Читать книгу Koppelgeschichten - von und mit Pferd - Gabi Lohmann - Страница 5

Firlefanz

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„Mareike bist du endlich so weit? Wir müssen los!“ Heike schloss die Verriegelungen an der Transporterklappe. Ich suchte noch schnell die letzten Sachen zusammen: Kopfnummer, Fellhandschuh fürs Blankpolieren und ein paar Zuckerstücke als Belohnung. Ein kurzer prüfender Blick durch die Sattelkammer – nein, nichts vergessen. Als ‚TT‘ = Turniertrottel, war ich für die Ausrüstung von ‚Topgun‘ verantwortlich. ‚Turniertrottel‘ klang so herrlich abwertend! Dabei machte es mir Spaß, Heike auf ihre Turniere zu begleiten. Topgun war Heikes Pferd und ich seit inzwischen sieben Jahren ihre Reitbeteiligung.

Topgun, dieser herrliche einzigartige Hannoveraner. Ein Schimmel, erst grau jetzt fast schneeweiß, von 14 Jahren. Mit seinen 173cm Stockmaß eigentlich viel zu groß für mich. Aber irgendwie hatten wir uns immer arrangiert. Er war ein Herr, wie er im Buche steht: keinerlei Unarten und immer bereit zur Arbeit. In den sieben Jahren, seit ich ihn kannte, war er nicht einmal ernstlich krank gewesen.

Schnell schlüpfte ich zu Heike ins Auto. „Denn man los. Immerhin brauchen wir mindestens eine Stunde.“ Heike fuhr vorsichtig an.

Heike – sie hatte Topgun fünfjährig als Freizeitpferd erworben. Ein paar kleine Turniere vielleicht mal dann und wann waren geplant gewesen. Und dann hatte sich Topgun als ‚Schleifengarant‘ entpuppt. Dressur wie Springen: Beides lag ihm und inzwischen ritten Heike und ich auf M-Niveau! Nie hätte ich mir das träumen lassen!

Für Heike war Reiten nur ein Hobby. Mit ihren 50 Jahren war sie in ihrem Beruf sehr erfolgreich und hatte eigentlich gar keine Zeit für ein eigenes Pferd. Aber da Geld bei ihr reichlich vorhanden war, entschied sie sich damals für Topgun und einen Komplett-Beritt.

Der Bereiter war gleichzeitig auch mein Reitlehrer, und als mein Reitabzeichen-Pferd kurz vor der Prüfung lahm ging, fragte er kurzerhand Heike, ob wir Topgun ausleihen dürften. So begann meine Zeit mit dem wunderschönen Tier.

Mein Reitabzeichen bestand ich mit Bravur. Topgun und ich harmonierten wunderbar zusammen – und Heike gefiel, was sie sah. Sie bot mir eine kostenlose Reitbeteiligung, wenn ich bereit war, das gesparte Geld für Einzelstunden zu investieren. Wie war ich froh, als meine Eltern zustimmten! Mit meinen damals 15 Jahren hätte ich mir so eine Entwicklung nie träumen lassen.

Sieben Jahre später staunte ich im Rückblick immer noch, was mir sozusagen ‚in den Schoß gefallen‘ war. Am Anfang hatten Heike und ich beide an den Turnieren teilgenommen. Aber bald machte es mir einfach nicht mehr so richtig Spaß. Lieber ‚tanzte‘ ich daheim allein oder unter Aufsicht unseres Reitlehrers mit Topgun durch die Halle oder ging einfach mal ins Gelände.

Bei Heike war das anders: Sie genoss den unerwarteten Erfolg. Sie ritt an ein bis zwei Tagen in der Woche und ging am Wochenende Turnier. An den turnierfreien Wochenenden hatte ich Topgun für mich. Es war nicht so, dass Heike Topgun nicht schätzte, aber für sie war er halt ‚nur‘ ein Pferd. Eine richtige Beziehung hatte sie nie zu ihm aufgebaut. Am Anfang hatte ich es nicht verstanden – nein, ich habe es bis heute nicht kapiert: Wie kann man ein Lebewesen besitzen, es aber gefühlsmäßig nicht an sich heranlassen? Andererseits hatte es den Vorteil, dass Heike nie eifersüchtig wurde, wenn Topgun mir entgegen wieherte. Sie konnte darüber lächeln.

Die Fahrt verlief wortkarg wie meistens. Aber das störte mich nicht. Nach sieben Jahren waren Heike und ich ein eingespieltes Team. Jeder wusste, was er von dem anderen zu erwarten hatte.

Den Turnierplatz kannten wir vom vorangegangenen Tag. Gestern war Topgun in einer L-Dressur und einem L-Springen gestartet und war beide Male platziert worden. Das Springen hatte er sogar gewonnen! Für heute stand eine M-Dressur morgens und ein M-Springen nachmittags auf dem Plan. Heike suchte einen Platz ganz am Ende der zum Parkplatz degradierten Wiese. Wir hatten es uns zur Gewohnheit gemacht, ein kleines Stück ‚Parkplatz‘ neben dem Transporter mit Stangen und Litze abzustecken, sodass Topgun zwischen den Prüfungen etwas grasen konnte. Bisher hatte sich noch keiner beschwert, zumal wir, wie gesagt, ganz hinten parkten.

Heike machte sich auf den Weg zur Meldestelle, während ich Topgun auslud und für die Prüfung sattelte. Wir hatten noch etwas Zeit und so ritt ich mit Topgun außen um den Turnierplatz zwischen den Feldern die Wege auf und ab. Ich genoss die beginnende Wärme der Sonne auf meinen Beinen. Topgun schnaubte zufrieden und ließ den Kopf hängen. Nie würde er versuchen schnell einen Grashalm zu naschen – Trense im Maul hieß ‚Arbeiten‘ - und nicht ‚Fressen‘. Mein Blick strich aufmerksam über den Weg vor mir. Leichte Unebenheiten waren für Topgun kein Problem, aber ich wollte nicht auf dem unbekannten Weg unversehens in ein Loch geraten. Es war ein wunderschöner Morgen: Das Gras glänzte noch feucht vom Morgentau, die Luft war kühl und frisch. Vögel strichen auf der Suche nach Futter über die abgeernteten Felder. Ich spürte unter mir die kraftvolle Bewegung meines Pferdes. Ich schloss kurz die Augen und genoss die friedliche Umgebung.

Rechtzeitig eine halbe Stunde vor Prüfungsbeginn traf ich mit Topgun am Abreiteplatz ein. Heike wartete bereits dort, in eine Unterhaltung mit einem befreundeten Reiter vertieft. Ich grübelte kurz, während ich mich aus Topguns Sattel gleiten ließ. Richtig, Stefan hieß er. Mit Menschen-Namen hatte ich es einfach nicht so. Aber sein Pferd, ein kleiner quirliger Fuchs namens Firlefanz, war mir noch gut im Gedächtnis. Ich verharrte kurz, mein Gesicht in Topguns Mähne verborgen und atmete den Duft des Wallaches. Firlefanz hatte gestern auch an den beiden Prüfungen teilgenommen. Während Topgun – wie soll ich sagen – die Prüfung wie ein ‚Erwachsener‘, der sich seiner Verantwortung voll bewusst ist, absolviert hatte, jagte Firlefanz wie ein übermütiger Jugendlicher durch den Parcours. Viel hatte er nicht ganz gelassen. Andererseits konnte ich mich an Tage erinnern, an denen es uns der kleine Fuchs verdammt schwer gemacht hatte. Wenn Firlefanz wollte, konnte er ein harter Konkurrent sein. Nur wollte er, sehr zum Ärger seines Reiters, nicht sehr häufig.

Ich schmunzelte vor mich hin. „Na, Stefan“, neckte ich ihn. „Meinst du, dein Pferd hat es sich über Nacht anders überlegt und nimmt diesmal an der Prüfung teil?“

Stefan lachte trocken. „Klar! Ich habe es ihm auf der Hinfahrt noch einmal deutlich erklärt: Kleine weiße Stangen auf dem Boden sind Dressurplatzbegrenzungen und dürfen nicht übersprungen werden. Ich glaube, er hat es verstanden. Und wenn er so springt wie gestern – und die Stangen liegen bleiben, habt ihr es heute Nachmittag ganz schön schwer!“

Ein Junge kam auf Firlefanz angeritten und übergab ihn an Stefan. Heike saß schon auf Topgun und richtete sich die Bügel. Stefan und Heike ritten nebeneinander auf den Abreiteplatz. Der große Schimmel mit dem ruhigen Blick und den aufmerksam gespitzten Ohren und der kleine zappelige Fuchs mit den wachen Augen und dem unruhig schlagenden Schweif. Zwei Pferde, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten!

In der Prüfung später überraschte Firlefanz uns alle. Als hätte er es sich von Topgun abgeschaut, spulte er die Dressuraufgabe ruhig und souverän ab. Nichts war mehr von der Anspannung am Abreiteplatz zu spüren. Was immer Stefan getan hatte: Er hatte ganze Arbeit geleistet.

Topgun zeigte sich zuverlässig wie immer. Aber bei gleicher Leistung verfügte der kleine Fuchs über einen Hauch mehr Ausstrahlung als unser großer Schimmel, und das brachte Firlefanz an diesem Morgen den Sieg.

Während Stefan und Heike ihren Erfolg im Esszelt feiern gingen, übernahmen der unbekannte Junge und ich nach der Siegerehrung die Pferde. Topgun ging gelassen neben mir her. Er schien mit sich und der Welt zufrieden, während der Junge alle Hände voll zu tun hatte: Firlefanz war nach der Ehrenrunde, die er hatte anführen dürfen, total aufgedreht. Ich schmunzelte vor mich hin und lehnte meinen Kopf an Topguns Hals. Wie liebte ich dieses große zuverlässige Pferd!

Nachdem ich Topgun auf seine Mini-Weide entlassen hatte, genoss ich den Schnitzel-Weck und die Cola, die Heike mir vorbeibrachte. Während sie sich mit Freunden traf, genoss ich die Abgeschiedenheit hier am Ende des Parkplatzes. Dies war für mich die pure Erholung zwischen meinen anstrengenden Studientagen: Auf einem Stuhl sitzend, die Sonne im Gesicht und das Pferd neben mir auf der Weide – was gab es Schöneres?

Zum Nachmittag hin richtete ich Topgun für das anstehende Springen. Der Turnierplatz füllte sich nach und nach mit Zuschauern, denn das Springen war als letzte Prüfung auch der Höhepunkt des Turniers. Ich nahm mir wieder die Zeit zwischen den Feldern herumzureiten, denn der Abreiteplatz war den Turnierteilnehmern vorbehalten und zudem sicherlich schon gut gefüllt. Am Abreiteplatz wiederholte sich der Pferdewechsel wie am Vormittag. Nur hatte Stefan diesmal mehr als gute Laune. Sein Pferd hatte seinen ‚guten Tag‘ und seine Chancen, auch im Springen eine Schleife zu gewinnen, standen gut.

Stefan war einer der ersten Starter und zeigte allen, wie man so einen Parcours anging. Ohne einen einzigen Fehler zu machen, hüpfte der kleine Fuchs über die für ihn doch recht hohen Hindernisse. Nach dem letzten Sprung gönnte er sich noch einen kräftigen Buckler, der Stefan fast aus dem Sattel katapultierte. Nach einer kurzen Schrecksekunde bekam Stefan sein Pferd wieder unter Kontrolle. Lachend klopfte er ihm den Hals und ritt strahlend an uns vorbei.

Heike hatte noch viel Zeit. Topgun war einer der letzten Starter. Zwischen Firlefanz und Topgun hatten es bisher nur zwei andere mit einer fehlerfreien Runde geschafft. Topgun enttäuschte Heike nicht. Ruhig und souverän nahm er alle Hindernisse und war damit der vierte und letzte Teilnehmer im Stechen.

Und dann ging alles irgendwie ganz schnell. Ich sehe das Ganze heute immer noch wie einen Film vor mir ablaufen: Firlefanz geht motiviert in das Stechen, verliert aber am letzten Sprung die Lust und zerlegt das gesamte Hindernis. Die beiden andern Teilnehmer reiten wie der Teufel, um eine gute Zeit zu erzielen. Das hilft ihnen aber nicht viel, denn vor der Zeit, zählt die Fehlerfreiheit und beide machen zwei Fehler, also acht Fehlerpunkte. Bisher führt Firlefanz. Stefan stellt sich, sein Pferd am Zügel haltend neben mich. Dann betritt Topgun den Parcours, mein geliebter Topgun. Die Sonne lässt sein weißes Fell schimmern. Er mustert den Parcours wie ein Großer. Ganz ruhig und gelassen galoppiert er auf Heikes Signal an. An jedem Hindernis zieht er an, um mit einem weiten Sprung sicher auf der andern Seite aufzukommen. Dann der Galoppsprung durchs Ziel. Der Film in meinem Kopf wechselt auf Zeitlupe. Heikes Faust reckt sich im Triumph nach oben, Topguns Hinterbeine greifen im Galopp kraftvoll unter seinen Körper, die Muskeln an seiner Hinterhand spielen eindrucksvoll – und plötzlich verschwindet das Pferd aus dem Film. Ich schaue auf den Boden: Topguns Vorderhand ist weggebrochen, der Vorderhuf steht in einem merkwürdigen Winkel zum Vorderbein. Heike löst sich vom Pferd und fliegt durch die Luft. Sie rollt sich zusammen und schlägt ein Stück vom Pferd auf. Topgun wird vom eigenen Schwung weitergetragen und überschlägt sich. Mit einem laut knackenden Geräusch bricht sein Genick. Die Hinterhand schlägt auf und trägt das gesamte Pferd noch ein Stück weiter. Dann liegt es still. Der Staub senkt sich langsam und ich sehe, wie Heike sich langsam aufrappelt. Ihr ist nichts geschehen - nur Topgun liegt so still, so unfassbar still!

***

Mareike wischt sich die Tränen aus den Augen. Dann erzählt sie weiter.

***

Ich weiß noch, wie ich mich von Stefan losriss und zu Topgun stürzte. Ich hielt seinen Kopf und streichelte seine Stirn. Während für mich die Zeit stillstand, handelten die Menschen um mich herum. Fremde Menschen versuchten, mit Decken Topgun und mich vor neugierigen Blicken zu schützen. Heike trat zu mir und legte mir die Hand auf die Schulter, aber ich schüttelte sie ab. Tränen rannen lautlos über mein Gesicht. Nur nebenbei nahm ich den Tierarzt wahr, der kurz zu Topgun trat, aber mit einem Kopfschütteln signalisierte, dass nichts mehr zu machen sei. Heike redete auf mich ein, aber ich hörte kein Wort. Topgun, eben noch so lebendig, konnte einfach nicht tot sein!

Stefan war es, der mich letztlich mit leichter Gewalt von Topgun trennte. Er hielt mich fest im Arm und führte mich zu Firlefanz, dessen Zügel er locker um einen Pfosten geschlungen hatte. Während er die Zügel löste, klammerte ich mich an Firlefanz‘ Hals und schluchzte hemmungslos – und der unruhige kleine Kerl hielt still, als ob er verstand, wie sehr ich das jetzt brauchte.

Keine Ahnung, wie ich an dem Tag nachhause kam. Stefan hatte sich um alles gekümmert. Und so blieb es auch die nächste Zeit. Heike rief in der Woche nach dem tragischen Unfall an und bat mich, meine Sachen aus dem Spind zuholen. Für sie stand ein längerer Auslandaufenthalt an und sie hatte die Box für diese Zeit ‚untervermietet‘. Nach ihrer Rückkehr wollte sie nach einem neuen Pferd schauen und sie würde sich dann bei mir melden. Was sie, nebenbei gesagt, nie getan hat.

Ich konnte nicht zum Stall gehen. Irgendetwas in mir wollte nicht wahrhaben, dass Topgun nicht mehr da war. Den Anblick seiner leeren Box hätte ich nicht ertragen können! So fuhr Stefan für mich dorthin und nahm meine Sachen in Empfang. Er räumte alles in einen Karton und verstaute ihn auf meine Bitte in den tiefsten Tiefen meines Kellers.

Plötzlich hatte ich viel Zeit. Ich stürzte mich mit vollem Elan auf mein Studium, und wenn Stefan nicht gewesen wäre – ich wäre total vereinsamt!

Er rief immer wieder an und überredete mich zu ein bisschen Abwechslung: Sei es zu einem Kinobesuch oder zu einem Stadtbummel. Gern ließ ich mich ablenken und langsam kamen wir uns näher – nur in den Pferdestall begleitete ich ihn nie. Es wäre mir wie ein Verrat an Topgun erschienen!

So verging fast ein halbes Jahr. Inzwischen waren Stefan und ich fest zusammen. Ich wohnte fast bei ihm – nur zum Lernen zog ich mich in meine Wohnung zurück. Wir verstanden uns hervorragend, nur meine Weigerung den Stall zu betreten, stieß immer mehr auf Stefans Unverständnis. An einem Wochenende kam es dann zum großen Streit.

„Schatz, ich hab da eine kleine unangenehme Neuigkeit“, leicht zerknirscht trat Stefan an das Sofa, auf dem ich ausgestreckt vor mich hin faulenzte. Skeptisch schaute ich zu ihm auf.

„Guten Abend, erst mal!“ Ich setzte mich auf, schlang meine Arme um Stefans Hals und zog in zu mir hinunter. Lachend ließ er sich auf mich fallen, vorsorglich aber sein Gewicht auf den Händen abstützend. Mit Stefan zu kuscheln, ließ mich die Welt um mich herum vergessen! Nach einer Weile löste sich Stefan von mir.

„Du, da ist wirklich etwas, was ich dir sagen muss.“ Stefan setzte sich neben mich und strich sich mit beiden Händen durch sein volles Haar. „Auf der Baustelle in China geht gerade alles Drunter und Drüber. Das lässt sich nicht mehr am Telefon regeln und so haben wir heute beschlossen, dass ich am Sonntagabend runter fliege und es mir vor Ort mal anschaue.“

Ich zuckte mit den Schultern. Es kam immer mal vor, dass Stefan für ein paar Tage geschäftlich verreisen musste – also keine große Neuigkeit. Ich legte meinen Arm um seine Schultern und schmiegte mich an ihn. „Ok. Dann haben wir diesmal nur ein kurzes Wochenende. Wann kommst Du zurück?“

Stefan seufzte. „Das ist das Unangenehme: Diesmal muss ich deutlich mehr Zeit einplanen. In der Firma gehen wir von circa vier Wochen aus.“

Ich drehte seinen Kopf zu mir und küsste ihn sanft. „Aber das ist doch kein Problem! Bei mir beginnt jetzt auch der Prüfungsstress und ich wäre in der Zeit bestimmt unausstehlich.“ Ich lächelte über seine bekümmerte Miene. „Außerdem klappt es doch mit dem Skypen in China ganz prima. Im Hotel und auf der Baustelle hattest du doch bisher immer WLAN Zugang. Ach komm.“ Ich knuffte ihn in die Seite. „Jetzt mach nicht so ein bekümmertes Gesicht. Vier Wochen gehen auch vorbei!“

„Tja, das Geschäft ist auch nicht das Problem – Firlefanz ist es! Ich bin auf dem Rückweg direkt am Stall vorbei. Horst kann den Kleinen für die nächsten vier Wochen in Teilberitt nehmen, aber für Voll-Beritt fehlt ihm einfach die Zeit!“

Horst, seines Zeichens der Reitlehrer an Stefan Stall, übernahm es sonst immer, nach Firlefanz zu schauen.

„Und was nun?“ Ich richtete mich auf. „Horst hat doch bestimmt jemanden unter seinen Reitschülern, der Firlefanz für die Zeit übernehmen kann.“ Vorsichtig löste ich mich von Stefan. Eine Ahnung stieg in mir hoch – und ich sollte Recht behalten!

„Mareike, du weißt genau, wie ungern ich Fremde an Firlefanz heranlasse! Selbst Horst gebe ich ihn ungern. Wir reiten einfach zu unterschiedlich, obwohl er mein Reitlehrer ist. Ich brauche hinterher immer Wochen, bis Firlefanz wieder richtig mit mir ‚funktioniert‘.“Stefans vorwurfsvoller Blick fiel auf mich. „Ist es wirklich zu viel verlangt, wenn du dich dreimal die Woche um den Kleinen kümmerst. Du musst ihn ja nicht reiten. Häng ihn an die Longe oder geh mit ihm spazieren. Dreimal die Woche ist doch wirklich machbar!“

Ich schluckte. Diese Diskussion führten wir in schöner Regelmäßigkeit bei jeder Dienstreise. Bisher hatte es sich immer um maximal zehn Tage gehandelt. Vier Wochen waren allerdings viel länger.

„Aber wieso meinst du, dass es mit Firlefanz und mir besser klappen sollte? Dein Pferd kennt mich doch gar nicht. Und außerdem habe ich seit einem halben Jahr nichts mehr mit Pferden am Hut. Das kann gar nicht gut gehen“, wehrte ich ab.

Stefan witterte seine Chance. „Klar klappt das. Wir fahren jetzt sofort raus und ich zeige dir, wo alles liegt. Dann haben wir noch drei Tage und bis dahin weißt du wieder, wie alles geht. Reiten oder den Umgang mit Pferden verlernt man einfach nicht!“ Stefan zog mich mit einem strahlenden Lächeln an sich. „Dir vertraue ich einfach. Und du hast keine Turnierambitionen und versuchst bestimmt nicht, meinen Kleinen zu verbiegen. Wirst sehen, es wird toll.“

Keine Ahnung, wieso ich diesmal nachgab! Die verbleibenden drei Tage verbrachten wir fast komplett im Reitstall. Stefan stellte mich allen vor und unterwies mich im Umgang mit dem kleinen quirligen Fuchs. Der freche Kerl hatte schnell raus, dass mir die Übung im Longieren abhandengekommen war. Brav lief er seine Runden, um in einem unaufmerksamen Moment von mir, blitzschnell umzudrehen und mich durch die Halle zu ziehen. Die Zuschauer hatten eine Menge zu lachen - ich definitiv nicht! Am letzten Tag erbarmte sich Horst und bot an, mich in seiner verbleibenden Zeit doch noch zusätzlich unter seine Fittiche zu nehmen. So konnte Stefan beruhigt abfliegen – für sein Pferd war gesorgt!

Die vier Wochen wurden die anstrengendsten in meinem Leben: Der kleine Fuchs war mir so etwas von über! ‚Spazieren gehen‘ ging gar nicht. Trotz Trense, Longe und Gerte zog Firlefanz mich durch den Wald, dass es eine Schau war: für die Kinder und Spaziergänger – nicht für mich! Was hatte Stefan gesagt: ‚Der Bursche hat es faustdick hinter den Ohren. Du musst ihm zeigen, wer der Herr ist, sonst verar… er dich, wo er nur kann.‘ Und Stefan behielt Recht. Ich hatte mit Firlefanz definitiv ein Dominanz-Problem: Das heißt, Firlefanz hatte die Dominanz und ich das Problem!

Longieren machte auch keinen Spaß, denn inzwischen hatte Firlefanz raus, wie er, wenn er nur schnell genug reagierte, mich durch die komplette Halle ziehen konnte. Gelang ihm das nicht, blieb er einfach stehen und bewegte sich kein Stück mehr. Mir war zum Heulen! Meine ‚Unfähigkeit’ hatte sich inzwischen bei den andern Reitern herumgesprochen und ich wurde von guten ‚Ratschlägen‘ schier erschlagen. Wenn ich gekonnt hätte, ich hätte den Stall nie wieder betreten!

Immer wieder kam ich an den Beritt-Tagen in den Stall und überzeugte mich davon, dass Firlefanz unter Horst brav war, wie ein Lämmchen. Es lag also definitiv an mir!

Horst ritt meist spät am Abend, wenn Ruhe in den Stall eingekehrt war. Am Ende der ersten Woche bat er mich, nach seinem Ritt zu ihm in die Halle zu kommen.

„Weißt du, Mareike. Irgendetwas läuft völlig schief mit euch beiden. Es tut mir leid, dass ich in dieser Woche keine Zeit für dich hatte, aber jetzt wollen wir der Sache doch mal auf den Grund gehen. Firlefanz hat sich schon unter mir ausgetobt und jetzt möchte ich einfach nur sehen, wie du ihn durch die Halle führst.“ Horst drückte mir die Zügel in die Hand und trat von dem Pferd weg.

Unschlüssig schaute ich auf das kleine Pferd. Dann drehte ich mich um und stiefelte los, Firlefanz hinter mir herziehend. Der kleine Fuchs stampfte zwei Schritte mit, dann blieb er stehen und stemmte sich gegen mich. Unsicher ruckte ich an den Zügeln, so wie Stefan es mir gezeigt hatte und schrie Firlefanz an: „Komm jetzt mit!“

Firlefanz war ja nicht blöd. Er merkte meine Unsicherheit und der Ruck mit den Zügeln tat ihm im Maul weh. Ein kurzer sichernder Blick Richtung Horst und Firlefanz setzte sich kurz auf die Hinterhand und stieg. Erschrocken ließ ich die Zügel los, was Firlefanz mit einem erfreuten Buckeln und Quer-durch-die-Halle-rennen quittierte. Entsetzt schaute ich auf die auf dem Boden schleifenden Zügeln. Wenn Firlefanz sich nur nicht verletzte! Mir traten die Tränen in die Augen.

Horsts Blick wanderte zwischen Firlefanz und mir hin und her. Erst als Firlefanz augenscheinlich nach der besten Stelle zum Wälzen suchte, schritt er ein. „Wag es nicht, du Lauser!“ Firlefanz stoppte in seiner Wanderung und schaute unsicher zu Horst hinüber. Der streckte seine Hand aus. „Komm her, kleiner Kerl, dann ziehen wir dich aus und du darfst dich wälzen!

Firlefanz zögerte nur kurz, dann schritt er langsam auf Horst zu und ließ sich von ihm am Zügel nehmen. Horst brachte Firlefanz zu mir.

„Tja, Mareike. Da haben wir noch eine Menge Arbeit vor uns. Jetzt sattel den Kerl mal ab, und während er sich wälzt, machen wir einen Plan, wie es weiter geht.“

Und es ging weiter! Horst erkannte schnell, dass das größte Problem zwischen Firlefanz und mir, meine gespielte Strenge war. Das Pferd spürte den krassen Gegensatz zwischen meiner Haltung und meinen Taten. Die passten einfach nicht zusammen. Einem so widersprüchlichen Menschen konnte ein Pferd einfach nicht vertrauen und deshalb tat Firlefanz das, was er für das Beste hielt: Er ignorierte mich!

Horst lehrte mich, mich wieder auf mein Bauchgefühl zu verlassen – so wie ich es auch bei Topgun getan hatte. Und siehe – es wirkte! Die zweite Woche arbeitete ich jeden Abend, wenn der Stall sich geleert hatte, unter Horsts Anweisung. In der dritten Woche versuchte ich es jeden zweiten Tag allein mit Firlefanz. Ich begann, unser Programm zu variieren. Zum einfachen ‚an der Longe im Kreis herumlaufen‘ gesellte sich Bodenarbeit mit Stangen, Planen und Kegeln. Auch an der Longe verlangte ich Firlefanz mehr Aufmerksamkeit ab: Er lernte, auf meine Körpersignale zu achten und schnellstmöglich darauf zu reagieren. Und ich lernte, meine Körpersignale so einzusetzen, dass Firlefanz sie verstand! Je mehr Abwechselung ich dem Pferd bot und je aufmerksamer es dabei sein musste, desto weniger Unfug ließ es sich einfallen. Wir hatten eine Menge Spaß miteinander!

In der vierten Woche überredete Horst mich, in den Sattel zu steigen.

Stefan freute sich aus der Ferne an unseren Fortschritten. Sein Aufenthalt in China verlängerte sich um noch einmal mindestens zwei Wochen und so war er froh, dass ich mich mit Firlefanz zusammengerauft hatte.

Er gab mir eine Menge Tipps, wie sein Pferd am einfachsten zu reiten wäre und während er mir freudig von seinem bevorstehenden ‚Visumsflug‘ nach Hongkong vorschwärmte, schweiften meine Gedanken immer wieder zu dem kleinen munteren Fuchs.

Mein erster Ritt auf Firlefanz wurde zu genauso einem Desaster, wie das erste Longieren. Fest hatten sich in meinem Kopf die Ratschläge meines Freundes eingegraben: Sei streng, lass ihm nichts durchgehen, reite mit viel Körperspannung. - Bei mir funktionierte nichts davon!

Kaum setzte ich einen dieser Ratschläge um, schon landete ich im Dreck!

„Sag mal, Mareike“, Horst schaute mit hochgezogenen Augenbraunen auf mich hinunter. Firlefanz hatte sich mal wieder mit einem gekonnten Stolperschritt mit anschließendem Buckler meiner entledigt. „Übst du heute nur das Aufsteigen und Herunterfallen oder willst du auch noch Reitunterricht?“

Ich schluckte meine Nervosität hinunter und rieb meine schmerzende Kehrseite. „Was soll ich denn machen? Kaum will ich etwas von Firlefanz, schon wirft er mich ab!“ Missmutig schaute ich auf den aufmüpfigen Fuchs.

„Was du machen sollst? Herrgott Sakrament, zuhören sollst du!“ Horst wirkte richtig sauer. „Reiten ist Teamsport. Das bedeutet, ihr zwei müsst zu einem Team werden. In einem Team arbeitet man zusammen, aber du gibst Firlefanz ja gar keine Chance! Kaum nimmst du die Zügel auf, versuchst du schon, ihm deinen Willen aufzuzwingen. So etwas kann Stefan machen. Der hat auch die Kraft, seinen Willen durchzusetzen. Aber du bist nicht Stefan – und du kannst mir auch nicht erzählen, dass du früher deinen Topgun so geritten bist.

Bitte Firlefanz um seine Mitarbeit, sag ihm mit deinem Körper, mit allen ‚Hilfen‘, was du von ihm willst und er wird versuchen, dir zu gefallen. Firlefanz ist so ein Pferd. Er will es ja richtig machen, er verträgt nur keinen Zwang.“

Horsts Ansage brachte mich zum Grübeln. Topgun, ja, ihn hatte ich zu nichts zwingen müssen. Ihm hatte ich nur angedeutet, was ich wollte, und er hatte es getan. Firlefanz war ganz anders. Er reagierte viel schneller und sensibler als Topgun. Kaum kam eine Hilfe nicht richtig, schon lag ich im Dreck. Topgun hätte so etwas nie getan, er hätte versucht herauszufinden, was ich von ihm wollte.

Horst hatte in der Zwischenzeit Firlefanz eingefangen und hielt mir den Steigbügel gegen. Resignierend schwang ich mich wieder in den Sattel.

Horst hielt mich fest. „Bevor du jetzt los reitest, schließ deine Augen und hör auf meine Stimme. Verlass dich auf Firlefanz. Es kann ja nichts passieren. Wir sind in der Halle und hier kann er nicht weglaufen!“

Ergeben schloss ich die Augen und ließ Firlefanz antreten. Deutlich spürte ich die Anspannung des Pferdes und mir wurde zum ersten Mal bewusst, dass nicht nur ich unsicher war. Auch Firlefanz wusste nicht, was auf ihn zukam. Langsam drang Horsts Stimme zu mir durch. „Du sollst über seinen Hals streichen, hab ich gesagt. Ja, so ist es richtig. Fühl das Pferd: mit den Händen, mit den Beinen – mit deinem ganzen Körper. Lass dich einfach tragen und vertrau ihm.“

Mit jedem Schritt fühlte ich mehr, wie die Anspannung von Firlefanz und mir abfiel. Gut, wir wurden nicht an diesem ersten Tag zu einem Team, aber im Laufe der Wochen rauften wir uns mehr und mehr zusammen.

Firlefanz würde nie ein Topgun werden – und das war gut so. Mit Firlefanz war jeder Ritt ein kleines Abenteuer. Der kleine Fuchs hatte es faustdick hinter den Ohren und war immer für eine Überraschung gut. Aber wenn man ihn zu nehmen wusste, dann konnte man auch mit ihm ‚tanzen‘!

Stefan war damals insgesamt über ein Vierteljahr in China. Die Heimreise, die ihm zwischendrin zugestanden hätte, nutzte er, um mich zu sich zu holen. So verbrachen wir eine Woche zusammen in diesem für mich sehr fremden Land. Stefan gefiel das Land, das Leben, die Menschen – mich zog es zurück zu seinem Pferd!

Eine Woche bevor Stefan zurückkam, machte es dann ‚Klick‘ bei Firlefanz und mir. Ich weiß bis heute nicht, was der Auslöser war. Ich stieg auf und irgendetwas war anders. Firlefanz konnte meine Gedanken lesen!

War die Dressur mit Topgun schon ein Genuss, ein ‚Tanz mit dem Pferd‘, so wurde sie mit Firlefanz zur Kür. Dieses Pferd versuchte, sich selbst zu übertreffen. Manchmal so übereifrig, dass es schon komisch anmutete.

Am Montag schien mir das Ganze ein Zufall zu sein. So etwas wie: Pferd und Reiter haben gleichzeitig ihren guten Tag oder so. Am Dienstag wiederholte es sich aber wieder: Reiten, das einfach nur Spaß machte!

Am Mittwoch zur Springstunde trat ich wie immer mit gemischten Gefühlen an. Firlefanz pflegt mit mir in einem Wahnsinnstempo über die Stangen zu fegen. Ich bestimmte die Richtung, er die Geschwindigkeit. Doch dieser Mittwoch war anders: Kaum spürte ich Firlefanz Bewegung unter mir, wusste ich es: Firlefanz reagierte auf jedes meiner Körpersignale. Zügel, pah, wofür braucht man die! Am leicht durchhängenden Zügel ging es durch den Parcours. Ich ignorierte Horsts Anweisungen, denn ich fühlte, das Einzige was Firlefanz jetzt brauchte, waren die Signale von meinem Körper. Es war gigantisch. Noch nie war Firlefanz so gesetzt und kontrolliert gesprungen. Nach dem letzten Sprung strahlte ich über das ganze Gesicht. Horst einziger Kommentar war: „Zusammengerauft!“

Ja, Firlefanz und ich hatten uns gefunden. Elf lange Wochen hatte es gedauert, aber jetzt war der kleine Fuchs bereit, alles für mich zu tun.

Und dann kam Stefan zurück …

Ich holte ihn früh morgens vom Flughafen ab und freute mich riesig, nicht mehr allein zu sein. Nach einer ausgiebigen Begrüßung und einem Schläfchen bis in den Nachmittag hinein ging es zum Stall. Firlefanz begrüßte mich mit lautem fordernden Wiehern, kaum dass er meine Stimme hörte. Damit hatte er schon vier Wochen nach unserem ersten Kennenlernen begonnen und ich freute mich über diese Art des Willkommens. Wenn sie wohl auch eher der mitgebrachten Möhre als mir galt. Stefans Stirnrunzeln entging mir. Auch das Herumschmusen zur Begrüßung war nicht in Stefans Sinn. ‚Ich würde sein Pferd ja total verhätscheln‘ war sein Kommentar. Ausgelassen hat er seinen Unmut dann an Firlefanz. Er sattelte ihn gröber als nötig und ich stand untätig daneben. Dabei hatte ich ständig das Gefühl, dass Firlefanz mich Hilfe suchend anschaute.

Das Reiten wurde zum Desaster. Stefan versuchte Firlefanz zum Gehorsam zu zwingen und Firlefanz lehnte sich dagegen auf. Stefan war stocksauer!

Jetzt war nicht mehr die Rede davon, dass ich ihm sein Pferd ab und an mal abnehmen solle. Nein, im Gegenteil, er verbot mir kategorisch, je wieder auf Firlefanz zu steigen. Longieren, Bodenarbeit, ok – aber nie wieder reiten. Ich hätte sein Pferd schließlich total ‚verkorkst‘.

Unsere Freundschaft bekam einen mächtigen Knacks! Es tat mir in der Seele weh, die beiden kämpfen zu sehen. Wusste ich doch inzwischen, wie viel der kleine Wallach zu ‚verschenken‘ hatte.

Auch Horst schaute dem Treiben zwischen Firlefanz und Stefan mit gemischten Gefühlen zu. Firlefanz war schließlich Stefans Pferd und er hatte die Aufgabe, die beiden zusammen auszubilden. Aber Stefan war nicht bereit, auf Horst zu hören.

Zum Eklat kam es dann während einer Springstunde. Mit Firlefanz war meine Freude am Reiten zurückgekehrt. Wenn nicht Firlefanz, so wollte ich doch wenigsten auf einem anderen Pferd weiter reiten. Horst überließ mir eines seiner Sportpferde. Etwas, was Stefan noch mehr verärgerte. Ritt ich in seinen Augen doch so schlecht, dass man mir nie und nimmer ein wertvolles Turnierpferd anvertrauen durfte!

Titus, ein Springpferd, wie es im Buche steht, hatte starke Ähnlichkeit mit Topgun. Stangen in der Reitbahn hießen: Springen. Der Reiter gab Richtung und Geschwindigkeit vor und bestimmte im besten Fall auch noch den Absprung. Diskussionen gab es keine. Wenn ich alles richtig machte, war eine Runde ohne Abwürfe garantiert. Während ich also in aller Ruhe mit Titus Hindernis um Hindernis hinter mir ließ, kämpfte Firlefanz mit Stefan um die Vorherrschaft – und diesmal gewann Firlefanz! Kaum hatte ich den letzten Sprung überwunden, fetzte der kleine Fuchs los! Stefan war machtlos. Aber anstatt zu versuchen, den kleinen Kerl in einer Ecke auszubremsen, ließ Stefan zu, dass sie über die Sprünge gingen. Die ersten zwei gingen noch gut, aber am Dritten waren sie viel zu schnell. Firlefanz rutschten in der Kurve die Hufe weg und so schlitterten sie in das Hindernis. Firlefanz Versuch, in letzter Sekunde noch abzuspringen, machte die Sache noch schlimmer. Unter unserem vielstimmigen Aufschrei ging das Hindernis zu Bruch und wir alle atmeten auf, als Stefan und Firlefanz wieder auf die Beine kamen. Stefan fluchte lauthals und ‚Schei..gaul‘ war einer der harmlosesten Ausdrücke. Firlefanz flüchtete in die weit entfernteste Ecke der Halle.

Inzwischen hatte Stefan mich als Ursache allen Übels ausgemacht und fiel lauthals über mich her. ‚Sein Pferd hätte ich auf dem Gewissen, unreitbar sei der Gaul jetzt‘ und, und, und … Ich weiß nur noch, dass ich sehr froh war, auf Titus hoch über Stefan zu sitzen. In diesem Moment hätte ich ihm nicht gegenüberstehen wollen. Nicht so Horst. Der war stinksauer und ging seinerseits auf Stefan los.

Ich weiß nicht mehr, was die beiden sich alles geheißen haben. Aber als sich zum Schluss die Stimmung etwas beruhigte, saß ich auf Firlefanz und Stefan auf Titus.

Firlefanz hatte sich bei dem Sturz nicht verletzt. Fast hatte ich das Gefühl, der Kleine atmete auf, als ich in seinen Sattel stieg. Vorsichtig ritt ich ihn in alle drei Gangarten - und es machte wieder ‚Klick‘. Wieder dieses herrliche Gefühl, dass man ‚eins‘ wird. Ich glaube, ich lächelte wie ein Honigkuchenpferd, als Firlefanz mit mir über die Sprünge ging. Es war ein traumhaftes Gefühl!

Als ich nach dem letzten Sprung strahlend in Stefans Richtung blickte, lief es mir eiskalt den Rücken hinunter. Stefan freute sich nicht mit mir, nein, er hasste mich!

Stefan hat mir die Freundschaft zu seinem Pferd nie verziehen. Wir trennten uns noch an diesem Abend. Stefan verließ mit Firlefanz den Stall. Aber Horst hatte genügend Bekannte. Über ihn erfuhr ich, dass Stefan Firlefanz bei einem Händler gegen ein anderes Pferd getauscht hatte – und mit der Unterstützung meiner Eltern konnte ich Firlefanz kaufen.

Seitdem sind wir unzertrennlich!

***

Mareike atmet tief durch und nimmt einen großen Schluck aus ihrem Wasserglas. „So, jetzt wisst ihr, wie ich zu meinem kleinen Lauser gekommen bin. Von Stefan habe ich übrigens nichts mehr gehört.“ Mareike blickt nachdenklich in die Ferne. „Schon merkwürdig, wie Menschen sich auseinander leben können.“ Sie schüttelt den Kopf und wechselt das Thema. „Jetzt ist aber einer von euch dran: Was ist mit dir Petra, was ist Calimeros Geschichte?“

„Was mit meinem kleinen Braunen ist, willst du wissen? Mal überlegen, was ich euch da erzählen kann. Aber halt, wieso ich – lassen wir doch Calimero selbst berichten! Und bevor sich jemand von euch aufregt“, Petras Blick fällt betont auf Martina, die Turnierreiterin des Stalles, „dies ist die Geschichte, so wie ich denke, dass Calimero sie erlebt hat. Hier darf jeder anderer Ansicht sein – nur lasst mir auch die meine!“

Koppelgeschichten - von und mit Pferd

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