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Käufliche Liebe und Heiligkeit

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Afra von Augsburg beweist,dass jede Ausbildung (auch die im Freudenhaus)zu einem vorbildlichen Leben führen kann

Zu gewissen Dingen kann man eingestellt sein, wie man will, moralisch wertend, praktisch und kühl abwägend oder einfach nur beobachtend nach dem Motto: Die Dinge, die man nicht ändern kann, die mögen so bleiben, wie sie nun einmal sind.

Wo Ballungsgebiete entstehen, wo der Handel blüht, Soldaten den Stützpunkt zugewiesen bekommen, Handelsleute aus aller Welt sich treffen, … einfach da, wo »das Leben« lebt, da ist – seit die Welt besteht und wohl auch so lange sie noch bestehen wird – jenes Gewerbe gar schnell daheim, das man vielleicht zurecht »das älteste Gewerbe der Welt« nennt.

Noch einmal: wir werten nicht, wir beobachten nur.

Das war in allen Städten der Welt so, in der alten Welt und in der neuen: Der Wilde Westen – wiewohl von frommen, pilgernden und bet-seligen puritanischen Vätern gezeugt – zeigt dieses Phänomen (vielleicht noch ausgeprägter und verlogener als die so genannte alte Welt) in bizarrster Weise – bis heute.

Von Sodam und Gomorrha bis Las Vegas ist es nicht nur ein recht kurzer Weg – eher gar keiner!

Der Mensch! Genau der ist überall derselbe, nur die Qualität der Lügen ist einem alternierenden kulturellen Schliff ausgesetzt. Adam und Eva haben Gott angelogen, heute lügt nahezu jeder Politiker. Bricht das hehre Gebot der Wahrheit ununterbrochen, vor allem, wenn er von »Wahrheiten« redet. Die Lüge scheint ein Schöpfungsgedanke zu sein …

Nun aber zurück nach Augsburg zur Zeit der Römer. Augusta Vindelicum, Hauptstadt der römischen Provinz, erblühte dereinst (weitaus mehr als dies die selbstgefälligen Münchner wahrhaben wollen und wesentlich früher); lukrative Geschäftsmöglichkeiten aller Art (!) taten sich da auf, in den Straßen quoll das Leben über von Fuhrwerken, Betriebsamen, Männern mit Tatendrang und ebenso antriebslosen Tagedieben – vor allem Männer mit Geld waren da.

Das Geld.

Es sucht sich bislang seltsame und eigenwillige Wege, denjenigen wieder zu verlassen, der es hart erarbeitet hat. Und solch ein Gully des Verschwindens erarbeiteter Geldflüsse in seltsame Kanäle der Lust ist – die Lust selber. Die käufliche Liebe.

Nochmals. Wir werten nicht. Auch Jesus – und gerade der in vorbildlicher nicht wertender, sondern verstehend-vergleichend-verzeihender Weise – hat sich freiwillig oder unfreiwillig mit dem delikaten Phänomen auseinandergesetzt. Oder auseinandersetzen müssen. Davon erzählt uns der Evangelist Lukas, wenn er uns (was wird sich der fromme Schreiber dabei gedacht haben?) die Geschichte von der »frommen Sünderin« (herrliche Bezeichnung!) vorsetzt. Diese Kurtisane des neutestamentlichen Geschehens ging einen inzwischen weltberühmten Weg, suchte und fand Jesus im Hause des Pharisäers, benetzte dessen Füße mit Tränen …, sie säuberte die schmutzigen Füße des Weltenerlösers mit ihren Tränen und Haaren. Was für ein Bild, ein biblisches.

Bleiben wir doch in Augsburg (manchmal muss man sich dazu zwingen, bei der Sache zu bleiben, wo doch so schöne Abschweifungen möglich sind).

Einer Sünderin wird hier in römischer Besatzungszeit der Glorienschein der Heiligkeit zuteil, gerade hier. Aber, um zu verstehen, müssen wir schon wieder abschweifen, nicht vom Thema, sondern vom Ort.

Nach Rom geht die Gedankenreise. Bis nach Rom nämlich hatte sich der Ruf Augsburgs – der aufstrebende Ruf von Augusta Vindelicum eben – herumgesprochen. Dort gäbe es etwas zu holen, weil etwas da sei.

Geld. Was sonst.

Fünf Frauen in Rom wurden hellhörig, so heißt es – sehr oberflächlich betrachtet, fünf »Käufliche«: dies aber der edleren und gehobeneren Art, keine Straßendirnen, nein das nicht. Und deren eine war die Afra, eigentlich »die Afrikanerin«.

Im Osten des Mittelmeeres (wollen wir Fragen der Herkunft nicht allzusehr auswalzen) liegt die Insel Zypern, wie Kreta eine Brücke zwischen dem vorderen Orient und der damaligen Welt des Hellenentums und des römischen Abstrahlungsfeldes auf die Welt. Hier regierte ein König, von dem bekannt ist, dass er von den iranischen Parthern geschlagen wurde und in der Versenkung verschwand. Übrig blieb die bildschöne Frau Hilaria (Parallelen zu einer amerikanischen Hillary und deren geschlagenem Manne wären an den Haaren herbei gezogen). Aber die Symbolik der Haare … siehe weiter oben.

Und da ist die noch hübschere und eine Generation jüngere Afra, die blendend schöne Tochter jener Hilaria. Mutter und Tochter wählten das trendige Rom, Zentrum des Weltreiches und Boom-Town der damaligen Zeit, die sowieso die Zeit der »Römer« genannt wird.

In Rom angekommen, erinnerte man sich des aus Zypern mitgebrachten Aphrodite-Kultes und der Sehnsucht nach käuflicher »Liebe« und jeder anderen Art von Ablenkung in der Stadt, die »Brot und Spiele« bot. Mutter Hilaria weihte ihre blutjunge Tochter der Venus. Klingt gut, verschleiert aber gewisse unschöne Hintergründe.

Was lag da näher, als ein kulturell hochstehendes Bordell zu betreiben? Der Laden lief, boomte, Venus blieb der Sache gewogen; bis eben die Kunde vom aufstrebenden Augsburg das Ohr der geschäftigen Geschäftsfrauen erreichte.

Kaum in der Provinz- und Garnisonsstadt angekommen, eröffnete Hilaria zwei Bordelle. Nicht eines, sondern zwei. Zusammen mit ihrer Tochter standen fünf Damen zur Verfügung, denn drei weitere Liebesdienerinnen waren aus Rom mitgereist. Das Geschäft florierte in dem biederen Augsburg, denn erlebnishungrige, aber ausgehungerte Garnisonssoldaten und depperte Provinzler versprachen sich in den »römischen« Bordellen einen Abglanz der überdrehten dekadenten Luststadt am Tiber. »Roma« heißt nicht zufällig umgedreht »Amor«.


Der Geist über den Wassern.Er lässt auch delikate Wege zur Heiligkeit zu.

Nun überschlagen sich die Zufälle oder eben die Fälle von Gottes kluger und umsichtiger Fügung. Kaiser Diokletian verbot das Christentum und wollte eine Rückkehr zu heidnischen Göttern erzwingen. (Anmerkung: Heiden – das sind immer die anderen, aus der Sicht der jeweils herrschenden Religion betrachtet.)

Da suchte der christliche Bischof Narzissus von Gerona einen Unterschlupf in der Not und Bedrängnis der Zeit. Amtsbruder Dionysius hatte ihm das Bordell seiner Schwester Hilaria und Nichte Afra empfohlen … beide waren ja (noch) im Besitz römischer Privilegien und Bürgerrechte. Um es kurz zu machen: Der Einfluss der prominenten Christen blieb nicht ohne Folgen bei den Frauen im Lustspielhaus. Halt, nun nur nichts Falsches denken! Hilaria und Afra wurden bekehrt und ließen sich taufen.

Da standen sie alle auf der richtigen Seite – vor Gott. Was die irdischen Machtverhältnisse anbelangte, gehörten sie nun zur verfolgten Minderheit. Kein guter Stand in der Hoch-Zeit der Christenverfolgung.

Neider, Abgewiesene und Perverse gab es genug: Die Damen wurden denunziert, Afra verhaftet und die nun christliche junge Schönheit stand bald vor dem Tribunal. Das gebärdete sich nicht liebenswürdiger zu seinen Glaubens-Gegnern als einige Jahrhunderte später die christlichen Tribunale sich zeigen sollten. Streng, grausam, verbohrt, sadistisch.

Afra sollte entsagen, öffentlich ihrem Irrglauben, dem christlichen, abschwören. Aber nun hatte sie ihren Kopf. Oder ihren Glauben. Das Werk der frommen Männer in ihrer Mutter gastlichem Hause hatte nachhaltig Tiefenwirkung. Lieber wollte Afra sterben als nochmals sündigen.

Die Gegenseite akzeptierte dies und verurteilte sie und ihr blühend junges Leben zur Verbrennung bei lebendigem Leibe.

Die Legende berichtet, dass ihr Leib nicht vom Feuer angegriffen worden sei. Ein Phänomen, das bis in unsere Tage hinein vielen Wundergeschichten zugrunde liegt. Dennoch war Afra tot, erstickt in dem beißenden Qualm und in der Hitze.

Heimlich holten ihre Anhänger den Leib von der Lechinsel und bestatteten ihn. Noch im achten Jahrhundert, so wird berichtet, befand sich das Grab der frommen Märtyrerin in der damaligen Afra-Kirche.

Dann, im Jahre 1064, erfolgte die Heiligsprechung durch Papst Alexander II.

Im gleichen Jahre 1064 entdeckte man einen Sarkophag in der Kirche, der verkohlte Gebeine enthielt. Daraus schloss man auf die Überreste der Märtyrerin (die Legende von der Unversehrtheit spielte hier keine Rolle).

So steht der spätantike und wuchtige steinerne Sarkophag bis heute in der Krypta der Basilika St. Ulrich.

Afra wird den Kerzenschein der vielen Gläubigen spüren. Und im Jahre 1961/62 ist vom Münchner Profesor Josef Wiedemann ein runder Kuppelbau am heil’gen Ort errichtet worden.

Person:

Afra

Spuren:

Augsburg: Basilika St. Ulrich und Afra

Hingehen! Hochherrlich erhebt sich das mächtige Kirchenschiff der Basilika St. Ulrich und Afra mit dem kühnen hoch aufragenden Zwiebelturm über der Stadtsilhouette von Augsburg. Ein benediktinischer Ort auf altem Krafthügel. Wer je in der Krypta war, die steilen Stufen bei der Altarvierung hinabgeschritten ist und den energetisch hoch geladenen Sarkophag berührt hat, der wird in dem Moment sein Leben neu überdacht haben!

Gedanken:

Auch das Tor der Sünde hat manche spirituellen Querschläger schon zur Heiligkeit geführt. Dies sollte man aber nicht bewusst so anstreben.

Himmlische Lebenshilfe:

Du kannst dein Leben ändern – immer! Wer in der Gruft der heiligen Afra war und das ortsgebundene betörende Grundbrummen gespürt hat, der weiß: Die Zeit, sich auf die eigene Kraft zu besinnen, ist … Jetzt! Wann sonst.

Gedenktag:

7. August

Heilige in Bayern

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