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1. Männer

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Puerto de Mogán, November 2016

„Ob ich Angst habe? Und ob! Ich habe eine Heidenangst, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Ihr kennt Holger nicht und vor allem kennt ihr Robert von Heiden nicht. Der Mann scheut sich nicht davor, über Leichen zu gehen, um sein Ziel zu erreichen. Wenn meine Leiche dabei ist, nimmt er das gewiss billigend in Kauf.“

Ihre Freundin Barbara, die nicht überzeugt schien, runzelte die Stirn. „Aber Alexandra, siehst du das nicht ein klein wenig zu schwarz? Was genau kann denn passieren? Ihr habt, dem Himmel sei Dank, keine Kinder. Vermögensverhältnisse alleine sollten sich doch relativ rasch klären lassen.“

Alex seufzte und verdrehte die Augen. „Du sagst es: sollten! Aber hier geht es um etwas ganz anderes. Einen Holger Stahl verlässt man nicht, basta. Diese Schmach, und glaub mir, als solche empfindet er es, kann er nicht auf sich sitzen lassen. Ich mag mir kaum vorstellen, was er im Büro an Lügen verbreitet hat. Es ging doch schon los, als ich noch in München war. Er hat mich beinahe schon als unzurechnungsfähig hingestellt. Nicht ganz umsonst hat er mir ja die Konten sperren lassen, so, als sei ich nicht mehr ganz richtig im Kopf.“

„Das klingt nicht gut. Andererseits, wie ich schon sagte: Egal, was er auffährt, es gibt Gesetze, es gibt Regeln und es gibt vor allem ein Scheidungsgesetz mit Regeln, an die sich auch dein zukünftiger Exmann halten muss.“

Alex betrachtete mit flauem Gefühl im Magen einige vorbeifliegende Möwen, die sich lautstark bemerkbar machten. Ihr Blick folgte den Vögeln, bis sie hinaus auf den Atlantik flogen und dort einige Fischerboote umkreisten, die gerade von ihrer letzten Fangfahrt zurückkehrten.

Es war zehn Uhr am Morgen und sie und ihre mütterliche Freundin saßen bei einem großen Milchkaffee auf dem Balkon vor der Küche der Casa Vista. Barbara rührte vor sich hin sinnierend in ihrer Tasse. Alex war sich dessen bewusst, dass sie nach den richtigen Worten suchte, um sie zu beruhigen, doch nach Holgers schriftlicher Drohung war das nicht leicht. Ja, es gab Gesetze, aber da war auch noch Holgers Skrupellosigkeit, die ihm in seinem Job gewiss zugutekam. Holger wusste sicher mittlerweile von dem Geld, das ihr Vater ihr vererbt hatte und das sie ihrem Mann aus gutem Grund verschwiegen hatte. Ansonsten wäre es so sicher wie das Amen in der Kirche gewesen, dass die komplette Summe wahlweise in der Wohnung oder in irgendwelchen Fonds verschwunden wäre und sich ihre allerletzte Absicherung in Wohlgefallen aufgelöst hätte. Nein, so war das von ihrem Vater nicht gedacht gewesen. Alex versuchte sich zusammenzunehmen, was leichter gesagt als getan war.

„Es hilft nichts. Ich muss wohl oder übel Koffer packen und einen Flug nach München organisieren. Wenn ich nicht erscheine, dann sehe ich keinen einzigen Cent von dem, was mir zusteht.“

Barbara schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. „Ich durchforste das Internet nach günstigen Flügen und du bleibst ganz ruhig und rufst erst einmal Marcos an. Vertrau mir, der weiß, was zu tun ist.“

Alex verzog ungläubig das Gesicht. „Marcos ist ein intelligenter, kreativer und zielstrebiger Mann, aber glaub mir, gegen Holger und seine Winkelzüge kann er nicht bestehen. Mal ganz abgesehen von den Unverschämtheiten, die Robert auf Lager hat.“

„Abwarten, glaub mir, da könntest du dich irren.“ Barbaras Lächeln erschien ihr einen Hauch zu überzeugt.

„Vertrau du mir, ich kenne meinen Ex. Sein einziges Ziel ist es, meinen Ruf in Deutschland zu ruinieren und dafür zu sorgen, dass ich dort wirklich nie mehr auf die Füße komme. Ich wage zu behaupten, dass er es über Auslandskontakte sogar schaffen könnte, mir hier in die Parade zu fahren. Es wäre ihm ein Fest, wenn es ihm irgendwie gelänge, meine Pläne zunichtezumachen, sobald er Wind davon bekommt.“

„Das wird nicht passieren. Und jetzt beruhige dich, ruf Marcos an, ich werfe mich ins Internet wegen der Flüge.“ Für Barbara war das Thema damit offenbar geklärt.

Wäre sie sich selbst doch nur annähernd so sicher wie die Freundin! Unsicher lief sie die Stufen zu ihrem Zimmer nach oben und suchte ihr Handy. Sie setzte sich in einen der beiden Korbstühle auf der großzügigen Dachterrasse. Hier tippte sie zuerst einmal Leonies Nummer ein und ließ, während es in Deutschland schon klingelte, ihren Blick über das herrliche Panorama schweifen. Nein, es durfte Holger einfach nicht gelingen, ihren Traum zu zerstören. Sah sie es wirklich zu dramatisch?

Leonies fröhliche Stimme riss sie aus ihren trüben Gedanken.

„Da ist sie ja mal wieder. Ich dachte schon, du hättest dich in einer Guanchenhöhle* verbarrikadiert und seist auf Nimmerwiedersehen verschwunden.“

Nun musste sie doch lachen. „Nichts mit Guanchenhöhle, obwohl die mir gerade weitaus lieber wären als der Ureinwohner, der mich derzeit meinen Schlaf kostet.“

„Ureinwohner? Du sprichst von deinem Noch-Ehemann?“ Leonie kombinierte schnell.

„Wie kommst du denn da so schnell drauf? Ja, ich habe die Scheidungspapiere zugestellt bekommen. Mit einem handgeschriebenen Liebesbrief.“

Alex erzählte von den Geschehnissen der vergangenen Tage. Sie sparte auch das Positive mit Marcos und der Finca nicht aus, kam aber nicht umhin, mit ihrer derzeitigen Angst zu enden.

Leonie sah das wohl ähnlich wie Barbara. „Süße, lass dich nicht verunsichern von diesem Möchtegern-Macho. Der ist doch nur stinksauer, weil du es gewagt hast, ihn endlich zu verlassen. Diese Barbara liegt goldrichtig. Es gibt Gesetze, die auch für Herrn Stahl gelten, ob er das nun wahrhaben will oder nicht.“

„Ich wünschte, ich hätte nur einen Teil von eurem Optimismus.“ Alex nagte unsicher an ihrem Daumennagel.

„Ähm, Süße, nur für den Fall, dass du wieder an deinem Fingernagel herumkaust, hör sofort damit auf, ja?“

So viel dazu, wenn die Freundin einen besser kannte als man sich selbst. „Mache ich. Sag mal, kann ich während des Termins für die Vorbereitung der Scheidung wieder in das entzückende Gästezimmer ziehen? Wenn ich das richtig verstanden habe, ist das noch nicht die endgültige Scheidung, die kommt erst nach dem Trennungsjahr.“

„Was ist denn das für eine Frage? Natürlich wohnst du bei mir. Wahrscheinlich war das einer der Hintergedanken deines Ex. Wenn du in eurer Wohnung wohnen würdest, wäre es das fürs Erste mit dem Trennungsjahr. Also, sag Bescheid, wenn du kommst, ich freue mich auf dich.“

Na immerhin, Punkt eins wäre geklärt. Nachdem Leonie ihr in Sachen Marcos noch ein Loch in den Bauch gefragt hatte, musste sie das Gespräch beenden, da Kunden in ihre Boutique kamen. Das war die Gelegenheit, endlich auch Marcos zu informieren.

Schön, dass alle absolut ruhig und gelassen waren und nur sie selbst am Rande eines Nervenzusammenbruches herumkrabbelte. Ganz prima! Marcos war vollkommen cool geblieben. Im Gegenteil, er erklärte ihr ruhig und vernünftig, dass die Scheidung vorerst sowieso eine Farce war. So wie er es sah, war das Ganze offenbar Teil eines seltsamen Planes von Holger, um sie, zumindest kurzfristig, wieder bei sich zu haben und sie mürbe zu machen.

„Es würde mich sehr wundern, wenn er nicht wie alle anderen das Trennungsjahr abwarten müsste. Finanziell kann dir kein Schaden entstehen, da dir einfach ein Teil des gemeinsamen Vermögens zusteht.“

So weit, so gut. Theorie war ja etwas Feines, wäre da nicht die böse Praxis. Wenn sie noch nicht geschieden werden konnten, was zum Teufel bezweckte Holger dann mit dieser Aktion?

Barbara riss sie mit der Nachricht, dass es am Sonntag vor dem Gerichtstermin einen passenden Flug gebe, aus ihren Grübeleien und machte damit alles noch greifbarer. Das bedeutete, dass sie in zwei Wochen nach Deutschland musste. Ein Gedanke, der ihr gar nicht behagte.

Sonntag, 11. Dezember 2016

Alex saß auf einem gepackten Koffer. Der Flug ging zwar erst um kurz vor sechs Uhr, ihr war aber einfach nicht mehr danach, den letzten Tag auf der Insel zu genießen. Marcos schien ihre Nervosität nicht länger ertragen zu können und verabschiedete sich schon um die Mittagszeit.

„Ich muss noch einiges organisieren. Ich hol dich dann um kurz vor vier ab, in Ordnung?“

Was blieb ihr schon, außer zustimmend zu nicken? Sie konnte ja schlecht verlangen, dass er stundenlang Händchen hielt.

Brigitte und Barbara taten ihr Bestes, um sie zu trösten. Der duftende Zitronenkuchen und die Vanillemilch halfen sogar ein wenig, machten sie aber gleichzeitig traurig. Sie wollte hier nicht weg. Schon gar nicht um diese Jahreszeit. In München erwarteten sie minus vier Grad und Graupelschauer – ein Traum! Ein einziger Lichtblick blieb. Sobald sie zurückkam, würde sie zu Marcos nach Mogán ziehen. Brigitte ging es immer besser, sie achtete in letzter Zeit sehr sorgsam auf sich, und Alex’ Entschluss stand fest. Ihr graute schon jetzt davor, sich am Flughafen von Marcos zu verabschieden. Das, was sie für den Canario empfand, ließ sich kaum in Worte fassen. Noch nie hatte sie einen Mann so sehr begehrt und geliebt wie ihn. Wie auch? Ihr Männerbild war von Holger geprägt worden – miese Voraussetzungen.

„Nun komm schon, iss noch ein Stück Kuchen, Alexandra. Wer weiß, wann du wieder etwas zwischen die Zähne bekommst.“ Brigitte schien ernsthaft um sie besorgt.

Schmunzelnd wehrte sie ab. „Keine Bange, ich befürchte, Leonies Kühlschrank platzt aus allen Nähten. Sie ist so ähnlich gepolt wie ihr.“

„Stimmt“, Barbara reckte bestimmend ihr Kinn nach vorne, „da war ja etwas. Leonie lädst du bitte baldmöglichst ein. Und sie soll dann bei uns wohnen, in deinem Zimmer. Sie scheint eine sehr nette Person zu sein.“

„Das gebe ich gerne weiter und natürlich lade ich sie ein.“ Alex warf einen unsicheren Blick auf ihre Uhr. „Schon kurz nach halb vier. Ich mach mich lieber fertig, nicht, dass Marcos warten muss.“

„Als ob ihn das umbringen würde. Außerdem wartet der gerne auf dich.“ Brigitte lehnte sich zufrieden in ihrem Sessel zurück. „Aber wenn es dich beruhigt, dann hol eben deine Sachen.“

Täuschte sie sich oder waren die beiden heute irgendwie seltsam? Seltsamer als sonst. Um sich darüber weitere Gedanken zu machen, fehlte allerdings die Zeit. Alex warf einen letzten Blick auf das geliebte Zimmer, hängte sich den kleinen Lederrucksack um, schleppte ihren Koffer nach unten und ließ sich prustend wieder in den Sessel fallen. „Ich bin jetzt schon mit den Nerven komplett am Ende.“

„Du arme kleine Maus.“ Liebevoll tätschelte Barbara Alex’ Wange. „Das wird schon alles, mach dich jetzt nur nicht verrückt. Alles wird gut, lass dich überraschen.“

Alex runzelte die Stirn. „Geht’s noch ein wenig kryptischer bitte?“

Barbara schloss sie lachend in die Arme und drückte sie an ihre Brust. „Nein, leider nicht. Aber so sind wir eben.“

Alex musterte die beiden Frauen liebevoll, die ihr in den drei Monaten seit ihrer Ankunft zu guten Freundinnen geworden waren. „Ja, und genau darum werdet ihr mir sehr fehlen.“

„Alexandra, du bist zwei Wochen weg, keine zwei Jahre. Nun beruhige dich mal wieder. Ah, ich höre Marcos’ Auto, los, lasst uns in den Patio gehen, dann kann er gleich vorne an der Straße stehen bleiben.“

Wie auf Kommando öffnete sich unten das große Holzportal.

„Amor, bist du fertig? Parkplätze sind mal wieder rar. Ich stehe im Parkverbot.“ Marcos, sehr elegant im schwarzen Hemd, schwarzen Jeans und schwarzem Lederblazer, strahlte sie fröhlich an.

Er sah auch heute wieder so unverschämt gut aus, dass es ihr nur mühsam gelang, sich auf das Wichtige zu konzentrieren. Eilig raffte sie ihre Sachen zusammen und umarmte Barbara und Brigitte, während Marcos schon mit ihrer Reisetasche entschwand.

„Viel Glück, meine Liebe! Du bist bald wieder hier, vertrau uns.“

In Marcos’ Auto drückte sie ihre dicke Strickjacke, die sie in weiser Voraussicht mitschleppte, wie einen Schutzschild an sich. Er kannte sie bereits viel zu gut, um nicht zu bemerken, wie es in ihr aussah. Seine Hand umfasste die ihre. „Na komm, mi amor, das schaffst du alles mit links. Ehe du dich’s versiehst, bist du wieder hier.“

Sie zog eine beleidigte Grimasse. „Du könntest wenigstens so tun, als seist du traurig, dass ich wegfliege. Warum habe ich das Gefühl, dass ihr alle das viel zu entspannt seht? Mir graut wirklich vor dem, was Holger und Robert da ausgeheckt haben könnten.“

„Ich bin todunglücklich, dass du wegfliegst.“

„Das klang nun ein klitzekleines bisschen unaufrichtig, das ist dir schon klar, oder?“ Grummelnd blickte sie zu ihm hinüber. Das Lächeln, das seine Lippen umspielte, verunsicherte sie.

Sie erhielt keine Antwort. Marcos legte lediglich seine Hand an ihren Kopf, zog sie zu sich heran und küsste sie auf den Scheitel. „Schimpf nicht mit mir. So bin ich eben.“

Sie verließen die Autopista del Norte und bogen auf das Flughafengelände ab. Hier steuerte Marcos nicht das Terminal an, sondern einen der beiden großen Parkplätze.

„Na, immerhin kommst du noch mit rein.“ Alex schulterte ihren Rucksack.

„Nun ja, da bleibt mir wohl keine andere Wahl, oder?“

Warum grinste er noch immer so komisch und warum war er plötzlich so … uncharmant? Marcos parkte den Wagen und ging zu ihrer Überraschung zu einem der Parkwächter, um ihn zu bezahlen. Als er zurückkam, öffnete er wortlos den Kofferraum und nahm ihren Koffer heraus, verschloss ihn jedoch dann nicht, sondern nahm einen kleinen schwarzen Ledertrolley, sperrte den Rover ab und lächelte sie herausfordernd an.

„Nun komm schon, auf, auf, zügig, wenn ich bitten darf. Unser Flug geht zwar erst in einer guten Stunde, aber ich möchte doch vorab noch einen Kaffee. Die Brühe im Flugzeug kann man ja nicht trinken.“

Alex starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. „Willst du etwa sagen, du kommst mit mir? Du fliegst wirklich mit nach Deutschland?“

Mit ernster Miene zeigte Marcos auf seinen Rollkoffer. „Wonach sieht es für dich aus, mi amor?“

Sie konnte es kaum fassen. „Ernsthaft? Du glaubst nicht, wie sehr mich das freut. Ich hätte nie gewagt, dich zu fragen. Oh mein Gott, was bin ich erleichtert.“

Er grinste sie herausfordernd an. „Schon gut, nur nicht übertreiben. Du kannst mich weiter Marcos nennen. Und nun lass uns gehen. Hast du tatsächlich geglaubt, ich lasse dich alleine in die Höhle des Löwen? Also wirklich!“

Plötzlich war alles ganz leicht. Die Sonne schien schon wieder heller, ihre Schritte waren nicht mehr so schwer, als trüge sie Blei auf den Schultern, und die Angst war wie weggeblasen.

„Marcos.“

Er wandte sich, ihre Tasche und den Trolley hinter sich herziehend, zu ihr um. „Ja, Alex?“

„Habe ich dir eigentlich schon gesagt, dass ich dich liebe?“

Sie fand es wunderschön, dass man in solchen Augenblicken seine Gefühle auf seinem Gesicht ablesen konnte. Wie pure Freude bei Marcos aussah, wusste sie nun auf jeden Fall.

* Guanchen – Die Ureinwohner der Kanarischen Inseln, die einst in Höhlen im Landesinneren lebten.

Paradies im zweiten Anlauf

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