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Drittes Kapitel 2

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O'Key hatte Fingerspitzengefühl; er merkte deutlich, daß er dem Kommissar unerwünscht kam – aber es wurde ihm nicht allzu schwer, den verärgerten Gnomen umzustimmen. Cyrill Simpson O'Key, Spezialreporter am Londoner ›Globe‹, Mitarbeiter des ›Intelligence Service‹ (dies wußten nur wenige), verstand es, Sympathien zu kapern, so, wie ein alter Seeräuber das Entern von Schiffen. Seine Art, sich beliebt zu machen, hatte viel Ähnlichkeit mit dieser altertümlichen Beschäftigung. Bildhaft gesprochen, er warf einen Enterhaken nach dem andern aus – und so solide waren diese Haken, daß der Angegriffene sich nicht zu befreien vermochte.

O'Key also – wir haben ihn schon einmal kurz beschrieben: rote, drahtige Haare über einem mit Sommersprossen übersäten Gesicht, langer, sehr langer, hagerer Körper, merkwürdig schmale Gelenke, eine spitze Nase, die beweglich war, wie bei einem Kaninchen, Mund und Kinn wirkten schön – O'Key also trat zu dem Kommissar, legte seinen langen Arm um die gepolsterten Schultern des Mannes und zog ihn in eine Ecke. Dort flüsterte er eindringlich:

»Hören Sie, mein lieber Kommissar, ich weiß, Sie sind nicht entzückt von meiner Anwesenheit. Wahrscheinlich meinen Sie, ich sei einer dieser langweiligen Engländer, die immer etwas zu reklamieren haben. Sie täuschen sich: erstens bin ich Ire, zweitens trinke ich nicht nur Tee, sondern auch stärkere und erfreulichere Getränke, und drittens…«, ein Blick auf den Ringfinger des Kommissars, »sehe ich, daß auch Sie Junggeselle sind. Wir wollen die Sache nun so deichseln: Wir schauen uns hier zusammen ein wenig um – auf die Enquete in der Nachbarschaft können Sie verzichten, die habe ich schon erledigt, dann gehen wir zusammen essen und besprechen die Sache in Ruhe und Frieden. Die Wahl des Restaurants überlasse ich Ihnen, Schweizer Weine kenne ich noch nicht, da müssen Sie mich einweihen. Ich werde mich jetzt ganz schweigsam verhalten, bis der Oberbonze abgeschoben ist. Der versteht ja sowieso nichts von der Sache, wie alle Bonzen. Hab' ich nicht recht?«

Kommissar Pillevuit war überwältigt, so überwältigt, daß er seinen Mund offen stehen ließ, was in dem blonden Vorhang seines Bartes nicht gerade sehr ästhetisch wirkte. Dann aber klatschte er seiner neuen Bekanntschaft auf die Achseln (zu diesem Behufe mußte er sich auf die Fußspitzen stellen):

»Abgemacht« krähte er, »Sie gefallen mir.«

Und einträchtig begannen die beiden den Rundgang durch die Räume hinter dem Laden, die bis jetzt von einer eingehenden Durchsuchung verschont geblieben waren.

Aber sie fanden sozusagen nichts. Das kahle Wohnzimmer – zwei alte Bauernlehnstühle, ein klobiger Tisch, ein niederer Diwan, in einer Ecke ein zarter Schreibtisch, der gar nicht in die Umgebung paßte – wirkte kalt, weil auf dem roten Fliesenboden kein Teppich lag. Sonst war das Zimmer hervorragend in Ordnung, für einen Junggesellen ohne Haushälterin. Im schwarzen Eisenofen war Papier verbrannt worden. Pillevuit, stöhnend über seine verschiedenen Fettwülste, die ihm beim Knien überall im Wege waren, räumte sorgfältig aus. – Umsonst. Das verkohlte Papier war von kundiger Hand zu Pulver zerschlagen worden. Der Schreibtisch enthielt alte Rechnungen. Die mittlere Schublade ließ sich nur schwer öffnen, es machte den Eindruck, als habe sich ein Gegenstand irgendwo eingeklemmt. Mit vielem Pusten gelang es dem Kommissar schließlich, die Schublade herauszuziehen – da fiel etwas mit gedämpftem Klange zu Boden. O'Key bückte sich und legte das Ding auf den Tisch. Es war ein Seidenband, vier Finger breit etwa, von grellgelber Farbe und sorgsam zusammengelegt. Beim Aufrollen fiel eine Münze auf den Tisch. Sie mußte uralt sein, diese Münze, schwärzlich angehaucht, Silber. Die beiden beugten sich tiefer. Da war ein Mann zu sehen, ein nackter Mann, dem Fliegenflügel aus den Schultern wuchsen, und sein Antlitz war bedeckt mit einer Maske. Winzige Buchstaben liefen am Rande entlang und sie wirkten wie Ungeziefer.

»Das ist griechisch«, sagte Pillevuit. »Können Sie griechisch, Herr Irokese?« O'Key nickte.

»Kaulakau, saulasau«, entzifferte er mühsam, blickte auf und fuhr fort: »Basilidianische Gnosis, zweites bis drittes Jahrhundert, Alexandrien.«

»He?« machte Pillevuit und rollte Glotzaugen.

»Ein Amulett«, erklärte O'Key geduldig, »die Gnosis des Basilides gehört schon zu den Degenerationserscheinungen dieser religiösen Erkenntnis, beschäftigt sich nur noch mit Magie, schwarzer oder weißer, ganz nach Wunsch. Der Mann da mit den Fliegenflügeln wird wohl Abraxas sein, der Feind des Weltenschöpfers, der Ahne unseres Lucifers. Drehen Sie die Münze um. Sehen Sie? Das Pentagramm mit der Spitze nach unten. Also schwarze Magie. Und das Band?« – O'Key nahm es auf. Es war auf drei Seiten gesäumt, außerdem waren an den beiden Schmalseiten drei Druckknöpfe angebracht. Die ungesäumte Längsseite trug etwa zwölf kleine Schlitze, die wie winzige Knopflöcher wirkten. O'Key legte sich das Band über die Stirn, ließ die Druckknöpfe am Hinterkopf einschnappen; nun sah es aus, als trage er ein breites, goldenes Stirnband.

»Verstehen Sie?« fragte O'Key, Pillevuit schüttelte den Kopf.

»Bestandteil eines Ornates, wahrscheinlich. Die Knopflöcher hier dienen wohl zum Anbringen eines Tuches, einer Maske, die das Gesicht verhüllt, vielleicht ist es auch ein leichtes Gewebe, das über den ganzen Körper fiel. Und – sehen Sie?« er zog das Band wieder ab, »auch an der andern Breitseite finden Sie Löcher, weniger als unten, aber genug, um ein Netz anzubringen, das die ganze Verkleidung hält. Noch etwas: Lassen Sie das Licht schräg auf das Gewebe fallen, sehen Sie, so; nun?«

Mattschimmernd zeigte sich das Pentagramm, der Drudenfuß der Münze, und mit seinem Liniengewirr umgab er einen schattenhaft wirkenden Körper. Links und rechts von dem Fünfspitzen-Stern waren auf die gleiche, mattschimmernde Art Abbilder von Insekten eingewoben – Bienen und Hummeln, Wespen und Mücken, angedeutet zwar nur, in Umrissen, aber deutlich erkennbar.

Pillevuit lachte laut und fett. »Entschuldigen Sie«, sagte er, als er wieder zu Atem gekommen war, »aber ich kann nicht anders. Wenn ich mir diesen alten Lumpen Eltester – Gott sei seiner Seele gnädig, denn er hat viele Leute ruiniert – wenn ich mir diesen alten Lumpen als Hohenpriester vorstelle, so lächert es mich gewaltig.« O'Key schwieg, und schweigend machten sich die beiden an die Durchsuchung der Küche.

Aber in der Küche saß Herr Staatsanwalt de Morsier auf einem Schemel und dichtete. Er hatte einen Bleistift zwischen die Zähne geklemmt und starrte mit abwesenden Blicken auf den oberen Teil des Küchenschrankes. Ganz unwillkürlich folgte Pillevuit der Richtung des Blickes, eine ungewöhnliche Geschäftigkeit nahm von ihm Besitz, er packte einen Schemel, schleppte ihn zum Schrank, erwischte etwas Schwarzes, das nur mit einem Zipfel über die Kante ragte, und schwenkte es triumphierend in der Hand.

»Ein Wollshawl«, trompetete er, »ein schwarzer Wollshawl!« Er roch dran, nieste, schüttelte sich: »Riecht nach alter Frau. Kampferspiritus. Da.« Auch O'Key mußte riechen und bestätigte die Meinung des Kommissars.

»Sehr interessant«, sagte eine Stimme hinter ihnen. Der Staatsanwalt hatte die Gefilde der Inspirationen verlassen.

Im Laden puffte es, ein heller Schein blendete in die dämmrige Lücke.

»Wenn ihr fertig seid, kommt dann hier herein!« rief Pillevuit. Photograph und Experte erschienen in der Tür.

»Wir haben nicht viel gefunden«, klagte der Photograph. »Die Abdrücke sind alle verwischt, nur hier«, er hob eine weithalsige Flasche hoch, mit eingeschliffenem Glasstöpsel (»Folla Hyoscyamii« stand darauf), »ist ein deutlicher Abdruck zu sehen: Ein Daumen. Wir müssen dann ins Spital und den Abdruck vom Apotheker haben. Vielleicht handelt es sich um den seinen. Obwohl er einem kleinen Daumen gehört, einem Frauendaumen, möchte ich fast sagen. Nun, Eltester war ja auch von kleiner Statur.« Der Experte nickte, er war mehr schweigsamer Natur und zündete umständlich einen Stumpen an. Er zog ein Blatt aus der Tasche und reichte es Pillevuit. O'Key nahm es ihm sanft aus den Händen. Es schien Pergament zu sein, sehr alt, mit vielen schwarzen Runzeln bedeckt und einer verwischten Schrift. Es sah aus, als sei das Papier mit großer Gewalt zerrissen worden. Die Buchstaben, die noch erkennbar waren, gehörten zu Worten, und O'Key entzifferte:

Nomi…

Recip…

Datu…

Atropa bell…

Mandrag…

Assa foe…

Misce sub sign…

cum oleo amygda…


»Ich verstehe einiges. Offenbar handelt es sich um ein Rezept aus irgendeinem alten Zauberbuch. Aber der Mann, der es geschrieben hat, muß Apotheker gewesen sein. Sie haben übrigens Glück, daß ich mich einmal mit Chemie beschäftigt habe, bevor ich den einträglicheren Beruf eines Reporters ergriffen habe. Das erste Wort ist ja leicht verständlich, die Anrufung irgendeiner Gottheit, ›Im Namen‹, wohl im Namen unseres Freundes mit den Fliegenflügeln, dessen Bekanntschaft wir auf der Münze gemacht haben. Wird Behemoth oder Abraxas oder sonstwie heißen. Dann kommt ›Recipe‹, der Beginn eines Rezeptes. ›Datu…‹ ist auf ›Datura‹ zu ergänzen, das Nächste ist ›Atropa belladonna‹ – ›Tollkirsche‹ aber der alte Herr gibt nicht an, ob es sich um Blätter oder Wurzeln handelt, ist ja gleich; ›Mandragora‹ kennen Sie sicher, die Alraunwurzel, die unter den Galgen wächst und menschliche Gestalt hat. Aber sie enthält ein Tropeïn, genau wie die beiden vorhergehenden Pflanzen. Dann das Feinste vom Ganzen, ›Assa foetida‹ – faules Fleisch – und all diese Ingredienzien sind zu mischen mit Bittermandelöl, und zu mischen sind sie unter irgendeinem astrologischen Zeichen, wahrscheinlich wenn der alte Jupiter in einem besonders wirksamen Hause steht. Übrigens hat der große Arzt Paracelsus – von dem haben Sie doch gehört, Kommissar? – ebenfalls ein derartiges Rezept gegeben. Es ist Hexensalbe, Kommissar, und daß das Rezept dieser Hexensalbe gerade in der puritanischen Stadt Genf sich erhalten hat, ist eine zarte Ironie des Schicksals. Denn ich sage Ihnen vielleicht nichts Neues, wenn ich Sie daran erinnere, daß eine Hexensalbe zugleich ein sehr wirksames Aphrodisiakum war, eine Salbe, welche die Liebe weckte, und wenn ich Liebe sage, so meine ich deren fleischlichste Form.«

»Hören Sie auf, O'Key, haben Sie Mitleid mit mir.« Dem Kommissar standen große Schweißtropfen auf der Stirn. Aber der Staatsanwalt war aufgestanden; die Rollen schienen vertauscht zu sein, denn nun war es Herr de Morsier, der, einem Reporter gleich, mit gezücktem Bleistift und hungrigem Notizbuch, vor O'Key stand und sagte:

»Mein Herr, Ihre Ausführungen sind interessant, besonders die Namen, die Sie nannten, die Namen der Arzneimittel, haben einen wohlklingenden Laut. Darf ich um deren genaue Angabe bitten, ich gedenke, sie in einem Sonnett zu verwerten, das ich Ihnen widmen werde.«

O'Key verbeugte sich geschmeichelt.

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