Читать книгу Das Licht hinter den Sternen - Fuchstraum - Страница 8
ОглавлениеDas Weltenkleid
Es waren einmal eine Luchsin und ein Fuchs, die saßen auf einer Wiese und sprachen miteinander im Schatten einer alten Eiche. Je mehr sie redeten, desto mehr lösten sie die Fäden, die die Welt zusammenhalten. Behutsam, Faden um Faden öffneten sie einen Türspalt, durch den sie die Ewigkeit anwehte. Pfote in Pfote schnupperten sie neugierig in das Dahintersternenlicht, das alle Dinge erfüllt und selbst in einem Staubkorn Universen erschafft.
Sie blickten voller Staunen auf den Tanz der Sterne und wussten, dass alles um sie herum im tiefsten Grunde gut und richtig war. Und als sie genug vom Duft der Ewigkeit geatmet hatten, legten sie sich nieder – Seit an Seit. Die Luchsin bettete ihren Kopf an die Schulter des Fuchses und der Fuchs legte seine kleine schwarze Nase hinter ihr Ohr, dort, wo sie ganz sie selbst war.
»Ich will dir eine Geschichte vom Sternenlicht erzählen«, sagte er. »Möchtest du sie hören?«
Die Luchsin blickte ihn aus durchdringenden blauen Augen an und seine Seele verstand. Also begann er zu erzählen.
Es war einmal in einer der vielen anderen Welten ein armer Schreiber, der musste bei Gericht den ganzen Tag die Sünden der Menschen in ein großes ledernes Buch schreiben. Das Buch war schwer und dick, schwarz und endlos wie das All und die Sünden waren so viele. Eine war schlimmer als die andere, doch auch die Strafen für sie waren grausam, so grausam, dass sie die Richter selbst zu Sündern machten.
Als die Jahre vergingen, wurde der Schreiber darüber ganz bitter und schließlich sagte er zu sich selbst: »Was ist die Welt doch für ein toter, kalter Ort. Ich gehe mir eigene Welten finden.«
Von diesem Tage an zog er sich tief in sich selbst zurück und mied die Menschen, wo er es nur konnte. Er verkaufte sein Haus und zog in einen alten Turm weit vor der Stadt. Dort setzte er sich in die oberste Kammer, zog die Hänge fest vor das Fenster, entzündete eine einzelne Kerze und begann, in ein neues Buch zu schreiben.
Dieses Buch war klein und leicht und er füllte es Seite um Seite mit besseren Welten. Stolze Götter lebten dort und tapfere Helden, weise Herrscher und unschuldige Kinder, sprechende Tiere und auch die Liebe leuchtete in seinem Reich der Zeilen.
So lebte er tagein, tagaus. Sekunden fraßen sich zu dicken faulen Minuten heran, verpuppten sich zu Stunden, schlüpften als Tage und flogen als Jahre davon in die weite Ferne, wo die vergangene Zeit zu Hause ist.
Der Schreiber schlief und schrieb und schrieb und schlief. Seine Welten waren in ihm und er lebte glücklich in ihrer Mitte. Erstes Grau schlich sich in seinen Bart wie Raureif auf das herbstliche Feld vor seinem Fenster, doch er blickte niemals nach draußen. Für ihn gab es nur seine Innerwelten, und das Licht der flackernden Kerze war seine Sonne.
Eines Nachts lag der Schreiber in seinem Bett und schlief, als der Vorhang vor seinem Fenster durch die nächtliche Brise in Bewegung geriet und zu flattern begann, wie die Schwingen eines samtenen Raben. Durch den flatternden Vorhang fiel ein Lichtschein auf das Haupt des Schlafenden. Der Schein war so hell, dass der Schläfer erwachte und sich verwundert die Augen rieb.
Das alte Stundenglas in der Ecke der Kammer verriet, dass es Nacht war, und plötzlich spürte der Schreiber etwas, das er längst verloren geglaubt hatte: Neugier.
Er stemmte sich in die Höhe und schob den Vorhang beiseite. Sein Blick fiel auf das Feld nah am Waldesrand. Dort gewahrte er die zarte Gestalt einer jungen Frau, die dort allein tanzte. Schön war sie und fremd zugleich – und doch war da etwas seltsam Vertrautes, so als würde er sie von irgendwoher kennen.
Sie bewegte sich zu einer Musik, die nur sie selbst hörte, denn kein Geräusch war zu vernehmen. Anmutig hob und senkte sie die Arme und setzte die Füße mit Bedacht in verschlungene Pfade. Die Hände öffneten und schlossen sich und ihr langes Haar loderte in den Himmel wie güldenes Feuer.
Und wie Feuer strahlte das weckende Licht von ihr aus, denn während sie tanzte, verwob sie das Licht der Sterne und des Mondes zu einem Kleid aus Nachtglanz und strahlendem Schatten, das ihren nackten Leib umfloss. Immer heller und heller leuchtete dieses Kleid, als mehr und mehr Sterne der Tänzerin ihr Licht schenkten wie einen zärtlichen Liebespfand. Schließlich war es so hell, dass der Schreiber die Augen schließen musste. Doch sofort wollte er sie wieder öffnen, denn in ihm brannte ein Erkennen und er musste sie unbedingt wiedersehen, auch wenn er dabei das Augenlicht verlieren würde. Und so öffnete er wieder die Augen.
In helles Sternenlicht und glänzende Schatten gehüllt, stand die Tänzerin still auf dem Feld und zeichnete mit den Fingern Bilder und Formen in die Luft – und wo ihre Finger verweilten, da floss das Licht in die Welt um sie und erfüllte die Dinge mit Leben.
Unter Steinen reckten sich Trolle aus ewigem Schlummer. Zwischen Blumenknospen tanzten Elfen und die Bäume am Waldesrand lächelten sanft und gütig. Tiere umringten sie und sprachen mit ihr, ja sogar die Erde unter ihren Füßen vibrierte, als hole sie tief Atem.
Das Sternenlicht des Kleides und die zarten Hände der Tänzerin weckten die Welt aus ihrem Schlaf und offenbarten so ihr wahres Antlitz. Und dem Schreiber drohte das Herz zu zerspringen, denn diese Welt war so schön – schöner als alles, was er je durch sein inneres Auge erblickt hatte. Die Frau aber spendete nicht nur Sternenlichtleben, sie war mitten unter den Wesen, die sie geweckt hatte, und gemeinsam fingen sie wieder an zu tanzen und sie tanzten so lange, bis die Sterne am Himmel langsam verblassten und mit ihnen auch das Kleid aus Sternenlicht langsam anfing zu vergehen. Mit dem Licht floss auch die Magie aus den Dingen und die Natur fiel wieder in ihren ewigen Schlummer.
Am Ende stand die Tänzerin allein, nackt und wunderschön in der fahlen Dunkelheit und mit den letzten Sternen am Himmel ging auch sie und verschwand im Dickicht des Waldes.
Der Schreiber aber blickte ihr voller Sehnsucht nach. Er stand noch lange am Fenster und ihre Aura flackerte vor seinen Augen. Als auch dieses Licht verblasst war, setzte er sich nieder, nahm sein Buch und schrieb – und diesmal ließ er das Fenster weit geöffnet.
Er schrieb bis in den Morgentau und noch weiter, bis die Sonne schon hoch am Himmel stand. Das, was er schrieb, war nicht mehr nur seinem Inneren entstiegen. Die Spur seiner Feder leuchtete in Sternenlicht und Herzlicht und zum ersten Mal lächelten ihm aus den Seiten echte Seelen zu, denn er schrieb die Welt so, wie sie ihm die Tänzerin gezeigt hatte. Er schrieb, bis die Feder seinen kraftlosen Händen entglitt und er in einen tiefen traumlosen Schlaf fiel.
Am nächsten Tag setzte er sich erneut nieder, um zu schreiben, doch er fühlte sich zum ersten Mal, seit er denken konnte, einsam. Lange erforschte er dieses Gefühl in seinem Inneren, doch der Sog wurde immer stärker. Also verließ er die Turmkammer und stieg die Treppe des Turms herab. Seine Füße hinterließen Spuren in den dicken Staubschichten, die auf den Stufen lagen.
Er ließ den Turm hinter sich wie ein Verdurstender auf der Suche nach Wasser und seine Füße trugen ihn wie von selbst zum Waldrand hin. Dort herrschte tiefer Schatten und ein wenig graute ihm vor dieser Dunkelheit. Doch da war eine Wärme in ihm und er fand Mut darin. Beherzt trat er zwischen die Baumriesen hin und strebte tiefer in den Wald.
Im zwielichtigen Dickicht konnte er kaum die Hand vor Augen sehen, aber er tastete sich weiter und auf einmal war es ihm, als leiteten ihn die Zweige der Bäume sanft auf den richtigen Pfad. Selbst die leichte Brise, die zwischen den Bäumen wehte, schien ihn anzutreiben und irgendwann erreichte er eine kleine Hütte.
Leise klopfte er an die Tür und laut klopfte sein Herz. Doch niemand antwortete ihm. Er klopfte erneut, doch wieder fand er kein Gehör. Als ihm auch Minuten später niemand auftat, griff er nach der Klinke und drückte sie herab. Die Tür war nicht verschlossen und er trat ins Innere der Hütte. Und dort auf einem Lager aus Moos und Stroh lag die Sternenfrau unter einem dünnen Laken – und sie war noch schöner, als er es für möglich gehalten hatte.
Ihr Gesicht aber war seltsam blass und unter ihren Augen lagen dunkle Ringe wie nächtliche Bergseen. Er nahm ihre Hand und küsste sanft ihre Stirn. Mit flatternden Lidern öffnete sie die Augen und sprach ihn an. Ihre Stimme war warm und weich wie eine Umarmung. Aber sie war auch leise und brüchig wie die einer alte Frau.
»Ich bin so müde«, sagte sie.
»Was ist mit dir?«, fragte der Schreiber.
»Ich weiß es nicht«, antwortete die Sternenfrau.
»Die Müdigkeit ist schon so lange in mir. Ich kann nicht essen und nicht trinken. Doch ich kann auch nicht schlafen. Nur manchmal des Nachts verliere ich das Bewusstsein, aber wenn ich erwache, bin ich noch matter als zuvor. Ich kenne nur das Dahindämmern und den Hunger.«
Noch ehe der Schreiber wusste, was er tat, hatte er sie umarmt und er hielt sie für eine Ewigkeit so fest, er irgend konnte – und die Welt hielt den Atem an.
»Du bist so müde, weil du des Nachts im Sternenlicht tanzt und dich hineinwebst«, sagte er. »Du webst ein Kleid aus Sternenlicht und du malst Bilder mit diesem Licht, die die Welt aufwecken. Doch die Fäden, mit denen du das Licht verknüpfst, sind die deinen. Du webst mit deiner Seele und deinem ganzen Sein. Darum bist du so müde, damit die Welt wach sein kann.«
Er sah Verstehen in ihren müden Augen und bemerkte, dass sie auf einmal wacher waren. Da wusste er, was zu tun war: Er nahm ihr Gesicht zärtlich in beide Hände und küsste behutsam ihre Lippen und sie schmeckten süß und vertraut zugleich. Dann nahm er sein Buch aus der Tasche, setzte sich neben sie auf das Lager und begann zu schreiben.
Als die Frau sah, was er da schrieb, wurde ihr Blick immer klarer. Doch die Hand des Schreibers war ihm jetzt nicht mehr schnell genug. Deshalb legte er die Feder nieder, schloss das Buch und begann stattdessen zu erzählen. Und als seine Stimme die ganze Hütte erfüllte, brach das Sternenlicht am helllichten Tage aus seinen Worten hervor und die Sterne standen am blauen Himmel und blinkten im Rhythmus seiner Stimme.
Es waren ihre Sterne und ihr Licht, aber in seinen Worten erblickte sie sich zum ersten Mal selbst und der Schleier fiel endgültig von ihren Augen, ihre Glieder reckten sich dem Himmel entgegen und sie wob das Licht der Sterne und seiner Worte zu einem Kleid – aber es war kein Nachtkleid mehr. Es war ein Sonnenkleid – ein Weltenkleid und es leuchtete heller als zuvor, heller und immer heller, bis es alles Seiende durchstrahlte und die Welt für immer aus ihrem Schlaf erwachte.
»Das war eine schöne Geschichte«, sagte die Luchsin und schmiegte sich noch enger an den Fuchs. »Welch Segen für diese Welt, dass sich diese zwei dort gefunden haben.«
Der Fuchs lächelte sein breites Fuchslächeln und zupfte liebevoll einen Sternenfunken aus ihrem Fell. Dann legte er seine kleine schwarze Nase wieder hinter ihr Ohr, wo sie ganz sie selbst war, atmete ihren süßen Duft und flüsterte:
»Ich werde dich überall finden.«