Читать книгу Das Mädchen aus den Dünen: Schicksale im Haus an der Ecke #32 - G. S. Friebel - Страница 6

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Kann man eigentlich weiterleben, wenn man keine Wünsche und Hoffnungen mehr hat? Wenn nur noch ein grenzenloser und wilder Schmerz im Herzen brennt? Kommt da nicht der Augenblick, in dem man glaubt, das Leben sei sinnlos?

Die Frau war relativ jung und schön dazu, und doch saß sie hier auf diesem Stein in den Dünen, versteckt hinter Gras und Büschen, und starrte auf die Weite des Meeres. Sie fühlte sich von ihr angezogen. Hier kam ihr Herz zur Ruhe. Sie konnte langsam wieder vernünftig denken. Doch das war nicht gut, denn man durchlebte erneut all die dunklen Stunden, und der Schmerz brach von neuem aus.

Salzig waren die Tränen, die langsam aus ihren Augen zu rinnen begannen. Sie spürte sie anfangs nicht. Erst als sie ihre Bluse durchnässten, wischte sie die Tränen mit dem Handrücken fort.

»Ich will nicht mehr!«, rief sie aus.

Wie oft hatte sie in den letzten Tagen diesen Satz ausgerufen?

Angelika Börner wusste, sie konnte nicht ewig hier sitzenbleiben und auf das Meer starren. Sie war alt genug, um zu begreifen, dass sie ihr Leben selbst verändern musste. Es würde sich nichts von selbst ändern. Das Glück würde ihr nicht nachgelaufen kommen. Sie hatte im Augenblick weder den Mut noch die Hoffnung, je wieder etwas dafür tun zu können.

Kraftlos hingen die Arme an ihrem Körper herab.

Ihre Lippen zitterten.

Wenn es am Meer zu dämmern beginnt, wird es merklich kühler.

In ihrem luftigen Strandkleid bekam sie schnell eine Gänsehaut. Langsam erhob sich Angelika und dachte, ich kann es ja immer noch tun. Es läuft mir nicht davon. Das Meer wird auch noch morgen hier sein und mich trösten.

Der Strand war wie leergefegt. Vor Stunden hatten hier noch Kinder im Sand gespielt. Lachen und Leben erfüllte die heiße Luft. Angelika hatte die Fröhlichkeit nicht ertragen können, deswegen war sie so weit rausgelaufen und hatte sich in den Dünen versteckt.

Ihre Füße schmerzten, als sie jetzt heimging. Ihr Hotel lag am anderen Ende des Strandes. Angelika trug nur Sandalen, und es war jetzt schon sehr kühl geworden.

Ein nimmermüder Jogger holte sie ein, er fragte sie: »Darf ich Sie begleiten?«

Er lief neben ihr auf der Stelle und blickte sie lachend an.

Angelika Börner schüttelte den Kopf.

»Nein danke! Ich finde meinen Weg auch alleine!«

»Kein Zweifel, das nehme ich Ihnen sofort ab! Ich dachte nur, dass Sie doch frieren müssen. Es wäre viel besser, wenn Sie mitlaufen würden! Außerdem geht es schneller.«

»Danke«, sagte Angelika brüsk.

Der Mann zuckte die Schultern.

»Entschuldigen Sie die Störung«, brummte er und lief weiter.

Angelika dachte, ich kann ihm schlecht begreiflich machen, dass ich im Augenblick alle Männer hasse. Soll er denken, was er will. Wenig später rannte sie alleine los. Es war inzwischen schneidend kalt geworden.

Kurz vor dem Hotel blieb sie stehen, bis ihr Herz wieder ruhig schlug. Dann betrat sie die weitläufige Hotelhalle. Der Jogger stand an einer Säule und grinste sie an.

»Wetten, dass Sie doch gerannt sind?«, fragte er.

Angelika gab keine Antwort und ließ sich ihren Zimmerschlüssel geben. Er fuhr mit ihr im Lift in den sechsten Stock.

»Ich verfolge Sie nicht, wenn Sie das fürchten. Ich wohne auch im sechsten Stock.«

Angelika gab ihm keine Antwort.

»Ich bin erst gestern angekommen«, fuhr der Jogger fort.

Ihre Zimmer lagen nebeneinander. Angelika drehte sich nicht mehr um. Sie betrat sofort ihr Zimmer und war froh, seine Stimme nicht mehr hören zu müssen.

Sie warf sich auf ihr Bett. Wenn sie etwas nicht wollte, dann war es in der Öffentlichkeit weinen. Sie musste endlich weinen, bis auch wirklich keine Träne mehr in ihrem Innern war, dann war jegliche Gefahr gebannt. Dann konnte sie es ruhig riskieren, sich mit solchen unmöglichen Kerlen, wie diesem Typ von nebenan zu befassen, um ihm die Meinung zu geigen. Wie hasste sie es, derart angemacht zu werden. Warum durften die Frauen das nicht tun? Dann würden die Männer mal am eigenen Leibe spüren, wie es war, wenn man so angequatscht wurde, obwohl man seine Ruhe haben wollte. Konnten die sich auf diesem Planeten nicht zivilisiert verhalten? Wieso war jedes Mädchen, wenn es ohne Begleitung war, Freiwild?

Sie ballte die Hände.

»Ich werde nicht mehr kämpfen«, murmelte sie müde. »Wozu denn auch? Ich habe nun fünf Jahre gekämpft. Fünf lange Jahre, jetzt ist Schluss! Ich kann nicht mehr! Ich habe auch ein Recht auf Ruhe. Wenn er mir krumm kommt, dann werde ich mich zu wehren wissen!«

Angelika war unter der Dusche und war wütend. Wenig später besah sie sich im Spiegel. Sie war schön. Natürlich wusste sie, dass sie Aufsehen erregte. Wo sie auch hinkam, drehten alle Männer sich nach ihr um. Manche pfiffen, andere blickten sie nur einfach an. Es war ja nicht nur ihr schöner, schlanker Körper, sondern auch ihr Gesicht, das ihnen gefiel. Es hatte einen so lieben und zarten Ausdruck. Die großen sprechenden Augen, das dunkle Haar. Sie hatte so etwas Zärtliches an sich. Es war einfach schön, sie zu betrachten.

Angelika dachte, reine Verschwendung. Ich kann doch nichts mehr damit anfangen. Ich bin einfach blöd und dumm. Das ist mein Schicksal. Ich bin dumm. Wenn ich das nicht wäre, hätte ich jetzt nicht diese Qualen.

Ihr war es egal, was sie trug, irgendein Kleid. Egal, was sie auch anzog, es stand ihr einfach gut. Die Klamotten brauchten nicht teuer zu sein. Sie wirkte im billigsten Fähnchen einfach hinreißend.

Als sie ihr Zimmer verließ, vergewisserte sie sich, dass dieser aufdringliche Kerl nicht zu sehen war. Der Flur war leer. Also schaffte sie es, in den Lift zu kommen, ohne angesprochen zu werden. Nichts war schrecklicher, als eine Klette an sich zu haben, wenn man allein sein wollte. Angelika konnte so schlecht jemandem weh tun. Sie verspürte dann selbst einen Schmerz im Herzen. Darum hatte sie ja auch so viele Probleme.

Bald befand sie sich im Speiseraum. Er war sehr elegant eingerichtet. Sie freute sich immer wieder, wenn sie diese Harmonie genießen durfte. Angelika Börner hatte lange sparen müssen, um sich diesen Luxus leisten zu können. Sie sagte sich aber, lieber nur alle drei Jahre Urlaub machen, dafür aber exclusiv. Sie saß in einer Fensternische, also konnte sie damit rechnen, nicht gestört zu werden. Sie wurde anfangs auch nicht gestört. War es Zufall oder Absicht, oder half das Schicksal vielleicht ein wenig dabei? Wieder stand dieser unmögliche Kerl vor ihr und fragte: »Darf ich hier Platz nehmen? Alle anderen Tische sind besetzt.«

Sie starrte ihn an. Zuerst lag wieder ein brüskes Nein auf ihren Lippen. Doch dann sagte sie sich, er wird Hunger haben. Ich bin unmöglich. Er trägt doch wirklich keine Schuld an meinem Leid.

»Bitte!«, sagte sie kühl.

Er bedankte sich und ging dann sogleich ans Buffet. Angelika blickte in den Saal und sah, dass alle Tische belegt waren. Er hatte recht, es waren lauter Ehepaare, Familien und Liebespaare. Diese erkannte man sogleich. Sie gingen so zärtlich miteinander um. Es war, als lebten sie auf einer Insel ganz für sich alleine. Sie kümmerten sich nicht um die Leute um sich herum. Sie waren eingesponnen in ihre Zweisamkeit.

Liebe, Zweisamkeit, sich auf jemanden verlassen können, ihn so lieben, dass das Herz darüber fast in Stücke bricht. Angelika musste tief durchatmen. Die Tränen saßen noch so locker. Sie spürte den Kloß in ihrer Kehle.

Warum?, schrie es in ihrem Herzen.

Der Mann setzte sich geräuschvoll an ihren Tisch. Sie erwachte aus ihrer Erstarrung und fixierte ihn.

Er war bestürzt über den Hass in ihren Augen. Der Bissen blieb ihm im Halse stecken.

»Wie sehr muss man Ihnen weh getan haben«, sagte er mit leiser, freundlicher Stimme.

»Hören Sie auf!«, rief sie bestürzt. »Verdammt, essen Sie, und reden Sie nicht mit mir!«

Alle drehten sich zu ihnen um. Erstaunte Gesichter blickten sie an.

Angelika begann zu zittern.

»Ruhig«, sagte der Mann an ihrer Seite. »Jetzt nicht den Kopf verlieren! Nur keine Panik! Lächeln Sie einfach, dann wird man sich nicht mehr um Sie kümmern! Kommen Sie, ich helfe Ihnen dabei!«

Er strahlte die Menschen im Saal an.

Die anderen Gäste merkten, es gibt keine Sensation, also brauchen wir uns nicht mehr um das komische Paar zu kümmern. Sie wandten sich wieder ihrem Essen zu.

Angelika fühlte sich wie erschlagen. Jetzt hatte er ihr sogar noch geholfen! Musste sie sich nicht bedanken?

Er schien ihre Gedanken zu erraten.

»Das war selbstverständlich! Wir können uns auch anschweigen.«

Er knabberte an einem Salatblatt. Er schien nur Naturkost zu essen. Na ja, dachte sie, Jogger leben eben gesund. Was geht mich dieser Kerl an?

Angelika war nun wütend, dass er sie nicht mehr ansprach. Er sollte mit ihr reden, damit sie sich wieder aufregen konnte! Nach Tagen des Schweigens brauchte sie jetzt so etwas wie einen Prügelknaben. Da kam ihr dieser aufdringliche Typ gerade recht.

Angelika starrte ihn böse an. Er gab den Blick ruhig zurück.

»Sie können loslegen! Nur leise, wenn ich bitten darf! Ich möchte hier nicht als Unhold gebrandmarkt werden«, sagte er schmunzelnd.

»Wieso?«, fuhr sie ihn wütend an.

Die Worte blieben ihr im Halse stecken. Dann stand sie auf und ging einfach davon. Angelika ärgerte sich maßlos, sie wusste aber nicht warum. Nur fort von hier! Mit ihren Gedanken und Gefühlen allein sein! Niemand konnte ihr helfen. Zumindest glaubte sie das felsenfest. Das junge Mädchen war so verzweifelt, dass es im Augenblick keine Hoffnung hatte.

Das Mädchen aus den Dünen: Schicksale im Haus an der Ecke #32

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