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2. Act 21,15–27$Act 21,15–27

2.1 Die lukanischen Aussagen und ihr Verhältnis zu jüdischen Aussagen über das Nasiräat

Die letzte Jerusalemreise führt Paulus und seine Begleiter zum Herrenbruder Jakobus und den Ältesten. Es wird der Missionserfolg des Paulus unter den Heiden erwähnt, aber auch auf die Bekehrung zehntausender, d.h. einer ungeheuer großen Zahl von Juden hingewiesen. Diese Judenchristen zeichnen sich aus durch Gesetzeseifer. Gleichzeitig kursiert unter ihnen das Gerücht, Paulus lehre die Diasporajuden den Abfall von Mose, indem er sage, man solle die Kinder nicht mehr beschneiden und nicht mehr nach den jüdischen Sitten wandeln. Während Jakobus und die Ältesten auf den paulinischen Missionsbericht mit einem Lob Gottes antworten, befürchten sie gleichzeitig feindliche Reaktionen von Seiten der gesetzeseifrigen Judenchristen, denen die Ankunft des Paulus mitgeteilt worden ist. In dieser Situation geben Jakobus und die Ältesten Paulus den Ratschlag, die Ausweihungskosten für vier Nasiräer zu übernehmen, um so das Gerücht des Gesetzesabfalls durch eine gesetzestreue Handlung zu zerstreuen. So weit jedenfalls ist der Text der Act leicht nachzuvollziehen. Unsicher wird die Interpretation erst in der Analyse des Wortlauts des Ratschlags (Act 21,23b.24) und in der Rekonstruktion dessen, was Paulus in Befolgung des Ratschlags getan hat (Act 21,26).

Unter den Judenchristen Jerusalems befinden sich vier Männer, welche die Auslösung ihres Nasiräats noch nicht vollzogen haben. Der gewählte Ausdruck εἰσὶν ἡμῖν ἄνδρες τέσσαρες (Act 21,23) zeigt an, dass diese Männer Mitglieder der Jerusalemer Gemeinde sind,1 nicht aber Juden(christen) aus der Diaspora, die einer Purifikation vor der Ausweihung bedurft hätten. Der demonstrative Akt der Gesetzestreue, zu dem Paulus aufgefordert wird, soll an Männern aus dem Bereich vollzogen werden, aus dem auch die „Zehntausende“ judenchristlicher Gesetzeseiferer stammen. Die vier Männer haben eine εὐχὴ ἐφ ἑαυτῶν,2 also ein noch bestehendes Gelübde. Der Paulus unterbreitete Vorschlag ist dreiteilig:

1 τούτους παραλαβών;

2 ἁγνίσθητι σὺν αὐτοῖς;

3 δαπάνησον ἐπ᾽ αὐτοῖς.

 ad a) Der Ausdruck τούτους παραλαβών besagt hier nicht mehr, als dass Paulus die vier Männer „mit sich nimmt“ (vgl. V. 26a) bzw. „sie zur Hilfe nimmt“ für seinen Zweck, seine Gesetzestreue zu erweisen. Der Ausdruck impliziert keineswegs, dass Paulus sich den vier Nasiräern angeschlossen hat, um nun seinerseits ein Nasiräat zu übernehmen.3

 ad b) Die eigentlichen Auslegungsschwierigkeiten sind mit dem Ausdruck ἁγνίσθητι οὺν αὐτοῖς verknüpft. Er wird in V. 26 wieder aufgenommen. Sodann begegnet das Substantiv ἁγνίσμός in der Wendung διαγγέλλων τὴν ἐκπλήρωσιν τῶν ἡμερῶν τοῦ ἁγνισμοῦ (V. 26). Auch diese Aussagen sind dahingehend interpretiert worden, als habe Paulus ein Nasiräat übernommen. Das Verb ἁγνίζεσθαι ist jedoch nicht notwendig in diesem Sinn zu interpretieren, ja „das bloße ἁγνίζεσται bezeichnet nirgends das Ablegen des Nasiräatsgelübdes.“4 Das Verb kann a) in dem Zusammenhang eines Nasiräatsgelübdes gebraucht werden: Num 6,3 LXX, vgl. aber auch ἁγνισμός (Num 6,5 LXX), ἁγνεία (Num 6,2 LXX); b) im Zusammenhang unterschiedlicher Purifikationsprozesse.5 Vor dem Passa: Ex 19,10 LXX; Joh 11,55; Jos, Ant 12,145; in Bezug auf Unreinheit: Num 19,12; 31,19.23; Jos 3,5; 2 Chr 29,5.34; 30,17 LXX; Act 24,18. Von einem siebentägigen Reinigungsritus in Verbindung mit dem Verb ἁγνίζεσθαι sprechen die Belege Num 19,12; 31,19 LXX. Da Paulus als ein aus dem Ausland kommender Jude, der den Tempel betreten will, ohnehin einer siebentägigen Reinigung bedurfte, und da Act 21,27 eine Frist von sieben Tagen erwähnt, könnte man problemlos solch einen Purifikationsprozess hier angedeutet sehen. Jedoch spricht Lukas in V. 24 und 26 davon, dass die Reinigung des Paulus sich mit den Nasiräern, σὺν αὐτοῖς, vollziehen soll. Diese aber sollten doch im Stand kultischer Reinheit sein. Kann man daher voraussetzen, deren kultische Reinheit sei etwa durch Berühren einer Leiche oder durch Betreten außerpalästinischen Raums6 aufgehoben worden, so dass diese nun zusammen mit Paulus eines Purifikationsprozesses bedurften?7 Hierbei läge der ungewöhnliche, wenngleich nicht unmögliche Zufall zugrunde, dass die vier Nasiräer gleichzeitig ihre Reinheit verloren hätten. Ist diese Auslegung bei der Präposition σὺν αὐτοῖς notwendig?M. Bachmann8 hat demgegenüber vorgeschlagen, σὺν αὐτοῖς hier „im Sinne von ‚ihnen bei‘“ zu übersetzen, so dass V. 24 und 26 ausschließlich von einer Purifikation des Paulus sprechen, die ihn in denjenigen Stand der Reinheit bringt, den die Nasiräer bereits besitzen. Damit wäre folgende häufig vertretene Ansicht abgewiesen: Die lukanische Quelle habe noch klar zwischen ἁγνισμός als Purifikation einerseits und Nasiräat andererseits unterschieden, Lukas aber habe beides (wohl wegen des Vorkommens des Begriffs im Zusammenhang des Nasiräats in Num 6,4 und der Purifikation in Num 19,12 LXX) „irrig […] kombiniert“9 und sei so zu der Vorstellung gekommen, Paulus sei in ein bestehendes Nasiräat eingetreten.

 ad c) Der Ausdruck δαπάνησον ἐπ᾽ αὐτοῖς spricht die Num 6,14–15; mNaz 6,7–9 genannten, erheblichen Ausweihkosten an, die Paulus für die Nasiräer übernehmen soll. Act 21,26 berichtet, wie Paulus den Ratschlag befolgt, sich am nächsten Tag „ihnen gleich“ heiligt, in den Tempel geht und die Erfüllung der Tage der Reinigung anzeigt. Hierbei stellt V. 26a zunächst nahezu eine Wiederholung von V. 24a dar und ist im Sinne der o.g. Interpretation aufzunehmen. Dennoch bleibt die Aussage dieses Verses undeutlich, ja missverständlich. Das Part. Aor. ἁγνίσθείς scheint vorauszusetzen, Paulus habe am folgenden Tag vor dem Tempelgang gemeinsam mit den Nasiräern eine einmalige Reinigung vollzogen.10 Dies kann aber mit V. 27 nicht in Einklang gebracht werden, da hier klar ein siebentägiger Purifikationsprozess des Paulus impliziert ist, in den Paulus (in V. 26) erst eintritt; so auch Act 24,18. Der Ausdruck τὴν ἐκπλήρωσιν τῶν ἡμερῶν τοῦ ἁγνισμοῦ setzt eine mehrtägige Reinigungszeit voraus. Weder kann Paulus als ein aus der Diaspora anreisender Jude in einem einmaligen Purifikationsakt die Reinheit erlangen noch bedürfen die Nasiräer eines Purifikationsaktes, befinden sie sich doch unmittelbar vor dem Ausweihakt im Stand der Reinheit. Andererseits kann Paulus bei dem Tempelgang nicht die Erfüllung der Tage der Reinigung für sich anzeigen, da er die siebentägige Purifikation, von der V. 27 sprechen wird, noch gar nicht abgeleistet hat, so dass der Ausdruck τὴν ἐκπλήρωσιν τῶν ἡμερῶν τοῦ ἁγνισμοῦ durch V. 26c unstrittig auf den Ausweihakt der vier Nasiräer zu deuten ist.11 Die bereits erwähnte Unsicherheit in der Auslegungsgeschichte, ob ἁγνισμός auf das Nasiräat oder auf den Purifikationsprozess zu beziehen ist, setzt sich in der Auslegung dieses V. 26 fort. Ganz unwahrscheinlich ist hingegen die oft vorgetragene Auslegung, der zufolge Paulus mit dem Tempelgang in ein siebentägiges Nasiräat12 eingetreten sei und sogleich den Ausweihakt angezeigt habe.13

Dies ist mit den jüdischen Nasiräatsbestimmungen in keinem Fall in Ausgleich zu bringen.14 Ebenso unwahrscheinlich ist die Annahme, Paulus habe erst jetzt, mit einer Verzögerung von vier oder fünf Jahren und zudem erst auf Anraten des Jakobus, sein in Kenchreä abgeschlossenes Nasiräat förmlich beendet.15 Im Tempel zeigt Paulus als derjenige, der bereit ist, die Ausweihkosten für die vier Nasiräer zu übernehmen, τὴν ἐκπλήρωσιν τῶν ἡμερῶν τοῦ ἁγνισμοῦ ἕως οὗ προσηνέχθη ὑπὲρ ἑνὸς ἑκάστου αὐτῶν ἡ προσφορά an. Nicht ganz eindeutig ist der Bezugspunkt von ἕως οὗ. Soll gesagt sein, dass Paulus in dem Tempel blieb, bis die Opfer für einen jeden dargebracht sind? Oder ist – m.E. wahrscheinlicher und mit den meisten Kommentaren – die Erfüllung der Tage damit präzise terminiert auf den Zeitpunkt, an dem die Opfer im Tempel dargebracht werden?

2.2 Die historischen Zusammenhänge

Im Mittelpunkt des lukanischen Berichts steht der Vorschlag des Jakobus und der Ältesten, Paulus solle durch eine Handlung im Tempel, nämlich die Übernahme der Ausweihkosten für vier Nasiräer, den Verdacht, er lehre unter den Diasporajuden den Abfall von Mose, ausräumen.1 Paulus folgt diesem Vorschlag nach dem Bericht der Act ohne Zögern. Er kann damit, wie auch Lukas weiß, nicht mehr erweisen, als dass er in einem konkreten Fall sich als Bewahrer der Tora (V. 24c) erweist. Die Vorwürfe vor allem an seine Verkündigung (V. 21, 28) kann er durch den einmaligen Akt nicht ausräumen. Die Berechtigung dieser Gerüchte und Vorwürfe ist höchst zweifelhaft. Doch ist auf historischer Ebene in diesem Zusammenhang ohnehin nur wichtig, was man in Jerusalem über Paulus dachte bzw. auf redaktioneller Ebene, wie Lukas im Zusammenhang des Prozesses des Paulus Anklage und Verteidigung vorbringen will.

Die Übernahme der Ausweihkosten war nicht nur eine fromme Handlung, sondern bot eine willkommene Möglichkeit, die eigene Gesetzestreue unter Beweis zu stellen. So jedenfalls zeigt es der Bericht des Josephus, Ant 19,293f. über den Amtsantritt von König Agrippa I. Dieser, οὐδὲν τῶν κατὰ νόμον παραλιπών,2 übernimmt die Ausweihkosten einer großen Menge von Nasiräern. Es ist nicht unwichtig, dass diese Kostenübernahme ein selbstständiger Akt neben dem Nasiräat anderer war (dazu ausführlich mNaz 2,5–6), ja als solcher das eigentliche Nasiräat in der Wertigkeit zurückzudrängen schien.3 Die erheblichen Kosten der Nasiräatsauslösung mögen zu dieser Verschiebung beigetragen haben. Nach Num 6,14–17 hat der Nasiräer ein einjähriges Schaf ohne Fehler als Brandopfer, ein einjähriges Schaf ohne Fehler als Sündopfer, einen Widder ohne Fehler als Dankopfer zu bringen, sodann einen Korb mit ungesäuertem Kuchen von feinstem Mehl, mit Öl vermengt, ungesäuerte Fladen, mit Öl bestrichen, und was dazu gehört an Speiseopfern und Trankopfern (vgl. auch mNaz 6,7–9). Die tumultuarischen Ereignisse gegen Paulus im Tempel bei dem Abschluss der siebentägigen Purifikation (Act 21,27–30) haben letztlich wohl eine Übernahme der Auslösungskosten für die vier Nasiräer verhindert. Gleichwohl kann die Frage gestellt werden, mit welchen Mitteln Paulus eine gleich vierfache Auslösung hätte bezahlen wollen bzw. können? Hat Paulus einen Teil der KollekteKollekte einsetzen wollen? Jegliche Antwort ist Spekulation, da wir nicht wissen, welche Geldmittel Paulus zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung standen.4

Vor der Übernahme der Ausweihkosten muss Paulus, der aus dem Ausland kam und als unrein galt, seine eigene Entsühnung vornehmen. Hierauf bezieht sich präzise der Ausdruck αἱ ἓπτὰ ἡμέραι συντελεῖσθαι (V. 27). Nach Act 20,16 kommt Paulus auch als Wallfahrer anlässlich des Wochenfestes nach Jerusalem. Als solcher unterliegt er den Bestimmungen für Festpilger aus dem Ausland.5 Sie sollten eine Woche vor Beginn des Festes in Jerusalem eintreffen, um einen siebentägigen Purifikationsprozess zuvor abschließen zu können. In dieser Zeit lassen sich die Pilger am dritten und am siebten Tag mit Sühn-Wasser besprengen (vgl. mNaz 7,3; bNaz 54b). Philo, SpecLeg 3,205 hält als Diasporajude fest: „Ins Heiligtum aber gestattete er auch den ganz Reinen nicht vor sieben Tagen einzutreten, er gebietet ihnen am dritten und siebenten Tage sich vorschriftsmäßig zu reinigen.“6 Nicht nachvollziehbar ist die lukanische Aussage, dass Paulus während der Reinigung7 in den Tempelbezirk geht, um die Ausweihung der Nasiräer anzuzeigen. Nach V. 27 ist die Purifikation ja noch nicht abgeschlossen. Nimmt man das Zeugnis des Philo ernst, dann hätte Paulus also die bevorstehende Auslösung der Nasiräer nicht während seiner Purifikationzeit an dem von Lukas genannten Ort, im Tempelbezirk,8 anzeigen können (V. 26).

Schließlich ist zu fragen, ob nicht auch die Festnahme des Paulus mit der Purifikation und der Übernahme der Ausweihkosten zusammenhängt. J. Weiß9 hat darauf hingewiesen, dass im Bericht des Lukas eine Nachricht über den Umgang des Paulus mit TrophimosTrophimos ausgefallen sein muss, und zwar etwas, was die Anklage der Juden in V. 28 verständlich macht. Man hat Paulus mit dem Heidenchristen Trophimos (vgl. 20,4) in der Stadt gesehen (21,29$Apg 21,15–27). In halachischer Sicht ist Trophimos ein Heide. Eine Begegnung des Paulus mit dem Heiden(christen) Trophimos würde die Absicht, innerhalb der siebentägigen Purifikationszeit levitische Reinheit zu erlangen, ins Gegenteil verkehren. Das Verhalten des Paulus hätte die über ihn kursierenden Gerüchte teilweise bestätigt.

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