines Kinderglaubens, wie sie ihn selbst in ihrer Lebensgeschichte einmal gehabt haben. Genau von diesem Glauben, so eine offenbar weithin geteilte Erfahrung, mussten sie sich aber später, im Zuge des Erwachsenwerdens, lösen. Häufig werden in dieser Hinsicht auch schmerzhafte Umbruchserlebnisse im Jugendalter erinnert, etwa wenn die Ablösung von einem kindlichen Schöpfungsglauben überhaupt als Verrat am Glauben wahrgenommen wurde. Kann man noch Christ sein, wenn man bezweifelt, dass Gott die Welt in sieben Tagen geschaffen hat?

Am Ende stellt sich dann oftmals die Überzeugung ein, dass der Schöpfungsglaube insgesamt ein Ausdruck kindlicher Naivität sei. Noch weitergehend wird mitunter sogar behauptet, dass dies auch für die ganze Menschheitsgeschichte gelte. So wie in der eigenen Lebensgeschichte der Schöpfungsglaube dem kindlich-naiven Denken parallel geht, so verhalte es sich auch mit der Kindheit des Menschengeschlechts: In der Frühzeit seien gleichsam alle Menschen wie Kinder gewesen und hätten sich einen Schöpfergott vorgestellt und sich zugleich auch einen solchen Gott gewünscht, der die Menschen behütet.

So steht der Schöpfungsglaube unter einem allgemeinen Naivitätsverdacht: „Für Menschen ab 12 Jahren nicht geeignet“, wie man in Umkehrung der bekannten Zulassungsbeschränkung bei Kinofilmen sagen könnte. Oder, in zugespitzter Form ausgedrückt: Schließt das Erwachsenwerden mit Notwendigkeit den Abschied vom Schöpfungsglauben ein?

Vielleicht erklären solche Fragen, dass der Streit zwischen Glaube und Evolutionstheorie immer wieder gerade im Blick auf die Schule geführt wird.

„Biologieunterricht mit der Bibel?“ – Was sollen unsere Kinder heute lernen?

Vor wenigen Jahren kam es in Deutschland zu einer heftigen, öffentlich und vor allem in den Medien ausgetragenen Kontroverse. Den Ausgangspunkt bildeten Äußerungen der damaligen hessischen Kultusministerin Karin Wolff, die so verstanden wurden, dass im Biologieunterricht nun auch die biblischen Schöpfungserzählungen berücksichtigt oder – was noch viel herausfordernder war – dort sogar gelehrt werden sollten. Vielfach wurde befürchtet, dass nun in der Schule einem neuen Fundamentalismus das Wort geredet werde, und das auch noch von staatlicher Seite. Sollten nun naturwissenschaftliche Erkenntnisse durch einen pseudowissenschaftlichen Biblizismus ersetzt werden, der sich auf die wortwörtliche Wahrheit der biblischen Schöpfungserzählungen beruft?

Über den sich daran anschließenden Konflikt ließe sich ein eigenes Buch schreiben. In fast allen Zeitungen und Wochen­zeitschriften in Deutschland wurden häufig geradezu reißerische Darstellungen veröffentlicht, die anzeigen, wie empfindlich die hier berührten Themen sind. Doch soll uns dieser Konflikt jetzt als solcher nicht weiter interessieren. Bedeutsam ist für uns die Feststellung, dass die zwischen Schöpfungsglaube und Evo­lutionstheorie aufbrechenden Fragen offenbar weithin ungeklärt sind. Entsprechende Auseinandersetzungen sind deshalb nicht, wie lange Zeit angenommen werden konnte, etwa allein auf die USA beschränkt. Allerdings wird in den Vereinigten Staaten schon seit langem ein erbitterter Streit darüber ausgetragen, ob die Evolutionstheorie in der Schule unterrichtet werden darf.

Im Blick auf die Bildungsaufgaben der Schule ist weiterhin bemerkenswert, dass in der deutschen Diskussion eine Lösung der Konflikte von einem schiedlich-friedlichen Nebeneinander zwischen Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie erwartet wurde. Denn weiter reichten die Klärungen vielfach nicht. Solange der Schöpfungsglaube nur auf den Religionsunterricht beschränkt bleibt, während im Biologieunterricht, vielleicht im Klassenzimmer nebenan oder über den Flur, die Evolutionstheorie gelehrt wird, dann wäre in dieser Sicht alles in Ordnung. Konflikte entstehen demnach erst dann, wenn dieses getrennte Nebeneinander in Frage gestellt wird. Wäre es heute aber nicht an der Zeit, gerade auch über die Grenzen des jeweiligen Faches hinaus Fragen zu stellen? Könnte eine fächerübergreifend vergleichende Aufnahme von Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie vielleicht doch zu Klärungen führen, die für beide Seiten hilfreich sind? Häufig wird bei solchen Vergleichen ja allererst sichtbar, worin der besondere Beitrag des eigenen Zugangs zur Wirklichkeit besteht.

Im Anschluss an diesen Konflikt hatte ich erfreulicherweise Gelegenheit, gemeinsam mit dem Tübinger Biologen Sven Gemballa der Frage nachzugehen, was der Biologieunterricht und der Religionsunterricht heute eigentlich voneinander erwarten können. Die dabei von uns gemeinsam entwickelte Thesenreihe enthält etwa die folgende Aussage:

„Der Biologieunterricht sollte seine Offenheit für Weltzugänge über die (natur-)wissenschaftlichen Erklärungsweisen hinaus deut­lich machen“.4

Damit ist nicht gemeint, dass der Biologieunterricht seine wissenschaftlichen Grundlagen und seine wissenschaftliche Ausrichtung preisgeben sollte oder preisgeben könnte. Vorgeschlagen wird allerdings, dass im Biologieunterricht auch die Grenzen wissenschaftlicher Weltzugänge reflektiert werden sollten.

In den Erläuterungen zu dieser These heißt es deshalb:

„Viele Biologinnen und Biologen können von ihren eigenen ehrfürchtigen Begegnungen mit der Natur geradezu schwärmerisch sprechen. Tiere, Pflanzen und Vegetationsverhältnisse können den Menschen faszinieren, und in anderer Weise gilt dies offenbar auch für Prozesse und Zusammenhänge, die sich beispielsweise nur mit speziellen Mikroskopen beobachten lassen. Wissenschaftlich sind solche Formen der Begegnung natürlich nicht, aber sie machen exemplarisch deutlich, dass ein naturwissenschaftlicher Weltzugang in seiner strengen Kontrolliertheit andere Weltzugänge nicht nur nicht überflüssig, sondern wünschenswert macht. Wie arm wäre der Mensch ohne einen auch ästhetischen Zugang zum Leben!“5

Wenn dies zutrifft, ist die ironische Frage „Biologieunterricht mit der Bibel?“ kaum angemessen. Sie geht an den tatsächlichen Herausforderungen vorbei. Denn sie suggeriert, dass es bei dem Hinweis auf die Bibel am Ende immer darum gehe, beispielsweise die Evolutionstheorie durch Glaubensüberzeugungen religiöser Art ersetzen zu wollen. Dass es auch andere, ebenfalls sinnvolle und wissenschaftlich vertretbare Möglichkeiten gibt, wie unterschiedliche Weltzugänge miteinander verbunden werden können, kommt dann gar nicht mehr in den Blick.

Offen bleibt freilich auch an dieser Stelle, wie eine solche Verbindung von Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie genau vorzustellen wäre. Auch dies muss deshalb im Folgenden noch einmal aufgenommen und weiter geklärt werden.

1 Werner Keller, Und die Bibel hat doch recht. Forscher beweisen die historische Wahrheit, Düsseldorf 1955, 9.

2 Ebd., 397.

3 Richard Dawkins, The God Delusion, Taschenbuch Ausgabe London 2007, Kap. 9, meine Übersetzung.

4 Sven Gemballa / Friedrich Schweitzer, Was können Biologie­unterricht und Religionsunterricht voneinander erwarten? In: Bernd Janowski / Friedrich Schweitzer / Christoph Schwöbel (Hg.), Schöp­fungsglaube vor den Herausforderungen des Krea­tionismus, Neukirchen-Vluyn 2010, 172-191, 184.

5 Ebd., 184 f.

Schöpfungsglaube - nur für Kinder?

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