Читать книгу Hochzeit in der Villa: Schicksale im Haus an der Ecke #33 - G. S. Friebel - Страница 6
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ОглавлениеMartha war schon lange nicht mehr im Strichviertel gewesen. Die billigen käuflichen Mädchen unter den Laternen musterten die alte Frau verächtlich.
»Willste dir Appetit holen? Mensch, Oma, zieh Leine! Wir haben es nicht gerne, wie Affen im Zoo angestarrt zu werden. Geh zu deinen Kochpötten zurück, Alte!«
Martha hörte sich das Gekeife der Tüllen an und grinste. Das wiederum konnten die Tingelschicksen nicht vertragen. Sie wurden noch wütender und zogen immer engere Kreise um Martha.
Martha schien das entweder nicht zu merken, oder sie hatte einfach starke Nerven. Verunsichert blickten sich die Tüllchen an und sagten verwundert. »Die ist wirklich mit allen Wassern gewaschen. Das Luder kümmert sich gar nicht um unser Gequatsche!«
»Vielleicht ist sie auf einem Ohr taub?«, vermutete eine.
Die anderen Tüllen schwangen bereits ihre Handtäschchen. Die Mädchen waren zum Angriff bereit.
»Wir sollten ihr mal eins überziehen. Vielleicht wird sie dann mucker und verzieht sich.«
Die Mädchen fühlten sich eben dadurch beleidigt, dass eine normale Frau durch ihr Gebiet spazierte. Natürlich kam das nachts immer mal wieder vor, am Tage schon weniger. Anständige Frauen mieden dieses Viertel, oder sie trauten sich höchstens am Arm eines Mannes mal durch die Strichstraßen zu gehen.
Diese Oma mit ihrem alten Hut und dem biederen Kleid schien vom Lande zu stammen und nicht zu wissen, dass sie hier nichts zu suchen hatte.
Fünf Mädchen befanden sich bereits im Kielwasser von Martha.
Als sie gerade zuschlagen wollten, drehte sich Martha just in dem Augenblick um und blickte die Mädchen durchdringend an.
»Lasst das lieber bleiben! Ihr könntet Ärger bekommen!« Martha sagte es ruhig und gelassen und durchbohrte die Tüllen mit ihren Blicken.
»Äh«, stotterten diese nervös.
»Zisch ab, verpiß dich, Alte! Hier ist das Strichviertel, hast du kapiert? Oder weißt du vielleicht gar nicht, was das ist?«
Martha sagte ruhig: »Ich bin schon auf den Strich gegangen, da habt ihr noch nicht in die Windeln geschissen!«
»Was? Wieso?«, fragten die Tüllen verdattert.
»Na, zu der Zeit ward ihr noch nicht mal geboren!«, erklärte Martha.
Die Dirnen lachten herzlich auf. »Du hast wohl nicht alle Tassen im Schrank, Alte, wie? Warst du etwa mal Hure?«
Martha nickte.
»Donnerwetter, du hast es geschafft, nicht in der Gosse zu landen? Bist du rechtzeitig ausgestiegen? Das geht also wirklich?«
Martha sah die jungen Dinger an und brummte kurz angebunden: »Vor einem Jahr bin ich gerettet worden. Wäre das nicht geschehen, wäre ich jetzt sicher nicht mehr am Leben.«
»Erst vor einem Jahr? Du liebe Güte. dann musst du ja eine von den abgetakelten Huren gewesen sein! Womöglich kennen wir dich? Hier laufen ja viele dieser Vogelscheuchen herum.«
»Es wäre möglich, dass ihr mich schon mal gesehen habt. Aber das ist jetzt nicht wichtig. Lasst mich weiterziehen! Ich habe keine Zeit mehr.«
»He«, rief eine Dirne ihr nach. »Du hast uns noch gar nicht gesagt, wer dich gerettet hat!«
»Nein?«, rief Martha erstaunt aus.
»Na, dann spuck es aus! Das würde mich wirklich interessieren.«
»Es war Ida!«, erklärte Martha.
»Waaas?«, riefen die Tüllen im Chor.
Martha lachte sie an. »Ja, damit habt ihr wohl nicht gerechnet, was?«
»Ida? Der Donnerdrachen aus dem Eckhaus soll dich aus der Gosse gezogen haben? Die würde doch mit dem Leibhaftigen persönlich kämpfen, wenn dieser nur den Mut dazu hätte, sich ihr zu stellen. Aber hör mal, das glauben wir dir ja nicht! Ida hat sonst nur junges Gemüse im Eckhaus. Wieso hat sie dich gerettet?«
»Indem sie mich fast umgebracht hätte«, sagte Martha ruhig.
Jetzt wurden die Tüllen aber neugierig. Doch Martha wollte nichts mehr sagen. Sie setzte ihren Weg durch das Sündenviertel fort, gefolgt von ein paar Mädchen, die sie immer weiter bedrängten, ihnen doch mehr zu erzählen.
Martha war klug genug, das nicht zu tun. Bestimmt würde es Ida zu Ohren kommen, wenn sie plaudern würde. Das ganze Viertel würde sich königlich amüsieren, wenn es rauskäme, dass Ida Martha seinerzeit zwischen Mülltonnen gequetscht hatte, als sie ihren Kombiwagen zurücksetzte. Ida war im Großmarkt gewesen und hatte sich dort mal wieder mit ein paar Händlern gezankt. Sie war in wilder Laune. Martha hatte gerade die Mülltonnen nach etwas Essbarem durchsucht. Ida hatte nach dem Unfall ein furchtbar schlechtes Gewissen gehabt und Martha zu Lotte gebracht. Lotte war die Mutter des Königsluden von Hamburg. Sie besaß eine herrliche Villa vor den Toren der Stadt. Martha hatte dort mit dem saufen aufgehört, war anständig geworden und lebte jetzt als Haushälterin bei Lotte.
Und jetzt war Martha auf dem Weg zum Haus an der Ecke.
Wenn die Straßenmädchen ihr bis zu diesem Augenblick die Geschichte nicht abnehmen wollten, so mussten sie es spätestens tun, als Martha durch den Torbogen zum Haus an der Ecke ging. Die Mädchen blieben zurück. Es war ihnen verboten, den Kontakthof des Eckhauses zu betreten. Er war Sperrgebiet für andere Tüllen.
»Sie scheint tatsächlich dorthin zu gehören«, murmelten sie und waren richtig neidisch.
»Mensch, die muss uns mehr erzählen! Ehrlich«, sagte die rotblonde Kathi. »Die macht mich an! Vielleicht kriegen wir mehr aus ihr raus.«
»Die alte Vogelscheuche denkt doch nicht daran zu plaudern!«
»Sie muss ja mal wieder rauskommen. Also baue ich mich hier auf und warte auf sie.«
»Na, dann viel Spaß! Ich gehe zu meinem Standplatz zurück. Ich will keinen Ärger mit meinem Luden haben.«
Kathi lachte nur.
»Du, ich an deiner Stelle würde mich verziehen. Die Mädchen, die hier um das Eckhaus herumstehen, sollen Haare auf den Zähnen haben.«
»So? Wirklich?«
»Man erzählt es sich zumindest. Schließlich leben sie von den Brosamen des Eckhauses. Und die sollen hin und wieder ziemlich fett sein.«
»Ach, wirklich? Das wisst ihr alle, und ihr nehmt euch nicht einfach was von dem großen Kuchen?«
Die vier Tüllen blickten Kathi verächtlich an. »Du bist halt noch nicht lange bei uns. Du weißt ja gar nicht, dass es hier auch Gesetze gibt. Mensch, mach dich nicht unglücklich, Kathi! Komm lieber mit!«
»Ich sehe hier niemanden stehen. Also bleibe ich! Außerdem will ich doch gar nicht auf Anschaffe. Ich will doch nur auf die Alte warten.«
»Viel Spaß!«
Die Dirnen mussten ihr Soll erfüllen. Das schafften sie ganz bestimmt nicht durch Reden. Also trotteten sie zu ihrem Standplatz zurück. Für diesen Platz musste ihr Lude eine Art Miete an die Innung zahlen. Alle Straßen hier waren genau eingeteilt. Es gab gute und weniger gute Plätze. So waren auch die Preise verschieden.
Kathi lehnte sich also an den Torpfeiler, stemmte ein Bein gegen die Wand und wartete. Sie brauchte nicht lange zu warten, da erschienen schon die Standmädchen. Sie glaubten im ersten Augenblick nicht, was sie hier sahen. Unerhört! Als sie aber begriffen, dass sich hier eine fremde Tülle aufhielt, wurden sie gleich sauer und kamen auf Kathi zu.
Kathi bekam jetzt doch ein komisches Gefühl in der Magengrube.
»Ich schaff hier wirklich nicht an! Ehrlich nicht«, sagte sie hastig, als sie die geballte Wut in den Augen der Mädchen bemerkte. Noch vor einer Viertelstunde hatte sie mit ihren Genossinnen ebenso vor Martha gestanden. Jetzt war sie selbst das gehetzte Opfer und fühlte sich gar nicht mehr so wohl in ihrer Haut.
»Ach nee! Stehste vielleicht hier herum, um ein Sonnenbad zu nehmen?«
»Ich reiß hier keinen Kerl auf! Das könnt ihr mir glauben!«
»Das glauben wir dir aber nicht! Weißt du, was wir glauben? Sobald wir uns umgedreht haben, machst du die Typen an. Aber für so blöde musst du uns nicht halten, Tülle! Also mach, dass du fortkommst!«
Kathi dachte, wenn ich jetzt abziehe, dann habe ich bei den anderen das Gesicht verloren. Sie werden es mir lange unter die Weste jubeln. Zum Schein muss ich noch ein wenig länger fortbleiben.
Tapfer sagte sie: »Ich warte hier auf jemanden!«
»So? Hier? In unserem Revier? Sag mal, hat dich dein Lude nicht richtig aufgeklärt?«
»Vielleicht hat sie noch gar keinen«, sagte die blonde Immi und steckte sich eine Zigarette an.
»Natürlich habe ich einen Luden! Ich stehe weiter unten. Schon seit drei Wochen!«
»Donnerwetter, schon drei Wochen«, spöttelten die anderen und lachten Kathi an.
»Los, geh wieder in dein Revier, Täubchen! Noch sind wir friedlich und geben dir keine Abreibung.«
»Ich muss doch warten«, flüsterte Kathi.
»Auf wen?«
»Auf jemanden aus dem Eckhaus.«
Die Mädchen waren für einen Augenblick unsicher. »Aus dem Eckhaus? Auf einen Kerl?«, fragten sie.
Kathi schüttelte den Kopf. »Nein, auf eine Frau.«
»Was du nicht sagst!«
»Vielleicht stimmt es sogar?«
Die Mädchen berieten sich.
»In Ordnung! Aber wenn das wirklich stimmt, dann kannst du ja auch im Hof warten. Sie werden nichts dagegen haben, Mädchen!«
Kathi bekam einen ganz trockenen Mund.
»Ich geh lieber. Soll sie mich doch suchen. Ich habe jetzt lange genug gewartet!«
»Da schau her! Jetzt macht sie sich auf die Socken!»
Kathi rannte schon davon.
»Na, die wird nicht so schnell wiederkommen!«
»Bestimmt nicht«, sagten sie und gingen wieder ihrer Wege.