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KAPITEL 13.
Die Marsbewohner

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Inhaltsverzeichnis

Nach einer halbstündigen Wanderung war der Fuß der Berge erreicht. Nach einer weiteren halben Stunde die erste Anhöhe erklommen.

Der Ausblick, der sich hier unseren Freunden bot, überzeugte sie sofort, daß die Sage von den Marsmenschen keine reine Phantasie der Astronomen sein konnte; denn vor ihren Blicken öffnete sich ein Hochtal, das von einer ganzen Anzahl von Bauten erfüllt war, die zweifellos vernunftbegabten Wesen ihren Ursprung verdankten.

Auch diese Bauwerke hatten ihre auffallenden Eigentümlichkeiten: zum ersten waren sie schmal und hoch, turmartig aufgeführt; zum zweiten erschienen sie alle dreieckig, zum dritten sahen sie wie aus einem Guß gefertigt aus.

Der Professor, der für alles eine Erklärung suchte und auch gleich bei der Hand hatte, ließ sich also vernehmen:

„Die Marsbewohner bauen offenbar in die Höhe wie die Newyorker, jedenfalls auch aus demselben Grund: sie müssen an Platz sparen. In der Tat erreicht die gesamte Oberfläche des Mars noch keine drei Zehntel der Erdoberfläche; da überdies die schrecklichen breiten Sümpfe einen großen Teil des Festlandes einzunehmen scheinen, so müssen sie an Bauplatz sparen. Dreieckig sind die Häuser aufgeführt, um den Orkanen und den Wasserfluten bei der Schneeschmelze wirksamen Widerstand bieten zu können; daß sie so glatt und ungegliedert aussehen, weist auf eine besondere Masse hin, mit der die Baumeister die Gebäude von außen gleichmäßig bestreichen, auf einen Mörtel, der vielleicht dem Mars eigentümlich ist.“

„Scharfsinnig, wie immer, Professor!“ lachte der Kapitän. „Aber gestatten Sie mir diesmal, den Zweifler zu spielen: wir haben auf unserer ganzen Wanderung weder Dörfer noch Städte, ja nicht einmal angebautes Land getroffen oder auch nur von ferne erblickt. Also haben die Marsbewohner noch keinen Mangel an Bauplätzen; zum andern dürfte in diesem geschützten Tale kaum je ein heftiger Orkan wehen, auch ist es so hoch gelegen, daß keine Wasserfluten es bedrohen. Abgesehen von diesen Kleinigkeiten mögen Sie ja immerhin recht haben.“

„Na!“ sagte Schultze: „Sie oller Zweifler! Lassen wir das einstweilen dahingestellt und untersuchen wir die Häuser. Verlassen oder ausgestorben scheint ja die Stadt zu sein.“

Das, was Schultze eine „Stadt“ nannte, waren etwa hundert zumeist gleich geformte Bauwerke von mäßigem Umfang. Sie leuchteten in allen Regenbogenfarben, eines blau, das andere rot, das dritte grün; einige schneeweiß, andere schwarz; daneben gelbe, braune, orangerote, violette Türme in allen Farbenabstufungen.

Im Innern erwiesen sie sich sämtlich ganz ähnlich angelegt; statt einer Treppe führte ein gewundener Gang empor, von schmalen Seitenfenstern erhellt. Ganz oben befand sich ein dreieckiges Gemach, in welchem auf erhöhten Matten — Leichen lagen.

Ja, nur Leichen!

„Eine Begräbnisstätte, ein Friedhof,“ rief Heinz aus.

„Wenigstens eine Totenstadt,“ entgegnete Schultze, „da von Gräbern und Begräbnis hier nicht die Rede ist.“

Die Leichen waren alle in lange Gewänder von einem eigentümlichen glatten und sehr schmiegsamen Stoffe gekleidet, der keine Fäden, kein Gewebe erkennen ließ. Entweder war dieser auf Erden unbekannte Stoff aus einer äußerst zähen Gummiart papierdünn gewalzt, wobei der Gummi jegliche Elastizität verloren hatte, oder er war aus einem nur den Marsbewohnern bekannten Material gegossen.

Die Gewänder glänzten auch in den verschiedensten lebhaften Farben. Die Körper unterschieden sich nicht wesentlich von menschlichen Körpern; sie waren aber alle sehr klein, schlank und zierlich und jedenfalls wiesen sie eine Rasseneigentümlichkeit auf, die auf Erden nicht zu finden war. Diese Eigentümlichkeit bestand im Wesentlichen in einer auffallenden Schädelform: man hätte meinen können, jedes dieser Häupter trage eine Kappe; denn über der Stirne eingeschnürt, saß eine zweite mäßig gewölbte und dichtbehaarte Schädelkammer.

„Zwei Stockwerke!“ rief Münchhausen in ehrlichem Staunen: „Ein zweistöckiges Gehirn haben diese Marsiten besessen! Nein, müssen die gescheit gewesen sein!“

Die rosige Haut des Gesichts und der Hände, so weich und zart sie aussah, erwies sich nichtsdestoweniger bei der Berührung als ungeheuer zäh, wie Leder oder wie die Haut eines Elefanten.

Schultze machte, nicht aus sträflicher Neugier, sondern aus wissenschaftlichem Interesse, einen Versuch, die Haut einer Hand mit seinem Dolche zu ritzen; doch als er schließlich auch alle Gewalt anwendete, es gelang ihm nicht, das Gewebe zu verletzen; das Messer hinterließ nur eine vertiefte Spur, die bald wieder verschwand.

„Die waren ausgerüstet für den Kampf ums Dasein!“ sagte er: „die scharfen Hörner der wilden Tiere, die Klauen und Gebisse der Vögel und die blutsaugerischen Schnauzen des Gewürms konnten ihnen nichts anhaben. Um so mehr dürfen wir erwarten, bald auf lebende Marsbewohner zu stoßen: ein solches Geschlecht stirbt nicht aus!“

Der Professor kannte die Schrecken des Mars noch allzuwenig!

Flitmore photographierte das Innere der Leichenhalle, sowie einige besonders charakteristische Mumien. Nach Verlassen der Totenstadt nahm er auch diese von einer Anhöhe aus auf; dann verließen unsere Freunde den Ort durch ein gewundenes, bergabführendes Tal.

Am Ausgange der Schlucht lehnte an der Bergwand ein niedriger, dreieckiger Bau aus „Gußstein“; denn so hatte Schultze das steinerne Material, das gleichmäßig glatt war und keine Lücken aufwies, benannt. Er vermutete, daß die Marsbewohner eine besondere Steinart wie Lava zu schmelzen verstünden, im flüssigen Zustand färbten und dann ihre Häuser in einem Block in Erdformen gossen.

Dafür sprach der Umstand, daß die Bauten in der Totenstadt eine beschränkte Anzahl von Formen aufwiesen, die in genau den gleichen Abmessungen immer wiederkehrten. Der Bruch einzelner beschädigter Steine zeigte, daß die Färbung den ganzen Stein durchdrang und daß tatsächlich nirgends eine Fuge vorhanden war, sondern alles aus einem Block bestand.

Vor dem neuentdeckten Hause nun saß ein steinaltes Männlein, dessen Doppelschädel den Eindruck machte, als trage er eine Mütze aus Eisbärenfell; denn schneeweis war sein dichtes Pelzhaar, das zottig herabhing, jedoch nicht länger als es bei einem Tierpelz zu wachsen pflegt.

Ein ebenso zottiger kurzer Bart umrahmte sein Gesicht.

Mit den großen, gescheiten Augen betrachtete er die Ankömmlinge, offenbar sehr interessiert, aber durchaus nicht mit der Verwunderung oder gar dem Entsetzen, welche diese sich geschmeichelt hatten, bei dem ersten Marsbewohner zu erregen, der ihre fremdartige Erscheinung gewahren würde.

Als sie sich ihm nahten, erhob er sich langsam. Ein leuchtendes rotes Gewand umfloß seine schlanken Glieder.

Und nun zeigte Schultze den unentwegten Professor: er redete den Marsgreis im elegantesten Latein an, das ihm zur Verfügung stand; denn er dachte, Latein sei eine Weltsprache, die von gebildeten Wesen überall verstanden werden müsse. Er bedachte nicht, daß die alten Römer, so unternehmungslustig sie waren, die Grenzen ihres Reichs doch nicht über den Erdball ausgedehnt hatten.

Übrigens war der Marsite stocktaub, wie er durch ein beredtes Berühren seiner Ohren und sein trüblächelndes Kopfschütteln zu verstehen gab.

Da er jedoch an Schultzes beweglichen Lippen erkannt hatte, daß dieser ihn anredete, mochte er meinen, die seltsamen Besucher sprächen die Marssprache; denn er ließ einige wohllautende Worte vernehmen, merkte aber bald an des Professors Kopfschütteln, daß man ihn nicht verstand.

Da deutete er auf die Gruppe, die ihn anstaunte, und erhob den Blick gen Himmel. Gleichzeitig streckte er den Arm empor und wies auf einen blassen Stern.

Das war die Erde!

Da die Erde dem Mars weit näher steht als die Sonne, und diese ihm infolge ihrer Entfernung nicht so blendend leuchtet, wie uns, konnte man die Erde hier bei Tageslicht am Himmel stehen sehen.

So sehr Lord Flitmore an Selbstbeherrschung gewohnt war, die Gebärde des Greises brachte ihn doch aus der Fassung.

„Allmächtiger!“ rief er aus: „Sollte man das für möglich halten? Dieser Marsmensch vermutet, daß wir von der Erde her kommen! Offenbar ist ihm das Vorhandensein von Menschen dort bekannt und man rechnete hier damit, eines Tages einen Besuch vom Nachbarsterne her zu erhalten.“

„Nein! Welche Hilfsmittel müssen diese Marsmenschen besitzen!“ meinte Schultze verwundert.

„Ich glaube fast, ihre Augen ersetzen ihnen das beste Teleskop,“ bemerkte Heinz: „Sehen Sie doch nur, wie der Mann seine Augen weit heraustreten läßt, wenn er nach der Erde schaut, und wie tief er sie in die Höhlen zurückzieht, wenn er uns betrachtet.“

In der Tat bemerkten jetzt alle dieses seltsame Augenspiel, je nachdem der Marsite den Blick auf nähere oder entferntere Gegenstände richtete.

„Fragen Sie doch den Alten, wo wir noch mehr Seinesgleichen treffen können,“ wandte sich Münchhausen ironisch an Schultze, der mit seinem Latein zu Ende war nach dem ersten vergeblichen und etwas törichten Verständigungsversuch.

Heinz Friedung aber bewies, daß er einer solchen Aufgabe gewachsen war: er unternahm es, die gewünschte Auskunft zu erhalten.

Das griff der intelligente junge Mann folgendermaßen an:

Er wies auf die eigene Brust und streckte den Daumen der geschlossenen linken Hand empor; dann deutete er der Reihe nach auf Flitmore, Mietje, Schultze und Münchhausen, jedesmal einen weiteren Finger der Linken ausstreckend.

Der Marsite folgte aufmerksam diesem Gebärdenspiel, das besagen wollte: „Wir sind fünf.“

Als Heinz dann seine Hand wieder schloß, zeigte der Alte, daß er begriffen habe und des Zählens mächtig sei; denn mit einer Handbewegung wies er auf die Gruppe und streckte dann fünf Finger aus, als wollte er sagen: „Das stimmt, ihr seid zu fünft.“

Jetzt zeigte Hans auf den Marsiten und streckte wieder den Daumen allein vor. Das hieß: „Du bist nur einer.“ Dann sah sich der junge Mann forschend und fragend nach allen Seiten um mit hilflosen Handbewegungen, aus denen der Marsbewohner sofort die Frage erriet: „Wo sind die andern Bewohner des Mars?“

Da schüttelte er den Kopf und eine tiefe Traurigkeit überzog seine milden Züge: eindringlich streckte er den einen Daumen empor, berührte seine Brust, wies dann mit dem Arm im Kreise umher, immer kopfschüttelnd und zugleich die Hand verneinend schwenkend, als wollte er sagen: „Ich bin allein da! Sonst ist nirgends mehr jemand vorhanden.“

Erstaunt glotzten unsere Freunde ihn an; da winkte er ihnen, ihm zu folgen.

Er führte sie an den Rand des Hügels und deutete in den Sumpf hinab.

Da sahen sie schaudernd die Spitzen von Gebäuden aus dem schwarzen Schlamme emporragen und die traurigen Gebärden des Greises sagten: „Alle sind verschlungen von den Wassern, alle modern im Sumpf oder dienen den Sumpfwürmern zum Fraß.“

Dann raffte sich der Alte auf, deutete auf seine Gäste und dann hinauf zur Erde, ihnen mit heftigen Handbewegungen begreiflich machend: „Fliehet, fliehet! Sonst ereilt euch das gleiche Schicksal!“

Dieses gräßliche Geschick verdeutlichte er noch dadurch, daß er wieder hinab in den Sumpf zeigte, dann die Handfläche wagrecht über den Boden hielt und sie ruckweise am eigenen Körper immer höher steigen ließ, bis er sie hoch über den Kopf hob.

„Er will andeuten, daß die Gewässer plötzlich steigen und hoch über unsere Köpfe weggehen können,“ erklärte der Lord.

„Allerdings,“ bestätigte Schultze: „Die Astronomen haben des öfteren derartige Katastrophen auf dem Mars beobachtet: Das Land wird urplötzlich vom Meere verschlungen, und die Verteilung von Kontinenten und Meeren nimmt eine ganz neue Gestaltung an.“

„So werden wir hier nicht mehr viel zu entdecken haben,“ meinte Münchhausen: „Der Mann kennt sich jedenfalls am besten aus auf dem Mars und wir werden gut tun, seine Warnung nicht in den Wind zu schlagen.“

In diesem Augenblick dröhnte der Klang der Sirene von der Sannah durch die Lüfte.

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