Читать книгу Das beste Versteck - Gabriele Bärtels - Страница 6

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Der Federbaum

Suse hockte, ein gutes Stück entfernt, zwischen den grünen Farnen am Bach. Sie war einfach den Weg weitergelaufen, es ging bergab und wurde immer düsterer. So tief war sie noch nie in den Hexenwald vorgedrungen.

Die Farne standen hoch und waren für ein kleines Mädchen schon Wald genug. Vor ihren Augen rollten sich hellgrüne Spitzen aus dunkelgrünen Spiralen und einzelne Wassertropfen lagen ruhig auf den Fächerblättern. Sie tippte eines an, und der Tropfen kullerte herab. Auf der Erde fand sie ihn nicht wieder. Eine orangerote Nacktschnecke mit schwarzen Fühlern zog eine silberne Linie hinter sich her.

Suse blieb in der Hocke und versuchte, ein Stück näher zum Bach zu rutschen. Der war nicht tief und auch nicht breit. Mit einem Schritt hätte sie darübersteigen können. Sie hielt ihre Hand hinein. Kühl war das Wasser. Mit dem Zeigefinger bohrte sie ein Loch in den Schlamm am Grund. Der Ärmel ihres Kleides wurde nass. Wo sie den Schlamm aufgewühlt hatte, zog nun eine graubraune Spur den Bachlauf hinunter. Aber nicht lange. Das schnell hinabgleitende Wasser glättete den Grund wieder, nur eine kleine Vertiefung war noch zu sehen.

Etwas stieß sanft an ihr Handgelenk, das sie immer noch ins Wasser hielt, den feuchten Ärmel nicht achtend. Es war eine Feder, die auf der Wasseroberfläche schwamm, ganz trocken, nur ein paar glitzernde Tropfen trug sie mit sich. Suse zog sie heraus. Eine große Feder. Am Kiel weiß und nach außen wurde sie grau, mit einer schwarzen Spitze. Eine schöne Feder. Suse streichelte ihr Gesicht damit.

Als sie die Feder in der Hand drehte, sie ganz dicht vor die Augen und in das Licht hielt, schimmerte sie in allen Regenbogenfarben. Woher kamen diese Farben? Sie riss sie an der Seite ganz vorsichtig auseinander. Dann strich sie fest über den Riss und sie fügte sich wieder nahtlos zusammen. Eine Zauberfeder. Wenn sie den Kiel in die Erde steckte - ob er wohl Wurzeln schlug? Ein Federbaum würde zu den Farnen hier gut passen. Die sahen ziemlich ähnlich aus. Der Boden war feucht, und sie müsste nie zum Gießen komme, nur zum Gucken. Ob er wuchs. Und wie hoch er würde. Und ob er blühte. Federblumen. Wie die wohl aussahen?

Suse suchte eine Stelle, an der die Farne etwas auseinanderstanden, und bohrte den Federkiel in den Boden. Sie blieb davor hocken und schaute die aufrechtstehende Feder an. Wie lange mochte es wohl dauernd, bis sie groß war? Bis nächstes Jahr vielleicht? Dann würde sie kommen und ganze Obstkisten voller Federn pflücken. Und sich ein Kleid daraus machen, eins mit dem man fliegen konnte. Über den Baumwipfeln, anstatt immer drunter herzulaufen. Vielleicht sogar über die Wolken, bis nach Amerika und zurück.

Ein greller Blitz durchzuckte ihre Gedanken. Ein mächtiger Donner krachte. Suse hob die Arme, um ihren Kopf zu schützen. Der Wald stand schwarz im Regen. Suse verlor das Gleichgewicht und kippte aus der Hocke nach hinten um. Vor ihr stand ein Geist.

"Oh, ich habe Dich erschreckt", sagte eine leise klappernde Stimme. "Das wollte ich nicht. Weißt Du nicht, dass ich komme, wenn Du die Feder in den Boden steckst?"

Suse schüttelte stumm den Kopf und schaute auf die Füße vor sich. Sie waren riesig und nackt. Da, wo die Waden beginnen sollten, saßen graue Federn mit schwarzen Spitzen. Langsam wanderte ihr Blick daran hoch. Der Geist hatte keine Arme, er hatte Flügel, und er trug einen Vogelkopf mit schwarzen, irgendwie schimmernden Knopfaugen und einem langen, roten Schnabel, der beim Reden klapperte.

"Du wirst ganz nass", sagte der Geist und breitete seine Flügel über Suse aus wie einen Regenschirm. "Es ist nur ein Sommergewitter."

Suse guckte unter dem Flügel hervor: "Bist Du ein guter Geist oder ein böser?"

Der Geist lachte klappernd. "Bist Du ein gutes Mädchen oder ein böses?“

Suse lächelte, aber ihre Lippen zitterten. Der Stoff ihres Kleides fühlte sich klamm an. Als sie den Mund aufmachen wollte, klapperte sie mit den Zähnen.

"Was machst Du hier überhaupt? Und wie heißt Du?"

"Ich bin Suse. Und wir spielen Verstecken."

"Wer wir? Hier ist niemand außer Dir."

"Doch, meine Schwester Fritzi und Tommi und Georg und Krücke und der Hund. Krücke muss mich suchen."

Die schwarzen Augen des Geistes sahen Suse an. Der Schnabel klapperte lange nicht.

"Bist Du weit gelaufen?“, fragte er dann. Suse zuckte mit den schmalen Schultern. "Weiß ich nicht." Ihr Kleid fühlte sich klamm an.

Der Geist kniete sich hin. "Komm, spring auf meinen Rücken und halt Dich gut fest. Zuerst müssen wir Dich trocken kriegen. Das geht am besten mit warmer Luft."

Suse sah ihm zweifelnd in die Augen, dann stand sie auf und sprang auf den Rücken des Geistes. Sie sank in die weichen Federn.

"Achtung!", sagte der Geist und wandte ihr ein Auge zu. "Wir erheben uns."

Sie gewannen bald an Höhe. Der Wind rauschte Suses Ohren vorbei, die Abendsonne war auf Augenhöhe, die Tannen, Kiefern, Fichten unter ihr schienen schräg zu stehen. Über die Schultern des Geistes sah sie über die Wiesen, sie hatte gar nicht gewusst, wie rechteckig die waren, wie zum Trocknen ausgelegte Handtücher in verschiedenen Grüntönen. Überall schwarze Tupfer, das mussten Maulwurfhügel sein. Alle Wiesen waren damit übersät. Aber dass es so viele waren, hatte sie nicht geahnt.

Da unten bewegte sich etwas. Vier Kinder und ein schwarzer Hund. Sie strebten auf das Spielzeugdorf zu.

"Da ist Fritzi!“, schrie Suse gegen den warmen Wind. "Und die anderen. Huhu!" Sie hätte gern gewinkt, aber sie musste sich doch festhalten.

"Sie können Dich nicht sehen", klapperte der Geist. "Echte Geister sind unsichtbar und alles, was mit ihnen in Berührung kommt, wird es auch."

"Sie gehen nach Hause", rief sie dem Vogelkopf zu, dahin, wo sie sein Ohr vermutete. "Zum Abendessen. Bei uns gibt es heute Würstchen."

Der Geist antwortete nicht.

Sie haben mich nicht gesucht, dachte Suse. Sie sind einfach weggegangen und haben mich nicht gesucht.

Fritzis Rad blitzte in der Sonne auf. Tommi warf einen Stock und der schwarze Punkt, der der Hund war, wurde schneller und kugelte über die Wiese. Georg war der Größte, und Suse konnte sehen, wie er nach Krücke trat, der wie von einem Gummiband gezogen, sich von ihm entfernte und wieder näherkam.

Suse drehte den Kopf in die andere Richtung.

Eine fette, weiße Wolke zog über das Dorf, aber niemand sah sie, denn die Sonne war untergegangen. Hier und da leuchteten quadratische Lichter. Suses Fenster stand offen und ein Nachtwind wehte die Vorhänge auf. Ganz vorsichtig legte der Geist das schlafende Kind ins Bett und deckte es zu. Am Morgen lag neben Suses Kopfkissen die Feder.

Das beste Versteck

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