Читать книгу Das Mädchen aus den Dünen: Schicksale im Haus an der Ecke #32 - G. S. Friebel - Страница 7

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Im Haus an der Ecke ging es hoch her. Die Mädchen auf der Rampe waren echt sauer. Gern hätten sie mitgemischt. Hinter ihrem Rücken im Haus schien der Teufel los zu sein. Doch Deike hatte ihnen eingetrichtert: »Der Betrieb darf nicht darunter leiden. Wir haben schon genug Ausfall. Wie soll ich das euren Luden begreiflich machen?«

Sie murrten und fanden es gemein. Das Los hatte sie dazu ausersehen, hier auf der Rampe Dienst zu tun. Dabei waren nur ganz wenig Kunden anwesend. Es war noch immer tierisch heiß. Erst wenn es sich abgekühlt hatte, würden die Touristen kommen, sich die Mädchen auf der Rampe ansehen und sich dann entscheiden, ob sie ein Liebesstündchen verbringen wollten oder nicht.

Renate knabberte an einem Keks herum und sagte zu Shiva:

»Wieso haben wir nicht Urlaub genommen?«

»Weil wir blöd sind!«

»Nee, weil ihr schon in Urlaub wart«, fuhr Dorle dazwischen. »Macht bloß keinen Ärger! Ihr seid noch lange nicht an der Reihe. Wenn einer urlaubsreif ist, dann bin ich es!«

»Ich könnte jeden Monat vier Wochen Urlaub machen«, rief Renate den Freundinnen zu.

»Du würdest auch ständig im Stehen schlafen, wenn wir nicht aufpassten«, gab Shiva lachend zurück.

»Na und? Ich mache halt mehr aus meinem Leben! Ihr seid ja nur neidisch!«

»Ich möchte liebend gern wissen, was sich in der Küche tut. Ob sie sich endlich geeinigt haben?«

»Nach dem Krawall zu urteilen, wohl noch nicht«, vermutete Renate. »Echt, ich möchte nicht mit! Ich verstehe nicht, warum sich Holda und Tina so darum reißen!«

»Ich werde verrückt! Ich muss es einfach rauskriegen! Ich schleiche mich rein!«

Dorle war schon verschwunden.

Sie schlich sich zur Küchentür. Dort ging es hoch her. Ida wusste, sich mal wieder zu behaupten.

Lotte war aber auch nicht von schlechten Eltern. Die Mutter des Großluden Marek hatte mit der Zeit eine Menge gelernt. Auch wenn sie jetzt schon achtzig war, wollte sie noch lange nicht zum alten Eisen gehören.

Die Hauptperson saß am Tisch und rührte sich nicht. Das war schon sehr verdächtig.

Walter Zach, um ihn ging es nämlich, war von seinen eigenen Eltern eingesperrt worden und wäre fast daran gestorben, er sollte jetzt zur Erholung. Die Bewohner des Eckhauses und Deike hatten das beschlossen. Er sollte an die See fahren. Liebend gern hätte Deike sich dieser Aufgabe unterzogen. Sie mochte Walter gern. Er war ihr in den vergangenen Jahren richtig ans Herz gewachsen. Lotte, die in einer pompösen Villa am Rande der Stadt wohnte, hatte vorgeschlagen, ihn bei sich aufzunehmen und ihn aufzupäppeln. Das hatte aber Walter nicht gewollt.

»Anschließend bin ich ein Kloß! Die macht mich fett! Nein, Deike, lieber wandere ich nach Amerika aus!«

Deike hatte lachend erwidert: »Keine Panik, Walter! Ich bin auch noch da. Wir werden schon etwas für dich finden. Vor allen Dingen liegt mir viel daran, dass Ida mitkommt. Das siehst du doch ein, nicht wahr?«

Walter hatte nichts dagegen, mit Ida zu verreisen. Allein konnte man ihn ja schlecht in einem Hotel unterbringen. Es war also beschlossene Sache, dass Ida mit Walter für vierzehn Tage ans Meer fuhr. Damit auch wirklich nichts schiefging und Ida nicht wieder Ärger machte, sollten ihr zwei Mädchen mitgegeben werden. Die hatten Order, auf Ida aufzupassen.

Das Los hatte für Holda und Tina entschieden. Diese standen nun auch in der Küche und hörten amüsiert zu. Bis vor einer Stunde war ja alles noch in Butter gewesen. Dann war Lotte aufgetaucht. Als sie hörte, dass der liebe kleine Walter nicht zu ihr in die Villa ziehen würde, hatte sie erst einmal ihren Sohn beschimpft, ihn einen Schlappi genannt und vieles mehr. Marek war dann geflüchtet. Er fand, sein Ruf im Haus an der Ecke sei schon ruiniert. Sich von der eigenen Mutter auch noch klein zu machen, nein, das ging zu weit. Sein letzter Satz war gewesen: »Macht doch, was ihr wollt! Ich will mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun haben!«

Deike dachte, so sind die Männer. Immer wenn es brenzlig wird, ziehen sie Leine. Dann muss ich ganz allein entscheiden. Entscheide ich aber nicht richtig, muss ich dafür Rechenschaft ablegen.

Lotte wollte auch mit.

Ida freute sich, auf diese Art und Weise länger mit Lotte zusammen sein zu können.

Ida entschied für ihr Leben gern. Sie hatte es gern, wenn alle nach ihrer Pfeife tanzten. Wäre Lotte dabei, würde es zu Komplikationen kommen. Marek war nun verschwunden, Deike war schon ganz schwach, Walter sagte gar nichts, Holda und Tina standen stumm herum. Dann kam auch noch Hanna in die Küche, hörte sich eine Weile den Streit an und sagte dann: »Fahrt doch endlich. Ihr könnt euch noch an der See einig werden. Fahrt doch erst einmal los!«

Deike blickte ihre Stellvertreterin an.

»Ist das deine Meinung?«

Hanna nickte fröhlich.

Ida war sauer, Lotte lachte, Walter seufzte, und Holda und Tina verfluchten schon langsam ihr Schicksal. Sie fanden es schon gar nicht mehr so gut, diese Verrückten begleiten zu müssen.

Deike sagte resolut: »Ich bin auch dafür! Jetzt werden die Koffer gepackt, und in vier Stunden bringe ich euch alle zur Bahn. Fertig, marsch! Verzieht euch!«

Lotte blickte sie kriegerisch an. »Du wirst mich pünktlich abholen, Deike?«

»Aber sicher, Lotte! Ich werde dich nicht vergessen«, sagte die Bordellmutter mit sanfter Stimme. »Wer nicht fertig ist, der bleibt aber zurück! So einfach ist das.«

Lotte stapfte sofort zur Tür. Schließlich stand dort Alfred und wartete demütig. Er brachte sie zum Taxenstand. Der Rentner lebte schon seit ein paar Jahren bei Lotte und versorgte ihren Garten und den weitläufigen Park. Alfred war mitgekommen, weil er bei dieser Hitze einfach nicht zulassen konnte, dass die alte Dame allein durch die Gegend lief. Er zumindest hatte noch Respekt vor dem Großluden.

Kaum war Lotte fort, wollte sich Ida, die Köchin des Eckhauses, an Deikes Rockschöße hängen. Diese hatte aber genug und sagte: »Wenn du nicht fertig bist, Ida, dann muss ich dich zurücklassen! Der Zug wartet nicht. Du musst ja auch noch Imka einweisen. Ich werde anrufen, dass sie sofort kommt.«

»Das kann ja heiter werden. Ich habe bestimmt graue Haare, wenn ich wiederkomme. Mit vier Weibern! Die machen mich fertig«, murmelte Walterchen.

Deike beugte sich zu ihm herunter. Ida hatte inzwischen die Küche verlassen. »Junger Mann! Die vier haben mit sich selber genug zu tun. Jede will doch das Sagen über dich haben. Also wird man sich gegenseitig belauern. Du bist doch ein fixer Bursche, nicht wahr?«

Walter grinste sie an.

»Du meinst, ich muss sie nur aufeinander hetzen, dann habe ich meine Ruhe?«

»Sicher!«

Walter war es zufrieden. »Und ich dachte schon, du würdest mir auftragen, auf sie aufzupassen.«

»Die passen gegenseitig auf. Denen wird gar nichts anderes übrig bleiben. Und sollte doch etwas schieflaufen, dann kannst du dich noch immer an Holda und Tina wenden. Die wollen nämlich nur Urlaub machen, verstehst du? Und wenn alle Stricke reißen, kannst du mich anrufen, ich hole dich aus der Hölle heraus!«

Der Bub strahlte Deike an.

»Du würdest dann mit mir irgendwo hinfahren? Wir zwei alleine?«

Deike nickte.

Jetzt lief er glücklich davon.

Hanna sagte trocken: »Da hast du aber was angestellt!«

»Wieso das denn?«

»Walter betet dich an. Er wird nicht ruhen, bis alles drunter und drüber geht, nur damit du kommen musst.«

»Ach, Hanna, sieh doch nicht alles so schwarz! Ida und Lotte sind auch nicht von schlechten Eltern.«

»War das eigentlich gut, sie alle fortzuschicken?«

»Weißt du eine bessere Lösung?«

»Leider nein. Ich bin froh, wenn endlich wieder Ruhe bei uns einkehrt. Das ist kein Bordell, das ist ein Tollhaus hier! Ich weiß schon gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht.«

»Prima, dann kannst du ja den Plan für die nächste Woche ausarbeiten!«

Deike drückte ihr die Pläne in die Hand.

»Mach nur, Hanna! Dann haben wir nachher beide Zeit.«

Hanna lächelte die Bordellmutter an. »Soll das heißen, wenn die Katze fort ist, dann tanzen die Mäuse?«

»So ähnlich! Ich verspreche dir, wir werden es uns schön machen. Das muss gefeiert werden!«

»Das ist ein Wort! Darf ich es den Mädchen sagen?«

»Sicher!«

Hanna brauchte es nur den Mädchen auf der Rampe zu erzählen. Für Feste waren sie immer zu haben. »Schweigt aber vor Ida! Sie darf es nicht erfahren. Womöglich wird sie sonst noch die Reise abblasen.«

Die Mädchen kicherten. Hui, jetzt macht das Leben wieder Spaß! Du kannst dich auf uns verlassen. Ida wird nichts erfahren!«

Wie ein Lauffeuer ging die Kunde durch das Haus an der Ecke. Jetzt waren die Mädchen nicht mehr traurig. Schon hatte sich eine Gruppe gebildet, die sich um das Fest kümmern wollte. Sie sahen vierzehn wundervollen Tagen entgegen. Imka würde alles kochen, wonach sie sich sehnten. Überhaupt, vierzehn Tage keine wütende Ida im Haus! Vierzehn Tage, wo man richtig lustig sein konnte. Natürlich war Ida die Seele des Hauses. Sie war nur hin und wieder sehr anstrengend.

Endlich war der große Augenblick gekommen. Bei dem vielen Gepäck, das jede bei sich hatte, musste Deike ein Lastentaxi rufen lassen. Dieses kam auch sofort. Der Fahrer wollte wissen, ob jemand ausziehen würde.

Ida wollte dem Taxifahrer mit ihrem Regenschirm ein wenig die Mütze zurechtrücken. Holda konnte es gerade noch verhindern.

»Ich kenne doch das alte Mädchen«, sagte der Fahrer. »Die ist schon in Ordnung. Die hat doch ein Herz so weich wie ein Mäusebauch! Die tut doch nur so!«

Zum Glück hatte Ida das nicht gehört. Tina freute sich darüber. Nichts war gefährlicher, als Ida zu sagen, dass sie ein liebend Weib war. In dieser Sekunde lag sie nämlich in Docs Armen. Der verkrachte Arzt hatte es sich nicht nehmen lassen, sich persönlich von Ida zu verabschieden. Schließlich liebte er sie. Nur durfte er es ihr nicht zeigen. Jetzt hatte er ein paar Rosen zum Abschied mitgebracht. Ida nannte es sinnlose Geldverschwendung. Auf der Bahn würden sie doch verwelken, und doch hatte sie ein ganz rotes Gesicht. Das bezeugte, wie sehr sie sich darüber freute.

Sie saß schon im Auto und hielt Imka noch immer Maßregeln, wie sie die Küche zu leiten habe, damit die Mädchen auch wirklich nicht verhungerten.

Deike lachte und gab dem Taxifahrer endlich das Zeichen. Auf dem Bahnsteig ging es nochmals hoch her. Lotte war schon zur Stelle.

Martha, ihre Haushälterin, stand bescheiden im Hintergrund. Sie blickte Deike hilflos an. Auch sie erhielt bis zum letzten Augenblick noch viele Verhaltensregeln.

»Halt durch«, flüsterte Deike. »Der Zug fährt gleich ab!«

»Geschafft! Jetzt fängt für uns erst mal der Sommer an! Komm, Martha, ich nehme dich mit zum Eckhaus! Du kannst morgen zurück in die Villa. Sicher hast du nichts gegen ein kleines Fest, oder?«

»Aber Lotte hat gesagt, ich darf die Villa nicht allein lassen!«

»Hör zu. Martha! Lotte und Ida sind weit weg. Du brauchst jetzt auch mal Erholung, und wenn es nur für ein paar Stunden ist.«

Martha war einst eine verkommene Hure gewesen. Sie war so tief unten gelandet, dass sie in Müllkästen nach Essensresten suchte, als Ida sie mit ihrem Wagen übergebügelt hatte. Zum Glück war alles glimpflich ausgegangen. Martha gesundete und war dann von Lotte eingestellt worden. Sie war Ida dankbar, denn durch sie war sie wieder zu einem lebenswerten Leben gekommen.

Als sie ins Haus an der Ecke zurückkamen, war dort schon eine Menge passiert.

»Der Betrieb geht also weiter«, sagte Deike.

»Sicher! Versprochen ist versprochen! Wer heute ins Haus an der Ecke kommt, der wird noch nach Jahren davon träumen, was für eine wilde Nacht er erleben durfte!«

Deike konnte sich auf ihre Mädchen verlassen. Wenn sie etwas versprachen, dann hielten sie auch Wort. In der Küche waren Hanna und Imka dabei, ein fürstliches Nachtmahl vorzubereiten. In der Straße schien es sich herumgesprochen zu haben, dass Ida nicht mehr im Haus an der Ecke weilte. Immer wieder lugte jetzt eine kleine Dirne durch den Torbogen in den Hof. Das war sonst strengstens verboten. Jedes Straßenmädchen beneidete die Eckhaustüllen um ihren Job. Sie waren die bestbezahlten Mädchen dieser Stadt. Das hatten sie ihrer Bordellmutter Deike zu verdanken. Die war einst Toptülle in Hamburg gewesen. Immer wenn hoher Besuch ankam und dieser besondere Wünsche hatte, wurden sie ihm von Deike erfüllt. Doch dann war sie von heute auf morgen erkrankt, an Krebs. Man hatte ihr eine Brust entfernt. Nun war ihr schöner Körper entstellt. Damals war das für sie ein schrecklicher Schock. Nur aus Barmherzigkeit hatte Marek, der Großlude und Freund, ihr die Leitung des Eckhauses angeboten, bis er wieder den richtigen Mann für die Aufsicht fand. So glaubte er zumindest damals.

Deike, die sehr wohl wusste, was Dirnen wirklich brauchten, hatte das Haus an der Ecke total umgekrempelt und es zu einer wirklich gemütlichen Wohnstätte für die Mädchen gemacht. Sie hatten hier sozusagen Familienanschluss und immer gutes Essen. Sie wurden nicht ausgenutzt, und sie erhielten auch eine Art Unterricht. Im Haus an der Ecke durfte weder betrogen noch gestohlen werden. Da sie regelmäßig Dienst hatten, wurden ihre Körper nicht überfordert. So kam es, dass sie bald sehr gesuchte Mädchen waren. Ihre Preise stiegen. Jede von ihnen hatte ein hübsches Bankguthaben. Das verwaltete Deike für die Mädchen. Mit einem Wort, die Tüllen hatten hier den Himmel auf Erden und blieben lange in diesem Haus tätig. Es kam sogar immer wieder vor, dass eins der Mädchen heiratete.

Walter Zachs Eltern waren ständig betrunken und kümmerten sich nicht um das Kind. Er war im Haus an der Ecke gelandet und lebte mit Ida zusammen in dem Trakt neben der Küche. Vor einiger Zeit hatten die Eltern erfahren, dass ihr Sohn Walter Geld haben musste. Sie setzten ihn gefangen und wollten Deike erpressen. Marek hatte Walter befreit und den Eltern alles mögliche angedroht, wenn sie sich nochmals dem Buben nähern sollten.

Vor allen Dingen hatten alle im Haus an der Ecke Sorge, dass die Jugendbehörde die Wahrheit erfahren könnte. Dann müsste Walter sicherlich in ein Heim gehen. Bis jetzt hatte man es noch geschickt verschleiern können. Doch die Zukunft sah nicht gerade rosig aus. Darüber hatten Deike und Marek schon oft diskutiert. Bis jetzt waren sie aber noch zu keiner Lösung gekommen.

Jetzt war es erst einmal wichtig, dass Walter wieder zu Kräften kam und Sonne und frische Luft tankte. Er würde sich bald erholen und sicherlich auch den Schrecken überwinden.

Deike konnte es nicht ertragen, dass jemand sich auf Kosten von Kindern bereichern wollte. Dann konnte sie gnadenlos sein. Sie selbst mochte Kinder sehr. Bis jetzt hatte sie es nicht geschafft, sich mal um ein Kind zu kümmern. Sie selbst bekam wegen ihrer Erkrankung keine Kinder mehr. Marek hätte sehr gern einen Sohn gehabt. Er hatte deswegen auch schon mal geheiratet. Doch das war fehlgeschlagen. Einige Luden aus München hatten sich ihn mit einem fremden Kind gefügig machen wollen.

Während die Mädchen lustig und ausgelassen mit ihren Kunden diese Nacht verbrachten, dachte Deike immer wieder an Walter. Er war ihr mehr ans Herz gewachsen, als sie zugeben wollte. Aus Erfahrung wusste sie, wenn man jemanden lieb hat, und es ging etwas schief, musste man wieder leiden.

Deike fühlte sich manchmal sehr einsam. Das wusste aber niemand. Nach ihrer Erkrankung war sie ein ganz anderer Mensch geworden. Es war eine Art Wand zwischen sie und das Leben geraten.

Das Mädchen aus den Dünen: Schicksale im Haus an der Ecke #32

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