Читать книгу Koppelgeschichten - von und mit Pferd - Gabi Lohmann - Страница 6

Calimero

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Unten auf der Koppel hebt Calimero seinen Kopf und lässt kauend den Blick über seine Herdenfreunde gleiten. Direkt in seiner Nähe grast Peter. Etwas weiter entfernt teilen sich Ilias und Don Rubico eine besonders saftige Stelle. Firlefanz entledigt sich durch heftiges Wälzen den Resten seines Winterfells. Die anderen grasen weiter entfernt.

Die Sonne spiegelt sich in Calimeros glattem Fell. Er ist seine Winterwolle dieses Jahr schnell los geworden. Seine großen wachen Augen blicken frech unter dem schwarzen Schopf hervor. Sein Blick fällt auf den nahe gelegenen Springplatz. Calimero verharrt in seiner Bewegung, sein Blick bekommt etwas Sehnsüchtiges.

„Springen!“ Calimero schluckt und starrt auf die bunten Stangen. „Endlich wieder über Stangen fliegen! Wieso lässt mein Frauchen mich nicht, sie muss doch wissen, wie gern ich es tue!“

„Menschen, als ob die immer wissen, was wir mögen!“, mischt sich Gipsy von der benachbarten Koppel ein. „Obwohl, was ich bisher so gesehen habe, scheinst du es mit deinem Menschen gar nicht so schlecht getroffen zu haben.“

„Ja, meine Menschin, Petra nennen die anderen sie, ist schon ganz ok. Und mein Mensch, dieser Philipp, der ist ganz toll. Mit dem darf ich springen!“ Calimeros Augen leuchten und er schnaubt begeistert.

„Nu halt mal den Ball flach.“ Peters Stimme klingt etwas nuschelnd. Ein riesiger Löwenzahn hängt dem alten Rappen aus dem Maul und er kaut genüsslich darauf herum. „Wenn ich mich recht erinnere, hast du vor drei Wochen kaum den Kopf hochbekommen. Hast richtig jämmerlich ausgesehen. Schon vergessen?“

„Wie soll ich das vergessen?“ Missmutig rupft Calimero ein Büschel Gras aus. „Ist mir ja schon das zweite Mal passiert! Und was macht meine Menschin! Ruft den Tierarzt, der eine dicke Nadel in mich hineinsticht! Tat sauweh!“ Calimero prustet empört. „Und dann geben sie mir noch etwas, damit ich mich nicht mehr wehren kann. Richtig müde macht das Zeug.“

„Und wie du danach geduftet hast!“ Peter kaut genießerisch auf dem Büschel. „Gestunken hast du, drei Meilen gegen den Wind. Aber es hat dir geholfen!“

„Und kaum kann er sich wieder etwas bewegen, schon denkt er ans Springen!“ Ilias schüttelt verständnislos den Kopf. „Sei doch froh, dass dein Mensch dich schont. Macht auch nicht jeder.“

„Wie bist du überhaupt an so eine nette Menschin gekommen?“ Gipsy nähert sich dem Koppelzaun und streckt die Nase zu den Wallachen hinüber. „Du hast es in deinem Leben echt gut getroffen.“

„Ja, da hast du Recht. Wenngleich, am Anfang war es schon etwas holperig.“ Calimeros Blick gleitet in die Ferne.

***

An meine Kindheit kann ich mich nur noch dunkel erinnern. Geboren bin ich in Rottweil, wo ich auch die ersten Monate meines Lebens verbracht habe. Wir hatten zwar nur ein kleines Einzimmerappartment, dafür aber einen riesigen Garten.

Meine Mama war eine echt tolle. Hat mir gezeigt, wo es die süßesten Gräser gibt. Bei ihr konnte ich mich nach dem Toben immer ausruhen – und einige Freunde in meinem Alter hatte ich auch dort.

Meine Mama und mein Papa lebten zu der Zeit schon getrennt. Alles, was ein kleines Pferd wissen muss, habe ich von meiner Mama gelernt.

Sie hat mir auch beigebracht, keine Angst vor diesen komischen Wesen zu haben, die auf zwei Beinen herumlaufen, komisch riechen und jeden Tag ein anderes Fell haben.

"Das sind Menschen", sagte sie zu mir. "Wir halten sie als unser Personal, und zu unserer Unterhaltung. Sie sorgen dafür, dass wir regelmäßig unser Essen bekommen, sie kümmern sich um unseren Garten und sorgen für unsere Unterhaltung, damit uns nicht langweilig wird.

Ach ja, und der komische Geruch, der nennt sich Seife."

Meinen Papa habe ich leider nie kennen gelernt.

Mama hat aber erzählt, dass er ein berühmtes Springpferd ist. Springpferd? Ich hatte zu der Zeit keine Ahnung, was das war. Aber es klang so aufregend! Das wollte ich auch werden. Vielleicht würde ich dann meinen Papa treffen!!!

Eines Tages kam eines dieser Menschen-Wesen und brachte mich zu einer komischen kleinen Box auf Rädern. Meine Mama hatte mir gesagt, ich könne diesen Menschen vertrauen, aber ab und an kommen mir Zweifel! An dem Tag, an dem ich vertrauensvoll hinter dem Menschen in die kleine Box stieg, sah ich meine Mutter zum letzten Mal!

Ich kam in ein neues Zuhause. Dort wohnten bereits zwei Artgenossen. Sie waren klein, weiß und rund.

"Ah, du bist bestimmt unser neuer Kollege", begrüßte mich der Erste freundlich.

"Wie heißt du", fragte der andere.

"Was meinst du?" entgegnete ich.

"Na, dein Name. Du musst doch einen Namen haben."

„Was ist ein Name?“

"Das ist etwas, was Menschen einem geben. Das Wort, das sie am häufigsten zu dir sagen, ist dein Name. Mein Kollege hier heißt 'Lassdas' und ich bin 'Fresssack'."

"Oh, nein, einen Namen habe ich nicht."

"Naja, wird schon noch kommen. Wir zeigen dir erstmal dein neues Zuhause."

Meine neue Heimat war auf dem ersten Blick gar nicht so schlecht. Es gab eine große Weide, Berge von Heu und jede Menge interessantes Spielzeug.

Doch oh Schreck: Wo war meine Wohnung????

Ich schaute mich um, aber alles, was ich entdecken konnte, war eine Art Unterstand, an dem die vordere Wand fehlte.

DAS sollte mein neues Zuhause sein?

Wohin sollte ich bei schlechtem Wetter? Was, wenn es gar anfing zu regnen?

Trotzdem hatte ich eine schöne Zeit. Lassdas und Fresssack waren immer sehr freundlich zu mir.

Naja, fast immer. Bei Regen hatten wir regelmäßig Streit. Die beiden wollten einfach nicht verstehen, dass jemand mit meinem dünnen Fell unbedingt den Unterstand braucht. Da war dann nun mal kein Platz mehr für die beiden.

Aber eines fehlte: Ich hätte so gerne einen eigenen Menschen gehabt. Einen Menschen, der mir einen Namen gab! Vielleicht sogar einen Menschen, der aus mir ein Springpferd machte. Wobei ich leider immer noch nicht wusste, was das war. Auch Lassdas und Fresssack konnten mir da nicht weiterhelfen.

Sie hatten beide einen eignen Menschen. Lassdas hatte ein Männchen und Fresssack ein Weibchen. Wenn die beiden mit ihren Menschen loszogen, blieb ich fast immer allein zurück oder trottete als 5. Rad am Wagen hinter der kleinen Gruppe her. Mit der Zeit zog ich es dann vor, zuhause zu bleiben und mich mit Bastel- und Renovierungsarbeiten am Stall zu beschäftigen.

So vergingen einige Sommer und Winter. Aber dann, eines Tages, stand wieder so eine Box auf Rädern an der Weide. Lassdas Männchen zog mir ein Halfter an und brachte mich zu dieser Box. Erwartungsvoll stieg ich ein. Bestimmt durfte ich zurück zu meiner Mutter und bekam meinen eigenen Menschen!

***

Calimero atmet tief durch und schnaubt. „Pferd, war ich damals naiv!“

***

In meiner nächsten Heimat wartete eine kleine eigene Wohnung auf mich. Ganz nett eigentlich, aber die Kollegen dort waren etwas komisch.

"Howdy", begrüßte mich ein bunt geschecktes Pferd. "Du bist also der neue Azubi?"

Howdy? Azubi? Ich verstand rein gar nichts! Geduldig erklärte mir mein Wohnungsnachbar die Gepflogenheiten der Menschen auf diesem Hof. ‚Western reiten‘ nannten die Menschen das, was sie hier taten. Reiten, ok, das sagte mir schon etwas. Dazu kletterten die Menschen auf unsere Rücken und ließen sich herumtragen. Aber was war mit ‚Western‘ gemeint?

Ich sollte es bald kennen lernen. Zuerst ließ ein Mensch mich in einer runden Box frei. Mir gefiel es da ganz gut. Der Boden war weich, nur zu fressen gab es nichts. Dann begann dieser Mensch, mich mit einem Strick zu jagen. Ich verstand die Welt nicht mehr. Immer wieder scheuchte der Mensch mich im Kreis herum – wie langweilig! Sobald er aufhörte und sich von mir wegdrehte, trabte ich auf ihn zu. Vielleicht hatte der Mensch ja etwas zu fressen?

Der Mensch war darüber schier aus dem Häuschen und geizte nicht mit kleinen Leckereien. Ich würde prima auf das ‚Join-up‘ reagieren, erzählte er später allen, die es hören oder auch nicht hören wollten.

Mir war das egal. Das Spiel war langweilig, aber es gab etwas zu fressen. Von daher – von mir aus!

Nach ein paar Tagen kam dieser Menschen-Mann mit einem riesigen, unförmigen Leder-Dings an. An jeder Seite baumelten zwei Lederriemen mit komischen Schlaufen am Ende. Unter dem Leder-Dings war noch ein buntes Etwas aus Stoff befestigt.

Die wollten dieses Dings doch nicht etwa auf meinen Rücken ...? Doch, wollten sie.

Das Ding, Sattel nannte es der Menschen-Mann, war schwer und drückte unangenehm. Ich wollte ausweichen, aber der Menschen-Mann wies mich grob zurecht. Das gefiel mir gar nicht. Dann ging es wieder in diese kreisrunde Riesenbox. Die Menschen nannten sie ‚Roundpen‘.

Jetzt wurde ich mit diesem unförmigen Teil im Kreis gejagt. Die hintere Kante drückte auf meine empfindlichen Nieren. Es tat weh, es war unangenehm und ich bockte, was das Zeug hielt. Aber der Sattel blieb. Völlig erschöpft stand ich mit gespreizten Beinen in der Bahn. Ich hatte keine Kraft mehr, das Spiel wie gewohnt zu beenden und zu dem Menschen in die Mitte zu gehen. Daher gab es diesmal auch nur einen ganz kleinen Leckerbissen.

In der Nacht schlief ich schlecht. Mir taten alle Knochen weh und ich verstand meinen Wohnungsnachbar nicht, der so begeistert von der Arbeit mit den Menschen und den Rindern erzählte.

In den nächsten Tagen wiederholte sich das miese Spiel. Zuerst das Ungetüm von Sattel, dann das Herumscheuchen im Roundpen. Das Leben machte nicht mehr wirklich Spaß! Sehnsüchtig dachte ich an meine Kumpel Lassdas und Fresssack. Die hatten nette Menschen. So einen musste es doch auch für mich geben!

Dann kam der Tag, an dem mir mein Menschen-Mann eine Eisenstange in das Maul schob. Das Teil war groß und drückte mindestens genauso wie der Sattel. Jede Bewegung dieser Stange im Maul war unangenehm. Ich hasste es!

Mit dem Sattel auf dem Rücken und der Stange im Maul musste ich meinen Menschen-Mann folgen. Er setzte sich auf ein anderes Pferd und zog mich hinter sich her.

Das Pferd war schon älter und nicht sehr gesprächig. Es schimpfte nur immer, wenn ich nicht schnell genug hinterher kam. Es gab doch so viel zu sehen! Aber fürs Umherschauen blieb keine Zeit. Sofort gab es einen hässlichen Ruck im Maul.

Unser Ziel war eine Weide mit bunt gescheckten Tieren. Ich hatte solche Tiere noch nie gesehen und erstarrte – worauf leider wieder ein schmerzhafter Ruck im Maul folgte. Das ältere Pferd verstand meine Aufregung gar nicht. ‚Rinder‘ wären das und unsere Aufgabe wäre es, sie zusammenzutreiben.

Ich verstand kein Wort. Aber ich sollte noch sehen, was damit gemeint war. Der Mensch stieg ab und band mich mit den Zügeln an dem Weidezaun fest. Dann stieg er wieder auf sein Pferd und ritt zu diesen merkwürdigen Tieren.

Ich schaute mit großen Augen zu und bewunderte das andere Pferd. Wie es da so ohne Furcht durch die Herde dieser merkwürdigen Tiere schritt! Ich zitterte am ganzen Körper. Mir machten diese Tiere Angst.

Der Mensch galoppierte mit dem Pferd quer durch die Herde, sonderte mal ein Tier ab, dann trieb er sie wieder zusammen. Ich verstand den Sinn des Ganzen nicht, aber der Mensch schrie immer wieder begeistert. Ihm schien es Spaß zu machen!

Und dann passierte das Ungeheuerliche! Die ganze Tiermasse bewegte sich plötzlich auf mich zu!!!

Ich tat das einzig Sinnvolle. Mit einem riesigen Ruck riss ich mich vom Zaun los und ergriff die Flucht nachhause. Dass dabei das Teil mit der Eisenstange am Zaun zurückblieb, war mir nur recht.

Der Mensch war über meine Flucht nicht so glücklich. Er lobte mich gar nicht, als er mich brav wartend vor meiner Wohnung fand. Er murmelte etwas von ‚Mistvieh‘ und das klang nicht sehr nett. Ich hoffte nur, dass dies nicht mein Name sein sollte!

Am nächsten Tag schmerzte mein Genick. Beim Losreißen vom Zaun musste ich mich dort verletzt haben. Leider bemerkte es mein Mensch nicht. Er brachte eine neue Stange für mein Maul und wieder den Sattel.

Hörte das denn nie auf?

Diesmal hatte er sich etwas Neues ausgedacht. Er führte mich in den Roundpen und scheuchte mich wieder im Kreis. Dieses Spiel wurde durch dauernde Wiederholungen auch nicht eben interessanter, aber wenn der Mensch unbedingt wollte, spielte ich halt mit. Vielleicht kam ich auf diesem Weg auch irgendwann zu einem eigenen (freundlichen) Menschen.

Diesmal war das Spiel nicht damit beendet, dass ich zu dem Menschen in den Kreis kam. Ein anderer Mensch trat noch in den Roundpen. Es wurde an dem Sattel herumgezerrt und der Gurt noch etwas enger gezogen. Und dann setzte der Mensch sich auf meinen Rücken.

Okay, den Sattel durch die Gegend tragen war das eine, aber mit einem zusätzlichen Gewicht, der das Teil noch fester auf meine Nieren drückte – das ging gar nicht.

Ich bockte, was das Zeug hielt und es war eine Wohltat, als der Mensch endlich meinen Rücken verließ. Sofort stellte ich das Bocken ein und schaute, was aus dem Menschen geworden war. Er hockte fluchend im schönen weichen Sand und ich fürchte, zu dieser Zeit war ‚Mistvieh‘ wirklich mein Name!

Der Menschen-Mann – ich weigere mich, ihn ‚meinen‘ Menschen zu nennen – gab nicht auf. Er versuchte es noch ein paar Mal. Aber meine Ausdauer war größer! Dieser Mensch auf meinem Rücken tat weh, also musste er wieder da runter.

Als der Mensch das letzte Mal meinen Rücken verließ, blieb er im Sand liegen.

Ich habe ihn nie wieder gesehen – und das auch nie bereut! Am nächsten Tag schon kam die Box auf Rädern und brachte mich zurück zu meinen Kumpels Lassdas und Fresssack.

„Wie ist es gelaufen?“, fragte Lassdas interessiert.

Doch ich war nicht in der Stimmung, darüber zu berichten. War es vielleicht ein Fehler gewesen, meine Ausbildung abzubrechen? Dort hatte ich einen eigenen Menschen gehabt. Doch ‚mein‘ Mensch war es nicht gewesen. Und irgendwo musste der noch auf mich warten. Außerdem - Rinder zu jagen war nun echt nicht mein Ding!

Also hing ich weiter mit Lassdas und Fresssack herum.

Eines vermisste ich immer noch schmerzlich: einen eigenen Menschen.

Lassdas versuchte mich aufzumuntern. „Eines Tages wirst Du auch einen eigenen Menschen haben. Vielleicht sogar einen ganz jungen, den Du Dir selbst ausbilden kannst!“

„Ja“, mischte sich Fresssack ein. „Die ganz Jungen sind die besten, die haben noch keine schlechten Erfahrungen gemacht. Mit ganz viel Glück bekommst Du sogar ein Weibchen. Die sollen besonders einfach im Umgang sein, habe ich gehört.“

Fresssacks Menschen-Frau war auch wirklich nett. Sie erkannte, dass ich mich auf der Weide langweilte. Eines Tages kam sie mit einem Tuch und ließ es fallen. Ich schnupperte daran und wurde daraufhin gelobt und mit Leckerlis überschüttet. Ich stutzte. Für bloßes neugieriges Schnuppern so eine Belohnung? Da musste noch mehr zu holen sein. Prüfend nahm ich das Teil zwischen die Zähne – Fresssacks Menschen-Frau kriegte sich vor Begeisterung schier nicht mehr ein. Sie lief zum Weidezaun, um noch mehr Möhren zu holen. Ich folgte ihr mit dem Tuch zwischen den Zähnen. Wie gern tauschte ich das Teil gegen eine Schüssel voller Möhren!

Und das war dann unser neues Spiel: Fresssacks Menschen-Frau lief über die Weide und ‚verlor‘ irgendwo ihr Tuch. Ich lief es suchen und tauschte es dann bei ihr gegen Möhren. Mit der Zeit wurden ihre Verstecke immer raffinierter, aber ich habe das Tuch IMMER gefunden!

Schade, dass dies schon Fresssacks Menschen-Frau war. Ich mochte sie sehr gern!

Dann kam Fresssacks Menschen-Frau eines Nachmittags und holte mich. Sie brachte mich zu dem Platz, an dem Fresssack und Lassdas immer gesattelt wurden.

Dort stand ein Mensch und wartete auf uns. Seiner Größe und der kurzen Mähne nach zu urteilen, ein männliches Exemplar.

Wir musterten und gegenseitig. Mein erster Eindruck war sehr positiv: korrektes Gebäude, klare Beine und wacher Blick.

Möglichst unauffällig schnüffelte ich an ihm. Er roch nach anderen Kollegen, nach gutem Futter und frischem Heu. Doch vor allem roch er nach DRINNEN. Da fehlte völlig der Geruch von regennassem Pferdefell oder Morast.

Stattdessen roch ich frisches Stroh!

Ich versuchte, mich von meiner besten Seite zu zeigen. Was gar nicht so einfach war. Bei der Unterbringung in einem offenen Stall ist es schwierig, ein gepflegtes Äußeres zu behalten. Ich tat zwar, was ich konnte - ich trug sogar jeden Tag sorgfältig eine neue Sandschicht auf - aber meine Mähne wollte einfach nicht so stehen, wie sie sollte.

Der Menschen-Mann brachte mich auf den Platz, wo Lassdas und Fresssack immer ihre Menschen dressierten.

Ich hoffte inständig, dass nicht wieder so ein riesiges Leder-Dings auf meinen Rücken geschnallt wurde!

Doch was war das? Der Menschen-Mann bog mit ein paar Holzstangen um die Ecke.

Wozu die wohl gut sein sollten? Interessiert beobachtete ich, wie die Holzstangen aufeinandergestapelt wurden.

Der Menschen-Mann machte einige aufmunternde Laute und brav begann ich, auf dem Platz herumzutraben.

Ich war so damit beschäftigt, einen möglichst guten Eindruck zu machen, dass ich die Holzstangen völlig vergessen hatte. Bis sie auf einmal direkt vor meiner Nase auftauchten.

Zum Bremsen war es viel zu spät, also nahm ich all meinen Mut zusammen, sortierte kurz meine Beine und sprang darüber.

Sofort begann der Menschen-Mann, lobende Geräusche von sich zu geben. Anscheinend war es genau das, was von mir erwartet wurde!

Ich war so stolz auf meine Leistung, dass ich gleich noch eine Runde drehte und wieder über die Holzstangen sprang.

DAS war also Springen!!! Herrlich! Was für ein Spaß!

Meine Entscheidung war gefallen: Dieser Menschen-Mann war der Richtige für mich. Das sollte MEIN Mensch werden. Und er sollte mit mir Springen! Mit ihm wollte ich unbedingt mit!

Und mein Wunsch ging in Erfüllung! Schon einige Tage später – ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben – stand die Box auf Rädern an unserem Stall.

Wie groß war meine Freude, als der geliebte Menschen-Mann aus dem Auto stieg. Ein bisschen traurig verabschiedete ich mich von Fresssack und Lassdas, aber ich schaute voller Freude in meine Zukunft!

Wir waren angekommen. Der Menschen-Mann, die anderen Menschen nannten ihn Philipp, brachte mich in ein Gebäude, das so ähnlich aussah, wie Mamas und mein erstes Zuhause. Hier gab es keine Wiese mit Unterstand. Stattdessen gab es eine Reihe von Einzimmer-Appartments, von denen alle bis auf eines bewohnt waren.

Meine erste eigene Wohnung. Kein Wind, kein Regen. Weit und breit kein Wetter! Als i-Tüpfelchen wurde ich dann auch noch in eine mollig warme Decke gewickelt. War das herrlich. Erstmal hinlegen und ein Nickerchen machen.

Die Zeit mit meinem Menschen war toll. Die ersten Tage vergingen wie im Flug. Ich war hauptsächlich mit seiner Grundausbildung beschäftigt. Ich habe ihm beigebracht, welche Körperstellen besonderer Pflege bedürfen, wie ich meine Mähne am liebsten trage und welches Futter ich bevorzuge.

Er hat auch sehr schnell gelernt, sich an eine lange Leine nehmen zu lassen und stillzustehen, während ich im Kreis um ihn herumlaufe. Es kam mir fast vor, als würde er das alles nicht zum ersten Mal tun. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte es immer so weitergehen können.

Der einzige Wehmutstropfen: Mein Menschen-Mann gehörte mir nicht allein. Ich musste ihn mit einigen anderen Kollegen teilen.

Eines Tages kam der Mensch-Mann mit einem seltsamen Leder-Dings an. Gut, es war nicht ganz so riesig und unförmig, wie das letzte, aber Leder-Dings bleibt Leder-Dings. Und es kam, wie es kommen musste: Das Leder-Dings wurde auf meinen Rücken geschnallt. Wobei ich im Nachhinein sagen muss, es saß deutlich bequemer als das Vorherige.

Dabei blieb es allerdings nicht – der Menschenmann setzte sich auch noch auf meinen Rücken! Er tat es sehr vorsichtig und behutsam – aber er setzte sich auf mich!

Ich verspannte mich total und wartete auf den Schmerz, aber der blieb aus. Stattdessen spürte ich, dass auch mein Menschenfreund total angespannt war. Merkwürdig!

Ein weiterer Mensch hatte mich die ganze Zeit festgehalten. Jetzt führte er mich langsam vorwärts.

Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor. Kein Schmerz! Ich entspannte mich etwas – und gleichzeitig entspannte sich auch mein Menschenfreund. Dabei lobte er mich von meinem Rücken aus und klopfte immer wieder meinen Hals. Langsam wurde ich mutiger. Zügig ließ ich mich vorwärts führen. Mein Menschenfreund behinderte mich fast gar nicht! Hey, das machte Spaß!

Viel zu schnell wurde ich angehalten und mein Menschenfreund sprang aus dem Sattel.

Die Erfahrung musste ich erst mal verdauen. Fresssack und Lassdas hatten Recht, Menschen tragen machte Spaß und vertrieb die Langeweile!

Von da an wartete ich jeden Tag auf meinen Menschen-Mann. Mit jedem Mal lernte er mich besser kennen und bald schon kannte er die richtigen Signale, um sich mit mir im Trab und Galopp durch die Halle zu bewegen.

Dazwischen immer wieder Tage, an denen ich allein über Hindernisse springen durfte. Was heißt hier Springen! Über diese Stangen kann man seinen Körper fliegen lassen. Herrlich!

Nur eines fand ich schade: Ich hätte so gerne so viel Zeit wie möglich mit meinem Menschen verbracht. Aber er hatte noch andere Pferde.

Eines Tages brachte mein Mensch Besuch zu mir. Eine Menschen-Frau, Petra, stellte er mir vor. Sie war nicht mehr ganz jung, aber noch einigermaßen in Schuss. Was sie wohl wollte? Ich kam beinahe um vor Neugierde, versuchte aber, mit nichts anmerken zu lassen.

Petra kam von da an immer öfter zu mir. Manchmal schien sie traurig. Die anderen Pferde erzählten mir, dass Petra bereits zu einem Pferd gehöre. Eine alte Pferdedame. Immer, wenn es der alten Dame nicht gut ginge, wäre Petra traurig. Ich sah meine Aufgabe darin, sie zu trösten.

Erst waren ihre Besuche nur kurz; ich bekam ein paar Leckerlis oder Möhrchen. Dann dauerten die Besuche länger und wir begannen, alles Mögliche zu unternehmen. Wie mein Menschen-Mann war auch sie sehr gelehrig.

Nur beim Reiten haperte es etwas. Ich gab mir wirklich alle Mühe, zu verstehen, was sie wollte. Aber manchmal hatte ich einfach keine Ahnung, was das sein sollte.

Gottseidank war mein Menschen-Mann immer mit in der Halle. Er spürte meine verzweifelten Blicke und erklärte Petra in ‚menschisch‘, was sie zu tun hatte. So klappte es dann ganz gut.

Ok, im Sattel war sie lange nicht so gut wie mein Menschen-Mann, aber dafür konnte sie etwas anderes: Nase kraulen. Sie konnte meine Nase kraulen, wie keine andere! Ich konnte schier nicht genug davon bekommen!

Dann eines Tages kam die Menschen-Frau tieftraurig zu mir. Irgendetwas musste geschehen sein. Die Menschen-Frau erzählte mir, dass die alte Pferdedame gestorben sei. Ich verstand nicht ganz, aber ich spürte, dass es sie tröstete, wenn ich meinen Kopf auf ihre Schulter legte und sie sanft anblies. Sie blieb an dem Tag eine lange Zeit bei mir.

Meine Pferdekumpels erklärten mir später, dass die Pferdedame auf die große Himmelswiese gegangen sei. In mir regte sich leise Hoffnung.

Wie groß war meine Freude, als meine Menschenfreundin kam und mich abholte. Es wartete diesmal keine Box auf Rädern. Nein, wir blieben in dem Stall, zogen aber in ein anderes Gebäude. Ich bekam eine Wohnung mit Terrasse!

Die Wohnungen rechts und links waren an zwei Frauen vergeben. Die Nachbarin zu meiner Rechten ist klein, braun und garstig. Auf mein Hallo antwortete sie nur mit einem giftigen Quieken. Jeder weitere Versuch, ein Gespräch zu beginnen, wurde mit angelegten Ohren im Keim erstickt.

Aber die Nachbarin zu meiner Linken ist der Hammer. Groß, dunkelbraun, endlos lange Beine und eine nahezu perfekte Sattellage. Besser kann es auf der Himmelswiese auch nicht sein!

Und noch etwas hatte sich geändert, ich habe mein größtes Ziel erreicht: meinen eigenen Menschen!

Gut, sie ist nicht mehr jung, deshalb dauert die Erziehung etwas länger. Vor allem, weil ich ihr erst einige schlechte Angewohnheiten abgewöhnen musste. Es hat einige Zeit gedauert, bis sie akzeptiert hat, dass ich absolut kein Freund von Wasser bin. Wasser toleriere ich in meiner Tränke, aber nicht an meinen Füßen und schon gar nicht an meinem Bauch oder auf meinem Rücken! Da könnte ich mich ja gleich nach draußen in den Regen stellen!

Insgesamt hat sie aber schon sehr viel gelernt. Ich bekomme jeden Tag meine Lieblings-Leckerlis, Spielzeug ist auch vorhanden und meine Nase wird jeden Tag ausgiebig gekrault.

Einen Namen habe ich mittlerweile auch: 'Zwergnase'. Klingt irgendwie sehr nobel und majestätisch. Gefällt mir. Wobei – mein Menschenmann nennt mich ‚Calimero‘ und manchmal auch ‚Hubschrauber‘. Auf Turnieren, da werde ich immer als ‚Calimero‘ ausgerufen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Der Menschenmann reitet mich immer noch zweimal in der Woche. Und wer weiß? Wenn ich weiter fleißig trainiere, vielleicht treffe ich auf einem Turnier irgendwann mal meinen Papa. Mama wäre jedenfalls sehr stolz auf mich.

Calimero schnaubt heftig und steckt seine Nase zufrieden in das hohe Grün. Für ihn ist die Welt ganz und gar in Ordnung.

***

Oben auf der Terrasse lächelt Petra vor sich hin. „So, das ist der Anfang von Calimeros Geschichte – und ich denke, er könnte ewig weiter erzählen. Er ist zwar noch jung, aber ihr kennt das Schlitzohr. Erlebt haben wir schon eine ganze Menge. Aber jetzt ist ein anderer dran!“ Auffordernd schaut Petra in die Runde.

Martina greift sich ein Stück Napfkuchen. Sie mustert die Pferde unten auf der Weide. Neben ihrem Ilias grast Calimero. Jetzt schaut er hoch, als wolle er wissen, ob den Menschen seine Geschichte gefallen hat. Etwas abseits genießt Peterchen die Sonne auf seine Weise. Er wälzt sich ausgiebig und streckt dabei seine vier Hufe in die Luft. Sein zufriedenes Grunzen ist bis zur Terrasse zu hören.

„Was ist mit Peterchen!“ Martina deutet auf den Rappen, der, kaum wieder auf den Hufen stehend, wild buckelnd die anderen Pferde über die Koppel jagt. „Lotte, erzähl, wie bis du zu Peter gekommen?“

Lotte verfolgt die Treibjagd ihres Pferdes mit besorgten Blicken. Sie ist die älteste hier auf dem Hof. Über 60 Jahre ist sie alt und immer noch aktive Reiterin. Und Peter ist auch nicht mehr der Jüngste. Für ein Pferd sind 32 Jahre schon fast ein biblisches Alter! Beruhigt atmet Lotte durch, als Peter erkennt, dass die anderen Pferde sich nicht von ihm mitreißen lassen. Er stellt sich neben Calimero und versucht, ihm die süßesten Gräser vor der Nase wegzuschnappen.

„Wie ich zu meinem Peter gekommen bin? Hm, das ist eine längere Geschichte – und sie beginnt damit, dass Peter nicht mein Pferd ist …“

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