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Einreise

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Der neue Airbus hat durchaus seine Vorteile, vor allem für die Airlines. 500 Passagiere auf einen Schlag sind gut für den Umsatz. Aber wenn dann alle auf einmal aussteigen wollen, ist das wahrlich kein Spaziergang. Wenn ich alleine unterwegs bin, dränge ich mich gerne vor. Aber meine Frau ist geduldig und besteht darauf, dass wir alles gemeinsam machen. Also wartete ich schicksalsergeben, bis wir endlich an der Reihe waren. Und wieder durch den Tunnel in Richtung Licht. Aber für mich wurde es nicht heller sondern dunkler, fast so als ob ich im Schatten stünde, und als ich aufblickte, sah ich in das ausdrucklose, ziemlich missmutige Gesicht eines Mitarbeiters der Homeland Security. Diese Behörde wurde nach dem Anschlag auf das World Trade Center gegründet und hat mittlerweile über 200.000 Mitarbeiter. An jeder Ecke steht einer. Und täglich werden es mehr. Aufgenommen wird aber nur, wer grundsätzlich schlecht gelaunt ist oder alle Nichtamerikaner hasst. Am besten beides.

Mein schlecht gelauntes Prachtexemplar war ungefähr zwei Meter groß und bewaffnet wie Billy the Kid. Und er roch auch ziemlich stark nach vorletztem Jahrhundert. Damals wusch man sich, wenn überhaupt, nur sonntags. Und das Wechseln der Unterhose fiel immer auf ein Schaltjahr. Ein Cowboy war oft 10 Stunden am Tag im Sattel, mit wenigen Unterbrechungen. Es wurde im Freien gegessen, geschlafen und Bedürfnisse verrichtet. Oft kam man wochenlang nicht aus den Kleidern heraus, womit auch hygienische Herausforderungen verbunden waren. Er verlangte also meinen Pass und ich sah keinen Grund, ihm diese Bitte abzuschlagen. Er sah meinen Pass sehr genau an, Blatt für Blatt. Ein eiskalter Typ, ohne Skrupel, jederzeit bereit einen unerwünschten Einreisenden über den Haufen zu schießen. Leider habe ich berufsbedingt sehr viele Stempel drin, was mich primär verdächtig macht. Dann sah er mich an, von oben nach unten, taxierte, nahm Maß und erkannt messerscharf, dass ich nahkampfmäßig keine Gefahr für ihn darstellte. Ich dachte schon, er würde jeden Moment den Gummihandschuh überziehen. Doch dann sagte er etwas zu mir und ich hörte es nur ganz leise, fast wie ein Flüstern, weil seine gewaltigen Kiefer ziemlich weit von meinen Ohren entfernt waren. Dazu muss man wissen, dass ich nicht sehr groß bin. Auch nicht sehr klein. Mittelgroß. Aber eher im unteren Bereich angesiedelt. Ich selbst bezeichne mich gerne als kompakt. Aber die Figur noch immer rechteckig, nicht quadratisch. Ich bin ungefähr so groß wie Silvio Berlusconi ohne Toupet. Und wer würde so einen großen Staatsmann als klein bezeichnen. Billy the Kid sagte also: „Alle Amerikaner und Green-Card-Besitzer nach links, Touristen (es hörte sich an wie Terroristen) nach rechts“. Da standen wir nun wie angewurzelt, während sich die Schlange der Amerikaner zügig nach vorne bewegte, bis ich vom letzten Ami nur mehr die Rücklichter sah. Und je länger die Schlange wurde, desto höher stieg auch mein Blutdruck. Meine Frau kommentiert meinen Unmut in der Regel so (die Reihenfolge variiert): Reg dich nicht auf, wir sind im Urlaub! Stell dich nicht so an! Die machen alle nur ihre Arbeit! Du machst mich total nervös! Du Depp! Nach einer Stunde bogen wir um die Ecke und sahen eine unendlich lange Schlage, die sich s-förmig, wie die Schafe zur Kastration, Richtung Immigration Officer schob. Endlich, nach weiteren zwei Stunden, stand ich dem Officer Auge in Auge gegenüber. Er saß, ich stand. Seit unserer Landung waren bereits drei Stunden vergangen. Meine Frau: „Die machen alle nur ihre Arbeit“. Ich wollte höflich sein und ihn in ein Gespräch verwickeln, aber er reagierte nicht. Entweder war der gute Mann taubstumm oder sein Kollege hatte ihm schon die Sache mit meinen Stempeln durchgefunkt. Mein T-Shirt klebte mittlerweile wie eine zweite Haut an mir. Ich schwitze überhaupt sehr leicht. Wenn ich in der Sauna bin, brauchen sie keinen Aufguss. Es genügt, wenn sie mich in die Nähe des Ofens setzen. Und schon dampft es. Endlich gab mir der Officer mit einer unwirschen Handbewegung zu verstehen, dass ich meine Fingerabdrücke abzugeben hätte. Zuerst die vier Finger auf eine verschmierte Glasplatte halten, danach den Daumen. Anschließend die andere Hand. Jetzt noch ein Foto, aber nicht lächeln. Als ob mir zum Lächeln zumute gewesen wäre. Dann waren wir endlich durch und wir machten uns auf die Suche nach unseren Koffern. Ich ging zur Anzeigentafel und las: Frankfurt Belt 4. Dort angekommen, liefen allerdings Koffer aus Ankara an uns vorbei. Eigentlich logisch, unser Gepäck musste ja vor Stunden entladen worden sein. Bloß, wo befand es sich? Und plötzlich stand ich wieder im Schatten. Direkt vor mir türmte sich ein riesiger Kofferberg auf. Quadratisch, nicht praktisch, gar nicht gut. Ich sagte zu meiner Frau: „Geh du rechts herum, ich links, vielleicht finden wir unsere Koffer“. Wir umkreisten den Berg, keine Spur. Ein cold case, wie der Amerikaner sagt. Meine Frau hatte wie immer eine Lösung parat: „Wahrscheinlich sind unsere Koffer mitten drin.“ „Toll, und wie stellst du dir das jetzt vor?“. „Zieh einfach einen heraus und zwäng dich hinein, dann wirst du schon was finden“. Wenn eine Frau so etwas sagt ist Vorsicht geboten, aber ich sagte nichts, denn wenn es einmal draußen ist…Ich zog ganz vorsichtig, wie ein Bombenentschärfer, einen roten Samsonite heraus und quetschte mich in die Lücke. Es war stockdunkel. Doch zum Glück hatte ich ein Feuerzeug dabei und konnte den Stollen ansatzweise sondieren. Mein Urlaub fing also unter Tage an. Vor mir sah ich eine große Reisetasche. Ganz vorsichtig bugsierte ich diese über mich hinweg und beförderte sie mit einem Fußtritt nach draußen. Geschafft. Ich schwitzte wieder stark und der Schweiß brannte in meinen Augen. Doch da, schemenhaft, wie durch einen Schleier, sah ich meinen Koffer. Ich robbte vorwärts, packte zu und zog ihn in meine Richtung. Doch je näher er kam, desto deutlicher erkannte ich das Namensschild. Das Gepäckstück gehörte einem Abdul Al-Rachmani aus Beirut. Scheiße, wieso hat der Typ den gleichen Koffer wie ich? Jetzt sind auch noch meine Fingerabdrücke drauf, auf einem arabischen Koffer. Wenn der Typ nicht sauber ist, hat mich die Homeland Security am Arsch und mein Urlaub wird in Guantánamo verlängert. Ich musste auf jeden Fall die Fingerabdrücke abwischen, aber wie. Mit der bloßen Hand getraute ich mich nicht, wer weiß, was man da sonst noch alles an Abdrücken hinterlässt. Mit dem Ärmel? Geht auch nicht, ich hatte ein T-Shirt an. Mit langen Ärmeln ist das kein Problem. Den Ärmel vorziehen, Finger einziehen, Pfötchenstellung und wischen. Beim Thema Pfötchen ist allerdings eine gewisse Vorsicht angesagt. Wenn sie freiwillig eines machen, ist alles ok. Wenn jedoch ihr Arzt sagt „geben sie mir ihr Pfötchen“, dann sind sie entweder ein Hund oder leiden sehr wahrscheinlich an tonischen Krämpfen der Unterarm- und Handmuskulatur. Das hat man sehr gerne bei Hyperventilationstetanie. Also was tun? Wenn ich schwitze habe ich die besten Ideen. Ich dachte, was soll‘s, ich leck den Griff einfach ab. Ich habe das Flugzeugessen überlebt, was kann schon passieren. Aber während ich leckte wusste ich bereits, dass ich zwei weitere Fehler begangen hatte. Als Ungläubiger speichelt man keinen muslimischen Koffer ein, das kann böse Folgen haben, und außerdem hatten die Amis jetzt auch noch meine DNA. Ich war in jedem Fall der Loser. Währenddessen hatte meine Frau ihren Koffer gefunden. Sonst verlegt sie alles, diesmal nicht. Jenga ist ein Geschicklichkeitsspiel, bestehend aus 60 hölzernen Bauteilen, aus denen zu Beginn des Spiels ein Turm gestapelt wird. Danach lösen die Mitspieler abwechselnd einen Stein aus dem Turm und legen ihn auf die Spitze. Verlierer ist der, der den Turm zum Einsturz bringt. Der Koffer meiner Frau war der Eckstein rechts unten. Offensichtlich kannte sie das Spiel nicht, denn sie zog ihn heraus. Dann wurde es wieder schwarz um mich.

Uncle Sam. Der Wahnsinn hat einen Namen!

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