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II

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Ein tiefgelegenes Netz von Schächten, Kanälen und Gängen verband einstmals die großen Residenzen der Vampire. Dann waren viele der Stollen eingestürzt, andere wurden gesperrt. Es hieß, die Andachtburg, die Residenz Draculas, sei vorsätzlich isoliert worden, um Angriffen von Seiten der Menschen vorzubeugen.

In Wirklichkeit war die Burg nur kurze Zeit ohne unterirdische Verbindung geblieben. Nachdem sie aus Gründen der Verteidigung genötigt gewesen waren, die alten Schächte zum Einsturz zu bringen, hatten die Vampire bald ein neues unterirdisches Netz ausgehoben, das auf der einen Seite kilometerweit unter den Karpaten dahinlief, bis zu den Durchgängen unter dem östlichen Mitteleuropa, die passierbar geblieben waren; auf der anderen Seite führte es zum Schwarzen Meer und unter ihm hindurch bis zu seiner asiatischen Küste.

Den beiden Gesandten wurde von der Kanzlei der Vollversammlung ein Bleirohr ausgehändigt, welches das Pergament mit dem Beglaubigungsschreiben für Unseren Herrn enthielt. Dann, nachdem sie eine große quadratische Falltüre angehoben hatten, ließen sie sich in einen der zahlreichen unterirdischen Stollen hinab, die den Turm der Gattelusi mit dem Rest der Welt verbanden.

Es war ein Gang von beachtlicher Breite, in dem die beiden Vampire rasch ausschreiten konnten. Ein sanftes Licht fiel durch große, oben in das Gewölbe eingelassene Quarzblöcke, weshalb man an die Wände gelehnte zerbrochene Marmortafeln, Architrave und Säulen erkennen konnte. In regelmäßigen Abständen waren alte Reliefs in die Wände eingelassen; die beiden Abgesandten erkannten darauf Szenen aus dem Leben Brufolagas, des großen Fürsten der Vampire, beim Gastgelage oder eine Darstellung seiner Beisetzung.

Der Marquis de Pombal kannte diesen Weg schon. »Auch Menschen sind hier durchgekommen«, sagte er zum Herzog von Avila. »Als sie Samothrake besetzten, entdeckten sie den runden Palast Brufolagas, hausten in seinen Sälen, aber schließlich packte sie die Neugier, sodann unwissende Verehrung angesichts der Figuren, die reglos von den Wänden auf sie herabblickten. Sie meinten, es wären Götter (wofür sonst sollten sie denn auch einen Vampir wie Brufolaga halten?), und sie weihten den Palast zum Tempel. Auch diesen unterirdischen Gang hier benutzten sie als Heiligtum; sie kleideten ihn mit Marmor aus, und wir mussten dann mühsam dieses Pflaster aufreißen, um wieder an die gute Erde heranzukommen, auf der sich gehen lässt!«

In dem unterirdischen Gang wurde das Licht matter und nahm eine grünliche Färbung an, ein Zeichen dafür, dass sie nunmehr unter dem Meer waren. Die feuchte braune Erde unter den Füßen der Vampire war eine unerschöpfliche Kraftquelle; die beiden Gesandten gingen, ohne zu laufen, doch so schnell, dass sie schon nach wenigen Stunden unter der thrakischen Ebene angelangt waren. Der Stollen bog hier nach Norden. Plötzlich wurde er enger. Avila war überrascht, aber der Marquis de Pombal erklärte ihm: »Da sind wir. Bald haben wir die Gänge erreicht, die zur Andachtburg führen.«

Die Marmorbögen eines hohen Portals tauchten vor ihnen auf. Die Erde, über die sie dahingingen, schien dunkler, und eine schwere Atmosphäre, feucht und vom Duft nach Moschus und Amber getränkt, umfing sie. Über eine längere Strecke war die Dunkelheit beinahe vollkommen. Die Gesandten hielten sich an den Händen und tasteten sich an den Wänden entlang. Dann waren in das Deckengewölbe wieder Quarzblöcke eingelassen: Ein frisches, morgendliches Licht fiel durch sie herab und überraschte die Vampire, wussten sie doch, dass es noch Nacht war. Und der hohe, gestirnte Himmel empfing sie, als sie nach einem letzten Aufstieg durch einen Brunnenschacht schließlich in den Hof der Andachtburg hinaustraten, der im weißen Mondlicht dalag.

»Wir müssen dringend den Grafen sprechen«, sagte der Marquis de Pombal zu dem greisen Pförtner, der verschlafen aus dem Säulengang aufgetaucht war.

Aber der entgegnete sogleich: »Das geht nicht, Exzellenz. Sie sollten das wissen. Seine Herrlichkeit schläft seit mehr als drei Stunden. Sie wollen doch nicht etwa in sein Zimmer hinuntersteigen?«

»Ich muss ihn sprechen!«

»Aber das ist unmöglich, Exzellenz! Ich habe strengste Anweisungen. Es geht nicht.«

Da gab der Marquis de Pombal seinem Begleiter ein Zeichen. Der Herzog schlug eine Mappe aus glänzendem Maroquinleder auf, zog ein vierfach zusammengelegtes Blatt Pergament daraus hervor und entfaltete es unter den Augen des Pförtners. Es dauerte eine Weile, bis der einfache Vampir mühsam den Inhalt des Blattes entziffert hatte, der in der kunstvollen Kalligraphie der alten Vampirschule abgefasst war. In diesem Dokument befahl der Oberste Rat des Vampirischen Horizonts jedem Vampir, sämtliche Anordnungen seines Überbringers unverzüglich zu befolgen, bei Zuwiderhandeln drohte der Ausschluss aus der Gemeinschaft der Vampire und die Amputation von Flügeln und Zähnen.

Von ehrfürchtigem Schrecken erfüllt, fügte sich der Pförtner. »Folgen Sie mir«, sagte er, »wollen wir hoffen, dass Seine Herrlichkeit nicht ungehalten wird.«

Sooft der Marquis de Pombal auch schon in der Andachtburg gewesen war – in deren Kellergewölbe hinabzusteigen, zum Schlafgemach Draculas, war für ihn jedes Mal wieder ein Moment der Freude, aber auch der Beklemmung. Hinabzusteigen zu Ihm, der dort unten im Schlummer lag, bedeutete selbst für einen alten Vampir, sich unter Furcht und Zittern verborgenen Abgründen zu nähern, der unvordenklichen Wiege der Zeit. Aufrichtig gerührt, als wäre es das erste Mal, sah er die hohe Eichentür sich auftun. Ein riesiger Saal tauchte in das Karpatengestein hinab, hinunter und immer noch weiter hinunter, bis zur lebendigen Erde unter dem Gestein.

In tiefem Schweigen stiegen die beiden Gesandten Stufe um Stufe die Treppe hinab, die endlos schien. Schließlich gelangten sie auf einen ungewöhnlich großen Absatz, beinahe schon einen kleinen gepflasterten Platz. Eine graue Mauer erhob sich vor ihnen und in ihr eine mächtige Tür aus behauenem Eisen. Der Pförtner öffnete ihre Flügel, dann trat er beiseite.

Seine Herrlichkeit Graf Dracula lag ausgestreckt auf einem riesigen Bett, das war ein Turmbau aus leuchtendem Zypressen- und Eschenholz, der nur durch sein enormes Gewicht inmitten eines wogenden Chaos von aufgewühlter Erde im Gleichgewicht gehalten wurde. Graf Dracula lag in tiefstem Schlummer, und sein Gesicht war friedlich; aber unausgesetzt, in immer wiederkehrenden Wellen, liefen Schauder über seine Stirn und seine Wangen. Und der Atem, der die Brust hob und senkte, konnte erscheinen wie ein von seinen Gliedern zusammengehaltener Aufruhr, eine ächzende, fest im Gefäß seines Leibes verschlossene Flut. Ringsum ragten aus der aufgewühlten Erde riesige vertrocknete Baumstämme und knorrige Wurzeln empor, braun und verdorrt oder grün, von Lymphsaft geschwollen, wie Lianen, die den ganzen Raum bis zur Decke hinauf einnahmen, als befände man sich im Erdreich unter einem tausendjährigen Urwald.

Und wieder das zarte, frühmorgendliche Licht, die Frische der Morgendämmerung. Die Gesandten standen schweigend nur wenige Schritte von der Schwelle entfernt, da bemerkten sie, dass dieses Licht, dieser morgendliche Hauch den pflanzlichen Stalagmiten entströmte, und zwar im Rhythmus von Draculas Atem. Der Leib des Grafen, urzeitliches Protozoon, ein bloßer Klumpen Leben, dehnte und kontrahierte sich in seinem Schlaf; und die Schauder, die über seine Epidermis liefen, schienen sie durchsichtig zu machen, wie um in dem Schlafenden die ununterbrochene Folge von Generationen sichtbar werden zu lassen. Tausend Leben schliefen, tausend Leben währten und vergingen, tausend Leben wurden unablässig geboren in Draculas Schlaf. Wirre, aufgewühlte Erde umgab das große Bett, häufte sich um die Pfeiler; Erdklumpen hätten im Schnurrbart und im Haar des Grafen hängen können, aber Schnurrbart und Haar schimmerten in makelloser Weiße. Die rechte Hand Draculas ruhte auf der Brust; die linke stützte den Kopf.

In höchster Angst legte der Marquis de Pombal eine Rabenfeder zwischen die Finger des Schlafenden. Da erhob sich die Rechte – der Schlaf wurde nicht unterbrochen –, glitt sicher auf das Pergament hinab und zog das hochverehrte Zeichen. Nach dreimaliger Verbeugung nahmen die Gesandten Abschied.

Ausgestattet mit dem Beglaubigungsschreiben Draculas flogen die beiden Gesandten senkrecht gen Himmel. Je höher sie kamen, desto schwächer wurde das Licht, bis sie sich in völligem Dunkel befanden. Aber auch in der Dunkelheit steuerten sie, seit Jahrtausenden daran gewöhnt, ohne Licht zu sehen, zielsicher einen Punkt direkt über ihnen im Himmel an, der noch schwärzer war als die Finsternis und dem sie sich mit jedem Flügelschlag näherten.

Als tiefste Nacht sie umfing, erhob sich vor ihnen ein hoher, steinerner Grenzwall; sie hielten an. Da erstrahlte großes Licht, und in seiner blendenden Helle tauchten zwei Greife auf, die zuvor in der Dunkelheit verborgen gewesen waren. Der Marquis de Pombal wandte sich an den rechten Greif: »Zu Thomas, genannt Didymos, führt uns eine offene Hand.«

»Die Toten werden nicht leben«, entgegnete der Greif, ohne den starren Blick zu erheben, »und die Lebenden nicht sterben. Wollen Sie die Güte haben zu warten.«

Langgezogene Töne wie von einer Harfe, die aber von klingenden Perlen herrührten, kündigten das Erscheinen des heiligen Apostels an, der gemessenen Schrittes näherkam. »Was wünschen diese teuren Söhne?«

Der Marquis de Pombal und der Herzog von Avila verneigten sich dreimal tief. Sodann wagte der edle portugiesische Vampir, ihr Anliegen vorzutragen. »Eure hochverehrte Eminenz, wir bitten um eine Audienz bei Unserem Herrn.«

»So einfach ist das aber nicht!« erwiderte der heilige Thomas. »Woher kommt ihr? Wer seid ihr?«

»Wir sind Gesandte der irdischen Gemeinschaft der Vampire. Uns schickt Graf Dracula.« Bei diesen Worten zog er das Beglaubigungsschreiben mit der Unterschrift des Grafen aus dem Bleirohr und entrollte es, nicht ohne es rasch an Stirn, Mund und Herz geführt zu haben.

»Seine Herrlichkeit Graf Dracula?« fragte der heilige Thomas und studierte das Pergament. »Wenn das so ist, dann wohlan! Unser Herr wird euch empfangen.« Und er ging ihnen voraus auf den von Buchsbaum gesäumten Wegen des Paradieses, der Schein des Mondes lag auf ihnen, der in den Tiefen des Himmels stand.

Nachdem sie eine geraume Weile auf diesen lieblichen Wegen dahingegangen waren, gelangten die Vampire vor einen purpurnen Vorhang. Er wurde von unsichtbaren Händen beiseitegezogen, und ein weiterer, ebensolcher Vorhang kam zum Vorschein. Davor standen zwei Scharen Cherubim, wie zwei feste Mauern aus Stein. Der heilige Thomas wies die beiden Vampire mit einer Handbewegung auf eine Porphyrplatte hin, die in den Boden eingelassen war; auf ihr, die blutrot schimmerte, fielen sie auf die Knie. Da verkündete der Apostel laut: »Audienz der Botschafter der irdischen Vampire, gesandt vom Grafen Dracula!«

Geräuschlos öffnete sich der purpurne Vorhang in der Mitte, und der Thron Unseres Herrn wurde sichtbar, umstanden von Erzengeln.

Unser Herr hatte gerade die Fünfzig überschritten, aber der lange graue Bart ließ ihn älter erscheinen. Seine Augen waren nicht besonders weit geöffnet und ihrem Ausdruck nach schienen sie offenzustehen, um gelassen alles in sich aufzunehmen, was bis zu ihnen drang. Seine Stirn verschwand unter dem goldenen Kronreif ohne Edelsteine. In den perlengeschmückten Händen hielt er den Weltenapfel und das Zepter, ebenfalls aus purem Gold.

Durch den Mund Thomas’ (da es natürlich verboten war, sich ohne Vermittlung eines Fürsprechers an Unseren Herrn zu wenden) informierten die Gesandten Ihn über das, was den irdischen Vampiren widerfahren war, auch wenn Ihm in seiner Allwissenheit das längst bekannt war. Die Worte des Apostels fielen in tiefe Stille. Da konnte der Marquis de Pombal nicht länger an sich halten. Endlich, zum ersten Mal in seinem Leben, stand der betagte Vampir vor dem Angesicht des Herrn, und ihm, der schon seit Jahrtausenden für die Ehre Gottes focht, immer unter wechselnden Namen und immer auf der Flucht, ihm ging nun das Herz über. Er trat einen Schritt über die Porphyrplatte hinaus – vergeblich versuchte Thomas ihn mit herrischer Geste zurückzuhalten –, beugte noch einmal das Knie und wandte sich tatsächlich an Unseren Herrn:

»Oh Herr, Herrscher der Welten! Quianam regnatur vampyros ursisti? Seitdem du uns erschaffen hast, uns, deine Schuldner, haben wir für dich gestritten. Samaèl in seiner maßlosen Bosheit erinnert sich sehr wohl der Wunden und Schmähungen, die er durch uns erlitten hat. Indem du uns erschufst, hast du uns erlaubt, vom Strom des Blutes zu trinken und öden Kerkern zu entfliehen. Wir aber haben stets für dich gestritten. Entsinne dich, oh Herr, wie unser großer Bruder Carbeas unter den Mauern von Samosata in deinem Namen siegte, wie unser heroischer Chrysocheir für dich Melitene und Tefrik verteidigte! Du hast uns beigestanden, das ist wohl wahr; wir aber haben unseren Auftrag stets erfüllt. Und entsinne dich auch, oh Herr, des Geschicks unserer Brüder, die wie niemand sonst beanspruchen dürfen, Verteidiger dieser Erde zu heißen: der guten und heiligen Erde, aus der wir dank deiner Gnade unsere Kraft schöpfen. Entsinne dich, wie die Schlächter in ihrer anmaßenden Bosheit die Erde, die wir verteidigten, die schwarze Erde, mit einem kurzen Küstenstreifen vertauschen wollten, für den sie dann frevlerisch das Wort ›Heiliges Land‹ verwendeten. Und entsinne dich, wie unsere Brüder endeten, als bekannt wurde, dass die von ihnen verteidigte Erde nicht bloß irgendein elendes Lehnsgut ist, sondern die ganze Erde, diese wunderbare, blutgetränkte Scholle aus Verwesung und Geburt. Entsinne dich der Deportationen, der Foltern und Scheiterhaufen. Entsinne dich unserer Opfer, oh Herr, und lass uns Gerechtigkeit widerfahren!« Kaum hatte er geendet, schloss sich der purpurne Vorhang. Die Audienz war beendet. Die Gesandten würden die Antwort durch den Mund des heiligen Thomas erfahren.

Während sie langsam auf den Wegen des Paradieses zurückschritten, eröffnete Thomas ihnen die Antwort: »Die Menschen, meine Söhne, haben nicht mehr lange zu leben. Hättet ihr nicht eingegriffen, so war vorherbestimmt, dass die Erde in höchstens zwei, drei Jahren zerstört sein würde: daher das Zeichen am Himmel. Aus Liebe zu euch aber hat Unser Herr beschlossen, das Ende noch aufzuschieben. Vorerst wird die Herrschaft über die Welt euch übertragen, und ihr werdet sie, das ist klar, mit Macht und Gerechtigkeit ausüben. Was den Sieg über die Menschen angeht, so fürchtet euch nicht. Ihr Schicksal ist besiegelt. Ruft eure Brüder zu den Waffen, zieht gegen die Städte. Die Menschen, so zahlreich sie auch sein mögen, werden nicht die Kraft haben, sich euch zu widersetzen. Aus diesen allerhöchsten Sphären kommt schon eine verzweifelte Schwäche über sie. Gehet hin in Zuversicht, meine Söhne. Ein paar Jahre lang soll die Erde noch einmal euch gehören.« Und mit diesen höflichen Worten entließ der heilige Thomas die Gesandten.

*

Große Ellipsen waren auf die Häuserwände gemalt, darin eingezeichnet die Figuren von Skorpionen, kämpfenden Delphinen, oder Zwillinge in inniger Umarmung; oder Raubtiere mit aufgestelltem Schweif und auf die Hinterpranken erhoben, wie um unsichtbare Gegner zu bedrohen. An den Fassaden standen die Symbole der Sternbilder, und in schwankenden Spiegelungen des Äthers warfen die höchsten Himmel das Bild der niederen Sphären zurück, wo nächtlich dunkle Linien von einem Schornstein zum anderen liefen und sich über den Dächern langsam violette Rhomben bildeten, die den ganzen Luftraum der Menschen in einem farbigen Netz zusammenzogen.

Zwillinge und Raubtiere standen nah bei der Sonne und beim Mond, nah bei der Kehre der Sterne, die einander auf den Karawanenstraßen des Himmels über ihren Köpfen in regelmäßiger Folge ablösten, mit milchigem, grünlichem oder gelbem Lichthof, oder wie Mars mit rotem: Sphären in wirbelnder Bewegung, dort oben über den Bergen und über den Zirruswolken.

Über den Wolken kreisten die Sterne in einer unermesslichen Leere, die sie nicht anders zu füllen vermochten als mit ihren Emanationen und Strahlen – Buchstaben und Zahlen in das Zerfallen der Elemente zeichnend. Fernab von den höchsten Regionen zogen sie dahin mit Schatten, die aus sich allein die ewige Finsternis webten. Lichtlos kreisten dort unter Ächzen und Schreien glühende Sphären. Erkaltet und still geworden, sahen sie aus funkelnden Augen hinauf in die veränderliche, bleierne Kuppelsphäre über ihnen, die ihnen die Sicht auf den Horizont freiließ. Ab und zu tauchte ein Hohnlachen aus den Massen des Äthers, und von Zeit zu Zeit erwachten, je nach Ausdruck der Augen, unbestimmte Erinnerungen in ihnen: sonderbare Ähnlichkeiten, weshalb die Falten in den schlaffen Wangen des Alten identisch wurden mit der glatten Blässe der Epheben oder mit der geröteten Muskulatur der Dämonen. Und man wollte leugnen, gelacht zu haben, unversehens aus verborgenen Erdspalten ein Zischen hervorgelockt zu haben, das nun pfeifend aus gemauerten Kaminen fuhr, aus den vier Steinen rund um die Feuerstätte, wo rauchende Flammen loderten.

Vereinzelte Stimmen skandierten in geordneter Folge die Nachrichten vom Schicksal einiger Planeten. Dann trat fast vollkommene Stille ein; nur ein Raunen drang aus sonst stummen Zonen. Und eine Stimme sagte ruhig: »Ich habe Venus mit Saturn vereint.«

Da brach der Tumult los. Die wenigen verständlichen Stimmen aber sagten: »Es ist keine Konjunktion. Nur Venus und Jupiter treten zusammen. Saturn zieht weiter auf seiner Bahn.«

Und ein neues Licht brach aus den Zirruswolken hervor. Die Sterne taten einen Ruck in der Hemisphäre, und der Mond sank schnell bis auf die Erdoberfläche hinab und badete in den lauen Seen sein Eis; die Wipfel der Bäume wurden weiß, während die Wasser des Meeres zu Kristallen erstarrten, umsäuselt von dem Wind, den die Sterne in ihrem Dahinfliehen entfachten.

Von oben fiel eine Flut blauer Blumen herab, die aussahen wie Enzian, es aber nicht waren, denn der Enzian ist eine Heilpflanze, diese hingegen kamen von Uranus, es waren Liebesblumen.

Als die Verbrennung ihren Anfang nahm, begann das Wasser sich zu schnell zu verflüchtigen, sodass die Substanz des Aromabands zwischen den beiden vereinigten Planeten zu überfetten drohte. Zusammen mit viel eiskaltem Wasser wurden Splitter von Nephrit und Olivenholz ausgestreut, die einen Teil der Ölschicht verbrennen sollten. Auf der Oberfläche der Venus zeigten sich weiße Emailrosetten und verschiedene Goldkapseln, während aus Quellen von Feuer und Wasser Dampf strömte. Je höher der Dampf aufstieg, desto trockener wurde er.

Der Prozentanteil Fett im Aromaband begann zu sinken. Nun floss das Wasser zu langsam ab. Die Silberpatina, die sich auf dem Band gebildet hatte, wurde abgenommen, und es wurde in Bergkristall gehüllt. Durch den Zusatz von fleischigen Agavenblättern und Myrte, rotem Satin und orientalischen Perlen wurde schließlich der erwünschte Zustand erreicht.

Die letzte Nacht

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