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Kapitel zwei: Nicht jeder Park ist Louis Armstrong Park

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„Oh Mann, Sie machen Quakquakquak wie eine Ente und nicht Quäkquäkquäk wie eine Gans.“ Mit solcher Stimme hört sich der Mann filmreif an.

„Was soll das? Bist du doof und redest mit der?“

„Mann, lass mich doch. Wenn ich mit der reden will, dann rede ich eben mit der.

Was mischst du dich ein?“

Erst der dritte Farbige mischt sich tatsächlich ein und beruhigt die beiden anderen, die sich über das sonderbare Gehabe einer ältlichen Touristin in einem gepflegten Park in New Orleans wundern. Entweder hat die Frau einen übersteigerten Hang zu Exzentrik und Skurrilität oder einen Sonnenstich oder beides.

In dem kleinen, baumbestandenen Park ist weder Ente noch Gans oder ein anderer Vogel zu sehen, was angesichts des lauten und reichhaltigen Vogelgezwitschers, das überall zu hören ist, ein wenig verwunderlich wirkt, aber niemanden auffällt oder zu stören scheint. Die kleine Gruppe der Schwarzen, die sich im Park aufhält, hat sich vielleicht Melodie und Musik abgesprochen, vielleicht entspringen beide jedoch einer einfachen und natürlichen Lebensfreude an dem schönen Sonnentag. Die jungen Männer sind gut ernährt und ordentlich gekleidet in weißem Hemd oder T-Shirt und langen Jeans. Sie haben nicht einmal ein Bier dabei, zwei sitzen auf einer sauberen Bank aus dunkel gebeiztem Naturholz mit schwarzen schmiedeeisernen Befestigungen an den Seiten rechts und links. Die Ränder sind reich verschnörkelt und es ist eine Holzbank im typischen New Orleans-Stil. Die zwei Männer auf der Bank haben ein rhythmisches, eher leises Trommeln gestartet und von den drei Männern, die vor der Bank stehen, fallen ebenfalls zwei automatisch in eine Art wiegenden Tanzschritt, während der dritte ruhig stehen geblieben ist. Sie singen einen unbekannten und schwer verständlichen Text, der ein wenig stammelnd oder abgehackt wirkt, und von dem ein Fremder auf Anhieb nicht mit Sicherheit sagen kann, ob es Jazz ist oder Cajun-Musik, also eine Art Volksmusik.

Cajun ist ein Slang-Ausdruck oder eine Kurzform für Acadians, wie sich die Kanadier und ihre Nachfahren nannten, die im achtzehnten Jahrhundert aus Kanada, dem sagenhaften Akadien, in den Süden auswanderten und nach New Orleans gelangten. Sie bewahrten sich in weiten Teilen eine eigene Sprache, das französisch geprägte Cajun, und eine eigene Kultur, die im Laufe der Zeit durch die Vermischung mit anderen Kulturkreisen auch afro-amerikanische Züge annahm. Cajun-Speisen sind kräftiger gewürzt und haben sich eine gewisse Eigenständigkeit bewahrt, die sie von der kreolischen Küche abgrenzen. Beide Kulturkreise leben nebeneinander, allerdings gibt es mehr Cajun als Kreolen in den Sumpfgebieten Louisianas.

Die wenigen Hausfrauen, die am Vormittag durch den Park gehen auf dem Weg zum Einkauf oder bepackt vom Supermarkt zurückkommen, achten nicht besonders auf die Schwarzen. Auch eine junge Mutter, die ihren Kinderwagen durch das satte und frische Grün schiebt, findet nichts Ungewöhnliches am fröhlichen Gebaren der jungen Männer an einem friedlichen Morgen. Einzig die Vögel im Park sahen sich durch den Gesang wahrscheinlich aufgefordert, ein lautstarkes Gezwitscher zu starten und folgen dabei ihren Vorstellungen von Melodienlehre.

Die ältere Frau hat sich ganz unverfänglich zu der Gruppe bei der Holzbank gestellt und mit einem unmelodischen Quaken begonnen. Verblüfft hören die Männer, die sich dabei zuerst wohl nichts gedacht haben, auf zu singen und das rhythmische Klopfen auf der Holzbank erstirbt. Stille kehrt ein. Zwei der großen und schlanken

Männer, die vor der Bank standen, gehen ein paar Schritte zur Seite und mustern die Frau. Der Dritte hat sie angesprochen, und so ist es wohl zu einer Art Gespräch über den Inhalt des Liedes gekommen, der sich für einen Außenstehenden genauso wenig schnell erschließen lässt wie die Bedeutung des Quakens, das die Frau von sich gegeben hat, auf Anhieb nachvollziehbar ist.

Ihr Äußeres wirkt seltsam. Der Tropenhelm lässt solchen Gedanken aufkommen. Eine weiße kurzärmelige Bluse, am Bauch verknotet und für eine Frau ihres Alters ungewöhnlich, betont einen quadratisch wirkenden Brustkorb. Die dunkelblaue Jeans schlackert um die mageren Beine. Nach kurzer Zeit erscheint die Unterhaltung ein wenig aggressiv und die Frau gar nicht so, als wolle sie sich von den jungen, schwarzen Männern im Park einschüchtern, geschweige denn belehren lassen. Da sie es mittlerweile drangegeben hat, sich vor die Gruppe zu stellen und durchdringend zu quaken, und durch schwarz umrandete Brillengläser amüsiert die hervorgerufenen Effekte beobachtet, redet der Mann, der stehen geblieben ist, begütigend auf die Frau mit dem Tropenhelm ein. Er scheint der Älteste aus der Gruppe zu sein.

„Warum tragen Sie so eine Brille, Ma´am?“

Sie sieht den Mann an wie ein Gespenst und antwortet erst nach einer Weile.

„Weil ich sonst nichts sehe. Glauben Sie, ich würde sonst eine Brille tragen bei diesen Temperaturen?“

„Aber Sie könnten auch eine Sonnenbrille tragen, Ma´am, nicht wahr?“

Seine Stimme hört sich weich an und er spricht langsam. Sie sieht ihn einfach an und wartet, was er als Nächstes sagt, aber er spricht nicht weiter.

„Im Prinzip haben Sie Recht. Ich hätte die Sonnenbrille mitnehmen sollen. Dann wäre es nicht so hell.“

Begütigend hebt er die Hände und zeigt helle Handinnenflächen.

„Sie haben die Sonnenbrille im Hotel vergessen, nicht wahr, Ma´am?“

Verwundert sieht sie auf seine Hände, bis sie versteht.

„Ja, ich habe die Sonnenbrille tatsächlich im Hotel vergessen.“

„Und Sie sind aus dem Hotel direkt losgegangen, um den Louis Armstrong Park zu suchen, Ma´am, nicht wahr, und Sie sind bestimmt erst heute in New Orleans angekommen.“

„Was wollen Sie damit sagen?“ Ihr Kampfgeist ist erwacht.

„Gar nichts, Ma´am, jedenfalls nichts Besonderes. Sie könnten einfach zum Hotel zurück gehen und sich die Sonnenbrille holen. Es ist ein schöner Tag heute, nicht wahr?“

Bevor sie erneut anfangen kann, seine freundlichen Fragen mit einem durchdringenden Quaken zu beantworten, hat er sie freundlich an der Schulter gefasst und deutet auf ein Schild.

„Sehen Sie, Ma´am, hier ist nicht der Louis Armstrong Park. Ich bin mir da ganz sicher. Hier ist nicht der Louis Armstrong Park.“

Damit lässt er sie einfach stehen und beginnt, mit den anderen zu sprechen.

Der annähernd quadratische Park mit den Bäumen an den Rändern ist viel zu klein für den Louis Armstrong oder Satchmo Park. Wahrscheinlich haben die Einheimischen den Park aufgesucht, um der Hitze zu entfliehen. Weißeichen, Wacholder, Pinien und Zedern, Kiefern, Magnolien, gelber Jasmin und weitere Sträucher spenden Schatten und man nimmt einen würzigen Geruch wahr, der durch einige große und kleine, eingestreut gepflanzte Teebäume eine interessante Note erhält.

Ein kreisrunder Weg aus einer graugelben Sand-Kies-Mischung führt um einen zentralen gepflegten Rasenplatz, der von zwei Wegen in den vier Himmelsrichtungen durchbrochen ist. Die mittig führenden gelben Sandwege münden wiederum auf einen sehr kleinen Platz im Zentrum des ganzen Parks. Dort suggeriert ein schmiedeeisernes verschnörkeltes Kunstwerk einen Brunnen und somit Wasser.

Vielleicht ist das Wasser abgestellt, vielleicht stellt das Kunstwerk etwas Anderes dar. Die Blumen in den darum befindlichen Beeten sind zweifelsfrei reichlich gegossen und lockern die kleine Baumlandschaft farblich auf.

Das Sonnenlicht taucht das Auge des Betrachters quasi in eine Palette unterschiedlicher grüner Farben. Dunkelgrüne Nadeln der Koniferen und sattgrünes, saftiges Laubwerk, beide sind variantenreicher als das bloße Grasgrün und überwuchern sich in den Farbschattierungen ihrer jeweiligen Standorte, aufgelockert und unterbrochen von sanfteren, olivfarbenen Tönen der Melaleuca-Blätter, deren Blattunterseiten hell schimmern.

Zuerst hat die ältere Dame an dem eisernen Kunstwerk eine Abkühlung gesucht und nicht gefunden. Es ist Hochsommer und bei über 30°Celsius herrscht morgens eine relative Luftfeuchte von über 90%, die im Laufe des Tages objektiv betrachtet immer mehr abnimmt. Die Entbehrung ließ sie ihre Enttäuschung nur unvollkommen verkraften. So ist sie dann wohl zu der Gruppe junger Schwarzer gegangen, die unter den Bäumen vor einer Holzbank stehen und angefangen haben zu singen. Vielleicht wollte sie auch nur die verschnörkelten schwarzen typischen New Orleans Schmiedeeisen an der Bank bewundern.

Mittlerweile hat sie das Schild gelesen und genug beobachtet.

Mit der Frage „Was steht ihr hier im Park herum und gammelt? Habt ihr hier nichts anderes zu tun als vor euch hin zu gammeln?“ beginnt die blasse Frau mit den verschwitzten und klebrigen schwarzen Haaren auf der Stirn vor den Männern auf und ab zu gehen. Dabei biegt sie den Rücken so, dass sie sich mit dem Oberkörper in die Brust wirft und gleichzeitig den Allerwertesten nach hinten herausstreckt wie bei einer Ente. Dazu stellt sie die Füße beim Gehen nach außen, was an Charlie Chaplin erinnert, streckt die Arme nah am Körper längs nach unten und winkelt die

Hände nach außen ab. So watschelt sie mit ein wenig eingeknickten Knien einige Schritte an der Gruppe vorbei, um dann kehrtzumachen und umzukehren. Diesen Vorgang wiederholt sie einige Male. Ihr Gebaren wirkt urkomisch. Die zwei der Männer auf der Bank müssen lachen und halten sich den Bauch dabei fest. Der eine, der vor der Bank steht, stößt den anderen an und macht die Frau nach, indem er versuchsweise einige Schritte hinter ihr her watschelt. Der schafähnliche Gesichtsausdruck der Frau verstärkt ihre Lächerlichkeit. Wegen ihres sichtlichen Erfolgs vergnügt, stellt sie sich schließlich vor die Männer und sieht von unten schelmisch zu ihnen auf. Schließlich ergreift der Älteste der Männer erneut das Wort.

„Tschuldigung, Ma´am, aber wir gammeln hier nicht herum.“

„Nein, wirklich nicht.“ Pflichtet der andere, der sich vorher in den Imitationen versucht hatte, dem Älteren bei.

„Sie sind Engländerin, stimmt´s? Nur Engländer können so was. Kennen Sie Mr. Bean?“

Derjenige, der sich vorher den Bauch vor Lachen festgehalten hat, meldet sich zu Wort.

Die Frau kennt Mr. Bean nicht persönlich, aber sie ist tatsächlich Engländerin, wie sie sagt, und sie liebt Mr. Bean. Und so versorgen die jungen Männer die englische Touristin wohlmeinend mit Ratschlägen, den Supermarkt in unmittelbarer Nähe aufzusuchen, wo man billig Mineralwasser kaufen kann. Man muss genug trinken im Sommer.

Und erst nach dem Einkauf nach Satchmo-Park zu sehen. Sie könne auch in die Stadt gehen und sich bis Spanish Plazza durchfragen, das Jazz-Monument dort ansehen und Jazz-Bands finden, die draußen spielen. Die Männer sind gutmütig und geben den Rat, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Man vertut sich schnell im Süden, und man darf die Entfernungen und Temperaturen nicht falsch einschätzen.

Wie auf ein Kommando nehmen sie ihre vorherige Musik und Körperhaltung auf und ignorieren die Touristin. Die zwei auf der Bank trommeln rhythmisch auf das Holz, der Ältere beginnt zu singen, die anderen stimmen ein und gelöst swingend bewegen die Männer sich dem Rhythmus folgend hin und her.

Der Charme von New Orleans

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