Читать книгу Tapas, Träume und ein Macho - Gabriele Ketterl - Страница 6
2. Neue Freunde
ОглавлениеBrigitte war Alex auf Anhieb sympathisch. Als sie, mit zwei schweren Plastiktüten beladen, die Treppe hochprustete und ihr Kopf im Treppenaufgang erschien, musste Alex unwillkürlich lächeln. Knallrotes Haar, eindeutig gefärbt, aber herrlich anzusehen, war zu einem dicken Knoten am Hinterkopf geschlungen. Helle Augen blitzten fröhlich aus einem von der Anstrengung erhitzten und dezent geröteten Gesicht. Brigitte war ein wenig kleiner als Barbara, auch etwas kompakter, aber durchaus eine gut aussehende Frau. Die weiße Bluse klebte an der ansehnlichen Brust. Stöhnend stellte sie die beiden Taschen auf dem Boden ab und musterte Alex und Barbara mit hochgezogenen Brauen.
„Ihr zwei habt gut grinsen. Ihr schleppt ja auch nicht grob geschätzt vier Kilo Tapas in der Gegend rum. Ja, spinne ich denn, dass das jetzt noch so warm ist.“
Barbara erhob sich geschmeidig aus ihrem Korbstuhl und klopfte ihr mütterlich auf den Rücken.
„Armes Hascherl. Wird wirklich Zeit, dass du die Wechseljahre hinter dich bringst.“
„Dumme Witze reißen kann ich immer noch selbst.“ Resolut pustete sich Brigitte eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Stell mir lieber endlich unseren neuen Gast vor. Ach, Humbug, ich mach das selbst. Ich gehe doch recht in der Annahme, dass du Alexandra bist, nicht wahr?“
Alex nickte erfreut. „Bin ich, und du musst Brigitte sein. Barbara und Marcos haben schon von dir erzählt.“
Brigitte zog eine amüsierte Grimasse. „Na toll. Glaub den beiden kein Wort.“ Lachend streckte sie ihr die Hand entgegen. „Herzlich willkommen in der Casa Vista, liebe Alexandra.“
Gut, damit lag „Alex“ wohl vorerst auf Eis, aber da gab es nun wirklich Schlimmeres.
„Vielen lieben Dank. Ich freue mich sehr, hier wohnen zu können.“
„Ah, sehr schön.“ Brigitte blickte sie forschend an. „Darf ich daraus schließen, dass dir unsere Villa Kunterbunt einigermaßen gefällt?“
„Ich finde sie fantastisch.“
„So mag ich das. Nachdem wir die Formalitäten hiermit hoffentlich endlich abgeschlossen haben, könnten wir dann bitte essen? Mir knurrt seit Stunden der Magen.“ Barbara schien sich gefährlich nahe am Unterzucker zu bewegen, was offenbar ihrem Humor und ihrer Geduld ein wenig abträglich war.
Brigitte zuckte lediglich die Schultern. „So schnell verhungert man nicht, außerdem will Marcos einen Happen mitessen, dann muss er Sebastian abholen. So ein Schlamassel, in dem der Junge da steckt.“ Sie bückte sich und begann, zahlreiche Tupperdosen aus den Taschen zu holen.
„Antonio hat mich wieder verflucht, wegen der Dosen. Ich schwöre euch, der tut das nie wieder. Ich habe ihm einen dreißigminütigen Vortrag über Umweltschutz gehalten. Der ist erst mal bedient.“ Mit energischer Miene stellte sie die Dosen auf dem Tisch ab. Als endlich acht auf der Tischplatte aufgereiht waren, richtete sich Brigitte auf und wischte ihre Hände an den dunklen Jeans ab. „Fertig! Das muss reichen. Da haben wir“, sie nahm zügig die Deckel von den Dosen, „spanische Tortilla, Papas Arrugadas, Manchegokäse mit Serrano-Schinken umwickelt, Hackbällchen in Tomatensoße, Chorizowürstchen gegrillt mit Paprika à la Padrón, feurige Hühnerspieße mit Bananensoße, Gambas in Knoblauchöl und Kabeljau in fruchtiger Tomatensoße. Und das frisch gebackene Brot vom Terazza, Achtung, das ist noch warm.“
Der Duft, der den offenen Dosen entströmte, war so lecker, dass Alex’ Magen unwillkürlich knurrte. Brigitte schien sehr feine Ohren zu haben.
„Ich wage anzunehmen, dass hier noch jemand Hunger hat?“ Sie wandte sich zur Brüstung der Dachterrasse, beugte sich vor und rief laut nach Marcos. „Wäre ja schade, wenn es kalt wird, nicht wahr?“ Sie rückte alles zurecht, blickte sich suchend um, entdeckte den Korb mit den Flaschen und angelte einen Wein heraus. „Na dann, lasset die Spiele beginnen.“
Sie luden sich gerade ihre Teller voll, als Marcos atemlos die Treppe hochgeeilt kam. „Bitte entschuldigt. Ich wollte nicht unhöflich sein.“
Barbara winkte sofort ab. „Ganz ruhig, mein Lieber. Du musst dich nicht rechtfertigen. Komm, setz dich und greif zu. Wie geht es Sebastian?“
Marcos nahm sich, nicht ohne doch noch einen entschuldigenden Blick in ihre Richtung zu werfen, ein Stück Manchego samt Schinken und riss sich von einem der drei Baguettes ein großes Stück ab. „Nicht besonders. Er möchte ja schließlich die Jahre im Hotel gut herumbringen, um ein vernünftiges Zeugnis und eine gute Ausbildung zu bekommen. Dieses Biest kann ihm so richtig Schaden zufügen. Ich könnte dieses Weib erwürgen.“ Er hielt sichtlich erschrocken inne. „Bitte entschuldigt den Ausdruck, aber bei ihr fällt mir wirklich nichts anderes mehr ein.“
Brigitte biss vollkommen entspannt in ein Albondiga, eines der pikanten Fleischbällchen. „Schon in Ordnung. Wir hatten bereits ganz andere Namen für die Lady.“
„Danke, das beruhigt mich.“ Er warf einen unruhigen Blick zu der rosa Vintageuhr, die über dem Treppenabgang an der Wand prangte. „Verdammt. Bitte seid mir nicht böse, ich nehme mir noch ein Stück Tortilla, dann muss ich leider los. Ich habe Sebastian versprochen, ihn am Hotel abzuholen, damit sie ihm heute nicht noch weiter auf die Nerven geht.“
„Wie lange ist die Frau denn noch da? Fliegt sie nicht irgendwann wieder nach Hause?“ Barbara drehte nachdenklich ihr Weinglas in den Händen.
Marcos runzelte verärgert die Stirn. „Offenbar nicht. Sie hat zum zweiten Mal verlängert. Ihr Mann ist eine ganz große Nummer im internationalen Immobiliengeschäft. Scheint ausgesprochen gut zu laufen. Auf jeden Fall hat sie gerade noch einmal zwei Wochen irgendein sauteures Wellnessprogramm gebucht. Das Hotel verdient sich an ihr dumm und dämlich. Und mein armer Bruder weiß nicht mehr, wie er ihren Giftfingern entkommen soll. Bei den Summen, die diese Frau oder vielmehr ihr Mann dort lässt, wird das Hotel einen Teufel tun und Partei für Sebastian ergreifen.“
Während Alex Marcos zuhörte, dachte sie angestrengt nach. Sie schluckte rasch ihre Gambas, spülte mit einem Schluck des vollmundigen, fruchtigen Rotweins nach und stupste ihn fragend an. „Du sagtest Immobilien? Ich kann ihm vielleicht helfen. Eine unserer Kundinnen in Deutschland ist mit einem international sehr erfolgreichen Immobilienmogul verheiratet. Geld bis zum Abwinken, aber dabei sehr nett und bodenständig geblieben. Die ganze Zeit habe ich überlegt, wie ich dem armen Sebastian helfen könnte. Dabei lag die Lösung direkt vor meiner Nase. Immobilien war mein Stichwort. Ich muss nur morgen früh schnell mit ihr telefonieren, denn ich werde nicht darum herumkommen, ihren Namen zu benutzen. Aber so wie ich Inga kenne, ist sie auf hundertachtzig, sobald sie die Geschichte hört, und spielt sicher mit. Sekunde, ich erzähl euch meinen Plan.“
Kaum hatte sie, atemlos, geendet, sah Marcos schon ein wenig entspannter aus und Brigitte klopfte sich prustend vor Lachen auf die Schenkel. „Alexandra, du bist ein höchst kreativer Mensch. Respekt! Wenn das klappt, dann bekommst du die Nominierung für den nächsten Academy Award."
Erfreut trank Alex einen Schluck Wein und verbeugte sich andeutungsweise. „Danke für den vorgezogenen Applaus. Aber wenn man jemanden ärgert, den ich gerne mag, dann bin ich tatsächlich sehr kreativ. Zumindest war ich das einmal.“
Barbara legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Das bist du noch immer!“
Marcos verabschiedete sich wenige Minuten später. „Verzeiht, aber ich muss los. Ich bringe Sebastian nach Mogán, der hat morgen frei, später muss ich ein paar Sachen in Las Palmas abholen. Ich kann leider noch nicht genau sagen, wann ich zurück bin. Ich rufe aber auf jeden Fall an. Bis bald. Hasta lluego.“ Er küsste Alex rasch auf beide Wangen, tat das Gleiche bei Brigitte und Barbara, winkte noch einmal und lief dann polternd die Treppe hinunter. Wenige Augenblicke später fiel das Hoftor ins Schloss.
Alex runzelte überrascht die Stirn. „Hat noch jemand das Gefühl, dass er ein wenig seltsam war? Mal abgesehen von den Problemen seines Bruders. Das ist ja ganz was anderes.“
Sie bemerkte den Blick, den die beiden Frauen austauschten, durchaus. Es war Barbara, die schließlich tief Luft holte.
„Es könnte sein, dass das noch ein wenig anhält. So sehr er sich freut, dass er dich hier hat, so angefressen ist er auch, dass du dich gegen Mogán entschieden hast, also zumindest dagegen, jetzt schon dort zu leben. Und ehe du fragst, ja, er hat mit uns darüber geredet. Ich habe bei Marcos so eine Art Ersatzmutterstatus, weil ich ihn seit über zehn Jahren kenne. So lange bin ich schon hier. Mit meinen dezenten zweiundsechzig Jahren käme das mit der Mutter auch ganz gut hin.“ Sie spielte nachdenklich mit dem Ende ihres langen Zopfes. „Weißt du, Marcos ist in Sachen Frauen ein gebranntes Kind. Seine letzte Lebensgefährtin hat ihn nach acht Jahren mit seinem besten Freund betrogen, dabei aber auf Marcos’ Kosten gelebt.“
Alex zuckte zusammen. „Au, das ist hart.“
Barbara nickte. „Ja, war es auch. Und da man so was hier gar nicht mag, also dem besten Freund die Frau auszuspannen, blieb den beiden nur eine Möglichkeit: Sie haben Gran Canaria verlassen und leben jetzt wohl irgendwo auf dem Festland. Was nichts an dem Umstand ändert, dass Marcos monatelang gelitten hat. Seit letztem Jahr ist er wieder der Alte und hat es, salopp ausgedrückt, seither ordentlich krachen lassen. Tja, und nun kommt da diese bildhübsche, reizende und ganz offenbar kluge Deutsche, in die er sich tatsächlich von der ersten Sekunde an verguckt hat, und was tut sie? Sie will nicht bei ihm leben.“ Barbara verzog amüsiert das Gesicht. „Das ist für so einen Latinomacho, und mag er auch noch so bezaubernd sein, schon hart.“
„Oh.“ Alex rutschte ein wenig tiefer in ihrem bequemen blauen Korbsessel. „Das hatte ich nicht bedacht. Natürlich war er der Hauptgrund, warum ich mich für Gran Canaria entschieden habe. Wäre er nicht gewesen … ich weiß nicht, ob ich den Mut aufgebracht hätte, das hier durchzuziehen. Aber er muss doch verstehen, dass ich nicht direkt aus meiner Ehe sofort in die nächste enge Beziehung, oder wahrscheinlich, wenn ich bei ihm leben würde, sogar Abhängigkeit schlittern kann. Ich weiß ja noch nicht einmal, ob ich es hier überhaupt packe. Aber wenn, dann möchte ich es allein schaffen. Die Jahre mit Holger, die demütigende Abhängigkeit von seiner Gnade und seiner Laune, haben mir definitiv gereicht. Das muss Marcos doch verstehen, denkt ihr nicht? Eigentlich habe ich ihm das alles bei unserem letzten Telefonat ausführlich erklärt … dachte ich zumindest.“
Brigitte zuckte die Schultern. „Im Prinzip tut er das wahrscheinlich sogar. Nur ist da auch noch das spanische Ego, das einfach gerne hätte, dass du dich in seine Arme flüchtest und er dich beschützen darf.“
„Das darf er gerne, in Maßen. Ich habe ja Holger verlassen, weil ich endlich wieder ich selbst sein wollte. Dazu muss ich aber auf mich gestellt sein, sonst geht es schief. Ich muss mein Selbstbewusstsein wieder anständig aufbauen, muss sehen und erleben, dass ich alleine existieren und mein Leben meistern kann. Versteht ihr das?“
Einhelliges Nicken antwortete ihr. „Wir schon. Bei ihm bleibt das abzuwarten.“
Brigitte tunkte ein Stück Brot in die nach Knoblauch und Thymian duftende Tomatensoße. „Marcos ist ein Schatz. Aber er ist auch ein, und das meine ich keinesfalls böse, Latino durch und durch. Bleib dir einfach selbst treu. Spiel ihm nichts vor, auch wenn er jetzt etwas gekränkt ist, denn das wäre viel schlimmer. Wenn eure Beziehung wachsen und funktionieren soll, dann wird sie das nur mit Vertrauen und Verständnis.“
„Darauf ein Gläschen Honigrum. Der hilft immer.“ Schmunzelnd füllte Barbara drei kleine Gläser mit der ausgesprochen wohlschmeckenden kanarischen Spezialität und hielt Alex eines davon entgegen. „Auf dich und deinen Neuanfang, bei dem wir dich so gut wir können unterstützen werden.